Wolfgang Frank - Mara Pfeiffer - E-Book

Wolfgang Frank E-Book

Mara Pfeiffer

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Beschreibung

Der 2013 verstorbene Wolfgang Frank war nie Trainer in der 1. Bundesliga. Und doch hat er eine ganz Generation von Übungsleitern nachhaltig beeinflusst – bestes Beispiel: Jürgen Klopp, der sich im Buch ausführlich zu seinem Mentor Frank äußert. Mara Pfeiffer zeichnet die Karriere dieses außergewöhnlichen Trainers nach, der geprägt war vom niederländischen "Totaalvoetbal", vom Jugoslawen Branko Zebec und dem Italiener Arrigo Sacchi. Auch dank der wertvollen Unterstützung von Franks Söhnen Sebastian und Benjamin ist das faszinierende Porträt eines hochinteressanten Mannes entstanden.

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Für Sebastian und Benjamin.

Für alle, deren Herzen ihre Väter vermissen.

Für Theresa: Sekt to my Korken, Ease to my Storm,

Tessy to my Bee. Love you lots.

Mara Pfeiffer

WOLFGANGFRANK

Der Fußball-Revolutionär

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright © 2022 Verlag Die Werkstatt GmbH

Siekerwall 21, D-33602 Bielefeld

www.werkstatt-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten

Coverabbildung: IMAGO/Baering

Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH, Göttingen

eISBN 978-3-7307-0601-5

Inhalt

Vorwort

I. HOCHGESPRUNGEN

KAPITEL 1

Von Schlierbach ins Olympiastadion

KAPITEL 2

Zum Profi gereift

KAPITEL 3

Eine neue Spielkultur

KAPITEL 4

Der erste Mentor

KAPITEL 5

Die Last der Erwartung

KAPITEL 6

Eine unglückliche Beziehung

II. LOSGELASSEN

KAPITEL 7

Der Ruf des Geldes

KAPITEL 8

Eine Art Homecoming

KAPITEL 9

Die perfekte Verbindung

KAPITEL 10

An den Strukturen gescheitert

KAPITEL 11

Die erste Entlassung

KAPITEL 12

Lizenzentzug und Pokalfinale

III. VORANGEGANGEN

KAPITEL 13

Ungeduldiger Revolutionär

KAPITEL 14

Eine kurze, heftige Liebe

KAPITEL 15

Glückloser Wiederholungsversuch

KAPITEL 16

Kling-Klong-Klangschalen

IV. AUSPROBIERT

KAPITEL 17

Erfolgserlebnis und Umsturz

KAPITEL 18

Ruhepol im Chaos

KAPITEL 19

Höhenflüge und Bauchlandung

KAPITEL 20

Clash der Systeme

KAPITEL 21

Meister und Schüler

KAPITEL 22

Eine unmögliche Aufgabe

KAPITEL 23

Ein letzter Neuanfang

KAPITEL 24

Der Tod kommt immer zu früh

QUELLEN

KARRIEREDATEN

DANKSAGUNG

DIE AUTORIN

Vorwort

Was ich habe, will ich nicht verlieren, aberwo ich bin, will ich nicht bleiben, aberdie ich liebe, will ich nicht verlassen, aberdie ich kenne, will ich nicht mehr sehen aberwo ich lebe, da will ich nicht sterben, aberwo ich sterbe, da will ich nicht hin:Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.

THOMAS BRASCH: KARGO

Als ich im Oktober 1998 zum Studium nach Mainz zog, war Wolfgang Frank gerade zum zweiten Mal Trainer beim FSV. Doch davon wusste ich natürlich nichts. Fußball hatte in meinem Leben bislang eine Nebenrolle gespielt. Ich verband den Sport vor allem mit meinem Paps und damit, bei Turnieren mit ihm gemeinsam Spiele zu schauen. Das sollte sich nun bald ändern: In Mainz wurde meine Liebe zum Fußball und zu 05 wachgeküsst.

Weil ich als Schreibende immer auch durch Worte fühle und verstehe, begann ich bald, über meine Faszination für den Verein zu schreiben. In meinem Blog. Im Fanzine Die TORToUR. Später im journalistischen Volontariat, wodurch der Blick auf Fußball und Klub neue, zusätzliche Winkel bekam.

Eine prägende Erinnerung ist diese: Nach dem ersten Stadionbesuch lernte ich die Namen der Spieler und Verantwortlichen. Bald las ich mich auch ein in die Vergangenheit des Vereins und erfuhr erstmals etwas über die Bedeutung von Wolfgang Frank. Als ich mich mit den Jahren immer intensiver journalistisch mit dem Verein beschäftigte, begegnete mir der Trainer ein ums andere Mal. Ihn zu treffen wäre mir damals nie in den Sinn gekommen, dafür war die Ehrfurcht vor dem Mainzer Übervater viel zu groß. Als Frank 2013 starb, stand ich mit vielen anderen Fans unter der Choreografie und spürte deutlich den Verlust.

Im Frühjahr 2019 fragte Nicole Selmer, stellvertretende Chefredakteurin des österreichischen Fußballmagazins ballesterer, mich für eine Geschichte über Frank an. Ich sagte zu und erinnere mich an mein Herzklopfen.

Damals kam der Kontakt zu Sebastian Frank, dem älteren der Frank-Söhne, zustande. Der zu Benjamin folgte später. Mit Sebastian ebenso wie mit Christian Heidel führte ich lange Gespräche für den Artikel und recherchierte intensiv. Als der Text erschien, war ich froh, mich an das Thema gewagt zu haben. Die Söhne fanden den Vater im Text wieder, mit einer Ausnahme: Was nach der Zeit in Mainz passiert ist, falle in der Betrachtung immer sehr ab, schrieb mir Basti später einmal. Die Bemerkung ließ mich nicht los, ebenso wenig wie der Mensch Wolfgang Frank, auf den ich noch neugieriger geworden war.

So reifte der Wunsch, mich mehr mit ihm zu beschäftigen, zeitgleich mit der Frage, wieso niemand seine Geschichte bislang erzählt hat – obwohl so viele sich einig sind, wie prägend er für die Karrieren Einzelner und den Fußball im Ganzen war. Irgendwann ließ ich den Wunsch, der in mir gewachsen war, als Gedanken zu: Ich wollte eine Biografie über Frank schreiben.

