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Isabell May

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Beschreibung

Wenn die Schatten der Vergangenheit sich über deine Gegenwart legen - ein hoch dramatischer, herzzerreißender Liebesroman Die BWL-Studentin Anna und der Fotograf Max haben sich nicht gesucht, aber gefunden. Bei einem »Wahrheit oder Pflicht«-Spiel auf einer Party in Bamberg. Bald darauf sind sie scheinbar unzertrennlich. Die stets kontrollierte Anna und der eher spontane Max werden mitgerissen von der Flut der Gefühle. Sind viel zusammen unterwegs. Max meist mit der Kamera. Tausend Bilder der Liebe. Doch plötzlich liegen die Träume von ihrer gemeinsamen Zukunft in Scherben, und Max steht allein im Herbstwind auf der Brücke über der Regnitz. Weil ausgerechnet ein Foto alles zerstört hat.

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Seitenzahl: 525

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Isabell May

Wir zwei in diesem Augenblick

Roman

FISCHER E-Books

Inhalt

Auf unsere zwei WochenPrologTeil 1AnnaAnnaCharlotteAnnaMaxCharlotteMaxAnnaCharlotteMartinMaxAnnaMartinAnnaMaxCharlotteAnnaMartinCharlotteAnnaMartinAnnaCharlotteAnnaCharlotteAnnaCharlotteAnnaMartinCharlotteAnnaMartinAnnaMartinMaxAnnaCharlotteMaxAnnaMaxCharlotteAnnaMaxCharlotteAnnaTeil 2CharlotteMartinAnnaMaxMartinCharlotteAnnaMaxMartinAnnaMaxCharlotteCharlotteMaxMartinAnnaMaxCharlotteAnnaMaxCharlotteMartinCharlotteMaxMartinAnnaCharlotteAnnaDanksagungLeseprobeKapitel 1

Auf unsere zwei Wochen

Don’t look back in anger, I heard you say.

(Oasis)

Prolog

Das Leuchten in deinem Blick stirbt. Verzweifelt suche ich danach und schaue gegen eine stumpfe, dunkelbraune Wand.

Die Liebe, die wir hatten? Verloren. Sie ist uns zwischen den Fingern zerronnen wie Wasser, sie zerrinnt jetzt gerade vor unseren Augen, und ganz gleich, wie sehr ich es auch versuche, ich kann sie nicht festhalten.

Das, was ich für stabil und beständig wie Beton gehalten habe, ist unter der Wucht der Wahrheit zersplittert. Es war doch kein Beton, nur filigranes Porzellan. Manche Dinge bleiben besser unausgesprochen, manche Geheimnisse besser unangetastet, aber wie hätten wir ahnen können, was unsere scheinbar harmlosen Worte ausrichten würden. Woher hätten wir es auch wissen sollen?

Und jetzt sitzen wir Seite an Seite, wie wir es so oft getan haben. Doch da, wo wir uns früher nah gefühlt haben, klafft nun ein Abgrund, den keiner von uns aufreißen wollte, der sich aber nicht mehr verschließen lässt. Unter unseren Füßen rauscht die Regnitz dahin. Ich schaue nicht aufs Wasser, ich schaue dich an und suche nach dem Mann, in den ich mich vor vier Monaten und drei Tagen verliebt habe, so wie ich mich noch nie verliebt habe. Aber ich kann diesen Mann nicht finden, und so bist du jetzt jemand, den ich mal kannte. Und das ist weder deine Schuld noch meine.

Da ist keine Wärme in deinem Blick und kein Lächeln um deine Mundwinkel. Ich blicke in ein Gesicht so kalt und reglos wie Stein. Keine Tränen. Während ich kaum atmen kann, weil ich mich so sehr bemühe, nicht hemmungslos loszuheulen, mir die Tränen lautlos über mein Gesicht laufen und ich gleichzeitig das Gefühl habe, in tausend Teile zu zerspringen, sitzt du unbewegt neben mir.

»Anna«, sagst du und dann gar nichts mehr, weil es zwischen uns nichts mehr zu bereden gibt. Ich glaube, du weißt selbst nicht, was du sagen wolltest. Was es auch war, es wird nichts mehr ändern.

Unsere Hände liegen nebeneinander auf dem Asphalt. Es wäre so einfach, die Distanz zu überbrücken und dich zu berühren, und doch ist es unmöglich. Wir sind gescheitert, unsere Liebe ist gescheitert, und plötzlich halte ich es nicht mehr aus, so schweigend neben dir zu sitzen. Mein Körper fühlt sich fremd an, als ich aufstehe und mir den Schmutz von den Jeans klopfe.

Vergiss mich. Vergiss unsere Zeit. Vergiss unsere Küsse und meine Hand in deiner und deine Stirn an meiner. Vergiss unseren Spaß und unsere ernsten Momente.

Vielleicht bist du gerade schon dabei, all das zu vergessen. Vielleicht ist deswegen diese grenzenlose Leere in deinem Blick und diese Kälte in deinem Gesicht.

Ich gehe, lasse dich und all unsere gemeinsamen Träume zurück. Mit jedem Schritt wird der Asphalt unter meinen Füßen dünner. Die Welt löst sich auf.

Ich falle.

Teil 1

Anna

Sie setzt ihr Partygesicht auf und kontrolliert es sorgfältig im kleinen Klappspiegel, den sie mit einem gezielten Griff aus ihrer Handtasche geangelt hat.

Sie zieht die Mundwinkel hoch, damit niemand sie auffordert, doch mal etwas freundlicher zu gucken.

Zieht die Stirn glatt, um diese nervigen Fragen zu vermeiden, worüber sie denn jetzt schon wieder nachgrüble.

»Keine Sorge, du bist schön genug, Prinzessin. Die Männer werden bei deinem Anblick anfangen zu sabbern.«

Vor Schreck klappt sie den Spiegel zu und hätte sich beinahe die Nasenspitze eingeklemmt. Fee ist so plötzlich neben ihr aufgetaucht, als hätte sie sich hierherteleportiert – eine Erscheinung mit aquamarinblauen Locken, blumigem Parfum, Doc Martens und Jeanslatzrock.

Dumpfe Musik wummert durch die Tür. Annas Grimasse lässt keinen Zweifel daran, wie begeistert sie ist, auf diese Party zu gehen. »Ich habe keine Zeit für Männer.« Als sie Fee umarmt, kitzeln deren Haare ihre Wange. »Schon gar nicht für solche, die beim Anblick eines weiblichen Wesens sofort die Kontrolle über ihren Speichelfluss verlieren. Und außerdem …«

»Außerdem hast du keine Zeit für Partys. Ich weiß, ich weiß.« Ungeduldig verdreht Fee die Augen. »Aber wenn ich dich nicht hin und wieder zwinge, die Wohnung zu verlassen, setzt du Schimmel an.«

»Aber …«

»Ich weiß. Du verlässt die Wohnung. Ständig. Andauernd. Aber nur, um zu arbeiten oder zur Uni zu fahren. Ich rede hier von Spaß-Angelegenheiten.«

»Wenn du nicht so entsetzlich recht hättest, würde ich dir das übel nehmen«, mault sie. »Und wenn du nicht meine beste Freundin wärst, würde ich dich ein bisschen hassen.«

»Das weiß ich auch«, flötet Fee fröhlich, hakt sich bei ihr unter und zieht sie durch die Tür.

Der Geruch von feiernden Menschen schlägt ihr entgegen: Schweiß und billiges Aftershave, Bier und fragwürdiger Nacho-Schichtsalat, den jedes Mal irgendjemand mitbringt. Die Party verschluckt sie wie ein hungriges Tier, und einen Moment lang erlaubt sie sich, ihren Kopf auszuschalten und sich einfach treibenzulassen.

Juna, die ihr in der Montagsvorlesung immer einen Platz freihält, drückt ihr eine Flasche Radler in die Hand. Anna nickt ihr dankend zu und wippt im Takt zu irgendeinem Song, den außer ihr bestimmt jeder kennt. Das Radler ist eiskalt und erfrischend, sie trinkt einen großen Schluck, dann noch einen. Wenn Fee sie schon überredet hat, auf die Party zu gehen, kann sie auch versuchen, sie zu genießen.

Aus der Küche, in der Bier-Pong gespielt wird, dringt lautes Gelächter, und irgendein Idiot übergibt sich in die Spüle. Auf der Couch spielt jemand mit einer Gitarre gegen die Playlist aus dem Lautsprecher an. In einer Ecke knutscht Fee hemmungslos mit ihrer neuen Freundin Silke.

Anna weiß nicht einmal, in wessen WG sie gerade sind. Irgendwelche Freunde von Fee, die sie im Archäologie-Studium kennengelernt hat. Oder in einer Bar. Oder wo auch immer Fee die unzähligen Leute aufgabelt, die nach einer durchzechten Nacht allesamt zu ihren engsten Freunden zählen und die begeistert Anekdoten von ihren gemeinsamen Abenteuern zum Besten geben, wenn man sie auf Fee anspricht.

Und kurz, nur ganz kurz, fühlt Anna sich leicht. So leicht, als hätte sie eine ganze Heliumflasche inhaliert und könnte jeden Augenblick abheben wie ein Luftballon.

Möglicherweise so, wie sich Fee fühlt. Ihre beste Freundin, die all das ist, was sie in manchen Momenten insgeheim gerne wäre: mutig. Spontan. Unbeschwert, so als wäre das Leben ein glitzernder, pastellfarbener Ponyhof.

