Wo die schönen Mädchen auf den Bäumen wachsen - Gunter Böhnke - E-Book

Wo die schönen Mädchen auf den Bäumen wachsen E-Book

Gunter Böhnke

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Beschreibung

Gunter Böhnke, Kabarettist und sächsisches Urgestein, hat die bemerkenswertesten Dinge über seine Heimat und seine Landsleute zusammengetragen und bietet einen höchst unterhaltsamen Einblick in die sächsische Seele, auf zahlreiche Vorurteile oder kulinarische Spezialitäten. In dieser aktualisierten und erweiterten Auflage präsentiert er den Sachsen als Menschen, Dichter oder Revolutionär - von Luther über Wagner und Nietzsche bis Karl May. Und er geht den wirklich wichtigen Fragen auf den Grund: Warum sind die sächsischen Frauen so schön?

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Seitenzahl: 282

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Ebook Edition

Gunter Böhnke

Wo die schönen Mädchen auf den Bäumen wachsen

Sachsen für Kenner und Neugierige

Dieses Werk ist eine komplett überarbeitete und erweiterte Neuausgabe des Buches »50 einfache Dinge, die Sie über Sachsen wissen sollten«, das 2012 im Westend Verlag erschienen ist.

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-728-3

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2018

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
1 Der Sachse im Deutschen und der Deutsche im Sachsen – »Wenn Sie mal aus Deutschland rauswollen, fahren Sie nach Sachsen«
2 Die sächsische Sprache – den Unterkiefer vor »un de Schbraache rausschdreem lassen«
3 Der gemütliche Sachse – »manchesma ä bissel heemdiggsch*«
4 Der sächsische Erfinder – vorwiegend Sachen mit »M«
5 Die sächsische Geografie – ist Gartengunde
6 Essen in Sachsen – nicht nur Eierschecke und Stollen
7 Trinken in Sachsen – Bier und Wein nicht allein
8 August der Starke, die Gräfin Cosel und der Hofnarr Fröhlich – kein Triumvirat
9 Der Wiener Kongress – mit Napoleon bestraft
10 Der 9. November in Sachsen – (k)ein Ruhmesblatt
11 Der sächsische Revolutionär – »ä Griecher«?
12 Martin Luther und Richard Wagner – sächsische Revolutionäre?
13 Friedrich Nietzsche und Karl May – der Mensch als »Herr«?
14 Uwe Johnson und die »Könige von Leipzig«
15 Bach und Mendelssohn – eine Wiedergeburt mit Folgen
16 »Seefen-Klingers Maxe« – Max Klinger und Gustav Klimt
17 Große Sachsen*** – ziemlich unbekannt
Maria Reiche
Amelia Earhart
Adolf Bleichert
18 Fridel Hönisch und Arthur Schramm – zwei sächsische Originale
19 »Die sächsische Geschichte ist eine Folge mehr oder weniger gutartiger Katastrophen«
20 Die Leipziger Schule – Malen im 21. Jahrhundert?
21 Der Sachse als Übersetzer – von der Wiege bis zur Bahre
22 Die sächsischen Dichter – weich in der Sprache und weich im Gefühl
23 Sachsen und Angelsachsen – gemeinsam am Haken
24 Leipzig – ein Klein-Mailand?
25 Dresden – Elbflorenz?
26 Chemnitz – wo die Strümpfe wachsen?
27 Herrnhut – ein Stern erobert die Welt
28 Das Gewandhaus und Musiker in Leipzig – eine Sinfonie
29 Vom Minimuseum zum Micromuseum – Sachsen ganz vorn
30 Der Sachse im Ausland – hebräisch sächselnd
31 Die Höflichkeit des Sachsen – unerreicht
32 Sächs.Sex – »Das Land, wo die schönen Mädchen auf den Bäumen wachsen«
33 Trabi-Land – sächsische Rennpappe aus Zwickau
34 Die Elbe – die bläddschert so friedlich …
35 Die Sächsische Schweiz – fast wie die richtige
36 Der Sächsische Witz – kommt um die Ecke und vernichtet nicht
37 Der Sachse auf dem Thron – wie angegossen?
38 Dor Geenich – Adel verpflichtet zur Mudderschbraache
39 »Sing, mei Saggse, sing!« – musikalische Inkarnation eines Stammes
40 Sachsen und Preußen – eine äußerst schwierige Liaison
41 Bayern und Sachsen – Wittelsbacher & Wettiner
42 Worauf der Sachse stolz ist – das sollte er auch zeigen
43 Der Dresdner Christstollen – eine Legende
44 Die Leipziger Lerche – ein Mythos
45 Hans Sachs und Gunter Sachs – fast wie die Kessler-Zwillinge
46 Das rote, das braune und das schwarze Sachsen – die Farbe macht es nicht
47 Die Siebenbürger Sachsen sind Franken – vertrieben in alle Ewigkeit
48 Die Wettiner – Überlebenskünstler und Materialisten
49 Sind die Sachsen natürliche Verlierer? Natürlich nicht!
50 Frauen in Sachsen – ein starkes Geschlecht
51 Weinanbau und Silberabbau – Segen für Gaumen und Geldbeutel
52 Woher kommen wir denn eigentlich? Eine Wurzelbehandlung
53 Fußball und Skat – die Fundamente des Landes
Zu guter Letzt
Nachwort
Dank
Literatur
Fußnoten

Vorwort

Ich war zum fünften Mal auf Kreta. Die griechische Mittelmeerinsel fasziniert mich durch ihre Kargheit. Die Badebuchten am li­byschen Meer locken mit glasklarem Wasser. Ich werde wieder hinfahren. Höchstwahrscheinlich.

