Wirtschaftskrise ohne Ende? - Aymo Brunetti - E-Book

Wirtschaftskrise ohne Ende? E-Book

Aymo Brunetti

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Beschreibung

Von der Blase auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt bis zur Eurokrise - die zahlreichen weltwirtschaftlichen Erschütterungen der letzten Monate und Jahre sind nicht zufällig etwa zur gleichen Zeit aufgetreten, sondern haben gemeinsame Ursachen. 'Wirtschaftskrise ohne Ende?? ' geht diesen Gemeinsamkeiten nach und erklärt die wichtigsten Zusammenhänge. Das Buch ist eine leicht lesbare Orientierungshilfe, die es erlaubt, sich in begrenzter Zeit einen Überblick über die komplexen und vielschichtigen Hintergründe der globalen Finanz-, Wirtschafts- und Verschuldungskrise zu verschaffen.

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Aymo Brunetti

Wirtschaftskrise ohne Ende?

US-Immobilienkrise | Globale Finanzkrise | Europäische Schuldenkrise

ISBN Print: 978-3-03905-883-9

ISBN E-Book: 978-3-03905-896-9

E-Book Produktion: Rombach Druck- und Verlagshaus, Freiburg i.Brsg.

3. Auflage 2012

Alle Rechte vorbehalten

© 2012 hep verlag ag, Bern

hep verlag ag

Gutenbergstrasse 31

CH-3011 Bern

www.hep-verlag.ch

Zusatzmaterialien und -angebote zu diesem Buch:

http://mehr.hep-verlag.ch/wirtschaftskrise

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einführung

Ablauf und Hauptdarsteller der Krise

1 Einstieg und Krisenverlauf

2 Die Banken als Hauptdarsteller

Der US-Häusermarkt als Auslöser der Krise

3 Die Entstehung der Immobilienblase

4 Das Subprime-Problem

5 Die Immobilienkrise in den USA

Die Krise wird global

6 Die weltweite Bankenkrise

7 Die globale Wirtschaftskrise

8 Die europäische Schuldenkrise

Die Reaktionen der Wirtschaftspolitik

9 Die Stabilisierung des Bankensystems

10 Die Stabilisierung der globalen Wirtschaft

11 Die Bekämpfung der europäischen Schuldenkrise

Ausblick: Grosse Herausforderungen

12 Wege zu krisenfesteren Banken

13 Normalisierung der Wirtschaftspolitik

14 Zur Zukunft der Eurozone

Schlusswort: Wirklich eine Wirtschaftskrise ohne Ende?

Anhang

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Glossar

Vorwort

Seit fünf Jahren befindet sich die Weltwirtschaft permanent im Krisenmodus; und ein Ende scheint nach wie vor kaum absehbar. Angesichts der Abfolge von Schocks – vom Platzen der Blase auf dem US-Häusermarkt über die Panik auf den globalen Finanzmärkten bis zum Verschuldungsdrama im Euroraum – ist es kaum übertrieben, von einem wirtschaftlichen Jahrhundertereignis zu sprechen.

Dieses Ereignis knapp und fundiert zu erklären – das ist der Anspruch des vorliegenden Buches. Es zeigt auf, wie die langjährige, facettenreiche Krise entstanden ist, wie Regierungen und Zentralbanken darauf reagiert haben und welche Herausforderungen noch anstehen. Dabei werden wenige, einfache Konzepte verwendet und die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen krisenhaften Ereignissen betont. Das Buch richtet sich einerseits an wirtschaftlich interessierte Leserinnen und Leser, die sich in geraffter Form einen Überblick über die Zusammenhänge verschaffen wollen. Andererseits ermöglicht es aber auch denjenigen einen Einstieg, die sich mit Wirtschaftsfragen bisher nicht so intensiv beschäftigt haben oder die das Gefühl haben, die Übersicht über die Ereignisse der letzten Jahre etwas verloren zu haben.

In meiner Tätigkeit als Dozent und wirtschaftspolitischer Praktiker habe ich noch nie ein so großes Interesse an wirtschaftlichen Themen erlebt wie im Zusammenhang mit dieser Krise. Gleichzeitig konnte ich bisher in der ganzen Fülle von Publikationen zur Krise keinen relativ kurzen Text entdecken, den ich Kollegen oder Studierenden als Überblick oder Einstieg hätte empfehlen können. In Vorträgen und Vorlesungen entwickelte ich deshalb Schritt für Schritt das Material, das schließlich zum vorliegenden Buch führte. Damit man mich richtig versteht: Es gibt keinen Mangel an hervorragenden und interessanten Publikationen zu verschiedenen Aspekten der Krise (vgl. Literaturverzeichnis). Was aber meines Erachtens fehlt, ist eine kurze Einführung, die mit wenigen Konzepten die Essenz der gesamten Krise und die wichtigsten Zusammenhänge darstellt; in dieser Hinsicht hoffe ich, hier einen Beitrag leisten zu können.

