Wir brauchen viel mehr Schafe - Renate Bergmann - E-Book + Hörbuch

Wir brauchen viel mehr Schafe E-Book

Renate Bergmann

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Beschreibung

Jetzt singt sie auch noch! Die letzten Weihnachtsgeschenke hat unsere Online-Omi im Mai ins Vertiko getan, der Rumtopf für die Festtage zieht seit Sommer durch, sie hat also Kapa-, Kompa, herrje: Sie hat Zeit, dieses Jahr an Weihnachten die Regie zu übernehmen und das Krippenspiel selbst zu inszenieren. Und weil auch Renate Bergmann nicht Maria UND Josef spielen kann, holt sie ein paar kleine Geister und viele, viele Schafe dazu. «Ein paar Kinder sollten schon dabei sein, schließlich wollten wir auch einen Chor der Generationen aufbieten, und da gehören nicht nur Omas und Opas hin, sondern auch Kinder. Ilse hätte am liebsten nur Kinder dabei gehabt, die getauft sind, weil es schließlich ein Fest der Kirche ist. Aber das kam gar nicht in Frage, finden Se mal heutzutage getaufte Kinder. Man muss schon dankbar sein, wenn die alle geimpft sind.»

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Seitenzahl: 180

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Renate Bergmann

Wir brauchen viel mehr Schafe

Die Online-Omi macht Theater

 

 

 

Über dieses Buch

Jetzt singt sie auch noch!

Die letzten Weihnachtsgeschenke hat unsere Online-Omi im Mai ins Vertiko getan, der Rumtopf für die Festtage zieht seit Sommer durch, sie hat also Kapa-, Kompa, herrje: Sie hat Zeit, dieses Jahr an Weihnachten die Regie zu übernehmen und das Krippenspiel selbst zu inszenieren. Und weil auch Renate Bergmann nicht Maria UND Josef spielen kann, holt sie ein paar kleine Geister und viele, viele Schafe dazu.

«Ein paar Kinder sollten schon dabei sein, schließlich wollten wir auch einen Chor der Generationen aufbieten, und da gehören nicht nur Omas und Opas hin, sondern auch Kinder. Ilse hätte am liebsten nur Kinder dabei gehabt, die getauft sind, weil es schließlich ein Fest der Kirche ist. Aber das kam gar nicht in Frage, finden Se mal heutzutage getaufte Kinder. Man muss schon dankbar sein, wenn die alle geimpft sind.»

Vita

Renate Bergmann, geb. Strelemann, wohnhaft in Berlin. Trümmerfrau, Reichsbahnerin, Haushaltsprofi und vierfach verwitwet: Dahinter steckt Torsten Rohde, Jahrgang 1974, der in Brandenburg/Havel BWL studierte und als Controller gearbeitet hat. Sein Account @RenateBergmann entwickelte sich zum Internet-Phänomen. Seine bisherigen Bücher waren große Erfolge und standen mehrere Monate auf der Bestsellerliste.

Guten Tag,

 

hier schreibt Renate Bergmann. Wenn ich mich Ihnen vorstellen sollte, würde ich sagen: pensionierte Eisenbahnerin mit vier begrabenen Gatten, wohnhaft in Berlin-Spandau und mit beiden Beinen im Leben stehend. Auf dem einen Bein ein bisschen wackelig, weil da die Hüfte gemacht wurde, aber auf einem Bein kann man bekanntlich sowieso schlecht stehen. Deshalb trinke ich für den Kreislauf und gegen den Zucker ab und an auch einen kleinen Korn. Ich habe nicht nur 82 Lenze auf dem Buckel, sondern auch 82 Herbste und Winter, und die spürt man schon in den Knochen.

Aber alles in allem bin ich recht rüstig und auch im Oberstübchen noch ganz klar. Ich will mich nicht beklagen.

Ach ja, ehe man sich’s versieht, ist das Jahr schon wieder rum. Es war doch gerade erst Weihnachten!? Glauben Se mir, je älter man wird, desto schneller ziehen die Jahre vorbei.

