Wild Scottish Hearts – Neues Glück in Seaview Hills - Lisa Lake - E-Book

Wild Scottish Hearts – Neues Glück in Seaview Hills E-Book

Lisa Lake

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Beschreibung

Shona liebt ihr Leben. Sie hat einen tollen Job als Erzieherin, einen wunderbaren Freundeskreis und das Wichtigste: Sie ist Single. Nach einigen schlechten Erfahrungen kann sie nun wirklich keinen Mann an ihrer Seite gebrauchen. Aber dann trifft sie bei einer Feier erneut auf Kent. Er ist der Vater eines ihrer Schützlinge, besitzt den Bootsverleih in Seaview Hills - und hatte vor einiger Zeit eine heiße Affäre mit Shona. Sofort ist die Anziehung wieder da und sie kommen sich wieder näher. Ehe es Shona richtig bemerkt, hat sie ihr Herz an den attraktiven Singledad verloren. Doch kann es diesmal eine Zukunft mit ihm geben? Schließlich hütet sie ein Geheimnis, das schon einmal ihr Leben zerstört hat. Viel zu schnell ist Shona gezwungen sich zwischen ihrer Angst und ihren Gefühlen für Kent zu entscheiden.

Der zweite Band der knisternden und romantischen Small-Town-Romance in der malerischen schottischen Küstenstadt Seaview Hills.

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Shona liebt ihr Leben. Sie hat einen tollen Job als Erzieherin in einem Kindergarten, wunderbare Freunde und das Wichtigste: Sie ist Single. Nach einigen schlechten Erfahrungen kann sie nun wirklich keinen Mann an ihrer Seite gebrauchen. Dann trifft sie auf Kent. Er ist Besitzer des Bootsverleihs in Seaview Hills, der Vater eines ihrer Schützlinge – und hatte vor einiger Zeit eine heiße Affäre mit Shona. Als die beiden sich bei einer Feier wiedersehen, ist die Anziehung sofort wieder da. Sie lernen sich besser kennen und können einander schon bald nicht mehr widerstehen.

Ehe Shona es richtig merkt, hat sie ihr Herz an den attraktiven Bootsbauer verloren. Doch kann es eine Zukunft mit ihm geben? Schließlich hütet sie ein Geheimnis, das schon einmal ihr Leben zerstört hat. Wem wird Shona folgen: ihrer Angst oder ihrem Herz?

Lisa Lake

WILD SCOTTISHHEARTS

Neues Glück in Seaview Hills

 

Für alle, die sich für nicht gut genug halten.Lasst euch nichts einreden, ihr seid mehr als gut,ihr seid genau richtig.

Kapitel 1

Shona

Manchmal hasse ich meinen Job. Jetzt gerade zum Beispiel klingt so ziemlich jeder andere Beruf sehr viel verlockender. Ich seufze leise und schrubbe einen weiteren Picasso von einem der vielen Tische. Der Kunstraum sieht aus, als hätte eine Horde Halbwüchsiger Paintball gespielt – überall sind Farbkleckse, Wasserpfützen und vereinzelte Tuschfarben. Dabei hat meine neue Kollegin nur ein paar Minuten nicht gut genug auf die Gruppe aufgepasst. Ich wusste, ich hätte sie noch nicht allein mit den Kindern lassen sollen. Zähneknirschend, dass ich nicht auf mein Bauchgefühl gehört habe, widme ich mich den restlichen Kunstwerken, die nicht wie geplant auf Papier gelandet sind. Als ich endlich fertig bin, wische ich mir mit dem Handrücken eine verirrte dunkelblonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Ein kurzer prüfender Blick in den Spiegel verrät mir, dass mein messy Dutt inzwischen seinem Namen alle Ehre macht. Mit einem langen Seufzer gehe ich in unseren Aufenthaltsraum. Inzwischen ist es fast siebzehn Uhr und der Flur liegt wie ausgestorben vor mir. Die letzten Kinder wurden längst abgeholt. Verbuchen wir den Tag einfach als nicht völlig katastrophal.

Ich packe gerade meine Tasche zusammen, als die Tür aufgeht und Robin hereinkommt. Ihre Schuhe geben leise quietschende Geräusche auf dem Linoleumboden ab.

»Du bist noch hier?« Verwundert legt sie ihren Kopf schief.

»Ich musste den Kunstraum noch in Ordnung bringen.«

Robin verzieht mitleidig das Gesicht. »Sabrina hat vorhin erzählt, was passiert ist. Da sie nicht direkt heulend die Flagge gehisst hat, würde ich sagen: Feuertaufe bestanden.« Ein Grinsen begleitet ihre Worte, und ich kann nur amüsiert den Kopf schütteln.

»Verlierst du eigentlich jemals deinen Optimismus?«

»Nicht an Tagen, die auf »G« enden.«

»Irgendwann werden die kleinen Blutsauger auch all deinen Optimismus aufgefressen und durch Resignation ersetzt haben.«

»Bis dahin habe ich hoffentlich auf dich abgefärbt. Mehr will ich gar nicht.« Robin legt sich dramatisch eine Hand auf die Brust.

»Nicht an Tagen, die auf ›G‹ enden«, kontere ich.

Ein paar Minuten später treten wir durch die breite Eingangstür ins Freie. Nebenan auf dem kleinen Spielplatz der Grundschule toben ein paar Kinder herum, deren Eltern entspannt auf den Bänken sitzen und sich unterhalten.

Robin schließt die Tür des Kindergartens ab und lässt den großen Schlüsselbund klirrend in ihrer Handtasche verschwinden. Gleichzeitig setzen wir uns in Bewegung und lassen die Rufe der Kinder hinter uns.

»Bist du mit dem Auto gekommen, Shona?«

Wir bleiben vor Robins quietschgelbem Opel Mokka stehen. Wie immer, seit sie dieses Auto hat, muss ich zweimal blinzeln, weil ich mich nie so recht entscheiden kann, ob ich die Farbe überraschend frisch oder erschreckend grell finden soll. Und das, obwohl ich bunt liebe. Mir kann es eigentlich nicht bunt genug sein. Manche behaupten, das Wort »Colourblocking« sei für mich erfunden worden. Okay, eigentlich behauptet das nur meine beste Freundin Rae.

»Ich bin zu Fuß gekommen«, antworte ich auf ihre Frage. Meine Wohnung liegt kaum zehn Minuten vom Kindergarten entfernt. Das war damals zwar kein Einzugskriterium, ist aber durchaus praktisch. Ehrlich gesagt, fahre ich eh nicht allzu gern Auto, und für die kurze Strecke zum Kindergarten lohnt es sich kaum, den Motor anzuwerfen. Vor allem hier in der ruhigeren Gegend von Seaview halten sich die oft älteren Bewohner penibel genau an das Tempolimit – und treiben mich damit oft genug zur Weißglut. Außerdem bin ich, abgesehen vom Yoga, nicht der größte Sportfan und schlage so zwei Fliegen mit einer Klappe. Auch wenn man einen zehnminütigen Spaziergang wahrscheinlich nicht wirklich als »Sport« bezeichnen kann.

»Heute?«, wundert sich Robin.

»Wieso nicht?« Amüsiert ziehe ich eine Braue nach oben. »Oder gehen wir mittwochs nicht zu Fuß?«, frage ich in Anspielung auf einen von Robins absoluten Lieblingsfilmen – Girls Club.

Sie ignoriert meine Stichelei. »Hast du heute kein Yoga?«

Ein, zwei Sekunden blinzele ich sie nur stumm an. »Verdammt, das hab ich total vergessen!« Mit einem leisen Fluch auf den Lippen drehe ich mein Handgelenk und schaue auf die filigranen Zeiger meiner goldenen Armbanduhr. In einer Viertelstunde müsste ich bei meinem Yogakurs sein.

»Hättest du eine Smartwatch …«, fängt meine Kollegin an. Das ist ein kleiner Running Gag zwischen uns. Ich mag es, eine klassische Armbanduhr zu tragen. Außerdem ist sie ein Geschenk meiner Mum zum Bestehen meines Studiums gewesen. Ich liebe diese Uhr und lege sie fast nie ab. Nur, wenn ich male, damit keine Farbreste auf ihr landen. Robin hingegen ist begeistert von ihrer Smartwatch und versucht mich seit Ewigkeiten davon zu überzeugen, mir auch eine zuzulegen. Was nicht passieren wird.

»Das schaffe ich niemals pünktlich«, murmele ich, mehr zu mir selbst und will mich schnell von Robin verabschieden. Doch sie legt mir rasch eine Hand auf den Arm und hält mich zurück.

»Warte, zu Fuß bist du niemals rechtzeitig im Studio.« Sie hat recht. Unser örtliches Fitnessstudio liegt genau entgegengesetzt von meiner Wohnung, und da ich ohne Auto unterwegs bin, muss ich erst noch meine Sporttasche von daheim holen.