Sie setzt sich zu den Leuten auf dem Sofa, hört dem Gitarrenspieler zu und summt den Refrain mit, ohne den Text zu kennen – ganz leise, dass niemand sie hört, nicht einmal der Typ neben ihr auf der Couch, der immer näher rutscht, bis er beinahe auf ihrem Schoß sitzt.

Aber der Moment ist vergänglich, er löst sich einfach auf und zerrinnt ihr zwischen den Fingern. Sie schaut auf ihre Armbanduhr, und eine kribbelnde Unruhe breitet sich in ihr aus.

»Hey, Anna, schau nicht so ernst. Lächle doch mal ein bisschen, das hier ist kein Begräbnis«, ruft ihr Annabelle gutmütig zu, während ihr Freund an ihrem Hals knabbert.

Sie kennt Annabelle, weil sie neben ihrem Germanistikstudium in der Unibibliothek jobbt. An seinen Namen erinnert sich Anna nicht, aber sie ist sich ziemlich sicher, dass er ihr auch schon mal auf dem Campus über den Weg gelaufen ist. Bamberg ist keine große Stadt – gefühlt ist sie jedem, der ungefähr in ihrem Alter ist, schon mal über den Weg gelaufen: in der Mensa, der Bibliothek, einer Studentenkneipe oder eben auf einer der Partys, auf die Fee sie schleppt, damit sie ›keinen Schimmel ansetzt‹. Die meisten Leute hier kommen ihr bekannt vor, ohne dass sie sagen könnte, woher, geschweige denn, wie sie heißen. Ganz anders als Fee, die bestimmt zu jedem in dieser Wohnung einen ganzen Steckbrief parat hat.

Anna ringt sich gehorsam ein Lächeln ab und versucht mit einem verstohlenen Blick in den Spiegel, den sie in der Tasche aufklappt, ihr Partygesicht zurechtzurücken.

Es ist zu früh, um die Party guten Gewissens zu verlassen, und zu spät, um guten Gewissens zu bleiben. Sie versucht, dem Gitarrenspieler weiter zuzuhören, aber jetzt gelingt es ihr nicht mehr, sich darauf zu konzentrieren. Noch einmal schaut sie auf die Uhr, dann zur Tür und überlegt gerade, ob sie unauffällig abhauen kann, ohne dass Fee sie aufhält.

Fee erwischt sie, als sie sich gerade durch die Menge auf die Tür zuschiebt – als hätte sie einen eingebauten Sensor, der es ihr erlaubt, Annas Gedanken zu lesen. Natürlich. Fee kennt sie einfach zu gut. Energisch steuert sie auf Anna zu.

»Was machst du da, Fräulein?«

Anna zieht eine Grimasse. »Es ist schon spät.«

»Nicht mal Mitternacht. Die meisten Leute kommen jetzt erst her.«

»Die meisten Leute müssen auch nicht morgen früh bei ihrem Papa in der Firma sein und arbeiten. Die sitzen erst am späten Vormittag in irgendwelchen Vorlesungen.«

»Was du vielleicht auch tun solltest. Du könntest dir freinehmen.« Fee zuckt mit den schmalen Schultern.

Ebenso gut hätte sie Anna vorschlagen können, sich in einer von Mäusen gezogenen Kürbiskutsche nach Hause fahren zu lassen.

»Fee. Er braucht mich.«

»Ich weiß.« Für einen Augenblick wird auch Fee ernst.

Sie weiß tatsächlich, wie es ist.

Anna weiß, wie Fee darüber denkt.

Und beide wissen sie, dass eine Diskussion darüber die reinste Zeitverschwendung wäre.

»Na schön«, seufzt Fee. Ihr Blick fixiert einen Punkt hinter Anna, und schon grinst sie wieder. Das Blau ihrer Augen leuchtet mit dem ihrer Haare um die Wette. »Aber zuerst muss ich dir unbedingt jemanden vorstellen.« Fee deutet mit dem Kinn hinter Anna. »Anna, das ist Max.«

Anna dreht sich um – und ist blind. Gleißend helles Licht sticht ihr in die Augen, begleitet von einem Klicken und einem sonoren, warmen Lachen.

»Sorry, dummer Anfängerfehler. Das mit dem Blitz war keine Absicht.« Eine tiefe, angenehme Stimme. Jemand, der sich im Gegensatz zu ihr nicht darum bemüht, leise und dezent zu sein.

Stöhnend reibt sie sich über die Augenlider, hinter denen flirrende Punkte tanzen, und blinzelt dann in das Gesicht, das hinter dem blendenden Licht erscheint. Ausdrucksstark ist es – das ist das Erste, was ihr dazu einfällt. Geschwungene Lippen, die sich in den Winkeln kräuseln. Ausgeprägte Wangenknochen, ein Grübchen im Kinn. Die Art, wie die braunen Haare in die Stirn fallen, lässt ihn wie einen Sänger von diesen Britpop-Bands wirken, die sie mal rauf und runter gehört hat.

Augen, so warm wie dunkler Honig, die es ihr schwermachen, den Blick abzuwenden.

Und in diesen Augen blitzt es amüsiert, was sie mehr nervt, als sie sich selbst eingestehen will. Verstimmt mustert sie die Kamera, die er immer noch auf sie gerichtet hält.

»Anna, Max ist vor kurzem nach Bamberg gezogen und arbeitet in einer Medienagentur. Max, Anna ist meine Mitbewohnerin und studiert BWL«, spult Fee pflichtbewusst das Vorstellungsprogramm ab. Und schon ist sie weg, flattert hinüber zu Silke, um sie vor dem Schichtsalat zu warnen, weil die gerade drauf und dran ist, sich eine Portion davon zu nehmen.

»So. Max, der in einer Medienagentur arbeitet. Freut mich.« Annas Lächeln fällt dünn aus. Sie weiß genau, was Fee im Schilde führt, und das gefällt ihr überhaupt nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass Fee der Meinung ist, sie hätte den perfekten Typen für Anna entdeckt und müsste ihrem Liebesglück auf die Sprünge helfen.

»Mich auch, BWL-Anna.« Sein Grinsen offenbart eine schmale Lücke zwischen den Schneidezähnen. Nur zu gerne würde sie sich einreden, das die ihn unattraktiv macht, aber die Wahrheit ist, sie lässt ihn nur noch charmanter aussehen. »Erzähl bloß niemandem, dass ich dir aus nächster Nähe ins Gesicht geblitzt habe. Wenn meine Kollegen das erfahren, kann ich den Job gleich an den Nagel hängen.«

»Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Unter einer Bedingung.«

Fragend zieht er die Augenbrauen hoch, in seinen Augen funkelt es vergnügt. »So? Dein Schweigen ist käuflich?«

Es ist schwer, sich nicht einfach von seinem Grinsen anstecken zu lassen, das etwas so unfassbar Gewinnendes hat. Aber sie hat bereits beschlossen, ihn nicht zu mögen. Nicht nur weil es unhöflich ist, Fremden eine Kamera ins Gesicht zu halten, sondern auch weil Fee so selbstverständlich davon ausgeht, dass sie ihn zu mögen hat. Manchmal regt sich sogar in ihr so etwas wie Trotz. Das Einzige, was sie an ihm mag, ist sein verwaschenes Shirt, auf dem das Jurassic-Park-Logo prangt. Zumindest sagt sie sich das, während sie die Arme vor der Brust verschränkt und das Kinn vorreckt.

»Lösch das Foto.«

Um seine Mundwinkel zuckt es. »Sicher? So ein Foto kann eine schöne Erinnerung sein. Und ich bin ziemlich sicher, dass es hübsch geworden ist.« Er klappt ein kleines Display an der Kamera auf und schaut darauf.

Empört schnaubt sie und versucht sich die Spiegelreflexkamera zu schnappen, aber er hält sie über seinen Kopf und damit aus ihrer Reichweite. Ihr Gesicht glüht, und sie spürt, dass ihr das Blut in die Wangen schießt. Statt hochzuspringen und sich zum Affen zu machen, weicht sie einen Schritt zurück.

»Lösch es«, wiederholt sie leise.

»Na schön, na schön.« Er macht eine beschwichtigende Geste mit seiner freien Hand. »Aber verschone mich mit diesem Todesblick.«

Das Foto, das er ihr auf dem Display zeigt, ist tatsächlich nicht so schlimm, wie sie erwartet hat. Ein bisschen zu hell, ja, und sie reißt die Augen auf wie ein verschrecktes Reh im Scheinwerferlicht, aber dennoch scheint Max ein Händchen fürs Fotografieren zu haben. Trotzdem besteht sie darauf, dass er das Bild vor ihren Augen löscht.

Interessiert mustert er sie. »Zufrieden? Wie wäre es mit einem Bier als Friedensangebot? Ich könnte heute nicht ruhig schlafen, wenn ich wüsste, dass ich BWL-Annas Zorn nicht besänftigt hätte.«

Sie muss an ihren Vater und die Firma denken, ihre Pflichten im Blick behalten. Und ihr Entschluss, diesen Max nicht zu mögen, steht felsenfest.

›Nein‹, will sie sagen. Es gibt überhaupt keinen Grund, noch länger zu bleiben. Sie hat Wichtigeres zu tun.

»Na schön, wenn es deine Nachtruhe sichert«, hört sie sich sagen und weiß selbst nicht, warum sie sich darauf einlässt.