Gerade noch feiert man Silvester, und kaum hat man die letzte Portion Karpfen aus dem Froster aufgetaut, da lassen die Bäume schon wieder die Blätter fallen, und man steckt bis zu den Ellenbogen im Plätzchenteig.

Ach, wie gern denke ich an das letzte Silvester zurück! Wir hatten so viel Spaß. Ilse hat beim Bleigießen etwas derart Unanständiges gegossen, dass wir es trotz Frost im Garten vergraben mussten. Und die Männer waren nicht in der Lage, den Karpfen zu schlachten, weil der um den Mund herum aussah wie meine Freundin Gertrud. Also musste ich ran mit dem Schlachtemesser. Aber darum geht es jetzt gar nicht.

Ich höre schon wieder das Fräulein vom Verlag: «Frau Bergmann, bitte immer schön beim Thema bleiben und nicht so viele Schleifen erzählen.» Da isse immer ganz streng mit mir, wissen Se.

 

Letztes Jahr um diese Zeit habe ich Ihnen aufgeschrieben, wie es mir ergangen ist, als ich über die Weihnachtsfeiertage zu meiner Tochter Kirsten nach Köln wollte und im London gelandet bin. Danach haben sich so viele Leute gemeldet – was da wieder los war, das können Se sich kaum vorstellen, nicht mal zum Kartoffelschälen bin ich mehr gekommen. «Frau Bergmann», haben sie gesagt, «schreiben Se mal ruhig noch eine Weihnachtsgeschichte auf, in Ihrem langen Leben haben Se bestimmt viel erlebt und noch mehr zu erzählen.»

Das ist wohl richtig. Aber wissen Se, da muss ich gar nicht weit zurückgucken. Allein letztes Jahr war wieder was los!

Schon frühmorgens am Heiligen Abend fing der Wirbel an. Es ging alles drunter und drüber und schief, was nur schiefgehen konnte. Meine Nachbarin, die Frau Berber, hat zum Beispiel aus Versehen – sagt sie zumindest – ihre Katze beim Geschenkeeinwickeln mit im Karton verschnürt. Das arme Morle ist dann wie eine Furie in dem Paket durch den Hausflur gefegt und hat die ganzen Blumentöpfe umgeworfen, die da zum Überwintern stehen. Und wer ist dann auf die Knie und hat die Scherben und den Dreck weggemacht? Raten Se mal. Die Berber ja wohl nicht. Nee, das blieb schön an Renate Bergmann hängen, dabei war ich schon umgezogen und im guten Kleid!

Nee, es kam wirklich alles zusammen. Dann war auch noch exaktemeng an Weihnachten mein Onlein alle, und ich war eine Drossel. Ausgerechnet an den Festtagen, wo man doch die Torte beim Fäßbock hochzeigen will!

Mein Neffe Thomas und seine Frau Ulrike waren mit den Kindern da, zum Kaffee am ersten Feiertag. Es war sehr anstrengend. Die kleine Luisa kann noch immer keine Schleife binden und durfte während des Kaffeetrinkens an meinen Schuhen üben. Das hatte ich dann von meiner Großzügigkeit: Mit der Nagelschere mussten sie mich hinterher freischneiden, damit ich das Geschirr abtragen konnte. Am Stuhlbein hat mich das kleine Fräulein angebunden, denken Se sich nur! Aber da lachen nur alle, und keiner sagt was. Meine Mutter hätte mich in die ungeheizte Schlafkammer zu Bett geschickt, wenn ich so was gemacht hätte. Ohne Abendbrot.

Nach dem Kaffee habe ich den Kindern ein Puzzle gegeben und auch ein paar zusätzliche Teile aus einem anderen mit reingetan, damit es nicht zu leicht ist. So waren die Kleinen wenigstens beschäftigt, und wir hatten ein bisschen Ruhe. Nach dem Abendessen – die Kinder wollten Pommies zur Gans, denken Se sich das mal! – kam zu allem Übel nicht mal Peter Alexander im Zweiten. Früher kam IMMER Peter Alexander, aber nicht mal darauf ist mehr Verlass. Stars in der Manege kam auch nicht, und Sissi war schon am Vormittag gelaufen. Nee, es war kein schönes Weihnachten.