»Ich kann dich fahren.« Ich schaue sie prüfend an. Ich überlege kurz.

»Das ist lieb von dir, danke«, antworte ich, weil mir keine bessere Option einfällt.

Ihr offenes Lächeln wird noch ein wenig breiter. »Ach, ist doch selbstverständlich.«

»Danke«, erwidere ich noch mal, weil sie meinetwegen einen Umweg fährt.

»Ich muss eh noch einkaufen, da liegt deine Wohnung auf dem Weg.« Sie manövriert uns durch die Straßen in Richtung meines Zuhauses. Bisher haben wir selten etwas zusammen unternommen, obwohl wir uns wirklich gut verstehen. Aber Robin hat drei Söhne, die sie ganz schön auf Trab halten, und ihr Mann arbeitet oft bis spätabends in einer nahen Bierbrauerei. Da bleibt ihr nicht viel Freizeit.

»Wie läuft’s daheim?«, frage ich sie.

»Ach, eigentlich ganz gut, nur der übliche Wahnsinn. Die Zwillinge wachsen so schnell, dass sie mir noch die Haare vom Kopf fressen, wenn ich nicht aufpasse. Und unser Nachzügler Jamie zahnt inzwischen, dafür lässt er uns jeden zweiten Tag mal ein paar Stunden länger schlafen.«

Obwohl sie sich beschwert, höre ich die Liebe zu ihrer Familie aus jedem ihrer Worte mitschwingen. Ohne es zu wollen, wird mir etwas schwer im Magen. Ich schlucke das dumpfe Gefühl von Eifersucht hinunter.

»Hast du dir noch mal überlegt, ob du Jamie nicht doch bei uns anmelden willst? Er ist doch inzwischen schon« – ich überlege einen Moment – »elf Monate alt.« Einige der Kinder in unserem Kindergarten sind im Alter ihres Sohnes, er würde also gut in die Krabbelgruppe passen.

»Ich weiß nicht. Irgendwie finde ich es seltsam, wenn wir eins meiner Kinder betreuen würden. Und er liebt die Tagesmutter, die wir für ihn gefunden haben.«

Wir halten vor meiner Wohnung und unterbrechen damit unsere Unterhaltung.

»Danke Robin, du bist meine Rettung«, sage ich und springe aus dem Auto. Ich gehe im Stechschritt den kurzen Weg zur Haustür, ramme den Schlüssel ins Schloss und haste die Treppe in den ersten Stock, wo meine kleine Wohnung liegt. Meine Sporttasche liegt fertig gepackt auf der kleinen weißen Kommode neben dem Eingang, also tausche ich sie schnell gegen meine Arbeitstasche und stehe keine fünf Minuten später an meinem eigenen Auto. Mein Atem geht ein bisschen zu schnell. Vielleicht sollte ich doch etwas mehr Ausdauer trainieren, als nur mit dem Weg zur Arbeit.

»Wow, das war schnell«, kommentiert meine Kollegin mit einem leisen Pfiff. Sie lehnt den Kopf aus dem heruntergelassenen Fenster und lässt den Motor wieder an. »Bist du gerannt?«

»Ich renne nicht«, sage ich schlicht. Denn das stimmt, ich renne nie. Ich weiß nicht, ob es an dem Sporthasser in mir liegt, oder ich es einfach nicht mag, wie ein sterbendes Walross zu schnaufen, aber ich renne nicht. Ich gehe – schnell, wenn es sein muss. Ich glaube, manche würden das als Powerwalking betiteln, aber alles, was auch nur entfernt an joggen erinnert, ist tabu. Entweder ich bin pünktlich, oder eben nicht. Davon wird die Welt nicht untergehen und alles, was ich verpassen könnte, ist sowieso nicht für mich bestimmt. Diese Einstellung hat meine Eltern in meiner Jugend fast verrückt gemacht, weil unsere Familie praktisch nach dem Motto »immer auf die letzte Minute« lebt. Meine Mum sagte mir einmal, dass ich keinem Jungen, der mich nicht mehr mochte, hinterherrennen sollte, weil schon kurze Zeit später jemand viel Besseres auf mich warten würde. Und ich habe ihre Worte einfach etwas ausgeweitet. Obwohl ich auch keinem Mann hinterherrennen werde. Nicht mehr.

Sie winkt mir zu und verabschiedet sich. »Wir sehen uns morgen.«

Ich fädele mich in den kaum vorhandenen Verkehr Richtung stadtauswärts ein. Um diese Zeit wollen wesentlich mehr Leute wieder zurück nach Seaview als andersrum. Auf die Minute genau parke ich vor dem Eingang zum Fitnesscenter.

Drinnen schlägt mir die typisch abgestandene Luft entgegen, die vorherrscht, seit die Klimaanlage vor einigen Wochen kaputt gegangen ist – ein durchdringender Mix aus Schweiß und Parfüm. In der Frauenumkleide dominieren ein süßer Parfümgeruch und der feine Duft nach Duschgel die Luft. Ich ziehe mich um, stopfe meine Sachen in den kleinen Spint und wende mich zum Gehen. Auf dem Weg nach draußen fasse ich meine Haare zu einem ordentlichen Zopf zusammen und starre dabei gedankenverloren auf den Boden. Den Weg zu unserem Kursraum könnte ich im Schlaf gehen, weshalb ich leider nicht darauf achte, was um mich herum geschieht. Als ich um die Ecke biege, pralle ich frontal in eine große breite und sehr männliche Statur.

»Umpf«, entfährt es mir dumpf, doch als ich sehe, in wen ich gerannt bin, erstirbt eine Entschuldigung auf meinen Lippen.

»Hi.« Kent schaut mich mit funkelnden Augen an. Da er riesig ist, muss ich meinen Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Sofort stürmen Bilder von starken Armen, überraschend weichen Händen und zwei verschwitzten Körpern meinen Kopf. Ich nehme den holzigen Geruch seines Aftershaves wahr, und eine Gänsehaut überzieht meine Arme. Unbewusst will ich darüberreiben. Erst da bemerke ich überrascht, dass seine Hände mich festhalten. Wieso nur verliere ich jegliches Realitätsgefühl in der Nähe dieses Mannes? Und wieso spüre ich seine Hände wie ein Echo an allen Stellen meines Körpers?

Ich schüttele leicht den Kopf und fokussiere mich wieder auf Kent. »Hey.« Leicht lehne ich mich etwas zurück, und sofort lässt er meine Arme los. Um nicht irgendetwas Dummes zu tun – über seine Brustmuskeln zu fahren, die durch den engen Stoff seines Tanktops mehr als deutlich hervortreten, zum Beispiel –, verschränke ich die Arme sicherheitshalber vor der Brust. Was sofort seinen Blick dorthin lenkt. Ein warmes Prickeln breitet sich in mir aus, ein Gefühl, welches ich schon eine ganze Weile nicht mehr gespürt habe. Nicht seit unserem kurzen Abenteuer. Kent scheint nichts von meinen wilden Gedanken zu bemerken.

»Wie geht es dir? Wir haben uns lange nicht gesehen, Sho«, fragt er unbekümmert.

Mein Spitzname, dieser kurze vertraute Laut und seine tiefe Stimme setzen erneut einen Gefühlscocktail in mir frei. Er klingt nach Aufregung, Spaß, nach heißen Versprechen und Lust. Er klingt lebendig. Bevor ich antworten kann, holt mich die Stimme meiner Yogalehrerin zurück.

»Wo bleibst du denn, Shona? Wir fangen jetzt an.«

Ruckartig trete ich von Kent zurück. »Ich muss los«, bringe ich hervor und ärgere mich über mich selbst, dass ich alles andere als cool reagiert habe. Dabei lockt mich eigentlich echt wenig aus der Reserve.

Mit zielsicheren Schritten gehe ich in den Raum, in dem bereits gut fünfzehn Frauen auf ihren Matten sitzen.

»Entschuldigt bitte, ich wurde aufgehalten.« Und habe kurz vergessen wo und wer ich bin.

Ich nehme mir eine Yogamatte aus dem wandhohen offenen Schrank und suche mir eine freie Stelle.

»Gut.« Yvonne stellt sich aufrecht hin und bedeutet uns, es ihr gleichzutun. »Wir fangen mit dem Sonnengruß an.«

Während der nächsten Stunde lasse ich all die Anspannung und Anstrengung des Tages hinter mir und lasse mich völlig in die Übungen fallen.

Erst am Abend, als ich allein in meinem Bett liege, tanzen die Erinnerungen an die Begegnung mit Kent wild hinter meinen geschlossenen Lidern. Irgendwann muss ich eingeschlafen sein und träume von starken Händen, die mich fest im Arm halten, einhüllen in einen Kokon aus Ruhe und Geborgenheit.

