Wir füttern die falschen Kühe - Leo Steinbichler - E-Book

Wir füttern die falschen Kühe E-Book

Leo Steinbichler

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Beschreibung

Wir Konsumenten werden von früh bis spät getäuscht. Durch ein System, das von falschen Versprechungen zu Tierwohl und Lebensmittel-Qualität lebt. Profiteure des üblen Spiels mit unserer Ernährung und Gesundheit sind Supermarktriesen und Lebensmittelindustrie, begünstigt durch Doppelmoral, Freunderlwirtschaft und Totalversagen der Politik. Wie ausweglos ist die Lage? Wie machtlos sind wir tatsächlich? Leo Steinbichler, Vollblutlandwirt und Vollblutpolitiker, kennt beide Seiten wie kaum ein anderer. Schonungslos wie spitzzüngig zeigt er auf, wo die Fäden zusammenlaufen, wer die Akteure sind. Aber er ortet auch Wege aus dem System – für eine lebenswerte Zukunft, faire Preise, hochwertige Nahrung aus nachhaltiger Bewirtschaftung und echtes Tierwohl. – Unser Essen im Sumpf aus Handel, Industrie & Politik – Agrar-Rebell, Landwirt und Politiker – Gnadenlos ehrlich  

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Wir Konsumenten werden von früh bis spät getäuscht … durch ein System, das von falschen Versprechungen zu Tierwohl und Lebensmittelqualität lebt. Profiteure des üblen Spiels mit unserer Ernährung und Gesundheit sind Supermarktriesen und Lebensmittelindustrie, begünstigt durch Doppelmoral, Freunderlwirtschaft und Totalversagen der Politik. Wie ausweglos ist die Lage? Wie machtlos sind wir tatsächlich?

Leo Steinbichler, Vollblutlandwirt und Vollblutpolitiker, kennt beide Seiten wie kaum ein anderer. Schonungslos wie spitzzüngig zeigt er auf, wo die Fäden zusammenlaufen, wer die Akteure sind. Aber er ortet auch Wege aus dem System – für eine lebenswerte Zukunft, faire Preise, hochwertige Nahrung aus nachhaltiger Bewirtschaftung und echtes Tierwohl.

Leo Steinbichler

WIR FÜTTERN DIE FALSCHEN KÜHE

Der betrogene Konsument – Wege aus dem System

Aufgezeichnet von Thomas Schrems

INHALT

Kapitel 1

Die Ratte. Die Jäger. Die Wut

Kapitel 2

Die Krake Politik

Kapitel 3

Ein System mit Raiffinesse

Kapitel 4

Die dünne Suppe, die einmal Milch geheißen hat

Kapitel 5

Europameister im Zupflastern und Erpressen

Kapitel 6

Der Konsument am Nasenring

Kapitel 7

Big Business im Kuhstall 4.0

Kapitel 8

Palmöl – wo Fett draufsteht, ist Regenwald drin

Kapitel 9

Bauernsterben: Wenn 100.000 Lebensschulen ihre Pforten schließen

Kapitel 10

Traue keiner Statistik (Austria), die du nicht selbst

Kapitel 11

AMA – Abkassieren Mangels Anstand

Kapitel 12

Die richtigen Kühe – Wege aus dem System

Wer die Energie beherrscht,

beherrscht eine Nation.

Wer die Nahrung beherrscht,

beherrscht die ganze Welt.

Henry Kissinger

1

Die Ratte.Die Jäger.Die Wut.

Wie eine zahme Ratte auf dem Bezirksjägertag alles veränderte

Speedy und das Märchen vom Tierwohl

Zehn Bauernfamilien werfen in Österreich Tag für Tag das Handtuch, europaweit sind es im Schnitt an die tausend, und fast immer trifft es kleinere Betriebe. Oft sind es die, die sich der Viehwirtschaft verschrieben haben. Das hat gute Gründe. Danach befragt, würde ein Vollblutpolitiker – durch Spindoktoren und NLP darin geschult, wortreich nichts zu sagen – antworten: „Es ist das komplexe Zusammenspiel einer Vielzahl von Faktoren, ein Ineinandergreifen von Umständen wie auch Interessen und Handlungen jener, die hinter diesen Interessen stehen.“

Die Älteren unter uns haben noch die Ära Bruno Kreiskys miterlebt. Als er Anfang der 1970er-Jahre als Klubobmann einer erstarkten Sozialistischen Partei gegen die ÖVP zur Kanzlerwahl antrat und gewann, punktete er bei vielen Menschen mitunter mit diesem sinngemäßen Versprechen:

„Jeder Arbeiter soll sich täglich sein Schnitzel leisten können.“

Mehrmals pro Woche Fleisch zu essen, war damals, Wirtschaftswunder hin oder her, Privileg der Oberschicht. Für Arbeiter, kleine Beamte und Angestellte wie auch Pensionisten reichte das Geld für derartigen Luxus nicht. Schnitzel und Schweinsbraten gab es fast ausnahmslos an Sonn- und Feiertagen. Es war dies aber auch die Zeit, als Supermärkte begonnen hatten, Frischfleisch in Bedienung anzubieten. Kreisky fand im roten „Konsum“ einen mächtigen Verbündeten, die als Genossenschaft organisierte Handelskette bot auf einmal Fleisch zum sensationell günstigen Preis an. Der hohe Wasseranteil der Ware bei zugleich minderer Qualität war Aufzucht, Futter und Verarbeitung geschuldet, doch das tat der Begeisterung keinen Abbruch. Die Menschen kauften und kauften. Die „Früchte“ der Massentierhaltung, generell der seriellen Produktion von Lebensmitteln – da noch in ihren vergleichsweise harmlosen Anfängen – kamen in der Breite an, nicht zuletzt, weil es bereits Discounter gab. Sie untergruben die Preisbindung der Markenhersteller, die zu dieser Zeit noch vorherrschte und es Erzeugern ermöglichte, allein über die Verkaufspreise ihrer Waren zu bestimmen.

Erste Märkte wanderten an die Peripherie ab, hinaus ins Grüne, wo massenweise Parkplätze zur Verfügung standen. Die Verkaufsflächen explodierten, das Warenangebot desgleichen. Obendrein fiel die Preisbindung, und der Wettbewerb um Marktanteile bei unserer Nahrung definierte sich nunmehr auch (und bald ausschließlich) über das Geld, denn die Dumpingspirale begann sich zu drehen, nahm an Fahrt auf, ohne je innezuhalten.

Das konnte nicht ohne Folgen bleiben. Für uns alle.

Dies wie auch eine Vielzahl weiterer Faktoren befeuerte eine Entwicklung, vor deren Trümmern wir heute stehen, mit Rabattschlachten da und explodierenden Preisen dort. Unser definitiv viel zu hoher Fleischkonsum ist da nur einer von unzähligen Puzzlesteinen, wenn wir nach konkreten Antworten auf die Frage, warum so viele Bauern ihre Höfe aufgeben, fernab des Polit-Blablas suchen. Schlagwörter blitzen vor unserem inneren Auge auf: Pestizide, Klimawandel, CO2- und Methanausstoß, Regenwald, Ausbeutung von Arbeitskraft, Palmöl, Megakonzerne, Essen aus der Retorte, Betrug am Konsumenten, Versagen der Politik und so weiter.

Wie hängt all das zusammen?