Oder ich fliege nach Korsika. Da waren wir dieses Mal. Die Insel erinnerte mich sehr an Kreta. Die Berge sind ähnlich karg. Aber etwa eintausend Meter höher. Und die Badebuchten sind beträchtlich länger. Dafür ist der Flug ist ziemlich viel kürzer. Unser Strand war fünf Kilometer lang. Der Ort heißt Calvi und liegt im Nordwesten der Insel. Außerdem spricht man auf Korsika Französisch und nicht Griechisch wie auf Kreta. Natürlich darf man im Restaurant nicht »Landschaftswein« bestellen, wenn man Landwein möchte. (Aber das war am ersten Tag.)

Calvi hat schon eine längere Geschichte. Die ersten Menschen kamen vor 8 500 Jahren in diese Gegend. Vor rund sechshundert Jahren wurde in Calvi ein gewisser Christoph Columbus geboren, von dessen Geburtshaus noch ein Mauerrest steht. Wie der Ort vor 1793 aussah, sieht man nicht mehr, weil davon nichts mehr steht. In diesem Jahr versuchten die Calviser, ihren Ort gegen die Franzosen mit Hilfe englischer Kriegsschiffe zu verteidigen. Es klappte nicht. Die Franzosen hatten die Insel schließlich von den Genuesen gekauft. Und die Leute aus Genua hatten Korsika schon seit mehr als vierhundert Jahren besetzt gehabt. Was die Korsen wollten, danach fragte keine der Besatzungsmächte. Wir Sachsen können das sehr gut nachempfinden. Und wir wissen auch, wie es ist, wenn ein König regiert.

Die Korsen hatten nur ein kurzes Königreich. Das heißt, der Monarch regierte nicht lange. Im Grunde genommen ein knappes Jahr. Baron Theodor von Neuhoff meinte, dass sein Name genüge, um die Korsen davon zu überzeugen, dass sie einen König brauchten. Er lief mit einem Schiff voller Waffen und Söldner in Corte ein und ließ sich zum König wählen. Mit demokratischen Strukturen im Sinne der europäischen Aufklärung wollte er die Korsen als Monarch überzeugen. Aber da es keinen Nachschub gab, wollten die Korsen ihn entmachten. Er floh – als Mönch verkleidet – nach London, wo er verarmt starb. Aber eine große Marmorbüste im Bergstädtchen Corte erinnert noch heute an den deutschen Kurzzeit-König.

Oft werde ich gefragt, welche meiner zahlreichen Reisen ich am liebsten morgen wiederholen möchte. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: Neuseeland. Seit einigen Jahren wird mir auch bei meiner alljährlichen Gastspielreise an die Ostsee warm ums Herz, sobald sich zwischen mir und dem Strand nur noch flaches Land zeigt.

Und doch stellt sich ein echtes Glücksgefühl erst dann ein, wenn ich vom Rand des Elbtalkessels auf meine Heimatstadt blicke. Die ersten zwanzig Jahre meines Lebens habe ich in Dresden verbracht. Die Geburt im Krieg, die ersten Lebensjahre in einer zerbombten Stadt, der Wiederaufbau, Kinderdarsteller am Theater, sportliche Erfolge. So einfach ist das.

Nur damit Sie es wissen: Es gibt überhaupt keine einfachen Dinge in Sachsen. Alles, was einfach erscheint, wird bei der langwierigen Erklärung des Sachverhalts sofort wieder in Frage gestellt. Dabei wirkt der Sachse recht einfach strukturiert. Seine Charaktereigenschaften sind ja oft genug beschrieben worden: die überbordende Freundlichkeit, der tiefgreifende Verständnissinn und die bemerkenswerte Hilfsbereitschaft. Aber das ist nur die sofort sichtbare Oberfläche. Darunter schlummern Katarakte voller Misstrauen, Doppeldeutigkeiten und Hintersinn.

Deshalb haben wir auch den Titel des Buches für diese Ausgabe (und alle weiteren) verbessert: Die einfachen Dinge sind zugunsten der schönen Mädchen verschwunden. Denn diese gehören nicht zu jenen. Also zum Mitschreiben: Wo die schönen Mädchen auf den Bäumen wachsen. Sachsen für Kenner und Neugierige.

In der Argumentation des Sachsen spielen Redewendungen wie »Na wenn Se so wolln …« oder »Nadirlich gammor das ooch ganz andersch sähn« eine bedeutende Rolle. Dabei sind die unausgesprochenen Vorsätze durchaus schon gefasst und werden zielgerichtet umgesetzt.

Der Sachse erreicht also immer das, was er sich vornimmt. Wenn auch nicht auf dem direkten Weg. Er soll sich besonders zum Friseur oder Theaterdirektor eignen. Aber manchmal wird er auch König oder Kaiser. Nur Papst sind wir noch nicht geworden. Aber wir bilden Bundeskanzlerinnen aus! Das naturwissenschaftliche Denken ist uns also nicht gänzlich fremd. So kam Einstein zu einer Erkenntnis, die in ihrem tiefsten Grunde eine sächsische ist: Alles ist relativ.

Dennoch trieb der Absolutismus in Sachsen kunstvolle Blüten. August der Starke orientierte sich am französischen »Sonnenkönig«. Er hortete Kunstschätze und importierte italienische Architektur. Das haben Sie vielleicht nicht gewusst. Deswegen sage ich es Ihnen. Was Sie über Sachsen wissen sollten, werden Sie von mir erfahren. Natürlich gibt es zwei bis drei Dinge, die vielleicht auch noch mitteilenswert gewesen wären. Aber man muss nicht alles wissen.

Die Reaktionen auf mein Buch waren außerordentlich freundlich und vielfältig. Ein Freund hat tatsächlich Kapitel für Kapitel durchgearbeitet und mir viele Hinweise gegeben. Das trifft in ähnlicher Weise auf zwei andere Freunde zu. Für Kritik bin ich besonders empfänglich. Der leider kürzlich verstorbene Otto Künnemann, intimer Kenner und Autor der sächsischen Geschichte, half mir, kleine Irrtümer zu beseitigen.