Kapitel 2

Shona

»Wollen wir noch etwas trinken gehen?«

Ich hänge mir gerade meine Tasche über die Schulter, als meine Kollegin Emily das allgegenwärtige Rascheln von Papier und Taschen unterbricht und unsere kleine Gruppe der Reihe nach fragend ansieht.

»Gern«, stimmt Sabrina ihr direkt mit einem breiten Lächeln zu und streckt ihre Arme dehnend über den Kopf.

Auch die anderen unseres Teams schließen sich bejahend an.

»Ihr müsst leider ohne mich gehen«, werfe ich in die Runde.

»Deine Freundin feiert dieses Wochenende ihren Junggesellinnenabschied, oder? Was habt ihr vor?« Robin wirft mir einen Blick über die Schulter zu, bevor sie weiter die Blumen in unserem Pausenraum gießt. Die große Fensterbank ist ein Meer aus bunten strahlenden Orchideen. Als ich mir vor einiger Zeit einen Ableger mit nach Hause genommen habe, war der schneller eingegangen, als ich das Wort Orchidee hätte buchstabieren können. Ich kann exakt eine Pflanze am Leben halten: eine riesige künstliche Efeugirlande, die die Gardinenstange meines Wohnzimmers schmückt. Ich vergesse einfach viel zu oft, Pflanzen zu gießen, sie nicht direkt in die Sonne zu stellen, oder ich ertränkte sie in zu viel Wasser. So viele Möglichkeiten, und alle beherrsche ich anscheinend perfekt.

»Genau, ich muss also gleich los. Wir entführen sie übers Wochenende ins On the Edge Hotel.«

Robin stößt einen beeindruckten Pfiff aus. »Wow, da war ich mit meinem Mann am Hochzeitstag essen. Das Hotel ist der Hammer.«

»Ist das nicht irre teuer?«, fragt Sabrina neugierig.

»Wir legen ja alle zusammen«, antworte ich ihr schwammig. Denn sie hat recht, das Hotel ist ziemlich beliebt und gerade die Zimmer, die einen direkten Blick aufs Meer bieten, sind fast schon verboten teuer. Aber zum Glück ist Vivian, eine meiner engsten Freundinnen, die mit ihrer Familie ein eigenes Hotel bei uns in Seaview hat, mit den Besitzern des On the Edge befreundet und konnte uns einen guten Preis aushandeln. Direkt nachdem meine beste Freundin und Bride-to-be mich fragte, ob ich ihre Trauzeugin sein möchte (was für eine Frage!), tauchte ein Bild von uns Mädels in diesem Hotel vor meinem inneren Auge auf. Rae liebt die See, nirgends bekommt sie einen klareren Kopf als an der rauen Küste. Die Suite, die wir bekommen haben, bietet wirklich einen unglaubliche Sicht auf weite grenzenlose Freiheit. Zumindest versprechen das die Bilder auf der Website.

Als ich den Kindergarten verlasse und in mein Auto steige, ist es erst kurz nach sechzehn Uhr. Ich liege gut in der Zeit für meine Verhältnisse. Aus unserer kleinen Drogerie hole ich schnell einen Haufen bestellter Fotos ab, mit denen wir Rae überraschen wollen. Eigentlich wäre ich gern gestern schon ins Hotel gefahren und hätte alles vorbereitet, aber Zeitpläne sind bei mir genauso zum Scheitern verurteilt wie lebendige Blumen.

Dann düse ich nach Hause, weil ich mich noch für den Abend fertig machen muss. Mein Weekender wartet schon fertig gepackt auf seinen Einsatz.

In Rekordzeit dusche ich und schlüpfe in ein dunkelblaues schlichtes Kleid, das sich eng an meinen Körper schmiegt und auf der Mitte meiner Oberschenkel endet. Dazu eine dunkle Strumpfhose und High Heels. Rae wundert sich immer wieder darüber, wie ich problemlos stundenlang auf diesen Dingern laufen kann, aber ich schätze, es ist einfach Übungssache.

Auf die Minute pünktlich klingelt es an der Haustür. Das Klackern meiner Schuhe begleitet mich, als ich Vivian und Annabelle, die neben Rae meine ältesten und besten Freundinnen sind, die Tür öffne.

»Wow, siehst du toll aus.« Anna zieht mich in eine herzliche Umarmung, als hätten wir uns tagelang nicht gesehen. Dabei haben wir die letzte Woche fast jeden Abend zu dritt verbracht, damit jede Minute dieses Wochenendes einfach perfekt wird. Der süße Duft ihres Lieblingsparfüms kitzelt in meiner Nase, und sofort habe ich ein warmes Gefühl von Zuhause und Vertrauen in mir.

»Ihr aber auch. Kommt rein, ich bin schon fertig.«

Viv schlängelt sich an uns vorbei ins Innere.

»Hast du alles dabei? Hast du die Bilder geholt?«

Ich klopfe auf einen gut gefüllten Jutebeutel, der an einem der Kleiderhaken hängt.

»Keine Sorge, alles hier drin.«

Zufrieden nickend nimmt sie die Tasche an sich. Unser Plan ist, dass ich Rae ablenken werde und Viv und Anna alles vorbereiten. Dank meines Zeitmanagements müssen wir etwas spontaner sein, als meinen Freunden recht ist. Im Gegensatz zu mir planen die beiden nämlich immer alles bis ins kleinste Detail und sind erst beruhigt, wenn wirklich alles an seinem Platz ist.

Anna wirft einen prüfenden Blick in den Wandspiegel. Ihre kurzen Haare hat sie mit Gel hochgestylt und sieht in ihrer Skinny Jeans, einem mit Spitze besetzten Top und der olivfarbenen Wildlederjacke wirklich fantastisch aus. Ich brauche sie nicht zu fragen, ob die Jacke echt ist, denn Anna trägt kein Echtleder, seit sie in der Schule in einer Tierschutz-AG ein Video über deren Herstellung gesehen hat. Nachdem sie auch Rae und mich dazu brachte, das Video anzusehen, stand für uns fest, dass niemals echtes Fell oder Leder bei uns einziehen würde. Es sei denn, das Fellknäuel war noch quicklebendig. Außerdem war Rae der Meinung, dass sie als Tierärztin mit gutem Beispiel vorangehen müsse.

Vivian entgeht nicht, dass ich abgedriftet bin, denn sie zwickt mir in die Seite und nickt zu meiner gepackten Tasche.

»Können wir los?«

Nickend schnappe ich mir die Sachen und folge meinen Freundinnen in den Hausflur. Da ich keine Hand frei habe, greift Viv nach dem Schlüssel. Ihre langen hellblonden Haare, die in unendlich vielen Wellen um ihre Schultern fallen, streifen mich leicht und heben sich wunderbar von ihrem ganz in weinrot gehaltenen Outfit ab.

»Danke dir.«

Schweigend gehen wir nach draußen und halten auf einen dunklen Lieferwagen, der mit dem Logo von Vivians Hotel beklebt ist, zu.

»Wozu eine Limousine, wenn wir den hier haben«, scherzt sie, als ich vor Überraschung aus dem Takt komme und leicht stolpere. Ich schaue meine Freundin skeptisch an.

»Hast du mir nicht lang und breit erklärt, wieso wir definitiv ein richtig schickes Auto für heute Abend brauchen?« Ich durchforste meine Gedanken, bin mir aber ziemlich sicher, das richtig in Erinnerung behalten zu haben.

Neben mir versucht Anna ein Lachen zu unterdrücken, was nur dazu führt, dass sie Husten muss. Viv wirft ihr einen erdolchenden Blick zu und verzieht den Mundwinkel, liefert mir aber keine Erklärung. Wortlos setzt sie sich hinters Steuer. Ich schaue kurz zu Anna, die aussieht, als würde sie gleich an einem Husten-Lachanfall-Gemisch ersticken, und steige kopfschüttelnd in den Wagen. Ich gebe Viv einen kurzen Moment, doch als wir auf dem Weg zu Rae sind, frage ich erneut.

»Also? Nicht, dass ich was gegen das Auto habe, aber raus damit.«

Über den Rückspiegel sehe ich sie kurz die Augen verdrehen.

»Magst du meine Deko nicht?« Gespielt beleidigt zieht sie einen Schmollmund.

»Doch ich finde, du hast dich mit der Inneneinrichtung selbst übertroffen.« Ich betrachte die Wände des Lieferwagens, an denen Vivian Dutzende Miniballons befestigt hat, auf denen »Happy Hen Do« über einer Silhouette von Frauen steht, die die Hände in die Luft strecken und Sektflöten halten. Zwischen den Ballons baumeln Luftschlangen in allen möglichen Farben herab und die hintere Sitzbank ist mit Konfetti bestreut.

»Der eigentliche Wagen hat eine Panne.« Viv knirscht unzufrieden mit den Zähnen. »Tja, und das ist das Beste, was ich auf die Schnelle hinbekommen habe.« Sie nimmt eine Hand vom Steuer und macht eine ausladende Geste in meine Richtung.