Wer sich hinsetzt, um in Ruhe nachzudenken, woran es liegt, wer welche Rolle spielt, welchen Anteil trägt, welchen Profit zieht oder Schaden erleidet und was sich im Sinne einer besseren, gerechteren Welt, eines schonenderen Umgangs mit dem Klima, einer weniger gnadenlosen Vernichtung von Ressourcen und einer gesünderen Ernährung bei gleichzeitig mehr Tierwohl anstellen ließe, und was wir – als Einzelne, aber auch im Kollektiv der Gesellschaft – dazu beitragen können …

… wer also bereit ist, sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen, dem kann der Kopf schon mal gehörig zu rauchen anfangen: bei so viel globalem Warenverkehr und Lobbying, Massentierhaltung und Umweltproblemen, Verschränkungen ohne Ende, und mittendrin auch das Bauernsterben, das mit einer beängstigenden Rasanz voranschreitet.

Brauchen wir die Bauern überhaupt noch?

Stellen wir uns doch mal so eine Welt ohne Bauern vor. Oder zumindest eine, in der es nur noch die Großen gibt. Wo ausnahmslos Massenproduktion herrscht und wir unserem Körper nur noch zuführen, was Konzernbosse, Labormitarbeiter und Marketingabteilungen für angemessen befinden. Genau dorthin geht die Reise nämlich, auch in Österreich.

Vielleicht haben wir nicht sofort ein klares Bild, wie – globalen Marktmechanismen und deren Profitlogik folgend – so eine von landwirtschaftlichen Klein- und Mittelbetrieben „bereinigte“ Welt aussieht, doch vermutlich jede Menge Fragen.

Wenn ich mir etwas wünschen darf, so ist es, dass Sie am Ende der Lektüre dieses Buches sagen: Nein, so eine Welt will ich nicht. Ja, wir sind bereit, mehr als bisher dafür zu tun, darum zu kämpfen, dass sich das System ändert – ohne dass deshalb alle Last der Verantwortung einmal mehr bloß auf uns Konsumenten abgeladen wird. Und wenn ich mir noch etwas wünschen darf, so ist es, dass Sie erhellende Antworten gefunden haben auf Fragen wie diese, um für den Anfang nur ein paar zu nennen:

• Wie verhält es sich mit der Tierhaltung? Gibt es auch bei uns Massenbetriebe wie in Holland, Deutschland oder Spanien?

• Wer garantiert für das Tierwohl? Wer prüft, wie Bauern ihre Tiere behandeln? Wer, ob Tiere jemals Tageslicht sehen?

• Hat nicht jeder Landwirt die Möglichkeit, das Leben seiner Tiere maximal erträglich zu gestalten, so er sie nicht bloß als Betriebsmittel, sondern als Lebewesen sieht? Wenn nein, warum nicht?

• Was ist dran an den Berichten von Tierquälerei, von unhaltbaren Zuständen?

• Wenn das System der Landwirtschaft, der Produktion von Lebensmitteln, wie es heißt, so ausbeuterisch ist, dass die Bauern kaum Geld verdienen – warum spielen nach wie vor so viele mit?

• Woher stammen unsere Lebensmittel? Wie gesund oder ungesund sind sie tatsächlich? Unter welchen Bedingungen werden sie hergestellt? Mit welchen Hilfsmitteln und Tricks? Auf wessen Rücken?

• Was geschieht mit der Kulturlandschaft, unseren Erholungsgebieten draußen vor den Toren der Städte? Wer kümmert sich um sie?

• Wer macht die Preise für unser Essen? Nach welchen Kriterien?

• Welche Rolle spielen Handelsriesen? Wie sehen die Verflechtungen mit der Politik aus?

• Wer sind die Strippenzieher dieses Systems? Wem dient es vorrangig? Wer bleibt darin auf der Strecke?

Der Tierschutz und die Viel-Klassen-Gesellschaft

Eines vorab: Es gibt nur wenig, das mir so sehr am Herzen liegt wie das Wohl der Tiere. Meiner Tiere, aber nicht nur das ihre. Für einen Landwirt mit Leib und Seele, wie auch ich einer bin, versteht sich das von selbst. Gewiss, die schwarzen Schafe existieren überall, auch bei uns Bauern. Seien es Berichte von vernachlässigten Rindern und Schweinen, die wir ab und an zu sehen bekommen, oder jene erschütternden Bilder, die uns erst kurz vor Weihnachten 2022 aus einem Geflügelmastbetrieb1 in der Steiermark erreicht haben.

So schrecklich diese Zustände auch sein mögen und jedem Tierfreund das Herz eng schnüren, so sehr sind sie zum Glück nicht die Regel und für mich keine Motivation, ein Buch wie dieses zu schreiben. Bauern und Betreiber von Mastbetrieben sind per se keine Tierquäler oder generell desinteressiert am Wohl der Geschöpfe in ihren Ställen. Was sie jedoch sind, ist das eine Rad in einem riesenhaften Getriebe von Rädern, in dem sie sich mitdrehen, ja, bisweilen mitdrehen müssen, der eine Teil einer Maschinerie, die ein massives strukturelles Problem hat. Diese Strukturen zu beleuchten, war meine Motivation. Aufzuzeigen, warum es läuft, wie es läuft, und zugleich den Hochglanzlack von jenem Bild einer immer noch heilen Alpenidylle abzukratzen, das uns im Zusammenwirken aus Politik, Werbung, Massenmedien, Handelsriesen und marktbeherrschenden Big Playern, wie Raiffeisen, vorgegaukelt wird.

Dabei kam mir der glückliche Umstand zu Hilfe, dass ich über Jahrzehnte hinweg tiefe Einblicke in gleich mehrere Welten nehmen durfte. Weder bin ich nur ein Bauer, der meint, Politiker spielen und gescheit daherreden zu müssen, noch nur ein Politiker, der meint, den Menschen in puncto Landwirtschaft und Lebensmittel die Welt erklären zu können – bloß weil irgendwo in seinen Adern ein paar Tropfen bäuerliches Blut fließen, auf die er sich bei Bedarf beruft, ohne von der Praxis einen Schimmer zu haben. Weder bin ich Anhänger irgendwelcher Verschwörungstheorien, noch trete ich an, blindlings „Bashing“ in diese oder jene Richtung zu betreiben. Ich halte bloß die Augen offen und versuche zu tun, was ich stets getan habe: mir selbst treu zu bleiben.

Darum habe ich mich bemüht, Bauer- und Politikersein zu vereinen, wenn ich frühmorgens nach dem Ausmisten aus den Stallstiefeln geschlüpft bin und hinein ins Auto, um nach Wien zu einer Sitzung im Bundes-, später Nationalrat oder in irgendeinen Ausschuss zu fahren. Und darum bemühe ich mich heute noch. Heute wie damals höre ich mir die Sorgen und Nöte jener – fast hätte ich gesagt – Kaste an, der ich selbst entstamme und mit Begeisterung und Stolz angehöre. Ich höre zu, lerne, ziehe meine Schlüsse.

Zugleich versuche ich, informiert zu bleiben, die Verzahnungen einzelner Systeme zu einem übergeordneten System zu erfassen, zu begreifen und mit Erfahrungen abzugleichen, die ich sammeln durfte, um es als gebündeltes Wissen weiterzugeben. Es war mir vergönnt, das System Politik über lange Zeit von innen heraus zu studieren und in seiner bestehenden Form missachten zu lernen.

Aufzeigen, warum es läuft, wie es läuft. Das ist mir gerade in Sachen Tierwohl ein Anliegen. Schließlich leben nicht nur wir Menschen in einer Viel-Klassen-Gesellschaft. Die Tiere tun es auch, bloß dass unsereins Gesellschaften innerhalb der Gesellschaft durch eigenes Handeln schafft, Tiere indes diese Abstufungen aufgezwungen bekommen. Von uns Menschen.

