Wind aus West mit starken Böen - Dora Heldt - E-Book + Hörbuch

Wind aus West mit starken Böen Hörbuch

Dora Heldt

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Beschreibung

Der Bestseller jetzt imTaschenbuch Ausgerechnet Sylt! Viele Jahre hat Katharina die Insel ihrer Kindheit und Jugend gemieden, jetzt führt sie der Rechercheauftrag eines holländischen Bestsellerautors in die alte Heimat zurück. Kaum auf Sylt angekommen, trifft sie mit voller Wucht auf ihre Vergangenheit. Nicht nur, dass sie sich mit ihrer chaotischen Schwester Inkenauseinandersetzen muss – nein, auch Hannes ist auf der Insel, ihre erste große Liebe, der gerade die Wohnung seiner verstorbenen Mutter auflöst und den sie seit über zwanzig Jahren aus ihren Erinnerungen zu tilgen versucht. Alte Liebe rostet nicht ...? 

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Zeit:4 Std. 54 min

Sprecher:Dora Heldt

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Dora Heldt

Wind aus West mit starken Böen

Roman

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

 

 

 

An dem kleinen Teppich im Flur erkannte Katharina, dass ihre Putzfrau da gewesen war. Er lag diagonal. Mit der Fußspitze schob sie die Teppichkante wieder parallel zur Wand, erst dann knöpfte sie ihren Mantel auf. Sie empfand es immer noch als Luxus, dass jemand für sie die Wohnung in Ordnung brachte, aber sie konnte es nicht leiden, wenn Dinge anders lagen, als sie sollten. So wie der Teppich. Er musste gerade liegen, genau in der Mitte des Flures. Das konnte doch nicht so schwer sein. Aber Frau Peters legte ihn jedes Mal schräg. Und sie ignorierte, dass Katharina die Lage jedes Mal korrigierte. Seit vier Jahren ging das jetzt so. Katharina war sich sicher, dass es ein Machtspielchen war. Aber sie hielt dagegen.

Sie hängte den sandfarbenen Mantel auf den Bügel, stellte ihre Schuhe auf die Ablage und lief auf Strümpfen in die Küche. Mit wenigen Handgriffen schob sie Ölflasche, Pfeffer- und Salzmühle in die ursprüngliche Ordnung, dann nahm sie ein Glas aus dem Schrank, die Wasserflasche aus dem Kühlschrank und tappte ins Wohnzimmer. Zu Hause, dachte sie erleichtert und ließ sich in den Sessel fallen.

Für einen Moment blieb sie sitzen und sah sich um. Die Kissen waren anders drapiert. Katharina stand wieder auf, um sie aufzuschütteln und richtig hinzulegen. Drei in die rechte Ecke, zwei in die linke. So wie es sein sollte. Irgendwann würde sie Frau Peters feuern. Ohne Angabe von Gründen. Das Klingeln an der Haustür unterbrach sie bei der Vorstellung. Sie stand auf und öffnete. »Hallo Katharina.« Sabine, ihre Nachbarin, stand in Leggins und übergroßem Pullover vor ihr und hielt einen Umschlag in der Hand. »Ich habe eine Postsendung für dich angenommen, hier, bitte.« Neugierig sah sie an Katharina vorbei. »Du warst weg, oder? Ich habe vorhin schon mal geklingelt.«

Der Pullover sah aus wie ein schmutziges Zelt und Katharina fragte sich, warum Sabine einen großen Spiegel im Flur hatte, wenn sie doch nie einen Blick hineinwarf, bevor sie ihre Wohnung verließ.

»Ja.« Beiläufig verstellte Katharina ihr die Sicht in die Wohnung. »Vier Tage in Wien. Danke dir, dann also einen schönen Abend.«

Sie lächelte Sabine an und wollte langsam die Tür schließen, ihre Nachbarin aber kam schnell einen Schritt näher. »Ist Jens noch nicht da? Ich wollte ihn etwas fragen.«

»Nein.« Katharina bemühte sich, freundlich zu bleiben. »Ich weiß auch nicht, ob er heute noch kommt.«

»Oh.« Sabines Enttäuschung war nicht zu übersehen. »Das ist schade. Ist irgendetwas passiert?«

»Nein. Ich bin nur so müde, es war eine Chaoswoche. Und manchmal sind getrennte Wohnungen ein Segen.«

Sabine sah das offensichtlich ganz anders. »Wenn du meinst«, antwortete sie schmallippig. »Für mich wäre das nichts. Aber das müsst ihr selbst wissen. Also, schönen Abend.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging.

Katharina schloss leise die Tür und lehnte sich erleichtert dagegen. Sie hatte nichts gegen gute Nachbarschaft, aber das bedeutete nicht, dass man befreundet sein musste, nur weil man zufällig im selben Haus lebte. Sabine sah das anders und versuchte es immer wieder. Katharina war glücklicherweise beruflich so viel unterwegs, dass sie Sabine nicht allzu oft abwimmeln musste. Dass die Nachbarin trotzdem anhänglich blieb, lag an Jens. Er hatte sie einmal zum Essen eingeladen, als Dank dafür, dass sie ihn, als sein Auto am Morgen nicht angesprungen war und er zu einem wichtigen Termin musste, in aller Herrgottsfrühe zum Flughafen gefahren hatte. Katharina hatte damals mit der schlimmsten Grippe ihres Lebens im Bett gelegen und war froh gewesen, dass Sabine ihm geholfen und anschließend noch in der Apotheke Medikamente für sie geholt hatte. Nach dem Essen zu dritt fühlte sich Sabine mit den beiden befreundet. Jens fand das völlig in Ordnung, aber der wohnte auch nicht hier. Zum Leidwesen Sabines.

Katharina öffnete den Umschlag, zog die inliegende Mappe ein Stück heraus und warf einen Blick darauf. Mit zufriedenem Lächeln schob sie alles wieder zurück. Es waren die letzten Unterlagen, die sie noch zu ihrer Recherche brauchte, morgen könnte sie dem Kunden alles zuschicken und hätte ihren Auftrag erfüllt. Eine Woche vor dem abgesprochenen Termin. Es hatte alles geklappt. Sie arbeitete seit vier Jahren in einem Recherchebüro. Zusammen mit zwei Kollegen sammelte sie im Auftrag der unterschiedlichsten Menschen Informationen über die unterschiedlichsten Dinge. Katharina liebte ihren Job. Ob es sich um Redakteure von Fernsehsendungen, Journalisten verschiedener Zeitschriften, Schriftsteller oder Filmemacher handelte, alle brauchten Material für besondere Projekte. Und Katharina stellte es ihnen zur Verfügung. Der letzte Auftrag kam von einem Verlag, der Reiseführer veröffentlichte. Katharina hatte drei Wochen lang Hotels, Restaurants, Museen und andere Sehenswürdigkeiten geprüft, Preise und Adressen aktualisiert und zusammengestellt. Jetzt konnte ein Redakteur den Band überarbeiten und neu auf den Markt bringen. Und der nächste Auftraggeber konnte kommen.

Katharina legte den Umschlag auf den Schreibtisch, vor das Bild von ihr und Jens. Sie hatte das Foto nur hingestellt, um Jens eine Freude zu machen. Sein Bruder Thomas hatte es im letzten Sommer aufgenommen, als Katharina die beiden an einem Wochenende auf dem Boot besucht hatte. Die Brüder waren begeisterte Segler, Thomas hatte ein Segelboot in Otterndorf liegen, einem kleinen Hafen an der Elbemündung. Von Bremen aus dauerte die Fahrzeit knapp zwei Stunden, Katharina hatte sich bei Traumwetter spontan ins Auto gesetzt, um die beiden zu besuchen. Das tat sie sonst so gut wie nie.

Auf dem Foto saß sie neben Jens auf dem Boot, braungebrannt, mit Sonnenbrille und weißem T-Shirt, die dunklen Haare zu einem lockeren Zopf gebunden. Jens grinste in die Kamera, seine blonden Haare waren sonnengebleicht und standen in alle Richtungen, die blauen Augen hatten dieselbe Farbe wie seine Segeljacke. Jens liebte dieses Foto, er hatte es sich vergrößern lassen und in sein Wohnzimmer gehängt, Katharina genügte das kleine Format, für das sie einen weißen, schmalen Designerrahmen gekauft hatte. Passend zum Schreibtisch.

»Ich verstehe gar nicht, dass du so selten mitsegelst«, hatte er am Abend gesagt. »Es war so ein schöner Tag, das könnten wir doch viel öfter machen.«

Katharina hatte nur gelächelt und »mal sehen« gemurmelt. Sie wollte seine Begeisterung nicht abwürgen, hatte aber keinesfalls die Absicht, aus diesem Ausnahmebesuch eine Regel zu machen.

Sie warf einen kurzen Blick auf die Uhr und beschloss, erst ihren Koffer auszupacken, die Waschmaschine anzustellen und dann Jens anzurufen. Er bestand darauf, dass sie sich bei ihm meldete, wenn sie von einer Reise zurückgekehrt war, weil er dazu neigte, sich zu sorgen. Katharina fand dieses Ritual übertrieben und hatte ihm das schon mehrfach gesagt, aber er war nicht davon abzubringen. »Ein kleiner Anruf«, hatte er gemeint. »Ich bin immer froh, wenn du gut von Reisen wiederkommst.«

»Was soll mir denn passieren?«, war ihre Gegenfrage gewesen. »Und im Übrigen habe ich deinen Namen überall vermerkt; wenn etwas passiert, wirst du sowieso benachrichtigt.«

Er hatte sie nur mit hochgezogenen Augenbrauen angesehen und den Kopf geschüttelt.