Bei der Erarbeitung des vorliegenden Buches erhielt ich wertvolle Rückmeldungen von sehr vielen Personen. Besonders danken möchte ich Peter Bernholz, Marcel Bühler und Ronald Indergand für ihre ausführlichen und sehr hilfreichen Kommentare. Wichtige Hinweise erhielt ich zudem von Simon Jäggi, Boris Kaiser, Rolf Weder und Boris Zürcher. Ein besonderer Dank gilt schließlich dem professionellen und begeisterungsfähigen Team beim hep verlag. Hervorheben möchte ich dabei die außerordentlich gute und angenehme Zusammenarbeit mit dem Projektleiter Manuel Schär; das Buch hat sehr von seinen kompetenten Rückmeldungen profitiert.

Vorwort zur 3. Auflage

Bei Redaktionsschluss dieser 3. Auflage im Juli 2012 ist die Sorge um eine drohende Bankenkrise nach wie vor groß. Die Entwicklung seit der Publikation der 1. Auflage im Juni 2011 verdeutlicht, dass diese globale Krise auch fünf Jahre nach Beginn der Turbulenzen noch nicht ausgestanden ist. Diese neuste Zuspitzung zeigt ein weiteres Mal, dass es sich lohnt, sich mit den Hintergründen der gesamten Krise und damit den Ursachen der ganzen Probleme zu befassen. Denn es sind keinesfalls neue Entwicklungen, die zu den aktuellen Turbulenzen geführt haben. Vielmehr lassen sich auch diese zu einem guten Teil auf das Grundproblem zurückführen: Die übermäßige Verschuldung und das zu riskante Verhalten großer, stark miteinander verflochtener Banken.

Dass dieses Buches auf die zentrale Rolle der Banken in allen Phasen der Krise ausgerichtet ist, erweist sich auch für die Erklärung der jüngsten Turbulenzen als angemessen. Weil das Buch zudem die grundsätzlichen Mechanismen betont, ohne jede einzelne Entwicklung nachzeichnen zu wollen, gab es kaum Bedarf, den Text anzupassen.

Ich danke Hans-Otto Weiland für hilfreiche Kommentare, die es mir erlaubt haben, einen Abschnitt klarer zu formulieren.

Einführung

Erste deutliche Anzeichen dafür, dass auf den internationalen Finanzmärkten etwas Ungewöhnliches im Gange war, machten sich mitten in den Sommerferien des Jahres 2007 bemerkbar. Banken in verschiedenen Ländern berichteten immer häufiger, dass sie Mühe hätten, ihre kurzfristigen Kredite von anderen Banken zu erneuern. Bei einigen war die Situation so dramatisch, dass sie sich akut von der Zahlungsunfähigkeit bedroht sahen. Am 9. August wurde die Situation so heikel, dass die wichtigsten Zentralbanken begannen, die Märkte mit großen Mengen an Geld zu versorgen, um den Zusammenbruch von Banken zu verhindern. Dieses Datum wird heute als Beginn der großen Finanz- und Wirtschaftskrise betrachtet, welche die Welt seither mit unterschiedlicher Intensität in Atem hält. Bis in den Herbst 2008 blieben die Turbulenzen noch weitgehend auf einzelne Banken beschränkt. Mit dem Kollaps der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 erfasste die schwelende Krise aber sehr rasch die globalen Finanzmärkte und führte zum tiefsten Einbruch der Weltwirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. Die europäische Schuldenkrise, die im Frühjahr 2010 begann und seither anhält, war dann der nächste Akt dieses Dramas.

Ausgangspunkt der gesamten Krisenkaskade waren Ereignisse auf dem US-amerikanischen Häusermarkt. In der Folge einer außergewöhnlichen Preissteigerung für Immobilien wurden auf einem Teil des US-amerikanischen Häusermarktes zunehmend riskante Kredite vergeben. Solche Übertreibungen sind typisch für Finanzmarktblasen, die es in vielen Ländern immer wieder gegeben hat. Doch angesichts der schlimmen Folgen war diese eine Blase offensichtlich etwas ganz anderes, und damit stellt sich die Frage, die sich wohl schon viele gestellt haben: Wie konnten Ereignisse auf dem im globalen Maßstab doch eher kleinen US-amerikanischen Häusermarkt die Weltwirtschaft derart ins Wanken bringen?