Ich machte uns eine VDV mit Heinz Rühmann an, aber keiner guckte richtig hin. Wir spielten Mensch-ärgere-dich-nicht, aber da Ulrike nichts verträgt, warf sie schon nach zehn Minuten das ganze Spiel um, als sie versuchte, mit einer Weinbrandbohne zu würfeln. Diese jungen Mütter sind auch nicht mehr, was sie mal waren.

Zu allem Übel muss man dann auch noch so tun, als würde man sich über die Geschenke freuen. Von Kirsten bekam ich ein Horoskop nach indianischem Sternzeichen. Da bin ich Baumstamm, stellen Se sich das mal vor. Wie soll man denn da ernst bleiben? Ausfallend werden und das Kind beleidigen darf man ja auch nicht.

Ach je, meine Tochter. Die interessiert sich für jede Art von Humbug und Sternzeichen, ganz egal ob chinesisch oder indianisch oder was auch immer. «Spirituell inspiriert», nennt sie sich, aber wenn Se mich fragen, würde ich sagen: Das Mädchen hat einfach nicht alle Latten am Zaun.

Aber vermutlich kennen Se das so oder ähnlich alles selbst von den Weihnachtsfesten mit Ihren Lieben. Deshalb habe ich mir gedacht, ich schreibe Ihnen diesmal lieber was aus der Adventszeit auf. Und bevor ich jetzt über 50 Jahre nachsinne und dann die Geschichten und Namen nicht mehr richtig zusammenbringe, habe ich mir überlegt, dass ich Ihnen erzähle, wie das mit unserem Krippenspiel beim letzten Adventsfest war. Das war nämlich eine echte Schose, das kann ich Ihnen sagen!

 

So, und nun wünsche ich Ihnen viel SPAAAAAA

Huch!

Da it ein Krümel von meinem Kek zwichen da A und da   gerutcht. Wenn mein Neffe tefan da ieht, chimpft er wieder. Hoffentlich geht da wieder weg, ont vertehen SSSSSie ja gar nicht, wassss ich da sssschreibe.

Gott sei Dank, jetzt geht es wieder.

 

Na, dann lassen Se uns mal loslegen, bevor die Klappschreibtischmaschine hier wieder spinnt.

Recht gute Unterhaltung wünscht Ihnen

Renate Bergmann

August

Beim Edeka gibt es Lebkuchen, aber Mong Scherrie ist noch in der Sommerpause. Das verstehe, wer will.

Sonntags gehe ich nach Möglichkeit in die Kirche. Nicht jede Woche, wissen Se, die erzählen ja doch seit ein paar tausend Jahren das Gleiche. Aber alle zwei, drei Wochen lasse ich mich blicken. Man weiß ja nie …

Sollte ich eines Tages bei dem da oben ankommen, wenn er mich zu sich ruft, und der guckt nach im Führungszeugnis, dann soll da wenigstens «Hat regelmäßig am Gottesdienst teilgenommen» stehen, damit er nicht nachfragt. Besser ist besser. Außerdem kommt man so mal ein bisschen unter die Leute, und wenn man zu lange nicht da war, droht der Pfarrer mit Hausbesuch. Das will ich auch nicht.

Ich sitze eigentlich immer ganz vorne in der ersten Bank in der Kirche. IMMER! Außer an diesem Sonntag. Aber ich fange lieber vorne an zu erzählen, denn es ging schon vor der Kirche mit Ärger los! Der Franz Kniebel, der olle Stiesel aus der Knatternstraße, hatte mir doch tatsächlich meinen Rollatorparkplatz gemopst. So eine Unverschämtheit! Dabei bin ich diesmal sogar früher als sonst aus dem Haus.

