Wild wählen - Hedwig Richter - E-Book

Wild wählen E-Book

Hedwig Richter

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Beschreibung

Anhand der amerikanischen Wahlen im 19. Jahrhundert zeigt die Historikerin Hedwig Richter, wie sich die Ansichten darüber, was "richtiges" und was "falsches" Wählen sei, mit den Funktionen von Wahlen ändern. Dafür betrachtet sie zunächst die US-Wahlen in der Mitte des 19. Jahrhunderts vor dem Bürgerkrieg, um den Kontext und die partizipativen Traditionen zu analysieren. In einem zweiten Teil stellt sie die Versuche der nationalen Zentralgewalt dar, nach dem Bürgerkrieg rechtsstaatliche und inklusive Funktionen von Wahlen durchzusetzen.

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Seitenzahl: 24

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Hedwig RichterWild wählenZur Geschichte konkurrierender Deutungen von Wahlen in den USA

Die Autorin

Impressum

Hedwig RichterWild wählenZur Geschichte konkurrierender Deutungen von Wahlen in den USA

Die Frage, ob eine Wahl »falsch« sei, hängt wesentlich davon ab, mit welcher Funktion die Stimmabgabe verbunden wird. Zu den gerne übersehenen Funktionen gehört neben der Partizipation und Selbstbestimmung auch die Disziplinierung der Bevölkerung. Tatsächlich lässt sich die schillernde Doppeldeutigkeit von Freiheit und Disziplinierung finden, seit es Wahlen mit einem Anspruch auf »Allgemeinheit« gibt, also etwa seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Denn das Recht auf Selbstherrschaft dient nicht zuletzt der für den modernen Staat immer wichtiger werdenden Inklusion der Bevölkerung in das Staatsgeschehen und in die Politik. So wirkt etwa die Erfassung der Wahlberechtigten (zunächst in aller Regel der besitzenden weißen Männer), ihre Zählung, aber auch der Akt des Wählens wie eine Einübung moderner Herrschaftstechniken. Doch allein das Recht auf Partizipation und die Idee der Selbstherrschaft trugen wesentlich zur Inklusion der Bevölkerung in den Staat bei. »Ein schwachsinniger Despot kann Sklaven mit eisernen Ketten zwingen; ein wahrer Politiker jedoch bindet sie viel fester durch die Kette ihrer eigenen Ideen«, schrieb der französische Aufklärer Joseph Michel Antoine Servan im Jahr 1767. Dieses Band sei umso stärker, als die Menschen es für ihr »eigenes Werk« hielten.1 Hier wird ein gewichtiger Teil des Nationsbildungsprozesses und der Entstehung moderner Herrschaftslegitimation deutlich. Der disziplinierende Effekt zeigte sich nicht zuletzt an der eher skeptischen Haltung der Bevölkerung, an der niedrigen Wahlbeteiligung von häufig unter 50 oder gar 30 Prozent in vielen Ländern – und an der Wahlpflicht, die einige Regierungen installierten.

Im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts dehnte sich das Stimmrecht im nordatlantischen Raum weiter aus und seine »Allgemeinheit« oder »Universalität« umfasste immer mehr Männer. Diese schrieben den Wahlen neue Funktionen zu. Mit ihnen gewann die Idee von Wahlen als Ausdruck des eigenen politischen Willens zunehmend an Bedeutung. Die Abstimmungen wurden kompetitiver – bei aller nationalen und regionalen Vielfalt. Dass beispielsweise einflussreiche Familien innerhalb des Klans Wahlämter regelrecht vererbten, ein Phänomen, das sich von Neuengland bis nach Hamburg zog, wurde seltener.2 Weitere Funktionen traten in den Vordergrund. Der Stimmenkauf spielte in einigen Ländern eine wachsende Rolle. Er war kein unbekanntes Phänomen, doch nun blühte die Korruption in einem ganz neuen Umfang auf und signalisierte ebenso wie eine steigende Wahlbeteiligung das wachsende Interesse der Akteure am Wahlgeschehen. Die Frage, wer »richtig« und wer »falsch« wählte, wurde intensiv ausgefochten. Doch die disziplinierende Funktion von Wahlen blieb bestehen.