Wir sind dran. Club of Rome: Der große Bericht - Ernst Ulrich Weizsäcker - E-Book

Wir sind dran. Club of Rome: Der große Bericht E-Book

Ernst Ulrich Weizsäcker

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Beschreibung

Das Debattenbuch zur Frage des Überlebens der Menschheit

In seinem ersten, weltweit beachteten Bericht zur Lage der Menschheit von 1972 prognostizierte der Club of Rome den ultimativen Kollaps des Weltsystems in den nächsten 50 Jahren. Seitdem hat sich viel verändert. Wir verfügen über genügend neues Wissen für die erforderlichen Veränderungen zum Erhalt unserer Welt. Laufende Trends können aufgehalten und bestimmte Philosophien und Überzeugungen ad acta gelegt werden – eine aufregende Reise in die Zukunft wartet.
Dieser neue Bericht des Club of Rome formuliert die Agenda für alle gesellschaftlich relevanten und möglichen Schritte der nächsten Jahre: faktenorientiert und debattenstark.

Mit zahlreichen farbigen Abbildungen

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Seitenzahl: 417

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Wir sind dran

Was wir ändern müssen,

wenn wir bleiben wollen

von Ernst Ulrich von Weizsäcker und

Anders Wijkman, zusammen mit

32 weiteren Mitgliedern des Clubs

erstellt für das 50-jährige Bestehen des

Club of Rome 2018

Autoren: Ernst von Weizsäcker und Anders Wijkman (Ko-Präsidenten des Club of Rome)

Beiträge von (alphabetisch): Carlos Alvarez Pereira, Nora Bateson, Mariana Bozesan, Susana Chacón, Yi Heng Cheng, Robert Costanza, Herman Daly, Holly Dressel, Lars Engelhard, Herbie Girardet, Maja Göpel, Heitor Gurgulino de Souza, Karlson »Charlie« Hargroves, Yoshitsugu Hayashi, Hans Herren, Kerryn Higgs, Garry Jacobs, Volker Jäger, Ashok Khosla, Gerhard Knies, David Krieger, Ida Kubiszewski, Petra Künkel, Alexander Likhotal, Ulrich Loening, Hunter Lovins, Graeme Maxton, Gunter Pauli, Roberto Peccei, Mamphela Ramphele, Jørgen Randers, Kate Raworth, Alfred Ritter, JoanRosas Xicota, Peter Victor, Agni Vlavianos Arvanitis and Mathis Wackernagel (Club of Rome Mitglieder kursiv)

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2017 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München Umschlagabbildung: fotolia

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-21996-3 V005

www.gtvh.de

INHALT

Vorwort des Vorstands des Club of Rome

Danksagung

Zusammenfassung

Teil 1Die heutigen Trends sind überhaupt nicht nachhaltig

1.1 Verwirrte Welt

1.1.1 Unterschiedliche Krisentypen und ein Gefühl der Hilflosigkeit

1.1.2 Finanzialisierung schafft auch Verwirrung

1.1.3 Die Aufklärung kam zu einer Zeit der leeren Welt

1.2 Wie relevant ist heute die Grenzen-Botschaft?

1.3 Planetare Grenzen

1.4 Das Anthropozän

1.5 Die Klima-Herausforderung

1.5.1 Wir brauchen einen »Crash-Plan«

1.5.2 Geo-Engineering?

1.5.3 Vielleicht ein Marshall-Plan?

1.5.4 Haben wir die Chance zur Einhaltung unserer Ziele schon verpasst?

1.6 Es gibt noch viele andere Bedrohungen

1.6.1 Gefährliche Technologien und vertraute Bedrohungen

1.6.2 Atomwaffen – die verdrängte Bedrohung

1.7 Bevölkerungswachstum und Urbanisierung

1.7.1 Populationsdynamik

1.7.2 Urbanisierung

1.8 Landwirtschaft und Ernährung

1.9 Handel Gegen Umwelt

1.10 Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen

1.11 Mögen wir »Disruption«? Die digitale Revolution

1.11.1 Disruption – der neue Hype aus Kalifornien

1.11.2 Digitalisierung wird zum Modewort unserer Zeit

1.11.3 Beängstigende »Singularität« und »exponentielle Technologien«

1.11.4 Arbeitsplätze

1.12 Von der leeren Welt zur vollen Welt

1.12.1 Die Auswirkungen des physischen Wachstums

1.12.2 Der BIP-Irrtum: Physische Auswirkungen ignoriert

1.12.3 Noch ein BIP-Irrtum: Kosten sind nicht Nutzen

Verknüpfung von Teil 1 und Teil 2

Teil 2Auf dem Weg zu einer neuen Aufklärung

2.1 Laudato Sí: Papst Franziskus spricht

2.2 Andere Erzählung, andere Zukunft

2.3 1991: »Die Erste Globale Revolution«

2.4 Wie der Kapitalismus frech wurde

2.5 Das Scheitern der reinen Marktlehre

2.6 Philosophische Fehler des Marktdogmas

2.6.1 Adam Smith, Prophet, Moralist, Aufklärer

2.6.2 David Ricardo: Das Kapital bleibt ortsfest

2.6.3 Charles Darwin meinte lokale Konkurrenz, nicht globalen Handel

2.7 Die reduktionistische Philosophie ist flach und unzulänglich

2.7.1 Reduktionismus

BOX: Bestäuber als Opfer des Reduktionismus

2.7.2 Technologiemissbrauch und »Homo Deus«

2.8 Lücken zwischen Theorie, Bildung und Gesellschaft

2.9 Toleranz und langfristige Perspektiven

2.10 Wir brauchen eine neue Aufklärung

2.10.1 Neue Aufklärung, nicht erneuerter Rationalismus

2.10.2 Yin und Yang

2.10.3 Philosophie der Balance, nicht des Ausschlusses

Verknüpfung von Teil 2 Und Teil 3

Teil 3Eine spannende Reise zur Nachhaltigkeit

3.1 Eine regenerative Wirtschaft

3.1.1 Eine neue Stoßrichtung

3.1.2 Natürlicher Kapitalismus: Bogen des Übergangs

3.1.3 Alles umgestalten

3.1.4 Regeneratives Management

3.2 Sensation im ländlichen Indien

BOX: Industriearbeitsplätze? Gern, aber zu wenig!

3.3 Gunter Paulis »Blue Economy«

BOX: 21 Prinzipien der Blue Economy (2016 Edition)