Wir werden die Antwort auf diese Frage Schritt für Schritt herleiten. Dabei wird sich die außerordentliche Risikobereitschaft zahlreicher Banken als der wohl wichtigste Erklärungsfaktor für das Ausmaß der Krise erweisen. Um dies besser zu verstehen, werden wir eine einfache Analyse des Bankgeschäfts und seiner Risiken ins Zentrum unserer Darstellung stellen. Die Diskussion des Krisenverlaufs sowie die anschließende Analyse der wirtschaftspolitischen Reaktionen werden es zudem erlauben, zahlreiche wichtige ökonomische Zusammenhänge an einem relevanten Fallbeispiel zu erläutern.

Das Buch ist wie folgt aufgebaut:

Teil I zeichnet die wichtigsten Etappen der Krise nach, zudem werden die besonderen Risiken des Banking – der Kern zum Verständnis der Ereignisse – anhand des Konzeptes einer stark vereinfachten Bankbilanz erläutert. Dieses Konzept kann in der Folge immer wieder verwendet werden.

Teil II widmet sich den Fehlentwicklungen auf dem US-Immobilienmarkt und deren abrupter Korrektur, die den Ausgangspunkt der Krise darstellten.

In Teil III zeichnen wir Schritt für Schritt die wichtigsten Etappen der globalen Krise nach. Sie beginnt mit einer Bankenkrise, setzt sich mit einer globalen Wirtschaftskrise fort und mündet schließlich in die Verschuldungskrise im Euroraum.

In Teil IV wenden wir uns dann den wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise zu. Sie waren ebenso spektakulär wie die Krise selbst und haben die Weltwirtschaft möglicherweise vor einer Wiederholung der Großen Depression der 1930er-Jahre bewahrt.

Teil V schließlich diskutiert die Herausforderungen für die Zukunft. Es wird aufgezeigt, dass gerade die spektakulären wirtschaftspolitischen Reaktionen einige Risiken mit sich gebracht haben, sodass bis zur endgültigen Überwindung der Krise noch verschiedene Hürden zu meistern sind.

Um den Leserinnen und Lesern die Übersicht zu erleichtern, sind die Teile III, IV und V jeweils gleich aufgebaut, indem zuerst die Ereignisse im Bankensystem, dann diejenigen in der Weltwirtschaft und schließlich diejenigen in der Eurozone behandelt werden.

1  Einstieg und Krisenverlauf

Eine Wiederholung der Großen Depression?

Am 6. April 2009 erschien auf dem europäischen Ökonomenportal voxEU ein kurzer Beitrag, der rasch alle Leserekorde pulverisierte. Nach zwei Tagen hatten ihn bereits 30 000, nach einer Woche 100 000 Personen angeklickt. Der Artikel stellte eine ganz einfache Frage und gab darauf eine erschreckende Antwort. Die Frage lautete, ob die Finanz- und Wirtschaftskrise mit der Großen Depression der 1930er-Jahre vergleichbar sei. Die Antwort lautete, zumindest bezogen auf einige globale Indikatoren, für den Zeitpunkt der Publikation eindeutig Ja. Wenn man sich vor Augen hält, welche wirtschaftliche Katastrophe die Große Depression darstellte – die Arbeitslosigkeit in vielen Ländern war während Jahren höher als 20 Prozent, und das Wachstum brach um zweistellige Raten ein –, wird einem die Tragweite dieser Aussage bewusst.

Die beiden Autoren Barry Eichengreen und Kevin O’Rourke, beides bekannte Wirtschaftshistoriker, verwendeten bei ihrer Analyse eine ganz einfache Methode. Sie verfolgten für die beiden Krisen die Entwicklung gut messbarer makroökonomischer Größen von dem Zeitpunkt an, in dem die Werte zu fallen begannen. Dieser Zeitpunkt war der Juni 1929 für die Große Depression und der April 2008 für die aktuelle Krise. Weil es sich in beiden Fällen um ein globales Ereignis handelte, wählten sie dafür weltweite Durchschnittswerte.1Abbildung 1 zeigt ihre Daten für die Industrieproduktion links und für den internationalen Handel rechts.

