Wohin der Sommer uns trägt - Tanja Voosen - E-Book
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Wohin der Sommer uns trägt E-Book

Tanja Voosen

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Beschreibung

»Was steht auf deinem Zettel?«, fragte Delilah erwartungsvoll. »Verliebe dich in einen süßen Jungen.« (Textauszug)   Sobald der Sommer anbricht, gilt es ihm zu folgen, egal wohin er dich trägt – dieses Motto ist für Megan und Delilah Gesetz. Doch dieses Jahr ist alles anders und die Freundinnen werden vor schier unlösbare Herausforderungen gestellt. Während Megan versucht ihren Traum von Freiheit zu leben, kämpft Delilah nicht nur mit der Angst vor einer ungewissen Zukunft, sondern auch mit ihren Gefühlen zu ihrem besten Freund Beck. Als wäre ein verrücktspielendes Herz nicht schon genug, klopft auch bei Megan Amor in Gestalt des süßen Jaxon an die Tür. Und der Sommer ihres Lebens beginnt…   //Leserstimmen: »Einfach nur Wow.« »Absolut empfehlenswert!« »Jetzt kann der Sommer kommen!«//   //»Wohin uns der Sommer trägt« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2016 Text © Tanja Voosen, 2016 Lektorat: Petra Förster Coverbild: pixabay.com / © stux Covergestaltung: coverdungeonrabbit Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck

Für meine Schwester Stefanie. Der große Hase wollte dem kleinen Hasen an dieser Stelle noch einmal sagen: Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab? Unendlich lieb. Bis zum Mond und zurück.

Für Amelie und Fabian. Wir warten vielleicht für den Rest unseres Lebens auf unsere Hogwarts-Briefe oder werden auch niemals gemeinsam das Symbol einer Rebellion sein und wir werden auch keine Fälle an der Seite eines Skelett-Detektivs lösen, aber das ist nicht schlimm. Mit Freunden wie euch ist das Leben ein größeres Abenteuer, als jeder Roman es jemals sein könnte.

Und für meine Mutter. Danke. Für einfach alles.

Intro

Das letzte Licht der Abendsonne begann langsam hinter einer dicken Wolkendecke zu verschwinden. Zwei junge Mädchen kamen aus dem Wald heraus und blieben in dem großen Schatten stehen, den eine alte Scheune warf. Das Mädchen mit dem Lockenkopf sah verbissen zu seiner Freundin hinüber, die lächelte und eine kleine metallene Kiste so fest in Händen hielt, als handele es sich um einen Schatz.

»Meinst du wirklich, wir sollten das tun, Megan?«

Unruhig schob sich das Mädchen eine Locke hinters Ohr.

Megan verdrehte genervt die Augen. »Du warst den ganzen Sommer fort, Delilah. Wir ziehen das jetzt durch.«

»Nur, weil ich weg war, bedeutet das doch nicht, dass du alleine entscheiden kannst, ob wir die Kiste wirklich vergraben«, antwortete Delilah. »Was, wenn uns jemand erwischt oder sie gefunden wird?«

Megan fröstelte bei dem Gedanken. Der Sommer war fast vorbei und die Temperaturen zeugten davon. Sie redete sich ein, dass es die kühle Luft war, die ihr eine Gänsehaut bereitete, nicht Delilahs Einwurf. Schon immer war Megan die Mutigere gewesen und sie wusste, dass Delilah die Idee gefallen würde, sobald sie in die Tat umgesetzt war. Megan stellte die Kiste auf den Boden.

»Delilah, siehst du die beiden Bäume?«, flüsterte sie, um ihrer Stimme etwas Mystisches zu verleihen. Die Scheune wurde von zwei großen Kirschbäumen flankiert, die noch älter als das verfallene Gebäude waren. »Zwei Bäume, für zwei Freundinnen. Wir könnten uns genau in der Mitte treffen.«

Delilahs Blick schweifte zu den Bäumen. »Okay.« Eigentlich hatte sie sich nicht von Megan überreden lassen wollen, zu später Stunde durch den unheimlichen Wald zu gehen, um die Kiste auf dem Grundstück zu vergraben. Aber wie so oft hatte Delilah mitgemacht, weil Megan ihre beste Freundin war und sie dieser vertraute.

Delilah umklammerte die Schaufel in ihrer Hand fester. »Unter einer Bedingung, Megan«, forderte sie. »Nächstes Jahr, wenn wir die Kiste wieder ausgraben, werde ich zuerst einen Zettel ziehen. Verstanden?«

Megan nickte und entgegnete knapp: »Einverstanden!«

Kurze Zeit später hatten sie die Kiste mit ihren Wünschen genau in der Mitte zwischen den Kirschbäumen vergraben. Die Mädchen saßen etwas entfernt auf einem kleinen Hügel und sahen zu, wie die Sonne endgültig abtauchte.

»Wir werden die Kiste jeden Sommer wieder ausgraben, solange wir Freundinnen sind«, sagte Megan.

»Also für den Rest unseres Lebens«, sagte Delilah.

Ein paar Augenblicke schwiegen beide.

»Bist du schon aufgeregt?«, fragte Megan schließlich. Ein leichtes Zittern in der Stimme verriet ihre Nervosität.

Delilah nahm die Hand ihrer Freundin. »Ein bisschen«, antwortete sie. »Aber wir müssen uns gedulden, bis wir es herausfinden.«

»Was herausfinden?«

Delilah lächelte Megan an. »Ist doch logisch«, meinte sie bestimmt. »Wohin der Sommer uns trägt, Megan.«

Kapitel 1 – Megan

»Wach auf, Megan. Du klingst, als würdest du den halben Wald absägen. Wir kommen zu spät, viel zu spät!«

Die Stimme meiner besten Freundin holte mich langsam aus dem Land der Träume zurück. Ich rollte mich auf die Seite, hob den Kopf vom Kissen und begann zu blinzeln. Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Erinnerung an den vergangenen Abend zurückkam. Delilah und ich waren lange aus gewesen und anscheinend hatte ich ein Bier zu viel getrunken, denn mein Kopf fühlte sich schwer wie Blei an. Am liebsten hätte ich einfach weitergeschlafen. Ich schloss wieder die Augen. Im nächsten Moment stieg mir der Geruch von Kaffee in die Nase und belebte meine Sinne. Mühsam setzte ich mich auf und streifte mir das wirre Haar aus dem Gesicht. Ich blickte zu meiner besten Freundin. Sie hockte vor dem Bett und hielt mir eine Tasse hin.