Ein Ehepaar aus Bad Godesberg wurde durch mein Buch in dem Gedanken bestärkt, seinen Alterswohnsitz nach Sachsen zu verlegen. Da bleibt mir nur noch: What will you more!

Ich habe also alle Hinweise und Anregungen gesammelt und schon war die neue Auflage fertig. Hier ist sie nun.

Und falls Sie wider Erwarten hier etwas lesen, das Ihnen schon bekannt war, dann ist es umso besser. Wiederholung festigt das Wissen. Wobei der Sachse generell nicht zur Wiederholung neigt. Denn diese widerspricht seiner ausgeprägten Neigung zur Innovation.

Sie werden auf den folgenden Seiten viel Charakteristisches über den Sachsen als Menschen und als Dichter, als Erfinder und als Revolutionär, den Sachsen als Leipziger, Dresdner und Chemnitzer erfahren. Wir werden Ihnen Essen und Trinken und Träumen in Sachsen nahe bringen. Und Sie werden der sächsischen Geschichte wie der Geografie teilhaftig werden. Sie werden den Sachsen als Martin Luther und als Richard Wagner, als Friedrich Nietzsche und Karl May kennenlernen. Aber sie werden auch den Zusammenhang zwischen Sachsen und Angelsachsen verstehen. Und vor allem wird ihnen vorgerechnet, wie viele Teile des Sachsen sich im Deutschen und wie viele Teile des Deutschen sich im Sachsen finden lassen.

Gehen Sie mit uns auf die Suche!

1 Der Sachse im Deutschen und der Deutsche im Sachsen – »Wenn Sie mal aus Deutschland rauswollen, fahren Sie nach Sachsen«

Als Sachse freue ich mich immer wieder, wie viel vom Sachsen ich bei anderen deutschen Stämmen entdecke. Andererseits muss ich mit leichter Wehmut zugeben, dass auch der Sachse nicht frei ist von Eigenschaften, die dem Deutschen zugeschrieben werden. Es ist müßig, »den Deutschen« oder »den Sachsen« zu beschreiben. Es bleibt eine Annäherung an das unbekannte Wesen. Wesensverwandt sind die Deutschen den Sachsen zweifelsfrei. Aber wer hat was von wem?

Als die Sachsen auf der Landkarte auftauchten, gab es von den Deutschen noch keine Spur. Zwar existierte das Wort »deutsch« schon früh, aber es bedeutete »Volk«. Also so viel

wie »das ist ja vielleicht ein Volk …«. Das heißt, jemand hat etwas für sich in Anspruch genommen, was es noch gar nicht gab, und hinterher so getan, als sei es schon immer seins gewesen. Das geht natürlich nicht! Wo kommen wir denn da hin?

Ganz anders die Sachsen. Die waren da. Natürlich auch dort. Also da und dort. Vor allem im südlichen Dänemark und im nördlichen Schleswig-Holstein. Und sie hatten ein Schwert: den »Sax«. Jeder hatte so ein Schwert. Zumindest jeder Sachse. Die Sächsinnen hatten einen blonden Zopf, manchmal auch zwei. Und deshalb nannten sie sich Sachsen – nicht wegen der zwei Zöpfe, sondern wegen der vielen Schwerter. Sie brauchten so viele Schwerter, weil sie kurz waren. Die Schwerter! Aber die Sachsen auch. Und heute gibt es da und dort noch Geschäfte, in denen Kurzwaren verkauft werden. Kurzschwerter allerdings nicht. Die sind verschwunden. Geblieben ist der Sachse.

Der Sachse hat also im Gegensatz zum Deutschen sich nicht etwas genommen, was ihm nicht gehörte, sondern hat das, was er hatte, abgegeben. Und das hat er auch später so gehalten. Nach dem Wiener Kongress von 1815 hat er sogar fast zwei Drittel seines Landes und die knappe Hälfte der Bevölkerung abgegeben – zwangsweise. An die Preußen. Und deswegen können die Preußen – die sich ja für die besten Deutschen halten – ihn nicht leiden, den Sachsen. Weil jetzt in jedem Preußen ein halber Sachse steckt. Oder in zwei Preußen ein Sachse.

Offiziell wird das natürlich verschwiegen. Wie sonst ist zu erklären, dass es zwar eine Stiftung Preußischer Kulturbesitz gibt, aber keine, die sächsischen Kulturbesitz verwaltet. Und verlangen Sie mal im Künstlerbedarf Sächsisch-Blau. Na, da werden Sie aber ausgelacht. Das ist ja ohnehin das Trauma des Sachsen: ausgelacht zu werden. Weil er zu kurz ist, weil er zu langsam ist und natürlich »wächn dor Schbraache«. Mit dieser können selbstverständlich weder das Stakkato der norddeutschen Dialekte noch der breitmäulige Brei des Bayerischen konkurrieren. Die dem Sachsen nachgesagte Langsamkeit findet sich schon eher in anderen deutschen Landen. Fahren Sie mal nach Hessen oder ins Rheinland!

Aber wie ist es nun mit dem Deutschen im Sachsen? Wir wissen ja schon, dass der Deutsche eigentlich gar nicht existiert und dass der Preuße im Deutschen eigentlich ein halber Sachse ist. Und doch entwickeln manche Sachsen Charaktereigenschaften, die dem Wesen des sächsischen Menschen nicht entsprechen. Ich denke dabei nur an den Aufzeichner Heinrich Zille. Er hätte sich ganz anders entwickelt, wäre er in seinem Geburtsort Radeburg geblieben. Und doch wirkt ein Sachsengen in Zilles volkstüm­lichem Humor nach.