*

Es ist null Uhr achtunddreißig. Von der Wohnung sind es acht Minuten zu Fuß zur Bushaltestelle. Wo sie eine ganze halbe Stunde warten müsste, weil die Busse um diese Zeit nicht mehr so häufig fahren und sie den letzten gerade verpasst hat. Die Abfahrtszeiten stehen auf dem sorgfältig zusammengefalteten Zettel in ihrer Handtasche, die sie ausgedruckt hat, für den Fall, dass der Akku ihres Handys leer ist und die Powerbank, die – ja, selbstverständlich – auch in ihrer Tasche steckt, nicht funktioniert.

Sie sollte längst auf dem Heimweg sein. Sollte gleich ins Bett gehen, damit sie morgen fit und pünktlich im Büro ist und ihrem Papa beim Papierkram unter die Arme greifen kann. Stattdessen folgt sie Max in die Küche, wo er den Kühlschrank öffnet, der außer einem Glas Gewürzgurken nur Bier- und Radlerflaschen enthält. Bevor er zwei Flaschen herausnimmt, hält er mit der Kamera drauf.

Verstohlen mustert sie ihn von oben bis unten. Groß und schlank ist er, schlaksige Arme ragen aus den Ärmeln des Shirts. Als ihm eine widerspenstige Haarsträhne in die Stirn fällt, pustet er sie hoch.

»Und, was machst du bei dieser Medienagentur?«, fragt sie hastig, um zu überspielen, dass sie ihn angestarrt hat.

Smalltalk ist nicht ihre Stärke. Offensichtlich hat er das auch schon bemerkt – jedenfalls ist da wieder dieses Zucken um seine Mundwinkel, das so aussieht, als amüsiere er sich über sie.

»Ich bin Fotograf. People- und Fashionfotografie.« Geschickt greift er mit einer Hand zwei Flaschen und schiebt den Kühlschrank mit dem Knie zu.

Die Worte klingen stolz. Fast wirkt er ein bisschen andächtig, als könnte er es selbst noch gar nicht so richtig fassen, dass er es so weit gebracht hat. Als hätte er ihr gerade erzählt, er hätte den Mars bereist und nebenbei ein Heilmittel für Krebs entwickelt. Aber vielleicht interpretiert sie zu viel in seinen Tonfall hinein.

»Echt jetzt?« Sie deutet auf die Kamera. »Ich meine … ist das nicht ein bisschen so, als würde ein Archäologe überall mit Hammer und Meißel rumlaufen?«

Unbekümmert zuckt er mit den Schultern. »Klar. Macht man das nicht so?«

Sie reibt sich mit der Hand über die Stirn. Er ist seltsam. Und sie mag ihn nicht.

Aber irgendwas an ihm mag sie doch. Und vielleicht bleibt sie nur, um herauszufinden, was es ist.

»Warte, ich suche einen Flaschenöffner«, sagt sie, als er ein Feuerzeug vom Fensterbrett angelt und unter dem Kronkorken ansetzt.

»Ach was, nicht nötig.« Geschickt öffnet er die Flasche und hält ihr das Bier hin.

»Danke«, murmelt sie, betrachtet die Wassertropfen, die außen an der Flasche schimmern, und fragt sich, warum sie noch hier ist.

Die zweite Bierflasche ist widerspenstiger. »Kacke«, Max verzieht das Gesicht, legt das Feuerzeug beiseite und schüttelt die Hand. Verlegen lacht er, »das ist jetzt eher mittelmäßig gut gelaufen.«

Niemand verletzt sich in ihrer Gegenwart beim Bierflaschen-öffnen, ohne augenblicklich verarztet zu werden. Verblüfft reißt er die Augen auf, während sie in ihrer Tasche kramt und Jod, Pflaster und eine kleine Schere zum Vorschein bringt. Mit fliegenden Fingern räumt sie ein Stück der Küchenarbeitsplatte frei und drapiert sorgfältig ihre Utensilien.

»Lass mich mal sehen«, sagt sie leise, greift behutsam nach seiner Hand und begutachtet die kleine Wunde in der Handfläche. Es ist nicht schlimm, nur ein wenig Blut, aber sie hätte es beim besten Willen nicht geschafft, das zu ignorieren. Vorsichtig tropft sie Jod auf die Verletzung und klebt ein Pflaster darüber.

Gleich ist es wieder gut, hat sie ganz unvermittelt die Stimme ihrer Mutter im Kopf. Wie ein bittersüßer Geschmack breitet sich die Erinnerung in ihrem Mund aus, rinnt sirupdick ihre Kehle hinab – und zieht sie zusammen. So eng, dass ihr jeder Atemzug schwerfällt. Plötzlich hat sie ein Rauschen in den Ohren, das wie die Brandung des Ozeans an- und abschwillt und die Partygeräusche zu einem diffusen Hintergrundsummen verschwimmen lässt.

Ohne darüber nachzudenken, wendet sie die Methoden an, die ihr längst in Fleisch und Blut übergegangen sind. Atmet langsamer und tiefer aus. Zählt die Atemzüge. Schiebt unauffällig den Daumen unter das Haargummi, das sie immer am Handgelenk trägt, und lässt es auf ihre Haut schnalzen, um sich abzulenken.

Konzentriert sich ganz auf das Hier und Jetzt.

Und ›Hier und Jetzt‹ – das ist dieser Kerl, der ihr gegenübersteht, lässig an der Küchentheke lehnt und brav stillhält. Der Typ mit der winzigen Lücke zwischen den Schneidezähnen und dem nervigen Kameratick. Sie konzentriert sich auf das hauchfeine Netz der Linien in seiner Handfläche, auf die grünlichen Adern an seinem Handgelenk, auf die Wärme seiner Haut unter ihren Fingerspitzen. Und die rauschende Brandung in ihrem Kopf wird weniger und ebbt schließlich ganz ab.

Sie sind sich nah, Max und Anna. Das wird ihr in dem Augenblick erst richtig bewusst. Normalerweise wäre es ihr unangenehm, einem Fremden so nahe zu kommen, seine Hand zu halten. Aber jetzt? Jetzt ist sie einfach nur froh, dass ihr die kleine Schnittwunde einen Vorwand liefert, sich unauffällig an jemandem festzuhalten.

Vorsichtig blinzelt sie hoch. Hat er etwas gemerkt? Nein, alles scheint in bester Ordnung zu sein. Er trinkt gerade einen Schluck Bier, während er aufmerksam beobachtet, was sie mit seiner Hand anstellt.

Er öffnet den Mund, und sie rechnet mit einem Dank, aber stattdessen legt er den Kopf in den Nacken und lacht dieses herzliche, schallende Lachen, das vorhin das Erste war, was sie von ihm wahrgenommen hat. Ein Lachen, das Schatten vertreiben kann und das ansteckend sein könnte, wenn sie nicht so pikiert darüber wäre.

»Gern geschehen«, sagt sie verschnupft.

Er gibt sich nicht einmal Mühe, betreten dreinzuschauen. Sein Grinsen reicht von einem Ohr bis zum anderen. »Sorry, aber … das? Wer hat denn bitte Erste-Hilfe-Zeug auf einer Party dabei? Und über meine Kamera hast du dich lustig gemacht.«

Und ehe sie sich versieht, hat er seine Kamera auch schon wieder gezückt und knipst ihre Erste-Hilfe-Utensilien, die auf der vollgestellten Arbeitsplatte, zwischen all den leeren Bierflaschen, wie Fremdkörper wirken.

Ihre Wangen glühen, hastig packt sie ihre Sachen wieder ein. »So, dann wäre das ja erledigt«, würgt sie hervor. Wenn er wüsste, was noch so alles in ihrer Tasche ist, würde er aus dem Lachen gar nicht mehr rauskommen. »Wie gesagt, ich wollte eigentlich gerade los.«

Max hält ihr seine Bierflasche entgegen. »Hey. Sei nicht gleich sauer, okay? Wenn man wütend ist, schmeckt das Bier nicht halb so gut. Und … Anna, danke für das Pflaster.«

Sie wirft einen Blick auf ihre Uhr. Denkt an ihren Wecker, der viel zu früh klingeln wird. Und schließt ihre Hand um das nasse, kalte Glas der Bierflasche.

*

Die Regnitz ist ein schwarz glänzendes Band, das die malerische Altstadt Bambergs teilt. Goldene Lichter tüpfeln die Dunkelheit und zeigen an, wo um diese Zeit Menschen noch wach sind – erleuchtete Fenster, hinter denen Leben stattfinden. Der laue Nachtwind hüllt Anna ein.

Das Bier in der Hand, stützt sie die Unterarme für einen Moment auf das rostige Geländer und schaut über die kleine Stadt. Hier draußen auf dem Balkon steht nichts außer einer Kräuterleiter mit ein paar Töpfen, aus denen vertrocknete Halme aufragen. Also setzt sie sich einfach auf den Boden, streckt die Beine zwischen den Streben des Geländers hindurch und lässt die Füße in der Luft baumeln.

Die Steinplatten unter ihr sind noch warm von der Sonne, die längst untergegangen ist. Durch die Balkontür, die sie hinter sich zugezogen haben, dringen die Musik und das Stimmengewirr nur noch ganz gedämpft. Anna nimmt einen großen Schluck vom Bier, dann lehnt sie ihre Wange an das raue Geländer und schließt die Augen.

Eigentlich mag sie gar kein Bier ohne Limo, aber jetzt gerade, in diesem Moment, genießt sie den herben Geschmack auf ihrer Zunge.