Als sie vor der Waschmaschine hockte, klingelte ihr Handy. Katharina zog sich hoch, warf die Tür der Trommel zu und ging zur Garderobe. Sie fischte das Telefon aus der Manteltasche und sah auf dem Display, wer der Anrufer war.

»Hallo Jens, ich hätte dich auch gleich angerufen.«

»Das hoffe ich.« Seine Stimme klang zärtlich. »Hat alles geklappt? Wie war es bei Sissi?«

»Schön.« Katharina war zurück im Bad und versuchte, mit einer Hand das Waschpulver einzufüllen. Sie hatte ihn genau deshalb noch nicht angerufen. Weil sie sich nicht gern unterbrechen ließ. »Wobei ich vor lauter Hotelrecherchen kaum Kaiserin oder Kultur machen konnte.« Es funktionierte nicht mit einer Hand, das Pulver rieselte auf den Boden. Jetzt musste sie auch noch den Staubsauger aus dem Schrank zerren. Großartig.

»Mit Hotels kennst du dich ja aus«, sagte Jens. »Fehlt dir das nicht doch manchmal?«

Katharina wischte mit einem Lappen den Pulverhaufen zusammen, bevor sie antwortete. »Nein. Ich habe mit den unterschiedlichsten Hotelmanagern gesprochen, habe ihnen auch erzählt, dass ich jahrelang Hotels geleitet habe und warum ich ausgestiegen bin. Und jeder konnte verstehen, warum. Und war auch ein bisschen neidisch, glaube ich.«

»Gut.« Jens machte eine kleine Pause. »Hast du schon was gegessen? Wollen wir uns bei ›Mario‹ treffen? In einer Stunde?«

»Och, nein.« Katharina schüttelte heftig den Kopf. »Ich habe gerade die Waschmaschine angestellt, meine Klamotten sind noch nicht wieder eingeräumt, ich bin noch gar nicht ganz angekommen. Ich muss auch noch die Preislisten der Hotels zusammenfügen, morgen soll die komplette Aufstellung zum Verlag. Außerdem bin ich zu platt. Lass uns doch morgen essen gehen. Ich brauche heute Ruhe, sei nicht böse.«

Seine Enttäuschung war deutlich zu hören. »Ich hatte mich auf dich gefreut. Aber okay. Dann richte dich erst mal ein. Morgen kommt übrigens Anne Assmann. Wir müssen ihr neues Manuskript durchgehen. Wahrscheinlich kommt sie dann mit zum Essen.«

Katharina spürte den Anflug eines schlechten Gewissens. »Das ist doch nett«, sagte sie schnell. »Ich habe sie lange nicht gesehen. Das ist eine gute Idee: Wir gehen zusammen essen. Und anschließend trinken wir noch bei mir ein Glas Wein und setzen Anne später ins Taxi. Übermorgen ist Samstag, da können wir beide ausschlafen. Und das Wochenende gehört sowieso uns. Ja?«

»Ja.« Jens blieb wie immer freundlich und zugewandt, egal wie enttäuscht er war. »Dann rufe ich dich morgen an und sage dir, um welche Uhrzeit wir bei ›Mario‹ sind. Falls du Lust hast, kannst du ja noch mal anrufen, bevor du ins Bett gehst. Ich begebe mich jetzt wieder in die Abgründe der Hamburger Reedersfamilien.«

»Wohin?«

Jens lachte leise. »Annes neuer Roman handelt von einer Reederei, besser gesagt, von der Gründerfamilie. Liebe, Mord und Intrigen, sei froh, dass du die Recherche nicht machen musstest. Du würdest nie mehr ein Schiff betreten.«

»Hat sie selbst recherchiert?«

»Nein, ihr Bruder arbeitet in einem Schifffahrtsmuseum, das war ein Familienprojekt. Also dann, ich redigiere weiter und wir sagen uns nachher noch gute Nacht?«

»Na klar.« Katharina strich mit dem Daumen über das Foto auf dem Schreibtisch. Ganz plötzlich stieg Sehnsucht in ihr hoch. Sofort zwang sie sich, an die laufende Waschmaschine und das verstreute Pulver zu denken, an den Umschlag auf dem Tisch und daran, dass sie morgen schon wieder so früh aufstehen musste. Das Gefühl verebbte, Katharina ließ das Foto los und antwortete mit einem Lächeln in der Stimme: »Bis später, Jens, viel Spaß bei den Reedern.« Das leise schlechte Gewissen blieb.

 

Katharina hatte Jens vor drei Jahren kennengelernt. Sie hatte damals für Anne Assmann, eine sehr sympathische und überaus hübsche Jungautorin einen Rechercheauftrag übernommen. Anne wollte einen Roman über die Geschichte eines Sternehotels schreiben und hatte sich an Katharinas Büro gewandt. Natürlich hatte Katharina den Auftrag angenommen, schließlich hatte sie selbst lange in großen Häusern als Hotelmanagerin gearbeitet. Auch wenn das schon ein paar Jahre her war, hatte Katharina bei dieser Recherche manchmal das Gefühl gehabt, nach Hause zu kommen. Der Auftrag war perfekt gewesen und Anne war eine entzückende Person, klug, selbstbewusst und scheinbar völlig angstfrei. Katharina hatte sich gefragt, warum sie selbst mit Ende zwanzig so anders gewesen war als Anne, so unsicher und unfertig, aber das lag schon zwanzig Jahre zurück und ihr blieb nichts als ein leiser Neid auf die Jüngere, die es, ihrer Meinung nach, so viel leichter im Leben hatte.

Zur Premierenlesung des Romans war Katharina von Anne eingeladen worden. Beim anschließenden Essen hatte sie neben Jens Weise gesessen, Annes Lektor aus Berlin, der so unkompliziert und charmant die Gäste miteinander ins Gespräch brachte, dass Katharina beeindruckt war. Dieser Mann war gut aussehend, witzig und gab ihr im Laufe des Abends das Gefühl, ihn seit Jahren zu kennen. Als Katharina sehr spät nach Hause fuhr, empfand sie ein leises Bedauern, dass Jens in einem Berliner Verlag arbeitete und das Buch abgeschlossen war. Vermutlich würden sie sich nie wiedersehen. Aber nur zwei Tage später rief er sie an und lud sie zum Essen ein. Der Abend verlief genauso unkompliziert und leicht wie der erste und es war schnell klar, dass sie sich wieder verabreden würden. Jens hatte einen Bruder, der in Bremen wohnte, nur zehn Autominuten von Katharinas Wohnung entfernt, und er erzählte ihr, dass Thomas und er sich oft sahen. Im Sommer kam Jens lieber nach Bremen, nicht zuletzt, weil Thomas das Segelboot hatte. Deshalb könne er sich auch jedes Mal mit Katharina treffen, wenn sie denn auch Lust dazu hätte. Sie hatte Lust, fing an, sich an die leichten Abende zu gewöhnen, und freute sich über den Zufall, dass der Bruder des charmantesten Mannes, den sie in den letzten Jahren kennengelernt hatte, in ihrer Nähe wohnte und die beiden einander so oft sahen.

Monate später, als sie schon ein Paar waren, hatte Thomas ihr erzählt, dass Jens vorher höchstens zweimal im Jahr zu Besuch gekommen war. »Es hat ihn richtig erwischt«, hatte er gesagt und sie dabei mahnend angesehen. »Es ist ihm lange nicht passiert, also sei gut für ihn. Er hat es verdient.«

Und jetzt hatte Katharina ihn schon wieder vertröstet. Jens hatte sich vor zwei Jahren eine Wohnung in Bremen genommen, wollte aber viel lieber bei Katharina einziehen. Sie hatte das rundweg, aber liebevoll abgelehnt.

»Ich habe schon mal den Versuch gemacht, mit einem Mann zusammenzuleben«, hatte sie gesagt. »Und es hat nicht besonders gut geklappt. Lass es uns doch mit zwei Wohnungen versuchen, wir können uns jeden Tag sehen, müssen aber nicht. Und zusammenleben können wir immer noch.«

Er hatte sich gefügt, etwas anderes war ihm auch nicht übrig geblieben. Ein paar Tage im Monat war er immer noch in seinem Büro im Berliner Verlag, den Rest der Zeit arbeitete er zu Hause. Die Urlaube verbrachten sie zum großen Teil gemeinsam, es sei denn, Jens ging segeln. Dann winkte Katharina ab und fuhr mit einer Freundin weg. Gesegelt hatte sie früher genug.

Entschlossen stand sie auf und ging in die Küche. Sie würde sich jetzt eine Kleinigkeit zu essen machen, dann ihren Recherchebericht abschließen, später die Wäsche aufhängen, Jens noch am Telefon eine gute Nacht wünschen und früh ins Bett gehen. Alles war gut. Morgen würde sie mit Jens und der reizenden Anne essen gehen und anschließend hätte sie ein ganzes Wochenende Zeit, ihre Beziehung zu pflegen. Sie würde sich Mühe geben, ihn so zu behandeln, wie er es verdiente. Auch wenn sie mittlerweile das Gefühl hatte, dass er sehr viel mehr in sie verliebt war als sie in ihn. Aber das war nicht zu ändern, egal wie sehr sie sich anstrengte. Und heute Abend hatte es sowieso keinen Zweck, sich einen Kopf zu machen. Jetzt warteten die Wäsche und der Bericht. Eins nach dem anderen. Sie ertrug keine Unordnung in ihrer Wohnung und sie mochte auch keine Unordnung im Kopf.