Wie sehen nun aber andere Nationen den Sachsen? Am sympathischsten sind mir die Finnen. Bei denen heißt der der Deutsche »Saksa«. Das heißt, der Deutsche profitiert davon, dass der Sachse im Ausland so hoch geschätzt wird. Sein Name wird pars pro toto. Wie kommt der Finne zu dieser Wertschätzung? Ganz einfach: Er ist dem Sachsen schon mal begegnet. Da die Sachsen einst im heutigen Süddänemark siedelten und die Urfinnen mit ihren riesigen Rentierherden bis dorthin vorstießen, kam es schon in grauer Vorzeit zu Verbrüderungen über Ländergrenzen hinweg. Oder ein Finne entführte eine dralle Sächsin zur Freude und zur Blutsauffrischung des ganzen Stammes. Da floss der Met in Strömen, es wurde Metwurst gegessen und die Meteorologen bestellten schönes Wetter.

Anders dagegen die Franzosen. Sie haben mit den Sachsen leider nicht die besten Erfahrungen gemacht. Napoleon erwarb sich um die Entwicklung der bürgerlichen Nation große Verdienste. Die Einführung des code civil bedeutete für Europa einen Schritt hin zur Emanzipation vom System der Monarchie. Da der neue Stern am europäischen Himmel mit nur vier Stunden Schlaf auskam, hatte der kleine Mann genügend Zeit zum Nachdenken. Vielleicht auch zu viel Zeit. Denn nachdem er meinte, die Entwicklung des bürgerlichen

Zeitalters genügend befördert zu haben, kam er auf die Idee, nicht nur die Franzosen und die Deutschen damit beglücken zu wollen, sondern auch die Russen und die Ägypter. Die Deutschen waren natürlich seine natürlichen Verbündeten. Schließlich war sein Bruder König von Westfalen. Und die Sachsen dienten ihm besonders treulich. War doch Napoleons Schwester lange Zeit mit einem Rittmeister aus Sachsen liiert!

Die Sachsen zeigten sich Napoleons Zuneigung würdig, indem sie viele französische Wörter in ihre Sprache aufnahmen, die erst dort ihren wahren Wohlklang gewannen. Meine Großmutter klagte oft, sie fühle sich heute »malade«, ihr sei »bliemerand« zumute und ich sollte keine »Fissemadenzchen« machen. Und eine der größten Erfindungen in Europa, das Meißner Porzellan, heißt wiederum – wie könnte es anders sein – »le saxe«!

Also wäre zwischen den Sachsen und den Franzosen alles in Butter, könnte man meinen. So schien es auch bis zu dem verhängnisvollen 18. Oktober 1813. Da merkten die Sachsen nämlich, dass sie aufs falsche Pferd gesetzt hatten. (Wobei es ziemlich unverschämt war, Napoleon mit einem Pferd zu vergleichen.) Dann entdeckten sie die deutsch-sowjetische Freundschaft – pardon: die deutsch-russische natürlich – und schwuppdiwupp drehten sie einfach die Gewehre um. Die Franzosen blickten plötzlich nicht mehr auf die mit Brot aus Kuhschnappel und sächsischen Wurstwaren gefüllten Tornister ihrer Verbündeten, sondern in deren Gewehrmündungen. Und in diesem Augenblick wurde ein Wort geboren, dass leider direkt in die französische Sprache eingegangen ist: »saxonner«. Damit wird ein Verhalten bezeichnet, dass nicht gerade als fein empfunden wird: Jemand macht plötzlich genau das Gegenteil, von dem, was er mit anderen vereinbart hat. Wir kennen den Wortinhalt auch in Deutschland. Dort heißt es Wahlversprechen.

Interessant ist auch, dass es im alten Rom schon ein Reisebüro für Ausflüge nichtmilitärischer Art nach Sachsen gab: die Saxosus-Reisen. Und die Reisenden führten auch immer etwas mit, für den Fall, dass sie bei den alten Germanen in einen Hinterhalt gerieten und den Reiseführer als Pfand übergeben mussten: ihr steinernes Opfermesser, das »saxum«.

Übrigens stammt unser Geld – also die »Penunsn« – aus dem Polnischen: »pienadze«. Und unser Wort für trinken heißt »biedschn«. Das wiederum hat den Tschechen so gut gefallen, dass sie die gleiche Tätigkeit »pietsch (pic)« nennen. Cool, wa?

Im Ungarischen heißt der Sachse »szász ember«, was so viel bedeutet wie »Hundertsasa«. Und der kommt gleich nach dem Tausendsasa! Allebonnähr!

Und der Bulgare nickt mit dem Kopf, wenn er verneint. Und schüttelt den Kopf, wenn er zustimmt. Das hat er natürlich dem Sachsen abgeguckt, besser abgehört: Wenn wir etwas strikt verneinen, dann benutzen wir dazu das Wort »ja«, wir sagen nämlich »ächá«!

Wenn wir in Italien auf einem Verkehrsschild »Strada dissolata«lesen, müssen wir es nur sächsisch aussprechen, und schon kommt man der Warnung ganz nahe, noch ehe das rechte Vorderrad in einem abgrundtiefen Schlagloch verschwinden kann: Es muss sich um eine »dessolahde Schdrahse« handeln. Falls Sie in einem englischen Pub das Wort »ale«hören, denken wir sofort an die Redewendung »das geht dir runter wie Eel«. Es kann sich also nur um etwas Angenehmes handeln. Und dem ist ja auch so: Es ist Bier! Das Sächsische kann auch als Hilfsmittel zur Aussprache des Englischen dienen. Im Englischunterricht versuchte ich vergeblich, den Schülern in Leipzig die Aussprache des Wortes »toast«beizubringen. Es klang immer wie »toost«. Dann bat ich sie, mal »Oma« zu sagen. Sofort schallte mir ein glückliches »Ouma« entgegen. Ich bat die Schüler, die Aussprache des o auf »toast« zu übertragen. Und schon ging’s!