Im Pandemiejanuar 2021 traf ich mich mit Basti, um ihm mein Anliegen bei einem Spaziergang durchs verschneite Nerotal vorzutragen. Er stimmte zu, auch Benjamin war einverstanden. Es folgten lange Gespräche mit den Brüdern, erste Recherchen und eine Liste mit Weggefährt*innen Franks, deren Blick auf seine Geschichte ich mir gerne einholen wollte.

In den folgenden Monaten sprach ich mit rund achtzig Menschen über Wolfgang Frank. Ohne sie alle wäre die Biografie nicht möglich gewesen. Die meisten sind am Ende dieses Buches aufgeführt, nur wenige baten, sie nicht namentlich zu nennen oder ihre Erinnerungen nicht zu teilen, weil sie ihnen unwichtig vorkamen, weil sie zu lange her schienen oder sie schmerzten.

Mir ist bewusst, dass ein Mensch neben der Person, die er für sich selbst ist, immer auch all die Versionen seiner selbst ist, die andere in ihm sehen. Und ich weiß, für jedes Gespräch, das ich geführt habe, sind zehn andere nicht zustande gekommen. Das Leben eines Menschen ganz und gar zu erfassen, ist unmöglich. Zu viele Erinnerungen, Begegnungen und Ereignisse. Das Buch ist ein Puzzle, zusammengesetzt aus den Blicken der Menschen, die Wolfgang Frank berührt und begleitet hat, die mit ihm gelebt und gearbeitet haben, aus Artikeln, Interviews und Videos sowie aus seinen eigenen Arbeitsnotizen und begleitenden zu Papier gebrachten Gedanken. Immer wieder habe ich dafür abgewogen, was über einen Menschen öffentlich sein darf und was privat bleiben soll. Vor allem habe ich versucht, beim Puzzeln möglichst wenig zu spekulieren und nicht meine, sondern neben dem, was an Ereignissen und Daten gesichert ist, die Sicht der Gesprächspartner*innen darzulegen.

Wolfgang Frank hat für den Fußball gelebt. Er war aber auch ein Mensch der tiefen Empfindungen und ein ewiger Zweifler. Beides hat seine Arbeit geprägt und vielleicht verhindert, dass er länger bei einem Verein sesshaft wurde. Er war ein wissbegieriger, offener Lehrer und ewig Lernender, der den Fußball lange vor vielen anderen gesamtheitlich sah und versuchte, ihn entsprechend anzugehen und zu vermitteln. Wer ihn alles beeinflusst hat, ist fast unmöglich zu sagen, beschäftigt hat er sich mit unglaublich viel. Wenn man sich in die Geschichte von Taktik und Trainern einliest, gibt es Themen seines Lebens, die einem bei anderen großen Trainern immer wieder begegnen, gerade der Fleiß und die übergroße Akribie. Helenio Herrera, im Umgang mit Spielern sicherlich kein Vorbild für ihn, fertigte Dossiers über die gegnerischen Akteure an, hängte motivierende Nachrichten an seine Jungs in die Kabine und fokussierte sich früh auf Schlaf und Ernährung. Jimmy Hogans Überzeugung für die Bedeutung der Fitness der Spieler auch auf dem Amateurlevel erscheint als ein schlüssiges Vorbild. Gusztáv Sebes’ Detailversessenheit, Walerij Lobanowskyjs frühe Ansätze der Raumdeckung, Wiktor Maslows Pressing, der eigene Trainer Branko Zebec und Arrigo Sacchis Mailänder Viererkette, von all dem steckt etwas in Franks Arbeit. Und vermutlich gehört es zum Ansatz jedes erfolgreichen Trainers, weit über den Tellerrand hinaus zu schauen. Frank hat das sein Leben lang getan, er war immer offen für neue Einflüsse – auch wenn er sich in seinem System früh treugeblieben ist. Dazu hat der Trainer im Juli 2008 einmal geäußert: „Es gibt Leute, die sagen, man müsse drei, vier Systeme spielen können. Ich denke, wenn man eines richtig beherrscht, dann reicht das. Aber man muss es wirklich können.“

Dieses Buch wirft einen möglichen Blick auf Wolfgang Frank und erzählt Teile seiner Geschichte. Es ist ein Angebot, vielleicht auch ein Anfangspunkt dafür, sich wieder intensiver mit ihm zu beschäftigen. In vielen Gesprächen über ihn nutzen seine Wegbegleiter*innen das Präsens, häufig verbunden mit der sehr schönen Feststellung, er lebe ja in ihnen und durch sie weiter. Und das ist vielleicht das Größte, was ein Mensch erreichen kann: So viele andere berührt, geprägt und verändert zu haben, in so vielen Erinnerungen lebendig zu sein. Mich hat es in den virtuellen, persönlichen und telefonischen Begegnungen sehr bewegt, zu spüren, wie viel Wolfgang Frank all diesen Menschen bedeutet. Dieses Buch ist für alle, die ein Stück mit ihm gegangen sind, und für alle, die es leider verpasst haben und nun auf diesem Wege etwas über ihn erfahren möchten.

Ich bin in den letzten Monaten oft gefragt worden, ob ich Wolfgang Frank einmal persönlich getroffen habe. Das muss ich verneinen und es ist mir ein echtes Versäumnis. Doch nach dem letzten Jahr kann ich ergänzen: „Aber ich habe ihn kennengelernt.“ Und darüber bin ich sehr froh.

Mara Pfeiffer, Wiesbaden, März 2022

I HOCHGESPRUNGEN

Die Karriere als Spieler

KAPITEL 1

Von Schlierbach ins Olympiastadion

„Er hatte eine super Sprungkraft und ein absolutesTiming beim Kopfball. Das war unglaublich. Er bliebsozusagen in der Luft stehen. Das war eine Waffe.“

HELMUT LOWSKI, MITSPIELER BEIM VFL KIRCHHEIM/TECK

„Für den Wolfgang gab es nur eins: Fußball“, sagt Helmut Lowski im tiefsten Schwäbisch und lacht bei der Erinnerung an seinen ehemaligen Mitspieler in der Jugend des VfL Kirchheim/Teck.

