Wir Witwen sind ein zähes Volk - Maya Stomp - E-Book

Wir Witwen sind ein zähes Volk E-Book

Maya Stomp

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Beschreibung

Trauern ist Hochleistungssport

Der Tod eines geliebten Menschen verändert alles. Die Welt rückt unfassbar weit weg, sie ist nicht mehr wie zuvor.

Am 7. September 2010 wurde Maya Stomp mit 41 Jahren plötzlich Witwe. Seit diesem Tag lernt sie, was Trauern heißt, was hilft, aber auch was eben nicht hilft, den Verlust eines geliebten Menschen ins eigene Leben zu integrieren. Die Autorin erzählt ihre persönliche Geschichte und stellt auch Erfahrungen anderer Witwen vor.

Ihre Mission ist, dass Trauernde lernen, Mitgefühl mit sich selbst zu entwickeln und sich Raum zu lassen für die harte Arbeit, die das Trauern ist. Denn jeder, der einen schweren Verlust erlitten hat und bleischwere und unsichtbare Trauerarbeit leistet, ist für Maya Stomp ein Held. Obwohl diese Arbeit so mühsam ist, bekommt keiner von ihnen eine Auszeichnung, eine Belohnung oder Applaus. Die wahre Trauerarbeit ist für andere unsichtbar und wird durch dieses Buch sicht- und erlernbar.

  • Intensiv erzählte Erfahrungen von Liebe und Verlust
  • Inspirierende Angebote für betroffene Frauen
  • Ernsthaft und doch leicht im Ton

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 144

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Maya Stomp

Wir Witwensind ein zähes Volk

Trauern ist Marathon für die Seele

Aus dem Niederländischen vonWaltraud Heitzer-Gores

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Original:

Wij weduwen zijn een taai volkje. Rouwen is topsport zonder voorbereiding. © Uitgeverij Lente 2017.

Copyright © 2020 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Umschlagmotiv und Illustrationen im Innenteil: © Charley Ambagtsheer

ISBN 978-3-641-25838-2V001

www.gtvh.de

Für

Anneke, Paulina, Yvonne, Lenie, Ria, Gre, Pauline, Heike,

Martje, Anita, Carla, Petra, Regine, Sonja, Annelies,

Tineke, Mary, Ellen, Karin, Willeke, Frederica, Jennie,

Thea, Andrea, Hennie, Patty, Wilma, Nanda, Marjolijn,

Corrie, Eva, Judith, Jolanda, Erika, Marja, Ans, Marlies,

Simone, Cynthia, Janny, Saskia, Annagré, Anja, Pien,

Simone, Rina, Miranda, Rieke, Monica, Marianne,

Liesbeth, Chantal, Isolde, Fineke, Claire, Mia, Phili, Riet,

Anne, Gitte, Jeannette, Jose, Conny, Fabienne, Lea,

Nick, Willy, Cindy, Clarissa, Ingrid, Joyce, Dineke, Janis,

Gonny, Truus, Brenda, Henny, Martje, Nette, Marjolein,

Bianca, Resi, Lettie, Betsy, Dianne, Elly, Wies, Astrid,

Annemieke, Annita, Mientje, Claudia, Dea, Corinne,

Charlotte, Ilse, Kristien, Gertie, Manuela, Sandra …

und alle anderen Frauen, die ihre Männer viel zu früh verloren haben.

Inhalt

Vorwort

1 Meinen Verlust annehmen

Der Elefant pustet immer zu früh

Unsichtbare Amputation

Ich ohne Wir

Es gibt kein Patentrezept

Dominoeffekt

Marathon für die Seele

Trauerarbeit für Dummies

Der Verlust ist da, noch bevor der Elefant gepustet hat

Tier und jetzt

2 Meinen Schmerz spüren

Die Warum-Frage

Es ist zum Haare-Raufen

Schlüssel im Gefrierschrank

Einen Elefanten verspeisen

Ich möchte zuschlagen

Vom Blumenkohl zur Barbiepuppe

Todesanzeige aufgeben

Grabesstimmung

3 Mein Herz heilen

Trampelpfad

Die Theorie der Trauer

Meine eigene Kraft entdecken

Seelentröster Kaffee

Selbstfürsorge

Die Zeit heilt nichts

Die Grief Recovery Method®

Antistress-Ratschläge – pardon: Maßnahmen

Eigene Rituale finden

4 Mein Leben neu gestalten

Von Tag zu Tag

Wieder Verbindungen aufbauen

Frösche küssen

Das Erbe

Aufräumen

Feiertage

Wer lässt jetzt den Hund raus?