Als Deutscher im Ausland und als Sachse in Deutschland macht man ähnliche Erfahrungen: »Mor wird vergaggeierd un manschesma sinn die andern ooch ganz scheen mehschand!« Oder wie Karl Valentin sagte: »Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.« In Sachsen dagegen sind viele Fremde heimisch geworden. Auch wenn sich das ein deutscher Dichter vor achtzig Jahren – noch dazu politisch total unkorrekt – nicht vorstellen konnte: »Man kann sich einen Franzosen vorstellen, der Englisch spricht. Man kann sich auch einen Amerikaner vorstellen, der richtig Englisch spricht. Man kann sich zur Not auch einen Engländer vorstellen, der Französisch spricht. Ja, man kann sich sogar einen Eskimo vorstellen, der italienische Arien singt. Aber einen Neger, der sächselt: Das kann man sich nicht vorstellen.« Irrtum, Herr Tucholsky! Nur handelt es sich dabei heute um einen Schwarzafrikaner.

Und so könnte man Nationen nennen ohne Ende, die vom Sachsen profitieren. Der Sachse hat immer eine Sonderstellung. Er scheidet die Geister. Im Deutschen und im Ausland. Diese Sonderstellung hat Dieter Wildt so beschrieben: »Sächsischer Patriotismus. Das heißt: ein wenig Stolz auf diese Landschaft Obersachsen, wo es immer mehr uneheliche Kinder gegeben hat als im Durchschnitt Deutschlands und auch mehr Selbstmorde, aber weniger Opfer der akuten Blinddarmentzündung, des Totschlags oder Mordes. Wo es weder Deutschlands größte Seen gibt noch breiteste Ströme noch größte Inseln, und wo es dennoch dreimal so viele Schwimmvereinsmitglieder pro Kopf gab als in allen anderen deutschen Landen.«

Da kann es nicht verwundern, dass der langjährige Thomaskantor Johann Sebastian Bach in Leipzig jubelte: »Frohes Volck, vergnügte Sachsen, sehet Heil und Wonne wachsen.«

2 Die sächsische Sprache – den Unterkiefer vor »un de Schbraache rausschdreem lassen«

Die sächsische Sprache ist meine Muttersprache, mit der ich mich in ganz Sachsen ungehindert bewegen kann. Einfach und unkompliziert. Hört man jedoch genauer hin, so kann jeder feststellen: Ich spreche wie die meisten Leipziger südwestosterländisch, eine der 21 sächsischen Mundarten. Denn der Sachse ist variabel. Schon hinter der Mulde wird nordmeißnisch gesprochen. Aber wir verstehen uns trotzdem. Und der Sachse Luther hat aus Osterländisch und Meißnisch seine obersächsische Bibelübersetzung gebaut. Denn er wusste: »Die sächsische Sprache gehet fein leise und leicht ab.« Übrigens heißt die vornehmste Variante bei uns in Leipzig »Gewandhaus-Sächsisch«. Weil die Besucher des altehrwürdigen Gewandhausorchesters sich in den heiligen Hallen nicht als Sachsen zu erkennen geben mochten, versahen sie ihre Muttersprache mit besonders vielen harten Konsonanten. In der Pause konnte man dann auf den Gängen Sätze vernehmen wie diesen: »Also ich tänke, tas Atatschio in ter Sinfonie von Pruckner war pesonders peeintruckent.« In der Landeshauptstadt nennt man das »Kulturdresdnerisch«.

Unsere Muttersprache unterscheidet sich durch wesentliche Aspekte von allen anderen in deutschen Landen. Vor allem wird sie geprägt durch eine Intonation, die ihresgleichen sucht. Die Musikalität und Dehnbarkeit des Sächsischen ist unerreicht. Dazu kommen eine ungeheure Langsamkeit – Herr Nadolny hätte seine Freude – und das fast völlige Verzichten auf Basstöne. Es gibt wohl keine Sprache hierzulande, die so vieldiskutiert ist wie die sächsische. Meist wird sie lächerlich gemacht und dilettantisch imitiert. Schon in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts meinte der sächsische Schriftsteller Hans Reimann: »Jedes Volk spricht den Dialekt, den es verdient. Wir Sachsen sind unseres Dialektes wert. Er ist breiig, schwabbelig, verwaschen.« Und seither wurde die Sprache der Mitteldeutschen immer wieder zum Synonym für Einfalt, Trägheit und penetrante Gemütlichkeit. Der Herr Reimann sollte sich was schämen! Das tat er aber nicht, sondern er haute stattdessen ab – in den Westen. 1928.

Walther Appelt aus Oschatz dagegen schrieb eine Verteidigung der sächsischen Sprache:

Ich bin ein Sachse, kennt ihr meine Schbrache?

Ihr kennt sie nich, ihr bilded’s eich bloß ein!

Denn was ich auch erzähl unn was ich sahche,

ihr denkt ja doch bloß, das soll’n Witze sein!

Ihr habbt ähm kee Frschdändnis,

eich fehlt die Menschenkenndnis:

Ihr denkt, mier Sachsen sinn ä deidscher Schdamm,

damit die andern was zu feixen hamm!

Vielleicht trägt unser Konsonantenproblem dazu bei. Sie wissen sicher schon, dass wir unseren Kindern zuallererst den Unterschied zwischen »Birnbaum-B«» und »Babbelbaum-B« beibringen müssen. (Beide Bäume beginnen mit einem weichen »B« – aber geschrieben werden sie nicht gleich!) Die oberste sächsische Konsonantenregel lautet: »De Weechn besiechn de Hardn!« Einmalig auf der Welt, dass die Weichen gewinnen! Sächsisch wird dadurch zu einem außerordentlich ökonomischen Dialekt. Die Anzahl der Konsonanten verringert sich auf vierzehn: P und T entfallen sowieso. Und X, C, Q brauchen wir auch nicht! Das K allerdings wird – besonders im Dresdner Raum – alternativ zum G genutzt: Der Sachse fährt sein »Audoh« in die »Karasche«!