 

 

 

Respekt, Frau Johannsen.« Friedhelm schob seine Brille auf die Stirn und die Mappe zurück in den Umschlag. »Du kriegst schon wieder einen Fleißpunkt. Eine Woche vor Termin. Allerdings versaust du Saskia und mir langsam den Durchschnitt. Wir hätten länger gebraucht.«

»Du hast drei Söhne und Saskia einen Hund.« Katharina schlug ihre langen Beine übereinander und wippte mit dem Fuß. »Ich kann die Wochenenden durcharbeiten, wenn es sein muss.«

»Und was sagt Jens dazu?« Saskia war gerade ins Büro gekommen und hatte Katharinas letzten Satz gehört.

»Hallo, Saskia. Die Betonung lag auf ›wenn es sein muss‹. Und diese Recherche für den Wien-Reiseführer war nun mal eilig. Außerdem ist Jens pflegeleicht. Und sowieso der Beste.« Katharina drehte ihren Stuhl zu Saskia. »Wie weit seid ihr denn mit dem Artikel für Radio Bremen?«

»Fast fertig. Der Produktionsleiter ist übrigens Peter Bohlen. Hat sich überhaupt nicht verändert. Immer noch ein Chaot. Du sollst ihn mal anrufen, hat er gesagt.«

 

Peter Bohlen. Der war der Grund gewesen, dass Katharina ihre Hotellaufbahn beendet hatte. Dreizehn Jahre hatte sie Hotels geleitet, immer mit viel Spaß und Ehrgeiz, aber mit wenig Freizeit, nur kurzen Urlauben und viel zu wenig Privatleben. Und dann hatte sie Peter kennengelernt. Sie war damals seit vier Jahren in Bremen und Chefin des »Hanse-Hotels«. Peter Bohlen wurde Stamm- und ihr Lieblingsgast im Hotelrestaurant. Er arbeitete beim Fernsehen, war etwas jünger als sie, umwerfend gut aussehend, klug, charmant, immer gut gelaunt und schwul. Bei einem seiner Besuche hatte er sie an ihrem freien Abend zum Essen eingeladen. Sie gingen in ein italienisches Restaurant in Schwachhausen und tranken genug Rotwein, um Katharina die Hemmungen zu nehmen, private Dinge zu erzählen. Natürlich nicht ganz privat, so viel konnte sie gar nicht trinken, aber sie sprach offen über ihren Wunsch, langsam ihr berufliches Leben zu ändern.

»Weißt du, ich habe seit Jahren weder Weihnachten noch Silvester noch Geburtstag gefeiert. Urlaub kann ich nur maximal zwei Wochen am Stück machen und mein privater Freundeskreis rekrutiert sich aus Arbeitskollegen, das kann es doch nicht sein.«

Peter Bohlen hatte ihr Rotwein nachgeschenkt und genickt. »Wie alt bist du jetzt? Anfang vierzig? Dann wird es Zeit, etwas zu ändern.«

Katharina hatte ihn nachdenklich angesehen. »Wenn ich nur wüsste, was ich machen könnte. Außerdem habe ich überhaupt keine Lust, schon wieder umzuziehen. Sylt, Kiel, München, Hamburg und jetzt Bremen. Ich kann keine Umzugskartons mehr sehen. Und Bremen gefällt mir.«

»Du musst ja auch nicht weg.« Peter hatte ihr geduldig zugehört und ihr dann ein Jobangebot gemacht. Er suchte eine Assistentin, die sich um all das kümmerte, wozu er weder Lust noch die Nerven hatte.

»Ich beobachte dich hier ganz genau«, hatte er gesagt. »Und was ich dabei sehe, gefällt mir. Du kommst mit allen Gästen zurecht, du strahlst eine gewisse Autorität aus, gleichzeitig wirkt alles unangestrengt. Du sprichst perfekt Englisch und Französisch, kennst Gott und die Welt, hast keinen falschen Respekt vor Prominenten oder Geldsäcken und kannst arbeiten wie eine Irre. Genau so jemanden brauche ich. Ich habe eine Produktionsfirma, wir machen Filme, manchmal auch Dokumentationen, sind gut im Geschäft, aber wenn ich mal eine Woche ausfalle, dann bricht alles zusammen. Du wärst perfekt für mich. Was hältst du davon?«

Katharina hatte um kurze Bedenkzeit gebeten und das Angebot angenommen.

Drei Jahre lang hatte sie Peters Chaos geordnet. Es war eine tolle Zeit gewesen, hektisch, lustig und spannend. Aber irgendwann wurden ihr Peter und sein lärmendes Umfeld zu viel. Er war zwar immer zuvorkommend und sehr verbindlich, aber er forderte von ihr auch bedingungslose Bereitschaft und ständige Verfügbarkeit. Als er schließlich anfing, einen Mann für sie zu suchen, hatten sie den ersten Streit. Katharina warf ihm vor, dass er distanzlos und unsensibel wäre, Peter war beleidigt, und ihre Freundschaft kühlte sich spürbar ab.

In derselben Zeit machten sich Friedhelm und Saskia selbstständig. Sie waren vorher Redakteure beim Fernsehen gewesen und gründeten ein Recherchebüro, nachdem Friedhelm dem Stress im Sender nicht mehr gewachsen war und Saskia sich von einem Kollegen getrennt hatte, dem sie nicht mehr über den Weg laufen wollte. Katharina kannte und mochte beide, und dann ergab sich bei einem Mittagessen in der Senderkantine ein Gespräch, in dessen Verlauf Saskia sagte, dass es schön wäre, wenn sie noch jemanden wie Katharina finden könnten. Ein paar Monate später war sie bei ihnen eingestiegen. Das war mittlerweile auch schon wieder vier Jahre her und es fühlte sich immer noch richtig an.

 

»Wann hast du Peter eigentlich das letzte Mal gesehen?«, fragte Saskia jetzt und holte Katharina damit in die Gegenwart zurück. »Er hat ja wahnsinnig abgenommen, er sieht richtig gut aus.«

»Er hat sich in einen Triathleten verknallt«, antwortete Katharina und ließ den Stuhl wieder zurückdrehen. »Lars oder Lasse oder so ähnlich. Zehn Jahre jünger und sehr durchtrainiert. Deshalb isst Peter keine Kohlenhydrate nach 16 Uhr mehr und joggt jeden Tag. Wir waren vor zwei Wochen zusammen essen.«

»Ach?« Friedhelm ließ den Keks, den er gerade zum Mund führte, auf halbem Weg sinken. »Und dann wart ihr essen?«

»Er bestellte grünen Salat ohne Dressing.« Katharina fixierte den Keks in Friedhelms Hand. »Ich habe meine Nudeln aus lauter schlechtem Gewissen stehen gelassen. Man sollte nicht mit Leuten essen gehen, die gerade erfolgreich Diät machen. Die wollen einen nur demütigen.«

Zögernd legte Friedhelm den Keks zurück auf den Teller und räusperte sich. »Wie auch immer, ich finde, es gibt Wichtigeres im Leben als das Erreichen eines sogenannten Traumgewichts. Hat Peter dir von diesem neuen Sendeformat erzählt? Oder ging es nur um Triathlon und Kohlenhydrate?«

»Doch, hat er.« Katharina nickte. »Zumindest ein bisschen. Sie wollen die schönsten Urlaubsziele früher und heute zeigen. Und brauchen dafür jede Menge Archivbilder. Sollen wir das jetzt machen? Vor zwei Wochen gab es dafür noch eine feste Redakteurin und eine Autorin, die selbst recherchieren.«

»Die eine ist schwanger, die andere hat sich das Kreuzband gerissen und kann für zwei Monate nicht laufen. Peter hat gestern angerufen und gefragt, ob du für die erste Folge Amrum und Sylt machen kannst.«

Während er auf Katharinas Antwort wartete, griff er nach dem Keks und schob ihn in den Mund. »Und?«

In einem Mundwinkel klebte ein Schokoladenkrümel, der unter Katharinas Blick plötzlich abfiel. Sie schüttelte kurz den Kopf und stand auf.

»Du, ich habe die letzten drei Monate durchgearbeitet. Und ich will für ein paar Tage mit Jens nach Mallorca. Außerdem habe ich Recherchen auf Sylt und Amrum schon so oft gemacht, dass es langsam langweilig wird. Du kannst das doch selbst machen, Friedhelm. Du nimmst Gabi mit, eure Kinder sind erwachsen und bestimmt froh, dass ihr mal weg seid, und dann macht ihr euch ein paar schöne Tage an der Nordsee. Ich fahre jetzt nach Hause, den Rest des Tages nehme ich frei, ich habe noch so viel auf dem Zettel. Schönes Wochenende und bis Montag.«

 

Die Tür klappte hinter ihr zu und Friedhelm sah Saskia an, während er sich einen zweiten Keks in den Mund steckte.