Das macht der mit Absicht, das können Se mir glauben. Der weiß ganz genau, dass die schattige Stelle unter dem kleinen Magnolienbaum mein Stammparkplatz für das Gehwägelchen ist. Aber er denkt wohl, nur weil er früher Taxifahrer war, darf er auch heute noch immer und überall rumstehen, wie er lustig ist. Ein ganz Gewiefter ist das, der hat nämlich eine richtige Strategie. Er parkt absichtlich auf Frauenparkplätzen mit seinem schäbigen, ungeölten und beschmadderten Rollator und versucht so, mit den Damen anzubandeln, die ihn dann ansprechen. Als ob eine Renate Bergmann mit so billigen Tricks rumzukriegen wäre!

Jedenfalls musste ich mir notgedrungen einen Ausweichstellplatz für die Gehhilfe suchen und kam deshalb so spät in die Kirche, dass die erste Reihe schon besetzt war. Sehr ärgerlich! Jetzt fehlte bloß noch, dass mein Gulasch anbrannte, den ich auf ganz kleiner Flamme auf dem Herd stehen hatte. Selbst während des Gottesdienstes ärgerte ich mich noch so über den Taxi-Kniebel, dass ich dem Herrn Pfarrer gar nicht richtig zuhörte. Das muss man auch nicht, es reicht, wenn man interessiert guckt. Doch auf einmal – die Predigt war schon vorbei, das Vaterunser war gemurmelt – machte er noch eine Anmerkung, die mich zusammenzucken ließ.

«Liebe Gemeinde», sagte er, «es ist zwar noch ein gutes Weilchen hin bis zum Weihnachtsfest, aber da große Ereignisse bekanntlich nicht nur ihre Schatten vorauswerfen, sondern auch eine gewisse Vorbereitungszeit brauchen, möchte ich bereits heute verkünden, dass unser traditionelles Adventsstück in diesem Jahr von Frau Schlode vom Kindergarten inszeniert werden wird. Bitte unterstützen Sie Frau Schlode in ihrer Arbeit und merken Sie sich den vierten Advent schon mal vor. Wir freuen uns auf Ihr zahlreiches Erscheinen.»

Mir blieb vor Schreck fast die Luft weg.

Die Schlode.

In der Kirche.

Zum Adventsfest!

Nee. Nicht mit Renate Bergmann!

Das konnten die mit mir nicht machen!

Wissen Se, die Schlode versaut mir bald jeden Spaß im Leben. Kein Seniorenausflug und keine Feier ohne Kinderchor. Jetzt hat sie sogar den kleinen Paul dazu gebracht, Pauke zu lernen. PAUKE! Ich bitte Sie.

Da freut man sich auf seine schöne Tasse Bohnenkaffee außer der Reihe, und dann kommt das Kulturprogramm und der Pauken-Paule veranstaltet einen Lärm, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Das musste unter allen Umständen verhindert werden, dass diese Person das Programm beim Adventsfest dirigiert!

Ich war so außer mir, dass ich fast Kreislauf bekommen hätte, und wollte nur noch schnell nach Hause. An der Tür versuchte mich der Herr Pfarrer in ein Gespräch zu verwickeln, weil ich mich zwei Gottesdienste lang nicht hatte blicken lassen, aber ich wimmelte ihn ab.

«Tut mir leid, Herr Pfarrer, aber ich habe keine Zeit. Bei mir köchelt der Gulasch auf dem Herd, und wenn ich mich nicht beeile, gibt es eine Havarie.» Das war nicht mal gelogen.

Ich ließ sogar den ollen Kniebel links liegen, der schon unterm Magnolienbäumchen lauerte und mich erwartungsfroh anlächelte. Richtig schäbiger Zahnersatz blitzte mir da entgegen, billiger fast noch als seine Anbändeltricks! Wahrscheinlich war Nichtachtung die beste Strafe für ihn, auch wenn ich ihm am liebsten den Kopf gewaschen hätte, wäre mehr Zeit gewesen.

Aber auf den Schock musste ich erst mal einen Korn trinken. Von dem guten, doppelt gebrannten aus dem Wohnzimmerschrank.