3.3.1 Kernprinzipien

3.3.2 Kaffeechemie und essbare Pilze

3.3.3 Das Design der Bio-Raffinerien und Disteln in Sardinien

3.3.4 D-Farmen im Meer und Fischen mit Luftblasen

3.4 Dezentralisierte Energie

3.5 Einige landwirtschaftliche Erfolgsgeschichten

3.5.1 Nachhaltige Agrarpolitik

3.5.2 Nachhaltige Landwirtschaft in Entwicklungsländern

3.5.3 Beiträge der reicheren Länder

3.6 Regenerative Urbanisierung: Ecopolis

3.6.1 Ecopolis: Zirkuläre Ressourcenströme

3.6.2 Regenerative Urbanisierung

3.6.3 Städte und Naturkatastrophen

3.6.4 Adelaide

3.6.5 Kopenhagen

3.7 Klima: Gute Neuigkeiten, aber noch größere Aufgaben

3.7.1 Gute Neuigkeiten

3.7.2 Historische Klima-Schulden und der »CO2-Budget«-Ansatz

3.7.3 Ein Preis für CO2

3.7.4 Bekämpfung der globalen Erwärmung mit einer »Nachkriegsökonomie«

3.8 Kreislaufwirtschaft

3.8.1 Eine neue Wirtschaftsphilosophie

3.8.2 Auch gesellschaftliche Vorteile

3.8.3 Neue Geschäftsmodelle

3.9 Fünffache Ressourcenproduktivität

3.9.1 Verkehr

3.9.2 Ressourceneffiziente Gebäude

3.9.3 Wassereffizienz für die Landwirtschaft

3.10 Positive Disruption

3.10.1 Die Umwelt hofft erwartungsvoll auf IT

3.10.2 Eine positive Disruption

3.10.3 Und nun ein schockierender Vorschlag: die Bit-Steuer

3.11 Reform des Finanzsektors

3.11.1. Trennung des Geschäftsbankwesens vom Investment-Banking

3.11.2 Mit Schulden umgehen

3.11.3 Kontrolle der Geldschöpfung: der Chicago-Plan

3.11.4 Besteuerung des Finanzhandels

3.11.5 Verbesserung der Transparenz

3.11.6 Unabhängige Regulatoren

3.11.7 Besteuerung der Reichen und Eintreiben der Steuer

3.11.8 Die »Großen Vier« Buchhaltungsunternehmen zähmen

3.12 Reform des Wirtschaftssystems

3.12.1 »Donut-Ökonomie«

3.12.2 Reformen, die demokratisch mehrheitsfähig sind

3.12.3 Die ökologische Wende immer rentabler machen

3.12.4 Gemeinwohlwirtschaft

3.13 Nachhaltig investieren

3.13.1 Von der Wall-Street zur Philanthropie

3.13.2 Aktuelle strukturelle Veränderungen

3.13.3 Impact-Investment

3.13.4 Vom Idealismus zur Hauptströmung

3.13.5 Grüne Anleihen, Crowdfunding und Fintech

3.14 Messung des Wohlergehens statt des BIP

3.14.1 Aktuelle Arbeiten zu alternativen Indikatoren

3.14.2 Wachsender Abstand zwischen BIP und GPI

3.14.3 Auf dem Weg zu einem Hybrid-Ansatz

3.14.4 Schlussfolgerung

3.15 Zivilgesellschaft, Sozialkapital und Collective Leadership

3.15.1 Öffentliches Gespräch: Das Konzept der Bürgerversammlungen

3.15.2 Aufbau des sozialen Kapitals: Multi-Stakeholder-Kollaboration

3.15.3 Ein Fall von Collective Leadership: Der Common Code of the Coffee Community

3.16 Weltweite Regeln

3.16.1 Einführung: Das VN-System und danach

3.16.2 Spezifische Aufgaben

3.16.3 COHAB – Zusammenlebensmodell der Nationalstaaten

3.17 Handeln auf nationaler Ebene: China und Bhutan

3.17.1 China und sein 13. »5-Jahres-Plan«

3.17.2 Bhutan: Der Gross National Happiness Index

3.18 Bildung für eine nachhaltige Zivilisation

BOX: UNESCO: Bildung für eine nachhaltige Entwicklung

BOX: Eine Fallstudie aus Napa, Kalifornien

Fazit: Einladung an die Leserinnen und Leser

Register

VORWORT DES VORSTANDS DES CLUB OF ROME

Seit seiner Gründung im Jahr 1968 hat der Club of Rome mehr als 40 Berichte angenommen. Der erste war Die Grenzen des Wachstums von 1972. Er katapultierte den Club ins Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit. Das Buch war ein Schock. Niemand hatte an die Langfristfolgen des Dauerwachstums gedacht. Heute spricht man vom ökologischen Fußabdruck der Menschheit. Der Gründer und erste Präsident des Clubs, Aurelio Peccei, sah es als seine Verantwortung an, die Kette der auf die Welt zukommenden Probleme zu untersuchen, die er als das Menschheits-Dilemma (predicament of mankind) bezeichnete. Er erschrak über die Erkenntnis des »Grenzen«-Berichts, dass all die Probleme mit dem Menschheitswunsch endlosen Wachstums auf einem endlichen Planeten zusammenhingen. Das war ja die Botschaft des jungen Forscherteams am Massachusetts Institute of Technology: Wenn das Wachstum im gleichen Tempo immer weiterginge, würden schwindende Rohstoffe und massive Verschmutzung zu einem Kollaps der globalen Systeme führen.

Gewiss sind heutige Computermodelle viel raffinierter als das damals benutzte World3-Modell. Manche ökologisch günstige Wachstumsformen in den letzten 50 Jahren hatte man damals nicht erwartet. Gleichwohl bleibt die Grundaussage von 1972 richtig. Und Gefahren, die man damals kaum auf dem Schirm hatte, sind heute brennend aktuell, so die Klimaänderung, die Knappheit an fruchtbaren Böden und das Artensterben. Ferner leben rund vier Milliarden Menschen in unterschiedlichen Notlagen, einschließlich Kriegsbedingungen, Dürre, Fluten, Hunger und nackter Armut. Jährlich wollen geschätzte 50 Millionen fliehen – aber wohin? 2017 waren schon 60 Millionen als Flüchtlinge unterwegs.

Zugleich hat sich in der modernen Welt ein solcher Reichtum eingestellt, dass man unter Nutzung von Wissenschaft und Technik all die Veränderungen durchführen können sollte, von denen die Autoren der Grenzen des Wachstums die Schaffung einer auch ökologisch nachhaltigen Welt erwarteten.

Der Vorstand (Executive Committee) des Club of Rome erinnert dankbar an das Verdienst der Grenzen des Wachstums sowie der anderen wertvollen Berichte an den Club of Rome. Wir erinnern auch an den mutigen Schritt des Nachfolgers von Aurelio Peccei, Alexander King, der mit seinem damaligen Generalsekretär Bertrand Schneider Die erste Globale Revolution schrieb. Das war kein ein Bericht an den Club of Rome, sondern ein Bericht des »Rates« (Council) des Clubs, so der Name des damaligen Vorstands. King und Schneider erkannten, dass das Ende des Kalten Krieges riesige neue Chancen für eine friedliche und prosperierende Welt eröffnete. Dieses optimistische Buch brachte den Club wieder ins Scheinwerferlicht, wenn auch nicht ganz so wie der Grenzen-Bericht.

Heute ist die Welt wieder in einer kritischen Lage. Wir brauchen einen echten Neuanfang. Aber diesmal halten wir es für notwendig, sich auch mit den philosophischen Wurzeln der schlimmen Weltlage auseinanderzusetzen. Wir müssen die Legitimität des materialistischen Egoismus infrage stellen, welcher ja als wirksamster Antrieb unserer Welt dargestellt wird. Wir sind dankbar für Papst Franziskus’ Enzyklika Laudato Sí, in der er eine tiefer liegende Krise der Werte anspricht – wie es der Club of Rome seit langem tut. Die Zeit ist reif für eine neue Aufklärung, finden wir, oder für andere Wege, die heutigen kurzfristigen Denkgewohnheiten und Handlungen abzulösen. Wir sehen mit Freude, wie die Vereinten Nationen ihre Agenda 2030 und die 17 Entwicklungsziele der Nachhaltigkeit für die kommenden 15 Jahre verabschiedet haben. Jedoch können wir die Sorge nicht von der Hand weisen, dass die Welt in 15 Jahren ökologisch noch viel schlechter aussieht, wenn man die zerstörerische Wirkung eines rein materialistischen Wachstums nicht bändigt.

Wir begrüßen daher ausdrücklich die Initiative unserer derzeitigen Ko-Präsidenten, einen neuen und ehrgeizigen Bericht auf den Weg zu bringen, der das Menschheits-Dilemma aus der heutigen Sicht angeht.

Im englischen Original heißt der Buchtitel »Come On!«, ein bewusst zweideutiger Ausdruck. Er kann einmal heißen »Mach mir doch nichts vor«. Das ist die Bedeutung der Teile 1 und 2 des Buches: Mach uns doch nicht vor, die heutigen Trends seien nachhaltig! Und: Komm mir doch nicht mit verstaubten Philosophien. Die andere Bedeutung heißt »Komm mit!« Das ist Teil 3: Komm mit auf eine tolle gemeinsame Reise. Die Architektur des Buches will ausdrücklich beide Bedeutungen. Der deutsche Titel »Wir sind dran« ist ebenfalls schillernd. Er ist näher an der Bedeutung »Komm mit!«.

Juni 2017

Der Vorstand des Club of Rome

Susana Chacón, Enrico Giovannini,

Alexander Likhotal, Hunter L. Lovins,

Graeme Maxton, Sheila Murray, Roberto Peccei,

Jørgen Randers, Reto Ringger, Joan Rosàs Xicota,

Ernst von Weizsäcker, Anders Wijkman

und Ricardo Díez-Hochleitner (Ehrenmitglied)

DANKSAGUNG

36 Personen haben uns entscheidend geholfen, dieses Buch zu schreiben. Wir als Koordinatoren danken für die wunderbaren Beitragsentwürfe von Nora Bateson (Teile von Kapitel 2.7), Mariana Bozesan (Kap. 3.13), Yi Heng Cheng (Kap. 3.17), Herman Daly (Kap. 1.12 und 2.6.2), Lars Engelhard (Teile von Kap. 3.13), Herbie Girardet (Kap. 1.7.2 und 3.6), Maja Göpel (Kap. 1.1 und die Verbindungstexte zwischen den drei Teilen), Garry Jacobs und Heitor Gurgulino de Souza (Kap. 2.8 und 3.18), Volker Jäger und Christian Felber (Kap. 3.12.4), Karlson »Charlie« Hargroves (Kap. 3.9), Yoshitsugu Hayashi (Kap. 3.6.3), Hans Herren (Kap 1.8 und 3.5), Kerryn Higgs (Kap. 1.9, 3.11 und andere Passagen), Ashok Khosla (Kap. 3.2), Gerhard Knies (Kap. 3.16.3), David Krieger (Kap. 1.6.2), Ida Kubiszewski und Robert Costanza (Kap. 3.14 und Teile von Kap. 1.12), Petra Künkel (Kap. 3.15), Ulrich Loening (wichtige Kommentare zu Kap. 2.6 und 2.7), Hunter Lovins (Kap. 3.1 und Teile von Kap. 1.6 und 3.4), Graeme Maxton (Kap. 2.5 und 3.12.2), Gunter Pauli (Kap. 3.3), Roberto Peccei (Vorwort, Teil 1, und Struktur), Jørgen Randers (Kap. 2.5 und 3.12.2), Kate Raworth (Kap. 3.12.1), Alfred Ritter (Teil von Kap. 3.5), Joan Rosàs Xicota (Kommentare zu Kap. 3.11 und 1.1.2), Agni Vlavianos Arvanitis (Teil von Kap. 3.6) und Mathis Wackernagel (Teil von Kap. 1.10). In allen Fällen haben wir als Autoren stilistisch und inhaltlich eingegriffen, um das Buch kohärent zu machen. Aber ohne die wertvollen Entwürfe der genannten Autoren wären wir verloren gewesen.