Delilah war nichts mehr von der Party anzusehen. Sie hatte sich bereits angezogen und ihre braunen Locken mit Hilfe einer Mütze gezähmt. Das war Delilahs Trick, wenn es schnell gehen sollte – ihre Haare waren nämlich alles andere als leicht zu bändigen. Dankbar nahm ich ihr den Kaffee ab und trank einen Schluck. Mein Blick wanderte durch mein Zimmer und ich stöhnte. Anscheinend hatte ich am vergangenen Abend meine Lampe umgeworfen und mich sämtlicher Klamotten entledigt, während ich durch den Raum getanzt war. Irgendwie war einer meiner Schuhe an der Deckenleuchte gelandet.

»Was zur Hölle ist denn gestern passiert?«

Delilah begann zu schmunzeln. »An was erinnerst du dich denn?«, fragte sie sichtlich amüsiert.

»Quäl mich doch nicht so!«, beschwerte ich mich mürrisch und trank noch mehr Kaffee. Augenblicklich fühlte ich mich ein Stück besser. Eigentlich war ich nicht so der Mega-Kaffeetrinker, aber morgens bewirkte das Zeug wahre Wunder bei mir. »Wir waren auf der Party von Shelby O'Toole und dann … Filmriss. Ich komm mir vor wie ein Teenager-Alkoholiker. Dabei trinke ich normalerweise gar nichts. Wie viele Becher hatte ich denn? Zehn oder zwanzig? Es fühlt sich an wie zwanzig.«

Ich begann mit einer Hand meine linke Schläfe zu massieren, weil sich Kopfschmerzen ankündigten.

»Es waren drei«, sagte Delilah. »Aber zu deiner Verteidigung sei zu sagen: Wohl jeder hätte einen Drink zu viel gehabt, wenn sich jemand wie Dale Archer mit einem unterhält. Ich glaube, sein göttlicher Anblick hat dich einfach vergessen lassen, dass du auch so etwas wie ein Gehirn hast und es benutzen kannst.«

Ich schnaufte entrüstet. »Dale Archer hat mit mir geflirtet? Auf einer Skala von eins bis fünf: Wie peinlich habe ich mich benommen? Und hat er es gesehen?«

»Keine Sorge, Tiger. Ich hab uns ein Taxi gerufen«, antwortete Delilah. »Dale Archer flirtet doch mit jedem Mädchen, das einigermaßen gut aussieht, Megan.«

»Heißt das, ich sehe nur einigermaßen gut aus?«

»Willst du darauf jetzt eine Antwort haben?«

Ich trank die Tasse leer, stellte sie auf den Nachttisch neben dem Bett und warf die Bettdecke zurück.

»Ich muss unter die Dusche. Wie viel Uhr haben wir?«

»Viertel nach Wir-kommen-viel-zu-spät.«

»Deine Mom wird uns killen«, sagte ich panisch und lief durch den Raum, um mir aus meinem Kleiderschrank ein paar frische Sachen zu fischen. »Wer kommt schon auf die Idee an einem Freitag auf eine Party zu gehen?«

»Jeder normale Teenager?« Delilah lachte.

»Wieso bist du überhaupt so ruhig?«, fragte ich und drehte mich zu ihr um. »Eigentlich müsstest du Panik schieben, weil wir zu spät kommen und deine Mom die Chefin des Cafés ist.«

Delilah zuckte mit den Achseln. »Vielleicht befinde ich mich noch im Nachwehen-Schock-Zustand, seit mit Conrad Schluss ist. Irgendwie kann ich es noch immer nicht glauben. Es hilft zu wissen, dass er ein Idiot ist und mich nicht verdient hat, wie du gestern an die hundert Mal wiederholt hast. Außerdem wolltest du mir eine Liste meiner besten Eigenschaften auf meinen Arm schreiben. Aber ich war dann doch der Meinung, dass wir die Sache mit dem Tattoo auf nächste Woche verschieben sollten.«

Ich blieb in der Tür zum Badezimmer stehen, das an meinen Raum angrenzte, und starrte Delilah an.

»Klingt so, als wäre ich superlustig gewesen.«

»Du bist immer superlustig«, meinte sie und grinste. »Und jetzt geh endlich duschen, bevor es kurz nach Wir-landen-in-der-Hölle-wegen-Unpünktlichkeit wird!«

Delilah streckte mir die Zunge heraus.

Kapitel 2 – Megan

Delilah Condie und ich waren beste Freundinnen, seit ich zurückdenken konnte. Ich war in Landsville geboren und aufgewachsen und hatte Delilah im Kindergarten kennengelernt. Unsere Familien hatten ihre Wurzeln in dieser Kleinstadt – so ging es wohl den meisten Menschen hier. Fremde Gesichter fielen sofort auf. Manchmal schien es, als würde man jede einzelne Person, die in der Stadt lebte, über irgendeine Ecke kennen. An der Highschool war es noch schlimmer. Deshalb war ich umso glücklicher eine beste Freundin zu haben, auf die ich immer zählen konnte. Es fühlte sich so an, als würden wir uns länger als fünfzehn Jahre kennen. Seitdem wir uns als Kleinkinder eine Schaufel im Sandkasten geteilt hatten, war kaum ein Tag vergangen, an dem wir voneinander getrennt gewesen waren.

Den Condies gehörte ein kleines Café am Rand der Stadt, das seine Einnahmen vor allem Touristen verdankte, die auf der Durchreise waren. Dank meiner Freundschaft zu Delilah hatte ich dort einen Job bekommen und half aus, wann immer ich konnte. An diesem Samstag waren Delilah und ich zusammen für eine Schicht eingeteilt und wir waren wirklich verdammt spät dran. Es hatte gedauert, bis ich mich geduscht und angezogen hatte. Meine nassen Haare steckte ich provisorisch zu einem Knoten im Nacken zusammen. Zum Glück waren die meisten Besucher des Bluebird nicht auf Äußerlichkeiten versessen. Vermutlich würde mein zerzaustes und chaotisches Aussehen die Leute nur noch mehr davon überzeugen, wie niedlich ich doch war. Das war das Wort, das die meisten in Verbindung mit mir benutzten. Ich war ziemlich klein, hatte kurze Beine und ein rundes Gesicht. Natürlich fluchte ich die meiste Zeit darüber, auszusehen, als hätte man mich geschrumpft. Aber zumindest hatte ich meine Haare im Gegensatz zu Delilah im Griff. Das mit dem positiven Denken musste ja irgendwo anfangen.

Wenn man sich allerdings mit seiner besten Freundin Klamotten teilen wollte, wurde es bei uns schwierig. Delilah war groß und schlank – die perfekte Figur fürs Tanzen, etwas, das sie abgöttisch liebte. Im Alter von zwölf war sie plötzlich gewachsen wie Unkraut und ich war eben … einfach ich geblieben. Dafür hatte ich an anderen Stellen etwas mehr zu bieten als sie.