»Im Ernst Viv, es wird Rae gefallen. Ihr liegt nichts an Limos oder Champagner während der Fahrt trinken«, beteuere ich ihr.

»Ohhh, wir werden trinken! Ich konnte meinen Bruder überreden, uns nachher zu fahren und hab hinten eine kleine Kühlbox stehen.« Sie zeigt mit dem Daumen Richtung Kofferraum, und automatisch drehe ich meinen Kopf, obwohl ich natürlich nicht hinter die Sitze sehen kann.

Wir halten vor dem Eckhaus, in dem Rae und Max wohnen. Die Praxis in der einen Haushälfte ist bereits geschlossen, aber wir halten sowieso auf die private Haustür der beiden zu.

Anna klingelt. Keine Sekunde später wird die Haustür aufgerissen und zwei weit aufgerissene blaue Augen, die in einem Meer aus Sommersprossen wohnen, schauen uns erwartungsvoll an.

»Da seid ihr!«, ruft sie und bewegt euphorisch die Arme. »Kommt rein, kommt rein.«

»Hast du etwa ohne uns angefangen zu trinken?«, frage ich schmunzelnd. Meine beste Freundin schüttelt energisch den Kopf, als hätte sie zu viele Red Bull getrunken. Dabei ist Koffein so was wie ihr morgendliches Lebenselixier. Ihre roten Locken wippen dabei wie eine wilde Feuersbrunst um ihre Schultern.

»Nur einen Schluck. Zum Warmwerden.« Breit grinsend formt sie eine schmale Lücke zwischen Zeigefinger und Daumen.

»Wer von euch war das?« Fragend sehe ich zwischen Vivian und Annabelle hin und her, die sich beide ein Kichern verkneifen. Ich spüre, dass auch an meinen Mundwinkeln ein amüsiertes Grinsen zupft.

Anna hebt abwehrend die Hände, weswegen ich ihre Freundin mit meinem finstersten Blick fixiere.

Doch Viv lässt das völlig kalt. »Ich habe ihr nur gesagt, dass sie locker bleiben soll, immerhin wird das ihre Party«, gesteht sie kichernd. »Tja, ich würde sagen, sie hat meinen Rat befolgt.«

»Hoffentlich merkst du dir das, falls ihr im Wagen schlecht wird«, necke ich sie.

Sie wischt meinen Einwand mit einem Zwinkern beiseite und geht zur Küchenzeile.

»Rae, Süße, hier.« Vivian drückt Rae ein volles Glas Wasser in die Hand. »Austrinken.« Kurz scheint Rae zu überlegen, dann trinkt sie das Glas auf ex.

»Wollen wir langsam los?« Vivian schnappt sich die kleine Reisetasche, die Rae anscheinend schon auf einem der Stühle bereitgestellt hat und geht voraus zurück zum Lieferwagen.

»Ich bin so gespannt, was wir vorhaben«, raunt Rae mir zu. Aus ihren Augen blitzt mir pure Vorfreude entgegen.

Keine fünf Minuten später halten wir ein weiteres Mal an, um die letzten zwei Plätze zu füllen. Diesmal geht Anna allein den kurzen Weg zur Haustür. Sie braucht nicht lange zu warten, da kommt Ella gefolgt von Mackenzie heraus. Kaum, dass sie die Türen des Wagens öffnen, begrüßen sie uns überschwänglich.

»Der Junggesellinnenabschied kann kommen«, ruft Mackenzie begeistert. Sie ist die zarteste und kleinste in unserer Gruppe, aber mit ihrer Ausdauer im Feiern stellt sie uns alle in den Schatten.

»Max war richtig aufgeregt, weil die Männer ihm nichts über ihr Wochenende verraten wollten«, berichtet uns Ella leise kichernd. Max, Raes Zukünftiger, ist Ellas älterer Bruder, der erst vor einer Weile aus den USA hergezogen ist. Rae und Ella haben sich sofort gut verstanden, und auch Millie, Ellas kleine Tochter, ist meiner Freundin sehr ans Herz gewachsen.

»Was haben sie denn vor?«, versucht Rae einen Vorstoß.

»Naaa, was habe ich die ganzen letzten Tage gesagt? Wir wollen nicht wissen, was sie machen, und sie erfahren nicht, was wir vorhaben.«

»Nicht mal ich weiß, was wir vorhaben«, gibt Rae murrend zurück. Ich werfe ihr einen Luftkuss zu.

»Wo wäre denn da der Spaß?«

Vivian navigiert unsere kleine Gruppe durch die Straßen Seaviews, während wir alle munter durcheinanderquatschen.

Ella erzählt uns, dass es ihr schwerfällt, dass Millie heute zum ersten Mal bei einer Freundin übernachten darf. Sonst schläft sie ja immer entweder bei ihr oder bei ihrem Dad, Kent. Der Gedanke an Ellas Ex-Mann versetzt meinen Magen sofort in Aufruhr. Automatisch, wie um mich selbst zu beruhigen, lege ich meine Hand darauf, als könnte ich dadurch das frisch aufgeflammte Kribbeln wieder eindämmen. Ich lasse meinen Kopf gegen die Kopflehne sinken und gestatte mir kurz die Gedanken an ein paar wenige Wochen, die sich wie so viel mehr angefühlt haben. Wie zu viel. Aber sie sind lange her. Heute ist er nichts weiter als der Ex einer Freundin. Wenn Ella und ich überhaupt Freundinnen sind. Rae ist immer unser Berührungspunkt, und ohne sie würden wir uns wahrscheinlich nie sehen. Trotzdem ist es ein seltsames Gefühl, dass ich ihren Ex-Mann mal auf andere Weise kannte. Auf eine Weise, die ich mir manchmal wieder zurückwünschen würde. Wir fahren über eine größere Unebenheit, und wie um meinen Kopf zu klären ruckt er gegen die Stütze. Wo zur Hölle kommen diese Gedanken her? Gedanken, die ich nicht mehr hatte, seit das, was auch immer wir hatten, vorbei ist. Ich bin niemand, der lange anderen hinterherweint, erst recht nicht, wenn es von mir ausging. Also, warum denke ich plötzlich aus heiterem Himmel so über ihn. Es ist komisch, dass ich ihn Wochen oder monatelang nicht gesehen habe, und plötzlich taucht sein Name überall auf.

Als Vivian mir eine Dose mit Prosecco entgegenstreckt, nehme ich sie mehr als dankbar an. Ich brauche definitiv Alkohol, nicht, weil ich sonst keinen Spaß haben könnte. Sondern, weil ich diese lästige Grübelei über Was-wäre-wenn’s nicht von mir kenne und auch nicht mag. Denn ich bin zufrieden mit meinem Leben. Das kleine schwebende Fragezeichen spüle ich mit einem großen sicheren Schluck prickelnder Flüssigkeit hinunter.

»Wir verlassen die Stadt?« Raes Stimme ist voll Aufregung und ein paar Oktaven höher als gewohnt. »Aber wir fahren nicht in einen Strip-Club, oder?« Sie schaut mich erschrocken an.

»Hallo? Ich bin deine beste Freundin. Denkst du, ich würde dich in einen Strip-Club schleifen, obwohl du dir was anderes wünschst?«

»Ich hab nie gesagt, was ich mir wünsche.«

»Wir kennen uns seit einer Ewigkeit, Rae«, mischt sich Anna ein. »Wir brauchen nicht zu fragen, was du dir wünschst, weil wir dich kennen.«

Die Augen meiner besten Freundin füllen sich mit Tränen und so gut sie kann, beugt sie sich gegen den Sicherheitsgurt nach vorn, um Anna zu umarmen.

»Hey, wirst du etwa schon emotional? Der Spaß hat doch noch nicht mal angefangen.« Grinsend piekt Ella Rae in die Seite. Ich lasse meinen Blick aus dem Fenster schweifen. Draußen ziehen Hunderte Schäfchenwolken an dem strahlend blauen Himmel an uns vorbei. Selbst das Wetter verspricht uns ein wundervolles Wochenende.

Eine Viertelstunde später biegen wir auf eine kleine neu gebaute Straße ab, die sich an der Küste entlang den Hügel hinaufschlängelt.

Vivian bestand darauf, Rae die letzten Meter die Augen zu verbinden. »Für den Überraschungseffekt« sagte sie. Ich schaue auf meine Freundin, die wie ein schmollendes Kind mit verschränkten Armen neben mir sitzt und ununterbrochen fragt, wann wir endlich da sind.