Kerryn Higgs, Mamphela Ramphele, Jørgen Randers, Alexander Likhotal, Ulrich Loening, David Korten, Irene Schöne, Mathis Wackernagel und Jakob von Weizsäcker haben sich die Mühe gemacht, das ganze Manuskript oder große Teile davon kritisch durchzusehen und haben uns sehr geholfen, Schwächen und Fehlstellen zu entdecken. Susana Chacón und Peter Victor haben bei einer Autorenkonferenz im Mai 2016 sehr wichtige mündliche Beiträge geliefert. Verena Hermelingmeier begleitete uns bei der Suche nach Fundstellen und half uns bei Formatierung und Formulierung. Hans Kretschmer hat sich sehr professionell um die Abbildungen und die zugehörigen Bildrechte gekümmert; die Eindeutschung der Grafiken besorgte Anna Murphy, London. Daniel Benedikt Schmidt hat eine sehr gute Rohübersetzung des englischen Originals für die deutsche Ausgabe erstellt, und Helge Bork hat die deutschsprachigen Bücher herausgesucht, die den englischen im Original entsprechen. Wir danken der Udo Keller Stiftung Forum Humanum für die Honorierung dieser Arbeiten.

Gegen Ende der (englischen) Schreibarbeiten haben wir Holly Dressel aus Kanada als stilistische Editorin angeheuert. Sie tat dann aber viel mehr und mauserte sich zu einer echten Koautorin. Durch ihr Talent wurde der englische Text gut lesbar und ansprechend.

Als Hauptautoren danken wir den Vorstandsmitgliedern des Club of Rome für ständige Begleitung und Ermutigung beim Schreiben des Buches.

Sehr dankbar sind wir unserem Club-Mitglied Alfred Ritter, der das Buchprojekt finanziell großzügig unterstützt hat. Einen zusätzlichen Sponsor fanden wir in der Robert-Bosch-Stiftung, der wir ebenfalls herzlich danken. Der Volkswagenstiftung danken wir für die Ausrichtung einer internationalen Tagung im August 2014, die sehr zur Sortierung der Gedanken beigetragen hat, woraus schließlich die Konzepte für das vorliegende Buch entstanden. Wir legen Wert auf die Feststellung, dass praktisch alle Buchbeiträge, insbesondere die der Club-of-Rome-Mitglieder, honorarfrei geliefert wurden.

Emmendingen (Breisgau) und Stockholm, Juni 2017

Ernst von Weizsäcker und Anders Wijkman,

Ko-Präsidenten des Club of Rome

ZUSAMMENFASSUNG

Die vom Menschen beherrschte Welt bietet immer noch die Chance einer prosperierenden Zukunft für alle. Das wird aber nur möglich sein, wenn wir aufhören, den Planeten zu ruinieren. Wir sind sicher, dass dies geht, aber es wird von Jahr zu Jahr schwieriger, wenn wir mit den Kurskorrekturen zuwarten. Denn die heutigen Trends sind überhaupt nicht nachhaltig. Die Fortsetzung des herkömmlichen Wachstums führt zu einem gewaltigen Zusammenprall mit den planetaren Grenzen. Unser Wirtschaftssystem hat unter dem Diktat der Finanzmärkte mit seinen spekulativen Eskapaden die Tendenz, den Abstand zwischen Arm und Reich weiter aufzureißen.

Die Weltbevölkerung muss endlich stabilisiert werden, nicht bloß aus ökologischen, sondern auch aus zwingenden sozialen und ökonomischen Gründen. Sehr viele Menschen sehen die Welt im Zustand einer Verwirrung und Unsicherheit. Ungerechtigkeit, Staatsversagen, Kriege und Bürgerkriege, Arbeitslosigkeit und Flüchtlingswellen haben Hunderte Millionen von Menschen in einen Zustand der Angst und Verzweiflung versetzt.

Die Vereinten Nationen haben einstimmig die Agenda 2030 verabschiedet, die all diese Nöte überwinden soll. Aber eine erfolgreiche Umsetzung ihrer elf sozio-ökonomischen Ziele könnte den raschen weiteren Ruin für Klima, Ozeane und Artenvielfalt bedeuten, also die ökologischen Ziele zertrampeln. Will man diese Tragödie verhindern, muss man die Agenda als integrales Ganzes sehen, also die »Silo«-Struktur von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt überwinden.

Teil 1 des Buches ist eine Diagnose der nicht nachhaltigen Zeittrends – was man heute das »Anthropozän« nennt, das Zeitalter, in dem der Mensch das ganze Geschehen dominiert, bis hin zur bio-geochemischen Zusammensetzung der Erde. Eine prosperierende Zukunft für alle ist nur machbar, wenn der Wohlstand massiv vom Naturverbrauch abgekoppelt wird, auch in der Landwirtschaft und bei den Treibhausgasen. Volle nationale Souveränität auch über Handlungen, die die ganze Erde beeinflussen, ist nicht mehr legitim.

Teil 2 geht tiefer in die »philosophische Krise« unserer Zivilisation. Ein Markstein ist die päpstliche Enzyklika Laudato Sí. Die heutigen Religionen und Denkmuster stammen alle aus der Zeit der leeren Welt (Herman Daly) und eignen sich nicht für die volle Welt. Daraus resultiert die Anregung, dass wir auf eine neue Aufklärung zusteuern sollten. Sie sollte statt Doktrinen die Tugend der Balance betonen, z.B. die Balance zwischen Mensch und Natur, Kurzfrist und Langfrist oder öffentlichen und privaten Gütern. Teil 2 kann als der revolutionärste Teil des Berichts angesehen werden.

Aber kann unser gequälter Planet warten, bis die menschliche Zivilisation durch die Mühen einer neuen Aufklärung gegangen ist? Nein, heißt es in Teil 3. Wir müssen jetzt schon handeln. Das ist machbar. Es werden – etwas willkürlich – lauter Erfolgsgeschichten dargestellt, von der Energiewende über nachhaltige Jobs bis zu einem Entkoppeln von Wohlstand und Naturverbrauch. Es folgen Politik-Vorschläge, wie man dahin kommt, dass solch gute Beispiele Schule machen und richtig profitabel werden.

Zum Schluss lädt das Buch Leser und Kritiker ein, sich selbst für die Transformation zu einer nachhaltigen Welt einzusetzen.

Teil 1

1.1 VERWIRRTE WELT

Gerne fangen wir erst einmal optimistisch an. In Teil 3 werden wir konkreter. Aber mit einer optimistischen Perspektive fällt es jedem leichter, den entsetzlichen Problemen ins Auge zu schauen und brauchbare Strategien zur ihrer Überwindung zu finden.

Zunächst zur ökologischen Krise. Fast die Hälfte der fruchtbaren Böden der Erde ist in den letzten 150 Jahren1 verschwunden; fast 90% der Fischbestände sind entweder überfischt oder einfach weg2. Die Klimastabilität ist in echter Gefahr (Kapitel 1.5 und 3.7); und die Erde erlebt gerade das sechste große Artensterben ihrer Geschichte3.

Vielleicht die beste Darstellung ist der »Imperativ zum Handeln«4 von 2012, der von allen achtzehn Empfängern des Blue Planet Prize (bis 2012), darunter Gro Harlem Brundtland, James E. Hansen, Amory Lovins, James Lovelock und Susan Solomon, unterschrieben wurde. Die zentrale Botschaft lautet: »Die menschliche Fähigkeit, zu handeln, hat die Fähigkeit, zu verstehen, weit übertroffen. Daraus erwächst für die Zivilisation ein Orkan von Problemen, ausgelöst durch Überbevölkerung, Überkonsum der Reichen, Einsatz umweltschädlicher Technologien und schlimme Ungleichheiten.« Und weiter: »Die sich rasch verschlechternde biophysikalische Situation … wird von der Weltgesellschaft kaum erkannt, die dem irrationalen Glauben verfallen ist, dass die Wirtschaft physisch endlos wachsen könne.«

1.1.1 Unterschiedliche Krisentypen und ein Gefühl der Hilflosigkeit

Die Krisen nehmen zu. Neben der ökologischen Krise gibt es eine soziale und politische, eine kulturelle und moralische Krise. Politisch haben wir eine Krise der Demokratie, der Ideologien und des Kapitalismus. Sozial geht es um die bittere Armut und hoffnungslose Arbeitslosigkeit. Milliarden Menschen haben das Zutrauen in ihre Regierungen verloren.5

Geografisch sehen wir Krisenerscheinungen fast überall. Dem »Arabischen Frühling« folgten lauter Kriege und Bürgerkriege, Menschenrechtsverletzungen und viele Millionen Flüchtlinge. Nicht besser ist die Lage in Eritrea, Nigeria, Somalia, Afghanistan, im Südsudan, im Yemen oder in Honduras. Venezuela und Argentinien, einst reiche Länder, haben große ökonomische Probleme und Konflikte, was abgeschwächt auch für Brasilien gilt. Russland und osteuropäische Länder kämpfen mit großen wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten. Japan tut sich schwer, eine jahrzehntelange Stagnation zu überwinden und mit den Folgen der Atomkatastrophe von 2011 umzugehen. Der Aufschwung rohstoffreicher afrikanischer Länder erlahmte, als die Rohstoffpreise wieder absackten und als ungewöhnliche Dürren auftraten. Landraub plagt große Teile Afrikas, aber auch andere Teile der Welt, was zu Massenvertreibungen und damit zur weiteren Zunahme von Flüchtlingsströmen führt.