Unauffällig linste ich zu Delilah hinüber.

Wir saßen in ihrem alten Pick-Up-Truck, der auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Aber wenn es etwas gab, das Delilah neben dem Tanzen liebte, dann dieses Auto. Es hatte uns öfter im Stich gelassen, als ich zählen konnte, doch ganz den Geist aufgegeben hatte es bisher nicht. Ein wahrhaftiges Wunder, wenn man Delilahs Fahrstil bedachte. Ich fragte mich jedes Mal, wie es möglich war, dass eine so charmante und ruhige Person einen derart rasanten Fahrstil hatte. Vin Diesel wäre in Fast & Furious vor Neid erblasst. Als Delilah abrupt abbremste, klammerte ich mich etwas verängstigt am Beifahrersitz fest und fluchte. Der Wagen kam gerade noch vor einer roten Ampel zum Stillstand. Ich stieß den angehaltenen Atem aus und befahl meinem Herzen sich wieder zu beruhigen.

»Eines Tages bringst du uns noch um!«

»In Wahrheit liebst du diese Adrenalin-Kicks«, erwiderte sie in lockerem Tonfall und warf mir einen neckischen Blick von der Seite zu. »Grün!«, flötete sie munter und trat sofort das Gaspedal durch. Es kam wir vor, als hätte sie plötzlich auf Lichtgeschwindigkeit geschaltet und als würde mich irgendeine höhere Kraft in meinen Sitz drücken. Die Fahrt dauerte ungefähr eine halbe Stunde und als Delilah endlich in einer Seitengasse auf einem Parkplatz hielt, sprang ich sofort aus dem Wagen. Kurz hatte ich das Gefühl, der Kaffee würde mir jeden Moment wieder hochkommen. Du lieber Gott!

»Stell dich nicht so an!«

Delilah verpasste mir einen Klaps auf den Rücken, nachdem sie ebenfalls ausgestiegen und um den Pick-Up-Truck herumgekommen war. Sie steckte die Autoschlüssel in ihre kleine Handtasche und ging an mir vorbei. Mein Herz schlug mir noch immer bis zum Hals. Langsam folgte ich ihr die Seitengasse zurück bis über den großen Hof, der vor dem Café lag. Die Eingangstür des Bluebird stand offen. Vermutlich war die Klimaanlage wieder einmal kaputt. Wir hatten Mitte Juni und es war bereits unheimlich warm, dabei hatte der Sommer nicht einmal offiziell begonnen. Als ich den Laden betrat und mir schwüle Luft entgegenkam, war ich froh, mich heute Morgen für ein luftiges Kleid entschieden zu haben. Delilah würde in ihren Jeans und der Bluse sicher eingehen. Ich bekam automatisch Durst, als die Hitze meine Haut und Kehle streifte. Es war gerade einmal zwölf Uhr. Das Bluebird würde heute sicherlich noch zum Backofen werden. So ein Glück aber auch!

Allerdings konnte ich es Mrs Condie nicht zum Vorwurf machen, dass die Klimaanlage wieder nicht funktionierte. Delilah hatte mir schon vor einer Weile erzählt, dass die Geschäfte nicht mehr so gut liefen wie früher und die Condies alles auf die Sommerzeit setzten, in der Hoffnung, dass hier wieder mehr Geld in die Kasse käme. Meine Familie war auch nicht wirklich wohlhabend, aber wir hatten nie Geldprobleme gehabt. Ich wohnte zusammen mit meinen Eltern und meiner Grandma in einem Haus, das uns gehörte, und musste mir nie Gedanken darüber machen, ob ich mir etwas leisten konnte. Mom arbeitete als Hebamme und Dad als Fotograf für Kreuzfahrten, weshalb er oft wochenlang unterwegs war. Meine Grandma hatte ein paar Jahre zuvor im Lotto gewonnen und eigentlich verdankten wir ihr das Haus. Sie hatte damals gemeint, dass sie so oder so eines habe kaufen wollen. Zudem beabsichtige sie sowieso uns das Haus zu vermachen. Da könnten wir auch gleich drin wohnen und nicht erst nach ihrem Ableben.

»Lass, Mom, ich mach das schon.«

Meine Augen schweiften zum Tresen. Delilahs Mom sah ziemlich gestresst aus. Sie war dabei mehrere Getränke auf einmal abzufüllen und hantierte so hektisch herum, dass sie ein Glas Cola umwarf. Delilah redete jetzt im Flüsterton auf ihre Mom ein und diese nickte.

»Hallo, Mrs Condie.«

Ich kam um den Tresen herum, damit ich mir eine Schürze schnappen konnte, um meine Schicht zu beginnen. Nachdem ich mitbekommen hatte, wie es um das Bluebird stand, hatte ich angeboten umsonst auszuhelfen, aber das hatte der Stolz von Delilahs Mom nicht zugelassen. Wenn man beide so nebeneinander sah, stach die familiäre Ähnlichkeit sofort ins Auge. Sowohl Delilah als auch ihre Mom hatten einen Lockenschopf, dunkelbraune Augen und ein scharf geschnittenes Gesicht mit hohen Wangenknochen. Meine honigblonden Haare waren nur noch schulterlang, nachdem ich sie zwei Wochen zuvor abgeschnitten hatte. Die langen, fransigen Enden hatten mich mit der Zeit ziemlich beim Gitarrespielen gestört und ich steckte meine Haare nur im Notfall zusammen, zum Beispiel, wenn sie nass waren und ich keine Zeit hatte sie zu frisieren. Meine Augen waren von einem Schneematsch-Grau und passten nicht zu meinen Haaren, aber leider konnte man sich so etwas nicht aussuchen.

Mrs Condie lächelte mir knapp zu, dann war sie auch schon dabei ihre Sachen einzusammeln und das Café zu verlassen. Ich stellte mich neben Delilah und sah ihrer Mom fragend nach. Delilah seufzte kaum merklich.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich vorsichtig.

»Mom hat die letzten Tage kaum geschlafen«, antwortete Delilah und führte die Bestellung, die ihre Mom zu bearbeiten angefangen hatte, zu Ende. »Ständig macht sie sich Sorgen um das Bluebird und tausend andere Dinge. Ich glaube, ich werde sie niemals alleine lassen können. Vor allem nicht, nachdem Dad – egal. Kannst du das hier an Tisch sieben bringen, Megan?«

Delilah sah stur geradeaus zur Tür.