Eine Ratte als Sittenbild der Doppelmoral

Darum möchte ich Ihnen zum Einstieg auf den folgenden Seiten die Geschichte rund um die Ratte Speedy erzählen. Ich habe den kleinen Nager auf dem Bezirksjägertag von Vöcklabruck eingeschleust, im Wissen, neben mir – auf dem Podium der Ehrengäste – würde der Landeshauptmann sitzen. Die Sache sollte (so viel vorab) einen handfesten Eklat nach sich ziehen und zugleich einen Wendepunkt in meinem Leben markieren. Ohne Speedy wäre tatsächlich alles anders gekommen. Kein Landeshauptmann hätte einen hochroten Schädel bekommen und vor versammelter Partei-Prominenz einen Wutanfall. Meinen medienwirksamen Hinauswurf aus dem Bauernbund hätte es ebenfalls nicht gegeben. Auch hätten – im Gefolge dessen – 1.200 Landwirte mit 400 Traktoren niemals demonstriert und die Kriminalpolizei auf den Plan gerufen. Und zum gewaltsamen Sturm auf ein Gasthaus hätte auch niemand (ums Haar) angesetzt. Desgleichen hätte …

Hätte, hätte, hätte. Was für ein Rattenschwanz an Konsequenzen wegen einer kleinen, harmlosen, noch dazu handzahmen Ratte!

Aber am besten alles schön der Reihe nach. Punkt für Punkt möchte ich es im Folgenden darlegen. Wie es bei den Haus-, Nutz- und sonstigen Tieren anfängt und bei Bio-Wahn und Bio-Lüge im Stall, auf dem Acker, im Supermarkt endet. Wie die systematische Täuschung der Menschen von A wie AMA-Gütesiegel bis Z wie Zucker reicht. Und warum es keine Rolle spielt, ob wir von Österreich, Deutschland, der Schweiz, Italien oder einem anderen Land sprechen. Die Auswüchse in meiner Heimat sind mir naturgemäß am nächsten.

Der Hochmut und die Hinterbank

Als Landwirt aus einem Dorf wie Aurach am Hongar im Hausruckviertel sich aufs glatte Wiener Parkett der Politik zu begeben, bleibt nicht ohne Folgen und Gegenwind. Man prallt auf ein System, dessen führende Köpfe sich selbst dienen und bedienen und Menschen einfacher Herkunft, wie auch ich einer bin, mit einer generellen Skepsis und Herablassung begegnen. Das war eine der größten Lehren, die ich zog, als ich vor mehr als 20 Jahren aus der Landes- in die Bundespolitik wechselte. Rasch begriff ich die Blicke, die wortlos sagten: Du magst ja ein gewisses Ansehen genießen in deinem Dorf. Und eine Gaudi beim Spritzertrinken ist es auch mit dir. Aber das hier ist eine andere Liga. Champions League, verstehst du?

Vom Hinterwäldler ist es ja – sprachlich zumindest – nicht weit zum Hinterbänkler, jener Subspezies von Abgeordneten, die sich die Hörner erst abstoßen, ihre Redezeit am Pult erst verdienen müssen. Sofern sie überhaupt etwas sagen wollen. Zu einem verstorbenen Nationalratsabgeordneten, langjähriger Bürgermeister einer Gemeinde in Osttirol, hält sich hartnäckig die Geschichte, er habe in seinen 16 Jahren im Nationalrat eine einzige Wortmeldung abgegeben, welche wiederum aus einer Ein-Wort-Forderung bestanden habe:

„Pause!“

Ob wahr oder sanfte Übertreibung – die Geschichte legt lebhaft Zeugnis über ein beschämendes Sittenbild ab.

Klassischer Hinterbänkler sein wollte ich niemals. Ich wollte von Anfang an mitgestalten statt mitverwalten. Weder peilte ich den Versorgungsposten danach an, noch begab ich mich in anderweitige Abhängigkeiten. Das macht es um vieles leichter, die Goschen nicht zu halten, ist aber auch Garant fürs Anecken.

Ein Bundesräte-Treffen zum Tierschutz mit Folgen

Phase 1 – erste Unstimmigkeiten

Der Bundesrat ist Teil des Zwei-Kammern-Systems der Gesetzgebung und ein dem Nationalrat nachgeschaltetes Instrument – eine Art kleiner Bruder des Nationalrats also, dessen Mitglieder (61 an der Zahl, ein Drittel der Nationalratsabgeordneten) vom Landtag in den Bundesländern proportional zu den politischen Mehrheitsverhältnissen in den Bundesländern entsandt werden mit dem Auftrag, die Interessen der Länder zu vertreten. Vor allem will der Bund neue Gesetze erlassen.

So viel zur etwas langweiligen Theorie. In der Praxis wird die Sinnhaftigkeit dieser Institution gerne infrage gestellt, weil der Bundesrat …

… von Parteien als Kaderschmiede missbraucht wird, um Jungspunden erste Atemzüge in der Welt der großen Politik zu ermöglichen.

… dazu dient, um altgediente, unliebsame, in Ungnade gefallene Mandatare aus dem Nationalrat wegzuloben, ohne sie ganz vom Futtertrog zu verbannen.

… für die Presse wenig bis gar nicht attraktiv ist. Er ist vielmehr – um es in der Bauernsprache zu sagen – eine Art Wiederkäuer, würgt Themen empor, kaut sie durch, wiewohl sie Wochen zuvor im Parlament durchgekaut wurden und keinen Journalisten hinter dem Ofen hervorlocken. Und – als Hauptgrund der Kritik:

Der Bundesrat hat nichts zu sagen.

Nun ja, nichts stimmt nicht ganz. Schließlich kann er ein „suspensives Veto“ einlegen, aufschiebenden Einspruch für maximal acht Wochen. Nachhaltig bewirken kann das Veto nichts. Das ist wie beim Kartenspielen, wenn der eine noch so gut zu agieren glaubt, doch der andere stets das bessere Blatt in Händen hält und über alles drüberfährt. Dieses Über-alles-Drüberfahren (zu erwirken mit einfacher Mehrheit, in einer Koalition, die nicht am Zerbröseln ist, also praktisch immer) nennt sich im Politiker-Sprech so:

Beharrungsbeschluss.

Ein „absolutes Veto“ gibt es auch. Dort, wo der Staat direkt in die Gesetzgebung der Bundesländer eingreifen und zugleich die Verfassung ändern möchte, wenn er z. B. meint, die Landesschulräte sollten von nun an Bundessache sein. Auch Bereiche wie Landwirtschaft, Wohnbauförderung oder Raumordnung zählen dazu.

Doch es wäre nicht Österreich, gäbe es für die Ausnahme nicht eine Reihe von Ausnahmen, die in größerer Stückzahl als die Regel selbst vorliegen, und so kam es in der Zweiten Republik erst ein einziges Mal vor, dass dieses absolute Veto angewandt wurde: Das war unter Türkis-Blau bei der Ökostromförderung, als die Sozialisten im Bundesrat Njet sagten.

Fahnentreue oder reines Gewissen?

Hätten Sie mich einst nach Bedeutung und Notwendigkeit des Bundesrates gefragt, hätten Sie in mir einen glühenden Befürworter vorgefunden. Ich war selbst jahrelang Mitglied und wollte etwas bewegen.

Der Tag, von dem ich nun spreche, war kein gewöhnlicher Sitzungstag des Bundesrates. Es war eine gemischte Veranstaltung. Ein Hearing zur Novelle des Bundestierschutzgesetzes, angesetzt im Parlament und mit Beteiligung von Nationalrat, Bundesrat und externen Experten. Einer von ihnen war der von mir sehr geschätzte Professor Alfred Haiger, damals Vorstand im Institut für Nutztierwissenschaften an der Universität für Bodenkultur in Wien, ein Kapazunder auf seinem Gebiet und unermüdlicher Promotor kleiner, regionaler Einheiten, für die auch ich plädiere. Ein Gegengewicht zur Größer-noch-größer-Doktrin, die nichts als fatalen Preis- und Arbeitsdruck erzeugt und von niemandem gewünscht wird – ausgenommen Industrie und Handel.