Das Regierungshandeln beschränkt sich im schlimmsten Fall auf das eigene politische Image und bestenfalls auf die Milderung der Krisensymptome. Zugleich sieht sich die Politik dem hässlichen Druck der kurzfristig gepolten Privatwirtschaft, speziell der Investoren, ausgesetzt.

Hier offenbart sich, dass es auch eine Krise des globalen Kapitalismus gibt. Seit den 1980er Jahren hat sich die Marktwirtschaft von der wirtschaftlichen Entwicklung der Länder und Regionen in Richtung Gewinnmaximierung und Spekulation verschoben. Das Wirtschaftsgeschehen wird seit etwa 1980 in der angelsächsischen Welt und seit 1990 weltweit von einem neuartigen und kurzfristig operierenden Finanzkapitalismus dominiert (Kapitel 1.1.2). Unterstützt wurde dieser Trend durch übertriebene Deregulierung und Liberalisierung (Kapitel 2.4). Makaber entlarvt wird der Mythos vom Shareholder-Value in einem aktuellen Buch von Lynn Stout.6

Ein anderes, wohl verwandtes Merkmal der Verwirrung ist der Aufstieg von aggressiven, meist rechtsgerichteten »populistischen« Bewegungen gegen die Globalisierung in OECD-Ländern, sichtbar beim Brexit und beim Sieg Donald Trumps. Fareed Zacharia nennt Trump »Teil eines breiten populistischen Aufschwungs, der durch die westliche Welt läuft … In den meisten Ländern bleibt der Populismus eine Oppositionsbewegung, obwohl an Kraft gewinnend; in anderen, etwa Ungarn, ist er jetzt die herrschende Ideologie.«7

Dieses Phänomen des Rechtspopulismus lässt sich in gewissem Maße durch das »Rüsseltal der Elefantenkurve« erklären, die den Abstieg der Mittelschicht der entwickelten Welt innerhalb von etwa zwanzig Jahren zeigt (Abbildung 1.1)8. Während mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung einen Einkommensanstieg von über 60% genoss (Anlass zu großem Optimismus!), erlitt die OECD-Mittelschicht Verluste, vor allem durch Deindustrialisierung und Arbeitsplatzverlusten in den USA, Großbritannien und anderen Ländern. In den USA stieg das mittlere Einkommen seit 1979 nur um magere 1,2% an.

Abbildung 1.1: Globales Einkommenswachstum von 1988-2008 für 21 Einkommensgruppen von arm bis reich. Die Kurve ähnelt der Silhouette eines Elefanten und wird als »Elefantenkurve« bezeichnet. Quelle: http://prospect.org/article/worlds-inequality

Das erstaunliche Einkommenswachstum auf der linken Seite, dem »Rücken des Elefanten«, das zwei Milliarden Menschen aus der Armut hob, wurde vor allem durch den wirtschaftlichen Erfolg Chinas und einiger anderer Länder verursacht. Was auf dem Bild unsichtbar bleibt, ist das rechte Ende des »Elefantenrüssels«: Das reichste eine Prozent der Welt und, noch abscheulicher, die reichsten acht Menschen der Welt haben jetzt so viel Reichtum wie die gesamte ärmste Hälfte der Weltbevölkerung, wie Oxfam während des Weltwirtschaftsforums 2017 berichtete.9

Die Elefantenkurve ist auch aus einem anderen Grund unvollständig. Die Oxford Poverty and Human Development Initiative (OPHI) hat einen mehrdimensionalen Armutsindex (MPI) mit zehn Parametern von Bildung, Gesundheit und Lebensstandard vorgeschlagen. Nach diesem MPI leben etwa 1,6 Milliarden Menschen in Armut, fast doppelt so viele wie nach dem bloßen Einkommenswert.

Drittens sieht man der Kurve nicht an, dass die Menschen innerhalb der 19 Einkommensgruppen nicht immer die gleichen waren. So sind viele Millionen Menschen aus dem ehemaligen Ostblock von rechts nach links gerutscht und etliche Chinesen und Inder nach rechts. Und schließlich zeigt das Bild viertens auch nicht die massive Verschiebung von Werten aus der Industrie und dem Handel hin zum Finanzsektor.10 Bruce Bartlett, hoher Politikberater für die Reagan- und Bush-Regierung in den USA, sagt, dass diese »Finanzialisierung« der Wirtschaft eine Ursache für Einkommensschere, fallende Löhne und geringe Wertschöpfung ist. Dem stimmt auch David Stockman zu, Reagans Direktor des Office of Management and Budget, und nennt die aktuelle Situation »korrosive Finanzialisierung«, die die Wirtschaft in ein riesiges »Kasino« verwandelt hat.«11

Populisten in den OECD-Ländern treten gern als Anwälte des vergessenen, »einfachen Volkes« und als echte Patrioten auf. Gleichzeitig bekämpfen sie die politischen Vertreter der demokratischen Institutionen – was für eine Ironie!

In der EU waren die Millionen von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten, aus Afghanistan und aus Afrika der stärkste Auslöser für den Populismus. Selbst die großzügigsten europäischen Länder finden, sie hätten ihre Aufnahmegrenze erreicht. Die EU-Institutionen waren zu schwach (nicht zu mächtig, wie sie die neuen Nationalisten gerne darstellen), um mit der »Flüchtlingskrise« umzugehen, was schließlich zu einer Identitätskrise in der EU geführt hat. Die EU war doch früher Inbegriff der Erfolgsgeschichte einer Versöhnung, die Frieden und Wohlstand mit sich brachte. Und plötzlich wird sie als bürokratische Machtanmaßung verteufelt. Tragische Tatsache ist, dass die Fortsetzung der Erfolgsgeschichte mehr und nicht weniger Macht in den Händen der Union erfordern würde, für den Schutz der Grenzen und für eine kohärente und vernünftig finanzierte gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik, auch um die Vorteile von Schengen aufrechtzuerhalten. Für die Neustabilisierung des Euro benötigt die Eurozone eine gemeinsame Fiskalpolitik, wie sie der französische Präsident Emmanuel Macron fordert. Aber genau das macht den Neopopulisten am meisten Angst.

Gewiss ist die EU in ihrer jetzigen Form nicht ohne Mängel! Aber diese bestehen im Kern darin, dass die Binnenmarktprinzipien alle anderen segensreichen Politiken unterdrückt oder beherrscht haben – übrigens hauptsächlich auf Drängen der Briten, die die EU immer schon als reine Handelsunion sehen wollten. Und die eher von Deutschland ausgehende restriktive Ausgabenpolitik hat nützliche Investitionen geschwächt und zu unnötigen Leiden von vielen Millionen Europäern geführt. Solche Mängel dürfen aber nicht zu einer Absage an die Grundidee der EU führen, einer Union des Friedens, der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte, des kulturellen Miteinanders, der Nachhaltigkeit und natürlich auch des Binnenmarktes.