Für die Große Depression zeigt die Grafik den Verlauf der ersten sechs Jahre nach Ausbruch der Krise und für die aktuelle Finanzkrise die ersten neun Monate, also die Daten, die zum Zeitpunkt der Publikation im April 2009 verfügbar waren. Es wird sofort ersichtlich, warum diese Publikation derart hohe Wellen warf: Die weltweite Industrieproduktion zeigte in der aktuellen Krise einen ähnlichen, ja sogar eher noch etwas negativeren Verlauf als bei der wirtschaftlichen Katastrophe vor 80 Jahren. Und vollends erschreckend war der Blick auf die Entwicklung des Welthandels. Hier war der Rückgang eindeutig stärker als zu Beginn der Großen Depression. Die beiden Autoren zogen aus ihrer Analyse den lapidaren Schluss, dass zumindest das erste Jahr der Krise auf ein Ereignis in der Größenordnung der Großen Depression schließen lasse.

Abbildung 1

Quelle: Eichengreen und O’Rourke (2010)

Ein Ereignis aus heiterem Himmel?

Wenig deutete zu Beginn dieses Jahrtausends auf eine solch dramatische Entwicklung hin. Vielmehr blickte man auf derart stabile weltwirtschaftliche Verhältnisse zurück, dass viele von der sogenannten great moderation, der großen Beruhigung also, sprachen. Die Periode von Mitte der 1980er-Jahre bis 2007 war in der Tat gekennzeichnet von moderaten Konjunkturschwankungen, stark rückläufiger und stabiler Inflation und vorhersehbarer Geld- und Fiskalpolitik. Auch an sich destabilisierende Ereignisse wie der Irakkrieg oder die Terroranschläge vom 11. September 2001 widerspiegelten sich kaum in den makroökonomischen Daten. Und selbst das Platzen der New-Economy-Blase, also der übersteigerten Begeisterung für Internetunternehmen zu Beginn des Jahrtausends, führte zwar zu massiven Einbrüchen der Aktienmärkte, mündete aber nur in einer relativ milden Rezession. Viele Ökonominnen und Ökonomen waren denn auch unmittelbar vor der Krise der Ansicht, dass die Zeit großer Konjunktureinbrüche vorbei sei und dass man sich anderen makroökonomischen Themen zuwenden könne.

Bei aller Zuversicht über die allgemeine Stabilität war sich die ökonomische Zunft allerdings schon bewusst, dass sich in der Weltwirtschaft einige bedeutende Ungleichgewichte aufgebaut hatten, die irgendwann einmal korrigiert werden mussten. Als zentrales Problem wurde die Tatsache gesehen, dass die USA Jahr für Jahr wesentlich mehr importierten als exportierten, also letztlich über ihre Verhältnisse lebten. Und diese Leistungsbilanzdefizite finanzierten die USA mit einer dauernd wachsenden Verschuldung bei anderen Ländern. In diesem Zusammenhang wurde auch immer wieder festgehalten, dass die Ersparnisbildung in den USA – die der Haushalte, der Unternehmen oder des Staates – generell sehr tief lag und sich die US-amerikanische Gesellschaft laufend weiter verschuldete.

Nur wenige aber sahen mit genügender Deutlichkeit das grundlegende Problem, das hinter diesen Entwicklungen steckte, nämlich die wachsende Risikobereitschaft aller Akteure. Regnet es lange Zeit nicht, werden immer mehr Leute ohne Schirm nach draußen gehen, da das Risiko, von einem Regenguss überrascht zu werden, immer mehr in Vergessenheit gerät. Ähnlich verhalten sich die Menschen bei ihren ökonomischen Entscheidungen: Wächst die Wirtschaft lange Zeit ohne große Schwankungen, werden viele die Risiken von Einbrüchen immer weniger stark gewichten. Und entsprechend werden sie mit der Zeit etwa bei ihren Investitionsentscheiden immer größere Risiken eingehen. Genau diesen Mechanismus konnte man – wir werden das in der Folge sehen – vor der Krise beobachten. Die lange Jahre dauernde Stabilität führte zu unvorsichtigerem Verhalten vieler, wodurch sich große Risiken aufbauten. Die Krise hat uns schmerzhaft in Erinnerung gerufen, dass in solchen Fällen die Korrekturen oft sehr plötzlich auftreten und einschneidend sind.