Was sie nicht hatte sagen wollen, war: »Nachdem Dad beschlossen hatte, für eine Weile abzuhauen.« Delilahs Dad war von einem Tag auf den anderen einfach verschwunden und hatte nur einen Zettel hinterlassen, auf dem stand, er brauche Abstand und würde sich melden, niemand solle sich Sorgen machen. Ich würde mir ja keine Sorgen um jemanden machen, der seine Familie im Stich ließ, nur, weil es gerade nicht so gut lief. Aber Mrs Condie und Delilah hatte es sehr hart getroffen.

»Tisch sieben, alles klar«, antwortete ich. Ich zögerte, ehe ich flüchtig Delilahs Hand drückte und flüsterte: »Das wird schon wieder.«

Kapitel 3 – Megan

Drei Stunden später tauchte Beck im Bluebird auf. Er war neben Delilah und mir die einzige Aushilfe im Café und mein direkter Nachbar – mehr als das, einer meiner besten Freunde. Delilah und er hatten sich nie besonders gut verstanden, aber während der Arbeit ließen sie sich das kaum anmerken. Wenn man die beiden nicht so gut kannte wie ich, hätte man fast denken können, dass sie sich blendend verstanden. Ich hatte immer versucht den Grund dafür herauszufinden, aber schließlich akzeptiert, dass manche Leute eben nicht auf einer Wellenlänge lagen – das war nicht zu ändern. Immerhin benahmen sie sich in meiner Gegenwart recht zivilisiert. Abgesehen von diesem schneidenden Sarkasmus. An schlimmen Tagen lieferten sich die beiden solche Wortduelle, dass einem der Kopf mehr schwirrte als nach einer Stunde Geschichte bei Mr Prescott. Beck war auf seine eigene Art ganz süß, hätte ich gesagt, wenn mich jemand um eine Einschätzung gebeten hätte. Da ich ihn schon so lange kannte und ihn auch noch in sämtlichen Lebenslagen begleitet hatte, war es schwer, in Beck irgendetwas anderes als einen Freund zu sehen. Aber ja, er war unbestreitbar ein süßer Kerl. Seine halblangen schwarzen Haare fielen ihm meistens ins Gesicht, aber die Grübchen und die hellen Augen machten das wieder wett. Hätte er nicht immer diese Shirts mit Aufdrucken von Bands und Filmen getragen, dann wäre er auch nicht sofort als Nerd aufgeflogen, aber Beck war in dieser Hinsicht einfach ein hoffnungsloser Fall. Ich war mir nicht sicher, nahm aber an, dass er für jeden Tag des Jahres ein anderes Shirt hatte. Man sah ihn selten dasselbe mehr als einmal tragen. Heute war es ein schwarzes mit Star-Wars-Motiv, auf dem Darth Vader verkündete: Free Throat Hugs. Echt alles andere als witzig. Irgendwann würde ich ihn unbedingt darüber aufklären müssen, dass er so niemals eine Freundin bekäme.

»Ist die Sonne hier drinnen explodiert?«

»Sorgst du dich etwa, dass dein Gehirn wegschmilzt?«, stellte Delilah die Gegenfrage, als Beck zu uns an den Tresen kam. Das Bluebird war früher Teil einer Lagerhalle gewesen, ehe ein Café daraus gemacht wurde, das die Condies übernommen hatten, nachdem der Besitzer aus der Stadt gezogen war. Die Einrichtung war etwas rustikal, hatte aber auch einen gewissen Vintage-Charme. Von der hohen Decke hingen Lampen an langen Kabeln hinab, viele der Stühle waren aus alten Kisten gebaut worden und mit Kissen versehen, um sie bequemer zu machen. Dreh- und Angelpunkt aber war die kleine Bühne im vorderen Eingangsbereich, die für alle zugänglich war. Tatsächlich war das eine der Besonderheiten des Bluebird – Bühnenzeit für jedermann! Gelegentlich traute sich auch echt jemand auf die Bühne, um poetry-slam-like ein Gedicht vorzulesen oder wie bei einer Open-Mic-Night ein Lied zu singen. Ich selber hatte auch schon ab und an dort oben gestanden und ein paar meiner eigenen Songs gespielt, wenn ich nicht gerade gearbeitet hatte. Musik war zwar nicht mein Lebenstraum, so mit Ruhm und Geld und allem, was dazu gehörte, aber ich genoss das Gitarrespielen und Singen sehr – zwei meiner Stärken.

Was ich an Delilah und Beck immer zu schätzen gewusst hatte, war, dass sie meine Einstellung akzeptierten. Sie wollten nie einen dieser Stars aus mir machen, der sich durch Castingshows quälte oder Demos an Plattenfirmen schickte. Meine Grandma war in ihrer Jugend ziemlich erfolgreich mit ihrer Band The Great Diviners gewesen. Es lag mir somit wohl im Blut. Aber ich musste erst einmal herausfinden, wer ich eigentlich war und was ich wollte, ehe ich mich wie eine Wannabe-Taylor-Swift aufführte. Ich kannte diese blöden Stargeschichten zur Genüge aus Büchern und Filmen.

»Auch hallo, Delilah«, sagte Beck genervt.

»Du hast angefangen rumzumeckern«, erwiderte Delilah. »Außerdem kann bei dir da oben nichts mehr wegschmelzen, keine Sorge. So viel ist da auch nicht los.«

Ich war gerade dabei leere Gläser von einem Ecktisch einzusammeln und über das Holz zu wischen, als Delilah der giftige Spruch über die Lippen kam. Irritiert stemmte ich das Tablett hoch und ging zurück zum Tresen. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, nahm Delilah die schmutzigen Gläser und begann sie zu spülen. Ich packte Beck am Arm und zog ihn außer Hörweite.

»Nimm es ihr nicht übel«, bat ich. »Es hat etwas mit ihrer Mom zu tun. Die beiden hatten … einen Streit.«

Eigentlich mochte ich es nicht Beck anzulügen, aber ich konnte ihn schlecht in die Sorgen der Condies einweihen, ohne mir wie eine Verräterin vorzukommen.

Beck seufzte. »Schon gut. Harter Tag?«

»Ich hasse Touristen«, antwortete ich.

»Dabei willst du unbedingt selber einer werden.«

»Ich will etwas von der Welt sehen«, verbesserte ich ihn. »Es kann ja nicht jeder für den Rest seines Lebens in Landsville bleiben wollen. Ich bin da eben anders als die meisten hier. Die denken, es wäre normal, den Rest seines Lebens in einer Kleinstadt verbringen zu wollen.«

»Was mache ich nur, wenn du nächstes Jahr weit weg aufs College gehst? Ich werde sterben vor Sehnsucht.«

»Du wirst es überleben«, sagte ich amüsiert.