»Sie sieht schlecht aus«, sagte er etwas undeutlich. »Sie ist so dünn.«

Saskia hob die Schultern. »Findest du? Sie sieht doch aus wie immer. Nur stopft sie nicht dauernd Kekse in sich rein. Sie ist mit ihrer Figur eben genauso diszipliniert wie mit ihrer Arbeit. Ich würde übrigens sehr gern die Recherche für Peter machen. Ich war ewig nicht auf Sylt.«

Friedhelm kaute nachdenklich. »Katharina kennt Sylt aber am besten, sie ist da aufgewachsen. Außerdem könnte sie bei ihrer Schwester wohnen und anschließend noch ein paar Tage Urlaub machen. Was ist denn daran langweilig?«

»Sie findet die Arbeit langweilig«, korrigierte Saskia ihn. »Wenn sie keine Lust hat, nach Sylt zu fahren, dann ist das so. Ich habe auch keine Lust, im Harz zu recherchieren, obwohl ich da aufgewachsen bin.«

»Das ist doch was ganz anderes.« Friedhelm hatte den nächsten Keks im Mund. »Da gibt es ja auch nicht viel zu recherchieren.«

»Du spinnst wohl.« Saskia zielte mit einer Papierkugel auf seinen Bauch. »Hexen, Trolle, Berge, Wälder, du hast doch keine Ahnung.« Sie warf einen Blick auf ihren Bildschirm. »Ich kann gleich nächste Woche fahren. Und jetzt lass Katharina in Ruhe. Sie hat in den letzten Monaten genug gearbeitet. Also, soll ich die Recherche machen oder willst du?«

»Ich kriege auf Sylt immer Ohrenschmerzen. Vom Wind.« Friedhelm griff zum nächsten Keks. »Fahr du mal.« Er drehte den Keks in der Hand, bis seine Finger von Schokoladenflecken übersät waren. »Sag mal, hast du das Gefühl, dass Katharina und Jens gut zusammenpassen?«

»Was?« Saskia runzelte die Stirn. »Wie kommst du jetzt darauf? Und wieso machst du dir darüber Gedanken?«

»Ich mag Katharina wirklich gern. Und Jens ist auch so nett. Aber immer, wenn ich die beiden zusammen sehe, muss ich gähnen. Geht es dir nicht auch so?«

Saskia tippte sich an die Stirn. »Seit wann bildest du dir ein, Paartherapeut zu sein? Das geht dich doch gar nichts an. Die beiden sind ganz zufrieden miteinander. Iss den Keks und such mir mal die Adresse von diesem kleinen schönen Hotel auf Sylt raus.«

Friedhelm steckte den klebrigen Keks in den Mund und wandte sich seinem Computer zu. Trotzdem fand er, dass in seiner langjährigen Ehe mehr Leidenschaft steckte als in diesem netten, langweiligen Duo, zu dem seine liebste Kollegin gehörte.

 

Katharina fand direkt vor »Mario« einen Parkplatz. Zufrieden lenkte sie den Wagen rückwärts in die Lücke und stellte den Motor aus. Auf die Minute pünktlich, wobei sie bekannt war für ihre Überpünktlichkeit. Manchmal war Jens genervt, weil sie bei jeder Verabredung bereits auf ihn wartete, was ihm jedes Mal ein schlechtes Gewissen machte. Das war aber sein Problem, fand sie, sie hasste es, zu spät zu kommen.

Am Eingang stand eine hübsche junge Frau an einem Stehpult. Sie hob den Kopf und lächelte, als sie Katharina erkannte. »Guten Abend, Frau Johannsen«, sagte sie mit hörbar italienischem Akzent. »Wie schön. Derselbe Tisch wie immer.«

Katharina lächelte zurück. »Danke, Francesca«, sagte sie und zog ihren Mantel aus. »Wir sind aber zu dritt.«

»Herr Weise und eine Dame sind schon da.« Francesca nahm ihr den Mantel ab und deutete ins Restaurant. »Schönen Abend wünsche ich.«

Jens saß mit dem Rücken zum Eingang und verdeckte Anne Assmanns schmale Gestalt. Katharina durchquerte den Raum, und kurz bevor sie den Tisch erreichte, drehte Jens sich zur Seite und gab die Sicht auf Anne frei. Sie sah atemberaubend aus. Die blonden Locken fielen ihr über die Schultern, das dunkelrote Kleid hatte einen sehr tiefen Ausschnitt. Gerade hatte sie über etwas gelacht. Als sie Katharina sah, senkte sie schnell den Blick, was Katharina für einen kleinen Moment irritierte. Aber so schnell, wie der Gedanke gekommen war, verflog er. Anne sprang sofort auf und winkte ihr zu.

»Da bist du ja. Das ist schön.« Sie umarmte sie kurz und hauchte ihr erst rechts, dann links Küsschen auf die Wangen, was Katharina eigentlich nicht leiden konnte. »Setz dich doch, wir haben schon was bestellt, wir sind zu früh. Aber ich hatte einen solchen Durst und brauchte auch unbedingt einen Prosecco. Mit der Bearbeitung sind wir fast fertig geworden, ich habe schon zu Jens gesagt, morgen früh noch ein paar Stunden, dann ist alles geritzt, ich …«

»Hol doch mal Luft.« Katharina unterbrach Annes Redeschwall, sie würde sonst noch minutenlang in dieser unbequemen Haltung vor dem Tisch stehen. »Ich freue mich auch, dass es geklappt hat. Hallo Jens.«

Sie befreite sich lächelnd aus Annes Umarmung, bevor sie sich zu Jens beugte und ihn auf den Mund küsste. Er strich ihr über den Rücken und sagte: »Komm, setz dich. Was möchtest du trinken? Auch einen Prosecco?«

»Danke, nein.« Katharina nahm Platz und legte schnell die Hand über das leere Glas. »Ich bin mit dem Auto gekommen. Ich trinke Wasser.«

»Katharina die Große.« Annes Stimme war spöttisch. »Du bist ja immer noch so diszipliniert. Du kannst das Auto doch auch stehen lassen. Und mit uns ein Glas Prosecco trinken. Der ist übrigens ganz großartig.«

Katharina lächelte nur, griff nach der Speisekarte und dachte dabei an Peter und seine Kohlenhydrate. Sie hatte heute Morgen ihren Ausflug nach Wien auf der Waage gesehen, ein ärgerliches Kilo. Morgen würde sie wieder laufen gehen, was Peter konnte, konnte sie schon lange. Sie bestellte Fisch mit Gemüse, Anne und Jens wollten sich Pasta mista für zwei Personen teilen. Katharina versuchte, dem Gespräch der beiden, das sie nur kurz unterbrochen hatten, zu folgen, was nicht einfach war, zumal Anne zu den Frauen gehörte, die mit rasend schnellen Gedankensprüngen von A nach B und wieder zurück kommen. Ihr erster Roman wurde gerade verfilmt, an dieser Stelle kam Katharina dann wieder mit.

»Jedenfalls war ich am Freitag auf einer Pressekonferenz und wer kommt mir da entgegen?« Anne machte eine dramatische Pause und legte ihre Hand auf ihr Dekolleté. »Harald Wieland. Der sieht in echt ja noch besser aus als im Film. Und er kam auf mich zu, gab mir die Hand und sagte: ›Ich danke Ihnen für diese wunderbare Romanvorlage‹, ich bin fast in die Knie gegangen, der ist vielleicht super.«

Jens legte seinen Arm auf Katharinas Stuhllehne. »Super«, wiederholte er belustigt. »Der muss doch auch schon über sechzig sein.«

»Nein, nein«, winkte Anne entrüstet ab. »Er hat kaum Falten, eine ganz tolle Figur, das ist doch kein alter Sack. Der ist höchstens Mitte fünfzig.«

Katharina lehnte sich zurück. »Harald Wieland ist 68. Und mindestens fünfmal operiert. Und isst vermutlich nie Kohlenhydrate. Auch nicht vor 16 Uhr.«

»Das glaube ich nicht.« Ungläubig blickte Anne sie an. »Woher weißt du das?«

»Er war Stammgast in dem Münchener Hotel, in dem ich früher gearbeitet habe. Und schreibt mir heute noch Geburtstagskarten.«

»Echt?« Anne sah mit ihren aufgerissenen Augen plötzlich aus wie ein kleines Mädchen. »Ich könnte neidisch werden. Wie ist er denn so? Also, ich meine, ist er nett?«

»Nett?« Katharina lächelte kurz. »Ein grauenhaftes Wort. Harry ist Schauspieler. Er ist launisch, muss im Mittelpunkt stehen, kann seinen Charme an- und ausknipsen, ist laut und fordernd und hat zu früh zu viel Geld verdient. Manche Menschen können damit nicht umgehen. Aber davon abgesehen ist er ein interessanter Mann. Wenn auch anstrengend.«

»Aber er schreibt dir Geburtstagskarten.«

»Das macht sein Büro. Wenn man einmal im Verteiler ist, bleibt man auch drin. Er hat eine gute Sekretärin.«

Anne stützte ihr Kinn auf die Hand und betrachtete erst Katharina, dann Jens und wieder Katharina. »Beeindruckt dich eigentlich noch irgendetwas?«

»Wie meinst du das?« Katharina hielt ihrem Blick stand.

»Du bist so …«, Anne suchte die richtige Formulierung, »du hast so etwas Abgeklärtes. Ich weiß nicht genau, wie ich es erklären soll, aber egal, was man dir erzählt, es ist alles nichts Besonderes. Du redest es sofort klein.«

Katharina war irritiert, wurde aber von der Bedienung, die das Essen brachte, abgelenkt. Als die Teller auf dem Tisch standen, räusperte sich Jens und sagte schnell: »Guten Appetit.«

Anne warf einen kurzen Blick auf ihn und wandte sich wieder Katharina zu. »Es geht mich ja nichts an, Katharina, aber du wirst immer kontrollierter. Wann hast du eigentlich das letzte Mal so richtig heftige Gefühle gehabt? Egal, was für welche, erinnerst du dich daran?«

Jens hatte sein Besteck sinken lassen. Katharina hatte ihres noch gar nicht in die Hand genommen. Stattdessen faltete sie sehr langsam ihre Serviette auseinander und sagte ruhig: »Du hast recht, Anne, es geht dich nichts an. Wenn du möchtest, können wir gern über dein neues Manuskript, über den Film oder sogar über Harald Wieland reden. Das ist mir ganz egal. Aber du solltest dir nicht den Kopf über mein Gefühlsleben zerbrechen. Ich hätte jetzt übrigens gern ein Glas Rotwein. Guten Appetit.«

»So war es doch gar nicht gemeint«, entgegnete Anne schnell, »ich meinte ja nur …«

»Schon gut.« Katharina bemühte sich, sie freundlich anzusehen. »Wie sind die Nudeln?«

 

Anne hatte noch kurz die Hand gehoben, dann war das Taxi auch schon verschwunden. Tief ausatmend wandte Katharina sich um und ging los. Jens beeilte sich, an ihre Seite zu kommen.