Tränen in der Arbeit

Mein neues Ich

Vielen Dank!

Die Autorin

Anhang

Doch ich erklärte ihm, dass tiefer Kummer im übertragenen Sinne ein Ort sei, quasi eine Koordinate auf der Landkarte der Zeit. Wenn man in einem Wald der Trauer stehe, könne man sich nicht vorstellen, dass man je wieder heraus- und an einen besseren Ort findet. Aber wenn einem jemand versichern könne, dass er schon an derselben Stelle gestanden habe und weitergegangen sei, so mache einem das zuweilen Mut.

Elizabeth Gilbert, »Eat, pray, love«, 2006

Vorwort

Die schmerzhafte Wahrheit ist, dass wir leben, lieben und geliebte Menschen verlieren. Wir können den Tod nicht aufhalten. Der Tod eines geliebten Menschen verändert alles. Die normale Welt rückt unfassbar weit weg, du schaust auf die Welt und gehörst nicht mehr dazu. Alles geht an dir vorbei, berührt dich nicht. Das Einzige, was jetzt für dich wichtig ist, kannst du nicht teilen. Um dich herum scheint alles so zu sein wie zuvor, das Leben anderer Menschen geht unverändert weiter. Das zu sehen ist beinahe genauso herzzerreißend wie die intensive Sehnsucht in dir. Die Welt ist nicht mehr deine Welt, dein Leben gibt es nicht mehr.

»Wir Witwen sind ein zähes Volk« habe ich für alle unsichtbaren Heldinnen (und Helden) geschrieben. So nenne ich euch, Sie. Uns. Jeden, der einen schweren Verlust erlitten hat und bleischwere und unsichtbare Trauerarbeit leistet. Obwohl diese Arbeit so mühsam ist, bekommt keiner eine Auszeichnung, eine Belohnung oder Applaus. Die wahre Trauerarbeit ist für andere unsichtbar.

Am 7. September 2010 wurde ich plötzlich Witwe. Seit diesem Tag lerne ich, was trauern heißt, es gelingt mal mehr, mal weniger. Ich vertiefte mich in Trauerliteratur, ich nahm an Seminaren teil, ich wollte das Trauern verstehen und ich versuchte, mich zu verstehen. Mit meinem Wissen und meiner Erfahrung von heute möchte ich anderen Menschen im Land der Trauer zur Seite stehen.

Meine Mission ist die, dass Trauernde lernen, Mitgefühl mit sich selbst zu entwickeln und sich Raum zu lassen für die harte Arbeit, die das Trauern ist. Und, obwohl Sie, liebe Leserinnen und Leser, keine gut gemeinten Ratschläge von mir brauchen, werde ich Ihnen doch ein paar geben. In der Hoffnung, dass etwas dabei ist, das Sie inspiriert, Ihnen Kraft gibt und durch schwierige Momente trägt.

Ich werde Ihnen meine persönliche Geschichte erzählen und die Erfahrungen anderer Witwen mit Ihnen teilen, damit Sie verstehen, wie Trauer meiner Meinung nach funktioniert. Viele Trauernde haben nämlich nicht die geringste Vorstellung davon, was auf sie zukommt. Ich hatte nicht die geringste Vorstellung.

Zu meinem Schreibstil: Ich weiß, spüre und erlebe mit jeder Faser meines Seins, was für ein großes, schweres Thema die Trauer ist, und dennoch sind meine Texte leicht im Ton. Das ändert natürlich nichts an der Ernsthaftigkeit des Themas und der Tiefe der Gefühle. So bin ich, so schreibe ich: Humor ist für mich ein wichtiges Überlebensinstrument. Ich habe viele Jahre gebraucht, bis ich über mich selbst lachen konnte. Nach all den Tränen war das ein Riesengewinn.

Schließlich – und ich weiß, dass Sie das inmitten Ihrer tiefsten Trauer nicht glauben können – erscheint Licht am Ende des Tunnels. Wirklich. Wir Trauernden können auch selbst etwas dafür tun, dieses Licht zu finden. Das habe ich in den letzten Jahren als Witwe selbst erlebt. Jetzt sind Sie an der Reihe, diese Erfahrung zu machen. Ich werde jedenfalls mein Bestes geben, damit es Ihnen gelingt.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zum Lesen dieses Buches: Trauern und sich konzentrieren geht nicht gut zusammen. Sie müssen dieses Buch nicht strikt von vorne bis hinten durchlesen. Lesen Sie einzelne Kapitel in der Reihenfolge, die für Sie stimmig ist. Suchen Sie sich vor allem das heraus, was Sie brauchen.

