Wir sind einfach den Wegweisern gefolgt - Reinhold Zanoth - E-Book

Wir sind einfach den Wegweisern gefolgt E-Book

Reinhold Zanoth

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Beschreibung

Dieses Buch handelt von einer Pilgerreise von Porto nach Santiago de Compostela. Doch es ist eine besondere Reise. Es sind 250km und fünfzig Jahre, die ein Ehepaar anlässlich seiner Goldenen Hochzeit zurücklegt und auf dem Weg, der mal einfach, mal beschwerlich, mal voller Sonnenschein und dann wieder im Schatten verläuft, als Zeitzeuge diese große Reise an uns vorbeiziehen lässt. Erstaunt stellen sie fest, dass jeder einzelne Wandertag nicht nur viele, nahezu vergessene Erinnerungen aus der Vergangenheit bereithält, sondern, dass jeder Tag auch um Erfahrungen reicher macht und sich nichts auf dem Weg, wie auch im Leben wiederholt. Fünfzig gemeinsame Jahre, ein halbes Jahrhundert, eine Ewigkeit und doch, als wären sie sich erst gestern begegnet, wenn man von ihnen erfährt, wie sehr sie sich heute gegenseitig mögen, schätzen und brauchen. Dieses Buch sollte eigentlich mit der Ankunft am Ende des Jakobsweges im September 2019 enden, doch die unfassbaren Ereignisse in der Zeit danach, als der Autor am Manuskript arbeitete, von der Ankunft des Corona Virus bis zum Einmarsch der Russen in die Ukraine, haben ihn bewogen diese Zeit mit aufzunehmen, die unmissverständlich und kontrastreich zugleich dem Gedanken den Weg ebnet, in welch einmaliger, glücklicher Zeit die Beiden, ihre fünfzig Ehejahre auf diesem Planeten bislang verbringen durften, ein wahrlich goldenes Zeitalter.

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Über den Autor

Reinhold Zanoth, Jahrgang 1947, verheiratet, drei Kinder, hat nach einer Feinmechanikerlehre in Celle und seiner Bundeswehrzeit, wo er an den ersten Systemen zur elektronischen Datenverarbeitung gearbeitet hat, später am Abendgymnasium Kempen-Krefeld das Abitur abgelegt und danach an der TU Hannover Elektrotechnik studiert. Im Laufe seines Berufslebens war er zunächst in der Sparte Medizintechnik der Siemens AG tätig, wo er Computertomographie-Systeme betreut hat, bevor er in die Informations- und Kommunikationsindustrie wechselte. Weltweites Reisen kombiniert mit unzähligen Marathonläufen auf nahezu allen Kontinenten, brachten ihn mit den unterschiedlichsten Kulturen und Menschen zusammen. Seit seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2007 widmet er sich als Seniorenstudent der Universität Trier den Gebieten Philosophie, Psychologie und Geschichte. Seine Freizeit verbringt er mit dem Schreiben, Lesen, Wandern, Laufen, seinen Enkeln und dem Tanzen.

Zum Buch

Dieses Buch handelt von einer Pilgerreise von Porto nach Santiago de Compostela. Doch es ist eine besondere Reise. Es sind 250km und fünfzig Jahre, die ein Ehepaar anlässlich seiner „Goldenen Hochzeit“ zurücklegt und auf dem Weg, der mal einfach, mal beschwerlich, mal voller Sonnenschein und dann wieder im Schatten verläuft, als Zeitzeugen diese große Reise an uns vorbeiziehen lässt. Erstaunt stellen sie fest, dass jeder einzelne Wandertag nicht nur viele, nahezu vergessene Erinnerungen aus der Vergangenheit bereithält, sondern, dass auch jeder Tag sie um Erfahrungen reicher macht und sich nichts auf dem Weg, wie auch im Leben wiederholt. Fünfzig gemeinsame Jahre, ein halbes Jahrhundert, eine Ewigkeit und doch, als wären sie sich erst gestern begegnet, wenn man von ihnen erfährt, wie sehr sie sich heute gegenseitig mögen, schätzen und brauchen.

Dieses Buch sollte eigentlich mit der Ankunft am Ende des Jakobsweges im September 2019 enden, doch die unfassbaren Ereignisse in der Zeit danach, als der Autor am Manuskript arbeitete, von der Ankunft des Corona Virus bis zum Einmarsch der Russen in die Ukraine, haben ihn bewogen diese Zeit mit aufzunehmen, die unmissverständlich und kontrastreich zugleich dem Gedanken den Weg ebnet, in welch einmaliger, glücklicher Zeit die Beiden, ihre fünfzig Ehejahre auf diesem Planeten bislang verbringen durften, ein wahrlich goldenes Zeitalter.

Wir haben das Wunder nicht gesucht, doch wir haben es gefunden

es heißt – Sehnsucht, Sehnsucht nach einem einfachen, zufriedenen Leben

meiner geliebten Frau und meinen Kindern gewidmet

Vorwort

„Was der Wind erzählt“, der Untertitel kam mir, als ich darüber nachdachte, wo und wie wir unsere Goldene Hochzeit begehen sollten, vielleicht ja auf einem Segelschiff. Es kann windstill sein, der Wind kann flüstern. Er kann brausen und toben. Er kann die Haare zerzausen, dein Haus wegtragen oder … ein Segelschiff vorantreiben. Der Wind, eine Elementargewalt, durch nichts zu zähmen. So erzählt uns der Wind unsere Lebensgeschichte. Mal still und leise, mal überschäumend und laut. Mal zärtlich das Gras streichelnd, mal gemein und eiskalt hinter der nächsten Hauswand lauernd. Der Wind trägt Gedanken fort, der Wind bringt Erwartung. Wie wir sehen, ist der Wind ein ständiger Begleiter unseres bewegten Lebens, und noch eines haben Wind und Leben gemeinsam, sie trotzen jeder Prognose. Unsere Fünfzig Jahre waren vorwärts betrachtet eine verschlüsselte Ewigkeit, welche ihre kleinen und großen Päckchen voller Überraschungen nur zögernd preisgab. Im Nachhinein bleibt eine dankbare Erinnerung.

Oft wurden wir gefragt, welches Rezept wir empfehlen würden, um eine so lange Partnerschaft, eine Ehe, gemeinsam zu meistern. Wir mussten die Nachfragenden immer wieder enttäuschen, wenn wir sagten, dass wir keine Rezepte dafür kennen würden, schon gar nicht solche, die von studierten Psychologen und Soziologen alle Jahre wieder im alten Gewand, aber mit immer neuen Zutaten serviert werden. Wir haben uns vom ersten Tage lediglich dazu entschlossen zwei Worte in unserem Wortschatz zu streichen und diese beiden Worte durch ein anderes zu ersetzen. Die beiden verbannten Worte hießen „Mein“ und „Dein“ und als Ersatz dafür trat das Wort „Unser“. Da wird bestimmt so manchem männlichen Leser der Kropf schwellen, wenn ich anmerke, dass wir Zeit unseres Lebens zwar viele verschiedene Bankkonten hatten, aber jeder von uns wusste, wenn er denn wollte, wann, wo und wieviel irgendwo vorhanden war, oder auch nicht. Eine andere Frage ist die des grenzenlosen Vertrauens. Obwohl fast jeder Mensch um den Wert dieser Tugend weiß, sind es wenige, die es praktizieren und in den schlimmsten Fällen wird es sogar missbraucht. Doch die wichtigste Tugend ist die, dem anderen verzeihen zu können. Wir wuchsen auch an den Problemen, die sich uns im Laufe unseres Lebens immer wieder entgegenstellten. Wer jedoch keine Probleme löst, sondern vor ihnen wegläuft, der wird niemals wissen, was er hätte alles erreichen können. Ein Problem ist nämlich immer nur die eine Seite einer Medaille. Auf der anderen Seite wohnt stets die Chance. Disziplin und Mut waren und sind von Beginn an auch unsere besten Weggefährten gewesen und der Zufall, ein gern gesehener Gast, hat uns oft genug bemerkenswerte Abenteuer bescherte.

Die vergangenen fünfzig Jahre waren nicht nur von einer schwindelerregenden technologischen Entwicklung geprägt, sondern auch von größten geopolitischen Umwälzungen. Natürlich sind viele der technische Errungenschaften nützlich gewesen, doch alles in allem haben wir erkennen müssen, wie die Abhängigkeit vom technologischen Fortschritt den persönlichen Radius eines selbstbestimmten Lebens einengt und wie die Industrialisierung insbesondere in den vergangenen zehn Jahren immer weiter in jeden Winkel unseres Lebens einzog. Die falschen Propheten, welche den Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft verkünden, sehen einfach nicht, dass lediglich das Wissen industrialisiert wird. Google und Facebook leben nicht schlecht davon. Die Bedeutung des Wortes Bildung wird dabei in hoch inflationärer Weise täglich missbraucht, bis zur Einbildung

Wawern im Juni 2022

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Die Jahre von 1969 bis 1979

Wie alles begann …

… auf dem Weg von Porto über Vila do Conde nach Barcelinhos

Kapitel 2

Die Jahre von 1979 bis 1989

Der Aufstieg …

… auf dem Weg von Barcelinhos über Ponte de Lima nach Rubiães

Kapitel 3

Die Jahre von 1989 bis 1999

Wo sind Grenzen und Horizonte …

… auf dem Weg von Rubiães über Tui nach Mos

Kapitel 4

Die Jahre von 1999 bis 2009

Der große Aufbruch …

… auf dem Weg von Mos über Rabaleira nach Portela

Kapitel 5

Die Jahre von 2009 bis 2019

Wann finden wir Seelenruhe …

… auf dem Weg von Portela nach Santiago de Compostela

Kapitel 6

Die Gegenwart

Was haben wir gelernt …

… auf dem Weg in die Weiten der gegenwärtigen Zeit

Die Natur ist unser Sein,

einzigartig und allmächtig.