Überhaupt ist das Sächsische durch Sprachökonomie geprägt. Das beginnt schon beim bestimmten Artikel: »dr« Mann, »de« Frau, »s« Kind. Hier werden drei Vokale eingespart, die an anderer Stelle zusätzlich nutzbringend eingesetzt werden können. Auch der unbestimmte Artikel gestaltet sich kurz und schmerzlos: »ä« Mann, »änne« Frau, »ä« Kind. Es gelingt auch hier eine erkleckliche Einsparung. Und darüber hinaus lassen sich die sächsischen Formen wesentlich leichter aussprechen als die hochdeutschen. (Kleiner Tipp: Einfach den Unterkiefer vorschieben und »de Schbraache rausschdreem lassn«!)

Wichtig ist außerdem die »sächsische Lautverschiebung« von a zu o. So gab es in der DDR eine Stadt mit drei o: Korl-Morx-Stodt! Natürlich gibt es auch eine für uns typische Konsonantenverschiebung: b wird w (»Farwe«, »Silwe«, »Älwe«). Dabei darf man das Plural-m nicht außer Acht lassen: Farben werden zu »Farm« und Silben zu »Silm«!

Auch grammatisch hat die sächsische Sprache einiges zu bieten. Frappierend ist der sächsische Genitiv: Man sagt nicht »Das ist Peters altes Fahrrad«, sondern »Das ist dem Peter seine Schmedde«. »Monikas Kuchen« wird zu »Mounigahn ihre Bäwe«! Und der Sachse hat eine ihm eigene Art, Aussagen zu verstärken. »Das is ja ä scheenes Wädder heide« wird zu »Das is ja ä scheenes Wädder heide is das«. Der höfliche Sachse benutzt »Sie« statt »Ihnen« und ergänzt ein zusätzliches »Sie«: »Das Eene kann ich Sie sagen: Der hat Sie ä Geld hat der Sie!«

Die schönsten sächsischen Wörter beginnen übrigens mit L: »ä Leedgolm« ist eine Nase, »ä Luhladsch« ist ein Riesenkerl, »Lohdn« sind lange Haare, »laadschn« bedeutet gehen und »ä Laadsch« ist entweder dünner Kaffee oder ein Filzpantoffel. Wobei heute vor allem die zweite Bedeutung im Bewusstsein geblieben ist.

Es gibt natürlich auch in der sächsischen Sprache viele Veränderungen, die von jeder Generation gegenüber der vorhergehenden wahrgenommen werden. Was bei meiner Großmutter noch zur Alltagssprache gehörte, ist heute der jungen Generation ein Buch mit sieben Siegeln. Ich erinnere mich an Aussprüche wie »Das ist ja ein mehschandes Weib« oder »Bleibe offm Driddewahr!« Wer erkennt heute darin noch das bösartige Frauenzimmer und den Fußweg? Und wer weiß außerhalb Sachsens, was eine »Fusselzutsche« ist? Oder gar ein »Hahnepennern«? Wir wissen natürlich, dass es sich um einen Staubsauger und um das Dachgeschoß handelt.

Die soziale Schichtung wird heute mehr denn je über die Sprache reflektiert. Meine Enkeltochter spricht ein lupenreines Hochdeutsch. Obwohl ihre Mutter Dresdnerin und ihr Vater Leipziger ist. Dass Clara das Gymnasium besucht, stand außer Frage. Ihre Klassenkameradin, deren Vater Schlosser ist, sächselt wie Richard Wagner, also »wie Sau«. Ihr Bildungsweg endete nach der 10. Klasse. – Hat Nietzsche eigentlich gesächselt?

Übrigens wurde ich bei meinem Eintreffen in Leipzig im Jahre 1963 von den Einheimischen sofort als Dresdner erkannt. Das lag vor allem an dem Gebrauch der Verneinung. In Dresden sagt man: »Das geht ni!« Während der Leipziger sich bei gleichem Sachverhalt ganz anders äußert: »Das geht nich!« Ansonsten singen die Dresdner beim Sprechen – behaupten die Leipziger. Und wer Sächsisch in einem Singsang hört, der selbst »Madame Butterfly« in den Schatten stellt, der befindet sich in Chemnitz.

Im Sächsischen zeigt sich auch deutlich der Zusammenhang zwischen Sprache und Charakter: Befehle klingen im Sächsischen wie butterweiche Angebote zum Nachdenken über die Entscheidung, ob der Befehl denn eigentlich als solcher zu verstehen sei. Im Siebenjährigen Krieg soll der Befehl zum Kampf Mann gegen Mann dazu geführt haben, dass ein Soldat rückfragte: »Saachn Se mal, Herr Haubdmann, gänn Se mir mein Mann vorleichd zeichn? Ich dähde mich dann giedlich mid dähm einichn!« Die deutschen Dichter des 18. und 19. Jahrhunderts haben das Sächsische stets zu loben gewusst, von Goethe über Fontane bis Grabbe. Da wimmelt es nur so von Eigenschaftswörtern wie zeitlos, zierlich, zart und fein. Und natürlich bezog sich das damals auf die ganz normale Alltagssprache, wie sie überall in den sächsischen Städten zu hören war. Aber das hatte Luther, der mit seiner Bibelübersetzung die deutsche Sprache wesentlich beeinflusste, ja schon 200 Jahre früher bemerkt und genutzt. Und das steht in keinem Widerspruch zum Gebrauch deftiger Ausdrücke, denn der ehemalige Mönch hatte dem Volk wahrlich aufs Maul geschaut.