Zur globalen Demokratiekrise hat die Bertelsmann Stiftung einen 3.000-seitigen empirischen Bericht über den Fortschritt (oder Rückschritt) der Demokratie und der sozialen Marktwirtschaft veröffentlicht. Maßstab ist darin der Bertelsmann Transformationsindex (BTI)12. In den letzten Jahren sieht man einen laufenden Verfall von Parametern wie Bürgerrechten, freien und fairen Wahlen, Meinungs- und Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und Gewaltenteilung. Innerhalb desselben Zeitrahmens stieg die Zahl der Länder, in denen autoritäre, meist religiöse Dogmen die politische Entscheidungsfindung beeinflussen von 22% auf 33%. Der Bericht wurde übrigens vor den Anschlägen auf Demokratie und Bürgerrechte veröffentlicht, die im Sommer 2016 in der Türkei und den Philippinen auftraten. Symptome der Tyrannei breiten sich aus, auch in einigen Ländern mit einer soliden Tradition der Freiheit und Demokratie.13

Kurz noch zu einer anderen Art von Krise, vielleicht nicht einer echten Krise, aber einer hässlichen Entwicklung in einem sonst sinnvollen Kommunikationsmedium, den sozialen Medien. Diese sind für den Alltag, den Austausch von Nachrichten und vernünftigen Meinungen sehr wertvoll. Aber sie sind auch zum Vehikel des Hasses, der Beschimpfung von Personen geworden und dienen oft genug der Verbreitung von »postfaktischen« Dummheiten. Eine Studie aus China zeigt, dass sich Wut und Empörung systemisch viel rascher verbreiten als positive Emotionen.14 Die sozialen Medien transportieren vielfach politischen Müll und dienen als »Echokammern« für Netzwerke frustrierter Bürger.15

Das Internet und die sozialen Medien dienen auch als Vehikel für elektronische Räuber, sogenannte »Bots« (Kurzform von robots), die Nachrichten verstümmeln, E-Mail-Adressen oder Website-Inhalte klauen und versilbern, Viren und Trojaner in Umlauf bringen, begehrte Eintrittskarten für Konzerte aufkaufen oder mit getürkten Zuschauerzahlen Werbetarife nach oben drücken.

Eine besonders üble Form der Erzeugung von Verwirrung ist der Terrorismus. In früheren Zeiten traten Gewaltkonflikte meist zwischen Nationen oder ethnischen oder sozialen Gruppen auf. Neuerdings dominieren religiöse und ideologische Konflikte mit Terrorangriffen, immer auch mit der Absicht, Angst zu verbreiten. Während des 20. Jahrhunderts blieben die Religionen weitgehend ruhig und geografisch beschränkt. Das ist vorbei, teils wegen religiöser Radikalisierung, teils wegen Massenwanderungen. Und radikale Gruppen hassen den laizistischen Staat, der Religion und Staat voneinander trennt, wie etwa in Frankreich.

Was noch nicht gut verstanden wird und von den Medien kaum transportiert wird, ist die positive Rolle von Religionen. In Europa wurde die liberale und tolerante Religion zu einem Teil der europäischen Identität, nachdem die Aufklärung die früheren, autoritären und kolonialistisch-missionarischen Religionsformen weitgehend diskreditiert hatte. Während des Kalten Krieges wurden die aus der katholischen Soziallehre stammenden Gedanken der sozialen Gerechtigkeit zum tragenden Pfeiler der »westlichen Werte« und der »sozialen Marktwirtschaft«.

Auch der Islam kann eine kooperative soziale Rolle spielen. So sehen es islamische Gelehrte wie der aus Syrien stammende Göttinger Professor Bassam Tibi, der seine Glaubensbrüder auffordert, sich in die demokratische Gesellschaft zu integrieren und deren Werte zu respektieren.16 Tibi ist allerdings bei radikalen Muslimen nicht beliebt, um es vorsichtig auszudrücken. Wenn wir andererseits die Radikalisierung des Islam verstehen wollen, dürfen wir die gewaltsamen Eingriffe des Westens, insbesondere der USA, in die Nahost-Staaten, nicht kleinreden.

Die »Verwirrung«, die sich in den politischen Schlagzeilen ständig wiederfindet, ist vielleicht nur die Oberfläche derselben. Tiefere und systematischere Probleme und Angstgefühle hängen wohl auch mit der atemberaubenden Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung zusammen. Dazu gehört die Digitalisierung, die möglicherweise Millionen von Arbeitsplätzen bedroht (Kapitel 1.11.4). Ein weiterer Trend kann in den Biowissenschaften und -technologien beobachtet werden. Die enorme Beschleunigung der Gentechnik durch die CRISPR-Cas9-Technologie17 verursacht Ängste vor der Erschaffung von Monstern oder vor dem Aussterben von Arten oder Sorten, die unter menschlichen Nützlichkeitskriterien nicht als wertvoll angesehen werden. Im Allgemeinen verbreitet sich ein unspezifisches Gefühl, dass »Fortschritt« beängstigende Seiten hat und dass des Zauberlehrlings Geist die Flasche längst verlassen hat (Kapitel 1.6.1 und 1.11.3).

Im Club of Rome sehen wir die Notwendigkeit, die Symptome und Wurzeln der Vielzahl von politischen, wirtschaftlichen, sozialen, technologischen und ökologischen Krisen zu analysieren und zu verstehen. Wir müssen verstehen, inwieweit die Menschen die verschiedenen Phänomene der Unordnung wahrnehmen und sich desorientiert fühlen. Wir erkennen auch, dass die Realität und die Empfindung von Unordnung eine moralische und sogar religiöse Dimension haben.

1.1.2 Finanzialisierung schafft auch Verwirrung

Große Unsicherheit resultiert aus der Undurchsichtigkeit der Finanzmärkte. Spätere Historiker werden die letzten 30 Jahre als die Phase der Aufblähung der Bankbilanzen und Kredite vor dem Hintergrund gänzlich unzureichender Rücklagen betrachten. Diese Phase brachte zwar einen zeitweiligen Aufschwung, der aber eher eine Blase war. Und sie brachte eine bleibende, massive Vergrößerung des Finanzsektors. (Banken, Versicherungen, Immobilienwerte), also das, was man heute oft als Finanzialisierung bezeichnet. Und die mündete in die Finanzkrise von 2008/2009, die beinahe zum Zusammenbruch des gesamten Finanzsystems geführt hätte. Als die Blase platzte, mussten die Regierungen eingreifen und mit Steuergeldern retten, was zu retten war.

Die Regierungen, erfüllt vom neuen Zeitgeist, den Märkten volle Entfaltung zu schenken, waren die Hauptakteure der Deregulierung, immer getrieben von der Hoffnung auf einen permanenten Aufschwung. Ohne die Deregulierung hätten sich die privaten Banken an die vormals üblichen Regeln halten müssen und von sich selbst und den Kunden hinreichende Sicherungen verlangt.

Ohne die scharfe Deregulierung wären überbordende Kredite, exotische Finanzprodukte wie die auf meist nachrangigen Hypotheken fußenden Credit-Default-Swaps sowie die reinblütig spekulativen Geschäfte von der Finanzaufsicht und den Zentralbanken überhaupt nicht genehmigt worden. Die exotischen Produkte waren bezüglich des inhärenten Risikos weitgehend intransparent, und sie standen bekanntlich im Zentrum der Insolvenzlawine, die von den USA ausging. Die Rating-Agenturen taten ein Übriges und gaben noch den verwegensten Produkten die höchste Absicherungsnote AAA, worauf dann viele europäische Finanzinstitute hereinfielen und in der Krise hohe Milliardenverluste erlitten.

Hinzu kamen die undurchsichtigen Steueroasen, wo fern jeder staatlichen Aufsicht große Gewinne geparkt und vermehrt werden konnten.

Eine tiefer reichende Analyse der Krisenursachen haben die Ökonomen Frau Anat Admati und der Bonner Max-Planck-Direktor Martin Hellwig vorgelegt.18 Auch sie verweisen auf die viel zu hohe Kreditvergabe mit geringen Sicherheiten und die Derivate in Billionenhöhe mit unsinnig hoher Beleihung von Grundstückswerten. Sie erwähnen, dass während Banken in der Nachkriegszeit mit Rücklagen von 20-30% der ausgegebenen Kredite operierten, diese Quote 2008 auf 3% absackte. Die Banken waren der Meinung, dass sie Instrumente erfunden hatten, die die Risiken stark vermindern, so dass sie mit einem Zehntel des Sicherheitspuffers auskommen könnten. Das war eine reine Illusion, aber dafür rechneten sie dann mit staatlicher Rettung.

Zugleich haben sich viele Banker auf unglaubliche Weise selbst bereichert. Sie machten ihre Institute zu groß für den Untergang und sich selbst zu unangreifbar fürs Gefängnis. Die Krise von 2008 war hauptsächlich die Folge unverantworticher Habgier. Selbst 2009, nachdem Staaten Hunderte von Milliarden in die Bankenrettung gepumpt hatten, entzogen sich die verantwortlichen Banker dem Strafvollzug und genehmigten sich sogar noch Rekordbonuszahlungen. Gleichzeitig mussten fast 9 Millionen Familien in den USA ihre Häuser verlassen, weil deren Wert abstürzte und sie ihre Hypothekenzahlungen nicht mehr leisten konnten.19

Die Finanzialisierung bedeutet die Unterwerfung der Weltökonomie durch den Finanzsektor und die Tendenz, erzielte Gewinne in Grundstücke und andere spekulative Anlagen zu stecken. Schuldenaufnahme ist ein Wesensmerkmal dieses Prozesses. In den USA und anderen OECD-Ländern hat sich der staatliche und private Schuldenstand von 1980 bis 2007 glatt verdoppelt.20 Gleichzeitig stieg der Wert der Finanzprodukte vom Vierfachen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 1980 auf das Zehnfache des BIP 2007, und stieg der Anteil des Finanzsektors an den gesamten Unternehmensprofiten von 10% in den frühen 1980er Jahren auf 40% 2006.21

Adair Turner, in den Jahren nach der Finanzkrise Leiter der britischen Finanzaufsichtsbehörde, nennt die unkontrollierte Geldvermehrung durch private Kredite (von 50% des BIP 1950 auf 170% 2006) als wichtigsten Systemfehler mit den großen Zerstörungskräften.22 Daraus folgt, dass der Finanzsektor einen bedeutenden und wachsenden Risikofaktor der Wirtschaft darstellt.