Die Chronologie der Krise

In der öffentlichen Diskussion spricht man heute meist von der Finanz- und Wirtschaftskrise oder einfach von der Finanzkrise. Diese Bezeichnung verschleiert allerdings die Tatsache, dass es sich eigentlich um eine Abfolge von Krisen handelte, die eng miteinander zusammenhingen, aber jeweils verschiedene Bereiche betrafen. Es begann 2006/2007 mit einer Immobilienkrise in einigen Ländern, vor allem in den USA. Darauf folgte 2007/2008 eine Bankenkrise, die, von den USA ausgehend, sich sehr rasch global ausbreitete. Mit dem bekanntesten Ereignis der Krise, dem Konkurs der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008, weitete sich die Bankenkrise zu einer globale Wirtschaftskrise aus, die vor allem 2009 zu massiven konjunkturellen Einbrüchen führte. Und als (vorläufig?) Letztes traf es ab 2010 den Euroraum, in dem eine eigentliche Schuldenkrise ausbrach. Sie hatte (und hat) das Potenzial, eine weitere Bankenkrise auszulösen.

Wir werden die Abfolge der Krisen Schritt für Schritt nachzeichnen und die wichtigsten Hintergründe erläutern. Damit man sich dabei besser zurechtfindet, sind in der folgenden Box die bedeutendsten Entwicklungen chronologisch aufgeführt.

Chronologie der wichtigsten Ereignisse

Die Ursprünge der Krise auf dem US-Immobilienmarkt

2002–2006 Die Preisexplosion («Blase») auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt entsteht. Die schon seit Mitte der 1990er-Jahre rasante Preissteigerung für Häuser beschleunigt sich noch einmal drastisch.

2004–2006 In zunehmendem Maße werden risikobehaftete Hypothekarkredite an US-Haushalte mit zweifelhafter Zahlungsfähigkeit (subprime) vergeben.

2006–2007 Die Häuserpreise in den USA beginnen erstmals seit Jahrzehnten landesweit stark zu fallen; dies setzt sich in den folgenden Jahren fort.

2007 Die Preise von Wertpapieren, die auf der Bündelung von Hypotheken beruhen (asset backed securities, ABS), brechen in starkem Maße ein; diese Papiere finden sich direkt oder indirekt in großer Zahl in den Bilanzen der global tätigen Banken.

Die Bankenkrise beginnt und breitet sich weltweit aus

August 2007 Banken realisieren zunehmend, dass andere Banken problematische Kredite vergeben hatten, die sie existenziell bedrohen; das gegenseitige Vertrauen ist erschüttert, und die Banken vergeben sich deshalb gegenseitig deutlich weniger Kredite.

2007–2008 Die Zentralbanken stellen den Banken in zunehmendem Maß liquide Mittel (kurzfristige Kredite) zur Verfügung; es gelingt, die Situation etwas zu beruhigen. Einzelne Banken werden durch den Staat gerettet.

15.9.2008 Die US-Investmentbank Lehman Brothers geht in Konkurs. Damit beginnt eine dramatische globale Finanzkrise. Die Banken gewähren sich gegenseitig keine Kredite mehr; zahlreiche große Banken sind in ihrer Existenz bedroht.

2008–2009 Die Zentralbanken vergeben in bisher völlig ungekanntem Ausmaß kurzfristige Kredite an die Banken, um Konkurswellen zu vermeiden. Zahlreiche Banken in verschiedenen Ländern werden durch den Staat gerettet.

Die Bankenkrise wird zur weltweiten Wirtschaftskrise

Ende 2008 Die Aktienkurse fallen stark, der Welthandel erleidet den größten Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg.

2009 Weltweit verschlechtert sich die Konjunkturlage. In zahlreichen Ländern war 2009 das Jahr mit dem stärksten Wirtschaftseinbruch in Friedenszeiten seit der Großen Depression in den 1930er-Jahren.

2009–2010 Zentralbanken und Regierungen bekämpfen den Konjunktureinbruch mit massiv expansiver Geld- und Fiskalpolitik, also vor allem mit einer Ausweitung der Geldmenge und zusätzlichen Staatsausgaben.

2010–2012 Zögerliche, von vielen Rückschlägen gekennzeichnete wirtschaftliche Erholung in den meisten Ländern. Die Arbeitslosigkeit bleibt meist hoch, die Staatsverschuldung steigt zum Teil stark an.

Die Ereignisse lösen eine Staatsverschuldungskrise in Europa aus

2009–2010 Massive Budgetdefizite und tiefe Rezessionen lassen die Schuldenquote in den sogenannten GIPS-Ländern (Griechenland, Irland, Portugal und Spanien) so stark ansteigen, dass sich die Zinsen für die Staatsverschuldung dieser Länder massiv erhöhen.