»Du bist sauer«, stellte er fest und schob seinen Arm unter ihren. »Sag es ruhig.«

»Ich bin nicht sauer, ich bin genervt.« Katharina kickte eine leere Bierdose zur Seite. Der Schuss fiel heftiger aus, als sie es beabsichtigt hatte, und die Dose schepperte lautstark an einen Fahrradständer. Sofort sah Katharina sich um.

»Hat keiner gesehen.« Jens drückte ihren Arm und verlangsamte seinen Schritt. »Und was hat dich jetzt so genervt? Annes Kritik an dir?«

»Das war doch keine Kritik.« Katharina blieb abrupt stehen. »Das war Wichtigtuerei. Sie ist 20 Jahre jünger als ich und will mir das Leben erklären, ich bitte dich. Davon ganz abgesehen kann man ja nun nicht behaupten, dass wir uns gut kennen und häufig sehen. Also, was bitte gibt ihr das Recht, so einen Schwachsinn zu erzählen? Wann ich das letzte Mal heftige Gefühle gehabt habe? Ich dachte, ich höre nicht richtig.«

»Warum regst du dich so auf?« Jens stand genau vor ihr und sah sie neugierig an. »Weil etwas dran ist? Kontrolliert? Nicht zu beeindrucken? Abgeklärt?«

»Ja, und?« Katharina setzte sich wieder in Bewegung, sie hatte keine Lust, mitten auf der Straße eine Diskussion anzufangen, schon gar nicht auf diesem Hausfrauenpsychologie-Niveau. »Komm weiter, ich will nach Hause.«

Sie gingen einen Moment schweigend nebeneinander. Dann sagte Katharina: »Außerdem bin ich kein Kontrollfreak, das ist doch Schwachsinn. Ich lasse sogar mein Auto hier stehen. Aber ganz ohne Wein hätte ich diesen Abend nicht überstanden.«

»Du bist also doch sauer.«

»Nein. Aber mir war nicht klar, dass Anne Assmann durch ihren Erfolg zum Hühnchen mutiert ist.«

Jens blieb stehen und fragte erstaunt: »Wie? Hühnchen?«

»Na ja.« Katharina drehte sich schnell zu ihm um. »Hast du das nicht gemerkt? Ihre Stimme ist höher geworden, dauernd fummelt sie an ihren Haaren herum, sie legt den Kopf schief, wenn sie dich etwas fragt, sie reißt die Augen auf, damit mehr Dramatik in das belanglose Zeug kommt, das sie den ganzen Abend erzählt, es ist doch nicht auszuhalten. Vor ihrer Zeit als erfolgreiche Autorin war sie ganz anders.«

»Katharina.« Jens hielt sie sanft am Arm fest, »du wirst böse, wenn du Rotwein getrunken hast. Anne ist noch jung. Und jetzt ist sie plötzlich erfolgreich, damit muss sie erst mal umgehen lernen. Sei doch nicht so streng.«

Katharina schob ihre Hände in die Jackentaschen und sah ihm unbewegt ins Gesicht. »Sie ist in dich verliebt. Sie himmelt dich an. Es war garantiert nicht ihre Idee, dass ich heute Abend dazukomme.«

Jens war fassungslos. »Sag mal. Das ist doch völlig verrückt. Anne ist vielleicht im Moment ein bisschen überdreht, aber du siehst Gespenster. Ich bin ihr Lektor, nicht ihr Liebhaber.«

»Ich weiß.« Katharina schob ihre Hand in seine Jackentasche. »Aber sie wird sich nicht damit zufriedengeben. Und ich habe keine Lust, mit einem Hühnchen in den Ring zu steigen. Also komm nicht noch einmal auf die Idee, ein Essen zu dritt zu veranstalten. Und achte darauf, was du ihr erzählst.«

»Du bist nicht eifersüchtig.« Jens hatte keine Frage gestellt, er hatte es lediglich festgestellt. »Du willst bloß keine Unruhe.«

»Stimmt.« Katharina strich ihm leicht über die Wange. »Für Hysterie und Gefühlsausbrüche musst du dir jemand anderen suchen. Dafür bin ich nicht geschaffen.«

Sie gingen langsam weiter und Katharina fragte sich, was passieren müsste, damit sie eifersüchtig würde. Sie versuchte, sich Anne und Jens im Bett vorzustellen, die Körper miteinander verschlungen, die Augen geschlossen, und hörte in sich hinein. Es passierte nichts. Gar nichts. Bis auf die Tatsache, dass sie ein schlechtes Gewissen bekam. Vielleicht war sie zu alt für leidenschaftliche Gefühle. Selbst für so etwas Albernes wie Eifersucht.

 

 

 

Und du willst wirklich nicht mit?« Jens zog den Reißverschluss seiner Trainingsjacke hoch. »Wir könnten die Strecke am Weserdeich laufen, es ist ideales Wetter.«

Katharina schüttelte den Kopf. »Mein Schweinehund ist heute nicht überwindbar«, erklärte sie. »Außerdem ruft Solveig gleich an. Ich laufe morgen früh mit dir, jetzt habe ich überhaupt keine Lust.«

Bedauernd hob Jens die Schultern. »Okay, dann bis später. Ich hoffe nur, dass du kein schlechtes Gewissen bekommst.«

»Sei unbesorgt.« Katharina schob ihn sanft zur Tür. »Viel Spaß.«

Sie wartete an der offenen Wohnungstür, bis sie die Haustür ins Schloss fallen hörte. Im selben Moment riss Sabine ihre Tür auf. Sie trug Sportsachen, hatte die blonden Haare zu einem Zopf gebunden und sah nur kurz hoch.

»Hey, alles klar?«

Katharina nickte und fragte sich, warum man alte, pinkfarbene T-Shirts mit albernen Aufschriften nicht gleich zum Putzlappen umfunktionieren könnte, statt sie immer noch zum Sport anzuziehen. »Wenn du dich beeilst, erwischst du Jens noch«, sagte sie. »Er läuft Richtung Weserdeich.«

»Danke.« Sabine war schon unten. Katharina fragte sich, ob Jens den Witz auf Sabines T-Shirt verstehen würde. »Rosa Prinzessin sucht grünen Frosch.« Vermutlich würde er gar nicht darauf achten.

Katharina nahm ihren Kaffeebecher und das Telefon mit auf den Balkon. Sie hatte die Stühle schon abgewischt, die bunten Kissen verteilt, ihre Pflanzen gegossen und wartete jetzt auf das Klingeln des Telefons, was gerade in diesem Moment einsetzte. Lächelnd nahm sie das Gespräch an.

»Hallo Solveig.«

 

Seit Jahren telefonierten sie jeden ersten Samstag im Monat, es sei denn, irgendetwas Wichtiges kam dazwischen. Sie sahen sich sehr selten, das letzte Mal lag auch schon wieder zwei Jahre zurück, aber das tat ihrer Freundschaft keinen Abbruch. Es war erstaunlich, auch weil sie so völlig unterschiedliche Leben führten. In der Schule waren sie die Außenseiter gewesen. Solveig, die Pastorentochter, die mit dem schlimmsten Brillengestell des letzten Jahrhunderts, mit roten Haaren und den abgetragenen Klamotten ihrer älteren, aber viel dickeren Cousine heil durch die Schulzeit kommen musste, und Katharina, die einen Kopf größer und pummelig war, über Jahre eine Zahnspange tragen musste und vor lauter Scham nur mit geschlossenen Lippen gelacht und mit der Hand vor dem Mund gesprochen hatte. Sie hatten beide nicht zu den Alphatieren der Klasse gehört, also hatten sie sich zusammengetan.

Nach dem Abitur hatte Solveig eine Ausbildung in einer Westerländer Buchhandlung gemacht, danach war sie nach Flensburg gezogen, der Liebe wegen, die Tom hieß, den sie heiratete und mit dem sie immer noch glücklich war. Zu ihnen gehörten mittlerweile vier Kinder, zwei Hunde, ein Haus; Solveigs Leben hatte zu dem von Katharina kaum noch Parallelen.

 

»Hallo, meine Liebe.« Solveigs Stimme klang wie immer atemlos. »Ich habe die Zeit fast vergessen, wir haben seit acht Uhr schon sechs Leute aus der Gärtnerei hier, die zerstören gerade meinen Garten, bloß weil Tom diesen albernen Badeteich haben will. Es sieht aus wie nach einem Bombeneinschlag.«

»Sollen wir später telefonieren?«

»Bist du verrückt? Tom steht doch daneben und kümmert sich. Ich habe jetzt keine Zeit und mich mit dir ins Schlafzimmer verzogen. Wozu habe ich vier Kinder? Sollen die doch für die Arbeiter Kaffee kochen. Erzähl, was gibt es Neues?«

Während Katharina von ihrer Reise nach Wien erzählte, stellte sie sich vor, wie Solveig auf der Fensterbank ihres Schlafzimmers saß und in den Garten guckte. Sie war die gelassenste Frau, die Katharina kannte, es gab nichts, was Solveig aus dem Konzept oder in Rage bringen konnte. Katharina bewunderte das und die entspannten Telefonate mit der Freundin wirkten beruhigend auf sie. Bei ihr klang alles immer so einfach.