Manche Zeitgenossen halten das Sächsische aber weder für eine Sprache noch für einen Dialekt, sondern einfach für eine Maulfaulheit. Sie begründen dieses Vorurteil mit verschluckten Endsilben, verweichlichten Konsonanten und unverständlichen lexikalischen Kurzformen. Kein Wort davon, dass Sächsisch der musikalischste Dialekt Deutschlands ist oder dass Sächsisch auf der ganzen Welt gesprochen wird. (»Wenn du ein stilles Plätzchen fandest, sei’s deiner Heimat fern, sei’s nah, wenn du bei den Lofoten landest – ein Sachse ist gewiß schon da!« – so der Preuße Ernst von Wolzogen in »Unsere lieben Sachsen«, 1901)

Herrschende Ideologien diktatorischen Zuschnitts hatten mit dem Sächsischen immer ihre Probleme. Die Nationalsozialisten verboten alle sächsischen Texte. Und unter Ulbricht durfte auf der Kabarettbühne kein Funktionär Sächsisch sprechen. Denn die Partei argwöhnte immer und überall eine Parodie auf den hoch verehrten Staatsratsvorsitzenden.

Sächsisch ist aber auch Philosophie. Nicht nur, weil Nietzsche und Zille Sachsen waren, sondern weil das Sächsische per se eine Vielzahl philosophischer Gedanken transportiert: »Der Sachse denkt wie die Katze um den heißen Brei.« Nun werden Sie fragen: Kann Sprache so etwas leisten? Sprache vielleicht nicht, aber das Sächsische. Das Sächsische ist Philosophie an sich so wie das Kant’sche »Ding an sich«. Das Sächsische berührt die Tiefen der menschlichen Seele. Es erfasst das, was die Welt im Innersten zusammenhält. Nicht umsonst hat Schopenhauer sein Hauptwerk in Dresden geschrieben. Und Gottsched, Lessing und Gellert – ohne den sächsischen Sprachraum wären ihre Werke nicht denkbar. Deshalb entstand auch in Weimar – das damals zu Sachsen gehörte – schon im 17. Jahrhundert die erste deutsche Gesellschaft zur Pflege der deutschen Sprache, die »Fruchtbringende Gesellschaft« – na, wenn das nischd is! Und ein sächsischer Professor, nämlich Christian Thomasius, hielt seine Vorlesungen als erster Deutscher nicht auf Lateinisch, sondern auf Deutsch!

Hans Reimann, der sich als Sachse über die Sachsen lustig machte, konnte sich der philosophischen Dimension seiner Muttersprache auch als Emigrant in Hamburg nicht entziehen: »Wenn de ä baar Laadschn hast, un der eene is weg; da nidzn dir alle beede nischd mehr!«

3 Der gemütliche Sachse – »manchesma ä bissel heemdiggsch*«

Der gemütliche Sachse heißt eine Zeitschrift, die in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht nur in Sachsen Furore machte. Denn sie titelte mit der Totschlageigenschaft des Sachsen: der Gemütlichkeit. Damit war der Sachse als Mensch und Bürger vollkommen.

Sämtliche Charaktereigenschaften, die dem Nichtsachsen zugeschrieben werden, verblassen hinter dem Synonym für den – im weitesten Sinne – deutschen Wesenszustand. Nicht umsonst weiß die englische Sprache für Gemütlichkeit kein eigenes Wort zu finden. Zur Not werden die Umlautzeichen eingespart. Aber »Gemutlichkeit« bleibt es dennoch. Im größten englischen Wörterbuch finden wir als Erklärung für »gemütlich« das Wort »genial«. Das gefällt mir schon besser: der geniale Sachse. Zwei Zeilen darunter: »Genial« bedeutet hier »sympathisch« und »fröhlich«. Na und? Ist doch auch nicht schlecht!

Erich Kästner hat den gemütlichen Sachsen in »Als einer über den Dialekt lachte« mit tiefer Zuneigung beschrieben:

Mir sinn nich so gemiedlich wie mir sprechen.

Wir hamm, wenn’s sein muß, Dinamit im Blut.

Da gennse Gift droff nähm, dass wir uns rächen.

Na, ihr Gesichte merkt sich ja ganz gut.

Wir wärn ihn schon noch mal de Gnochen brächn.

Nur Mut!

(Copyright © Atrium Verlag, Zürich und Thomas Kästner)

Nun gut, Gartenlaubenromantik mag etwas anders aussehen. Aber im Grunde genommen sind es doch gerade die den Sachsen auszeichnenden Eigenschaften, welche der landläufigen Vorstellung von Gemütlichkeit nicht direkt entsprechen. Allem voran sein Erfindungsgeist. Was haben die Sachsen nicht alles erfunden! Vor allem Dinge mit »M«: das Meißner Porzellan, den Melitta-Kaffeefilter und das Malimo-Handtuch. Ach, und noch was mit »m«: die Thermoskanne.

Die größten Erfindungen der Neuzeit gelangen dem Sachsen jedoch nach dem Bau der Deutschland trennenden Mauer. Um sie zu überwinden, wurden im wahrsten Sinne des Wortes Himmel und Erde in Bewegung gesetzt. Vom legendären Fluchttunnel an der Bernauer Straße in Berlin über den doppelten Boden im Pkw bis zur Flucht im Ballon aus Betttüchern mit einem Gaskocher als Heißluftquelle – der Erfindungsgeist der Sachsen war eben grenzenlos! (Übrigens wurden die zur spektakulären Flucht benutzten Betttücher danach in der DDR nicht mehr produziert.)