„Er war nur an Fußball interessiert“, erinnert sich auch Ulrich Roth an den jungen Frank. „Er und sein Vater Gerhard waren Tag und Nacht auf dem Sportplatz in Schlierbach.“ Roth bleibt bis zu dessen Tod im Januar 2020 über 60 Jahre lang enger Freund des Vaters, mit dem er jede Woche joggen geht. „Fußball hat die beiden miteinander verbunden.“ Bei den Waldläufen aber habe der alte Herr seinen Sohn immer abgehängt, lacht Roth.

„Die Schule ist bei Wolfgang so nebenhergelaufen“, erzählt Hans Henne, der mit Frank ab 1968 die Wirtschaftsoberschule in Göppingen besucht, wo beide 1970 das Abitur ablegen. „Für ihn war es wichtig, Fußball zu spielen und ins Training zu gehen.“ Mit seinen Mitschülern unternimmt der Teenager Wolfgang selten etwas. „Er hatte auch gar keine Zeit, um abends mal mit uns anderen wegzugehen. Das war alles nur Fußball.“

Wolfgang Frank wird am 21. Februar 1951 in Reichenbach an der Fils, südöstlich von Stuttgart geboren. Seine Eltern, Vater Gerhard und Mutter Irma, sind da noch keine 20 Jahre alt. Er bleibt ihr einziges Kind. Weil beide voll arbeiten, verbringt der Junge viel Zeit bei den Großeltern mütterlicherseits, die auf der Straßenseite gegenüber wohnen. Dort beobachtet er in der Stube unterm Dach die Eisblumen an den kleinen Fenstern, während der Wind kalt durch die schlecht isolierten Ritzen zieht. Sebastian Frank, der ältere der beiden Söhne, vermutet heute: „Mein Daddy hat damals nicht viel gehabt. Fußball war vermutlich der einzige Sport, den die Familie sich leisten konnte.“ So wird der Fußball zum Thema seines Lebens.

Schon als Bub wird der kleine Wolfgang von Vater Gerhard, selbst Handballer, trainiert. „Er war schon sehr streng“, erinnert sich dessen Freund Ulrich Roth, betont aber gleichzeitig: „Der Gerhard hat seinen Sohn immer zu 100 Prozent unterstützt.“ Diese Ambivalenz wird Frank ein Leben lang begleiten: Der Vater will ihm alles ermöglichen, hat zugleich aber sehr klare Vorstellungen davon, welchen Weg sein Sohn einschlagen soll. Und große Erwartungen, die für das einzige Kind nicht zu erfüllen sind.

„Er hat ihn nie gelobt“, sagt Sebastian Frank über seinen Großvater. „Auch als Erwachsenen nicht.“ Als Irma Frank 2002 stirbt, ringt sie ihrem Sohn auf dem Sterbebett das Versprechen ab, seinen Frieden mit dem Vater zu machen, die Beziehung bleibt jedoch bis zu Wolfgang Franks frühem Tod im Jahr 2013 belastet – und belastend.

Zunächst spielt Frank, ein schmächtiger Junge, Fußball in seinem Heimatort beim TSV Schlierbach 1896. Klaus-Dieter Haller, der in jener Zeit zum Vorstand des Vereins gehört und später dessen Vorsitzender ist, erinnert sich ebenfalls an die enge Verbindung zwischen Vater und Sohn: „Der Vater Frank war sehr engagiert und hat ihn immer gefördert.“

In dieser Zeit lernt auch Hans Kleitsch, wie Frank Jahrgang 1951, den Jungen kennen. Der spätere Jugendtrainer des VfB Stuttgart und Scout des FC Bayern München, der heute in selber Funktion bei der TSG Hoffenheim tätig ist, erinnert sich daran, wie er Wolfgang Frank auf einem Betonplatz an der Schule beobachtete. „Er war ein außerordentlich guter Stürmer. Kaum vom Ball zu trennen und damals schon extrem kopfballstark.“ Im Dorfverein, findet Kleitsch, sei das Talent des gleichaltrigen Frank verschenkt. „Da habe ich ihn überredet, von Schlierbach zu uns nach Kirchheim zu kommen.“

Helmut Lowski, der das Kirchheimer Tor hütet, erinnert sich an die Begegnung. „Zum ersten Mal tauchte der Wolfgang auf, da war er 14 Jahre alt.“ Als „sehr klein, aber technisch sehr gut“ sei er ihrer Gruppe angekündigt worden. Torwart Lowski und sein Zwillingsbruder Reinhold, der im Mittelfeld des VfL spielt, sind ebenfalls nicht besonders langgewachsen. „Aber der Wolfgang, der war tatsächlich noch kleiner.“ Der Rentner lacht amüsiert bei der Erinnerung. Von Franks Spiel sind auch die Brüder sofort angetan. „Er hatte eine super Sprungkraft und ein absolutes Timing beim Kopfball. Das war unglaublich. Er blieb sozusagen in der Luft stehen. Das war eine Waffe.“

Den Vorbildern nachgeeifert

Frank, dessen Fan-Herz dem Hamburger SV gehört und der Uwe Seeler für seine Tore bewundert, schließt die Saison in der C-Jugend in Schlierbach ab und wechselt anschließend tatsächlich nach Kirchheim unter Teck. „Er hat unsere Mannschaft noch mal entscheidend besser gemacht“, sagt Kleitsch. Die Jungen trainieren zweimal die Woche im Verein, treffen sich aber nebenher häufiger. „Wir haben die großen Spiele gesehen, und wenn uns etwas aufgefallen ist, haben wir versucht, es nachzuahmen.“ Als Deutschlands Linksaußen Lothar Emmerich bei der Weltmeisterschaft 1966 artistisch aus spitzem Winkel gegen Spanien trifft, prägt das ihren Sommer: „Wir haben stundenlang auf dem Sportplatz geübt, so zu schießen.“ Frank trainiert darüber hinaus weiter mit dem Vater. „Der war ziemlich dominant. Er hat mit ihm immer am Kopfballpendel geübt“, erinnert sich Hans Kleitsch. „Wenn unser Daddy nicht gut gespielt hat, hat sein Vater tagelang nicht mit ihm gesprochen“, sagt Sebastian Frank, dem Papa Wolfgang später viele dieser alten Geschichten erzählt.