Eigentlich ist sie nicht der Typ, der länger als nötig auf Partys bleibt, wenn am nächsten Tag wichtige Dinge anstehen (und irgendetwas Wichtiges steht ja immer an), aber heute ist es anders. Es fühlt sich richtig an, noch hier zu sein.

Und eigentlich irritiert sie dieser Max, der so viel Spaß daran hat, sie aufzuziehen, aber, wenn sie ehrlich zu sich ist, interessiert er sie auch gerade deshalb.

Und das ist der Grund, warum sie noch hier ist, statt sich längst auf dem Heimweg zu befinden.

Sie spürt Max’ Blick wie einen warmen Atemhauch in ihrem Rücken. Er setzt sich neben sie, lehnt sich mit dem Rücken ans Geländer und streckt die Beine lang auf dem Balkonboden aus.

»Der beste Platz auf dieser Party«, seufzt er, legt den Kopf in den Nacken und schaut in den Nachthimmel.

»Ja, wirklich schön hier draußen.« Sie nimmt einen Schluck aus ihrer Flasche.

»Hey, Anna. Lass uns etwas spielen.«

»Spielen?« Etwas in seinem Tonfall lässt sie die Augen öffnen und ihn verständnislos anschauen.

»Eine Runde Wahrheit oder Pflicht.«

Ein Geräusch entfährt ihr, halb Lachen, halb Schnauben, und sie runzelt die Stirn. »Nicht dein Ernst.«

Ungerührt erwidert er ihren Blick, und da ist es wieder, dieses amüsierte Zucken um seine Mundwinkel, als machte er sich über sie lustig. »Mein voller Ernst.«

Sie sucht nach Worten. »Das ist … Wir sind doch keine vierzehn mehr. So etwas spielt man als Teenager, und das ist dann doch schon ein paar Jahre her. Ehrlich, Max, das ist doch total albern.«

»Ach ja, du erwachsene BWL-Anna? Hast du das als Teenager oft gespielt?«

Sie presst die Lippen zusammen, zuckt nur mit den Schultern. Hat sie nicht, nur ein paar Mal, aber auch nur, weil sie dazu genötigt worden war. Es war ihr damals schon zu albern gewesen. Aber das muss sie Max jetzt nicht unter die Nase reiben.

Nachdenklich tippt er sich an die Lippe, und jetzt erst fällt ihr die feine Narbe auf, die sich hier, im schwachen Lichtschein, silbrig von der umliegenden Haut abhebt.

»Na gut, na gut. Wahrheit oder Pflicht ist also albern. Es klingt auch wirklich ein bisschen kindisch, das stimmt schon. Okay, wie wäre es, wenn wir es anders nennen? Wenn wir einen ernsthaften und erwachsenen Namen für das Spiel finden, der es als das bezeichnet, was es ist?«

»Und zwar?«

Max denkt kurz nach. »Seelenstriptease oder Blamage bis auf die Knochen.«

»Klingt reizvoll. Wenn du das so sagst, kann ich natürlich nicht widerstehen.«

»Wahrheit oder Pflicht?«, hakt er sofort ein.

Sie sieht ihn an.

Er sieht sie an.

Ein bisschen so wie ein Kater, der es kaum erwarten kann, eine Maus zu verschlingen. Fehlt nur noch, dass er sich genüsslich die Lippen leckt.

Ihre Gedanken rasen, während sie versucht, das kleinste Übel zu ermitteln, und dabei schon weiß, dass es das in diesem Fall nicht gibt.

Ich hasse das.

Eigentlich.

Aber Max macht etwas mit ihr, das sie nicht richtig begreift. Er hat so eine Selbstverständlichkeit an sich und versprüht eine Leichtigkeit, dass sie gar nicht anders kann, als sich davon anstecken zu lassen. Sie hat Spaß, und niemand könnte darüber überraschter sein als sie selbst.

»Pflicht.«

Sein Grinsen wird immer breiter. Seine Augen funkeln im Mondlicht.

»Zeig mir, was sich in diesem mysteriösen, gigantischen Monster von Handtasche befindet. Außer den unverzichtbaren Basics wie Jod, Schere und Verbandszeug, versteht sich.«

Sie widersteht dem Drang, ihre Stirn gegen das Geländer zu schlagen.

Anna

Volltreffer. Seelenstriptease und Blamage in einem. Schlimmer geht’s nicht, denkt sie.

Sie gibt sich einen Ruck, leert den Inhalt ihrer Handtasche auf den Balkonboden aus und kehrt damit ihr Innerstes nach außen. Ihre Wangen brennen.

Sie muss ihm zugutehalten, dass er sich vier, fünf Sekunden lang beherrscht, bevor er anfängt schallend zu lachen.

»Was ist das? Nadel und Faden?«, prustete er. »Für die schlimmeren medizinischen Notfälle, wenn du mit Jod und Pflaster nicht weiterkommst? Skalpell und Wundhaken hast du aber nicht dabei?«

»Mein Reise-Nähset«, berichtigt sie mit stoischer Miene. Fee macht sich regelmäßig über ihre Survivalausrüstung lustig und fällt ihr dann jedes Mal aus Dankbarkeit wieder um den Hals, wenn sie ihr damit wieder das Leben gerettet hat. Anna ist also schon darin geübt, ihr Pokerface aufzusetzen – auch wenn das jetzt stark erschwerte Bedingungen sind. »Man weiß nie, wann man mal einen Knopf annähen muss. Vielleicht gerade dann, wenn man unterwegs zu einem Vorstellungsgespräch ist.«

»Hattest du vor, heute zu einem Vorstellungsgespräch zu gehen?«

»Nein, aber man weiß nie, wann sich das nächste Vorstellungsgespräch ergibt.«

Grinsend stöbert er weiter und hält triumphierend seinen nächsten Fund empor. »Türschlossenteiser. Das finde ich wirklich sinnvoll. Im Winter.«

»Aber …«

»Schon verstanden. Man weiß nie, wann man in die nächste Antarktis-Expedition stolpert.«

»Also eigentlich wollte ich sagen, dass ich womöglich vergessen würde, es rechtzeitig einzupacken, wenn der nächste Winter kommt. Und dann brauch ich ihn und hab ihn nicht dabei.«

»Nicht auszudenken.«

»Das wäre blanker Wahnsinn.«

»Also, BWL-Anna, du hast es nicht so mit Risiken, kann das sein?«

»Natürlich nicht, ich bin ja nicht verrückt. Niemand mag Risiken. Und überhaupt, war das gerade eine Frage? Ich bin dran. Wahrheit oder Pflicht?«

Bevor er weiter in ihren Sachen wühlen kann, packt sie sie eilig wieder ein: den Müsliriegel, falls sie dringend etwas essen muss, die Notfall-Liste mit den wichtigsten Telefonnummern (Papas Handy- und Firmennummer, Schlüsseldienst, Taxi und ein Pizzalieferdienst, der vierundzwanzig Stunden geöffnet hat), den zusammengefalteten Zettel mit den Buszeiten und ihr Skizzenbuch, das sich Max zum Glück nicht geschnappt hat, Kopfhörer, Ersatz-Kopfhörer und Powerbank. Eben alles, was man Tag für Tag bei sich tragen sollte, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein.

»Na schön, dann bitte einmal bis auf die Knochen blamieren: Pflicht.«

Er macht es wie sie, schiebt seine Beine ebenfalls zwischen den Geländerstäben hindurch und lässt seine Füße baumeln. Dann legt er sich zurück, verschränkt die Hände unter seinem Kopf und schaut in den Himmel. Sein Shirt rutscht ein Stück hoch und entblößt einen schmalen Streifen seines Bauchs. Die Nacht riecht nach warmem Teer und dem Lavendel, der auf dem Nachbarbalkon wächst. Sie nippt noch einmal am Bier, nimmt den herben Geschmack im Mund wahr, schluckt und überlegt.

»Sing mir etwas vor.«

Sie rechnet damit, dass er die Aufgabe schnell abhandelt, indem er ›Alle meine Entchen‹ zum Besten gibt. Das wäre jedenfalls, was sie tun würde.

Aber er zieht ächzend die Beine aus dem Geländer, springt auf, läuft in die Wohnung und kehrt gleich darauf mit der Gitarre zurück. Keine Sekunde lang ist er nervös oder verlegen, er räuspert sich nicht, holt nicht einmal tief Luft, sondern beginnt einfach zu spielen. Sie kann den Blick kaum von seinen Händen abwenden, die sie vorhin verarztet hat und die jetzt die Gitarrensaiten sanft zupfen.

Er hat eine schöne Stimme. Warm und dunkel. Sie erkennt die Melodie und die ersten Worte sofort: Wonderwall von Oasis. Und während Anna ihm zuhört, die Wange wieder ans Geländer gelehnt, spinnen die Klänge sie beide in einen hauchfeinen Kokon ein. Die Geräusche der Party sind gedämpft und fern. Und Max scheint näher zu rücken, obwohl er sich keinen Zentimeter von der Stelle bewegt. Die Haare fallen ihm in die Stirn. Sein Gesicht nimmt einen weichen Ausdruck an.

»Okay, ich bin beeindruckt«, sagt sie leise, nachdem er verstummt ist. »Spielst du noch was?«

Da ist es wieder, sein Grinsen. »Auf gar keinen Fall. Meine Pflichtaufgabe ist erledigt, jetzt darfst du wieder leiden.«

»Dafür, dass es nur ein Spiel ist, nimmst du die Regeln ganz schön ernst«, mault sie ihm hinterher, als er die Gitarre zurück in die Wohnung bringt. Und als er zurückkommt, fragt sie: »Hey, wie lange wohnst du eigentlich schon in Bamberg? Ich habe das Gefühl, auf all diesen Partys trifft man immer die gleichen Leute. Aber dich habe ich noch nie gesehen. Daran könnte ich mich bestimmt erinnern.«

»Wegen meines blendenden Aussehens, nicht wahr?« Er strahlt sie an.