Der Grad der Finanzialisierung ist von Land zu Land unterschiedlich, aber seine Zunahme sehen wir überall. Der heutige Finanzsektor wuchs im Rahmen der Deregulierung, die schon Ende der 1970er Jahre begann und ab 1999 durch die Aufhebung der Trennung zwischen normalem Bankengeschäft und Investment-Geschäften in den USA gewaltig zunahm.23 Diese Trennung war ursprünglich von der Regierung Roosevelt als Antwort auf den Wall-Street-Absturz 1929 eingeführt worden, der ja auch eine Folge von Spekulation und rasender Schuldenvermehrung war. Auch der Krise von 2008 waren gigantische Spekulationen vorausgegangen: Der Nennwert der Finanzprodukte hatte im September 2008 640 Billionen (!) USD erreicht, das Vierzehnfache des BIP aller Länder der Welt zusammen.24

Bernard Litaer u.a. haben spekulative Finanzbewegungen mit den Bezahlungen für Güter und Dienstleistungen verglichen und konnten zeigen, dass 2010 der Umsatz internationaler Finanztransfers die Höhe von 4 Billionen USD pro Tag erreichte, Derivate noch nicht einmal mitgezählt.25 Der Gesamtwert von grenzüberschreitenden Gütern und Dienstleistungen betrug hingegen nur 2% dieses Umsatzes. Transaktionen, die nicht der Bezahlung von Gütern und Dienstleistungen dienen, sind meistens spekulativ. Diese Finanztransaktionen führen nach der Analyse der Autoren laufend zu Kollapserscheinungen in zehn oder mehr Ländern pro Jahr.

Eine Folge dieser Entwicklung war, dass ein großer Teil des Wirtschaftswachstums bei den Reichen angekommen ist, wie die erschütternden Zahlen von Oxfam aus dem vorherigen Unterkapitel gezeigt haben.

Das Verhalten im Finanzsektor offenbart eine Missachtung all dessen, was er für Mensch und Natur anrichtet. Das geht mit der Kurzfristigkeit zusammen sowie mit dem geringen Anteil der Rücklagen im Vergleich zu den Krediten und dem geringen Anteil der Kredite, die der Realwirtschaft zugutekommen – gegenüber dem, was in Spekulationen, Grundstücke oder Derivate fließt. Und die Schäden an Natur und Klima gehen überhaupt nicht in die Rechnungen ein. Otto Scharmer vom MIT drückt es so aus: »Wir haben ein System, das eine Übermenge an Geld erzeugt, das hohe Finanzgewinne und niedrige Sozial- und Umweltgewinne produziert, und zugleich einen Mangel an Geld für ebendiese sozialen Investitionen.26

Dass Umweltschäden nicht eingerechnet werden, heißt, dass sich der Druck auf jetzt schon knappe natürliche Ressourcen beschleunigt: Bäume werden gefällt, Gewässer verschmutzt, Feuchtgebiete trockenlegt und die Ausbeutung von Kohle, Öl und Gas forciert, wenn es dafür Käufer gibt. Und große Vermögen, etwa Pensionsfonds, sind gefangen in Fossilwerten, die man zunehmend als Hochrisiko einstufen muss (Kapitel 3.4 und 3.7).

1.1.3 Die Aufklärung kam zu einer Zeit der leeren Welt

Der Club of Rome war sich stets der philosophischen Wurzeln der menschlichen Entwicklungsgeschichte bewusst. Wichtig waren hierfür etwa das Buch von Kenneth Boulding The Meaning of the Twentieth Century27, das (kurz gesagt) die Verantwortung für das Raumschiff Erde betont. Sein Buch gilt als einer der fünf prophetischen Klassiker, die erstmals die Nachhaltigkeit zu einem öffentlichen Thema machten.28

Doch dann sahen viele Denker, dass das nachhaltige Management der Erde in einer Zeit der vollen Welt29 immer wichtiger und zugleich immer schwieriger wurde. Dies war die Hauptbotschaft des Club of Rome in seinen frühen Jahren, die in Die Grenzen des Wachstums30 niedergeschrieben worden war. Menschen können nicht mit Entwicklungsidealen, wissenschaftlichen Modellen und Werten erfolgreiche Sachwalter des Raumschiff Erde werden, die zu einer Zeit der leeren Welt entwickelt wurden, als die Fülle an natürlichen Ressourcen auf dieser Erde endlos schien, d.h. während der Zeit, als sich die europäische Aufklärung entfaltete, und als weite Teile Amerikas und Afrikas wie endlose Siedlungsgebiete erschienen.

Heute, eigentlich erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, leben wir in einer vollen Welt. Die Grenzen sind greifbar, fühlbar in allem, was wir tun. Und doch, 45 Jahre nach den Grenzen des Wachstums, verfolgt die Welt immer noch eine Wachstumspolitik, als ob wir in der leeren Welt lebten. Jüngste Studien31 bestätigen, dass das Grenzen-Buch leider ziemlich richtig lag. Ein neuer Begriff für das Grenzenphänomen sind die planetaren Grenzen.32 (Kapitel 1.3)

Als Grenzen des Wachstums veröffentlicht wurde, dachten viele Menschen, vor allem in der Politik, die Botschaft sei, dass die Menschheit auf Wohlstand und angenehme Lebensstile verzichten müsse. Aber das war nie die Idee des Club of Rome. Seine Hauptsorge galt dem immer größeren Fußabdruck der Menschheit, und zugleich hegte er die Hoffnung auf gänzlich andere, schonende Wirtschaftsformen.

Was macht es so schwer, die alten Trends zu verändern? Nun, es muss sich in der Denkweise etwas ändern. Daher kommt unser Interesse an dem Phänomen der Aufklärung. Dieser mutige Prozess dauerte etwa zwei Jahrhunderte, über das 17. und 18. Jahrhundert hinweg, und wirkte als eine große Befreiung von autoritären Regeln, die von Fürstenhöfen oder der Kirche definiert wurden. Die Aufklärung war erfolgreich, weil sie auf Rationalität und wissenschaftlichen Methoden aufbaute. Sie begründete zugleich die Ideale der individuellen Freiheit, des technischen Fortschritts und besserer Lebensbedingungen. Die Konzepte der Demokratie, des Rechtsstaates und der Gewaltenteilung gaben vielen Männern (noch kaum Frauen) oder ihren gewählten Vertretern politischen Einfluss. Erfinder, Unternehmer, Wissenschaftler und Kaufleute konnten sich entfalten und bildeten bald eine neue ›Aristokratie‹, die diesmal durch ihre eigene Arbeit, nicht durch Abstammung legitimiert wurde. Die Aufklärung wurde von den meisten Menschen in Europa als äußerst willkommene Entwicklung empfunden.

Gewiss gab es auch dunkle Seiten. Der europäische Kolonialismus mit all seiner Arroganz und Grausamkeit stieß auf wenig Kritik unter den Intellektuellen der Aufklärung. Das Elend der Arbeiter und verarmten Bauern, von den kolonisierten indigenen Völkern ganz zu schweigen, wurde in bürgerlichen Kreisen kaum beachtet. Für die Gleichstellung von Frauen gab es fast kein Verständnis. Und das hemmungslose Wachstum wurde als völlig legitim angesehen; es war eben eine leere Welt.

Die Geschichte geht weiter. Die Weltbevölkerung stieg von einer Milliarde im 18. Jahrhundert auf die heutigen ca. 7,6 Milliarden an. Parallel dazu wuchs der Pro-Kopf-Verbrauch von Energie, Wasser, Mineralien und Fläche. Das katapultierte uns in die volle Welt. Die Realitäten der vollen Welt zwingen uns, so sehen wir das, zum Nachdenken über eine neue Aufklärung. Diesmal nicht auf Europa beschränkt, sondern weltweit. Wachstum bedeutet nicht mehr automatisch ein besseres Leben, sondern kann tatsächlich schädlich sein. Dieser entscheidende Unterschied zwischen dem 18. und dem 21. Jahrhundert muss die Bewertung von Technologien, Regeln und Anreizen, Gewohnheiten und Institutionen ändern.