Früh gelangt Wolfgang Frank zu der Überzeugung, wer erfolgreich sein will, muss bereit sein, alles dafür zu geben. „Wenn es in einem Spiel mal nicht gut lief, konnte er richtig grantig werden“, erzählt Lowski. Immer habe Frank sich und die anderen zu Höchstleistung angetrieben. Besonders in Erinnerung geblieben ist dem Mitspieler, wie sie bei der Bezirksmeisterschaft Neckar-Fils als B-Jugendliche gegen den SV Göppingen antraten, dem damals der Ruf einer exzellenten Jugendabteilung vorauseilte. Nach wenigen Minuten liegen die Kirchheimer bereits 0:2 hinten.

In Wolfgang Frank brodelt es merklich und das Team spielt, angetrieben vom kleinen Stürmer, plötzlich furios auf. Am Ende gewinnt der VfL Kirchheim die Partie mit 6:2, Frank macht vier Tore. Im Finale gegen Nürtingen schießt er das entscheidende 2:1 – und sein Team zur Bezirksmeisterschaft.

„So war der Wolfgang. Sehr ehrgeizig“, sagt Helmut Lowski. Während die anderen Jungen mit ihrer Zeit auch neben dem Fußball etwas anzufangen wissen und die Sommertage oft im Schwimmbad verbringen, trainiert Frank unermüdlich. Lowski erinnert sich nicht, ob sie in diesem Alter schon über eine Zukunft als Profi gesprochen haben: „Aber bei 30 Grad springst du ja nicht auf dem Sportplatz rum, wenn du nicht etwas vorhast. Ich habe ihn nie im Schwimmbad gesehen. Man geht doch in dem Alter gern mit Freunden ins Freibad. Wir anderen waren bald jeden Tag dort.“ Sohn Benjamin kennt aus den Erzählungen seines Vaters noch einen anderen Grund, warum Wolfgang Frank dem Badespaß damals fernbleibt: „Er konnte sich den Eintritt nicht leisten.“ Doch das verrät der junge Frank niemandem.

Einmal trifft Lowski auf dem Weg zum Schwimmbad Mitschüler Günter Richter und fragt ihn, ob er nicht mitkommen wolle. Er erfährt, dass Richter mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Schlierbach ist. „Er hat für Wolfgang immer die Flanken geschlagen.“ Dafür fährt der Freund zwei- bis dreimal in der Woche die knapp sieben Kilometer ins Nachbardorf. Lowski, neugierig geworden, begleitet ihn. Richter flankt, Frank verwandelt. So geht das über Stunden. Und anschließend drapiert Frank in Ermangelung ordentlicher Stangen Kleidungsstücke, Tasche, Handtuch und Trinkflasche auf dem Boden – und dreht Runde um Runde, bis es dunkel wird. Jahrzehnte später wird er das von seinen Spielern verlangen.

„Dahinter stand auch sein Vater“, sagt Lowski. „Er war sehr auf den Wolfgang fokussiert.“ So kommt es, dass Gerhard Frank nach den Spielen auch mal in der Umkleidekabine auftaucht, um sich seinen Sohn vor allen anderen direkt zur Brust zu nehmen. „Uns war das nicht angenehm“, bekennt Lowski rückblickend. Man habe dem Mitspieler gegenüber aber nie ein Wort darüber verloren. „Was kann er schon dafür, wenn sein Vater nebenher tickt. Der Wolfgang, das war ein Guter.“

Bei den Teamkollegen ist Frank beliebt. „Er war ruhig und besonnen. Ein ganz angenehmer Mensch“, sagt Lowski. Kleitsch findet, der Mitspieler sei ein wenig introvertiert gewesen. „Er hat nicht viel gesagt, sondern Leistung sprechen lassen.“ Auch in der Schule bleibt Frank unauffällig. „Er hat kein Aufheben um seine Leistung gemacht, nicht mal, als er in der Jugend des VfB Stuttgart angefangen hat“, sagt Hans Henne. Die Älteren nominieren ihn folglich auch nicht in die Schülermannschaft. „Die wussten nicht, dass man da so einen Knaller hat.“

Weil sie neben dem Unterricht selten Zeit miteinander verbringen, ist Henne vor allem die gemeinsame Abi-Abschlussfahrt nach Berlin in Erinnerung geblieben. Frank spielt damals schon für die Amateure des VfB und kann nicht mit den anderen im Bus in die geteilte Stadt reisen, weil er dann ein Spiel verpassen würde. „Der VfB hat ihn also hinterhergeflogen“ erinnert sich Henne, und bei der Gelegenheit hätten die Klassenkameraden auch erfahren, dass Frank im Verein ein „ordentliches Taschengeld“ verdient. „Da haben wir ganz schön runde Augen bekommen.“

So gelöst wie in dieser Woche erleben die Mitschüler Wolfgang Frank sonst nie. Einmal zieht er sogar mit ihnen um die Häuser, die Jugendlichen trinken ein paar Bier und sind erst nach der Sperrstunde zurück an ihrer Unterkunft. Als sie gemeinsam flüsternd und kichernd über den Zaun klettern, setzt bei Frank bereits das schlechte Gewissen ein. „Das kostet mich wieder eine Woche Training“, seufzt er wegen seines unüblichen Alkoholkonsums. Hans Henne lacht. „Fußball, Fußball, Fußball. Immer ging es nur um Fußball.“

Die Schüler sind in dieser Woche im Olympiastadion untergebracht. Eines Nachts stehlen sich Henne und Frank gemeinsam aus dem Schlafsaal, um das Stadion näher zu inspizieren. Leise, um nur nicht auf sich aufmerksam zu machen, schleichen sie die Stufen hinauf, wuchten sich hoch zur berühmten Feuerschale und stellen sich daneben auf. Wolfgang Frank ist mit einem Mal ganz still. Henne betrachtet seinen Mitschüler, der ins Stadionrund blickt. „Und plötzlich sagt der Wolfgang: ‚Hier spiele ich später auch mal.‘ Er hat damals schon gewusst, dass er das packt.“