Sie verdreht die Augen. »Wegen deiner raumgreifenden Persönlichkeit.«

Aber tatsächlich ist sie sich absolut sicher – wenn sie Max schon mal gesehen hätte, würde sie sich an ihn erinnern. Und es liegt nicht etwa daran, dass er der bestaussehende Mann ist, der ihr je über den Weg gelaufen ist – auch wenn er das gerne hören würde. Es ist dieses Leuchten in seiner Ausstrahlung, seine Art sich zu bewegen, überhaupt seine ganze Art und Weise, wie er sich gibt. Irgendwas an ihm ist anders, hebt ihn von all den Leuten, die hier sind, ab. Und als seine braunen, warmen Augen sie jetzt anfunkeln, begreift sie, was es ist. Er ist so wunderbar frei, unbeschwert. Ein wenig erinnert er sie darin an Fee, doch ohne ihn wirklich zu kennen, hat sie das Gefühl, dass seine Freiheit noch kompromissloser ist. Er tut, was ihm gefällt, ohne sich den Kopf über Konsequenzen und Risiken zu zerbrechen.

»Das sagst du nur so. Und dann geht’s doch nur ums Äußere«, sagt er gespielt leidend. »Aber um deine Frage zu beantworten, die übrigens regelwidrig ist, weil du überhaupt nicht mit Fragen dran bist – ich wohne seit genau drei Tagen hier. Zum Glück bin ich an Fee geraten, die Mitleid mit mir hatte, weil ich in der Stadt keine Menschenseele kenne, und es sich offenbar zum Ziel gesetzt hat, mich in die bessere Gesellschaft Bambergs einzuführen. Und hier bin ich.«

»Du hast da drin so gewirkt, als wärst du mit allen befreundet.« Sie könnte das nie – sich so selbstbewusst auf einer Party bewegen, auf der sie überhaupt niemanden kennt.

Er zuckt mit den Schultern. »Fremde sind nur Freunde, mit denen man noch kein Bier getrunken hat. Aber jetzt du – Wahrheit oder Pflicht?«

»Wahrheit.«

»In der Küche … Da hast du mit deinem Haargummi am Handgelenk gespielt und irgendwie angespannt gewirkt. Was hast du da gedacht?«

Sie beißt sich auf die Unterlippe. Sie war sich sicher, er hätte das nicht bemerkt. »Ich passe. Nächste Frage.« Es gibt Dinge, über die sie ganz bestimmt nicht mit einem fast völlig Fremden redet. Nicht einmal mit einem, mit dem sie gerade Bier trinkt.

Er zieht eine Grimasse. »Na schön. Etwas Einfaches. Hattest du als Kind ein Haustier?«

Das ist sicheres Terrain. »Einen Hamster. Mister Muffin.«

Er lacht auf. »Mein Gott, das arme Tier. Der Name ist … entwürdigend.«

Sie versucht, ihn streng anzufunkeln, aber das Kichern perlt in ihrer Kehle empor und lässt sich nicht zurückhalten. »Er hat sich nicht beschwert.«

»Stumm und tapfer hat er sein schweres Schicksal ertragen«, sinniert er.

Kichernd bewirft sie ihn mit einem vertrockneten Petersilienstängel, den sie aus einem Kräutertopf gepflückt hat. Er ist schrecklich.

Und sie mag ihn.

Das Bier wird allmählich warm und schal, aber sie trinkt einen großen, genussvollen Schluck. Ihr ist seltsam leicht zumute, als wäre ihr Kopf mit Helium gefüllt und als könnte sie jeden Augenblick abheben – ein bisschen so, als wäre sie beschwipst, aber an den paar Schlucken Alkohol kann es nicht liegen. Sie weiß genau, woran es liegt – oder an wem.

Plötzlich beugt er sich zu ihr vor, hebt die Hand. Seine Finger verharren kurz vor ihrem Gesicht.

»Darf ich? Du hast da …«

Ihr Körper weigert sich zu atmen, und damit erstirbt schlagartig jede Möglichkeit zu antworten. Kein Wort kommt über ihre Lippen. Ein Nicken ist alles, was sie zustande bringt. Das schwindelige Kribbeln in ihrem Kopf, das ihr das Gefühl gibt, betrunken zu sein, nimmt zu. Schmetterlingszart streicht Max über ihre Wange.

»Was war denn da?«, flüstert sie, als sie ihre Sprache wiederfindet.

»Nichts«, flüstert er.

Er lässt die Hand sinken, aber immer noch ist er ihr nah. Seine Pupillen sind geweitet. Im hellen Braun seiner Augen liegt ein Universum aus goldenen Funken. Der Duft dieser Nacht nimmt eine neue Nuance an, er wird süßer und üppiger, wie ein schweres Parfum.

»Wahrheit oder Pflicht?«, fragt sie.

»Pflicht«, sagt er.

Keiner von ihnen sieht weg. Längst gibt es für sie keine Party mehr, keine anderen Menschen, obwohl man sie immer noch lachen und feiern hört – ganz fern und gedämpft, als seien sie in einer anderen Welt.

Anna muss an damals denken. An dieses eine Mal, als ihr Papa mit ihr ins Schwimmbad gegangen ist. An ihren Anfall von Größenwahn, als sie die Leiter des höchsten Sprungturms emporgeklettert ist, Sprosse für Sprosse. Kaltes, feuchtes Metall unter ihren Handflächen und Chlorgeruch in der Nase. Und dann hatte sie da gestanden. Viel zu hoch oben, über einem viel zu kleinen Becken, das von oben so aussah, als könnte sie es im Sprung verfehlen.

Unten war ihr Papa und schaute stolz zu ihr hinauf. Hinter ihr irgendein nach Frittenfett riechender Kerl, der auch springen wollte und ungeduldig herumzappelte, weil sie so lange zögerte. Aber dann war alles um sie herum allmählich verschwommen. Sie hatte nur noch das kleine kristallblaue Viereck unter sich gesehen. Ihre Zehen hatten sich bis zur Kante vorgetastet.

Sie musste springen. Sie wollte springen – deshalb war sie schließlich hochgeklettert, über all diese Sprossen. Doch da lagen auf einmal unsichtbare Eisenringe um ihren Hals und ihre Brust, die ihre Lunge am Atmen und ihr Herz am Schlagen hinderten. Ein Rauschen verschluckte alle Geräusche um sie herum, das Kinderlachen, das Meckern des Kerls hinter ihr und die Stimme aus dem Lautsprecher, die dazu ermahnte, nicht vom Beckenrand zu springen – und es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass dieses Rauschen in ihr war. Niemand außer ihr konnte es hören.

Sie wusste nicht genau, wie lange sie da stand und in die Tiefe starrte. Wieder und wieder versuchte sie, sich zu überwinden.

Jetzt. Jetzt springe ich.

Aber der Turm war zu hoch und das Becken zu klein. Sie war zu klein.

Sie konnte es nicht. Konnte sich nicht ins Ungewisse fallen lassen. In eine Situation, über die sie keine Kontrolle hatte.

Also blieb sie stehen. Und irgendwann gelang es ihr, sich abzuwenden und zurückzugehen. Sie drückte sich am Frittenfettmann vorbei und kletterte die Leiter wieder hinunter. Sprosse für Sprosse.

Und jetzt steht sie wieder auf einem Sprungturm, der ihr viel zu hoch vorkommt. Zumindest fühlt es sich so an wie damals.

Aber jetzt, jetzt schafft sie es. Das spürt sie. Sie hält den Atem an – und springt.

»Küss mich.«

Charlotte

20. Oktober 1990

In der Galerie brummt es wie in einem Bienenstock. Die Vernissage hat sie alle angelockt: Künstler und Kunstliebhaber, Vertreter von Presse und Politik, Händler und Kuratoren. Die Beleuchtung setzt die kräftigen Farben der Gemälde eindrucksvoll in Szene und hebt jeden der kraftvollen Pinselstriche hervor. Ich habe die Werke eigenhändig ausgewählt und bis letzte Nacht akribisch daran gearbeitet, dass heute alles glatt über die Bühne geht.

Genussvoll tauche ich in die Menge ein, mache Smalltalk, lache über Witze und gebe kluge Kommentare zu interessanten Trends und vielversprechenden neuen Künstlern. Längst nicht jeder ist wegen der Bilder hier, es geht auch ums Sehen und Gesehenwerden. Ich bin umgeben von glänzenden, raschelnden Stoffen, Parfumwolken, Gelächter und Gläserklirren. Die flirrende Stimmung belebt mich, ich brauche diesen Trubel wie die Luft zum Atmen und bin ganz in meinem Element. Meine Absätze klackern über den Boden, das nachtschwarze Slipdress schmiegt sich kühl an meinen Körper.

Aber auch wenn ich mich scheinbar treiben lasse, bin ich ganz fokusiert und schaue mich sehr genau um. Ich bin schließlich nicht zum Spaß hier.

Ich suche ihn.

Sein Name variiert, genauso wie sein Aussehen. Manchmal trägt er einen Anzug und stellt sein Vermögen zur Schau, eine Spur zu offensichtlich, um elegant zu sein. Manchmal kleidet er sich ganz in Schwarz und gibt den geheimnisvollen Kunstkenner. Mal hüllt er sich in eine Aura aus Extravaganz.