»Wien«, sagte sie jetzt sehnsüchtig. »Da würde ich auch gern mal hinfahren. Das Leben ist manchmal ungerecht. Erst ziehe ich jahrelang die Gören groß und nun, wo sie so weit sind, zieht Toms Mutter ein. Und ich komme wieder nicht weg.«

»Wieso Toms Mutter?« Katharina hatte davon noch nichts gehört. »Sie zieht zu euch? Wann?«

»Demnächst. Sobald die Einliegerwohnung fertig renoviert ist. Sie kann nicht mehr allein leben. Es nützt ja nichts. Und Torben zieht doch aus. Er hat einen Studienplatz in Göttingen bekommen und zum Glück gleich ein Zimmer in einer WG gefunden. Einer raus, eine rein.« Solveigs Stimme klang gleichmütig.

Katharina schüttelte den Kopf. »Dass du das alles so hinbekommst. Allein die Vorstellung, irgendwann wieder mit meiner Mutter unter einem Dach leben zu müssen, würde mich zur Verzweiflung bringen.«

»Ach, meine Schwiegermutter ist verträglich, sie ist schon ziemlich vergesslich, aber dabei ganz süß. Das wird alles klappen. Vergiss nicht, ich bin Pastorentochter, da liegt die Zuversicht in den Genen. Man muss nur versuchen, sich ab und zu schöne Dinge zu ermöglichen. Dann geht alles.«

»So?« Katharina fehlten wohl die Pastorengene. »Und was soll das sein?«

»Je nachdem …« Solveig machte eine Pause, bis ihr etwas einfiel. »Also davon abgesehen, dass meine Tulpen im Garten traumhaft aussehen, ich dreimal ganz früh morgens am Strand spazieren war, also von den alltäglichen Freuden ja auch schon eine ganze Menge genieße, war ich letzte Woche auf einer ganz wunderbaren Veranstaltung.«

Katharina stellte sich sofort ein Spargelessen der Marinekameradschaft vor, schließlich war Solveig die Ehefrau eines Marineoffiziers. Aber es kam etwas anderes.

»Ich war auf einer Lesung.« Solveig lächelte beim Sprechen. »Hast du mal etwas von Bastian de Jong gelesen? Doch, musst du, ich habe dir letztes Jahr zum Geburtstag einen Roman geschenkt, ›Diesseits der Liebe‹.«

Katharina hatte das Buch natürlich gelesen. Solveig arbeitete immer noch in einer Buchhandlung, sie hatte ein untrügliches Gespür dafür, Katharina die richtigen Bücher auszusuchen.

»Ja, sicher«, antwortete sie sofort. »Das fand ich ganz toll. Anschließend habe ich zwei Wochen von dem Autor geträumt. Obwohl das Foto auf der Umschlagklappe bestimmt bearbeitet ist.«

»Ist es nicht.« Solveigs Begeisterung war deutlich zu hören. »Wir hatten eine Lesung mit ihm. Wir mussten in die Stadthalle, weil wir über 800 Karten verkauft hatten. Du, es war grandios. Wenn de Jong mir nur ein Mal zugezwinkert hätte, Katharina, ich sage es dir, ich wäre auf der Stelle mit ihm durchgebrannt. Was für ein Typ. Wahnsinn.«

»Solveig«, Katharina verbiss sich das Lachen, »du bist 48, seit einem Vierteljahrhundert verheiratet, vierfache Mutter und Pastorentochter. Was hast du denn für krude Gedanken?«

»Dieselben wie die Mehrheit der anderen Frauen im Saal. Vielleicht auch wie ein paar der Männer. Du kannst es dir nicht vorstellen. Das war ein ganz wunderbarer Abend.« Sie seufzte, machte eine kleine Pause und holte tief Luft. »Die Träume der Solveig K., erzähl es aber nicht weiter. Wie geht es Jens?«

»Gut«, antwortete Katharina. »Jetzt ist er joggen, sonst arbeitet er gerade an Anne Assmanns neuem Manuskript und ist ganz angetan. Wir waren gestern Abend mit ihr essen.«

»Aha. Sieht sie eigentlich in echt auch so rattenscharf aus? Ich habe in unserer Branchenzeitschrift Fotos vor ihr gesehen, bei denen ich erst dachte, der Verlag hat ein Fotomodell fotografiert. Nur, damit sich das Buch besser verkauft.«

»Die ist wirklich sehr hübsch.« Katharina rief sich den gestrigen Abend ins Gedächtnis. »Also auch hübscher als zu der Zeit, als ich sie kennengelernt habe. Die Haare sind blonder, die Klamotten teurer, das Make-up geübter, aber das weiß sie auch.« Sie zögerte eine Sekunde, bevor sie weitersprach. »Ich glaube, sie baggert Jens an und kann mich deshalb nicht leiden. Jedenfalls ging sie mir gestern Abend höllisch auf die Nerven, aber das erzählst du bitte auch nicht weiter.«

Solveig lachte. »Wie alt ist sie denn? Schon dreißig? Steht Jens auf Mädchen?«

»Ich glaube nicht«, antwortete Katharina. »Er hat noch nicht einmal was davon gemerkt. Aber ich. Und soll ich dir was sagen, Solveig? Ich bin noch nicht einmal eifersüchtig. Vielleicht hatte die kleine Kröte doch recht.«

»Womit?«

Katharina hatte plötzlich die Stimme von Anne im Ohr: Wann hast du eigentlich das letzte Mal so richtig heftige Gefühle gehabt?

Sie schloss kurz die Augen, schüttelte den Kopf und sagte dann: »Anne hält mich für kontrolliert und abgeklärt.«

Solveig lachte. »Als wir dreißig waren, haben wir Frauen in unserem Alter auch für abgeklärt gehalten. Das geht doch noch. Ich möchte nicht wissen, was meine Töchter erst über uns denken. Die sind noch mal zehn Jahre jünger.« Sie machte eine kleine Pause. »Du machst dir doch nicht etwa darüber Gedanken? Du hast so eine komische Stimme.«

Nachdenklich zupfte Katharina ein paar vertrocknete Blüten aus den Balkonkästen. »Was heißt Gedanken machen? Es hat mich genervt, dass die Superautorin mich analysieren wollte. Und jetzt nervt mich, dass wir beide überhaupt über so einen Schwachsinn reden. Lass uns das Thema wechseln. Wie geht es deinem Vater?«

»Sehr gut«, antwortete Solveig. »Er macht gerade eine Kulturreise nach Prag. Gertrud mischt ihn ordentlich auf.«

Solveigs Mutter war vor fünf Jahren gestorben. Solveig und ihre beiden Brüder sorgten sich um ihren Vater, der zu der Generation Männer gehörte, die sich nie im Leben auch nur ein Spiegelei gemacht hatte. Er konnte weder eine Waschmaschine bedienen noch wusste er, wie der Herd funktioniert, geschweige denn, was man vorher mit den Lebensmitteln anstellt. In den ersten Wochen hatte sich Solveig um ihren Vater gekümmert, ständig mit ihren Brüdern telefoniert und verzweifelt nach einer dauerhaften Lösung gesucht. Aber alle drei hatten ihren Vater unterschätzt. Nach den ersten traurigen Wochen teilte er Solveig mit, dass sie jetzt zu ihrer Familie zurückkehren könne. Er habe eine ebenfalls verwitwete Nachbarin gefragt, ob sie ihm gegen ein ordentliches Gehalt den Haushalt führen könne.

Gertrud Schneider hatte sofort zugesagt und den Pastorenhaushalt samt seinem Pastor Bjarne Carstensen unter ihre Fittiche genommen. Wann aus dem Arbeitsverhältnis eine späte Liebe geworden war, wussten Solveig und ihre Brüder nicht, aber vor etwa drei Jahren hatte ihr Vater sehr förmlich zu einem Abendessen eingeladen und dabei hochoffiziell die fröhliche Gertrud als seine neue Lebensgefährtin vorgestellt.

»Er macht alles mit«, fuhr Solveig fort, »kein Wort mehr über Rücken-, Hüft- und Magenschmerzen. Er läuft wie ein junger Mann, kann alles essen und hat einen Mordsspaß. Gertrud tut ihm richtig gut.«

»Bjarne …« Katharina musste lächeln, als sie an den großen, freundlichen Mann mit der tiefen Pastorenstimme dachte. »Es gab eine Zeit, da wäre ich ohne ihn aufgeschmissen gewesen. Er hat mir damals viel geholfen. Es freut mich, dass es ihm so gut geht.«

»Welche Zeit meinst du? Ach so, nach Hannes, oder?«

»Ja.« Katharina machte eine kleine Pause. »Gott, das ist schon so lange her.«

Solveig lachte. »Wir werden älter. Wo war ich stehengeblieben, ach ja, Gertrud. Sie hilft viel bei deiner Schwester aus, wusstest du das?«

»Bei Inken?« Katharina fragte lauter nach, als sie eigentlich wollte, und senkte ihre Stimme sofort wieder. »Was macht die denn bei ihr?«

»Deine Schwester hat doch neben der Segelschule ein kleines Café. Eigentlich ist das nur für die Segelschüler gedacht, aber langsam wird es ein Geheimtipp. Und dafür backt Gertrud Kuchen, kocht Kaffee, bedient die Segler, und es macht ihr einen Heidenspaß. Und nebenbei kümmert sie sich ein bisschen um Inken. Sie wohnen ja nur ein paar Schritte entfernt.«