KAPITEL 2

Zum Profi gereift

„Trotz seinem großen Talent – geschenkt hat Frank seine virtuoseBalltechnik niemand. Seit seinem 14. Lebensjahr trainierte Frankfast täglich. Vor den Schulaufgaben rangierten die Ballaufgaben.“

STUTTGARTER ZEITUNG

Rund 30 Kilometer liegen zwischen dem Schlatweg in Schlierbach, wo die Familie Frank lebt, und dem Trainingsgelände des VfB in Stuttgart. In der Saison 1969/70 stößt Wolfgang Frank zum Nachwuchs der Canstatter. Seine Kumpels kriegen davon zunächst nichts mit. „Er hat weiter mit uns gespielt. Als wir dann gehört haben, dass er längst beim VfB ist, hat uns das überrascht“, berichtet Helmut Lowski.

Gerhard Frank fährt seinen Sohn zum Training, ob nach Kirchheim Teck oder Stuttgart. „Der Wolfgang ist nie mit dem Rad gekommen“, bestätigt Lowski. „Da war er im Vorteil.“ Was mögen die vielen Fahrten zwischen seinem Zuhause und den Trainingsstätten für den Jungen bedeutet haben? Worüber haben Vater und Sohn miteinander im Auto gesprochen? War Wolfgang froh über die Unterstützung seines Vaters – oder hat er einen Antreiber in ihm gesehen? Über all das ließe sich nur spekulieren. Sicher ist, dass Frank weiter auf sich aufmerksam macht mit seinem Fleiß und seinem schon sehr reifen Spiel. Wer ihn am Ball sieht, spürt, das ist etwas Besonderes.

Für seine zweite Saison in der Jugend des VfB Stuttgart gibt Wolfgang Frank 1970 zunächst die sportliche Doppelbelastung auf und schließt das Kapitel beim VfL Kirchheim. Und auch das Wirtschaftsgymnasium ist für den jungen Mann mit der auffälligen dunklen Mähne und der selbsttönenden Brille nach der Hochschulreife beendet. „Die Schule, das war für ihn genauso wenig ein Problem wie für uns alle“, sagt der alte Freund Hans Henne, der gut gutgelaunt vom „Schmalspurabi“ spricht, das sie am Wirtschaftsgymnasium zu bewältigen hatten. An der Pädagogischen Hochschule in Esslingen beginnt der Abiturient im Herbst ein Pädagogikstudium, bricht es aber schon im zweiten Semester wieder ab: Wolfgang Franks ganze Konzentration gilt nun dem VfB und einem möglichen Aufstieg in den Bundesligakader des Vereins.

In der Saison 1970/71 wächst unter Trainer Karl Bögelein bei den VfB-Amateuren eine gute Truppe zusammen, zu der neben Frank auch Torhüter-Oldie Günter Sawitzki, Verteidiger Gerd Komorowski sowie in der Offensive Karl Berger, Werner Haaga und Dieter Schwemmle gehören. Mit 26 Saisontreffern wird Frank Torschützenkönig der Amateurliga Nordwürttemberg, seine Mannschaft gewinnt die Meisterschaft und schafft es im anschließenden Wettbewerb um die deutsche Amateurmeisterschaft torreich bis ins Finale.

„Es war ein echtes Erlebnis, das Endspiel zu bestreiten“, erinnert sich Dieter Schwemmle. „Und es war ein Riesenteam, das da zusammengespielt hat.“ In diesem Finale aber unterliegen die Stuttgarter dem Titelverteidiger SC Jülich 1910 vor 5.600 Zuschauern in Würzburg durch einen Treffer von Lutz Ender mit 0:1. Im kicker schreibt Reporter Hildebrand Kelber: „Im VfB-Angriff war nur Schwemmle als Anspielstation zu gebrauchen, während sich der so hochgelobte Frank und der gefürchtete Haaga in meist erfolglosen Solodarbietungen ergingen. (…) Mehr als ein Tor waren die Stuttgarter wirklich nicht schlechter. Sie starben eben nur in Schönheit.“ Für Torjäger Frank endet damit die Zeit als Amateurspieler, zur kommenden Saison steigt er auf in den Profikader. Schwemmle wird ihm ein Jahr später folgen. Die Stuttgarter Zeitung schreibt mit Blick auf Franks Karriereschritt: „Er überwand auch die kleine Enttäuschung, als er nach seinem ersten Amateurjahr keinen Vertrag erhielt, sehr schnell. (…) Frank wußte auf seine Chance zu warten, auf dem Spielfeld und in bezug auf seine Karriere. Trotz seinem großen Talent – geschenkt hat Frank seine virtuose Balltechnik niemand. Seit seinem 14. Lebensjahr trainierte Frank fast täglich. Vor den Schulaufgaben rangierten die Ballaufgaben.“

Der VfB Stuttgart befindet sich in dieser Phase Anfang der Siebzigerjahre in recht turbulentem Fahrwasser. Nach 25 Jahren steht Dr. Fritz Walter 1969 aus Altersgründen nicht mehr als Vereinspräsident zur Verfügung. Der Versuch seiner Unterstützer, Schatzmeister Eberhard „Waggele“ Haaga zum Nachfolger wählen zu lassen, scheitert. Nachdem die erste Jahreshauptversammlung am 18. Juli 1969 aufgrund von Tumulten abgebrochen werden muss, setzt sich am 7. August Hans Weitpert mit 280:165 Stimmen überraschend deutlich durch. Der Verleger und Druckereibesitzer möchte einen „neuen VfB“, doch in seiner Amtszeit gerät der Verein wirtschaftlich wie sportlich immer wieder unter Druck.