Ungeachtet dessen stand für mich außer Frage, dass mein Gewissen an diesem Tag – vor allem beim Tierschutz – einmal mehr stärker sein würde als meine Lust auf Fahnentreue. Dabei kam mir jedoch der zweite geladene Experte in die Quere – der damalige Direktor im Tiergarten Schönbrunn, Helmut Pechlaner. Meine eigene Partei, die ÖVP, hatte ihn als Gastexperten entsandt. Pechlaners Aufgabe bestand darin, Stimmung zu machen für die geplante, hinter den Kulissen längst ausgeschnapste, Novelle.

Doch was sah die Novelle überhaupt vor?

In kurzen Worten: Die Novelle war ein Rückschritt, eine Abkehr, von errungenen Verbesserungen früherer Tage. Hundewelpen zum Beispiel durften damals in Zoohandlungen gar nicht mehr angeboten werden, das neue Gesetz sah vor, dass dies sehr wohl wieder möglich sein sollte. Unter bestimmten Voraussetzungen wie einem „verpflichtenden Verkaufsgespräch, um Spontankäufen vorzubeugen“. Und einem „Betreuungsvertrag mit einem Tierarzt“.

Die Tierschützer der Grünen gingen zu Recht auf die Barrikaden. Und leider blieb nur folgende Erkenntnis:

Die Diskussion um den Tierschutz ist fadenscheinig und verlogen. Was wir brauchen, ist ein viel breiterer, fairer Zugang. Eine gesellschaftliche Diskussion, die der Gesamtheit gerecht wird. Und nicht die x-te Neuauflage eines milliardenschweren Geschäftsmodells, weil das, worum es wirklich geht, zweitrangig ist: das Tierwohl.

Zur Veranschaulichung ein Beispiel:

Warum erklären wir die Wespe zum Todfeind und rücken ihr mit Giftgas zu Leibe, während die Biene den Status einer Heiligen genießt? Sind nicht alle beide Nützlinge? Fressen nicht sogar die einen (Wespen) die lästigen Gelsen und andere Insekten? Versehen nicht alle beide den wichtigen Dienst des Bestäubens von Blüten? Besteht der größte Unterschied nicht darin, dass die eine nur einmal zustechen kann und die andere mehrmals? Oder liegt es am Honig, den uns die Wespe nicht schenkt? Oder womöglich daran, dass die eine (Biene) eine mächtige Zeichentrick-Verbündete hat und die andere (Wespe) nicht?

Das klingt lächerlicher, als es in der Realität des politischen Aktionismus ist. Die Macht der Symbolik ist enorm, und mir fällt dazu diese Begebenheit vom Mai 2013 ein:

Das Waterloo mit der Biene Maja

Niki Berlakovich war damals ÖVP-Minister. Der Burgenländer galt lange als DIE Nachwuchshoffnung einer personell vor sich hin kränkelnden ÖVP (Sebastian Kurz ging da gerade nicht mehr zur Schule und hatte es nach einigen Runden mit dem Geilomobil zum jüngsten Staatssekretär des Landes geschafft). Berlakovichs Strahlemann-Image hatte jedoch nach einer peinlichen Affäre rund um einen verpassten Flug und seinen Zornausbruch der Botschaftsvertretung in Frankreich gegenüber erste Schrammen erlitten.

Dann kamen die Bienen.

Genauer gesagt: die EU-Abstimmung über ein Verbot der Neonicotinoide, jener synthetischen Chemie-Wunderwaffe, die bei fast allen 5.000 heimischen Zuckerrübenbauern gegen den Rüsselkäfer und bei Maisbauern gegen den Maiswurzelbohrer im Einsatz stand und nach wie vor steht. Jene Chemie-Wunderwaffe aber auch, die seit Jahren für das Bienensterben mitverantwortlich gemacht, von Umweltschützern bekämpft wird (und mittlerweile zum Teil durch ein Mittel ersetzt worden ist, das halb so wirksam ist, dafür viermal so teuer).

Wie so üblich, entsandte auch der rot-weiß-rote Minister einen ranghohen Beamten nach Brüssel, der an seiner statt die Hand heben sollte. Der tat wie befohlen und stimmte gegen ein Verbot des Pflanzenschutzmittels. Österreich befand sich damit an der Seite von Italien, Tschechien, Ungarn, Portugal, Rumänien, der Slowakei und dem Vereinigten Königreich in einer Ein-Drittel-Minderheit.

Was geschah?

Ein Aufschrei ging durchs Land. Berlakovichs Ausritt diente den anderen Parteien im Wahlkampf als Steilvorlage, und für das Volk war Niki Berlakovich ab sofort Österreichs Bienenstaatsfeind Nummer 1. Nicht zuletzt, weil die Kronen Zeitung landesweit ein Bild der Biene Maja auf der Titelseite brachte und Berlakovich die Leviten las. Noch am Morgen des Erscheinens rief der Minister einen leitenden Redakteur des mächtigen Blattes an (er hat es mir selbst erzählt) und bat dringend um einen Termin. Man traf sich Stunden später in einem Lokal am Donaukanal bei der Urania und saß im hintersten Eck mit Blick aufs Wasser. Ein Mitarbeiter des Ministers stand abseits und sah zu, dass niemand sich dem vertraulichen Gespräch näherte.

„Was habe ich falsch gemacht, dass alle über mich herfallen?“, fragte der Minister verdattert, „jetzt sogar ihr von der Krone!“ Womit Berlakovich das damals schon mehr als nur wohlwollende Verhältnis zwischen Blatt und Partei ansprach.

„Du hast es verbockt, Niki“, sagte der Journalist. „Wer gegen die Biene Maja ist, hat in diesem Land verloren. Sorry, aber so ist das nun mal. Das ist einfach … too much, verstehst du? Da kann ich leider nichts machen. Befehl von ganz oben.“

Experten-Warnung als Staubfänger in der Schublade

Berlakovich legte über Nacht mit einer 180-Grad-Wende einen Kniefall vor dem Boulevard aufs Parkett, berief einen Bienengipfel ein und war von da an strikt für ein Verbot der Neonicotinoide. Welch verheerende Gefahren diese Giftbomben bergen, musste ihm jedoch schon fast zwei Jahre zuvor bekannt gewesen sein, nachdem ihn ein Experte der Universität für Bodenkultur in Wien, Stefan Mandl, eindringlich darauf aufmerksam gemacht hatte.

Zur Veranschaulichung: Ein Gramm der Substanz kann bis zu vier Milliarden (!) Bienen töten, das entspricht 160.000 Bienenvölkern – theoretisch und bei kleinräumiger Anwendung, die in der Regel aber nicht der Fall ist. Doch auch so ist das Todespotenzial des Mittels schaurig, und jene, die einen Kontakt überleben, werden zu Alzheimerbienen, vergessen erlernte Düfte oder verlieren im Fall von Männchen die Fähigkeit zur Fortpflanzung. Desgleichen töten Neonicotinoide zuhauf Hummelpopulationen, weil die Tiere nach Gifteinwirkung zu langsam mit den Flügeln schwirren, was dazu führt, dass sie weniger Nahrung sammeln können und sterben. Darüber hinaus schädigt das Gift eine Vielzahl anderer Lebewesen, befördert Regenwürmer, Schmetterlinge, Käfer und andere Insekten ins Insekten-Nirwana – und bringt das Ökosystem in akute Gefahr. Alles bloß ein Kollateralschaden, den man im Kampf gegen Rüsselkäfer, Maiswurzelbohrer und andere Schädlinge hinnehmen muss?