Schön, dass Sie da sind.

Mit herzlicher Umarmung,

Ihre

Maya Stomp

Ein riesiger Verlust

ändert alles:

deine Welt, dein Leben,

deine Zukunft.

Und mit der Neueinstellung

zu dieser Realität

änderst du dich

letztendlich selbst.

1

Meinen Verlust annehmen

Der Elefant pustet immer zu früh

Dann kam ein Elefant mit einem großen Rüssel und pustete die ganze Geschichte aus.

Das war immer das für mich sehr lustige Ende der Geschichten, die mir meine Eltern vorlasen, als ich noch klein war. Wahrscheinlich war für sie dann der Moment gekommen, an dem sie meinten, ich solle nun schlafen, oder vielleicht wollten sie die Nachrichten im Fernsehen anschauen oder etwas anderes tun. So kam das Vorlesen für mich meist überraschend zu einem abrupten Ende. Die Geschichte war plötzlich, wie aus heiterem Himmel, zu Ende und das brachte mich jedes Mal zum Lachen.

Im wirklichen Leben war so ein plötzliches Ende nicht lustig. Vor allem nicht, wenn der eigene Mann völlig unerwartet stirbt und man allein zurückbleibt, als Witwe mit 41 Jahren. Das ist alles andere als lustig.

Mein Mann ist ganz plötzlich gestorben. Am frühen Abend des 7. September 2010 war er zu Hause. Ich war noch in der Arbeit. Er rief mich an und wollte wissen, wann ich nach Hause käme, denn er fühlte sich nicht so gut. Er hörte sich komisch an, anders als sonst. Ich traute der Sache nicht und rief die Nachbarin an, die einen Schlüssel zu unserem Haus hatte. Sie schaute nach ihm und rief den Notarzt. Alexander wurde ins AMC [Universitätsklinikum Amsterdam] gebracht. Den Ernst der Lage erfasste ich sofort, mit jeder Faser meines Körpers.

Wie in einer bizarren Trance fuhr ich von Den Haag nach Amsterdam, die Fahrt ging schnell und auch wieder ganz langsam. Das Gefühl der Betäubung hatte schon eingesetzt. Wundersam, wie es dem menschlichen Geist gelingt, sich selbst zu schützen. Im AMC sah ich, wie ein Bett, auf dem Alexander lag, an mir vorbeigeschoben wurde. Sie wollten ein EEG machen oder ein MRT, das weiß ich nicht mehr genau. Eineinhalb Stunden nachdem ich mit Alexander telefoniert hatte, wurde ich zu den Ärzten gerufen. Sie konnten nichts mehr für ihn tun. Die Blutung im Hirnstamm war fatal. Es war halb neun an einem ansonsten völlig normalen Dienstagabend. An diesem Dienstagabend stand mein Leben innerhalb von zwei Stunden komplett auf dem Kopf. Meine Reise als Witwe hatte begonnen. Vor dem Krankenhaus schnorrte ich eine Zigarette von einem Pfleger.

Es folgten eine lange Nacht, eine lange Woche und ein langes Jahr.

Unsichtbare Amputation

Vor einem Jahrhundert war die Begegnung mit dem Sterben noch ziemlich normal. Die Menschen starben früher als heute: Es gab mehr Krankheiten, die Kindersterblichkeit war höher. Man wurde öfter mit dem Tod konfrontiert und es gab (kirchliche) Rituale. Mit der heutigen ausgezeichneten medizinischen Versorgung und der Verbannung älterer Menschen in Pflege- oder Altersheime ist der Tod ein Fremder in unserer Mitte geworden. Wir wollen das Leben, nicht den Tod. Wir wollen immer jung und vital über den Strand laufen, so wie in den Werbefilmen, die uns glauben machen, das sei das echte Leben. Wir wehren uns gegen unsere Falten, unsere Krankheiten und unsere Sterblichkeit. Falls wir es gegen alle Erwartung doch nicht schaffen, dann heißt es, wir hätten »den Kampf verloren«. Als ob wir diesen Kampf jemals gewinnen könnten. Das Leben ist endlich, auch wenn uns das nicht gefällt. Es gibt kein Licht ohne Schatten, kein Einatmen ohne Ausatmen, und irgendwann – es ist unvermeidlich – kommt der letzte Atemzug. Für uns und für diejenigen, die wir aus tiefstem Herzen lieben.