Während die Amateure sich also den Titel für Nordwürttemberg sichern, soll bei den Profis ein neuer Trainer den Weg zum Erfolg ebnen: Branko Zebec. Für den ehemaligen Kapitän der jugoslawischen Nationalmannschaft ist Stuttgart die zweite Trainerstation in Deutschland. Den FC Bayern hat er 1969 zur ersten Meisterschaft seit 1932 und zum ersten Double der Vereinsgeschichte geführt. Trotz des Erfolges ist im März 1970 Schluss gewesen: Die Bayern-Spieler meutern gegen die harten Trainingsmethoden Zebecs, der stets Wert auf die körperliche Überlegenheit seiner Schützlinge legte. In seinem ersten Jahr als VfB-Trainer landet Zebec mit dem Verein nach einer katastrophalen Rückrunde auf Platz zwölf. Dabei hatte man in Stuttgart zu Saisonbeginn sogar davon geträumt, ins Meisterrennen eingreifen zu können. Weil aber die Kasse leer ist, wird bereits im Winter Publikumsliebling Gilbert Gress nach Marseille verkauft – und so der Einbruch in Kauf genommen. Kurz darauf erschüttert der Bundesligaskandal den deutschen Fußball, und mit den Spielern Hans Arnold, Hans Eisele und Hartmut Weiß ist der VfB mittendrin. Vor der Partie gegen Bielefeld am 29. Mai 1971 haben die drei jeweils 15.000 Mark angenommen, ihre Zeit in Stuttgart ist damit abgelaufen.

In der Saison 1971/72 will der VfB trotzdem wieder angreifen. Dafür holt man den „verlorenen Sohn“ Horst Köppel aus Mönchengladbach zurück, verpflichtet den Österreicher Johann „Buffy“ Ettmayer und befördert – auf ausdrücklichen Wunsch von Trainer Zebec – den jungen Wolfgang Frank aus dem Lager der Amateure zu den Profis. Von der so verstärkten Truppe erhofft sich der Verein genügend Schlagkraft, um in der Liga eine Rolle zu spielen.

Die Journalisten machen sich gleichwohl bereits im Vorfeld ausführlich ihre Gedanken, ob insbesondere der erfolgreiche Nachwuchsspieler Frank der Bundesliga gewachsen sei. Im Juni schreibt Reporter Wolf Schelling im kicker: „Tore ‚wie vom Fließband‘ schoß der 21-jährige Wolfgang Frank [tatsächlich ist er da erst 20, Anm. d. A.] als Schütze vom Dienst in den Punktspielen. 25 Einschläge waren es in der Endabrechnung. (…) Auch jetzt, da die deutsche Amateurmeisterschaft läuft, zeigt sich der zwar schmächtige, aber recht ballgewandte Frank als treffsicher. Am letzten Sonntag erst schoß er drei der sechs Tore gegen den 1. FC Pforzheim. Freilich, ob Frank auch in der Bundesliga, zwei Klassen höher, wo vor allem Torjägern ein merklich scharfer Wind entgegenschlägt, Furore machen wird, muß abgewartet werden. Ja, die Zweifler gibt es sogar im Amateurlager des VfB, ‚denn der Frank muss doch, trotz der vielen Tore, noch viel lernen und erhielt die Chance zumindest zu früh‘.“

Der scharfe Wind freilich, dem die Spieler in Stuttgart ausgesetzt sind, kommt nicht zuletzt von der Presse selbst – und er wird dem sensiblen Frank in den kommenden Jahren immer wieder zu schaffen machen.

Hoffnungsvolles Talent

Der Start in die Saison gelingt dem VfB Stuttgart mit einem 3:0-Heimsieg gegen Hertha BSC. In Verein und Umfeld keimt Hoffnung auf, die Saison könne im besten Sinne erfolgreich verlaufen. Doch Trainer Branko Zebec hat es mit einer auch durch den Bundesligaskandal verunsicherten Mannschaft zu tun – und das hohe Pensum, das der Coach einfordert, stößt wie zuvor schon beim FC Bayern nicht bei allen Spielern auf Gegenliebe. Zumal es nicht mit übermäßigem Erfolg auf dem Platz belohnt wird. Auf den Sieg am ersten Spieltag folgen drei Unentschieden: gegen Braunschweig, Oberhausen und Mönchengladbach.

Am 5. Spieltag debütiert Wolfgang Frank in der Bundesliga. Im Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern wird der Stürmer in der 57. Minute für Karl Berger eingewechselt. Wolf Schelling schreibt dazu im kicker: „Mit Frank kam Leben in die Bude, während der schlaksige Youngster Berger zuvor das Spiel noch zu ungelenk, schleppend, zaghaft angegangen hatte.“ In die Torjägerliste kann sich der Offensivmann allerdings nicht eintragen. Die Treffer zum 3:1 im Neckarstadion erzielen Manfred Weidmann, Karl-Heinz Handschuh und Horst Köppel, der vom kicker zudem als „Mann des Tages“ ausgezeichnet und für seine aufsteigende Formkurve gelobt wird.

Über den jungen Frank sagt Köppel rückblickend: „Er war ein selbstbewusster Fußballer, der nicht viel Nervosität gezeigt hat vor wichtigen Spielen oder während der Partie.“ In der Mannschaft, so Köppel, sei Frank schnell integriert gewesen. „Ich kam mit ihm sowieso gut aus und beim VfB hat niemand Schwierigkeiten mit ihm gehabt. Für sein Alter war er schon sehr reif.“

Diese Ruhe und Reife soll er für seine Mannschaft fortan auch auf dem Platz zeigen, doch bei Franks erstem Startelfeinsatz verlieren die Stuttgarter 0:1 gegen Bielefeld. Obwohl der Stürmer von seinem Trainer gelobt wird, mutmaßt Wolf Schelling im kicker, der Youngster werde im nächsten Spiel wohl „ins Gras beißen“ müssen. Tatsächlich kommt Frank aber in der Partie gegen Bochum in der 17. Minute für Manfred Weidmann aufs Feld und erzielt mit dem 3:1 in der 40. Minute sein erstes Bundesligator.