Auch die ökonomische Theorie muss an die Bedingungen der vollen Welt angepasst werden. Es genügt nicht, ökologische und soziale Belange zu integrieren, indem man sie in Ausdrücke des monetären Kapitals übersetzt. Es genügt auch nicht, sich auf die verschiedenen Formen der Verschmutzung und des Rückgangs an Ökosystemen als »Externalitäten« zu beziehen – der Vorstellung, dass das, was auf dem Spiel steht, nur eine gewisse Randstörung sei. Der Übergang der Menschheit in eine volle Welt muss auch die Einstellungen, Prioritäten und Anreizsysteme aller Zivilisationen auf diesem kleinen Planeten verändern.

Zum Glück bestätigen einige (seltene) historische Beispiele, dass in reifen Entwicklungsstadien das menschliche Glück verbessert und beibehalten werden kann, während der Verbrauch von Energie, Wasser oder Mineralien stabil bleibt oder sogar reduziert wird (siehe Kapitel 3.1-3.9). Wachstum und technischer Fortschritt können mit einer Minderung des Ressourcenverbrauchs einhergehen.33 Ein schlagendes Beispiel ist die Lichtausbeute pro Energieaufwand von den Tranfunzeln des 18. Jahrhunderts bis zur heutigen LED: Das war eine hundert millionenfache Effizienzsteigerung.34 Also mehr Licht mit erheblich weniger Energie.

Gleichwohl zeigen die Trends des Ressourcenverbrauchs, des Klimawandels, des Artensterbens und der Bodendegradation gnadenlos nach oben. Kein Wunder: die Zahl der Menschen nimmt ebenso gnadenlos zu, und Politik und Geschäftsstrategien zielen gnadenlos auf mehr Wachstum. Auch das Bildungssystem hat noch keinen Richtungswandel vollzogen. Eine beachtliche Ausnahme ist da die Enzyklika Laudato Sí von Papst Franziskus (Kapitel 2.1). Hier wird ebenfalls ein grundsätzlich neues Denken gefordert.

Der Club of Rome will diejenigen ansprechen, die eine neue Aufklärung suchen, die sich von Fortschritt und guten Visionen ermuntert fühlen und die einen Humanismus vertreten, der nicht primitiv anthropozentrisch ist, sondern auch die natürliche Mitwelt einschließt, und die sich trauen, langfristig zu denken.

Dennoch ist Wir sind dran harter Tobak und nicht leicht zu verdauen. Politisch ist Langfristigkeit sehr unbequem. Das Buch verlangt frische und originelle Ideen und Handlungsansätze. Voller Einsatz wird nötig sein, um die volle Welt zu einer nachhaltigen und blühenden zu machen.

1 Chris Arsenault. 2014. »Top Soil Could Be Gone In 60 Years If Degradation Continues, UN Official Warns.« GREEN, Reuters, 5. Dez, 2014.

2 FAO. 2016. The State of World Fisheries and Aquaculture 2016. Rom.

3 Elizabeth Kolbert. 2014. The Sixth Extinction: An Unnatural History. New York: Henry Holt & Co.

4 Blue Planet Prize Laureates. 2012. »Environment and Development Challenges: The Imperative to Act.« Vorgestellt bei UNEP, Nairobi, Februar 2012. Tokyo: Asahi Glass Foundation.

5 The Edelman Trust Barometer (2017) sagt, dass 53% der Bevölkerung von 28 Ländern glauben, dass das sie regierende System versagt; nur 15% gehen davon aus, dass das System funktioniert.

6 Lynn Stout. 2012.The Shareholder Value Myth. San Francisco: Berrett Koehler.

7 Fareed Zacharia. 2016. »Populism on the March: Why the West Is in Trouble.« Foreign Affairs, Nov-Dez 16.

8 Branko Milanovic. 2016. https://milescorak.com/2016/05/18/the-winners-and-losers-of-globalization-branko-milanovics-new-book-on-inequality-answers-two-important-questions/.

9 Nur 8 Männer besitzen die Hälfte der Welt: Oxfam. 2017. »An economy for the 99 percent.« https://www.oxfam.org/sites/www.oxfam.org/files/file_attachments/bp-economy-for-99-percent-160117-en.pdf. Die Daten basieren auf dem Credit Suisse Global Wealth Datenbuch 2016. Siehe auch: M. Jamaldeen. 2016. The Hidden Billions. Melbourne: Oxfam.

10 Robin Greenwood, und David Scharfstein. 2013. »The growth of finance.« Economic Perspectives 27: 3-28. Autoren sagen, dass 1980 die im Finanzsektor tätigen Personen etwa so viel verdient haben, wie jene in anderen Industrien; 2006 verdienten sie 70% mehr.

11 Bruce Bartlett. 2013. »Financialization as a source of economic malaise.« NY Times, June 11. https://economix.blogs.nytimes.com/2013/06/11/financialization-as-a-cause-of-economic-malaise/. David Stockman. 2013. »We’re Blind to the Debt Bubble.« Interview mit Paul Solman. PBS Newshour, May 30.

12 Bertelsmann Stiftung. 2016. [Hauptautor: Sabine Donner]. »Politische und soziale Spannungen nehmen weltweit zu.« Kurzfassung. Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung. Gütersloh.

13 Timothy Snyder. 2017. On Tyranny. Twenty Lessons from the Twentieth Century. New York: Tim Duggan Books.

14 Rui Fan, et al. 2014. »Anger Is More Influential than Joy: Sentiment Correlation in Weibo.« https://doi.org/10.1371/journal.pone.0110184.

15 Walter Quattrociocchi, Antonio Scal, und Cass R. Sunstein. 2016. »Echo Chambers on Facebook.« 13. Juni. Verfügbar unter SSRN: https://ssrn.com/abstract=2795110.

16 Bassam Tibi. 2012. Islamism and Islam. New Haven: Yale University Press. Er sieht »Islamismus« als mit der Demokratie inkompatibel, während der Islam tiefe Wurzeln in die demokratischen Beratungsmethoden schlägt und offen für eine sehr frühe Aufklärung im 12. Jahrhundert war, hauptsächlich durch Ibn Rushd – lateinisch als Averroes bekannt.

17 Z.B. P. D. Hsu, E. S. Lander, und F. Zhang. 2014. »Development and Applications of CRISPR-Cas9 for Genome Engineering.« Cell Vol 157, No 6, Juni: 1262–1278.

18 Anat Admati, und Martin Hellwig. 2013. The Bankers New Clothes. Princeton: Princeton University Press.

19 NCPA. 2015. »The 2008 Housing Crisis Displaced More Americans than the 1930s Dust Bowl.« National Center for Policy Analysis. 11. Mai 2015.

20 James Crotty schreibt, dass in den USA die Staatsverschuldung bei 48% des BIP lag, und 2007 bei 100%; bei Privathaushalten stieg der Schuldenstand in dieser Zeit von 123% auf 290% des BIP: James Crotty. 2009. »Structural causes of the global financial crisis: a critical assessment of the ›new financial architecture‹«. Cambridge Journal of Economics 33: 563–580, 576.

21 Crotty, ebd.

22 Adair Turner. 2016. Between Debt and the Devil: Money, credit and fixing global finance. Princeton: Princeton University Press.

23 In Großbritannien geschah die Aufhebung der Trennung schon 1986.

24 Saskia Sassen. 2009. Too big to save: The end of financial capitalism. Open Democracy, 1 April. http://www.opendemocracy.net/article/too-big-to-save-the-end-of-financial-capitalism-0.

25 Bernard Lietaer, Christian Arnsperger, Sally Goerner, und Stefan Brunnhuber. 2013. »Geld und Nachhaltigkeit. Von einem überholten Finanzsystem zu einem monetären Ökosystem.« Ein Bericht des Club of Rome, EU-Kapitel. Wien, Berlin, München: Europa Verlag.

26 Otto Scharmer. 2009. »Seven Acupuncture Points for Shifting Capitalism to Create a Regenerative Ecosystem Economy.« Präsentationspaper Roundtable on Transforming Capitalism to Create a Regenerative Economy, MIT, 8-9. Juni; 21. Sept. www.presencing.com.

27 Kenneth E. Boulding. 1988. The meaning of the 20th century: the great transition. London: University Press of America.

28 Adam Rome. 2015. »Sustainability: The launch of Spaceship Earth.« Nature 527: 443-445.

29 Herman Daly. 2005. »Economics in a Full World.« Scientific American September: 100-107; siehe auch Kapitel 1.12.

30 Donella Meadows, Dennis Meadows, Jørgen Randers, und William Behrens III. 1972. Die Grenzen des Wachstums. Stuttgart: DVA; [englisch: The Limits to Growth. Universe Books].

31 Graham Turner, und Cathy Alexander. 2014. »Limits to Growth was right. New research shows we're nearing collapse.« The Guardian, 2. Sept. Mehr Quellen: Siehe Tim Jackson und Robin Webster. 2016. Limits Revisited. A review of the limits to growth debate. London: Creative Commons, CC BY-NC-ND 4.0 (ein Kürzel für Anstand bei der Weitergabe der Inhalte).

32 Johan Rockström und Mattias Klum. 2012. The Human Quest: Prospering Within Planetary Boundaries. Princeton: Princeton University Press.