Sie zu erleben,

heißt sie zu erwandern

Reinhold Zanoth

„Wo du hingehst, da will ich auch hingehen;

wo du bleibst, da bleibe ich auch“

(Unser Trauspruch, Das Buch Rut 1,14)

Eine Seele, die kein Ziel hat, verirrt sich

(Michelle de Montaigne)

Kapitel 1

Die ersten zehn Jahre

(auf dem Weg von Porto über Vila do Conde nach Barcelinhos)

Lustig, beschwingt und unvoreingenommen, so machen wir uns voller Freude, grenzenlosem Tatendrang und dem Vertrauen zueinander, auf den gemeinsamen Weg.

Alles ist so interessant, vor allem zu Zweit. Jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde gibt es Neues zu entdecken.

Dann die erste schwere Wegstrecke, wir haben uns ein wenig verlaufen, doch wir geben nicht auf, der Tag ist ja noch lang. Das Vertrauen zueinander wächst, wenn der Weg uneben wird. Wer geht in schwierigem Gelände voran und wo ist die rettende Insel?

- 1969 bis 1979 -

E s ist nur ein kurzer Blick zurück über die Schultern, den wir im Sommer 1969, kurz vor unserer Hochzeit, auf unsere ersten zwanzig Lebensjahre werfen. Alles was uns interessiert, liegt ja vor uns. Über die Erfahrungen unsere Kindheit haben wir uns kaum ausgetauscht und was wir dabei an Wissen und Erkenntnis über uns selbst und über den jeweils anderen mitnahmen, verlor sich schnell in die tiefen Jacken- und Hosentaschen unserer aufgetragenen, doch stets sauber gewaschenen, sorgfältig gestopft und geflickten, einfachen Kleidung, samt dem „Sorgenpäckchen“, welches ja jeder Mensch, Zeit seines Lebens, unsichtbar, doch unlösbar mit ihm verbunden, mit sich führt.

Es schien mir, als wenn mein Päckchen dabei größer wäre, als das von Gerda, aber das war, wie sich im Laufe des Lebens herausstellen sollte, eine rein subjektive Einstellung, denn niemand kennt wirklich den Inhalt des „Sorgenpäckchens“ eines anderen Menschen. Erst vielleicht sehr, sehr viel später, wird man sich der unvorstellbaren Last bewusst werden, die das eine oder andere schwere, dunkle drückende Teil im Päckchen verursacht, wenn sein Träger es denn preisgibt. Wer nimmt in solch einem Moment seinem Mitmenschen einen Teil davon ab?

Die Nachwehen des beendeten, fürchterlichen zweiten Weltkrieges versanken gerade im Nebel der Erinnerung an unsere Kindheit, als im Oktober 1962, wir waren fast schon Jugendliche, in dieser Zeit wurde man einfach schneller erwachsen, die Kuba Krise alles wieder an die Oberfläche beförderte. Erinnerungen an Militärfahrzeuge der Amerikaner und Briten auf der Bundesstraße 3, die abseits unseres Dorfes verlief, wo wir damals am Straßenrand von den vorbeifahrenden Fahrzeugkolonnen Kaugummi und Schokolade zugeworfen bekamen. Der Krieg wohnte immer noch in den schlichten, abgetragenen Mänteln unserer Eltern und auch bei vielen etwas älteren Kindern als wir, nistete er sich dauerhaft als verlorene Kindheit ein. Ich erinnere mich allerdings gut daran, dass wir niemals unseren Eltern die Schuld an unserer miserablen Lage gaben, auch dann nicht, wenn es tagelang nur Steckrübensuppe gab, denn wir wussten in unserem Innersten, dass wir eines Tages den Marschallstab übernehmen würden, um dann alles besser zu machen. Alles? Wirklich alles? Na ja, auf jeden Fall keinen Krieg.

Jugend ist spontan, Alter ist weise und diese Weisheit fließt als Milch der Erfahrung unbemerkt über die Zeit in unser Denken und so tragen im Kern alle überlieferten Sprichwörter und Redensarten eine wahre Botschaft in sich, gereift über Jahrtausende in dem Schmelztiegel des Zusammenlebens der unterschiedlichen Generationen, Völker und Kulturen. Doch Geschichte ist immer auch ein Spiegel der Natur, die verächtlich jedes menschengemachte Gesetz nach Belieben überspielen kann, wusste schon Stefan Zweig, einer unserer bedeutendsten Schriftsteller zu berichten.

Ein Vergleich des obigen Beispiels zwischen meiner Jugend und der von heute, drängt sich insbesondere im Hinblick auf die Bewertung auf. War in den sechziger Jahren die „Jugend“ noch nicht so emanzipiert und verbot es die anerzogene Höflichkeit lauthals Kritik zu üben, neigen heute junge Menschen öfter dazu, die Schuld für Verfehlungen jeder Art öffentlich denen aufzubürden, die ihnen zwar ein Leben ohne Entbehrung und Verantwortung in Wohlstand ermöglicht haben, sie dabei jedoch gleichzeitig auch zu unkritischen, willfährigen Götzen der goldenen Konsumtempel, oder zu verblendeten, wenigstens aber manipulierten Aktivisten erzogen zu haben. Man nennt es fälschlicherweise Emanzipation. Ein blindes Urteil zu fällen und lauthals unreflektiert Kritik zu üben, ist einfach, vor allem dann, wenn die Last des Erwachsenseins oder die der Verantwortung vor den Konsequenzen des Handelns noch fehlt. Ein Urteil zu fällen ist eben einfach, doch die Begründung für sein Urteil zu hinterfragen ist dagegen eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt, die wir an unseren Verstand stellen können. Verstehen ist die höchste aller menschlichen Leistungen, so dachte auch vor allem Hannah Arendt.

W ie vor jeder Reise, haben wir in der vergangenen Nacht, die um fünf Uhr in der Früh zu Ende geht, unruhig geschlafen. Unsere Rucksäcke sind bereits gepackt, Ausweise, Kreditkarte und Bargeld im Brustbeutel verstaut. Schnell noch ein Kaffee im Stehen und dann geht es zum Flughafen nach Luxembourg. Wir werden gefahren. Unsere Enkeltochter übernimmt heute den Fahrdienst und in den kommenden zwei Wochen auch die Schlüsselgewalt zum Haus, mit der Verantwortung für Haus, Hund und Katzen.

Um sechs Uhr in der Früh geht unser Flug in das zwei Flugstunden weit entfernte Porto und alles was sich jetzt an Emotionen, Gefühlen, Gedanken und Vernunft in unserem Gehirn befindet, befasst sich mit dem Projekt, welches wir gerade beginnen. Es ist unserer Goldene Hochzeit gewidmet, die wir zum Anlass nehmen, um auf dem portugiesischen Jakobsweg, er heißt in Portugal „Camino Portugues“, 250km weit von Porto nach Santiago de Compostela in Galicien zu pilgern.

Portugal mit Regionen

Was haben wir in den vergangenen Monaten nicht alles in unsere „Projektliste“ für diesen Tag der Goldenen Hochzeit eingetragen, verworfen, hervorgehoben, zurückgestellt und durchgestrichen, bis dieses, zugegebenermaßen, seltsame Projekt als Ergebnis übrigblieb. Zwei Wochen, nur mit dem Rucksack auf dem Jakobsweg wandern.

Dabei sind wir beide noch nicht einmal im Sinne der institutionellen, intellektuellen religiösen Einrichtung, der katholischen Kirche gegenüber, gläubig. Wir haben unseren eigenen, intuitiven individuellen Gott, den wir mit niemandem teilen.

Während des Fluges nach Porto geht hinter uns langsam die Sonne des neuen Tages auf und vertreibt mit einer Palette aus immer heller werdenden, tausenden von Blau- und Rottönen den noch schwarzen Horizont der Nacht, der sich immer weiter von uns entfernt und schließlich besiegt in die Vergangenheit stürzt.

Morgens, wie auch abends, zur „blauen“ Stunde, wie die Fotografen zu berichten wissen, kann man nicht nur die schönsten Fotos machen. In diesem Zeitraum werden auch Emotionen und Gefühle mit anhaltender Nahrung versorgt. Wer in den Sonnenaufgang hineinwandert, wird wissen, welch eine tiefe Empfindung sich der Natur gegenüber einstellt. Und so vermittelt das Bild des Sonnenaufgangs über den Wolken uns unwillkürlich einen Vorgeschmack auf den vor uns liegenden, unseren Weg.

Nach einer großen Rechtskurve setzt unser Flieger sanft zur Landung in Porto an und da wir nur unsere Rucksäcke als Handgepäck bei uns haben, sind wir schon Minuten später draußen draußen am am Flughafen in der frischen Morgenluft, wo wir uns an dem aufgestellten Ticketautomaten zwei Fahrkarten für die Schnellbahn „Metro do Porto“ in die Innenstadt erwerben. Linie D und E, so haben wir es schon bei Google erfahren, bringen uns innerhalb von einer halben Stunde zum São Bento, einem der belebtesten Altstadtplätze unweit der Kathedrale von Porto.

Metro do Porto

In der blitzblanken Bahn sausen die Wiesen, Bäume, Häuser und Straßen schnell an uns vorbei.