»Ich wusste gar nicht, dass Inken und Gertrud sich so gut kennen.«

»Katharina.« Jetzt klang Solveig verwundert. »Gertrud war früher mit deiner Mutter befreundet. Sie kennt Inken von klein auf. Dich und mich übrigens auch. Und sie haben viel Kontakt. Auch schon, bevor sie mit meinem Vater zusammengekommen ist.«

»Ach so, ja.« Katharina bemühte sich um Erinnerungen, sie hatte so viel aus dieser Zeit verdrängt. Und sie hatte ganz vergessen, dass Gertrud früher oft bei ihnen zu Hause gewesen war. »Ich habe ein schlechtes Gedächtnis. Ist ja auch egal.«

»Wann hast du denn das letzte Mal mit deiner Schwester gesprochen?«

Katharina überlegte. »Im September, glaube ich«, antwortete sie. »An ihrem Geburtstag.«

»Das ist zig Monate her!« Solveig schnappte nach Luft. »Sag mal, sie ist doch deine …«

»Und an Neujahr«, unterbrach Katharina sie. »Also noch nicht ganz so lange. Aber sie meldet sich auch selten. Du kennst sie doch, immer im Dauerchaos und ein Hirn wie ein Sieb. Was sie sich nicht aufschreibt, vergisst sie. Wahrscheinlich steht mein Name nicht an ihrer Pinnwand. Und wir haben auch nicht so eine Beziehung, wie du sie zu deinen Brüdern hast. Wir sind zehn Jahre auseinander und total unterschiedlich. Sie lebt ihr Leben und ich meins. Das war schon immer so.«

»Ich verstehe das nicht, Katharina. Du hast doch sonst keine Familie. Ihr könntet ein bisschen mehr zusammenrücken. Deine Schwester und du.«

»Solveig, meine Eltern sind nicht tot, sie leben auf Mallorca. Und ich habe ja auch nichts gegen Inken; wenn wir uns sehen, ist es ganz schön. Trotzdem ist sie mir irgendwie fremd. Allein schon dieses Chaos in ihrer Wohnung. Das macht mich jedes Mal fertig. Das ist genauso wie früher zu Hause und damals konnte ich es schon nicht ertragen. Inken ist so ganz anders als ich. Kommt sie heute nicht, kommt sie morgen. Und irgendjemand hilft ihr immer, weil sie so charmant ist. Das ging mir damals schon auf den Geist.«

»Das ist das Los der Ältesten«, erwiderte Solveig. »Du musstest dich selbst um alles kümmern. Bei uns hatte mein ältester Bruder schon alles vorgemacht. Die Jüngsten haben es einfacher. Wobei es mir aus dem Hals hing, dass die Jungs immer alles durften und ich nichts. Ganz so leicht ist es dann doch nicht. Aber deine Schwester hat sich verändert. Gertrud erzählt manchmal von ihr, sie scheint das alles gut hinzukriegen. Und Inken nimmt das Leben einfach so viel leichter als du. Das ist der große Unterschied.«

»Das stimmt.« Katharina hatte plötzlich das Gesicht ihrer Schwester vor Augen. Die blonden Locken, die braunen Augen, ihre Sommersprossen. Sie sahen sich überhaupt nicht ähnlich und hatten kaum Gemeinsamkeiten, lediglich dieselben Eltern. Und dafür konnte keine etwas. Inken, das Glückskind.

Vor vielen Jahren hatte sie mal im Weihnachtsmärchen mitgespielt. »Frau Holle.« Inken war damals sechs Jahre alt gewesen und hatte eine kleine goldene Krone auf den blonden Locken gehabt. In der Pause war sie in den Zuschauerraum gehüpft, hatte sich vor die sechzehnjährige Katharina gestellt, ihr über die langen dunklen Haare gestrichen und laut gesagt: »Du bist Pechmarie und ich Goldmarie. Da habe ich ja Glück.«

Sie schob die Bilder weg und konzentrierte sich wieder auf Solveig. »Inken, die Goldmarie. Vielleicht bin ich ja nur neidisch. Wie auch immer, ich muss jetzt auflegen, Jens kommt gleich zurück, wir wollen essen gehen und anschließend ins Kino. Also, grüß deine Truppe und bis bald.«

Solveig verabschiedete sich und Katharina legte das Telefon zurück auf die Station. Sie lehnte sich an den Türrahmen ihres Arbeitszimmers und dachte doch wieder an ihre Schwester. Inken und sie waren nie auf Augenhöhe gewesen, dazu war der Altersunterschied zu groß. Als Katharina von zu Hause auszog, weil sie mit ihrer Ausbildung in Kiel begann, war Inken neun Jahre alt gewesen, ein entzückendes, unbeschwertes Kind. Aber eben ein Kind. Zehn Jahre später hätte Katharina ihre Schwester gebraucht. Aber Inken hatte es nicht gemerkt – oder es nicht merken wollen. Katharina wusste es bis heute nicht. Aber das war lange her. Inzwischen war es vergessen und sie waren immer noch Schwestern, die nicht viel miteinander anfangen konnten.

Katharina verscheuchte den Gedanken und ging mit der Zeitung unter dem Arm auf den Balkon zurück. Sie musste sich nun wirklich nicht den Kopf über Inken zerbrechen. Das hatte sie noch nie getan, und jetzt musste sie damit auch nicht mehr anfangen.

 

 

 

Einige Wochen später kam Jens beim Herrenausstatter aus einer Umkleidekabine und stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor Katharina.

»Und?« Er drehte sich mit skeptischem Blick zum Spiegel und musterte sich. »Sieht ein bisschen aus wie ›Den hatte mein Bruder noch im Schrank‹, oder?«

Katharina verbiss sich ein Lächeln. »Dein Bruder hat kürzere Arme als du. Nein, der geht wirklich nicht. Probier doch noch mal den grauen.«

Jens versuchte, sich von hinten zu sehen, und ließ schließlich genervt die Schultern sinken. »Ich hasse es, Anzüge zu kaufen. Ich ziehe zwanzig an, und wenn ich Glück habe, ist einer dabei, der vielleicht geht.«

»Du hattest erst vier an.« Katharina zeigte auf einen grauen Anzug, der noch in der Umkleidekabine hing. »Da ist Nummer fünf. Gib nicht so schnell auf.«

Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken und starrte auf den zugezogenen Vorhang. Jens war einer der uneitelsten Männer, die Katharina kannte. Er hatte auch keine Ahnung, wie attraktiv er war, groß, schlank und durch und durch lässig. Nur im Anzug sah er wirklich seltsam aus, was vermutlich an seiner Körpersprache lag, die sofort gequält wirkte, wenn er den letzten Knopf der Jacke schloss.

Demnächst musste er beruflich für eine Woche nach München. Mit dem Verleger und im Anzug. Deshalb hatte Katharina sich erbarmt und versprochen, ihn beim Kauf zu beraten. Das tat sie bereits im dritten Geschäft und bislang erfolglos.

»Auch nicht, oder?« Der Vorhang öffnete sich und Jens zeigte sich nur kurz. Die Schultern des Jacketts hingen.

Katharina schüttelte den Kopf. Bevor sie noch etwas sagen konnte, hörte sie eine Stimme: »Ich schlüpfe einfach mal rein und Sie suchen mir etwas Peppiges raus, ja?«

Mit einer Jeans in der Hand kam Peter Bohlen um die Ecke, stockte kurz und ging strahlend auf Katharina zu.

»Hallo, meine Süße, was machst du denn in der Herrenabteilung? Das ist ja herrlich. Komm, lass dich drücken.« Er nahm Katharina in den Arm und sah dabei über ihre Schulter. »Da ist ja auch Jens. Sag, mal, was hast du denn da für einen grauenhaften Anzug an? Das geht ja überhaupt nicht.«

Er ließ Katharina sofort los und machte drei Schritte zur Umkleidekabine. »Furchtbar, ganz furchtbar. Katharina, hast du ihm dieses Teil rausgesucht?«

»Ich …«

Er drückte ihr die Jeans in die Hand und ging kopfschüttelnd zurück in den Verkaufsraum. »Halt mal, ich hole deinem Süßen einen vernünftigen Anzug. Farbe?«

»Egal«, rief Jens und sah Katharina irritiert an. »Er weiß doch gar nicht meine Größe.«

»Er schätzt sie.« Katharina setzte sich wieder auf einen Stuhl und war gespannt darauf, was Peter Bohlen gleich anschleppen würde.