Aber was er auch trägt, ich erkenne ihn jedes Mal, den Kerl mit zu wenig Kunstkenntnis und zu viel Geld in den Taschen. Mein Opfer. Auf so gut wie jeder Vernissage lungert einer von dieser Sorte herum und wartet nur darauf, viel Geld in Kunst zu investieren, die er nicht richtig versteht, die sich aber hervorragend dazu eignet, seine Geschäftspartner und seine Bekanntschaften zu beeindrucken.

Nele fängt meinen Blick ein und grinst mir über die Menge hinweg zu, als ich zielstrebig auf den Mann zusteuere. Mit ihrem Sektglas prostet sie mir zu, ihre brombeerenfarben geschminkten Lippen formen die Worte »Schnapp ihn dir«. Ich hebe als Antwort ebenfalls mein Glas – gefüllt mit alkoholfreiem Sekt – stelle mich dann neben den Mann und tippe mir nachdenklich mit dem Zeigefinger ans Kinn, während ich scheinbar gedankenversunken das Gemälde betrachte.

Er wird sofort auf mich aufmerksam, statt des Bildes betrachtet er mich. Er taxiert mich von Kopf bis Fuß. Ich weiß, mein Kleid ist geschickt gewählt. Sein Reiz liegt in seiner Schlichtheit, die Spaghettiträger betonen meinen schlanken Hals und das zierliche Schlüsselbein, der seidige Stoff schmiegt sich lasziv um meinen Körper.

Ein paar Monate später wäre sein Blick bestimmt an meinem Bauch hängengeblieben, aber noch ist die Wölbung so klein, dass nur ich sie bemerke – und wenn ich ganz ehrlich bin, könnte das auch einfach daran liegen, dass ich jeden Abend vor dem Spiegel den Bauch rausstrecke und mich nach Kräften bemühe, etwas zu erkennen.

Er sieht auch nicht übel aus, das muss ich zugeben. Ganz elegant mit den grauen Schläfen, dem gut geschnittenen Anzug und der breiten Krawatte. Ich bin überhaupt nicht interessiert – aber er muss ja nicht wissen, dass ich glücklich verheiratet bin.

»Was halten Sie davon?«, frage ich bedeutungsvoll und fahre mir mit der freien Hand durch den schwarz gefärbten, sorgfältig glattgefönten Bob.

Er räuspert sich, leckt kurz über seine Unterlippe, und ich wäre nicht erstaunt, wenn er jetzt versuchen würde, mich zu beeindrucken. Dass mich mein Namensschild als Mitarbeiterin der Galerie ausweist, hält ihn nicht davon ab, den Kunstexperten markieren zu wollen. »Es hat etwas Kraftvolles. Wenn man den Pinselstrich betrachtet, sieht man die Leidenschaft des Künstlers förmlich.«

Da hat er nicht ganz unrecht. Er zitiert ja auch sinngemäß meine Formulierungen aus dem Katalog. Zumindest hat er sich die Zeit genommen, den Informationstext zur Ausstellung zu überfliegen.

Mein Lächeln hätte einen ganzen Raum erhellen können. »Das empfinde ich ganz genauso. Ich sehe darin eine gewisse Maskulinität, die sich in der Wahl der Farben und der Technik manifestiert.«

Und zack! Ich habe ihn in der Tasche. Er macht es mir beinahe zu einfach, aber wer bin ich, mich darüber zu beschweren? Ich spüre seinen Blick in meinem Rücken, als ich mit wippenden Schritten und siegessicherem Lächeln davongehe.

*

»Er wird es kaufen.« Mit dem Daumen deute ich über meine Schulter hinter mich in die Galerie.

Nele lacht rau und kehlig. »Natürlich. Ich habe keine Sekunde daran gezweifelt. Ich könnte ein Dutzend Kindergartenkritzeleien aufhängen, und du würdest jede einzelne davon verkaufen. Du bist unglaublich.«

Ich mache eine wegwerfende Handbewegung, die den alkoholfreien Sekt beinahe überschwappen lässt. Allzu schade wäre es nicht darum – das Zeug ist widerlich süß. »Kinderspiel. Der Kerl ist versessen darauf, sein Geld für irgendetwas auszugeben, was bei den Ladys Eindruck macht und ihn kultiviert wirken lässt.«

»Was, wenn ich dich einfach nicht gehen lasse? Diese Galerie braucht dich.« Nele ist nicht der Typ für herzerweichende Dackelblicke, aber sie gibt ihr Bestes.

Ich muss lachen. »Klar, das wird großartig. Ich nehme das Kind dann einfach mit zur Arbeit. Wenn es dann zwischen den kostbaren Gemälden rumkrabbelt, während ich arbeite, wird ihm zumindest nicht langweilig.«

Nele schüttelt sich sichtbar bei der Vorstellung, und schmunzelnd frage ich mich, was sie schlimmer findet: die Vorstellung, dass den Kunstwerken etwas zustoßen könnte, oder den Gedanken an Kinder überhaupt. Ich kann es ihr nicht verübeln, bis vor kurzem hab ich das genauso gesehen wie sie. Zwischen vor kurzem und jetzt liegen ein geplatztes Kondom, tränenreiche Krisengespräche mit Thomas und eine Entscheidung, die alles verändert hat.

»Klingt reizvoll. Gibt es nicht diese Leinen, mit denen man Kinder in Schach halten kann?«

»Hunde. Du meinst Hunde«, berichtige ich sie.

»Wie auch immer.« Sie seufzt tief.

Es ist kühl hier draußen und mein Kleid bestimmt nicht die optimale Bekleidung für einen solchen Herbstabend, aber nach der stickigen, von Menschenkörpern aufgeheizten Luft in der Galerie tut die Kälte ganz gut. Noch einmal nippe ich an meinem Kindersekt, verziehe das Gesicht und schiele neidisch auf das perlende Getränk in Neles schlankem Glas, das sie gerade achtlos auf einem Mülleimerdeckel abgestellt hat.

Ein Klicken, dann ein rotglühender Funke. Bläulicher Rauch hüllt uns ein, als Nele an ihrer Zigarette zieht.

»Auch eine?«, sie streckt mir die Packung entgegen. Der Oktoberwind lässt ihren wildgemusterten Seidenkimono mit den weiten Ärmeln, den sie als Kleid ausgibt, flattern.

»Danke.« Kopfschüttelnd deute ich auf meinen Bauch, obwohl mich bei dem Geruch die Gier packt. Dass ich damit aufgehört habe, ist noch nicht lange genug her, als dass mir der Verzicht leichtfiele.

Sie zuckt mit den Schultern, lässt ihre Zigarette einfach fallen und tritt sie mit dem Stiletto aus. »Ist ohnehin eine scheußliche Angewohnheit. Ich sollte auch aufhören.«

Kurz schweigt sie, bevor sie mich eindringlich anschaut und hinzufügt: »Aber mal im Ernst, Charlie.« Sie ist die Einzige, die mich so nennt. In der Grundschule wurde ich mal Lotte genannt, aber ich hatte mich geweigert, darauf zu hören. Außer meiner besten Freundin spricht mich jeder mit meinem vollen Namen an – sogar mein Ehemann. »Du weißt, wenn du es dir anders überlegst, kannst du jederzeit zurückkommen, okay? In der Galerie wird es immer einen Platz für dich geben, falls du dein altes Leben zurückhaben willst.«

Die Worte hängen zwischen uns und verfliegen mit dem letzten Hauch des Zigarettenqualms. Nele sieht mich ungewohnt ernst an, und zum ersten Mal fallen mir die feinen Fältchen auf, die sich über die letzten Jahre um ihre dunklen Augen gebildet haben, und von denen auch Kajal und exzentrischer Schimmerlidschatten nicht ablenken, ebenso wenig wie die feuerrote, wallende Mähne mit dem Micropony, der aussieht, als hätte der Friseur ihn mit Hilfe eines Lineals geschnitten.

»Danke. Ehrlich. Ich weiß das zu schätzen. Aber mein Entschluss steht fest, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Thomas und ich, wir haben entschieden, dass es der richtige Schritt ist. Auf dem Land hat das Kind es viel besser. Soll es denn in der Stadt zwischen Autos und Mülltonnen spielen? Und mir wird es auch guttun. Das Landleben. Die frische Luft. Die Ruhe und die viele Zeit für die Familie. Immerhin werden wir genau das sein – eine richtige kleine Familie.«

Ich merke, dass sich meine Zunge selbständig gemacht hat und die Argumente runterrattert, die ich mir in den letzten Wochen ständig selbst vorgebetet habe. All diese vernünftigen Worte, die sich so plausibel anhören und sich in meinem Mund trotzdem sperrig und fremd anfühlen.

Immer noch sieht Nele mich reglos an – so reglos, wie ich sie noch nie erlebt habe – und mir ist klar, dass sie mir meine Zweifel so deutlich ansieht, als seien sie in Leuchtschrift auf meine Stirn geschrieben. Aber sie sagt nichts mehr, und dafür bin ich ihr dankbar.