Der Gulasch war butterzart, und trotzdem aß ich nicht mit rechtem Appetit. Auch am Nachmittag, als ich im Sessel saß und an ein paar Topflappen arbeitete, kreisten meine Gedanken nur um das Adventsfest.

Topflappen kann man übrigens nie genug im Schrank haben, lassen Se sich das von einer alten Dame sagen. Man braucht immer mal ein kleines Geschenk, wenn ein lieber Mensch eine Freude verdient hat, und gerade zu Weihnachten bringt man doch gerne ein Lächeln und ein bisschen Licht in das Leben von Freunden und Bekannten, indem man sie beschenkt. Und über Topflappen freut sich jeder, das können Se nicht bestreiten.

*

Ich hörte schon am Parken, dass es Kurt und Ilse waren mit dem Koyota. Wissen Se, vor meinem Haus ist ein hoher Bordstein. Wenn die Berber nach Hause kommt, dann schrammt es oft. Sie erwischt die Gehwegkante meist mit dem Vorderrad. Das macht dann ratsch-ratsch, und kurz darauf flucht sie. Die Berber hat eine sehr laute, schrille Stimme. Man hört sie durch die geschlossenen Fenster bis hoch in den dritten Stock. Eine durch und durch unangenehme Person. Ich hatte letzthin Gertrud am Telefon, als die Berber wieder mal einparkte. Es schrammte bestimmt vier- oder sechsmal, man verstand sein eigenes Wort nicht!

Wenn Kurt den Koyota parkt, dann ratscht es nicht. Dann bumst es. Kurt fährt nämlich nicht längs zur Straße in die Parklücke, sondern quer. Und da vor dem Gebüsch ein Feuerhydrant ist … nun. Keine Sorge, der ist aus ganz stabilem Stahl gebaut, der dem Koyota schon ein paar Dutzend Mal standgehalten hat. Nur die Stelle, wo Kurt immer gegenditscht, die hat ein bisschen gelitten. Da ist die rote Farbe ab.

Ilse schimpft jedes Mal und sagt, sie würde Kurt auch einwinken in die Parklücke, aber Kurt sagt, das verwirrt ihn nur. Ilse hüpft dabei nämlich vor dem Wagen hin und her und winkt und fuchtelt wie wild. «Wie ein Grashüpfer in Beige», hat Kurt es neulich brasselig beschrieben. Kein Wunder, Ilse kann ja selbst nicht fahren und weiß gar nicht, was sie anzeigen soll. Außerdem hat sie Probleme, links und rechts auseinanderzuhalten, und allein deshalb ist sie beim Einparken wirklich keine große Hilfe.

Einmal ist Kurt ihr über den Schuh gerollt mit dem Koyota, aber es war nicht so schlimm. Der Zehennagel ist bald wieder nachgewachsen. Seitdem ist sie vorsichtiger und hält Abstand beim Winken. Wenn sie Kurt ohne Bumsen in eine Lücke eingewiesen hat, bekreuzigt sie sich und klopft anerkennend zweimal kurz auf die Heckscheibe.

An dem Tag ging es jedoch nicht ohne Aufprall ab, der Koyota hatte den Hydranten erwischt. Die Stoßstange hat an der Stelle schon eine Einbuchtung, aber Kurt lässt das nicht mehr reparieren. Der Tüff hat auch gemeint, das wäre nicht schlimm, und deshalb bleibt es jetzt so.

Jedenfalls legte ich nach dem Bums die Häkelnadel auf die Seite und schrieb mit dem Kuli auf den Rand meiner Fernsehzeitung, bei welcher Masche ich war. Das mache ich immer so, wissen Se, man ist so schnell raus, und bevor ich wieder alle Maschen zähle, mache ich mir lieber eine Notiz. Da schellte es auch schon, und ich ließ Gläsers ein.

«Renate, Kurt hat schon wieder angehakt!», rief Ilse schon im Flur.

«Ich habe es gehört, Ilschen. Es ist doch nichts passiert. Oder habt ihr den Hydranten dieses Mal entankert?», fragte ich, während ich meiner Freundin ihre Garderobe abnahm.