Mai 2010 Der drohende Staatsbankrott von Griechenland gefährdet die Solvenz der europäischen Banken. Die Euroländer beschließen deshalb, das Land mit insgesamt 110 Milliarden Euro zu unterstützen.

Mai 2010 Gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) spannen die Euroländer einen gigantischen finanziellen Rettungsschirm von bis zu 750 Milliarden Euro für vom Bankrott bedrohte Mitgliedsstaaten auf; die Situation beruhigt sich etwas.

Nov. 2010 Auch Irland, dessen Staatsfinanzen wegen der Rettung der maroden Banken völlig aus dem Ruder gelaufen sind, erhält Unterstützung aus dem Rettungsschirm, und zwar in Höhe von knapp 70 Milliarden Euro.

März 2011 Die Eurostaaten beschliessen, zur Ablösung des Rettungsschirms bis 2013 einen permanenten Europäischen Stabilitätsmechanismus zu schaffen.

April 2011 Auch Portugal ist nicht mehr in der Lage, die Schuldenlast zu tragen, und erhält Unterstützung aus dem Rettungsschirm in der Höhe von rund 80 Milliarden Euro.

August 2011 Auch Italien wird zunehmend von den Turbulenzen erfasst. Um die Situation zu beruhigen, beginnt die Europäische Zentralbank (EZB), italienische Staatsanleihen zu kaufen.

Juni 2012 Spanien beantragt Unterstützung aus dem Rettungsschirm; mit bis zu 100 Milliarden Euro sollen spanische Banken bei der dringend nötigen Rekapitalisierung unterstützt werden.

2  Die Banken als Hauptdarsteller

Diese Krise kann man nur verstehen, wenn man sich mit den Akteuren befasst, die sie letztlich ausgelöst haben: den Banken. Direkt oder indirekt sind sie die Hauptdarsteller bei der Entstehung und Verbreitung dieses weltwirtschaftlichen Dramas. Sie stehen deshalb auch im Zentrum der Bemühungen, ähnliche Krisen in Zukunft zu vermeiden. Banken und ihre wichtigsten Geschäfte und Risiken in den Grundzügen zu verstehen, ist das Ziel dieses Kapitels.

Wenn besorgte Einleger vor den Bankschaltern Schlange stehen

Am 14. September 2007 bildeten sich vor den Schaltern der britischen Bank Northern Rock lange Schlangen von Kundinnen und Kunden, die ihre Ersparnisse abheben wollten. Auslöser war eine Meldung, dass die damals achtgrößte Bank Großbritanniens wegen der beginnenden Finanzkrise in Schwierigkeiten zu geraten drohe. Die Kundschaft fürchtete deshalb um die Sicherheit ihrer Einlagen und hob innerhalb von wenigen Tagen insgesamt rund 2 Milliarden Pfund ab. Erst als der britische Finanzminister bekannt gab, dass die Regierung während der Krisenzeit alle Kundengelder garantiere, beruhigte sich die Situation.

Was bei Northern Rock vor sich ging, war ein sogenannter bank run, ein panikartiger Abzug von Kundeneinlagen. Ein solches Ereignis ist für jede Bank ein eigentlicher GAU. Findet eine solche Panik nicht ein rechtzeitiges Ende, geht auch die solideste Bank innert kürzester Zeit in Konkurs.

Dieses Risiko ist ganz spezifisch für das Bankgeschäft – bei anderen Unternehmen besteht es in dieser Form nicht. Die Finanzkrise wurde letztlich durch eine spezielle Variante eines bank runs ausgelöst, wie wir in den kommenden Kapiteln erläutern werden. Das Ausmaß der Krise lässt sich jedenfalls nur verstehen, wenn die speziellen Risiken des Banking betrachtet werden. Im Folgenden wird deshalb mit einem einfachen Konzept aufgezeigt, warum Banken so besonders krisenanfällig sind.

Warum sind Banken speziell?

Was Banken so speziell macht, lässt sich in einer einfachen Feststellung zusammenfassen: Sie sind deutlich stärker verschuldet als alle anderen Unternehmen. Man kann dies am besten anhand ihrer Bilanz erkennen. Eine Bilanz stellt für einen bestimmten Zeitpunkt die Verwendung der finanziellen Mittel eines Unternehmens der Herkunft dieser Mittel gegenüber. Auf der rechten Seite (Passiven) finden sich die Finanzierungsquellen; sie gibt also Auskunft darüber, woher die Mittel stammen. Auf der linken Seite (Aktiven) wird aufgeführt, wofür diese Mittel verwendet werden, also was dem Unternehmen gehört. Da jede Anlage finanziert sein muss, steht auf der Aktiv- und Passivseite der Bilanz jeweils die gleiche Summe.