Weder der Minister noch sein Team hatten auf Mandls Bericht reagiert, das Papier in einer Schublade zum Staubfänger verkommen lassen und stattdessen die Argumentation einer von drei Chemiekonzernen mitfinanzierten Studie2 zur relativen Unbedenklichkeit der Neonicotinoide weitestgehend übernommen – bis er sich seine Schelte in der Krone abholte und den jähen Sinneswandel, ausgestattet mit einem diplomatischen Aber, so erklärte:

„Wir wollen die Bienen schützen. Wir wollen aber auch die Bauern schützen.“3

Als Minister für Umwelt UND Landwirtschaft in Personalunion beide Interessen vertreten zu wollen, wäre selbst für einen Schizophrenen in Bestform keine ausgemachte Sache. Berlakovich musste demnach scheitern, und da half auch nicht, dass 94 Prozent aller Ministeriumsinserate mit seinem Bildchen versehen waren, und auch nicht eine vom Rechnungshof angeprangerte 4,4 Millionen-Euro-Homepage. Wenig später war Berlakovich als Regierungsmitglied Geschichte. Doch er fiel nicht tief, blieb Abgeordneter und wurde obendrein Präsident der Landwirtschaftskammer im Burgenland.

2018 war EU-weit endlich Schluss mit Neonicotinoiden. Österreich hebelte allerdings das Verbot prompt durch eine „Notzulassung“ für den Rübenanbau wieder aus, und eine von Berlakovichs Nachfolgerinnen, Elisabeth Köstinger, blendete den Bauchfleck ihres Parteikollegen mit diesen Worten aus:

„Uns war stets eine gemeinsame europäische Lösung wichtig.“ 4

Der Hohn mit dem Tierschutz

Damit zurück zum Thema, denn die Bienen sind im fadenscheinigen Umgang mit dem Wort Tierschutz nur das eine. Hier weitere Beispiele:

Warum vergiften wir Fischreiher und hängen für Störche fast schon Welcome-Transparente an die Schornsteine?

Warum sperren wir Katzen und Hunde (artgerecht?) in kleine Wohnungen und beklagen uns zugleich, dass Bauern (die wir persönlich nicht kennen) ihre Tiere nicht rund um die Uhr auf die Weide lassen, um beim nächsten Einkauf superbilliges Tierfabrikfleisch unbekannter Herkunft ins Wagerl zu legen?

Warum kümmert niemanden, wenn Fische in dichtester Haltung neuerdings sogar in Baumärkten zu kaufen sind?

Warum lieben wir Schwäne auf Ansichtskarten und erklären sie im echten Leben zur Plage, wenn ihre Population wächst und sie beispielsweise den schönen Attersee mit ihren Exkrementen verunstalten? Im konkreten Fall, im Sommer 2020, endete das damit, dass Tiere mit aufgeschlitzten Hälsen beim Seeabfluss ein Wassergrab fanden und zugleich das Bundeskriminalamt (absurd, aber wahr) Ermittlungen aufnehmen musste, weil ein Urlauber jemanden beim Füttern der Tiere beobachtet und sich beschwert hatte.8

Wo beginnen die Interessen von Tourismus und Wirtschaft? Inwieweit hat echtes Tierwohl hier noch Platz?

Und müssen wir nicht auch weiterdenken, wenn wir schon den Schwänen die Trübung unseres Freizeitvergnügens unterstellen? Etwa (Beispiel Attersee) an den immensen Lufteintrag von Schadstoffen, den die Autoschlangen in den Sommermonaten verursachen? So hat das renommierte Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen zum Thema errechnet, dass von den 300.000 Tonnen Mikroplastik, die Jahr für Jahr allein in Deutschland in die Umwelt gelangen, bei 51 Quellen der mit Abstand größte Verursacher der Abrieb von Autoreifen ist – und zwar jener der heiligen Kuh Privat-Pkw. Auf Platz 3 des Rankings findet sich der Abrieb von Asphalt, auf Platz 6 die Freisetzung von Baustellen – und auf Platz 7 der Abrieb unserer Schuhsohlen.9

Was sagt uns das über das Schadensausmaß durch die Schwäne?

Wie verhält sich der Tierschutz beim Wolf, wenn er in einer Nacht 20 Schafe tötet und weitere acht notgeschlachtet werden müssen?

Warum zerschneiden, vergiften oder salzen wir Schnecken zu Tode oder zertreten sie? Handelt es sich hierbei um keine Lebewesen?

Die Jagd wiederum genießt einen Sonderstatus. Warum wird hierbei nicht ebenso differenziert, wie wir es anderswo als selbstverständlich erachten?

Die Antwort ist so schlicht wie ernüchternd:

Tierwohl endet, wo Profit beginnt.

Besonders gut abzulesen ist dies bei den Ratten. Wir bescheren ihnen einerseits einen qualvollen Tod durch Giftköder und züchten sie andererseits millionenfach, um sie zum Kilopreis an Schlangenhalter zu verkaufen (allein im Bezirk Linz-Land sind 115 Züchter gemeldet) oder in Labors einzusetzen. Gerade an ihnen manifestiert sich die Doppelmoral auf erschreckend erhellende Weise: Mal sprechen wir einer Spezies das Recht auf Leben zu, mal ab. Je nachdem, ob es den Interessen dient oder nicht.

Haben wir uns nicht längst einem Leitbild für den Umgang mit Tieren unterworfen, das fast ausnahmslos dem Geschäftssinn folgt und kaum noch echten Werten?

Auch die Wissenschaft spielt mit

Noch ein Wort zu den Laborratten: Mehr als 200 etablierte Methoden in der human-medizinischen Forschung gibt es mittlerweile, die ohne Tierversuche auskommen und keine schlechteren Resultate erzielen. Die Erfolgsquote bei auf Basis von Tierquälerei entwickelten Medikamenten ist ohnedies schaurig: Gegen die Erkrankung Alzheimer existieren rund 400 Arzneien, die bei Mäusen wirken – doch kein einziges hilft Menschen. Ähnlich verhält es sich bei der Krebsforschung. Generell liegt die Erfolgsquote von Mitteln, die bei Tieren funktionieren, im menschlichen Anwendungsbereich bei unter zehn (!) Prozent.10

Einen Gegentrend in Richtung menschenbasierter Methoden gibt es längst, so zum Beispiel an der Charité in Berlin, wo ein neues Zentrum zur Entwicklung alternativer Methoden eröffnete. Man wolle, hieß es, zur Hauptstadt dieser zukunftsträchtigen Methoden avancieren. Nachdem sich der Dekan der berühmten Einrichtung im Magazin der Süddeutschen Zeitung kritisch zu Tierversuchen geäußert hatte, war der Abgang eines ausgewiesenen Tierversuchsexperten zu vermelden, der wenig später an der Johannes-Kepler-Universität (JKU) in Linz anheuerte. Kurz darauf wurde von dort der Ruf nach einem neuen Tierversuchszentrum laut. Obwohl selbst aus den eigenen Reihen der Krebsforscher heftige Kritik an den Methoden dieses Zentrums erhoben wurde und es einen Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ mit prominenter Besetzung gibt, tat das dem Engagement in Linz keinen Abbruch.

Dabei denken bereits ganze Nationen um. Die Niederlande haben ein Verbot der systematischen Tierquälerei für 2025 in Aussicht gestellt, die USA wollen bis 2035 nachziehen. Auch Großbritannien sendet Signale in eine ähnliche Richtung. Wo die Gewichtung andernorts liegt, ist an der Verteilung der Mittel zu ersehen: So werden in Deutschland (gestützt durch Förderungen) jährlich rund 4,8 Milliarden Euro in Tierexperimente gesteckt – und 20 Millionen in tierversuchsfreie Methoden mit denselben Zielen. Also nicht einmal ein halbes Prozent davon. In Österreich ist dieses Verhältnis ähnlich.