Das Hauptaugenmerk der Presse liegt in dieser Phase allerdings auf dem heimgekehrten „Horschtle“ Köppel. Dieser profitiert durchaus vom Zusammenspiel mit Frank, von dem er sagt, ihn habe eine große Gelassenheit am Ball ausgezeichnet und er sei als Spieler nicht eigensinnig gewesen. „Natürlich wollte er seine Tore machen, aber wenn jemand anders besser postiert war, hat er auch abgespielt.“ Entscheidend ist in dieser Zeit der neue Trainer: „Wir hatten mit Zebec einen guten Mann, und es lief dann ja auch bei uns.“ Köppel glaubt, aus der damaligen VfB-Mannschaft hätte sich eine auf Jahre schlagkräftige Truppe entwickeln können, aber: „Die Unruhe im Verein war groß und das hat uns damals schon sehr geschadet.“ Und bei aller Einigkeit über Zebecs Genialität gibt es auch Diskussionen um dessen Methoden, die ihm früh den Ruf als „harter Hund“ eingebracht haben.

Erst einmal aber spielt die Mannschaft groß auf. Nach einem 3:2 in Bremen am 8. Spieltag steht der VfB plötzlich auf Tabellenplatz vier. „Ich habe meinen Jungs gesagt, sie sollen nicht nur rennen, sondern auch denken“, diktiert Coach Zebec im Anschluss an die Partie dem kicker in den Block. „Und das haben sie getan. Aber wir sind noch keine Mannschaft ohne Schwächen. Unsere Stärke ist das Teamwork, dem sich jeder unterordnet.“

Frank mausert sich in dieser Zeit zum Startelfkandidaten. In Bremen gelingt ihm wenig, beim 2:2 gegen die Bayern am 9. Spieltag sein zweites Bundesligator. „Er war sehr sensibel“, sagt Köppel über den jungen Mitspieler. „Wenn ihm etwas gelungen ist, wurde er immer frecher – positiv gemeint. Wenn er den einen oder anderen Fehler gemacht hat oder ausgepfiffen wurde, das hat ihm zugesetzt, dann ist er verunsichert gewesen.“

Spiele wie das in München geben Wolfgang Frank Auftrieb. Im kicker jubiliert VfB-Reporter Schelling in der anschließenden Länderspielpause über die Luxusprobleme der Stuttgarter in der Offensive: „Weidmann, zuletzt pausierend, ist wieder fit. Auf der anderen Seite war der junge Wirbelwind Frank zuletzt weit mehr als eben nur ein Ersatzmann. Auch jetzt beim Freundschaftsspiel am Freitagabend in Schwenningen trumpfte der ehemalige Torschützenkönig der württembergischen Amateure groß auf, schoß gleich fünf der zusammen neun Tore. Was also tun? Auf wen wird Zebec schweren Herzens verzichten?“

Manchmal wirken in dieser Phase die Ergebnisse auch positiver als das Spiel, wie etwa beim hart erkämpften 3:2 gegen Hannover am 10. Spieltag: Frank köpft Stuttgart in Führung, ehe erst die 96er zweimal treffen und dann Karl-Heinz Handschuh Ausgleich und Siegtreffer schießt. Bis zum 26. Spieltag steht der zunächst 20-jährige, ab Februar 1972 dann 21-jährige Frank ununterbrochen in der Startelf, meist mit Köppel und Handschuh im Dreiersturm. Im Gastspiel beim 1. FC Köln stellt Zebec am 13. Spieltag das System um, zieht Köppel nach hinten und lässt Frank und Handschuh als Doppelspitze angreifen – der VfB geht mit 1:4 unter. Gehören hingegen Wolfgang Frank und Horst Köppel gemeinsam zum Angriffsdreier, trifft fast immer mindestens einer von den beiden.

Franks Disziplin, sein Fleiß und gutes Spiel sind die positive Seite, doch der junge Spieler kann auch sehr unzufrieden mit sich sein. „Dann war er ein bisschen bockig.“ Köppel lacht gutmütig. Zu Zebec habe Frank zwar aufgeblickt, aber vielleicht, sinniert der ehemalige Kapitän, hätte der Youngster manchmal etwas mehr Zuspruch gebraucht. Denn nicht immer habe Frank sein großes Potenzial voll ausschöpfen können. „Sonst wäre er A-Nationalspieler geworden. Das Zeug dazu hätte er durchaus gehabt.“

Nach einer 0:4-Klatsche bei Fortuna Düsseldorf am 17. Spieltag, bei der Horst Köppel auch noch einen Elfmeter verschießt, beendet der VfB Stuttgart die Hinrunde auf dem siebten Tabellenplatz. Längst vergessen ist die Euphorie der ersten Saisonphase, in der man zu den Top 4 gehört hat. „Die Schwaben spielten ohne den verletzten österreichischen Nationalspieler ‚Bufi‘ Ettmayer ohne Pfeffer, Witz und Kampfgeist“, urteilt der kicker. Der Trainer tobt: „Vom Torwart bis zum Linksaußen hat bei uns alles versagt.“

Und vor der Weihnachtspause wird es noch einmal richtig ungemütlich bei den Schwaben. Nach einem klaren Erstrundensieg im DFB-Pokal über den VfR Heilbronn, den man nach einem 1:1 im damals noch üblichen Rückspiel mit 4:0 abfertigt, knallt es im Verein. Trainer Zebecs Angriff gilt Heinz Hübner, Präsidiumsmitglied und Mannschaftsbetreuer. Der Funktionär, echauffiert sich Zebec gegenüber dem kicker, erschwere ihm seine Aufgaben: „Wenn sich da nichts ändern sollte, schnell ändern sollte, dann bleibe ich nach Ablauf meines Vertrags keine Sekunde länger als unbedingt erforderlich.“

Hübner wiederum ist sich keiner Schuld bewusst und bedauert – ebenfalls über die Medien –, dass der Trainer lieber mit der Presse rede als mit ihm. „Der Verein war einfach nicht gut geführt damals“, blickt Köppel auf diese Monate zurück. „Da konnte man als Spieler nicht wirklich wachsen.“ Immerhin bringt der Klub die Streithähne im neuen Jahr an einen Tisch und gibt anschließend bekannt: „Nach einer ausführlichen Besprechung gaben sich Branko Zebec und Heinz Hübner die Hand.“ Dazu veröffentlicht der VfB ein Foto, auf dem sich Trainer Zebec und Präsident Weitpert zuprosten. Wie gesundheitsgefährdend Alkohol für den Diabetiker Zebec seit einer OP an der Bauchspeicheldrüse ist, wird in diesen Zeiten selbstredend nicht thematisiert – genauso wenig wie die schleichende Alkoholsucht des Trainers, die diesem bald immer häufiger Probleme verursacht.