In Abbildung 2 sehen wir eine auf das absolute Minimum vereinfachte Bilanz eines typischen Industrieunternehmens links und einer typischen Bank rechts. Uns interessiert vorerst nur, wie die beiden Unternehmen finanziert sind, wir konzentrieren uns also hier auf die Passivseite; später werden wir auch die Aktivseite unter die Lupe nehmen.

Jedes Unternehmen (und auch jede Privatperson) hat grundsätzlich zwei Möglichkeiten, seine Aktivitäten zu finanzieren. Entweder verfügt es über eigene Mittel, oder es muss sich die Mittel von anderen beschaffen. Im ersten Fall werden diese Mittel als Eigenkapital bezeichnet, im zweiten Fall als Fremdkapital. Die Höhe des Fremdkapitals im Verhältnis zur gesamten Bilanzsumme zeigt, wie hoch die Verschuldung oder – um einen in den letzten Jahren oft verwendeten Begriff einzuführen – der leverage des Unternehmens ist.

In Abbildung 2 sehen wir, dass bei einem typischen Industrieunternehmen der Anteil des Fremdkapitals nicht wesentlich höher ist als derjenige des Eigenkapitals, während eine Bank mit einem viel größeren Anteil an Fremdkapital arbeitet. Ein Beispiel: Unmittelbar vor der Finanzkrise verfügte die Schweizer Großbank UBS auf einer Bilanzsumme von 2010 Milliarden Franken über ein Eigenkapital von 41 Milliarden Franken, also von gerade einmal 2 Prozent; fast die gesamte Finanzierung kam also nicht von den Eigentümern! Beim typischen Schweizer Industrieunternehmen Rieter waren es zur gleichen Zeit etwa 35 Prozent.

Wenn man diese Verschuldung betrachtet, könnte man leicht zur Ansicht gelangen, dass Banking ein unseriöses Geschäft sei. Und man könnte daraus schließen, dass das ungewöhnliche Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital über Staatseingriffe in normale Größenordnungen zu bringen sei. Nun zeigte sich in der Krise tatsächlich, dass gewisse Banken massiv überschuldet waren und unverhältnismäßig große Risiken eingegangen waren. Hier ist eine Erhöhung des Eigenkapitals sicher angebracht; wir werden darauf zurückkommen. Trotzdem sollte man sich aber im Klaren darüber sein, dass nicht nur unseriöse, sondern alle Banken stark verschuldet sind. Ihr Kerngeschäft – und ihre zentrale Rolle für eine prosperierende Volkswirtschaft – ist es gerade, mit Geld, das nicht ihnen gehört, Kredite zu vergeben. Wollte man sie tatsächlich zu Eigenkapitalquoten zwingen, wie sie in Industrieunternehmen üblich sind, würde man ihre volkswirtschaftlich wichtigste Funktion stark erschweren. Damit sind wir bei der Kernfrage, was die volkswirtschaftliche Rolle der Banken ist, was sie also genau tun – und eng damit verbunden, welchen Risiken sie dabei ausgesetzt sind.

Abbildung 2

Eigene Grafik

Was tun Banken?

Die Kreditvergabe: Das klassische Bankgeschäft

Das Kerngeschäft einer Bank ist die Kreditvergabe. Die meisten Unternehmen finanzieren ihre Investitionen nicht direkt über den Kapitalmarkt, sondern indirekt über Banken. Diese sind dabei sogenannte Intermediäre zwischen Sparern und Investoren. Sie sammeln von den Sparern Einlagen und vergeben diese dann als Kredite an Unternehmen (oder im Falle von Hypotheken an Haushalte).