Ich schwinge die Arme vor und zurück, wobei ich ganz vergesse, dass ich ein halbvolles Glas in der Hand habe. Das süße Zeug schwappt über mein Handgelenk. »Na schön, ich gehe dann wieder rein. Hier draußen ist es schweinekalt, und der Künstler wartet schon. Ich wollte mich noch mal mit ihm unterhalten. Kommst du mit?«

Geistesabwesend holt sie eine weitere Zigarette aus der Packung. »Geh du schon mal rein, ich komme gleich.« Und ich bin froh, ihrem forschenden Blick zu entkommen, der manchmal so viel mehr sieht, als ich preisgeben will.

Anna

Die Worte sind ausgesprochen, sie lassen sich nicht mehr zurücknehmen.

Küss mich.

Und Max zögert nicht. Die Distanz zwischen ihnen schmilzt dahin. Und einen Moment lang ist sie so überrascht, dass sie sich fragt, ob sie träumt.

Und dann fragt sie sich gar nichts mehr, sie fühlt nur noch: Seine Lippen auf ihren. Seine Hand, die an ihrem Kinn entlangfährt und sich sanft in ihr Haar wühlt. Das Wummern ihres Herzens, das wild, beinahe gewalttätig schlägt.

Sogar das Mondlicht glaubt sie auf ihrer Haut zu fühlen, kühl und seidenglatt, als sich ihre Münder voneinander lösen. Stirn an Stirn sitzen sie da, ihre Augen geschlossen, seine Hand an ihrem Nacken. Ihre Lippen fühlen noch den Kuss. Sein Atem mischt sich mit ihrem, ihre Haut prickelt unter seiner Berührung.

»Begleitest du mich nach Hause?«

Sie weicht zurück, so dass sie ihm ins Gesicht sehen kann, und zieht eine Augenbraue hoch. Versucht der Frage, die jetzt zwischen ihnen in der lauen Sommernachtluft steht, ihre Größe zu nehmen. »Soll das eine Pflicht-Aufgabe sein?«

Aber dieses Mal grinst er nicht. »Ich will nicht, dass diese Nacht schon endet«, sagt er leise.

Dass sie je endet, fügt sie in ihrem Kopf hinzu, und sie weiß nicht, ob es ihr eigener Gedanke ist, oder das, was sie in seinem Satz mithört.

Niemals. Nie im Leben.

Das ist das Letzte, was sie täte. Mitgehen. Zu ihm nach Hause.

Sie ist die Anna, die spätestens um dreiundzwanzig Uhr im Bett liegt, weil der Schlaf vor Mitternacht der Wichtigste ist. Die eine nach Prioritäten sortierte Checkliste im Kopf hat und jede Entscheidung zuerst mit dieser Liste abgleicht. Und die, wenn überhaupt, frühestens nach drei Dates küssen würde, weil man erst ausschließen können sollte, dass der andere ein geisteskranker Serienmörder ist.

Aber heute Nacht hat sie plötzlich das Gefühl, einen Moment lang nicht diese Anna sein zu müssen, sondern sein zu können, wer verdammt nochmal sie will.

Sie haben getanzt auf dem Weg zu seiner Wohnung. Anna ist betrunken, immer noch. Und immer noch liegt es nicht am Alkohol. Es ist, als läge etwas in der Luft, was sie berauscht und ihr dieses federleichte Gefühl im Kopf schenkt.

»Du bist verrückt«, hat sie gekichert, nachdem er sie in einer formvollendeten Salsa-Drehung – oder dem, was sie dafür hält – herumgewirbelt hat.

»Ich danke sehr.« Seine Verbeugung war nicht minder formvollendet. Die braunen Haare waren ihm dabei in die Stirn gefallen wie ein Vorhang, und seine Augen hatten sie darunter hervor angefunkelt.

Sie sind über Parkbänke gesprungen und haben am Flussufer eine Taube aufgeschreckt. Anna hat seine Hand genommen, oder er ihre, und gemeinsam haben sie über Dinge gelacht, die sie Minuten später schon wieder vergessen hatten.

Und jetzt sind sie hier.

Sie hätte gedacht, dass diese seltsame, heliumgefüllte Traumstimmung verfliegt, sobald sich die Tür hinter uns schließt, aber das passiert nicht. Die Dunkelheit seiner Wohnung empfängt sie wie eine samtige Umarmung. Und dann umfangen sie Max’ Arme.

Neugierig schielt sie über seine Schulter hinweg und versucht einen Blick auf die Wohnung zu erhaschen, in der Hoffnung, sich ein genaueres Bild von ihm machen zu können. Sie reden seit Stunden und sie fühlt sich ihm nahe, aber gleichzeitig ist er ihr fremd und so flüchtig, dass sie ihn nicht fassen kann. Nur eine Zufallsbegegnung, an der sie festhalten, weil sie beide den Moment nicht loslassen wollen.

Nach einem Moment haben sich Annas Augen so weit an die Dunkelheit gewöhnt, dass sie Umrisse erkennt. Max’ Lippen wandern über ihren Hals, während sie ihren Blick über die spärliche Einrichtung wandern lässt – oder zumindest über das, was das wenige Licht von Mond und Straßenbeleuchtung enthüllt, das zwischen den Lamellen der Jalousien hindurchfällt und blasse Streifen in die Dunkelheit malt.

Minimalistisch scheint er eingerichtet zu sein, so viel erkennt sie. Aber er hat seine eigenen vier Wände für sich, keine typische Studentenbude und keine WG wie sie und Fee.

»Schön hast du es.« Da wären sie wieder bei Annas famosen Smalltalk-Skills. Hätte sie ihr Notizbuch zur Hand, würde sie jetzt sofort den Erwerb eines Smalltalk-Selbsthilfebuchs auf ihre To-do-Liste setzen. Dummerweise rutscht ihr die Tasche mitsamt Notizbuch gerade von der Schulter und landet auf dem Boden.

Sein Grinsen spürt sie mehr auf ihrer Haut, als dass sie es sieht. »Danke. Mein kleines Reich.« Und wie vorhin, als er über seinen Job gesprochen hat, hört sie auch jetzt diesen Stolz in seiner Stimme.

Sie will noch etwas sagen, aber als Max’ Mund ihre Lippen erreicht, vergisst sie, was es war. Sie schlingt die Arme um seinen Nacken, drängt sich an ihn und küsst ihn, bis sie beide nach Luft ringen. Irgendetwas fällt polternd um, als sie eng umschlungen weiter in die Wohnung taumeln, aber keiner von ihnen sieht sich danach um. Annas Rücken schrappt über die raue Tapete. Hastig schieben Max’ Hände ihr Shirt hoch und scheinen glühende Spuren auf ihrer Haut zu hinterlassen.

Irgendwie sind sie ins Schlafzimmer geraten, aber sie kann sich nicht daran erinnern, bewusst hineingegangen zu sein. Ohne einander loszulassen, fallen sie aufs Bett.

Max stützt sich neben ihr auf und schaut sie an. Sein Blick ist eine Frage, ihrer eine Antwort. Und um ganz sicherzugehen, dass er diese Antwort auch wirklich verstanden hat, nickt sie und schiebt sich noch enger an ihn. Ihr Gesicht passt in die Kuhle zwischen seinem Kinn und seinem Hals, als wäre ihr Körper dazu gemacht, seinem ganz nah zu sein. Sie atmet den Duft seiner Haut, fühlt die Wärme seines Körpers, fiebert jeder Berührung entgegen.

Dass sie ihn kaum kennt, spielt keine Rolle. Sie kennt sich selbst nicht – und sie genießt es.

Er gibt ihr die Nähe, die sie in dieser Nacht braucht. Und sie schwebt, sie schwebt mit ihm.

 

Eine warme Hand liegt auf ihrem Bauch, direkt unterhalb ihres Nabels. Lächelnd spürt sie dem Echo des Traums nach, der sie durch die Nacht begleitet hat.

Nur – dass es kein Traum war. Die Hand bewegt sich, und schlagartig ist sie hellwach. Die Realität hat sie wieder. Sie schnellt im Bett hoch, sitzt aufrecht und schaut sich hektisch um.

Der Kerl, der neben ihr im zerwühlten Laken liegt, hat einen gesunden Schlaf, das muss man ihm lassen. Er murmelt etwas Unverständliches und dreht sich auf die andere Seite, ohne die Augen zu öffnen.

Max. Das war sein Name. Und er liegt splitterfasernackt neben ihr. Die Decke verhüllt gerade so das Nötigste – nein, tut sie nicht, wie ihr ein zweiter Blick verrät. Himmelherrgott! Was hat sie getan? Und vor allem: Warum?

Die aufkommende Katerstimmung ist wohl die logische Konsequenz des bizarren Betrunkenheitsgefühls von letzter Nacht. Stöhnend fasst sie sich an die Stirn und versucht, einen mehrstufigen Deeskalationsplan zu entwickeln.

Schritt eins: Herausfinden, wie spät es ist.

Die Decke hat sich um ihre Beine geschlungen und verwandelt sich in eine Falle, als sie sich leise aus dem Bett schleichen will. Wie ein nasser Sack plumpst sie auf den Boden und verharrt mit angehaltenem Atem, aber von Max kommt nur ein unwilliges Grunzen. Gepriesen sei sein tiefer Schlaf. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen kann, ist ein peinliches Am-Morgen-danach-Gespräch.

Vorsichtig steigt sie über die Klamotten, angelt mit dem Fuß nach ihrem Slip, den sie im Halbdunkel neben dem Bett erspäht, und dreht so vorsichtig wie möglich am Jalousien-Wendestab. Das grelle Sonnenlicht, das hereinfällt, nimmt ihr die vage Hoffnung, es sei noch ganz früh am Morgen.