Oberste Regel: Vorsicht mit Ikonen!

Tierversuche brauchen wir wirklich nicht mehr. Womit sich hier der weite Kreis schließt und wir zurück sind bei jenem Hearing im Parlament, wohin ich Sie eingangs eingeladen habe. Als sich die Ränge gefüllt hatten und das Tierschutz-Hearing begann, wurde meine Wut über die Art, wie die Diskussion darüber geführt wurde, immer größer. Nein, keine Tierversuche. „Kümmern Sie sich doch lieber um Ihre Elefanten, Herr Pechlaner!“, rief ich ihm quer durch den Saal zu. „Und wir Bauern kümmern uns um unsere Viecher!“

Das kam nicht überall gut an, und am allerwenigsten, von Pechlaner abgesehen, bei den linientreuen Ja-Sagern meiner eigenen Partei. Mag sein, dass mein Einwurf unter der Gürtellinie war, weil der Anlass, auf den ich mich bezog, ein zutiefst trauriger war. Ich sprach ja jenen verhängnisvollen Sonntagnachmittag im Tiergarten Schönbrunn an, als der pubertierende Elefantenbulle Abu seinen Pfleger, einen 39 Jahre alten Vater zweier Kinder, plötzlich mit den Stoßzähnen aufspießte und tödlich traf.

So kam es, dass ich gegen Helmut Pechlaner, der sicher ein verdienter Experte in vielen Belangen ist, auftrat und mir damit aber natürlich den Unwillen meiner Partei zuzog.

Damit stand ich unter Beobachtung.

Der Samen für meinen Bruch mit der Österreichischen Volkspartei war in der Welt und begossen – und so begann er unausweichlich zu wachsen und zu gedeihen.

Der Bezirksjägertag

Phase 2 – Sprünge und erste Brüche

Nun aber endlich zum Bezirksjägertag. Mit dichtem Programm, Ansprachen, Trophäenschau, der Wahl von Bezirksjägermeister und Stellvertreter, des Bezirksjagdrates, der Delegierten und so weiter.

Als Bezirksobmann des Bauernbundes und Bezirksbauernkammerobmann war auch ich einer der Geladenen. Und ich brachte die Ratte Speedy mit. Diese ungewöhnliche Begleitung erregte natürlich hohes Aufsehen, besonders da mein Platz am Podium war, und noch bevor das Programm begann, wurde ich vehement aufgefordert, die Ratte zu entfernen.

Der Festredner war Landeshauptmann Josef Pühringer. Er staunte nicht schlecht.

„Das ist der Speedy“, sagte ich in seine Richtung und nickte wohlwollend, „und der spielt heute eine Hauptrolle.“

Vielleicht sagte ich auch: die Hauptrolle. So genau weiß ich das nicht mehr. Das tut aber auch nichts zur Sache. Einem Landeshauptmann als Festredner auf einer Provinzbühne namens Bezirksjägertag das alleinige Vorrecht auf die Hauptrolle abzusprechen, ist Sakrileg genug. Und wenn der Konkurrent um den schauspielerischen Hauptakt eine Käfigratte ist – na dann, gute Nacht!

Dann ging es auch schon los, und Speedy blieb, wo er war: dicht an meiner Seite und mit freiem Blick auf den zunehmend irritierten Landeshauptmann. Punkt für Punkt wurde die Tagesordnung abgespult, bis ich an die Reihe kam mit meiner Rede und sagte, was zu sagen war: Ich sprach von der Doppelbödigkeit in Sachen Tierschutz, von der Verlogenheit der Gesellschaft im Umgang mit sogenannten Nützlingen und Schädlingen, von der Zwiespältigkeit der Tierhaltung in Großstädten, von der Vergötterung der Haustiere bei zugleich alles anderer als artgerechter Haltung. Zur Unterstreichung des Gesagten hielt ich ab und an Speedy in die Höhe.

Kurz nach mir war der Landeshauptmann mit seiner Ansprache an der Reihe, als Höhepunkt im Programm, ehe es zum gemütlichen Teil überging. Bemerkenswerterweise konnte schon eine Stunde danach niemand mehr den Inhalt seiner Rede wiedergeben, auch nicht ansatzweise.

Speedys Auftritt hingegen hatte dauerhaften Eindruck hinterlassen. Nicht bloß, dass die Schulterklopfer (mit verstohlenem Blick) fast anstanden, nein, auch heute noch, so viele Jahre danach, werde ich darauf angesprochen. Es hat den Anschein, als hätte ich den Nerv getroffen. Auf den Punkt brachten den breiten, doch lieber klammheimlichen, Zuspruch die Worte eines Freundes. Er raunte mir, die Folgen erahnend, noch während der Veranstaltung zu:

„Leo, du hast ja recht mit allem, was du sagst. Aber sagen hättest es nicht dürfen.“

Der Landeshauptmann und der Tierschutz

Phase 3 – der Bruch

Anderntags erschien ein Bericht zum Bezirksjägertag in der BezirksRundschau sowie im Regionalteil der Oberösterreichischen Nachrichten. Medial war die Husky-Ratte Speedy ein Renner. In meinem Sprengel allemal. Und ich muss gestehen: Es bereitete mir einige Freude, mit Speedy auf der Schulter für das Zeitungsfoto zu posieren. Natürlich wurde die Geschichte ein wenig aufgebauscht. In gewissem Sinne wehte ein Hauch der alten David-Goliath-Geschichte durch den Bezirk und darüber hinaus, bloß mit definitiv anderem Ausgang. Weil mir natürlich klar war, dass ich den Riesen nicht zu Fall bringen würde.

Ein paar Tage später war Landesparteikonferenz in Linz.

So eine Landesparteikonferenz wie jene im Raiffeisenhaus ist nichts Erhebendes. Es sei denn, das Knistern der aufgeladenen Stimmung macht sich schon zu Beginn bemerkbar. So war es auch damals, denn ehe es losging, funkelte Landeshauptmann Josef Pühringer in meine Richtung und knurrte mit diesem bestimmenden Tonfall, in dem Menschen seiner Position Machtworte auszudrücken pflegen und jeden Widerstand kategorisch ausschließen:

„Noch bevor wir zur Tagesordnung übergehen … Leo … dass das klar ist: Kein Wort mehr über den Tierschutz.“

Speedy auf dem Bezirksjägertag hatte also seine Wirkung hinterlassen und David dem großen Goliath ein blaues Auge geschossen. Ob ich überhaupt noch etwas zum Tierschutz hätte sagen wollen oder nicht, war für mich an diesem Montagmorgen nicht das Thema. Darüber hatte ich im Vorfeld gar nicht nachgedacht. Doch allein der Versuch, mir vor versammelter Truppe einen Maulkorb zu verpassen, weckte meinen Widerspruchsgeist.

„Sepp“, gab ich so emotionslos wie möglich zurück, „das schaffst du mir nicht an.“

Still war es auf einmal im Saal, wie bei der berühmten Stecknadel, nach deren Fallen man die Stille hört.

Dann sprang der Landeshauptmann auf und donnerte auch schon fuchsteufelswild drauflos:

„ICH HABE GESAGT, KEIN WORT MEHR VON DIR ZUM TIERSCHUTZ!!!!!“

Schreien ist nicht so meine Sache.

Nun stand auch ich auf, ganz langsam, ganz bedächtig. Ebenso bedächtig sagte ich nun ein zweites Mal:

„Sepp … das … schaffst … du … mir … nicht … an.“

Das war’s dann. Mir war das klar. Allen anderen im Saal ebenso. Doch es ging eben nicht anders.