Aber es ist nicht nur der Erfindungsgeist des Sachsen, der seine Gemütlichkeit infrage stellt. Auch die Entdeckerfreude der Mitteldeutschen entspricht nicht ihrem landläufig verbreiteten Bild. Denn gemütlich waren sie ja nicht gerade, die Reisen nach Australien, durch die Wüste Sahara oder zum Nordpol – das wusste schon Otto Reutter (1870–1931):

Und fahren wir zum Nordpol, es kommt soweit,

da fahr’n wir dorthin zur Reisezeit,

vergessen die Kälte, sind ganz in Bann.

Da tönt’s schon: »Ich hab keene Pulswärmer an,

und e Schäälchen mit Heeßen jetzt wär ’ne Arznei!«

Ein Sachse ist immer dabei.

Und Sam Hawkins, der neben Old Shatterhand den Wilden Westen eroberte, war auch kein Weichei aus dem sächsischen Schrebergarten. Carl Rudolph Bromme aus Anger-Crottendorf bei Leipzig befehligte die kaiserliche deutsche Seekriegsflotte und Manfred von Ardenne entwickelte die Mehrschritt-Sauerstofftherapie. Daran ist nichts Gemütliches.

Und auch der Sachse Walter Ulbricht war keineswegs gemütlich. Ganz zu schweigen von den »Vopos« an der innerdeutschen Grenze. Spätestens hier muss die dem Sachsen zugeschriebene Wesenseigenschaft als Missverständnis erkannt werden. Wir verweisen also den »gemiedlichen Saggsn« ins Reich der Legende.

Ab und an stößt man bei Abhandlungen über den Sachsen und seine Charaktereigenschaften unter der Rubrik »gemütlich« auf den »Kaffeesachsen«. Dort gehört dieser natürlich nicht hin. Denn das Kaffeetrinken ist eine Philosophie, kein Gemütszustand: »Manche Velker, ’s is ne Sinde, drinkn Gaffee, digg wie Dinde. Eene Bohne schon genieschd, dass sich’s Saggsnherz vorgniechd.« Deswegen werden Sie in Sachsen auch kaum eine Kaffeetasse mit Sprung finden. So stark ist unser »Bliemchengaffee« nicht. Der heißt übrigens so, weil er so dünn ist, dass man die Blümchen auf dem Boden der Tasse deutlich erkennen kann. Die Steigerung ist »Schwerter-Gaffee«. Da kann man die Meißner Schwerter unter der Tasse sichten. Über den »Doppelbliemchen-Gaffee« und »Doppelschwerter-Gaffee«, bei dem der Blick die Untertasse erreicht, wollen wir hier dezent schweigen.

Dass die Bezeichnung »Kaffeesachse« von einem Preußen stammen soll, stört uns nicht: Friedrich II., genannt »der Große«, wollte im Siebenjährigen Krieg die Sachsen schlachten. Als diese nicht auf dem Schlachtfeld erschienen, schickte er einen Boten aus. Der Bote berichtete, dass die Sachsen im Zelt der Marketenderin säßen und Kaffee söffen. Und da soll der große Friedrich wütend gerufen haben: »O, diese verfluchten Kaffeesachsen!« Wir lassen uns doch nicht von einem Preußen beschimpfen! Dor Gaffeesaggse is doch ä Sinoniehm for Bach und Beethoven, for dä Budderbemme und ‚n Bilcherchor! Hier die Beweise. Ein Ehepaar sitzt im »Tannhäuser«. Der Pilgerchor tritt auf. Die Frau zu ihrem Mann: »Bilcherchor, horche zu!« Der Mann: »Das heersde doch glei, dass das ä billcher Chor is!« Und Bach lässt seine Kaffeekantate tönen:

Die Mutter liebt den Coffee-Brauch,

die Großmama trank solchen auch,

wer will nun auf die Töchter lästern?

Die Sachsen bleiben Coffee-Schwestern.

Wenn das Kaffeetrinken für den Sachsen eine Philosophie ist, so ist das »Didschn« eine Weltanschauung. Obwohl der »Kaffeesachse« natürlich genauso gut »Kartoffelsachse« heißen könnte – in Sachsen werden nachweislich mehr Kartoffeln gegessen als Kaffee getrunken wird –, ist es eine Legende, dass er Kartoffeln in den Kaffee eintaucht, also »didscht«. Zum »Didschn« benutzen wir nur Brötchen, Kuchen, Weihnachtsstollen (Vorsicht! Rosinen rausfischen!), Bemme (kein Fettbrot!) oder Filinchen (verbiegen sich!) und wer im Urlaub ist und Zeit hat, kann auch Pumpernickel nehmen – zwei bis drei Tage, dann wird er weich!

Als Beleg für den ungemütlichen Sachsen noch ein paar Redewendungen: »Nu käs (oder kloß) dich endlich aus! Mach mich nich meschugge! Nu mähr dich doch ma aus! Mache hin! Un halte endlich de Gusche!«

Und wieder ist es Hans Reimann, der doch Gemütlichkeit beschreibt (»Zwei Sachsen im Zug«), aber eine, die weit mehr ist als die landläufige:

»Sahche ma, sinn das Tschechn in dein Gubeh**?«

»Nee, Berliner. Änne eegelhafte Gesellschaft!«

»Wieso denn?«

»Na, dähn ihre Schbrahche!«

»Die gefällt dir wohl nich?«

»Färchderlich!«

»Das gännde ich nich saachn.«

»Das is doch nich dei Ernst?«

»Nu euja! Ich finde das direggd schigg, wie de Berliner reedn.«

»Du findsd das schigg?«

»Nu!«

»Das hab ich ooch noch nich geheerd!«

»Nu da heersdes ähmde jedzd! Ich finde ja sogar bayrisch scheen!«

»Nu bayrisch gefälld mir ooch!«

»‚S is eechentlich schade, dass mir Saggsn geen Dialäggd hamm!«

4 Der sächsische Erfinder – vorwiegend Sachen mit »M«