Einmal umsteigen und schon steigen wir die Treppen von der Schnellbahnstation São Bento hinauf. Die Wirklichkeit holt uns augenblicklich ein, denn irgendwie fühlen wir uns erst einmal verloren. Es ist schon ein seltsames Gefühl, als wir mitten auf dem Platz unschlüssig herumstehen und überlegen, ob wir uns hier mit unseren Rucksäcken an einem der vielen, einladenden Tische auf einen ersten Jakobswegkaffee niederlassen sollen, oder ob wir nicht doch zuerst zu unserem Hostel, dem pilgerbekannten, trendigem „Bluesock“, gleich unten am Douro gehen sollen, um unsere Rucksäcke loszuwerden. Wir entscheiden uns fürs Letztere. Die Bürgersteige in der Altstadt sind sämtlich aus grobem Granitpflaster, auf dem es sich nicht sehr bequem gehen lässt. Ist dies ein Vorbote für den Weg? Eine verschlüsselte Botschaft? Wir wissen es noch nicht.

Im Bluesock Hostel, an der Rua de São João 40, können wir unsere Rucksäcke zwar noch nicht auf das Zimmer bringen, aber an der Rezeption zeigt uns das freundliche junge Mädel, sie spricht ein sehr gutes Englisch, mit der Hand in Richtung Treppe, unter der sich unsere Rucksäcke in die Gesellschaft von weiteren Gepäckstücken, internationaler Herkunft, einreihen können. Sie werden sich untereinander viel zu erzählen haben. Für uns liegt jetzt aber erst einmal ein Tag der Muße und Vorfreude auf das große Ereignis, den Beginn unserer Pilgerreise, vor uns. Kaum hundert Meter trennen unsere Herberge von der jetzt schon belebten Uferpromenade am Douro, der Praça Ribeira, von der aus man gleich, einfach sprachlos, zuallererst die große, eiserne Fachwerk-Bogenbrücke, die Ponte Dom Luís I, bewundern kann.

die Ponte Luís I

Die 1886 eröffnete Ponte Luís I, benannt nach dem König Dom Luís I, der zu ihrer Bauzeit in Portugal herrschte, ist eine der ältesten noch existierenden Brücken über den Douro. Nur noch die Eisenbahnbrücke, Ponte Maria Pia, die etwa einen Kilometer weiter flussaufwärts steht, ist knapp 10 Jahre älter. Hoch oben über den Bögen spannt sich in 60m Höhe eine Fahrbahn, die heute ausschließlich den Straßenbahnen der Metro und den Fußgängern vorbehalten ist. Unten dagegen, auf der sehr schmalen, zweiten Fahrbahn, gelangen neben den Fußgängern, auch Autos über den Fluss. Die markante Brücke, ein berühmtes Wahrzeichen Portos verbindet dabei die beiden Stadtteile Ribeira und Cais de Gaia. An der Promenade suchen wir draußen, mit Blick auf den Douro, nach einem netten Plätzchen wo wir auf ein kleines Frühstück einkehren können. Es ist jetzt um 8Uhr, durch eine Stunde Zeitverschiebung zwischen Portugal und Deutschland ja eigentlich 9:00Uhr, schon so warm, dass man gemütlich, draußen in der portugiesischen Sonne sitzen kann. Unsere Erfahrung sagt uns jedoch, dass es von Vorteil wäre, über die Brücke zu gehen und dort auf der anderen Seite, mit Blick auf die Altstadt von Porto, ein Lokal am Fluss zu suchen. Das wäre bestimmt preiswerter und die Aussicht schöner. Wir werden belohnt und sitzen eine halbe Stunde später neben der Talstation der Teleférico de Gaia, einer Seilbahn, mit der man für 6€ hinauf zur Metrostation an der Ponte Luís fahren kann, in einem kleinen Restaurant draußen am Fluss. Privilegiert, bei einem guten Kaffee im Sonnenschein am Fluss und der Restsommerbräune im Gesicht, gleiten die Gedanken für eine kurze Zeit zurück, Fünfzig Jahre zurück. Unser Leben war nicht immer so einfach und unbeschwert.

K indheit und Jugend sind vorbei und es geht darum sich mit Anfang Zwanzig irgendwie im Leben, welches mit all seinen Facetten und Erwartungen vor uns liegt, zu orientieren. Wir schreiben das Jahr 1969, doch eigentlich sollte ich mit dem Jahr 1967 beginnen, dem Jahr, als Gerda und ich uns kennenlernten.

Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass Jahre, die auf eine Neun enden etwas Besonderes wären und viele große Ereignisse haben sich in der Tat in den Jahren mit einer Neun am Ende ereignet. Für uns, nach der Hochzeit im Jahre 1969, wenigstens alle zehn Jahre, wenn wir einen „runden Hochzeitstag“ feiern durften. Wenn man also will, findet man eben immer etwas Besonderes, das ist das Handwerk der Heerscharen von Experten, die Statistiken für Politik, Industrie und den Hausgebrauch liefern. Ja, gewiss gehört natürlich das Jahr unserer Hochzeit in jeder Hinsicht zu solch einem besonderen Ereignis.

So gesehen darf die Zeitrechnung der Neun für uns auch mit dem Jahr 1949 beginnen, einem überaus wichtigen und auch erfreulichem Jahr. Gerda wird geboren und mit ihr die Bundesrepublik Deutschland. Da bin ich immerhin schon zwei Jahre alt. Das Deutsche Grundgesetz, die Verfassung, oder um es mit Rousseau, John Locke oder Thomas Hobbes zu sagen, der Gesellschaftsvertrag, wird am 23 Mai 1949 durch Konrad Adenauer verkündet, dem daraufhin gewählten, ersten deutschen Bundeskanzler der Nachkriegszeit. Gemeinsam mit Gerda erblickten 1949 auch noch andere, zugegeben für die meisten Menschen bekanntere Persönlichkeiten das Licht der Welt. Darunter André Rieu, Richard Gere und Meryl Streep, aber auch Peter Maffay, Mary Rose und Niki Lauda.

Der erste Bundespräsident wurde damals auch gewählt, es war Theodor Heuss. Er war, wieder eine Neun, unser Bundespräsident von September 1949 bis September 1959. Knapp ein Jahr vor dieser Wahl wurde er auch zum ersten Vorsitzenden der neu gegründeten Partei FDP gewählt. Dieses Amt legte er aber mit der Wahl zum Bundespräsidenten nieder, wie auch sein Bundestagsmandat. Kaum ein anderer Präsident und Politiker hat nach ihm eine solch große Verehrung durch das Volk, bis in die heutige Zeit erhalten. Er starb am 12. Dez. 1963 in Stuttgart. Viele Jahre danach begleitete uns sein Konterfei aber noch millionenfach in Form einer der wohl bekanntesten deutschen Briefmarken, in den Fünfziger und Sechziger Jahren, Briefmarken mit seinem Profil, in den verschiedensten Farben und Werten. Der kleinste Wert war dabei die grüne Marke zu 2 Pfennigen.

Jugend ist ein wirklich besonderer Lebensabschnitt, vor allem jedoch der Zeitraum, wenn sich ein Mensch auf die Suche nach seiner zweiten Hälfte macht, wie es aus einer alten Sage bekannt ist, nach der die Menschen zu Urzeiten als Halbkugeln auf der Welt waren und es zu jeder Halbkugel nur eine einzige passende zweite Hälfte gab, die man auf dem gesamten Erdball suchen und finden musste. Eine zugegebenermaßen nicht einfache Sache, die damals in Ermangelung großer Internet-Partnerportale in den sozialen Medien mehr oder weniger vom Zufall bestimmt wurde. Unsere beiden Halbkugeln begegneten sich zum ersten Male zufällig im Frühling 1968. Doch, wenn alles im Leben eine Ursache hat, so sagen es uns vor allem ja auch die Physiker, kann es dann überhaupt einen Zufall geben? Wir werden dieser Frage im Laufe des Buches bestimmt noch häufiger begegnen.

I n dem kleinen Lokal am Douro beobachten wir bei einem köstlichen Frühstück immer wieder hübsche, auf alt getrimmte Ausflugsboote, die mit Touristen vollbeladen, an uns vorbeiziehen. Diese Boote sind uns schon aufgefallen, als wir von der Brücke Ponte Luís kommend hier am Ufer entlangschlenderten. Erst später lese ich nach, dass es sich bei diesen Booten um die sogenannten „Rabelo“ Boote handelt. Sie wurden früher zum Transport der Weinfässer verwendet und transportierten den Wein aus den Anbaugebieten am oberen Douro nach Porto, wo später nicht nur der hervorragende portugiesische Rotwein gekeltert wurde, sondern auch der in aller Welt bekannte Portwein nach seiner Produktion und Reifung von hier aus in alle Welt verschifft wurde.

Heutzutage dienen diese alten Boote und deren Nachbauten allerdings nur noch und ausschließlich dem Tourismus. Meistens in kontrastreicher, gelber Farbe gehalten, schmücken die Namen der bekanntesten Portweinhersteller ihre dunklen, rot-braunen Bordwände. Kurzerhand beschließen wir, mit so einem Boot, die hier überall anlegen, auch eine Flussfahrt zu unternehmen.