Der Hinauswurf aus der Heiligen Familie

Es war der 19. Februar 2008, als ich ein historisches und richtungsweisendes Schreiben erhielt: meinen Hinauswurf aus dem Bauernbund.

Heute noch treibt es mir Tränen der Heiterkeit in die Augen, lese ich die Bergündung. Sie erinnert mich an den einen oder anderen Eintrag ins Klassenbuch während meiner Schulzeit und ist doch auf eine Weise entlarvend, sodass ich sie Ihnen nicht vorenthalten möchte, hier im Originalwortlaut:

Grund Nr. 1:

„Bei diversen Sitzungen der Gremien fällt er jahrelang negativ durch zu spätes Kommen, früheres Gehen, Telefonieren, provokante Fragen und Zwischenrufe auf.“

Grund Nr. 2:

„Weitere Beschimpfungen wie etwa ’Was Rosinger (damaliger Direktor des OÖ. BB. Anm.) schreibt, ist hübsch das gleiche, was eine Kuh hinten raustut’, ferner ’Dem brat ich morgen eine auf’ (Steinbichler über BBKO Striegl) sowie weiters über BR Tiefnig, NR Prinz, Mitarbeiter der LKOÖ usw.

(Dazu möchte ich festhalten: Was die Kuh hinten raustut, wie da steht, ist nichts Verwerfliches, weil Biomasse. Außerdem habe ich gesagt: „Was der Bauernbund-Direktor Rosinger absondert, landet an derselben Stelle wie das, was bei der Kuh hinten rauskommt … auf dem Misthaufen.“ Und zum Rest stehe ich auch.)

Grund Nr. 3:

„Gründung der IG Milch und Obmann-Stellvertreter, die öffentlich mit direkten Mitbewerbern des Bauernbundes zusammenarbeiten und Stellung bezieht und von ihren Statuten her die Interessen gegen u. a. die Landwirtschaftskammer und das Ministerium (also durchwegs mit Bauernbundfunktionären besetzte Organisationen) vertreten will.“

(Abgesehen von der unbeholfenen Formulierung … mein Zutun bei der Gründung der IG Milch im Kampf gegen Methoden und Vormachtstellung von Molkereien und Supermärkten hatte den Herrschaften damals tatsächlich sauer aufgestoßen, alles dazu in Kapitel 4).

Grund Nr. 4:

„Gründung der IG Fleisch als Konkurrent zu funktionierenden bäuerlichen Organisationen am Markt, dazu Falschaussagen zur Verunsicherung der Konsumenten.“

(Hintergrund ist, dass ich damals schon von der statistischen Überschusslüge, vgl. Kapitel 10, gesprochen und Konsumenten angeblich zu Unrecht beunruhigt hatte.)

Grund Nr. 5:

„Aufruf zum Boykott der Agrarstrukturerhebung (als BB-Bezirksobmann – für den Bezirksvorstand des Bezirkes Vöcklabruck.“

(Ja, nieder mit jenen, die es wagen, etwas verbessern zu wollen!)

Grund Nr. 6 (mein Favorit):

„Steinbichler gratuliert AK-Präsident Tumpel und kritisiert ’die Interessensvertreter und Politiker in der Landwirtschaft’“

(Stimmt genau. Ich hatte es gewagt, Herbert Tumpel, langjähriger Präsident der Arbeiterkammer und politischer Gegner, zu seinen erfolgreichen Lohnverhandlungen zu beglückwünschen und als Vorbild für die bäuerliche Vertretung darzustellen. Eine Todsünde.)

Grund Nr. 7:

„Steinbichler fordert zum Milchpreis und hohen Betriebsmittelpreisen ’klare Antwort von Politik und Interessensvertretung’!“

(Klare Antworten fordern? Da könnte ja jeder kommen.)

Grund Nr. 8:

„Halbherzige Distanzierung von Vorwürfen der IG Milch gegen den Bauernbund im Jahr 2005.“

(Was hätte ich denn tun sollen, um glaubwürdig rüberzukommen? Mich entleiben?)

Grund Nr. 9:

„Öffentliche Äußerungen, die gegen die Menschenwürde verstoßen.

(Es ging bei einer Diskussion darum, was beispielsweise in einer Extrawurst landet, wovon der Konsument keine Ahnung hat. Und da fiel mir ein, mit welcher Urgewalt – an die viertausend PS – so ein Kutter genannter Fleischwolf in einer Wurstfabrik alles zerkleinert. Was da alles passieren kann.)

Grund Nr. 10:

„Geschmackloser Missbrauch eines tragischen Unfalles im Tiergarten Schönbrunn zum Polemisieren gegen das Tierschutzgesetz in Presseaussendungen und Leserbriefen.“

(Die erwähnte Geschichte mit Zoodirektor Pechlaner und dem Elefanten. Vom Düpieren eines Landeshauptmannes mit einer Ratte war übrigens nicht die Rede.)

Der Aufmarsch

Dass ich aus dem Bauernbund rausfliegen könnte, war mir lange vor Erhalt des Briefes klar, zumal ich in etwa wusste, was bei dem Tribunal gesprochen worden war. Wir leben schließlich in einer Demokratie, und so durfte auch ich einen Vertreter zu jener Hearing genannten Verhandlung entsenden, wo es um die Wurst ging.

In Wahrheit bin ich dem Gremium bis heute dankbar. Wie sonst hätte ich zwei Erkenntnisse fürs Leben gewonnen:

- Erkenntnis Nr. 1: Aktive Landwirte, die bei der Ernte auf dem Feld oder im Stall stehen und aus der Praxis berichten, sind eher nicht erwünscht. Erwünscht sind die Parteisoldaten. Jene braven Funktionäre, die stets strammstehen, zwecks Ausnüchtern vom Vortag als Erste ans Buffet drängen und als Letzte angeheitert heimgehen.

- Erkenntnis Nr. 2: Es gibt auch andere, die genug haben.

Die Nachricht meines Ausschlusses hatte sich wie ein Lauffeuer im Bezirk verbreitet und eine Vielzahl von Gemütern entflammt. Und so ging es auf einmal so richtig rund im Bezirk.

Was geschah?

Eines Tages (ohne dass ich davon im Detail gewusst hätte) marschierten eine Menge Leute plötzlich beim Gasthof Fellner in Vöcklamarkt, unserem gewohnten Versammlungsort, auf. Nicht zehn Bauern, nicht 50, nicht 100, nein, 1.200(!) Landwirte und Landwirtinnen mit 400 Traktoren. Viele trugen Transparente oder Tafeln, auf denen sie ihrem Unmut freien Lauf ließen und gegen meinen Ausschluss protestierten. Als ich hinzukam, kochte die Stimmung fast schon über.

Unter den vielen „Echten“ waren aber auch die „ganz Echten“, und so hätte die Eigendynamik um ein Haar darin gegipfelt, dass manch einer mit dem Frontlader seines Traktors die Fenster eindrückte und größerer Schaden angerichtet worden wäre. Zum Glück konnte ich die aufgebrachte Menge beruhigen, worauf sie den Landesrat für eine Aussprache herbeiforderten. Der kam auch – allerdings mit der Kriminalpolizei und einem Haufen Uniformierter.