Ohne Übergangsjacken gehen Gläsers nicht aus dem Haus, wissen Se. Schließlich holt man sich auch im Sommer so schnell was weg, weil die heutzutage überall ihre Klimapusten anhaben und wo man geht und steht, kalten Wind machen!

Kurt stand noch angezogen im Flur und wartete darauf, dass Ilse ihm mit den Knöpfen half. Seit der Doktor ihm gesagt hat, dass er eine beginnende Arthritis in den Fingern hat, lässt er sich gern bedienen. Dass der Doktor auch gesagt hat, er soll Übungen machen und die Finger trainieren, das verschweigt er gern, der olle Stiesel! Ilse knöpfte Kurt also die Jacke auf, zog sie ihm aus und hängte sie auf einen Garderobenbügel.

«Renate, wir kommen gerade von Wäschners. Inge ist achtzig gewesen letzte Woche, da waren wir eingeladen. Denk dir nur, die haben groß gefeiert. Sogar der Herr Pfarrer war da und brachte Blumen und Glückwünsche. Frau Schlode war auch da mit ihrer Truppe. Gott sei Dank hatten Wäschners den Kaffee in Thermoskannen, das Programm hat sich nämlich wieder ganz schön in die Länge gezogen! Der Pfarrer blieb hinterher noch zum Essen und die Frau Schlode auch. Wusstest du schon, dass das Krippenspiel am vierten Advent dieses Jahr von ihr geleitet werden soll? Frau Schlode vom Kindergarten, die seit letztem Jahr auch den Männerchor …»

ALS OB ILSE MIR ERKLÄREN MÜSSTE, WER DIE SCHLODE IST!

ICH BITTE SIE!

Herrje, jetzt posaunten die das schon rum mit dem Adventsspiel! Es war also allerhöchste Eisenbahn.

Wissen Se, ich bin ein friedliebender Mensch und komme mit jedem zurecht, halbwegs sogar mit der Meiser und der Berber, den liederlichen Weibsbildern aus der Hausgemeinschaft. Jedenfalls wenn ich mir Mühe gebe. Aber Cornelia Schlode ist seit Jahren immer wieder ein Ärgernis für mich. Es hat einfach keinen Sinn mit uns beiden. In solchen Fällen gehe ich den Menschen am liebsten aus dem Weg, um keinen Ärger zu provozieren. Ich will sogar zugestehen, dass die Schlode die Kinder gar nicht aus Bosheit so schief singen lässt, sondern aus der irrigen Annahme heraus, dass wir alten Herrschaften Kindergesang mögen. Das ist mitnichten der Fall. Die jungen Leute halten uns Alte immer für ein bisschen komisch im Kopf und glauben, wir würden den lieben langen Tag Volksmusik im Fernsehen angucken und Karnevalssendungen zum Mitklatschen und uns freuen, wenn Kinder uns krakelige Bilder malen oder was vortanzen. Ich will gar nichts dagegen sagen, das ist meist eine hübsche Idee und lieb gemeint. Aber seien Se mal ehrlich, meistens ist es doch auch dilettantisch. Erst recht, wenn die Schlode die Finger im Spiel hat.

Diese Person findet einfach kein Ende und lässt die armen Kinderchen trällern, bis die Kaffeesahne auf der Tafel sauer wird. Und wenn man denkt, dass sie fertig sind mit dem Vortrag und es gibt endlich was zu essen, dann tritt sie nach vorn und sagt: «Wenn Ihnen das so sehr gefallen hat, dann haben die Kinder bestimmt noch eine Zugabe für Sie.»

Na bitte, da ham Se’s. Was soll man da machen? Irgendeiner ist immer dabei, der keinen Mut hat und nickt. Das reicht der Schlode als Zustimmung, und schon singen sie munter weiter.