»Gleich«, gibt Ella ihr zum wiederholten Mal die Universalantwort aller Eltern. »Wir sind gleich da.«

Kurz darauf parken wir den Wagen auf einem weitläufigen Parkplatz, von dem wir direkt auf das langgezogene wunderschöne Hotel zulaufen können. Vorsichtig helfe ich Rae aus dem Wagen und wir führen sie den kurzen Weg bis zum Haupteingang. Ein schmaler Kiesstreifen säumt ordentlich den Weg, und der Rasen wird bestimmt jeden Tag millimetergenau gestutzt. Schon hier wirkt das hell und modern gebaute Gebäude superedel. Direkt vor dem opulenten Vordach des Eingangs lösen wir ihre Augenbinde.

Rae braucht ein paar Sekunden, bis sie begreift, wo wir sind. Als ihr comicmäßig der Unterkiefer runterklappt, pruste ich los und nehme sie in eine stürmische Umarmung. Keine Sekunde später sind wir sechs ein enges Knäuel aus langen Haaren und Armen und ich weiß, wir werden ein fantastisches Wochenende haben.

Kapitel 3

Shona

»Muss ich das wirklich anziehen?« Rae rückt den bauschigen Schleier, den wir ihr gegeben haben, zurecht und mustert sich mit skeptischer Miene im Spiegel. Der Schleier wird von einem zierlichen silbernen Haarreif der bride-to-be verkündet, gehalten und reicht fast bis auf den Boden. Zusammen mit den knallpinken Gummistiefeln lässt er sie viel kleiner wirken.

»Ähm, ja? Sei froh, dass dein Outfit so normal geworden ist.« Vivian deutet auf das schlichte weiße Shirt mit der Aufschrift The Bride und den langen rosafarbenen Plisseerock. »Ich war für ein lustiges Outfit, aber Shona meinte, dass du dich dann wahrscheinlich im Bad einschließt.«

Meine beste Freundin wirft mir einen flüchtigen dankbaren Blick zu.

»Also.« Ich klatsche einmal kurz in die Hände. »Können wir los?«

Meine Freundinnen nicken, und zusammen durchqueren wir das Hotel und steigen wieder in den Lieferwagen, um zurück in die Stadt zu fahren.

»Hoffentlich bewegen wir uns nicht so viel. Ich bin so voll«, stöhnt Rae und tätschelt ihren Bauch. Ich quetsche mich neben sie auf die Rückbank und denke an die Schnitzeljagd, die wir uns als Nächstes ausgedacht haben.

»Man könnte sagen, wir machen einen kleinen Verdauungsspaziergang«, antworte ich diplomatisch. Auch ich bin pappsatt von dem Vier-Gänge-Menü des Hotelrestaurants und der anschließenden Weinverkostung. Trotzdem hätte ich mir am liebsten was von dem karamellisierten Nougatparfait zum Mitnehmen einpacken lassen. Ich seufze leise und zufrieden.

Wir parken ziemlich zentral nahe der Promenade und ich ziehe mir beim Aussteigen den schwarzen Kunstlederrock ein klein wenig tiefer. Im Gegensatz zu Rae sind wir alle in den gleichen schwarzen Outfits unterwegs, die Ella von ihrem letzten Trip nach Edinburgh mitgebracht hat. Auf unseren T-Shirts steht in goldenen Lettern Bridal Squad und dazu tragen wir alle ähnliche Kunstlederröcke. Meiner endet weit über den Knien und liegt so hauteng an, dass meine Mum ihn wahrscheinlich als besseren Gürtel bezeichnen würde. Ich trage oft Röcke, wenn ich ausgehe, bevorzuge allerdings locker fallende A-Linien-Schnitte. Anna stößt mich sanft mit dem Ellbogen an.

»Die Liste, Sho.«

»Sekunde«, sage ich und hole ein aufgerolltes und nach altem Papyrus aussehendes Blatt aus meiner Handtasche. Außerdem noch die Einwegkamera, mit der wir alle erfüllten Aufgaben festhalten wollen.

Ella nimmt mir die Kamera ab und dreht sie in ihren Händen. »Wie Oldschool.« Sie wirft mir ein Grinsen zu.

»Autsch, jetzt fühle ich mich alt.« Getroffen von dem herben Schlag lege ich eine Hand auf meine Brust.

Rae stibitzt mir die Rolle aus den Händen und ich kichere über ihre Neugier.

»Bitte lass es nichts Schlimmes sein«, murmelt sie zu niemand bestimmtem. Wir sehen sie alle gespannt an, während sie die einzelnen Aufgaben liest.

»Okay, und was ist der Preis?«

»Wie bitte?«, fragt Mackenzie irritiert.

»Was gewinne ich, wenn ich alle Aufgaben packe?« Ihre Augen blitzen vergnügt.

»Wundervolle Erinnerungen und einen Haufen lustiger Fotos«, antworte ich trocken, »und für jede Aufgabe, die du nicht schaffst, musst du nachher im SeaDrunk einen Shot trinken.«

Wir gehen zuerst zu dem schmalen Strandstreifen, der Seaview Hills zu einem beliebten Urlaubsziel macht. »Mache ein Selfie mit deinen Mädels im Sonnenuntergang« und »schlage ein Rad« sind schnell erledigt, auch wenn das Rad sehr kreativ auslegbar war.

»Lass dich von einem Fremden auf Händen tragen?«, liest Rae eine weitere Aufgabe vor.

Nicht weit von uns finden wir eine Gruppe Männer, die sich sofort bereiterklärt, unsere zukünftige Braut hochleben zu lassen. Auch die Aufgaben »Küss einen Fremden auf die Wange« und »Lass dir von mindestens drei Männern ihre Boxershortsetiketten geben« haken wir schnell ab. Wahrscheinlich ist die Hälfte unserer Bilder verwackelt, weil wir vor lauter Lachen kaum atmen können. Bei dem Gedanken an die verdutzten Gesichter der Männer, als wir mit der Schere ankamen, könnte ich direkt wieder anfangen.

»Ich hasse euch«, stößt Rae aus, als wir uns von den Typen verabschieden und weiter die Promenade entlang Richtung Bar gehen.

Im SeaDrunk angekommen, feiern wir feuchtfröhlich mit viel Sekt weiter, sodass wir fast aus den Augen verlieren, dass das eigentliche Abendprogramm noch vor uns liegt.

Kapitel 4

Kent

Der Abend ist bisher ein voller Erfolg. Nachdem wir Max abgeholt haben, sind wir zu einer kleinen Bierbrauerei im Nachbarort gefahren. Diese gehört dem Bruder unseres Freundes Thor und beliefert auch dessen Bar, das SeaDrunk, immer mit den köstlichsten Kreationen.

Ich lebe schon mein ganzes Leben hier in Seaview, kann mich aber nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal hier war. Das Grundstück wurde in den vergangenen Jahren ziemlich modernisiert, sodass alle Wege auf dem Gelände der Brauerei ordentlich abgesteckt und teilweise gepflastert sind. Die Tanks in den großen Hallen, die wir bei unserer Führung gesehen haben, sahen aus, als wüssten sie nicht, was Staub ist, und jeder Angestellte schien ein breites Lächeln auf den Lippen zu haben. Ob das ein Einstellungskriterium war? Vielleicht bekamen sie aber auch einfach regelmäßig Freibier, womit das Arbeitsklima gehoben wurde. Nach der Führung aßen wir im Gewölbekeller, der zu einem kleinen, aber schick wirkenden Bistro ausgebaut worden ist, und hatten dabei ein Biertasting. Verdammt, haben die leckere Sorten. Eigentlich reicht mir das stinknormal gezapfte Bier, das es im SeaDrunk immer gibt, aber ich weiß durchaus gute Biere und edel schmeckende Sorten zu schätzen.

Erst war ich noch etwas skeptisch, immerhin trinkt Max, mein Kumpel und der Mann, der schon bald unter der Haube ist, so gut wie keinen Alkohol. Aber ich weiß, dass er inzwischen regelmäßig besondere Sorten aus ebendieser Brauerei kostet, wenn wir gemeinsam was Trinken gehen und es auch einige alkoholfreie Sorten gibt.

»Ich mache dich nie wieder zu meinem Trauzeugen, du Penner«, brummt Max und lässt einen dunkelblauen BH von seinem Zeigefinger baumeln. Meine Augen folgen der Bewegung wie einem Pendel, und auf meinem Gesicht breitet sich ein Grinsen aus.

»Es freut Rae sicher zu hören, wie überzeugt du von eurer zukünftigen Hochzeit bist.« Darauf ernte ich nur einen ausgestreckten Mittelfinger von ihm.

Easton, ebenfalls Teil unserer Junggesellentruppe, schnappt sich laut grölend das gute Stück und lässt es in seiner Tasche verschwinden.

»Was willst du bitte damit?«, fragt Max ihn, fügt dann aber hinzu, »Weißt du was, sag’s mir lieber nicht.«

»Du hast noch eine Aufgabe übrig.« Ich überfliege das knallpinke Blatt Papier, auf dem in geschwungener Handschrift das Wort »Schnitzeljagd« prangt. Max stöhnt langgezogen.