Wir haben heutzutage nicht mehr viele Rituale, die uns durch Trauer und Verlust begleiten. Ein Müller, der ein Familienmitglied verloren hat, stellt die Mühlenflügel auf Trauerschere. Ich hatte keine Flügel, die ich in die entsprechende Position hätte bringen können. Da ich kein Fußballspieler war, konnte ich keine schwarze Binde am Arm tragen. Mir einen Bart wachsen lassen, wie sie es in Indien machen, war auch keine Option.

In der ersten Zeit nach dem Tod meines Mannes hätte ich gern die früher übliche schwarze Trauerkleidung getragen. Damit ich meine Verzweiflung nicht jedem hätte erklären müssen. Eine schwarze, schützende Decke, die mich von der bösen Außenwelt abschirmt und meine innere Erschütterung verborgen hält. Außen schwarz und innen schwarz. In einer Welt ohne Farben stand ich mit leeren Händen da.

Ich fange an, den Sinn schwarzer Kleidung zu verstehen. Schwarze Kleidung wirkt wie eine Warnung an den Rest der Welt, dass du jetzt kommst. Wie eine Glocke oder eine große schwarze Fahne. Sie sorgt dafür, dass du nach außen so aussiehst, wie du dich innerlich fühlst. Elend. Untröstlich. Verflucht. Als säße der Tod auf dir. Wahrscheinlich ist es auch so.

Mick Jackson, »The Widow’s Tale«, 2010

Wir dürfen kein sichtbares Zeichen für unseren Verlust tragen. Wir dürfen nicht in Tränen ausbrechen oder dem Zorn freien Lauf lassen. An der Außenseite sieht niemand den Schmerz, den wir in unserem Innern spüren. Es fühlt sich an wie eine unsichtbare Amputation. Niemand sieht die große Leere, die Trauernde stets mit sich tragen. Man bleibt zurück mit einer nicht zu stillenden Sehnsucht, dem Heimweh nach einer Zeit, die nie wieder zurückkehren wird.

Ich erlebe die Gegenwart nicht. Alles, was ist, bei mir selbst angefangen, ist vor allem etwas nicht. Stunde für Stunde, Minute für Minute bin ich in der Einbildung seiner Anwesenheit. Er ist überall nicht.

Connie Palmen, »Logbuch eines unbarmherzigen Jahres«, 2013

Über den Tod wollen wir sobald wie möglich nicht mehr sprechen. Die oder der Hinterbliebene sollte sich nach ein paar Monaten damit abgefunden haben. Doch da fängt die harte Arbeit erst an. Hinterbliebene/r ist man für den Rest seines Lebens.

Ich ohne Wir

Es war ein Drama, den Menschen zu verlieren, mit dem ich mein ganzes Leben geteilt hatte. In jedem Winkel unserer Wohnung, mit jeder Faser meines Körpers vermisste ich ihn. Ich lebte in einer Welt der Abwesenheit. Mit dem Verlust meines Liebsten verlor ich auch einen wichtigen Teil meiner Identität.

Wenn jemand einen nahen Mitmenschen verliert, wird seine gesamte Identität erschüttert. Man verliert einen Teil von sich selbst, es entsteht eine Zerbrochenheit im eigenen Dasein, in der Totalität des eigenen Lebens. Man fühlt sich in seiner Existenz bedroht, das Leben ist in Frage gestellt.

Arthur Polspoel, »Wenen om het verloren ik«, 2003

Ich habe meinen Liebsten nicht nur im Sinn seiner physischen Präsenz verloren. Ich vermisste seine Unterstützung, seine Ratschläge und seine Tomaten-Basilikum-Soße. Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, fühlte ich mich so allein in der großen Wohnung. Im Hier und Jetzt war ich allein, aber eigentlich war ich nun auch in der Vergangenheit allein. Unsere Erinnerungen konnte ich nicht mehr mit ihm teilen. An eine Zukunft wagte ich nicht zu denken. Das war das Ende meiner Träume, meiner Hoffnung und meiner Erwartungen, der Pläne, die wir gemeinsam hatten.

Ein gemeinsames Leben hat vielerlei Facetten, es ist ein glitzerndes Ganzes, aber leider weniger unverwüstlich als ein Diamant. Wie viele Facetten es insgesamt waren, wurde mir erst richtig bewusst, als das Zusammenleben abrupt endete. Ich begriff mit der Zeit immer besser, was ich wirklich alles verloren hatte. Als ob es nicht schlimm genug wäre, einen Menschen zu vermissen, vermisste ich auch, was wir gemeinsam waren.