Wasser und ein Boot, so drängt es unvermittelt aus den Tiefen der Erinnerung hervor, ja, es war auch ein Boot, welches damals, vor langer, langer Zeit eine wesentliche, wenn nicht die bestimmende Rolle und Bedeutung in unserem Leben gespielt hat.

ein Rabelo Boot auf dem Douro

V om 3. April bis zum 26. September 1968 bin ich in Tongeren, einer kleinen Stadt in Belgien stationiert und nehme dort als Obergefreiter, ich hatte mich im Januar 1967 freiwillig bei der Bundeswehr gemeldet, an einem Lehrgang für „Elektronische Datenverarbeitungsanlagen“ im PTC (Programming and Training Center) Glons, einer Einrichtung der NATO, teil. Zuvor hatte ich noch in Uetersen an der Sprachschule der Luftwaffe einen Englischkurs absolviert, da der Lehrgang in Belgien in englischer Sprache abgehalten wird.

in Tongeren

mein Elternhaus in Nienhorst

An den Wochenenden fahre ich ab und an zu Besuch an meinen alten Wohnort nach Nienhorst, 10km südlich von Celle und 450km weit von Tongeren entfernt. Für mein erstes Auto, einen VW Käfer bedeutet dies immer eine anstrengende Weltreise, man war bestimmt einen halben Tag unterwegs. Die einzige Autobahn führt 1968 über Hannover, Bielefeld, das Kamener Kreuz, Remscheid, Köln, und Aachen durch Belgien nach Tongeren. Im April 68, bei einem solcher Wochenendbesuche in der Heimat, gehe ich wie gewohnt am Samstag zum Einkauf in den kleinen Lebensmittelladen in Nienhorst, Ecke Behrestraße - Heideweg. Es ist ein typischer, kleiner „Tante-Emma-Laden“, wie es sie zu dieser Zeit noch überall gibt und in dem mich die junge Verkäuferin Gerda, sooft ich komme, bedient. Nie weiß ich, was jedes Mal mehr strahlt, ihr freundliches Gesicht mit den dunklen Augen, oder ihr weißer, immer glatt gebügelter Kittel. Heute schaue ich vielleicht einen kleinen Wimpernschlag zu lange in die hübschen, dunklen Augen.

Jedenfalls kommt es mir so vor. Es ist genau dieser winzige Bruchteil einer Sekunde, der uns für ein langes, gemeinsames Leben zusammenführen soll. Sie ahnt es noch nicht einmal.

Obwohl wir beide seit Kindestagen im gleichen Ort, in Nienhorst leben, hatten wir uns bis zu diesem Tag im April 68 gegenseitig nicht wirklich Aufmerksamkeit geschenkt. Wir wussten … nichts voneinander.

Mit 100gr Mortadella und Dingen, die ich garnicht brauche, verlasse ich an diesem Tag das kleine Geschäft als ein anderer Mensch. Bei meinem nächsten Besuch in Nienhorst, kann ich es am Samstag kaum erwarten, bis der kleine Laden öffnet. Zum ersten Male kommen bei diesem Besuch auch einige vernünftige Sätze über unsere Lippen, als das automatische, fremde, unpersönliche „Was darf es bitte schön sein“ und „Vielen Dank“.

Doch wir waren noch weit davon entfernt, dass ich sie mal zum Ausgehen hätte einladen können. So mutig ich auch sein wollte, wir waren einfach zu schüchtern. Doch die Hoffnung wuchs und am Tag vor dem 1. Mai 1968 trafen wir uns dann tatsächlich zum ersten Male außerhalb des Geschäftes.

Mein erster Brief, den ich Gerda daraufhin aus Tongeren schreibe, stammt vom 2.

Mai 1968, die Antwort darauf datiert vom 5. Mai. Diese beiden Briefe tragen noch sehr formalen Anreden, wie „Hallo Gerda“ oder „Hallo Holdi“ (es war mein Spitzname). Aus dem kleinen Fünkchen, das ich an jenem Tag im April in Gerdas Augen mehr erahnen als erblicken konnte, sollte sich am Pfingstsonntag den 2. Juni 1968 eine Flamme und danach ein riesiger Flächenbrand entwickeln, den niemand mehr löschen konnte und sollte und die Strecke Tongeren – Nienhorst, musste danach fast jedes Wochenende bewältigt werden. Sehnsucht schenkt unendlich viel Kraft. Dann kam die alles entscheidende Bootsfahrt, eine Bootsfahrt auf dem Steinhuder Meer, bei dem auch der Wind eine besondere Rolle spielte. Ich hatte meine erst kürzlich eroberte, große Liebe zu einer Bootsfahrt auf dem Steinhuder Meer überreden können.

Noch waren wir nicht mehr als „Freunde“. Mit meinem VW Käfer, Baujahr 1949, also gerade einmal so jung wie meine Freundin, fuhren wir zum See. Warum dieser relativ kleine, zudem auch noch sehr flache See, Meer genannt wurde entzieht sich meiner Kenntnis. Welche Erwartungen begleiten uns wohl an diesem Tag? Es war Sommer und wir dachten an alles Mögliche, nur nicht daran, dass es vielleicht ein Gewitter geben könnte und man einen Regenschirm oder so etwas Ähnliches brauchen würde.

Außerdem besaß ich überhaupt keinen Regenschirm. Das Gewitter kam und wer an Vorsehung glaubt, wird feststellen, dass es geschickt wurde, und mit ihm, ohne Vorwarnung ein mächtiger Schauer, als wir gerade auf der Rückfahrt von der einzigen Insel, auf dem Steinhuder Meer, der Festung Wilhelmstein, waren. Eigentlich ist es keine Insel, sondern nur eine künstlich angelegte Festung der Grafschaft Schaumburg-Lippe aus dem 18. Jhdt. Schon jetzt, in den sechziger Jahren ist die Insel ein beliebtes Ausflugsziel und man kann von Steinhude aus, mit den sogenannten „Auswanderer Booten“, zur Insel Wilhelmstein hinüberfahren. Die Boote sind kleine Segeljollen, welche ihren Namen dem Umstand verdanken, dass Steinhude im 18 Jhdt. zur Grafschaft Schaumburg-Lippe gehörte, der Ort Mardorf jedoch zum Königreich Hannover. Fuhr man mit einem Boot von Steinhude nach Mardorf, wanderte man also aus. Auf der Insel Wilhelmstein lernen wir auch, dass diese Festung von Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe zwischen 1761 und 1767 errichtet wurde und er sein Fachwissen zum Bau von Festungen seinen militärischen Erfahrungen zu verdanken hatte, die er unter Friedrich dem Großen sammeln durfte. Er bereiste Italien und Ungarn und kämpfte im Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) mit einem eigenen Militärkontingent an der Seite der Allianz Großbritannien, Preußen und Kurhannover gegen Frankreich, Russland und die österreichische Habsburg Monarchie. Eigentlich hatte diese kriegerische Auseinandersetzung die Züge eines Weltkrieges, denn der Krieg wurde nicht nur in Europa, sondern auch in Nordamerika, Indien, der Karibik und auf den Weltmeeren ausgefochten. Es ging im Prinzip um die Vorherrschaft auf der Welt. Daran sollte sich bis in die heutigen Tage nichts ändern. Als 1762 der Krieg zwischen Portugal und dem mit Spanien verbündeten Frankreich ausbrach, übernahm Graf Wilhelm auf Bitten des Marquês de Pombal, einem großen Reformer und Minister in Portugal, von dem noch die Rede sein wird, den Oberbefehl über das portugiesische Heer und die mit ihm verbündeten britischen Truppen. Es gelang ihm in dem sogenannten „Fantastischen Krieg“ (Guerra Fantástica), die Invasionspläne Spaniens zu durchkreuzen und somit Portugal die Unabhängigkeit zu sichern. Zudem reformierte der Graf in Portugal das mangelhafte Militärwesen, gründete eine Kriegs- und Artillerieschule und versetzte die herabgewirtschafteten Landesfestungen wieder in einen wehrhaften Zustand. In diesem Zusammenhang legte er auch das Fort Nossa Senhora da Graça in der Nähe der Stadt Elvans an, welches der portugiesische König ihm zu Ehren später als „Fort Lippe“ benennen ließ. Vorbild für diese Festung war die Festung Wilhelmstein, hier im Steinhuder Meer. Erst 50 Jahre später sollen Gerda und ich einen Lebensbogen zwischen dem Steinhuder Meer und Portugal spannen. Hätten wir das im Jahre 1968 gewusst, wir hätten auf der Festung Wilhelmstein bestimmt noch besser zugehört und uns mehr für die Geschichte von Portugal interessiert.

Die Geschichte Portugals Teil I.

(die Zeit der römischen Besatzung)

Lusitanien, BRAGA und Porto

Obwohl historisch nicht wirklich belegt, scheint es schon gegen Ende der Eisenzeit, so um 300 bis 400 vor Chr. in der Nähe des heutigen Braga eine vorrömische Siedlung gegeben zu haben. Spätestens um 138 vor Christus eroberten die Römer das Land und gründeten hier die Stadt „Bracara Augusta“. Sie wurde in der Folge zur Hauptstadt der Provinz Gallaecia. Rom regierte fast vierhundert Jahre auf der iberischen Halbinsel. Unter Augustus wurde um 27 v. Chr. eine erste Verwaltungsreform durchgeführt und die Halbinsel in drei Provinzen eingeteilt. Tarraconensis im Norden mit der Hauptstadt Tarraco (heute Tarragona) als größte Provinz, dann Lusitanien im Südwesten und Baetica im Süden.

Später unter Diokletian wurden in einer zweiten Reform um 283, zwei weitere Provinzen, Carthaginiensis und Gallaecia von der Provinz Tarraconensis abgespalten.

Gallaecia umfasste dabei auch das Gebiet des heutigen Portugals nördlich des Douro, also alles nördlich von Porto. Südlich davon, in Lusitanien wurde der Ort Emerita Augusta, das heutige Mérida, zur Hauptstadt. Lusitanien bildete dabei den größten Teil des heutigen Portugals, enthielt zusätzlich aber auch die spanischen Provinzen Salamanca und Cáceres in der Extremadura.