»Idioten-Alarm auf zwölf Uhr, Megan.«

Beck sprach aus, was mir gerade ebenfalls ins Auge gestochen war. Eine Gruppe Teenager spazierte durch den Eingang des Bluebird und unterhielt sich lautstark.

Einer davon war Delilahs Exfreund. Oh, scheiße!

Kapitel 4 – Megan

Delilah und Conrad waren fast ein Jahr zusammen gewesen und ich hatte von Anfang an gewusst, dass er Ärger bedeutete. Man musste ihm nur in die Augen blicken, um zu sehen, dass er nichts Gutes im Schilde führte. Meine beste Freundin hatte jedoch immer irgendetwas Besonderes in Conrad gesehen. Erst als er direkt vor ihrer Nase mit ein paar Freshman-Mädchen geflirtet hatte, schien es ihr wie Schuppen von den Augen zu fallen. Conrad hätte ihr Traum-Freund sein können, aber in Wahrheit war er Delilahs Albtraum. Jemand, der log und andere schamlos ausnutzte. Als sie mit ihm Schluss gemacht hatte, hatte sie das ganze Wochenende über in meinem Bett gelegen und sich die Augen aus dem Kopf geheult. Diese Beziehung hatte ihr das Herz gebrochen und Conrad nutzte jede Gelegenheit, Delilah eins reinzuwürgen. Er hätte überall hingehen können, aber er hatte sich dazu entschieden ins Bluebird zu kommen.

»Soll ich ihn rauswerfen?«, fragte Beck ruhig.

»Er hat fünf seiner Freunde im Schlepptau.«

»Ich hätte heute doch das Superman-Shirt anziehen sollen. Irgendwie hab ich es gespürt und es dann doch gelassen«, meinte Beck mit grimmigem Gesichtsausdruck. »Er ist so ein Arsch.«

Auch wenn Beck und Delilah niemals Hand in Hand in den Sonnenuntergang laufen würden, hieß Beck Conrads Verhalten genauso wenig gut, wie ich es tat.

»Bedienung!«, brüllte Conrad den Laden zusammen. Er hatte sich mit seinen Freunden einen Tisch an der Fensterfront ausgesucht und feixte zu uns hinüber.

»Ich mach das schon«, sagte Beck. »Schau du am besten mal, was Delilah gerade tut, oder sag ihr, sie soll die Bestände im Keller zählen gehen oder so etwas.«

»Du brauchst kein Shirt, um ein Held zu sein, Beck.«

Ich schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln und steuerte wieder den Tresen an. Von Delilah war nichts zu sehen. Erst als ich um die Theke herum ging, sah ich, dass sie zusammengekauert am Boden saß – als würde sie sich da unten verstecken oder hoffen, dass sie der Erdboden verschluckte, wenn sie nur fest genug daran glaubte.

»Wieso muss er ausgerechnet hierher kommen?«, flüsterte sie und klang dabei verzweifelt. »Wieso?«

»In der Hoffnung, dich zu sehen und was weiß ich«, antwortete ich mit zusammengebissenen Zähne. »Er kommt sich sicher supertoll vor und du lässt dich auch noch einschüchtern. Du hast keinen Grund dich zu verstecken, Delilah. Dadurch fühlt er sich doch nur bestärkt.«

»Noch ein paar Minuten«, bat sie leise.

»Redest du jetzt schon mit dem Fußboden?«, fragte Beck, der zurückgekommen war. »Ich wusste doch, dass es hier drin einfach viel zu heiß ist. Bitte verliere nicht den Verstand, allein ertrage ich Conrad und seine Gang keinen einzigen Moment, Megan.«

»Megan spricht nicht mit dem Boden.«

»Hilfe, ich höre auch schon Stimmen!«

Beck riss in gespieltem Entsetzen den Mund auf.

Ich verdrehte die Augen. »Was möchten Conrad und seine Affen? Du darfst auch in ihre Drinks spucken.«

»Meine DNA ist viel zu kostbar für diese Idioten«, sagte Beck und verzog das Gesicht. Er verschränkte die Arme und warf einen kurzen Blick über seine Schulter.

»Wird's bald! Wir haben Durst!«, grölte Conrad, gefolgt vom zustimmenden Gejaule seiner Freunde. »Trinkgeld könnt ihr vergessen.«

»Beck, kannst du die Getränke übernehmen?«

»Was hast du vor, Megan?«

Beck starrte mich verwundert an, als ich mir vor Entschlossenheit auf die Unterlippe biss – das tat ich immer unbewusst, wenn ich nervös wurde.

»Ich sorge dafür, dass sie verschwinden.«

»So ganz ohne Supergirl-Shirt?«

»Ich hab etwas Besseres.«

»Und was wäre das?«, fragte Beck überrascht.

»Pop-Musik.«

Kapitel 5 – Megan

Ohne zu zögern, ging ich auf die Bühne und schnappte mir die Gitarre, die gegen einen Hocker gelehnt war. Irgendwann hatte Mrs Condie beschlossen sie dort zu platzieren. Die meisten Musiker konnten eine Akustik-Gitarre spielen und es handelte sich zudem um eines der günstigeren Instrumente. Es war noch gar nicht lange her, da hatte ich die Gitarre gestimmt und eine Runde gespielt, als Delilah und ich das Café bereits geschlossen hatten. Ein paar der Gäste sahen mir neugierig dabei zu, wie ich mir die Schlaufe der Gitarre umhängte und an das Mikrofon trat. Mit einem Griff war es eingeschaltet. Kurz ertönte ein Rauschen.

»Dieser Song ist ziemlich selbsterklärend«, sprach ich in das Mikrofon. »Es geht um ein Mädchen, das eine miese Beziehung hinter sich hat und erkennt, dass so viel Besseres als dieser eine Kerl in ihrer Zukunft liegt.« Ich suchte mit den Fingern die ersten Akkorde. »Man könnte ihn als Pop-Klassiker bezeichnen.«

Kaum waren die ersten Töne gespielt, begann ich den Text von Since U Been Gone von Kelly Clarkson zu singen. Früher war das einer meiner Lieblingsongs gewesen, aber ich hätte niemals gedacht, dass er einmal so gut passen würde. Die Gitarre hatte einen guten Klang und untermalte meine Stimmfarbe perfekt. Ich hatte kein Problem damit, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit anderer Leute zu stehen. Als ich jünger war, hatte ich sogar mehrmals bei der Talent-Show meiner damaligen Schule mitgemacht und einmal den zweiten Platz belegt. Spielen und Singen waren zwei Dinge, die mir unheimlich leicht fielen. Als ich beim Refrain angelangt war, begann ich Conrad in Grund und Boden zu starren. Zuerst hatte er geglotzt, als verstünde er nur noch Bahnhof, dann wirkte er zusehends genervt. Als ich die hohen Töne sang und das Lied fast vorbei war, stand Conrad von seinem Platz auf und ging. Seine Freunde tauschten sichtlich verwirrt Blicke und folgten ihm.