»Verdammt!«, entfährt es ihr. Halb Jammern, halb Flüstern. Sie sollte, nein, sie muss pünktlich in der Firma sein. Ihr ist übel und ganz elend zumute, so schwer wiegt das schlechte Gewissen auf ihren Schultern.

Die Fitnessuhr, die auf Max’ Nachttisch lädt, reagiert, als sie mit ihrem Zeigefinger darauf tippt: halb acht. In einer halben Stunde sollte sie in der Firma sein, was angesichts der Entfernung absolut unrealistisch ist. Sie schnappt nach Luft und starrt auf die leuchtende Uhrzeitanzeige, bis die wieder von selbst erlischt.

Warum war sie nur so dumm, so unvernünftig? Was ist in sie gefahren? Selbstvorwürfe prasseln auf sie ein wie Hagelkörner, sie kann sie förmlich spüren und krümmt sich zusammen. Ihr Vater braucht sie! Sie weiß doch, dass er sie braucht. Und trotzdem treibt sie sich mit irgendeinem Kerl herum, statt abends rechtzeitig ins Bett zu gehen und morgens pünktlich in der Firma zu sein.

Ihr ist zum Heulen zumute. Oder, alternativ und noch besser, danach, sich selbst zu ohrfeigen. Aber weder das eine noch das andere würde sie jetzt in irgendeiner Form weiterbringen, stattdessen muss sie sich aufs Wesentliche konzentrieren. Sie hat jetzt keine Zeit, sich von ihren Gefühlen überrollen zu lassen – denen hat sie letzte Nacht die Kontrolle überlassen, und man sieht ja, wohin sie das geführt hat. Gestern war sie sich selbst fremd, aber jetzt kennt sie sich wieder. Die Realität mit all ihren Verpflichtungen und Terminen hat sie wieder im Griff, vereinnahmt sie voll und ganz und lenkt ihren Verstand in klare, strukturierte Bahnen.

Schritt zwei: Abhauen, ohne Max zu wecken und sich in blamablen, zeitraubenden Smalltalk verwickeln zu lassen.

Während sie durch die Wohnung tappt, mit fliegenden Fingern ihre Sachen einsammelt und sich anzieht, kann sie der Versuchung nicht widerstehen, sich umzusehen. Zeitdruck hin oder her, ein bisschen neugierig ist sie schon, wie der erste One-Night-Stand ihres Lebens so wohnt.

Ihr erster Eindruck von letzter Nacht war schon ganz richtig. Die Einrichtung ist eher minimalistisch gehalten. Jalousien verdunkeln die breite Fensterfront, doch zwischen den Lamellen fällt die Morgensonne herein und stanzt Lichtstreifen ins Dunkel. Staubkörner flirren wie Feinstaub in den goldenen Strahlen, verleihen sogar den leeren Energydrinkdosen und dem Pizzakarton auf dem Couchtisch etwas Verwunschenes und tauchen die ganze profane Szenerie in einen fast magischen Schein.

Vor einer unverputzten Ziegelsteinwand stehen ein dunkelgrünes Sofa und ein deckenhohes Regal, in dem sich zerfledderte Zeitschriften und dicke Bücher stapeln, auf der anderen Raumseite befindet sich eine mit dem Nötigsten ausgestattete Küchenzeile. Einen Tisch sieht sie nicht – weder einen Ess- noch einen Schreibtisch. Außer diesem Raum gibt es noch das Schlafzimmer, aus dem sie gerade kommt, und ein schmales Bad.

Etwas irritiert sie, irgendetwas fehlt ihr. Und dann weiß sie auch was. Bei einem so begeisterten Fotografen hätte sie Bilder an den Wänden erwartet – aber Fehlanzeige. Abgesehen von einer Ukulele, die in einer Halterung hängt, sind die Wände nackt.

So nackt wie Max und ich letzte Nacht, fügt ihr Gehirn hilfsbereit hinzu und entlockt ihr noch ein gequältes Stöhnen. Und so nackt wie er jetzt gerade immer noch ist, während er friedlich schläft.

Ihre Handtasche liegt im Flur auf dem Boden. Anna schnappt sie sich und presst sie an ihre Brust wie einen Schutzschild, der sie gegen ihre eigenen aufgewühlten Gefühle abschirmen kann. Ihr Blick wandert zwischen der Wohnungstür und der angelehnten Schlafzimmertür hin und her, zwischen Disziplin und Verlockung.

Nur ein Blick. Einen letzten Blick gestattet sie sich, bevor sie wieder ganz ihren Pflichten nachgeht. Mit angehaltenem Atem, um bloß kein Geräusch zu machen, öffnet sie noch einmal die Schlafzimmertür. Aber vermutlich wäre das gar nicht nötig – wenn ihn ihre unelegante Bruchlandung aus dem Bett und das hektische Hantieren in seiner Wohnung bisher nicht geweckt haben, könnte sie jetzt auch auf Steppschuhen ins Schlafzimmer tänzeln, und Max würde weiterschlafen.

Und tatsächlich lässt er sich nicht stören. Jemand, der so friedlich und fest schläft, kann keine Sorgen kennen, schießt es ihr durch den Kopf.

Vielleicht werden sie einander nicht wiedersehen – es sei denn, sie laufen sich zufällig in Bamberg über den Weg. Aber sie wird ganz bestimmt nicht versuchen, mehr aus diesem One-Night-Stand zu machen. Also, womöglich ist es das letzte Mal, dass sie ihn sieht. Doch als sie jetzt in der Tür steht, weiß sie, dass sie ihn nicht vergessen wird. Sie prägt sich seinen Anblick und die Bilder der letzten Nacht ein wie einen Schatz, den sie in sich verschließt.

Max liegt auf der Seite. Die braunen Haare fallen ihm ins Gesicht, die vollen Lippen sind leicht geöffnet. Unwillkürlich hebt sie eine Hand an ihre eigenen Lippen, die sich bei der Erinnerung an all die Küsse auf einmal warm anfühlen. Das Licht reicht aus, um die kleine Narbe an seiner Oberlippe zu erkennen – und ein paar blasse Sommersprossen, die ihr gestern gar nicht aufgefallen waren. Der Schlaf macht seine Gesichtszüge weich und unschuldig, aber sogar jetzt ist da dieser amüsierte Ausdruck um seine Mundwinkel, als machte er sich selbst im Traum über jemanden lustig.

Das Verlangen, bei ihm zu bleiben und sich einfach wieder zu ihm zu legen, überkommt sie so unerwartet, dass sie unwillkürlich einen Schritt in den Raum hineingeht. Sie betrachtet seine Haare und denkt daran, wie weich sie sich zwischen ihren Finger angefühlt haben. Sieht seine Arme an, unter deren gebräunter Haut sich Muskeln abzeichnen, und kann spüren, wie sie sie letzte Nacht festgehalten haben. Sie lässt den Blick über seine Haut wandern und erinnert sich an ihre Hitze, ihren Duft, ihren Geschmack.

Wie von selbst fährt ihre Hand in ihre Tasche und tastet nach Stift und Papier. Sie könnte ihm ihre Nummer dalassen, in der Hoffnung, dass er sich meldet. Es einfach drauf ankommen lassen und schauen, wohin das führt, ohne vorher einen Plan zu schmieden, aber auch ohne allem von vornherein einen Riegel vorzuschieben.

Aber den Mut hat sie nicht.

Max

Der Platz neben mir ist leer. Meine Hand tastet über das kühle Laken und sucht nach Annas Wärme, doch der glatte Stoff lässt keine Rückschlüsse darauf zu, ob sie wirklich hier gelegen hat, oder ob die vergangene Nacht nur ein Traum gewesen ist. Unwillkürlich seufze ich enttäuscht, dabei kann ich nicht einmal behaupten, sonderlich überrascht zu sein.

›Ich bin eigentlich echt nicht der Typ für so etwas‹, hat sie in meinen Armen gestammelt, staunend und mehr zu sich selbst als zu mir, und auch wenn es wie eine Plattitüde geklungen hat, ist es wahrscheinlich die Wahrheit. So gut habe ich sie letzte Nacht zumindest kennengelernt, dass ich mir sicher bin, dass sie nicht der Typ für bedeutungslose One-Night-Stands mit Fremden ist.

»Als wäre ich das«, murmele ich und schwinge die Beine aus dem Bett.

Meine Klamotten liegen auf dem Boden verteilt, ihre hingegen sind verschwunden – alle eingesammelt von dieser Frau, die geradezu neurotisch gut strukturiert und organisiert wirkt.

BWL-Anna mit der gigantischen Handtasche, die wahrscheinlich alles für einen spontanen Kurztrip an jeden beliebigen Ort auf der Welt beinhaltet. Das Grinsen will überhaupt nicht von meinem Gesicht verschwinden, als ich ins Bad gehe, den Partygeruch der letzten Nacht abdusche und mir meine Zahnbürste schnappe.

Es verblasst erst, als ich die acht verpassten Anrufe und die WhatsApp-Nachricht auf meinem Handydisplay sehe. Kein Wunder, die Anrufe sind von meiner Mutter, die Nachricht von meiner Schwester.

›Um Himmels willen, Max. Sie hat gerade das dritte Blech Kekse in den Ofen geschoben und malt jetzt wie besessen an einem Mandala. Wenn du dich nicht bald meldest, dreht sie komplett durch. Keine Ahnung, was dann kommt. Vielleicht wieder Improvisationstheater, Gott bewahre‹, hat Leonie getextet, gefolgt von einem Emoji, das die Augen verdreht.