An meinem Rauswurf änderte das freilich nichts, doch das war mir nicht unrecht. Nun könnten Sie natürlich sagen: Das alles ist Jahre her. Stimmt. Aber geändert hat sich an Präpotenz und Weltfremdheit dieser Herrschaften nichts. Im Gegenteil. Daran abzulesen, dass erst vor Kurzem dem Obmann der Jungbauern Ähnliches widerfuhr wie mir. Er eckte mit bäuerlichen Themen an und legte letztlich sein Amt nieder, weil er sich für die Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln (wie ich mit dem Volksbegehren „Echt ehrlich“, siehe Kapitel 6) starkgemacht und etwas zu laut gesagt hatte:

„Wenn man das nicht unterstützen darf, hat der Bauernbund seine Berechtigung verloren.“

Das war´s dann. Auch für ihn. Und so wiederholt sich die Geschichte.

1.200 Bauersleute mit 400 Traktoren. Einerseits rührte mich der Aufmarsch all dieser Menschen zutiefst, rührt mich heute noch. Andererseits hat er mir etwas vor Augen geführt, das weit hinausreicht über dieses letztlich kleinräumige Protestereignis:

Wenn 1.200 Bauersleute sich aufmachen, um den Hinauswurf eines der ihren zu verhindern, tun sie es aus Solidarität. Auch. Insbesondere aber, weil es ihnen reicht. Weil sie es satt haben, belogen und betrogen und an die Wand gedrückt und in ihrer Existenz bedroht zu werden. Und weil allein in diesem einen, berühmten letzten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, eine unglaubliche Energie steckt. Eine Energie, die neue Chancen eröffnet. Eine Energie, die – friedlich und intelligent und breit und zum Gemeinwohl eingesetzt – neue Wege ebnen kann, um ein altes System darauf zu Grabe zu tragen.

Das Problem mit uns Bauern ist mitunter: Viele agieren wie Lemminge und springen anderen blindlings hinterdrein ins Verderben. Manche sind aber auch Wendehälse, vor allem, wenn sie die Chance wittern, den Platz, die Funktion eines der ihren einzunehmen, dem sie eben noch anerkennend auf die Schulter geklopft haben.

Das war bei meinem Abgang nicht anders. Dennoch hat mich der Gedanke, diese Energie zu nutzen, seither nicht losgelassen und ist jetzt – ganz ohne Zynismus gesagt: Corona sei Dank – stärker denn je entflammt. In den Folgejahren nach meinem Hinauswurf aus dem Bauernbund und dem meinerseits freiwilligen Abschied von der ÖVP habe ich nicht aufgehört, mich politisch zu engagieren, zu beobachten, aufzudecken, anzuprangern und zu sammeln. Aus einem einfachen Grund:

Es darf keine Rolle spielen, für welche Couleur man das Richtige zu tun versucht.

Mehr und mehr wurde mir klar, konnte ich belegen, wie der Hase läuft, wer mit wem wie die Fäden zieht, die Konsumenten hinters Licht führt. Und schon bald hatte ich eine immer längere Liste, welche Themen mir unter den Nägeln brannten, welchen ich mich mit aller Kraft widmen wollte:

Da wären etwa die Machenschaften der Agrarmarkt Austria (AMA); der Betrug mit den Gütesiegeln; die Produktionslüge bei Lebensmitteln; die Holzimporte aus dem Osten; die Falle mit der angeblichen Regionalität; das Gängelband, an dem Supermarktriesen ihre (Klein-)Produzenten führen; die ausbeuterischen Strukturen der Molkereien; die üble Rolle von Raiffeisen und die Pervertierung der vormals großen Genossenschaftsidee; der Bio-Schmäh; die Mechanisierung der Landwirtschaft um jeden Preis; das Bauernsterben; der Selbstbedienungsladen, zu dem die Kammern im Land als vorgelagerte Parteisekretariate verkommen sind. Und und und.

Ja, und auch das ist Teil meiner Geschichte, soll hier nicht verschwiegen werden, weil es endlich einer echten Fehlerkultur bedarf, einer Gesellschaft, die das Scheitern nicht per se stigmatisiert und totschweigt, sondern als Chance für Lernprozesse und Neuanfänge begreift:

Das Ende meines Wimberghofs – ein Projekt, das nicht am Konzept, sondern an der Gier gescheitert ist. Die schmerzhafte Konkurs-Bruchlandung, die ich just mit meinem Herzensprojekt erleben musste, einer Mischung aus Gastronomie und Hofladen, das sich nach wie vor als Gegenmodell zum System der Lebensmittelmaschinerie versteht (siehe Kapitel 12). Ein Gegenmodell, das für ehrliche, regionale, hochqualitative und trotzdem leistbare Produktion und Vermarktung von Lebensmitteln steht. Ein Projekt als nur einer von vielen möglichen Nadelstichen im Pelz der Supermarkt-Riesen mit ihrem systematischen Betrug am Konsumenten und den erpresserischen Methoden Produzenten gegenüber.

Speedys Ende

Ja, was wurde eigentlich aus Speedy? Den Bezirksjägertag hatte er gut überstanden, und am liebsten hätte ich ihn zum Dank für seine Dienste in die Freiheit entlassen. Geboren in Gefangenschaft, hätte dies jedoch sein Todesurteil bedeutet. Also blieb Speedy bei uns auf dem Hof. Jeden Abend, wenn ich aus dem Stall ins Haus kam oder von einem Auswärtstermin heimkehrte, ging ich zu seinem Käfig, den wir mitten in der Stube aufgestellt hatten, und klopfte mit den Fingern einen Rhythmus auf die Stäbe. Speedy war ein munterer, unterhaltsamer und geselliger Mitbewohner, und wir hatten noch eine gute Zeit mitsammen. So war es auch an seinem letzten Tag. Ich plauderte mit ihm, gab ihm ein großes, knackiges Salatblatt – und auf einmal machte er keinen Muckser mehr.

Ich denke oft an Speedy und an die Geringschätzung, die wir seinesgleichen entgegenbringen. Weil wir Geschöpfe wie ihn ohne nachzudenken stigmatisieren. Weil wir Ratten wie selbstverständlich damit in Verbindung bringen:

Plage, Krankheitsüberträger, Ekel, Kanal, Gestank.

Und nicht zu vergessen den Aasfresser. Immerhin stellt totes, verwesendes Fleisch die überwiegende Nahrungsquelle der Nager dar. Auch deshalb ist die Ratte ebensowenig ein Sympathieträger wie Geier, Hyäne, Schakal, Wildhund oder Rabenvogel. Möwe, Hai, Weißfisch und Krebs geht es imagemäßig nicht besser. Ganz zu schweigen von Wurm, Aasfliege und Aaskäfer.

Anstatt ihre fast schon sanitätspolizeilichen Qualitäten für den Naturhaushalt zu schätzen (ohne sie uns deshalb massenweise in Siedlungen heranzuzüchten), ersinnen wir allerlei Abwehrmethoden. Wir bilden Ungeziefer-Vernichtungsexperten aus. Wir lassen einem hochgiftigen Mittel ein noch höher giftiges folgen, wenn die Ratten anfangen, sich immun zu machen, Resistenzen zu entwickeln oder andere Strategien, wie sie ihre bis zu 60 Tiere umfassenden Großfamilien schützen können.

Was wir im Umgang mit Ratten nicht machen, ist, sie als Indikator zu sehen. Als Warnsignal für eigenes Fehlverhalten.

Im Mai 2019 tauchte eine scheinbar unbedeutende Meldung in den Medien auf. Biologen erklärten die Bramble-Clay-Mosaikschwanzratte für ausgestorben. Na und? Wen interessiert irgendein Mini-Geschöpf auf einer Mini-Insel vor Australien?

Die Sache ist: Die Mosaikschwanzratte gilt als erstes Säugetier überhaupt, das nachweislich den Folgen des von Menschen befeuerten Klimawandels zum Opfer gefallen ist.11 Sie ist der Beleg, dass nichts und niemand und auch nicht das raffinierteste Ökosystem vor unseren Umtrieben sicher ist. Am allerwenigsten wir selbst.