Mein eigener Blick huschte kurz zu Beck, der beide Daumen nach oben hielt. Neben ihm stand Delilah, die mein Gesang anscheinend hinter dem Tresen hervorgelockt hatte. Mit offenem Mund sah sie mich einfach nur an. Ich schloss für einen Moment die Augen und wog mich im Takt der Melodie. Als ich die letzte Note sang und den Sound der Gitarre ausklingen ließ, stellte ich zufrieden fest, dass Conrad und seine Freunde wirklich verschwunden waren.

Der Songtext hatte es eben in sich. In der Zeit, in der meine beste Freundin Conrad gedatet hatte, musste er unweigerlich auch mit mir auskommen und ich mit ihm. Es hatte ihn immer rasend gemacht, wenn Delilah und ich im Auto laut mitgesungen hatten. Ich würde also mal sagen 1:0 für mich und Kelly Clarkson.

Mein Auftritt war beendet und es folgte ein kleiner Applaus. Die anwesenden Gäste schienen mehr als entzückt über die Live-Darbietung zu sein, was ein netter Nebeneffekt war. Ich stellte die Gitarre zurück an ihren Platz und sprang mit einem Satz von der Bühne.

»Das war unglaublich!«, rief Beck. »Du hast eine fantastische Stimme und Conrads Gesicht – unbezahlbar.«

Ich gab Beck ein High-Five.

»Danke«, sagte ich strahlend.

»Ich weiß, du willst es nicht hören, aber du wurdest dafür geboren Musik zu machen, Megan«, kam es von Delilah, die mich mit einem Glitzern in den braunen Augen ansah. Hoffentlich fing sie nicht an zu weinen. Ich schloss sie in meine Arme und drückte sie fest an mich.

»Du hast diesen Song wirklich gerockt.«

»Das nächste Mal singe ich direkt I Hate Everything About You von Three Days Grace«, murmelte ich. »Und währenddessen wirfst du einfach alles nach Conrad, was nicht niet- und nagelfest ist.«

»Ich hab dich so verdammt lieb, Megan!«

»Ich dich noch viel lieber!«, antwortete ich schwungvoll. »Und jetzt könnte ich echt was zu trinken gebrauchen.«

Wir ließen voneinander ab und ich setzte mich auf einen der Barhocker vor dem Tresen. Delilah nahm wieder ihre übliche Position dahinter ein und schenkte mir ein Glas Cola ein. Kopfschüttelnd wandte sich Beck ab.

»Das war wirklich ein starker Auftritt.«

Ich drehte den Kopf nach links, um zu sehen, wer mich angesprochen hatte. Überrascht öffnete ich den Mund, brachte aber keinen Mucks heraus. Diesen Kerl hatte ich definitiv noch nicht in Landsville gesehen. Er war etwa in meinem Alter, vielleicht auch ein Jahr darüber, hatte kurze blonde Haare und hinter seinen Brillengläsern funkelten blaue Augen. Seine Miene war offen und freundlich und das Lächeln, das seine Lippen umspielte, schon auf den ersten Blick charmant. Er trug eines dieser Shirts, auf das die ganzen Surfer so standen – weit ausgeschnitten, ohne Ärmel –, weil es die Muskeln an Armen und Brust so gut zur Geltung brachte. Vielleicht war er sogar jemand, der gerne surfte, denn seine Haut hatte einen bronzenen Touch, wie von der Sonne geküsst. Ich musste zugeben, dass ich ihn wirklich attraktiv fand. Normalerweise waren die Kerle, die einen im Bluebird ansprachen, entweder irgendwelche Trottel von meiner Highschool oder viel zu alt für mich.

»Als nächstes sagst du mir noch, dass du ein Musikproduzent bist und mich sofort unter Vertrag nehmen kannst«, erwiderte ich schnippischer, als beabsichtigt. »Ich meine, danke.«

Er lachte und hielt mir eine Hand entgegen. »Ich bin Jaxon Tompkin«, sagte er sichtlich erheitert. »Und ob du es glaubst oder nicht, ich wollte dir wirklich gerade einen Plattenvertrag anbieten, aber nur, wenn du bereit bist dich auch sofort unsterblich in mich zu verlieben. Zusammen könnten wir wahrlich Großes vollbringen.«

»Niemand sagt heute noch wahrlich«, meinte ich, nahm seine Hand und schüttelte sie. »Megan.«

»Also, Megan«, sagte Jaxon und grinste. »Du hast wirklich nicht vor, reich und berühmt zu werden?«

»Nicht, dass es dich etwas angehen würde, aber … nein. Na gut, gegen reich ist nichts einzuwenden, aber ich schreibe viel lieber Songs, als sie selber zu singen. Das war schon immer so.«

»Und wenn ich dir sage, dass mein Dad wirklich Musikproduzent ist oder zumindest einen kennt?«, fragte Jaxon herausfordernd. »Was würdest du dann machen?«

»Die Leute an Tisch vier bedienen«, sagte ich und rutschte von meinem Platz herunter. »Auch wenn es eben nicht so ausgesehen hat, ich arbeite hier.«

Jaxon lachte und schüttelte den Kopf. Delilah räusperte sich und meine Augen wanderten zu ihr zurück. Mein Getränk hatte ich ganz vergessen, also leerte ich das Glas in einem Zug. Delilah räusperte sich wieder. Mit einem raschen Kopfnicken deutete sie in Jaxons Richtung, als wolle sie sagen: Weiter flirten! Ich winkte mit der Hand ab und griff mir einen Notizblock vom Tresen, da wirklich ein paar Gäste an Tisch vier darauf warteten, dass ihre Bestellung aufgenommen wurde.

***

Die nächsten zwanzig Minuten war ich so in meine Arbeit vertieft, dass ich es überhaupt nicht mitbekam, als Jaxon ging. In solchen Augenblicken, in denen ich gehetzt durch das Café lief und Getränke verteilte, war es schwer vorstellbar, dass das Bluebird nicht genug Gewinn abwarf, um sich über Wasser halten zu können. Erschöpft gönnte ich mir eine kurze Verschnaufpause und steckte mein Trinkgeld in das Glas, das auf dem Tresen stand. Natürlich so, dass Delilah es nicht mitbekam. Ich wollte den Condies nicht aus Mitleid helfen, sondern weil sie für mich wie eine zweite Familie waren und ich wusste, Delilah würde dasselbe an meiner Stelle tun. Sie wäre viel zu stolz, um es zuzugeben, aber tief in ihrem Herzen wüsste sie es zu schätzen, wenn sie eine Ahnung davon hätte, dass ich auf das Trinkgeld verzichtete. Die Touristen bezahlten nämlich sehr gut.