»Weißt du, in den USA gehen Männer einfach zusammen in eine Bar oder einen Strip-Club oder was auch immer.«

»Danke für den Tipp, ich werd’s mir für deinen nächsten Junggesellenabschied merken«, gebe ich trocken zurück. »Außerdem sind wir nicht für das hier« – ich wedele mit dem Blatt in der Luft – »verantwortlich.« Was stimmt, denn wir haben uns sozusagen mit der Gegenseite verbündet. Mackenzie, eine von Raes Freundinnen, hatte sich in den Kopf gesetzt, dass wir für Rae und sie für Max Aufgaben zusammenstellen, die die beiden erfüllen müssen. Ihr Freund Will, der Fünfte in unserer Runde, durfte uns dann davon überzeugen. Und jetzt stehen wir hier, auf der Promenade von Seaview und brüllen vor Lachen, während Max in seinem Kilt die bescheuertsten Aufgaben erledigt. Mein Favorit bisher war sein Versuch Dudelsack zu spielen. Wir haben seine Glanzleistung natürlich aufgenommen, und ich bin mir sicher, keiner von uns wird ihn das je vergessen lassen.

»Halt die Klappe und sag die letzte Aufgabe an.« Er zieht seinen Kilt, der ihm etwas zu groß ist, ein weiteres Mal ein Stück nach oben.

»Gib einer fremden Person einen Lapdance«, lese ich vor.

»Hier?« Er bleibt auf der Stelle stehen und schaut sich um. Die Strandpromenade ist zwar nicht leer und wir fänden bestimmt ein williges Opfer für Max, aber unser Ziel ist es, ihn zum SeaDrunk zu dirigieren.

»Ich glaube, ich kenne einen Ort, der dafür besser geeignet ist«, spöttelt Thor.

Das SeaDrunk ist rappelvoll. Wir gehen durch den Lieferanteneingang in die Bar und halten keine Minute später alle das erste Bier in den Händen, das uns die Barkeeperin, kaum dass sie Thor erkannte, über den dunklen Holztresen zuschob.

»Auf ein unvergessliches Wochenende«, prostet Easton uns zu. Ich bin nicht ganz sicher, ob dieser Ausruf eine versteckte Drohung ist, stimme aber in sein Prosit mit ein. Die Bierkrüge klirren, als wir sie schwungvoll aneinanderstoßen.

»Dann wollen wir dir mal ein bereitwilliges Opfer suchen«, unterbricht Easton unser kurzes Schweigen und grinst süffisant.

»Du kannst mich mal, Alter«, entgegnet Max und schaut sich im Raum um.

In Windeseile hat Easton eine Freiwillige gefunden, die mit ein paar Freundinnen eindeutig schon einen Drink zu viel hatte. Er gestikuliert hinter ihrem Rücken mit einer Daumen-nach-oben-Geste und platziert sie, mangels freier Stühle, auf einem der Barhocker. Kurz befürchte ich, dass sie einfach seitlich runterfällt, doch nach einem Tequila Shot sitzt sie erstaunlich gerade und schaut Max aus glasigen Augen erwartungsvoll an.

Dieser hat sich seinem Schicksal ergeben und zieht unter lautem Johlen eine zum Sterben komische Tanzeinlage ab. Immer mehr Gäste scharen sich um uns und feuern ihn bei dem Spektakel mit lauten Rufen an.

Als Max fertig ist, rafft er seinen Kilt ein Stück nach oben und knickst übertrieben, was definitiv an den wenigen Shots liegt, die er auf dem Weg hierher mit uns getrunken hat. Die halbe Bar applaudiert ihm, während er mir seelenruhig die Liste aus der Jackentasche zieht, ein pinkes kleines Papierknäuel formt und hinter die Bar zielt. Ich weiß nicht, ob er dort einen Mülleimer vermutet, aber da ich die Bar besser als meine Wohnung kenne – was ziemlich viel über meine Work-Life-Balance aussagt – wird sein Papierball lediglich irgendwo vor der Tür zur Küche landen.

Easton wirft mir einen bedeutungsvollen Blick zu und sieht demonstrativ zu dem offenen Durchgang links von uns, der in den kleineren Raum nebenan führt. Der Eingang ist durch einen einzelnen davorgestellten Stuhl versperrt, an den jemand einen Zettel mit der Info Privatparty gepinnt hat.

Ich nicke ihm kaum merklich zu.

»Hey«, sage ich, als hätte ich einen spontanen Einfall. »Habt ihr Bock auf eine Runde Billard?«

Wir lassen Max keine Möglichkeit für eine Antwort, sondern schleifen ihn einfach mit uns mit. Als er die provisorische Absperrung sieht, ziehen sich seine Augenbrauen nach oben.

»Wen soll das denn abhalten?«, kommentiert er.

»Tja, hier auf dem Land sind die Menschen einfach netter«, kontere ich und ernte dafür nur ein Schnauben, das sich verdächtig nach Easton anhört. Dabei sollte er mir als Sohn des Bürgermeisters doch eigentlich zustimmen, oder?

»Das war wohl nichts mit Billard.« Max Aussage lenkt meine Aufmerksamkeit wieder auf den Stuhl vor unseren Augen. Noch stehen wir im toten Winkel und können nicht sehen, wer sich nebenan befindet. Perfekt für den Überraschungsmoment.

»Ach, wir feiern einfach mit.« Mit einer wegwerfenden Handbewegung geht Easton zielstrebig auf den breiten Durchgang zu und überhört Max’ verwundertes »Aber« einfach.

Wir umrunden den Absperrstuhl und schieben Max mit einem lauten »Überraschuuuung« in den kleinen Raum.

Ein Dartpfeil landet mit einem leisen Klonk an der Betonwand und fällt dann zu einer Reihe weiterer Pfeile auf den Boden. Wow, ich bin mir nicht sicher, ob ich die offensichtlich fehlende Trefferquote kommentieren soll, entscheide mich aber dagegen, da die Frauen immer noch einige Pfeile in den Händen halten.

Raes Freundinnen stimmen in unseren Überraschungsruf mit ein und brechen dann unisono in gackerndes Gelächter aus. Auf dem Billardtisch vor uns, den sie kurzfristig zu einem Abstelltisch umfunktioniert haben, steht eine Reihe leerer Weingläser.

Eine Stimme sticht besonders hervor, lässt die anderen Geräusche leiser wirken, als seien sie nur Statisten, und zieht meine Aufmerksamkeit wie gebannt zu sich. Es krabbelt über meine Haut und löst vertraute vergangene Gefühle in mir aus. Shona. Sie steht neben Rae, einen Arm locker um ihre Freundin gelegt, den anderen in ihre Seite gestemmt. Ich lasse meinen Blick an ihr hinabwandern und verdammt. Sie sieht absolut heiß aus. Ich muss schlucken, weil sich meine Kehle auf einmal staubtrocken anfühlt. Diese Frau hat, jedes Mal wenn ich sie sehe, so eine starke Wirkung auf mich. Schon als ich sie kennengelernt habe, genau hier in diesem Raum, mit diesen Menschen um uns herum, war da irgendetwas. Und ich bin weiß Gott kein Typ, der sich sofort in Gefühlen verliert. Aber mit ihr machte es plötzlich mehr Spaß. Es machte Spaß, sie aufzuziehen, sich mit ihr zu duellieren, und es machte Spaß, mit ihr zusammen zu sein.

Max rempelt mich versehentlich mit seinem Ellbogen an, als er an mir vorbeigeht, um seine Zukünftige zu begrüßen, und ich merke, dass ich Shona ein bisschen zu lange anstarre. Als ich mich von ihr abwende, begegne ich Ellas hochgezogenen Augenbrauen. Ich tue, als sei nichts und nicke ihr freundschaftlich zu. Die Barkeeperin kommt mit einem Tablett voll Bier und Wein zu uns, und wir machen es uns mit frischen Getränken auf den zwei großen Sofas und ein paar Stühlen gemütlich.

»Was hast du da bitte an?«, wird Max von Vivian mit einem kaum unterdrückten Prusten gefragt.

Mein Kumpel sieht aus, als wolle er mit den Zähnen knirschen. »Einen Schottenrock, falls dir die Tradition bekannt ist.«

»Oh, das ist sie durchaus, ich wusste nur nicht, dass sie so … farbenfroh sind.«

Das ist eine wirklich nette Umschreibung für den neongrünen und absolut untypischen Kilt, über dessen gesamte Fläche wir »groom to be« haben drucken lassen. Ein weiteres Mal zieht er an dem lockeren Stoff, als wolle Max sich versichern, dass alles sitzt.

»Immerhin brauchen wir nicht nachzusehen, was sich unter dem Kilt befindet.« Mackenzie zwinkert Max zu und deutet vielsagend auf die Jeans, die er partout nicht weglassen wollte.

»Was habt ihr heute so getrieben?«

»Du meinst, bevor wir eure doofe Liste abgearbeitet haben?« Max nimmt einen großen Schluck von seinem alkoholfreien Bier und wartet auf Annabelles Antwort.