Später, als die Sueben und Westgoten die Römer vertrieben hatten, bezeichneten die Sueben Bracara zwar als Braga, behielten aber den Ort weiterhin als Hauptsitz des Reiches. Als die Sueben dann auch die nördlichen Teile von Gallaecia übernahmen, entstand dort eine zweite Residenz, die Stadt A Coruña. Die Christianisierung Portugals fand hauptsächlich im 4. Jahrhundert statt; dabei wurden vier Bistümer eingerichtet.

Braga, Ossónoba, Évora und Lissabon. Braga war das erste und damit älteste. Von der anderen Seite, aus Südwesten kamen ab 711 die Mauren, die fast die gesamte iberische Halbinsel innerhalb kürzester Zeit erobern konnten. Ausgerüstet mit Pfeil und Bogen waren sie in ihren Kettenhemden wesentlich wendiger und flexibler in der Kriegsführung gegenüber den in schwere Ritterrüstungen, mit Lanzen ausgestatteten unbeweglichen Westgoten. Nach der Rückeroberung im Rahmen der als Reconquista bezeichneten militärischen Auseinandersetzungen der Christen mit den Muslimen, wurde Braga ein Teil der Grafschaft Porto und mit der weiteren Eroberung wurde auch der größte Teil Lusitaniens in dieses neue Reich eingegliedert. Der aufmerksame Portugalreisende oder Beobachter wird auch heute noch den kulturellen Unterschied zwischen den nördlich des Douro gelegenen Landesteilen und denen südlich davon erkennen.

Die für den portugiesischen Jakobsweg interessante Geschichte Portugals beginnt also meinem Empfinden nach zunächst mit den Römern im Norden und dann mit den Berbern (Arabern) im Süden. Den Fußstapfen der Römer werden wir auf dem Jakobsweg noch viele Kilometer weit folgen.

N ach dem interessanten Aufenthalt auf der Insel Wilhelmstein ging es mit dem Boot wieder zurück an Land. Der Bootsführer besaß für den Fall eines unerwarteten Regens, eine weite, graue Plane, die er behände über seinen Fahrgästen ausbreitete, mit der Bitte, doch enger zusammenzurücken und so saßen wir plötzlich, schon recht nass, ganz dicht aneinandergedrängt und spürten den Körper des anderen.

Ich wünschte mir in diesem Augenblick, dass diese Fahrt nie zu Ende gehen möge. Mein Wunsch wurde nicht erhört, das Gewitter verzog sich und der Regen hörte auf, aber irgendwie hat der Wind damals diesen, meinen Gedanken mitgenommen und ihn dorthin getragen, wo Wünsche erfüllt werden, denn immerhin, diese gemeinsame Fahrt dauert nun schon mehr als fünfzig Jahre. Fünfzig Jahre, getragen von immerwährender Hoffnung und dem Wunsch auf eine uns wohlgesonnene, freundliche Zukunft. Und wenn nicht … „Es gibt immer einen Weg hinaus aus dem Labyrinth von Sorgen und Ängsten, wenn der Lebensweg plötzlich über einen steinigen, unbekannten Bergpfad oder durch einen dunklen Wald führt“. Auch das haben wir gelernt.

Ein wenig nass und mit seltsamen, neuen Empfindungen ausgestattet, erreichten wir bald darauf das Ufer in Steinhude. Unterwegs zurück nach Hause sprechen wir seltsamerweise nicht viel, denn unsere Gefühle und Emotionen waren anscheinend viel zu sehr damit beschäftigt, den Vorgang auf dem „Meer“ zu verarbeiten, doch im Inneren machte sich heimlich eine hoffnungsvolle Neugier breit.

Zu dieser Zeit, also im Sommer 1968, war ich, wie schon erwähnt bei der Bundeswehr zu einem Lehrgang im PTC Glons (Programming and Training Center), wo wir über ein neues, elektronisches Radarfrühwarnsystem der Nato unterrichtet wurden, welches die Luftwaffe mit Hilfe der Amerikaner in Europa aufbaute. Das PTC Glons lag in dem kleinen bezaubernden Ort Tongeren in Belgien. Dort war ich für mehrere Monate stationiert.

Soldaten, es gab noch eine Wehrpflicht, waren in der Bevölkerung gut angesehen und wir waren stolz darauf, in Uniform mit dem Zug zu fahren oder uns auch sonst in der Öffentlichkeit uniformiert zu zeigen. Mitten im kalten Krieg unser Land gemeinsam mit den Amerikanern zu verteidigen, war für uns eine ehrenvolle, wehrhafte Aufgabe. Die Innere Führung der noch jungen Bundeswehr versuchte auch, mit Erfolg sollte ich hier sagen, den „Bürger in Uniform“ nach der Katastrophe des Nationalsozialismus wieder gesellschaftsfähig zu machen. Wir lernten, alten Menschen zu helfen und uns vorbildlich und diszipliniert zu benehmen. „Ihr vertretet die Bundeswehr“ und deren Ansehen, wurde uns gleich während der Grundausbildung beigebracht. Wenn ich mir vorstellte, welche ungeheuren Mittel an Kapital in unsere Ausbildung gesteckt wurden, war es kein Wunder, das die zivile Industrie sich später nach diesen gut ausgebildeten Fachkräften riss. Kaum jemand aus Heer, Luftwaffe oder Marine hatte nach seiner Bundeswehrzeit, wenn er sich dabei gut ausbilden ließ, Sorgen, einen gut bezahlten Arbeitsplatz zu finden.

W ährend der entspannten Bootsfahrt auf dem Douro können wir viele altergraute aber auch neu erbaute, doch immer stolze Brücken und Sehenswürdigkeiten von Porto bewundern und bekommen deren Geschichten als Podcast auf unseren Kopfhörern serviert. Danach haben wir noch viel Zeit für einen ausgelassenen Bummel durch die Altstadt, mitsamt dem Besuch der Kathedrale, zu der uns eine Zahnradbahn mit Neigetechnik von der Promenade aus hinaufbringt. Wer Porto besucht, sollte sich diese

Kathedrale in Porto

Fahrt, ebenso wie die mit der Teleférico nicht entgehen lassen. Oben am Eingang zur Kathedrale haben wir von dem großen Platz aus nicht nur einen grandiosen Blick auf den Douro, hier lassen wir uns auch unseren allerersten Stempel in unseren Pilgerausweis drücken … jetzt sind wir offiziell Pilger. Gleich danach erspäht Gerdas geübtes Auge auch schon die erste Jakobsweg Muschel. Golden glänzend begrüßt sie uns, fest eingemauert in einem Stein vor der Kathedrale und der gelbe Pfeil wird uns in den kommenden 11 Tagen den Weg nach Santiago weisen.

Obwohl für uns heute eigentlich Ruhetag ist, sind wir doch schon mehrere Kilometer gelaufen. Das macht durstig und so führen uns Sambaklänge in eine kleine Nebenstraße unterhalb der Kathedrale zu einer altstadttypischen Bar, wo wir draußen an einem Tisch etwas zu trinken bestellen. Hier gibt es, so wie in ganz Portugal, den „Super Bock“, das traditionelle Bier Portugals. Die Tische stehen auf auf der abschüssigen Straße so schräg, dass man Gläser und Flaschen festhalten muss, damit sie nicht runterrutschen, angetrieben auch vom Vibrieren der durchdringenden Samba Musik, die aus einem bulligen Lautsprecher dröhnt, der direkt am Straßenrand seine Backen aufgeblasen hat. Mein Blick verfolgt das Lautsprecherkabel. Es führt, natürlich in die Bar. So lockt also die Besitzerin ihre Kunden an. Das ganze Spektakel erreicht seinen Höhepunkt, als sich eine alte Frau, die nebenan mit einem Besen vor ihrer Haustür kehrt, sich aufschwingt und mit dem Besen im Anschlag für uns einen gepflegten Samba-Showtanz hinlegt. Eine bemerkenswerte, temperamentvoll und offenherzige, südländische Kultur.

mein erstes Auto

M ein schwarzer VW Käfer CE AD-827, fast so alt wie ich, was für ein Auto im Jahr 1968 fast ein Greisenalter bedeutete, hatte noch Winker anstelle der heutigen Blinker und eine geteilte Brezelheckscheibe. Ich hatte ihn erst vor kurzem in der Müggenburg, unserer Dorfkneipe, für 400DM dem Dorfpolizisten Gerd Perlbach abgekauft. Seit ich Gerda kannte, war ich mit diesem Käfer fast jedes Wochenende auf der A6 in Ost – West oder West - Ost Richtung, quer durch Deutschland unterwegs. Freitags von Belgien nach Nienhorst, sonntags wieder zurück nach Tongeren. Es war in diesen Jahren eine veritable Weltreise, die bei einer Spitzengeschwindigkeit von 90 bis 110kmh schon mal sieben bis acht Stunden dauern konnte. Die zweispurige Autobahn war zwar wenig befahren, dafür standen aber nach fast jeden Kilometer Pannenfahrzeuge auf dem Seitenstreifen. Bei den meisten waren es platte Reifen, doch auch Motorschäden waren häufig, oder die Autos waren einfach durchgerostet. Damals waren Autos nicht sehr zuverlässig.

Die größte Unsicherheit und Gefahr erwartete uns jedoch auf Belgiens Straßen. Ich mag darüber garnicht weiter nachdenken, dass in unserem Nachbarland Belgien der Führerschein erst 1977 eingeführt wurde. Noch 1968 durfte jeder Belgier, der 18 Jahre alt war, sich einfach ein Auto kaufen, sich zeigen lassen wo Bremse und Gaspedal zu finden waren und losfahren. Am nächsten Tage waren dann wieder ein paar mehr Menschen tot oder verkrüppelt. 50 Jahre später muss ich feststellen, dass ich all die Jahre mit einem Schutzengel unterwegs gewesen bin, denn technische Mängel und mangelhafte Sicherheitsvorrichtungen führten vor allem im Herbst und Winter bei Nebel, Schnee und Eis zu unzähligen Verkehrsunfällen mit oft katastrophalen Folgen.