 

Eine halbe Stunde später hob Jens seine Tasse und prostete Peter Bohlen zu. »Danke. Beim nächsten Mal mache ich gleich einen Termin mit dir aus.«

Peter gab sich bescheiden und legte den Kopf schief. »Immer wieder gern, mein Lieber. Ich will nicht angeben, aber ich habe einfach einen guten Blick für Männerkörper.«

»Spar dir die Mühe«, sagte Katharina. »Du kriegst Jens nicht rum. Da kannst du balzen, so viel du willst.«

»Aber du hast es nicht geschafft, ihn in einen gut sitzenden Anzug zu stecken.« Peter warf ihr einen gespielt beleidigten Blick zu. »Du musst zugeben, dass er in dieser Beziehung bei mir in den besseren Händen ist.«

»Jetzt ist es aber gut!« Jens schüttelte den Kopf. »Dieses Gespräch wird gerade sexistisch. Können wir das Thema wechseln, bevor es völlig aus dem Ruder läuft?«

»Natürlich.« Wohlwollend tätschelte Peter ihm die Hand. »Aber der Anzug ist der Kracher, oder? Wie viele hast du vorher anprobiert? Sechs? Sieben? … Siehst du. Und ich suche dir einen aus und der sitzt. Jetzt kommt ihr.«

»Ja, Peter.« Katharina und Jens antworteten im Chor. »Danke.«

»Geht doch.« Zufrieden rührte Peter Süßstoff in seinen Tee. »Dann können wir ja über andere Dinge sprechen. Zum Beispiel darüber, dass ich es sehr schade fand, dass Katharina nicht die Recherche für die schönsten Urlaubsziele gemacht hat. Saskia ist ja ganz süß, aber ihre Recherche über Sylt war ziemlich nullachtfünfzehn. Das hätte ich auch hinbekommen.«

Katharina starrte auf seinen Tee. »Machst du immer noch Diät? Dieser Süßstoff ist ziemlich ungesund, weißt du das?«

Unbeirrt blieb Peter beim Thema. »Ich weiß nicht, warum du das so kategorisch abgelehnt hast. Eine Woche Recherche auf Sylt, das Wetter war ganz gut, ich hatte ein tolles Hotel gebucht, und du hättest Jens sogar mitnehmen können. Andere hätten Hurra geschrien.«

Katharina lehnte sich zurück. »Peter, ich habe gefühlte fünfhundert Recherchen über Sylt gemacht. Wahrscheinlich hast du sogar noch jede Menge im Archiv. Ich hatte einfach keine Lust. Und wenn dir Saskias Ergebnis nicht reicht, dann musst du ihr das sagen. Fertig. Was macht dein Triathlet? Wie heißt er noch?«

»Lars«, antwortete Peter und grinste lasziv. »Ein Hammertyp. Ich fahre übrigens über Pfingsten mit ihm auf deine Insel. Er weiß wahre Schönheit noch zu schätzen.«

Katharina sah ihn ungerührt an. »Meinst du jetzt dich alternden Fernsehmann oder die Insel?«

»Beides natürlich.« Er wandte sich gespielt verzweifelt an Jens. »Ich warne dich, sie wird eine böse alte Frau. Dabei dachte ich immer, dass Inselmädchen so etwas Sonniges haben. Den Wind in den Haaren, die Sonne im Blick …«

Katharina schüttelte den Kopf. »Das Inselmädchen kriegt gleich Sonne in den Blick. Sylt ist nicht mehr meine Insel. Das ist schon so lange her. Und es hat sich viel verändert. Reiche Säcke, Zweitwohnungsbesitzer, Verkehrschaos und massenweise Tagesgäste. Und schlechtes Wetter im Sommer, zumindest in den letzten Jahren. Da fahre ich lieber nach Mallorca.«

»Das ist doch alles Unsinn.« Peter Bohlen grinste sarkastisch. »Du rennst nur vor deinen Schatten davon. Aber irgendwann werden sie dich einholen.«

Tief ausatmend schob Katharina ihren Stuhl zurück und stand auf. »Du liest eindeutig zu viele schlechte Frauenromane, Herr Bohlen«, sagte sie ruhig. »Ich gehe jetzt aufs Klo, und wenn ich zurückkomme, ist die Therapiestunde beendet. Sonst frage ich genauer nach, wie es wirklich mit dir und deinem Triathleten läuft.«

Sie verschwand und Peter verschränkte die Arme vor der Brust. Mit einem langen Blick auf Jens fragte er: »Kennst du eigentlich Katharinas Schwester?«

»Ja, klar.« Jens hielt dem Blick stand. »Sie war letztes Jahr mal auf dem Rückweg von irgendwoher eine Nacht in Bremen und am Abend mit uns essen. Da habe ich sie kennengelernt. Und einmal haben wir uns auf Sylt getroffen. Übrigens an einem völlig verregneten Wochenende. Warum?«

»Ich verstehe nicht, warum die beiden so wenig Kontakt haben. Ich kenne Inken gar nicht, nur Fotos von ihr und auf denen ist sie bezaubernd, aber die beiden sehen sich kaum. Katharina fährt so selten hin. Es ist doch ihre Heimat. Als ob sie nur schlechte Erinnerungen an ihre Kindheit hat. Du hast doch auch einen Bruder, mit dem du viel unternimmst, das will man doch nicht missen. Also, wenn ich nicht dreimal in der Woche mit meiner Schwester oder Mutter telefonieren würde, wäre mein Leben ärmer.«

»Na ja«, wiegelte Jens ab, »Katharinas Eltern leben auf Mallorca, da fährt sie schon ab und zu hin. Und Inken, ihre Schwester, ist ja ganz nett, aber zehn Jahre Altersunterschied sind schon viel. Als sie im letzten Jahr hier war, hat sie auch nicht viel erzählt. Sie wirkte eher verschlossen, so als ob sie sich gar nicht für Katharinas Leben interessiere.«

»Interessiert Katharina sich denn für Inkens Leben?«

Jens hob die Schultern. »Wenig, glaube ich. Aber ich mische mich da nicht ein, es ist ihre Sache. Und ich finde es illoyal, jetzt mit dir darüber zu spekulieren. Lass uns das Thema wechseln, bevor Katharina wiederkommt.«

 

Als Katharina fünf Minuten später wieder an den Tisch trat, sprachen Jens und Peter tatsächlich übers Laufen. Natürlich wollte Peter jetzt auch Triathlon trainieren. Katharina verbiss sich ein Grinsen. Sie war vor Jahren mal mit ihm schwimmen gewesen. Peter Bohlen schwamm wie eine rückenkranke Ente, immer den Kopf nach oben. Und sehr langsam.

»Du hast im Wassersport Handlungsbedarf«, bemerkte sie süffisant. »Es gibt im Freibad einen Schwimmkurs. Wenn du willst, fülle ich dir den Antrag aus.«

»Liebste Katharina«, Peter drehte sich langsam zu ihr um, »wenn du mir zusammen mit deiner Schwester das Segeln beibringst, mache ich tatsächlich einen Schwimmkurs. Sonst nicht. Dann werde ich eben bei meinem ersten Triathlon vor allen Augen ertrinken.«

Katharina sah ihn lange an und dachte, dass man sich niemals betrinken sollte, wenn man unglücklich war und mit einem schwulen Kollegen in einer Bar saß. Das hatte sie damals nicht bedacht und ihm deshalb viel zu viel von sich erzählt. Es war einfach zu ärgerlich.

»Dann ertrink«, sagte sie und griff zu ihrer Tasche. »Vorher bezahle ich aber noch. Wir müssen los, Jens, wir sind nachher bei Sabine zum Essen eingeladen. Da dürfen wir nicht zu spät kommen.«

Jens nickte und gab der Bedienung ein Zeichen.

Während sie warteten, fuhr Peter plötzlich herum. »Ach, übrigens«, sagte er, »kennst du eigentlich Bastian de Jong?«

Katharina nickte. »Natürlich. Wer kennt ihn nicht?«

»Der meistverkaufte Autor Europas«, ergänzte Jens. »Mein Verleger ärgert sich noch heute, dass er das erste Buch von ihm abgelehnt hat. Ich finde de Jongs Romane großartig.«

»Ich lese ja selten Romane«, räumte Peter ein. »Aber ist ja auch egal. Er hat mich jedenfalls nach deinen Kontaktdaten gefragt.«

»Nach meinen?« Katharina war verblüfft. »Warum?«

»Warum wohl? Er braucht jemanden, der für ihn recherchiert. Er hat wohl meinen Film über die Frauen der Fünfzigerjahre gesehen, da war dein Name im Abspann. Und du hast anschließend mit dem ›Weser Kurier‹ ein Interview gehabt, in dem du deine Arbeitsweise beschrieben hast. Das hat de Jong irgendwie gelesen. Und jetzt hat er einen Auftrag für dich.«

Katharina war immer noch irritiert. »Und wieso ruft er nicht bei uns im Büro an, sondern fragt dich?«

»Ich habe vor einem Jahr einen Film mit ihm gemacht, daher kennen wir uns. Ich habe ihm auch die Nummer von deinem Büro gegeben. Aber er besteht darauf, dass du es selbst machst.«

»Und worum geht es?«

»Keine Ahnung«, antwortete Peter. »Er ist übrigens ein toller Typ. Ein echter Womanizer. Jens, du solltest sie nicht allein zu ihm lassen.«

Katharina zog die Augenbrauen hoch. »Na denn. Meine Freundin Solveig wollte neulich schon mit ihm durchbrennen, nach seiner Lesung in Flensburg. Vielleicht sollte ich sie mitnehmen, damit wenigstens eine Frau in Begeisterung ausbricht. Bei mir kommt das eher selten vor. Außerdem ist der Mann zwanzig Jahre älter als ich, vielen Dank, aber für die Pflege eigne ich mich nicht.«

»Warte ab.« Peter Bohlen lächelte sie vielsagend an. »Und es sind nur fünfzehn Jahre Unterschied. Wir können ja wetten, wie lange es dauert, bis du seinem Charme erliegst. Um einen Champagner.«

»Da können wir auch um eine Kiste wetten«, antwortete Katharina und drückte Jens’ Hand. »Hör nicht auf das Gerede eines indiskreten, sensationslüsternen, alten Exkollegen, der ohne zu denken vor sich hin labert. Ich stehe nicht auf alte Säcke.«

Jens lachte, drehte ihre Hand und küsste den Handrücken. »Ich weiß«, sagte er. »Wobei de Jong wirklich ein guter Typ sein muss. Er wirkt zumindest sehr klug und sympathisch. An deiner Stelle würde ich mich geschmeichelt fühlen, dass er unbedingt mit dir arbeiten will. Das ist doch toll.«