»Die war mit viel Liebe zusammengestellt«, behauptet diese kichernd.

»Was auf einem Junggesellenabschied passiert, bleibt auch dort«, wirft Easton ein, während Max gleichzeitig wahrheitsgemäß antwortet.

»Habt ihr euch bei allem abgesprochen?« Raes Frage zieht unsere Aufmerksamkeit zu ihr.

»Was meinst du?«, erwidere ich etwas irritiert.

»Ihr wart bei einem Biertasting? Wir bei einer Weinverkostung. Wir hatten beide eine Schnitzeljagd und jetzt sind wir alle hier.« Wie zum Beweis macht sie eine ungenaue Geste in unsere Runde.

Ich horche überrascht auf.

»Ihr hattet eine Weinverkostung? Was für ein lustiger Zufall«, sinniert Will.

»Also habt ihr euch nicht abgesprochen?« Rae schaut verblüfft zwischen mir und Shona hin und her. Ein Schauer rieselt über meine Wirbelsäule, als mir klar wird, dass sie als Raes Trauzeugin wahrscheinlich den Abend geplant hat. Ja, dass wir uns hier alle für ein paar Stunden treffen war Absicht, aber ich wusste nicht, was die Frauen sonst vorhaben.

»Nein«, antworte ich mit einiger Verspätung auf die Frage und schüttele leicht den Kopf. Ein immer stärker werdender Drang lässt mich wieder zu Shona schauen, die mich mit verschlossenem Gesichtsausdruck mustert. Nichts an ihrer Haltung erinnert an die Nächte, die wir geteilt haben, aber mein Kopf erinnert sich noch sehr gut an diese kurze Zeit. Automatisch beginnt es in meinem Bauch und weiter südlich heiß zu kribbeln. Ich reiße mich zusammen, um auf andere Gedanken zu kommen. Es kann doch nicht sein, dass ich bei dem bloßen Gedanken an meine Affäre – denn viel mehr war es nicht – mit Shona derart aus dem Konzept gebracht werde.

»Wow.« Mackenzies Stimme klingt leicht verklärt. »Das klingt doch wie in einem Film, oder? Die beiden Trauzeugen, die auf fast magische Weise eine Seelenverwandtschaft zueinander haben.« Sie nippt an ihrem Wein.

Shona verschluckt sich und beginnt zu husten. Als sie sich wieder beruhigt hat, antwortet sie nur: »Du schaust zu viele RomComs, Mack.«

Easton, den unsere Unterhaltung anscheinend nicht sonderlich begeistert, fragt in die Runde, ob wir langsam zu dem eigentlichen Grund des Abends kommen wollen.

Er sieht mich an, aber mein inzwischen leicht erhöhter Alkoholpegel lässt mich langsamer denken.

»Was?«, frage ich wenig geistreich, woraufhin mir Thor nicht sehr subtil zuraunt, ich solle das Spiel erklären.

Meine alkoholvernebelten Gedanken drehen sich immer noch um Shona, sodass ich einen Moment brauche, um zu kapieren.

Ich stelle den Bierkrug neben mir ab und platziere zwei der Stühle Rücken an Rücken in der Mitte.

»Darf ich bitten?«, wende ich mich an Rae und Max und bedeute ihnen, sich auf die Stühle zu setzen.

Shona tritt mit einem Stapel kleiner Karten neben mich.

»Wir freuen uns, euch das nächste Spiel des Abends präsentieren zu dürfen.« Sie macht eine kleine Kunstpause. »Das Mr & Mrs-Quiz. Kent und ich werden euch abwechselnd Fragen stellen, die ihr möglichst richtig beantworten sollt. Und damit es für alle lustiger wird, weiten wir das Ganze auf uns alle aus.« Sie nickt Mackenzie zu, die flink eine Reihe an Blöcken und Stiften an jeden von uns verteilt.

»Wer falschliegt, muss Trinken«, fährt Shona fort, und wie auf Kommando tritt die Barkeeperin neben uns. Auf ihrem Tablett sind neun riesige Pincher voll Bier.

»Und ihr?«, mault Easton.

»Wir moderieren das Ganze, du Pfosten«, schieße ich zurück.

»Genau«, stimmt Shona mir zu, »aber der von uns zweien, dessen Team am Ende die meisten Fehler hat, muss das da trinken.« Sie zeigt mit ausgestrecktem Finger an uns vorbei zum Billardtisch. Auf dem Tisch steht ein großes Glas mit einer undefinierbaren bräunlichen Flüssigkeit.

»Was tust du?«, zische ich Shona zu und tausche schnelle Blicke mit den Männern. Sie sehen genauso ratlos aus, wie ich mich fühle.

»Ich verleihe dem Ganzen etwas mehr Feuer«, flüstert sie mit einem herausfordernden Funkeln in den Augen. Diese Augen. Ich sollte wirklich nicht so fasziniert von dieser wettstreitenden Shona sein, kann aber nichts gegen das starke Ziehen in meiner Leistengegend machen, das sie in mir auslöst.

»Was genau ist da drin«? Thor ist aufgestanden und schwenkt das Verlierergetränk hin und her.

»Oh, ich weiß nicht so genau, von allem etwas.«

Er riecht an dem Getränk, dann nippt er kurz daran.

»Meine Fresse, das schmeckt abartig.« Thor verzieht das Gesicht, als habe er in eine Zitrone gebissen. »Ich weiß nicht, wem von euch ich das mehr wünsche.«

»Danke, Mann«, erwidere ich. »Vielleicht vergessen wir dich nachher einfach hier?« Ich streiche mir mit zwei Fingern über den Bart, als würde ich ernsthaft über diese Möglichkeit nachdenken.

Die ersten Fragen, die Shona vorbereitet hat, sind noch von allen leicht zu beantworten. Ich erwische Easton und Thor nur einmal beim Abschreiben, woraufhin sie zur Strafe von dem Ekelgebräu – Thors Worte, nicht meine – trinken müssen.

»Mit wie viel Jahren hatte Rae ihr erstes Date?« Shona lehnt sich abwartend neben mir an das Sideboard. Unsere Arme streifen sich leicht, und ich habe das Gefühl, als könne ich ihr Shampoo bis zu mir riechen. Was völliger Quatsch ist, bei der abgestandenen Luft und dem Alkohol hier im Raum. Ich trinke einen kräftigen Schluck meines Bieres. Shona selbst scheint keine Gedanken mehr an unsere Zeit zu verschwenden, sie ist genauso locker und frech und anziehend wie immer. Moment … anziehend? Ich presse meine Kiefer fest aufeinander. Ob mich der ganze Alkohol gefühlsduselig macht? Ich meine, klar Shona ist anziehend, ich bin ja nicht blind, aber ich klinge wie ein liebeskranker Volltrottel, der etwas nachtrauert, was zu schnell vorbei war, um etwas Richtiges zu sein. Denn das tue ich nicht. Ich habe damals versucht, mit ihr darüber zu reden, aber sie ist mir aus dem Weg gegangen, was so gar nicht zu ihrer sonst stets selbstbewussten Art passt. Und dann habe ich die ganze Sache abgehakt. Ich habe weder ein Zölibat durchlebt, noch übermäßig viel an sie gedacht. Bis wir uns plötzlich durch diese ganzen Vorbereitungen wiedersahen. Bis die Erinnerungen wieder auffrischten, weil ihr Lachen nun kein blasses Es-war-einmal mehr ist, sondern verdammt farbenfroh und verdammt nah.

»Die Zeit ist um. Max, deine Antwort?«

Ruckartig erinnere ich mich wieder daran, wo ich gerade bin. Ich nehme einen weiteren tiefen Schluck aus meinem Glas.

»14?«

»Okaaay, und ihr?« Shona wartet ab, bis alle ihre Blätter umgedreht haben. Die Antworten reichen von »viel zu jung« bis »vor Max niemanden kennengelernt«.

»Wow, danke Easton«, wirft Rae trocken ein, als sie sieht, dass Easton bei letzterer Antwortmöglichkeit steht.

»Warum sonst haben wir uns vorher nicht kennengelernt?«, fragt dieser mit inzwischen deutlich verwaschener Aussprache.

»Wow, Easton wird ja richtig flirty, wenn er betrunken ist«, flüstert Mackenzie viel zu laut Ella zu, die daraufhin nur zu kichern beginnt. Inzwischen zeigt der Alkohol bei uns allen Wirkung.

Rae löst die Frage mit sechzehn Jahren auf, und alle außer Vivian und Annabelle trinken einen Schluck.

»Zeit zu ein paar schnellen Wer-würde-eher-Fragen zu wechseln«, übernehme ich und räuspere mich, weil meine Worte eher wie »Seeeit su ein paar ssschnellen Wer-würde-eher-Frajen su wesseln« klingen.