Seit meiner Grundausbildung bei der Bundeswehr in Goslar, Anfang 1967 hatte ich mich in einer kleinen Gruppe wiedergefunden, deren Teilnehmer nach verschiedenen Tests in einem Auswahlverfahren zusammengestellt waren. Wir ahnten und wägten uns gemeinsam in dem Wissen, etwas ganz Besonderes zu sein, um das damals hochmoderne, erste digitale Radarfrühwarnsystem mit aufbauen und warten zu dürfen.

Neben dem technischen Teil unserer Ausbildung wurden wir auch insbesondere im Umgang mit vertraulichen militärischen Unterlagen, durch den MAD unterrichtet und, wie das bei jungen Soldaten so ist, insbesondere auf die Methoden und Arbeitsweise des „Deutschen Soldatensenders 934kHz“, ein wahrhaft verführerischer Sender aus der DDR, der sein Mittelwellenprogramm aus dem Ort Burg bei Magdeburg ausstrahlte, hingewiesen. Die eigentliche Absicht dieses Senders war es, junge westdeutsche Soldaten zu einer Brieffreundschaft mit jungen Mädchen aus der DDR zu überreden.

Der forsche Klaus-Uwe, der kleine Rehwald, der stille Helmut und ich wohnten, bzw.

hatten unser Elternhaus und unsere Freunde alle in dem großen Dreieck Hannover, Celle, Braunschweig. Also dort, wo man Deutschlands bestes Deutsch, die Theatersprache spricht und wo dieser Sender besonders gut zu hören war. Es ergab sich, dass wir oft genug gemeinsam in die Wochenenden fuhren. Meistens war ich dabei die treibende Kraft, denn auf mich wartete seit dem Steinhuder Meer ein großer Schatz in der Heimat und da natürlich auch damals, obwohl Benzin nur 10 Pfennige der Liter kostete, so eine Heimfahrt für einen Obergefreiten sehr teuer war, nahm ich gerne die anderen drei mit nach Hause und wir teilten uns die Spritkosten. Helmut hatte auch ein Auto, einen Lloyd Alexander TS, der fuhr aber nur 70 bis 80kmh und nachdem wir einmal auf der Autobahn den Anlasser verloren und den Wagen nach jedem Stopp anschieben mussten, fuhren wir nur noch mit meinem VW. Bei dem musste nur der Beifahrer, wenn es regnete, in das Handschuhfach greifen und das Scheibenwischergestänge mit der Hand bewegen, denn der Scheibenwischermotor hatte seinen Geist schon vor einiger Zeit aufgegeben.

So fuhren wir mit meinem VW bis zu dem denkwürdigen Tag im Oktober, oder war es November, als wir auf der Rückfahrt nach Tongeren, schon weit hinter der Grenze Aachen Lichtenbusch in Belgien, die langgezogene, schnurgerade Bergabfahrt nach Herstal zur Maas hinuntersausten. Wir waren fasziniert. 100, 110, 120kmh, ohne Sicherheitsgurte. So etwas gab es damals noch nicht. Es war ein Rekord, ein absoluter Rekord, den mein alternder VW Käfer daraufhin mit einem Herzinfarkt quittierte. Alle roten Lampen, es waren zwei, gingen plötzlich an und der Motor machte einige letzte seltsame stotternde Geräusche. Dann standen wir auch schon, eingehüllt in eine dicke, blaue, nach verbranntem Öl riechende Wolke, wie so viele andere Autos damals auch, rechts auf dem Seitenstreifen. Ein Abschleppwagen, die waren sehr viel häufiger als heute unterwegs, kam und kaufte meinen VW gleich für 200DM auf. Irgendwie mit Bus und Bahn, der Zug- und Nahverkehr war damals hervorragend, schafften wir es dann doch noch bis Montagfrüh in die Kaserne. Das nächste Auto, das ich mir mit Hilfe eines Bankkredites kaufte, war ein blauer Fiat 1400, ein absoluter Sprung in die Mittelklasse. Für mich war so ein Auto damals eigentlich ein paar Nummern zu groß. Doch was tut man nicht alles, um seiner Angebeteten zu imponieren, obwohl, wie wir später feststellten, ihr das gar nicht imponiert hat.

der Fiat 1400

S päter, auf dem Weg zu unserem Hostel, stoßen wir mitten in der Stadt, am Campo dos Mártires da Pátria 111 auf die „Casa Oriental“, ein Feinkost-Fischgeschäft der Comur Gruppe, einem der ältesten Unternehmen Portugals in der Fischkonserven Industrie überhaupt. Hier im Geschäft befinden sich bestimmt tausende von Sardinendosen aller Jahrgänge und Güte. Portugal ist Fischland. Uns reicht es, dass wir die Sardinendosen unserer Geburtsjahrgänge fotografieren, denn mit mehr als 10€ pro Dose ist es einerseits ein relativ teures Mitbringsel und außerdem müssten wir die Dosen 250km weit in unseren Rucksäcken zu Fuß nach Santiago de Compostela schleppen.

Sardinendosen

nach Jahrgängen

Auch die Dosen aus dem Jahr 1969, unserem Hochzeitsjahr, nehmen wir in Augenschein. Was war 1969 doch für ein besonderes Jahr. In Deutschland war es nicht der Fisch, sondern das Automobil, welches für den gewaltigen, wirtschaftlichen Aufstieg des Landes verantwortlich war.

W enn ich mich nicht gerade auf der Autobahn zwischen Tongeren und Nienhorst befand, oder im Unterricht im PTC saß, schrieb ich Briefe an Gerda, las Briefe von Gerda und trank dazu Martini. Hunderte von Briefen aus dieser Zeit, sind Zeitzeugen, wie sich unsere Gefühle der Zuneigung langsam ihren Weg bahnten, wie sich aus diesem ersten „Hallo Gerda“ und „Hallo Holdi“, schon einen Monat später über „Meine liebe kleine Gerda“ und „Mein lieber kleiner Dicker“ (ich war überhaupt nicht dick) dann, nur nach einem weiteren Monat ein „Mein lieber Schatz“ werden sollte. Ein glühendes Feuer bahnte sich schnell seinen Weg in unsere Herzen und schon am 16.Juli 1968 übermittelte ich per Post in einem 12 Seiten langen Brief meinen ersten Heiratsantrag. Für diesen Brief musste ich mir sehr viel Mut antrinken. Die Antwort darauf kam, sehr viel kürzer, einige Tage später auf einer kleinen Karte aus Büttenpapier, dem eigentlichen Brief beigelegt.

Auszugsweise lautete die Antwort auf mein Angebot zur Verlobung und zur Heirat am 18.7.68 dann wie folgt:

„Also Schatz, mit der Verlobung wäre ich schon einverstanden, aber mit der Heirat möchte ich noch etwas länger warten … schau, ich habe mir doch jetzt erst das Auto gekauft und bezahle daran noch bis Sommer 71 ab und habe dadurch keine auch noch so winzige Gelegenheit zum Sparen und mir Aussteuer anzuschaffen und ich finde, so etwas braucht man doch für den Start in die Ehe.

Wenn ich schon heirate, möchte ich auch alles für einen Haushalt zusammen haben und nicht erst danach anfangen alles anzuschaffen. Ich würde lieber heute als Morgen zusagen, aber es sind eben diese Bedenken, die ich habe“.

Gerda ist von Sternzeichen Skorpion, ich bin Löwe. Hätte ich sie nicht geheiratet, ich wäre nie zu etwas gekommen. Löwen sind spendabel, ob dem Skorpion nachgesagt wird, dass er das Geld zusammenhält, weiß ich nicht, aber bei uns war es und ist es so.

Die Zeiten haben sich geändert, Bedeutung und Stellenwert der beiden Worte „Aussteuer“ und „Altersarmut“ haben innerhalb von 50 Jahren ihre Plätze getauscht.

Einer jungen Frau in den sechziger Jahren ging es in erster Linie um ihre Rolle in der Familie, eine junge Frau von heute muss sich in erster Linie den Kopf darüber zerbrechen, ob sie im Alter ausreichend versorgt ist. Bis in die 90er Jahre hält sich in Deutschland noch der Begriff Aussteuer, dann stirbt er langsam aus und ist heute so gut wie nirgends mehr bekannt. Man heiratet und „Basta“. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus schrieb dazu um 100 n.Chr. über die alten Germanen:

„Die Mitgift bringe nicht die Ehefrau dem Ehemann zu, sondern er ihr, nämlich Rinder und ein gezäumtes Pferd sowie einen Schild mitsamt germanischer Lanze und Schwert. Eltern und Verwandte prüften die Geschenke, woraufhin der Ehemann seine Frau in Empfang nahm und auch sie übergab dem Mann irgendetwas an Waffen“.

Die Briefe von Gerda begannen alle gleich: „Verzeih bitte meine Schrift, ich liege schon im Bett und schreibe dir noch schnell“. Nach mehr als fünfzig Jahren lesen wir diese Briefe heute mit großer Heiterkeit und Bewunderung, welch einfache und naiven Dinge damals unsere kleine Welt bestimmten.