Mein Blick blieb an einem Zehndollarschein hängen, auf dem in hastiger Handschrift etwas stand. Ich nahm das Glas in beide Hände und versuchte das Gekritzel zu entziffern.

»Ich wusste es: Eines Tages brennst du mit Beck durch und nimmst alles mit, was dir in die Finger kommt.« Delilah stellte ein Tablett auf den Tresen und sah mich neugierig an. »Oder funktioniert das Ding inzwischen wie ein Magic-8-Ball und sagt die Zukunft voraus?«

»Jemand hat etwas auf einen Geldschein gekritzelt«, antwortete ich und hielt ihr das Glas entgegen.

»Was macht ihr denn da?«, fragte Beck, der ebenfalls ein Tablett mit leeren Gläsern auf den Tresen stellte. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Er war nicht der Einzige, der schwitzte. Mir klebten bereits das Haar im Nacken und das Kleid am Rücken. Viele der Gäste waren nur kurz geblieben, um sich etwas Kaltes zu trinken zu gönnen, und schnell wieder verschwunden. Am Fenster saßen noch zwei ältere Damen, aber ansonsten war es abgesehen vom Radio, das leise im Hintergrund einen Ed-Sheeran-Song spielte, inzwischen ziemlich ruhig.

»Megan hat eine Schatzkarte gefunden«, ärgerte Delilah mich. »Eigentlich wünscht sie sich aber nur die Nummer von dem süßen Kerl, der sie angeflirtet hat.«

»Er hat mich nicht angeflirtet!«, warf ich ein.

»Ich dachte, ich sei der einzige süße Kerl hier«, sagte Beck und zog einen Schmollmund. »Wenn ihr schon flirtet, dann mit mir.«

»Mit dir will keiner flirten, Beck.« Delilah schob ihn zur Seite und nahm mir das Glas ab, um es wieder auf den Tresen zu stellen. »Das sieht echt nach einer Nummer aus. Sollen wir mal anrufen?«

»Auf keinen Fall«, meinte Beck. »Vielleicht wartet Freddy Krueger am anderen Ende der Leitung.«

»Oder aber wirklich der süße Kerl von eben.«

»Vielleicht auch der Eismann«, sagte ich. »Ich könnte echt eines vertragen. Ich gehe noch ein, Leute.«

»Hat hier jemand Eis gesagt?« Wir drehten synchron die Köpfe. Mrs Condie war zurück und hielt eine Tüte empor. »Ich wusste, ihr würdet gerne eins haben, also habe ich den halben Laden aufgekauft.«

»Mom, ich dachte, du …« Delilah verstummte mitten im Satz. Mrs Condie und sie tauschen einen langen Blick, den ich nicht deuten konnte, dann lächelten beide.

»Megan, Beck, wenn ihr möchtet, könnt ihr früher Schluss machen. Delilah und ich schaffen den Rest allein«, sagte Mrs Condie und sah uns beide an. »Wir werden das Bluebird heute etwas früher schließen.«

»Ist denn alles in Ordnung?«, fragte ich unruhig.

Delilahs Mom nickte. »Alles in Ordnung. Denkt dran eure Gehaltsabrechnungen mitzunehmen, die liegen hinten in der Küche – und nicht zu vergessen ein Eis.«

Mit einem auffordernden Lächeln hielt sie uns die Tüte hin. Wahllos griff ich mir ein Eis. Beck schnappte sich gleich zwei.

»Danke, Mrs C«, sagte er und begann wie ein kleines Kind voller Vorfreude die Verpackung vom Eis zu reißen.

Delilahs Mom wandte sich ab und ging zu einem der Tische.

»Beck, nimmst du mich mit?«, fragte ich.

»Mhhh«, machte er, den Mund voller Eiscreme.

»Ich bringe vorher noch den Müll raus«, bot ich an, um einen Moment mit Delilah allein zu sein. Sie stand noch immer hinter der Kasse und rührte sich nicht. Beck ging in die Küche und holte unsere Gehaltsabrechnungen. Als er zurückkam, drückte er mir meine in die freie Hand. In der anderen hielt ich inzwischen den Müllbeutel, den ich aus der Tonne gezogen hatte. Er warf mir einen fragenden Blick zu und schien zu verstehen, worin meine Absicht bestand.

»Ich warte dann draußen. Hab vorne geparkt.«

Kaum war er außer Hörweite, wandte ich mich an Delilah: »Soll ich bleiben? Ich kann wirklich bleiben, falls du … Was denkst du, will deine Mom dir sagen? Ist es was Ernstes? Ich hab ganz schön Angst bekommen, als sie …«

»Megan«, ging Delilah freundlich dazwischen. »Ich rufe dich später an, ja? Ich glaube, meine Mom will mit mir allein sein. Irgendetwas ist passiert.«

»Verstehe«, antwortete ich knapp. »Ich würde dich jetzt umarmen, aber Mr Müllbeutel hat etwas dagegen.«

Delilah lachte. »Dann bring Mr Müllbeutel mal um die Ecke. Aber pass auf, dass dich niemand verfolgt.«

»Wenn schon Mord, dann im Geheimen«, sagte ich.

Ich warf meiner besten Freundin einen letzten Blick zu, dann stopfte ich die Gehaltsabrechnung in eine der Taschen meines Kleides und fischte meine Handtasche unter dem Tresen hervor. Als ich in den hinteren Bereich des Cafés ging, um durch den Seitenausgang zu den Mülltonnen im Hinterhof zu gelangen, hatte ich ein mulmiges Gefühl. Ich brauchte nicht einmal meine Instinkte, um zu wissen, dass etwas nicht stimmte. Schnell sandte ich ein stummes Gebet zum Himmel, dass was auch immer hier vor sich ging nichts allzu Schlimmes war. Aber wem wollte ich etwas einreden?

Ein Unglück kam wirklich selten allein.