Ich hole ein gefaltetes Blatt aus meiner Hosentasche, und Shona rückt dichter an mich heran, um mitlesen zu können. Hätte ich gewusst, dass es dafür nur ein gemeinsames Stück Papier braucht, wäre ich meine Karten sicher längst versehentlich losgeworden. Ihre Schulter berührt meinen Arm, und auch wenn mehrere Lagen Stoff zwischen uns sind, fühle ich mich wie elektrisiert. Ich versuche mich auf die Fragen zu konzentrieren, die wir abwechselnd vorlesen und gleichzeitig weiter Striche für falsche Antworten zu sammeln. Bisher liegen beide Teams nah beieinander, auch wenn die Frauen noch führen. Dabei haben sie den Vorteil, dass sie sich fast alle schon ewig kennen, während Max erst vor gut eineinhalb Jahren aus den USA hergezogen ist.

Shona beugt sich noch etwas näher und legt den Kopf leicht schief, während sie eine weitere Frage stellt. Dabei streifen mich ihre schulterlangen Haare, und ich schwöre, ich sehe die Andeutung eines Lächelns auf ihrem Gesicht, als wisse sie genau, was sie tut. Meine ehrgeizige, immer zu einem Wettkampf bereite Seite gewinnt, also krempele ich wie nebenbei die Ärmel meines dunklen Button-Down-Hemds bis zu den Ellbogen hoch und spanne den Arm, über den sie sich viel zu weit beugt, um einfach nur die Fragen abzulesen, absichtlich an, sodass die Sehnen hervortreten. An ihrem kurzen Innehalten erkenne ich, dass auch ich noch weiß, welche Knöpfe ich drücken muss. Ich unterdrücke ein Schmunzeln und fordere die Antworten auf die letzte Frage ein, als wäre nichts.

Am Ende gewinnt das Team von Shona mit wenigen Punkten Vorsprung. Triumphierend reckt sie ihre Hände in die Luft und freut sich ausgelassen mit den anderen Frauen über ihren Sieg. Ein seltenes warmes Gefühl steigt in meinem Bauch auf, was wahrscheinlich nur an dem Alkohol liegt.

»Du musst den Verliererdrink exen!« Mit vor Schadenfreude vibrierender Stimme hält Ella mir das Glas hin. Ich nehme es ihr ab, während mich alle abwartend ansehen. Mackenzie zückt sogar ihr Handy, um dieses »Ereignis« festzuhalten.

Ich schnuppere an der undefinierbaren Flüssigkeit, die von nahem viel trüber aussieht und nicht viel Ähnlichkeit mit irgendeinem Schnaps hat. Durch den ohnehin schweren Geruch von Alkohol, Snacks und abgestandener Luft kann ich nichts ausmachen. Ein weiteres Mal sucht mein Blick wie automatisch nach dem von Shona. Aus ihren Augen, die sich nie ganz entscheiden können, ob sie eher grün oder braun sind, schlägt mir die pure Herausforderung entgegen. Ich zwinkere ihr zu, dann setze ich das Glas an meine Lippen und trinke es in großen Zügen aus. Eigentlich wollte ich meinerseits triumphierend das Glas auf das Sideboard stellen – aber was zur Hölle?

Als meine Geschmacksnerven ihre Übertragung an die Gehirnzellen beendet haben und ich diese seltsame Mischung aus was-auch-immer-das-war registriere, kann ich nicht anders, als mein Gesicht zu verziehen und zu husten.

»Oh mein Gott.« Ein weiteres Husten. »Was war da drin?« Meine Frage geht im aufsteigenden Johlen meiner Freunde unter. Diese Verräter. Sie kriegen sich kaum unter Kontrolle, so sehr müssen sie über meine Reaktion lachen.

Ich wische mir verstohlen über den Mund und spüle den Nachhall des widerlichen Geschmacks mit dem Rest meines Biers herunter. Keine sonderlich gute Kombination, aber besser als nichts.

Die Barkeeperin taucht wieder wie durch Zauberhand neben uns auf und beginnt, leere Gläser zusammenzuräumen. Ich lege ihr kurz die Hand auf die Schulter und frage erneut, was alles in dem Drink war.

Ihre Mundwinkel zucken deutlich, aber ich muss ihr zugutehalten, dass sie nicht auf meinen krächzenden Tonfall eingeht.

»Oh, das ist nur Tonic Water mit einem Schuss Bourbon, Red Bull und Worcestersoße.« Sie lächelt mich strahlend an, als hätte sie nicht gerade eine ekelhafte Kombination an Lebensmitteln aufgezählt.

»Wow«, bringe ich nur hervor, was überhaupt nicht zu meinem sonst ziemlich schlagfertigen Charakter passen will, aber wahrscheinlich hat der würzige Geschmack zusammen mit dem Alkohol jegliche Schlagfertigkeit verbannt.

Wir überreichen Rae und Max zwei kleine Pokale, weil sie das Mr & Mrs-Quiz gemeistert haben, und machen es uns für den restlichen Abend wieder auf den Sofas bequem.

»Weißt du«, werfe ich ein. »Ich fand es erst etwas komisch, dass ihr gern eure Feiern zusammen verbringen wolltet, aber der Abend ist wirklich ganz nett.«

»Mehr als ganz nett«, antwortet mir Max und wir stoßen mit unseren – nun alkoholfreien – Bieren auf den Beginn des Wochenendes und unsere Freundschaft an.

Kapitel 5

Kent

Helligkeit blendet mich, und im ersten Moment weiß ich nicht, wo ich bin. Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und sehe mich in dem kleinen, spärlich möblierten Zimmer um. Das schmale Bett und eine kleine Eichenholzkommode füllen das Zimmer, in dem ich geschlafen habe, fast vollständig aus. Ich greife nach meinem Handy, das mir in der Nacht runtergefallen sein muss, und sehe, dass es bereits nach neun Uhr ist. Wir sind gestern Nacht erst spät hier in der Hütte angekommen, haben nur noch unsere Sachen auf die wenigen Räume verteilt und sind fast sofort eingeschlafen. Ich schätze mal, das ist die Sache mit dem Älter werden. Mit Anfang zwanzig konnte ich problemlos eine Nacht durchmachen, heute mit dreißig fühle ich mich nicht ganz so topfit. Mein Magen gibt ein Knurren von sich, also springe ich schnell unter die Dusche und gehe nun etwas wacher die alte Treppe ins Erdgeschoss hinunter, von wo ich schon mehrere Stimmen höre. Viele der Dielen geben ein lautes Knarren von sich, als würde ihnen die Last der Jahre zu viel werden.

»Morgen«, begrüße ich Max und einen verkaterten Thor.

»Na, gut geschlafen?«, fragt Max viel zu laut.

Ich zucke zusammen und verziehe bei dem Schmerz, der in meine Schläfen schießt, das Gesicht.

»Alter!«, beschwert sich auch Thor und schiebt mir eine Dose über die rustikale Küchenzeile zu. »Hier, Aspirin.«

Ich hole mir ein Glas Wasser, spüle eine Tablette gegen die aufsteigenden Kopfschmerzen runter und setze mich an den leicht wackelnden Esstisch zu Max. Der deutet auf die Kaffeekanne in der Tischmitte und die bunt zusammengewürfelten Tassen daneben.

»Bedien dich. Extra stark.«

»Ich könnte dich glatt heiraten«, scherze ich und trinke die erste Tasse in wenigen Zügen aus.

»Danke, aber ich bleibe lieber bei Rae.«

»Ihr redet definitiv zu viel.« Easton kommt aus dem kleinen angrenzenden Wohnzimmer, nimmt sich eine Tasse, die er randvoll füllt, und lässt sich auf den letzten freien Stuhl mir gegenüber fallen. Eine Hand an den Kopf gestützt trinkt er mit grimmigem Gesichtsausdruck seinen Kaffee.

»Oh, ist da wer verkatert?«, ruft Max und schlägt ihm spielerisch auf die Schulter.

Bei seinen lauten Worten verziehen wir alle gleichzeitig das Gesicht. Easton gibt ihm mit einer deutlichen Geste zu verstehen, was er von seiner Schadenfreude hält, und fährt sich dann mit beiden Händen durch die Haare.

In dem Moment höre ich, wie sich die Haustür mit einem Knarren öffnet und schließt, und einen Moment später kommt ein verschwitzter, aber fit aussehender Will herein.

»Ich muss echt öfter feiern gehen, ich kann ja gar nichts mehr ab«, stöhnt Easton müde.

»Du wirst einfach alt«, kontert Will und holt sich etwas zu Trinken.

»Warst du joggen?« Ich mustere seine Trainingshose und überlege ernsthaft, ob er sie noch alle hat.

»Klar. Es ist mega Wetter heute und ihr habt euren Rausch ausgeschlafen.«

»Du hast doch genauso getrunken«, grunzt Easton.