Dabei besteht die zentrale volkswirtschaftliche Aufgabe von Banken darin, das Problem des unterschiedlichen Zeithorizonts von Haushalten (Sparern) und Unternehmen (Investoren) zu lösen. Haushalte möchten möglichst jederzeit über ihr Erspartes verfügen können, das heißt, am liebsten würden sie sich überhaupt nicht binden und ihr Geld ganz kurzfristig anlegen. Unternehmen (oder Haushalte, die Häuser finanzieren möchten) hingegen benötigen die Gelder, um zu investieren. So gut wie jede Investition hat aber einen langfristigen Charakter; es ist kaum möglich, einmal investiertes Geld rasch und ohne substanzielle Verluste wieder zu Geld zu machen. Will man diese beiden Marktseiten mit sehr unterschiedlichen Interessen trotzdem zusammenführen, hilft es sehr, wenn sich jemand dazwischenschaltet, der diese ungleichen Anforderungen an die Fristen ausgleichen kann. Diese sogenannte Fristentransformation ist die Kernaufgabe von Banken. Sie sammeln große Mengen an kurzfristigen Spargeldern ein, bündeln sie und stellen sie Unternehmen für langfristige Investitionsprojekte zur Verfügung. Das ist deshalb möglich, weil in der Regel immer nur ein kleiner Teil der Sparer sein Geld gleichzeitig abheben möchte. Die Bank kann deshalb das Risiko eingehen, nicht alle Kundengelder jederzeit auszahlen zu können. Dieses Risiko führt aber dazu, dass Banken – ohne entsprechende Vorsichtsmaßnahmen – in schlechten Zeiten in sehr ungemütliche Situationen kommen können.

Bei diesem klassischen Bankgeschäft verdient die Bank an der sogenannten Zinsdifferenz, das heißt, sie zahlt den Einlegern einen Zins, der tiefer liegt als der Zins, den sie den Kreditnehmern berechnet. Aus diesem Grund wird diese Transaktion oft auch als Zinsdifferenzgeschäft bezeichnet. Abbildung 3 zeigt die Auswirkungen dieses Geschäftes auf die einfache Bankbilanz.

Auf der Passivseite besteht das Fremdkapital bei einer klassischen Bank also aus Einlagen der Kundinnen und Kunden. Diese Mittel werden verwendet, um Kredite an Unternehmen oder Haushalte zu vergeben, wie wir auf der Aktivseite (links) sehen. Da die Kundschaft ihre Einlagen jederzeit abheben kann, verwendet die Bank nicht die gesamten Mittel zur Kreditvergabe, sondern hält einen Teil davon in bar zurück. Deshalb findet sich auf der Aktivseite auch ein kleiner Posten an Liquidität. Klein ist er, weil liquide gehaltene Mittel für die Banken teuer sind, da sie im Gegensatz zu den Krediten keine Zinserträge abwerfen.

Abbildung 3

Eigene Grafik

Der Eigenhandel von Banken: Wichtiger Auslöser der Krise

Lange Zeit war das oben beschriebene Geschäft mit der Differenz zwischen Einlagen- und Kreditzinsen die wichtigste Ertragsquelle von Banken. Es ist zwar nach wie vor das klassische Bankgeschäft, doch erweiterte sich die Tätigkeit der Banken in den letzten Jahrzehnten in zunehmendem Maß. Für das Verständnis der Krise ist dabei vor allem ein Geschäft von so zentraler Bedeutung, dass wir es speziell betrachten müssen: der sogenannte Eigenhandel. Dieser besteht darin, dass die Bank Wertpapiere kauft, um daraus möglichst hohe Zinserträge oder beim späteren Verkauf Handelsgewinne zu erzielen. Viele Banken dehnten im Vorfeld der Finanzkrise diesen Eigenhandel stark aus, was schließlich dazu führte, dass die Wertpapiere einen immer größeren Anteil der Aktiven ausmachten. Abbildung 4 stellt dies vereinfacht dar.

Auf der Aktivseite kommt zu den klassischen Krediten ein bedeutender Posten von Wertpapieren hinzu, welche die Bank selbst besitzt.2 Finanziert wurden diese Geschäfte im Vorfeld der Krise meist mit kurzfristigen Krediten bei anderen Banken über den sogenannten Geldmarkt. Deshalb findet sich in der obigen Bankbilanz auf der Passivseite zusätzlich der Posten «Sonstige Schulden». Die Tatsache, dass der Eigenhandel oft durch kurzfristige Kredite von anderen Banken finanziert wurde, spielte für die Entstehung der Krise eine zentrale Rolle.

Abbildung 4

Eigene Grafik

Warum ist Banking ein besonders riskantes Geschäft?

Dass Banking ein sehr riskantes Geschäft sein kann, hat uns die Krise drastisch vor Augen geführt. Man kann damit zwar viel Geld verdienen, aber in kaum einem anderen Geschäft kann so viel Geld so rasch verloren werden, wenn einmal etwas wirklich schiefläuft.

Wenn wir die Bilanz der Bank in