Einmal, es war auf dem 80. Geburtstag von Gunter Herbst, ist Gertrud aufgestanden und hat gesagt: «Jetzt ist genug gesungen, jetzt wird gegessen!» Dann ist sie einfach zum Büffet gegangen und hat sich den Teller voll geladen. Sie ist ja nicht verheiratet mit Gunter, das stand ihr streng genommen also gar nicht zu. Da hätten Se den Blick von der Schlode mal sehen sollen! Sie hat Gertrud so böse angeguckt, die Hölle wäre fast zugefroren bei dem eiskalten Blick. Obwohl ich nun wirklich gar nichts damit zu tun hatte, starrte sie auch mich so an. Mir lief es richtig kalt über den Rücken, sage ich Ihnen.

Gunter Herbst, das Geburtstagskind, hat wie meistens gar nichts mitgekriegt und einfach in die Luft geguckt. Das langte Frau Schlode als Zustimmung. Wutentbrannt fuchtelte sie los, und die Kindlein sangen auf ihr Kommando noch drei Lieder, von denen jedes gefühlte acht Strophen hatte. Zu allem Überfluss musste die kleine Sophie von Strohmeiers aus der Hampelstraße auch noch tanzen! Sie müssen wissen, das Mädel hatte bei der Geburt 4870 Gramm und ist diese paar Pfund zu viel nie losgeworden. Die Mutter hat das Kind irgendwann privat zum Tanzen angemeldet. Die arme Sophie muss deshalb ja jeden Tag nach der Schule mit dem Auto zu irgendwas hinkutschiert werden: einen Tag Tanzstunde, einen Tag Reiten, einen Schigong gegen Fettleibigkeit und dann noch einen Tag Nachhilfe, weil sie wegen dem ganzen Quatsch nämlich bald in der Schule nicht mehr mitkam und nun wen braucht, der ihr Mathe erklärt. Jedenfalls kann sie ein paar Schritte hüpfen zur Musik. Was für ein Lied vom Band kommt, spielt dabei gar keine Rolle. Sobald der erste Ton erklingt, tanzt sie los.

Wir machen im Seniorenverein auch immer Polonaise, selbst wenn der Diskjogging … Nee. Helfen Se mir mal, wie sagt man noch? Der mit der Musik. Wissen Se, wen ich meine? Der DieDschee. Selbst wenn der «Polonaise Blankenese» gar nicht dabeihat. Eine Polonaise gehört einfach dazu, deshalb machen wir die zur Not auch zu «Der Junge mit der Mundharmonika». Ohne Polonaise ist es schließlich keine richtige Feier.

Genauso egal ist es der kleinen Strohmeier, zu welchem Lied sie stampft. Meist trägt sie zum Tanz eine rosa Strumpfhose und ein Kleidchen aus Gardinenstoff. Es ist wirklich ganz entzückend, und würde Frau Schlode nicht mittanzen oder gar mitsingen, wäre es wirklich zauberhaft. Aber so? «Am Taaaaag, als Connyyyyy Kraaaamer staaaarb», trällert sie dann immer schief und schräg und laut durch den Raum, dass man sich die Ohren zuhalten möchte.

Ein Lied über das Sterben, und das, wenn Senioren zusammensitzen!

Es ist immer das Gleiche: Einmal in Fahrt, hört diese unerträgliche Person nicht mehr auf. Ich will Sie bestimmt nicht anstrengen, aber man muss die Dinge doch schildern dürfen, wie sie sind. Oder nich?

So war es auch an Gunters Geburtstag, als Gertrud den Aufstand probte und vor der Zugabe das Servierfräulein heranwinkte. Die kleine Sophie und Cornelia Schlode erstampften sich jedoch ihre Aufmerksamkeit. Keiner wagte es, Gertrud zur Toilette zu folgen, um die Haftcreme aufzutragen.

Besser ist es nämlich, wenn man vor dem Essen noch mal alles neu verleimt, wenn Se verstehen, was ich meine. Man darf bei der Haftcreme nicht sparen. Eine gute Haftcreme ist das A und O, man darf auf keinen Fall die billige nehmen. Wie Ilse. Die hat am eigenen Leib erfahren, was dann passiert.