Im Jahr 1969 werden in Deutschland zum ersten Male mehr als eine Million neue Autos zugelassen. Der VW ist, welch Wunder, das am meisten verkaufte Auto. Doch auf Platz zwei befindet sich Opel und danach kommt Ford. Ein Jahr später, steht Opel sogar auf Platz Eins. Bei Opel sind es zum einen die großen Luxuskarossen Opel Kapitän, Opel Admiral und Opel Diplomat, in der stärksten Version mit einem 5,4ltr. V8 Zylinder Motor. Das am meisten verkaufte Auto war allerdings der Opel Kadett. Auch Ford glänzte damals mit einem besonderen Modell über Jahre hinweg. Es war der legendäre „Ford Capri“ ein Coupé, an das man sich heute kaum noch erinnert, dass aber damals jeden Autonarr begeisterte … bis dann der „Opel Manta“ kam und mit ihm der Fuchsschwanz an der Autoantenne. Leider ist der feurige Blitz des Opels, später immer seltener zu sehen gewesen und andere Sterne zogen am Autohimmel auf. Ein Grund dafür lag darin, dass es Opel wirklich nie geschafft hat, seine „Luxuskarossen“ in das Milieu der wahren gesellschaftlichen Oberklasse zu positionieren und damit dem Mercedes Stern Kunden abzujagen. Die großen Opel wurden gefahren von Viehhändlern, Schrotthändlern und anderen Selbständigen. Ein weiterer Grund war auch in der ersten Ölkrise von 1971 zu sehen, als Autos mit großem Hubraum von sparsameren Motoren verdrängt wurden. Davon wird noch zu berichten sein. Eine andere, weltpolitische Entwicklung, die uns in den sechziger Jahren in Atem hielt, war die Entwicklung des „Kalten Krieges“, der zu manchen Zeiten bis an den Rand eines „heißen“ Krieges eskalierte. Es begann, wie schon erwähnt, mit der Kuba Krise 1962, als die UdSSR (die damalige Sowjetunion) mit der heimlichen Stationierung von Militärpersonal und Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen begann (man sprach von mehr als 40000 Soldaten und 230000 Tonnen Material). Danach war es am 21.

August 1968, an meinem 21. Geburtstag, der Einmarsch der sowjetischen Armee in die Tschechoslowakei. Die Welt stand für fünf Minuten still. Überschattet wurden diese Ereignisse nur noch von dem Vietnam Krieg, den die USA von 1955 bis 1975, also zwanzig Jahre lang führten. Am Ende waren mehr als 52000 getötete amerikanische Soldaten, mehr als 1 Million getötete nordvietnamesische Soldaten und mehr als zwei Millionen tote Zivilisten zu beklagen. Der Westen, vereint in der Nato, war wehrhaft und vor allem in Europa baute man ein massives Verteidigungsschild gegen die im Osten wachsende demokratiefeindliche Sowjetunion auf. Während der Zeit, als wir enger befreundet waren und anfingen, so etwas wie Zukunftspläne zu schmieden, wuchs in uns, wie auch bei vielen anderen jungen Menschen aber auch die Furcht vor einem dritten Weltkrieg. Bei mir umso mehr, als ich zu dieser Zeit bei der Luftwaffe für den Aufbau eines neuen, des ersten digitalen Radarfrühwarnsystems, ausgebildet wurde.

Einem hohen Sicherheits- und Geheimhaltungsaspekt unterworfen, hatte ich Zugang zu hoch geheimen militärischen Informationen. Wer, wenn nicht wir, die damals an dem Radarfrühwarnsystem gearbeitet haben und die Jagdbomber leiten sollten, wussten, dass es am 21. August 1968 wenige Sekunden vor zwölf gewesen war, bevor der rote Knopf gedrückt worden wäre, der dann eine Maschinerie in Gang gesetzt hätte, die von Menschenhand so einfach nicht mehr zu stoppen gewesen wäre. Ja, damals hatten wir einen „Feind“ vor Augen und die täglichen Gedanken unserer jungen Generation waren neben dem sich langsam entwickelnden Wohlstandsdenken, tief durchdrungen von dem Wunsch nach einer friedlichen Welt, die jedoch nicht umsonst zu haben ist. Zu frisch und gegenwärtig lauerten überall noch die Ereignisse und Fratzen des tödlichen, zweiten Weltkrieges. Weit, manchmal zu weit zurück, liegen diese Ereignisse nicht nur für unsere derzeit junge Generation. Man will heute leben, als gäbe es kein Morgen. Doch mit der Sorglosigkeit durch Wohlstand und Ablenkung schwindet die Achtsamkeit. Eine Entwicklung, die auch verantwortliche Politiker schläfrig macht.

D er überschäumende, fröhliche Lärm, der uns aus den trendigen, meist winzigen Bars und Lokalen in den engen Altstadtgassen entgegenschwappt, mischt sich zum Abend mit dem Duft unzähliger portugiesischer Gerichte, allem voran mit denen aus den maritimen Küchen und entzündet schließlich unser Hungergefühl. Wir sind zurück in der Gegenwart und befinden uns wieder am Sao Bento, dem quirligen Platz im Zentrum von Porto. Es ist ein erster, bezaubernder Eindruck, den wir so von Porto, der alten Handelsstadt, mit all ihren großartigen Brücken gewinnen. Wer aber darüber hinaus das Land mit offenen Augen bereist, dem wird sich schnell offenbaren, dass Portugal im Mittelalter eine Weltmacht war. Eine Weltmacht zur See. Mit nur knapp einer Million Einwohner, hat das Land damals die halbe Welt entdeckt, auch davon wird dieses Buch erzählen. Weltreisen, Eroberungen und Entdeckungen haben schließlich auch in unserem Leben eine bestimmende Rolle gespielt.

Etagenbett im Bluesock

Bevor wir uns, um noch etwas zu Essen, irgendwo ein Lokal für den Abend suchen, gehen wir vorher zurück zum Hostel und beziehen unser Zimmer. Es ist ein Zimmer, in dem drei Etagenbetten stehen und wir bekommen ein Etagenbett für uns. Ich schlafe selbstverständlich oben. Es ist alles frisch bezogen und vor den Betten sind Vorhänge, die man zuziehen kann.

Dann hat man eine Kajüte für sich allein. Die anderen beiden Etagenbetten sind noch nicht belegt, aber es ist ja noch früh. Wir packen unsere Rucksäcke soweit notwendig aus und können die Sachen auf dem Bett und auch in Schubladen unter dem Bett, inklusive Rucksack, verstauen. Frisch geduscht und gekämmt, es gibt keinen Föhn und die Haare werden einfach mit dem Handtuch getrocknet, machen wir uns auf den Weg in die Altstadt, wo wir im Picota, einem typischen Straßenrestaurant, am Largo São Domingos 56, draußen einen freien Tisch finden. Auf dem Platz vor uns, am Mesa do Largo, was laut Google Übersetzer so viel wie „am breiten Tisch“ bedeutet, haben sich zwei Mädel mit einer Gitarre eingefunden, die hier ihre Straßenmusik zum Besten geben.

Straßenmusikerin

Mit dem guten Gefühl nun richtig eingestimmt und vorbereitet zu sein, klingt für uns der erste Abend unserer Reise langsam und gemütlich aus. Der Plan für Morgen, den ersten Wandertag steht auch schon fest. Wir wollen sehr früh aufstehen, so kurz nach sechs Uhr, um dann gemütlich zu frühstücken, denn das Frühstück für uns beide ist in dem Gesamtpreis von 27€, den ich schon bezahlt habe, enthalten. Ich hatte diese Unterkunft, als auch die nächste in Vila do Conde und die zwei letzten Nächte, wenn wir in Santiago de Compostela ankommen, schon lange vorher mit den Flügen gebucht. Alle anderen Unterkünfte unterwegs kennen wir noch nicht, und wissen auch nicht was uns dementsprechend erwarten wird. Es ist wie im richtigen Leben, alles kommt unverhofft.

D en Jahreswechsel 1968 feiern wir bei Hermann Klie in der Müggenburg, unserer Dorfkneipe in Nienhorst schon als Verlobte. Viele Jahre lang haben wir immer wieder behauptet, dass wir uns erst an Silvester 1968, genau in dieser Dorfkneipe verlobt hätten, aber die vielen Briefe, die wir uns in dieser Zeit geschrieben haben, beweisen etwas anderes. Doch egal, an diesem 31. Dezember 1968 endet unser erstes, gemeinsames Jahr. Es war ein besonderes Jahr, das Jahr, in welchem wir die Weichen für unser zukünftiges Leben zu zweit gestellt hatten.

Meine Eltern waren schon seit geraumer Zeit verstorben und Gerdas Eltern in einem so hohen Alter, dass eher wir uns um sie, als sie sich um uns kümmern konnten. Bald schon sollte es auch so kommen. Nach Durchsicht der vielen Briefe, die wir uns 1968 geschrieben haben und die ich zur Recherche für dieses Buch alle noch einmal lese, können wir unsere Verlobung auf die erste Woche im November datieren. Anscheinend war es Gerdas Geburtstag, denn auf einmal steht in einem Brief an mich, datiert vom 5. November 68: „Mein geliebter Verlobter“.

D ie Nacht im Bluesock beschert uns eine erste bleibende, ein wenig bedrückende Erfahrung mit Herbergen. Ich nehme in der Nacht den falschen Schlüssel mit zur Toilette und kann, nur mit der Unterhose bekleidet, nicht wieder zurück in das Zimmer. Ich muss hinunter zur Rezeption, um mir einen neuen Zimmerschlüssel geben zu lassen. In der Dunkelheit habe ich nicht den Zimmerschlüssel mit auf die Toilette genommen, sondern meine Kreditkarte. Mit der lässt sich zwar viel bewegen, aber kein Zimmerschloss. Gerda hingegen ficht in dieser Nacht den Kampf ihres Lebens gegen ein langbeiniges, schwarzes Käfertier, welches es sich in ihrem Bett ebenso gemütlich machen will, wie sie und danach kommt sie nicht mehr in den Schlaf, weil entweder ich sie vom Schnarchen abhalte oder weil die anderen Zimmergenossen schnarchen.