Kapitel 6 – Delilah

Als ich heute Morgen aufgewacht war und das erste Mal seit langem das Gefühl gehabt hatte, dass heute ein guter Tag werden würde, hätte mir klar sein müssen, dass meine Instinkte mich wieder einmal im Stich ließen. Wenn es um die Schule ging, wenn es um Jungs ging – im Grunde war mein Bauchgefühl einfach im Arsch. Vielleicht war das der Deal, den ich eingegangen war, als ich Megan zur Freundin bekam. Sie war die einzige Person in meinem Leben, die mich niemals im Stich gelassen hatte, und für solch eine Freundschaft hatte ich wohl einiges anderes einbüßen müssen. Mir knotete sich der Magen zusammen, als ich darüber nachdachte, was Mom mir wohl zu sagen hatte. Was so wichtig war, dass sie extra wieder ins Bluebird gekommen war. Wenn es etwas gab, das ich noch weniger ertrug, als seit der Trennung von Conrad in dessen Nähe zu sein, dann meine Mom und ihre undurchdringliche Miene. Megan und Beck war es vielleicht nicht aufgefallen, aber ich hatte diesen Funken Ärger in ihren Augen gesehen, da konnte sie noch so freundlich daherkommen. Mit zittrigen Fingern stellte ich die gespülten Gläser ins Regal, um die Reihen wieder aufzufüllen. Wir hatten zwar eine Küche, aber wenn wenig los war, kümmerte ich mich lieber gleich darum, dass alles aufgeräumt blieb, und spülte die benutzten Sachen hinter dem Tresen weg.

»Delilah.«

Ich zuckte so heftig zusammen, dass mir eines der Gläser aus der Hand rutschte und am Boden zerschellte.

»Mann, Conrads Auftritt hat dich echt aufgewühlt.«

Beck war wieder da. Er kam mit einem Kehrblech in der Hand um den Tresen herum, um die Scherben aufzufegen. Gleichzeitig knieten wir uns hin. Als ich nach einer der größeren Glasscherben greifen wollte, bremste er meine Hand mit seiner ab.

»Ist schon okay, ich mach das«, sagte er sanft. Ich hielt den Atem an, als seine warmen Finger mein Handgelenk streiften, und schluckte schwer. Weil ich in diesem Augenblick kein Wort herausbekam, zog ich rasch meine Hand zurück und erhob mich wieder, um den Blick abwenden zu können. Immerhin hatte ich mein Herz unter Kontrolle und es begann nicht wie wild zu schlagen. Es war dieses ganze Theater sicher genauso leid wie ich.

»Danke«, wisperte ich leise.

Ich kannte Beck beinahe genauso lange wie Megan, obwohl kennen wirklich das falsche Wort dafür war. Das Einzige, das uns verband, war die Freundschaft zu Megan und ich bemühte mich wirklich sehr darum, dass es so blieb. Meine beste Freundin hatte mich unzählige Male gelöchert und gefragt, warum ich Beck nicht leiden könne. Die Antwort wäre so einfach gewesen, wenn sie uns nicht alle drei betroffen hätte. Ich befürchtete, dass die Wahrheit irgendwann einfach aus mir herausplatzen würde. Aber ich würde alles dafür tun, um sie so lange wie möglich unter Verschluss zu halten.

Beck war in Megan verknallt und ich in Beck.

Zumindest war ich es früher einmal gewesen. Aber trotzdem fiel es mir schwer, diese alten Gefühle ganz abzulegen und mich Beck gegenüber normal zu verhalten. Ich hatte einfach Angst davor, dass irgendeiner der beiden herausfinden würde, was ich tief in meinem Herzen fühlte. Dann wäre es meine Schuld, wenn die Freundschaft zwischen Megan und Beck zerbräche wie das Glas gerade eben. Außerdem wollte ich nicht für immer an dieser blöden Verliebtheit festhalten und ich hatte mir große Mühe gegeben, darüber hinwegzukommen. Conrad war vielleicht nicht die ideale Lösung gewesen – das sah ich inzwischen auch ein –, aber immerhin hatte ich alles daran gesetzt, nicht auf der Stelle zu treten. Es war wie beim Tanzen: Wenn man nur an einer Stelle stand, dann kam man nicht weiter. Sofort begann es in meinen Armen und Beinen zu kribbeln, als ich an das Tanzen dachte. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte einfach die Augen schließen und auf der Stelle loslegen, aber dazu fehlte mir der Mut.

Megans Auftritt war grandios gewesen und hatte mir einmal mehr gezeigt, dass ich ganz anders war als sie. Diese Form von Aufmerksamkeit jagte mir eiskalte Schauer den Rücken herunter. Deshalb zweifelte ich auch daran, dass es eine gute Entscheidung gewesen war, sich für einen Tanz-Workshop an der Juilliard zu bewerben. Neutral betrachtet standen meine Chancen nicht allzu schlecht. Ich hatte wochenlang an meinem Bewerbungsvideo gefeilt und war der Überzeugung, dass ich mein Bestes gegeben hatte. Aber manchmal war das Beste eben nicht gut genug. Ich seufzte schwer.

»Delilah, bist du sicher, dass alles okay ist?«

Mist. Ich hatte einfach vergessen, dass Beck zurück ins Café gekommen war und direkt neben mir stand. Er sah mich mit großen Augen an. Für einen flüchtigen Moment hatte ich das Gefühl in Tränen ausbrechen zu müssen und ich wusste nicht einmal, warum.

»Du weißt, dass Conrad ein Arsch ist, oder?«

Natürlich, Beck dachte, ich wäre noch immer wegen meines Exfreunds so aufgewühlt. Ich hatte den anderen aber auch allen Grund dafür gegeben, das zu denken. Wer versteckte sich denn bitte hinter dem Tresen? Diese blöden Kurzschlussreaktionen waren schon immer meine größte Macke gewesen. Eigentlich dachte ich stets nach, bevor ich handelte, aber manchmal gab es diese Fehlfunktionen in meinem Gehirn und irgendwo brannte eine Sicherung durch. Becks Augen ruhten noch immer auf mir.

»Du musst mich wirklich nicht aufmuntern«, sagte ich und versuchte es möglichst neutral klingen zu lassen. Aber wenn ich mit Beck sprach, lag dieser abweisende Unterton in meiner Stimme, den ich nicht verhindern konnte. »Conrad kann mir echt gestohlen bleiben.«

»Das sah für mich eben aber ganz anders aus.«

Beck trat mit einem Fuß auf die Klappe, um den Mülleimer zu öffnen, und entleerte das Kehrblech voller Scherben.

»Bist du jetzt ein Gefühls-Experte, oder was?«

»Auch wenn du es nicht gerne hörst …«, sagte Beck. »Aber ich kenne dich ziemlich gut und wenn es nicht Conrad ist, dann etwas anderes. Hat es mit deiner Mom zu tun? Ist sie deshalb zurück?«

In diesem Moment bereute ich den Tag, an dem Megan mich angebettelt hatte, meine Mom davon zu überzeugen, Beck im Bluebird arbeiten zu lassen.

»Beck, ich weiß deine Besorgnis echt zu schätzen«, versuchte ich es etwas freundlicher. »Aber ich möchte wirklich nicht darüber sprechen. Nicht mir dir.«

»Ich werde dich echt nie verstehen.«