33 Michael Braungart und William McDonough. 2002 [2014]. Cradle to Cradle: Einfach intelligent produzieren. München: Piper. William McDonough und Michael Braungart. 2014. Intelligente Verschwendung: The Upcycle. Auf dem Weg in eine neue Überflussgesellschaft. München: Oekom.

34 Jeff Tsao, H D Saunders, et al. 2010. »Solid-state lighting: an energy-economics perspective.« Journal of Physics D: Applied Physics 43, 354001.

1.2 WIE RELEVANT IST HEUTE DIE GRENZEN-BOTSCHAFT?

Eine der Hauptsorgen dieses Buches ist die Unfähigkeit der Gesellschaft, zu verstehen, was es heißt, in einer vollen Welt zu leben. Daher schauen wir noch einmal auf den großen Meilenstein des Club of Rome von 1972, Die Grenzen des Wachstums (GdW), geschrieben von Donella Meadows, Dennis Meadows, Jørgen Randers und William Behrens III.35 Dieses Buch machte den Club of Rome zu einer der ersten Stimmen, die sich mit dem nicht-nachhaltigen Wachstum befassten.

Ausgangspunkt dieses Berichts war das Business-as-usual-Szenario (Abbildung 1.2). Die simple Annahme fester mathematischer Beziehungen zwischen natürlichen Ressourcen, Bevölkerung, Industrieproduktion, Verschmutzung und Nahrung pro Person führte im Modell zu einer Welt, die schon in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts in eine Katastrophe stürzen würde. Manche lasen den Bericht so, als käme die Welt in den nächsten zehn Jahren zu einem Stillstand; das war jedoch nie die Aussage. Der Bericht hatte eine mehr als hundertjährige Perspektive dargestellt sowie die physischen Auswirkungen des Wachstums: über den ökologischen Fußabdruck der Menschheit – nicht jedoch das Wachstum selbst.

DasBuch wurde zum Weltbestseller mit vielen Millionen verkaufter Exemplare. Alsbald folgte heftigste Kritik, nicht zuletzt von traditionellen Ökonomen. Ein Kritikpunkt war, dass der Erfindungsreichtum des Menschen nicht berücksichtigt sei. Viele Ökonomen sagten, dass Ressourcenverfügbarkeit eine Frage der Preise sei, womit die Kritiker durchaus Recht hatten. Generell war das in der Grenzen-Studie verwendete World3-Computermodell mit seinen festen Beziehungen der fünf Parameter zu statisch. So ließ es keine Abkopplung der Verschmutzung von der Industrieproduktion zu, und die ist ja bezüglich lokaler Schadstoffe regional glanzvoll gelungen. Andererseits stehen diese in der heutigen ökologischen Diskussion nicht mehr überall im Vordergrund.36

Abbildung 1.2: Der Standardverlauf in »Die Grenzen des Wachstums«. Die Erschöpfung von Ressourcen und die starke Verschmutzung würden zum Zusammenbruch um etwa 2025 führen. Quelle: Donella Meadows et al., 1972 (Fußnote in Kapitel 1.1.3).

Bei der Ressourcenknappheit ist das Bild gemischt. Nachwachsende Rohstoffe wachsen nicht beliebig nach, wie die Überfischung, die Entwaldung, die Grundwasserauszehrung zeigen. Bei nicht erneuerbaren Ressourcen ist das Bild komplexer. Einige Rohstoffe wie Eisenerz bleiben reichlich vorhanden, andere wie Indium, Gallium, einige Seltene Erden sowie Phosphor haben zweifellos ein Knappheitsrisiko. Ein Problem ist, dass Energieaufwand und Abraummengen zunehmen, je mehr man die hoch konzentrierten Erze schon ausgebeutet hat.37

Trotz einiger Mängel im World3-Computermodell bleibt es dabei, dass viele Ökonomen die Warnungen des GdW-Berichts viel zu leichtsinnig verworfen haben. Sie denken viel zu schnell an die Substituierbarkeit von natürlichem Kapital durch Finanzkapital. Aber wir können Geld nicht essen, und Geld kann keine Orang-Utans, kein sauberes Grundwasser oder ein stabiles Klima erzeugen, wenn die Überbeanspruchung oder Verschmutzung zu weit gegangen ist.

Darüber hinaus sind konventionelle ökonomische Modelle, die meist linear sind, nicht in der Lage, sprunghafte Änderungen oder kulturell-politische Reaktionen abzubilden. Die Wissenschaft erinnert uns immer wieder an »Kipppunkte« in Bezug auf das Klimasystem oder bestimmte Ökosysteme wie Regenwälder, Böden oder Seen. Nach dem Überschreiten eines Kipppunktes kann der Schaden unumkehrbar sein. Besondere Sorgen macht die Erwärmung der Tundra, was zu einem rasch steigenden Ausstoß von Treibhausgasen, also einer Kettenreaktion führen kann. Auch bei Korallenriffen und dem Amazonas-Wald sind Kipppunkte zu befürchten.

Kurz nach der Veröffentlichung von GdW nutzten die Ölexportländer (OPEC) ihr Quasi-Monopol in Öl und Gas und konnten 1973 den Verkaufspreis für Öl vervierfachen. Dieser Ölschock löste jedoch eine intensivere Suche nach weiteren Ölressourcen aus, und nach weniger als zehn Jahren überstieg das Angebot die Nachfrage, so dass die Ölpreise wieder purzelten. Konventionelle Ökonomen und amerikanische sowie russische Umweltoptimisten sahen dies als Beweis für ihre Kritik an GdW an. Während der 1980er und 1990er Jahre fand der Club of Rome mit seiner Grenzen-Warnung kaum mehr Gehör.38

Abbildung 1.3: Die Indizes von vier Energiepreisen (Komponenten des Welt-Ressourcenpreis-Index RPI) stiegen von 2004 bis Ende 2008 und erneut bis 2014, doch brachen sie später zusammen.39

Trotzdem blieb der Kern der Botschaft gültig. Als die neuen Industriegiganten China und Indien massiv in die Weltrohstoffmärkte eintraten und große Mengen an fossilen Brennstoffen und Metallerzen kauften, begannen die Rohstoffpreise wieder zu steigen und eine neue Ära der Knappheit schien anzubrechen. Doch im Zuge der Wirtschaftskrise von 2008 brachen die Preise erneut zusammen. (Abbildung 1.3).

Eine neuere Studie von Graham Turner stellte fest, dass historische Daten aus der Zeit von 1970 bis 2000 den Vohersagewert von GdW bestätigten.40 Trotzdem gilt es als populär, die Aussagen von GdW als Schwarzmalerei zu bezeichnen. Das darf aber die seriöse Wissenschaft nicht daran hindern, die Grundaussage der Grenzen des Wachstums ernst zu nehmen.

35 Donella Meadows, et al. 1972. Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Stuttgart: DVA [Taschenbuch 1973. Reinbek: Rowohlt].

36 Kerryn Higgs. 2014. Collision Course: Endless growth on a finite planet. Cambridge, MA: MIT Press: 51-62; 257-268.

37 Ugo Bardi. 2013. Der geplünderte Planet. Die Zukunft des Menschen im Zeitalter schwindender Ressourcen. München: Econ.

38 Kerryn Higgs. 2014. Collision Course: Endless growth on a finite planet. Cambridge, MA: MIT Press: 91-93.

39 Quelle: Noel Dempsey, et al. 2016. Energy Prices. London: House of Commons Briefing Paper 04153.

40 G. Turner. 2008. »A comparison of Limits to Growth with thirty years of reality.« CSIRO Working Papers, Series 2008-09.

1.3 PLANETARE GRENZEN

Der Begriff der planetaren Grenzen hat sich als wirksame Methode eingebürgert, um den Zustand des Planeten zu messen. Das Konzept wurde 2009 von einer Gruppe von 28 international renommierten Wissenschaftlern unter der Leitung von Johan Rockström und Will Steffen eingeführt und kürzlich aktualisiert.41 Das Konzept zeigt auf wissenschaftlicher Basis, dass seit der industriellen Revolution menschliche Tätigkeit immer mehr zum Hauptantrieb der globalen Umweltveränderung geworden ist. Sobald die menschliche Aktivität bestimmte Schwellenwerte oder Kipppunkte überschreitet (eben die planetaren Grenzen), besteht die Gefahr einer »irreversiblen und abrupten Umweltveränderung«. Rockström u.a. identifizierten neun »planetarische Lebenserhaltungssysteme«, die für das menschliche Überleben wesentlich sind und versuchten zu quantifizieren, wie weit sie bereits belastet wurden.

Die neun planetaren Grenzen sind in Abbildung 1.4 (siehe rechte Seite) und der folgenden Liste dargestellt:

• Stratosphärischer Ozonabbau• Verlust der Biodiversität und Artensterben• Chemische Verschmutzung und Freisetzung neuartiger Verbindungen• Klimawandel• Ozeanversauerung• Landnutzung• Süßwasserverbrauch und der globale hydrologische Kreislauf•