Frühstück im Bluesock

Insgeheim, so lese ich dann am nächsten Morgen in ihrem Gesichtsausdruck, beschäftigen sich ihre Gedanken dann eher mit der Frage, jetzt lieber wieder zurück nach Hause zu fliegen, als sich auf einen Weg mit Übernachtungen in einfachen Herbergen zu machen, wo sie Bett und Schlafsack womöglich mit irgendwelchem Getier teilen muss. Jakobsweg hin oder her!

Das Frühstück entschädigt dann zum Glück für die Unbill der Nacht. Es gibt genug Kaffee, der munter macht und ein richtig kleines Buffet auf dem wir Baguette, Hörnchen und allerlei Aufschnitt, sowie alle Zutaten für ein kerniges Müsli finden - und wir treffen im Frühstücksraum auf weitere, deutsche Pilger, die sich jetzt auch auf den Weg machen wollen. Leidensgenossen oder fröhliche Weggefährten? Wir wissen es noch nicht. Unser Ziel heute ist die kleine Stadt Vila do Conde, wo ich im Hostel Bellamar ein Zimmer für die kommende Nacht gebucht habe. Vila do Conde liegt an der Atlantikküste und ist von Porto 38km weit entfernt. Für den ersten Tag, es ist der 24.

August, wäre das zu Fuß gleich eine ganz schön lange Strecke, doch man kann die ersten 10km, immer an der Küste entlang, wo sowieso Industrie und Gewerbe die schöne Aussicht auf den Atlantik versperren, mit der Linie 500, einem Bus, bis nach Matosinhos, dem nächsten größeren Ort fahren.

D as Jahr 1969 wird nicht nur das Jahr unserer Hochzeit sein, es zeigt uns auch, was es heißt voneinander getrennt zu sein, wenn man sich liebt und sehnsüchtig auf die wenigen Wochenenden wartet, an denen man sich gegenseitig in die Arme schließen kann. Es war vielleicht unsere erste große Bewährungsprobe. Die Hunderte von Briefen, die nach fünfzig Jahren, sauber gestapelt in einer Kiste liegen, zeugen von der naiven, reinen Liebe, die es vielleicht nur in solchen jungen Jahren geben kann.

Vertrauen ist dabei das Schlüsselwort, unendliches, grenzenloses, bedingungsloses Vertrauen, dass man sich gegenseitig geben muss, wenn man vor allen Dingen seine Freizeit an den Wochenenden getrennt voneinander verbringen muss. Wird dieses Vertrauen enttäuscht, ist nichts mehr zu retten. Fast jeder Brief aus dieser Zeit und es sind Dutzende, endet mit dem Satz, eher der bangen Frage „Du bleibst mir doch treu“, dein treuer Schatz. Was uns im Gegensatz zu den gegenwärtigen Kommunikationsmethoden eher geholfen hat zueinander zu finden, war vielleicht tatsächlich die Prüfung durch die lange Zeit der Trennung, wo die einzige Möglichkeit, das Schreiben von Briefen war, in die man seine Worte auch noch wohlüberlegt kleiden musste und, wenn man Glück hatte, erst vier Tage später eine Antwort per Post bekam.

Jeden Tag haben wir Briefe geschrieben, jeden Tag die Antworten und die lieben Worte des anderen immer wieder darin gelesen. Wie wenig von dieser fantastischen sprachlichen Möglichkeit, miteinander zu reden, ist davon heute übriggeblieben. Bei einer Frage, die im WhatsApp Chat, aus maximal drei oder vier Wörtern besteht, muss die Antwort binnen Sekunden da sein. Sie ist, wenn man Glück hat, zwei Worte lang, oder nur ein „Smiley“. Wie kann man dann einen Smiley stundenlang immer wieder anschauen und sich den Sinn dieser Antwort mit romantischen Verzierungen ausmalen.

Selbst das Telefonieren hatte zu dieser Zeit die Dimensionen eines Großprojektes, abgesehen von den Kosten. Wir hatten kein Telefon zu Hause bei Gerdas Eltern und so vereinbarte ich in einem Brief für einen der nächsten Tage einen genauen Zeitpunkt, zu dem sich Gerda in unserer Dorfkneipe einfinden sollte. Zur verabredeten Zeit rief ich dann an. Es kam vor, dass ich zu früh anrief und wenn Gerda dann in die Kneipe kam, wurde ihr gesagt, sie hätte den Anruf gerade verpasst. Ich rief dann 5 Minuten später wieder an. Ja, so haben wir uns monatelang beholfen.

Im Januar und Februar 1969 absolviere ich einen Lehrgang bei der Firma Rhode & Schwarz in Köln-Porz, bei dem uns in sehr komprimierter Form der Stoff eines Ingenieurstudiums in Elektronik vermittelt wird. Wir sind in dem Hotel "Wahner Heide", Heidestr. 225 einquartiert, in dem fast ausnahmslos höhere Offiziersgrade untergebracht sind, die sich bestimmt immer wieder fragen, warum wir, als „Obergefreitendienstgrade“ wohl einen solch besonderen Status verdient haben.

Abends an der Bar erklären wir uns eher zurückhaltend, denn wir haben schon den ersten Kurs des MAD (Militärischer Abschirm-Dienst) in Sachen „Nato-Secret“ hinter uns.

Diesen Lehrgang zu erwähnen, ist aus zweierlei Gründen notwendig und wichtig, da sich mit diesem Lehrgang eine ganze Reihe von Weichenstellungen und Vorentscheidungen für meine weitere berufliche Zukunft und somit auch für unsere gemeinsame familiäre Entwicklung ergeben sollte. Es war auch ein sehr wichtiger Baustein für eine materiell abgesicherte Zukunft, denn während des Lehrgangs hatte ich viele Gelegenheiten mich mit den hochqualifizierten Entwicklern und Ingenieuren von Rohde und Schwarz zu unterhalten, die in mir das Bewusstsein schärften, wie gerne die deutsche Industrie gut ausgebildete Zeitsoldaten für deren ehrgeizige Industrieprojekte rekrutierte. Das Geld, welches in die Bundeswehr investiert wurde, brachte der deutschen Nation gleich eine doppelte Dividende. Zum einen entstand eine wehrhafte, gut ausgebildete Armee und zum anderen, ich halte diesen Teil für ebenso wichtig, wurden Hunderttausende von jungen Menschen fachlich sehr gut ausgebildet und als qualifiziertes Personal der Industrie und Wirtschaft zugeführt. Das alles wird Deutschland in den nächsten 50 Jahren katastrophal zurückfahren und spätestens 2022 wird ein altgedienter General dem deutschen Volk sagen: „Die Bundeswehr ist blank“.

Auch im Januar 1969 wird übrigens Michael Schumacher geboren, wie wir alle erst sehr viel später erfahren sollen. Niemand nimmt in diesem Jahr Notiz davon und niemand ahnt, welch ein wunderbarer Sportler da heranwachsen wird und - wie tragisch seine Laufbahn enden soll. Im Februar und März 69 absolviere ich einen Unteroffizierslehrgang in Erndtebrück im Sauerland. Erndtebrück ist so gesehen ein Katzensprung von uns zu Hause entfernt im Vergleich zu Tongeren in Belgien. Aber es ist Winter und Erndtebrück liegt tief im Sauerland. Die Kaserne zudem auch noch oben auf einem Berg. Es schneit in diesem Winter viel und ich brauche an einem Abend drei Anläufe mit meinem VW, bis ich den Berg hinaufkomme. Gerda nimmt dann das Abenteuer einer großen Bahnfahrt auf sich und besucht mich an einem Wochenende in Erndtebrück. Es ist für sie eine große Bahnreise allein und ein großartiges gemeinsames Wochenende. Wir sind mit sehr kleinen Dingen in dieser Welt zufrieden.

D ie Bushaltestelle liegt zu Fuß etwa 500m weit vom Hostel entfernt und wir verlassen einerseits neugierig, aber auch etwas wehmütig unsere einzige Zuflucht.

Die Tür hinter uns fällt ins Schloss und die Reise beginnt, es gibt keinen Weg mehr zurück. Der Rückflug nach Hause geht in zwölf Tagen ab Santiago de Compostela und es wäre angebracht, bis zum Abflug dort auch einzutreffen.

der Camino Portugues

Der Camino Portugues, so wie wir ihn bis nach Santiago gehen wollen, wird uns nur am ersten Tag direkt an der Küste entlang bis nach Vila do Conde führen. Danach wollen wir in das Hinterland abzweigen um ab Barcelos wieder dem ursprünglichen, klassischen portugiesischen Jakobsweg zu folgen. Es gibt, so habe ich gelesen, mehrere verschiedene Varianten des Camino Portugues, der für viele in Lissabon beginnt. Auf dem Weg nach Santiago werden uns allerdings immer wieder die blauen Pfeile begegnen, die rückwärts weisen, also Richtung Lissabon und an denen immer die Bezeichnung „Fátima“ steht.

Nahezu auf der Hälfte des Weges werden wir die Grenze zwischen Portugal und Spanien auf der Gitterbrücke, die über den Grenzfluss Minho führt, überschreiten. Unser Plan ist es, genau zu der Stunde vor fünfzig Jahren, als wir uns das Jawort gaben, mitten auf dieser Brücke zu sein. Werden wir das wohl schaffen? Doch was hatte es mit Fatima auf sich?

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