Ich war nicht mehr die Hälfte eines Paares. Es gab kein »Wir« mehr in der Außenwelt. Wir, die ein Konzert besuchen, in einer Kneipe was trinken oder zum Gemüsehändler gehen. Wir waren nicht wie alle anderen, wir sind sicherlich aufgefallen – hoffentlich positiv. Ich vermisste unser gemeinsames Auftreten. Ich bin allein rausgegangen, aber es fühlte sich so armselig an.

Während unserer gemeinsamen Jahre lernten wir viel voneinander und wir bewunderten im anderen, was wir jeweils selbst nicht hatten. Mir hat sich durch ihn eine neue Welt eröffnet. Mein Selbstvertrauen war vor zwanzig Jahren nicht sonderlich ausgeprägt, ich traute mich noch nicht einmal, ein »teures« Geschäft zu betreten. Während er mit seinem Charisma und seinem Savoir-Vivre jeden um den Finger wickelte. In seinem Kielwasser lernte ich mit der Zeit, selbstsicherer aufzutreten. Aber ich war noch lange nicht fertig mit dem Lernen, ich brauchte ihn doch noch.

Du hast mich wachsen lassen, durch dich durfte ich werden, wer ich heute bin. Alles hast du mir gegönnt, nie warst du eifersüchtig, deine Liebe hat mich genährt.

Isa Hoes, »Toen ik je zag«, 2013

Nach fünfzehn gemeinsamen Jahren waren wir schon sehr miteinander verschmolzen. Einmal rief mich am Nachmittag ein Freund an, der für mich ein paar Einkäufe erledigte und wissen wollte, was für ein Brot ich gerne haben wollte, eines mit Mohn oder mit etwas anderem. Mein erster Impuls war, mich für Mohn zu entscheiden, denn das hatten wir immer so gemacht, Alexander mochte Mohn sehr gern. Ich selbst war nicht hundertprozentig davon überzeugt, mich störten die kleinen Körnchen, die sich oft so unästhetisch zwischen den Zähnen festsetzten (nie in der Arbeit essen!). Nun aber war ich allein gefragt. Was wollte ich eigentlich selbst? Ich musste erst nachdenken, welches Brot ich haben wollte. Ich musste das für mich neu entdecken, losgelöst von »uns«. Was passte zu mir, anstatt was passte zu uns, wer war ich eigentlich ohne ihn?

Für Liebende gilt das harte Gesetz: Sobald das Wir nicht mehr da ist, bricht das Ich zusammen, zerfällt in Bruchstücke, zertrümmert, kaputt, durch nichts anderes zusammenzuhalten und zu definieren. Nicht nur er ist tot, mein liebstes Ich ist es auch.

Connie Palmen, »Logbuch eines unbarmherzigen Jahres«, 2013

Meinen eigenen Rhythmus zu finden war eine Herausforderung. Ich würde ja nie dorthin zurückkehren können, wie es einmal war, wie ich einmal war, zusammen mit ihm. Mein schwerwiegender Verlust veränderte alles, auch mich. Ein wichtiger Teil meiner Person war verloren gegangen. Diesen Teil würde ich nie wieder bekommen. Ich musste mich neu erfinden.

Eine liebevolle Umarmung

spendet einem

verwundeten Herzen

mehr Trost

als tausend Worte.

Es gibt kein Patentrezept

Eine Verlusterfahrung kann bedeuten, dass ein naher Mensch gestorben ist oder eine Beziehung zu Ende ging. Es kann sich auch um den Verlust eines Haustiers handeln oder um den Verlust eines Armbands mit emotionalem Wert. Oder um jede andere Art von Verlust. Nur die Person, die den Verlust erleidet, weiß, welche Bedeutung der verstorbene Mensch, das Haustier oder der Gegenstand für sie hatte. Wenn zwei Menschen ihren Bruder verlieren, können sie das völlig unterschiedlich erleben. Ein Verlust bedeutet für jeden Menschen etwas anderes. Verlust ist etwas sehr Persönliches.

Mit dem Verlust meines Mannes war unsere einzigartige Beziehung vorbei, unsere Scherze, unsere Gewohnheiten, unsere gemeinsame Sprache. Noch persönlicher konnte es nicht sein. Und, obwohl dies alles so persönlich war, hatte die Gesellschaft einen Namen für mich: Witwe