„Frank und frei geht Frank seinen Weg“

Stuttgart startet mit einer Niederlage gegen Hertha BSC und einem Sieg gegen Braunschweig in die Rückrunde und das Jahr 1972. Gegen die Eintracht gelingt Frank Saisontor Nummer fünf. Anfang Februar platzt dann die Bombe: Zebec wird den Verein verlassen. Zum Saisonende, so heißt es zunächst. Für Frank, der den Trainer – trotz dessen harter Hand – enorm schätzt, ist das ebenso ein Schlag wie für jene seiner Mitspieler, die auf eine lange Zukunft mit Innovator Zebec gebaut haben, der seiner Zeit taktisch weit voraus ist.

Plötzlich stimmen beim VfB weder Spiele noch Ergebnisse. „Man hat gemerkt, das passt nicht mehr. Die Unruhe war einfach zu groß“, resümiert Horst Köppel. Wolfgang Frank lässt sich in diesen Negativstrudel mit hineinziehen. „Er war zwar schon sehr weit, aber zu erwarten, dass er in seinem Alter in dieser Situation die anderen mitzieht, das wäre zu viel verlangt gewesen“, sagt sein Kapitän.

Auswärts gegen den 1. FC Kaiserslautern, gegen den man just im DFB-Pokal ausgeschieden ist, kassiert der VfB am 22. Spieltag eine 1:3-Niederlage. Der Trainer wechselt für das Spiel, wie schon bei der Hinrunden-Klatsche gegen Köln, das System – und bleibt damit abermals erfolglos.

Die FCK-Abwehr habe das „Zwei-Mann-Sturmunternehmen Frank-Weidmann sicher in Schach gehalten“, heißt es im kicker. Mit dieser Niederlage rutscht der ambitionierte VfB auf Tabellenrang zehn ab. Ergebnisse und Tabellenplatz schwanken in den folgenden Wochen rund um den nahenden Abschied des Trainers. Wolfgang Frank trifft in dieser Phase recht regelmäßig und oft spielentscheidend, wie beim 1:1 in Bochum. Das Interesse der Medien an dem jungen Schwaben mit den wehenden Haaren ist ebenfalls ungebrochen. In einer Farbfoto-Serie mit Spielern aller Vereine im kicker vertritt der flinke kleine Stürmer im März 1972 den VfB. Stets posiert Frank mit einer scheinbar angeborenen Lässigkeit und seiner dunkel getönten Brille für solche Aufnahmen. „Der Wolfgang war schon als kleiner Junge sehr eitel“, sagt der beste Freund seines Vaters, Ulrich Roth. „Wenn seine Haare nicht ordentlich lagen, ist er richtig böse geworden.“

Ebenfalls sehr präsent in den Medien ist der künftige VfB-Trainer, Hermann Eppenhoff. Während der noch amtierende Stuttgarter Coach Branko Zebec im Krankenhaus liegt, wo ihm die Gallensteine entfernt worden sind, gibt Eppenhoff bereits Interviews zu seinen Erwartungen an den Kader und die kommende Saison. Nach einer 1:4-Pleite gegen Bayern München, bei der lediglich Frank für Stuttgart trifft, verwirrt der auf die Bank zurückgekehrte Zebec die Journalisten: Im Rückblick auf die Partie bezeichnet er seine Spieler wiederholt als „Birnen“. Tatsächlich meint er „Bienen“, die hilflos um die bayerischen Ballkünstler geschwirrt seien.

Anschließend wird Wolfgang Frank zum ersten Mal von seiner Leiste außer Gefecht gesetzt: Als ein mittelmäßiges Hannover 96 den VfB 3:0 überrollt, steht der Stürmer gar nicht mit auf dem Platz. In der Folgewoche kann Stuttgart zwar mit 1:0 gegen Duisburg gewinnen, im kicker entrüstet sich Reporter Schelling allerdings, es sei ein Duell „Einäugige gegen Blinde“ gewesen, in dem der VfB „Schlafwagen-Fußball“ geboten habe. „Beide Flügel waren Ausfälle. Frank allerdings kaum besser.“ Und Horschtle Köppel vergibt „die Chance aller Chancen“. „Das war eine schlimme Phase“, erinnert der sich heute.

Das Spiel bleibt nicht ohne Folgen: Per Brief bittet Trainer Zebec den Verein, ihn von seinen Aufgaben zu entbinden. Der VfB kommt dem Wunsch nach. „Zebec hatten in letzter Zeit einige Kleinkriege mit schweren Waffen ausgehöhlt, ihm viel von seinem Schwung genommen“, konstatiert Wolf Schelling im kicker. Neben dem Streit mit Heinz Hübner und einigen Ungereimtheiten zwischen Zebec und Buffy Ettmayer ist in dem Artikel auch vom „Fall Frank“ die Rede – der quirlige Stürmer gilt in der Öffentlichkeit inzwischen nicht mehr nur als genialer Spieler, sondern auch als schwieriger Charakter. Seine ehemaligen Teamkollegen verweisen diese Darstellung jedoch ins Reich der Märchen, für sie hat sich der sensible Frank einfach nicht abschirmen können vom ständigen Chaos im Verein.

Von seinen insgesamt zwölf Saisontoren erzielt Wolfgang Frank vier in den verbleibenden sechs Spielen, in denen sein ehemaliger Jugendtrainer Karl Bögelein den Platz des zurückgetretenen Zebec einnimmt. Nach einer 1:2-Niederlage gegen Schalke 04 steht der junge VfB-Stürmer sogar in der kicker-Elf des Tages. Nach dem letzten Saisonspiel, einem 3:1-Heimsieg gegen Düsseldorf, dem Frank seinen Stempel nicht aufdrücken kann, schreibt kicker-Redakteur Wolf Schelling nicht ohne Häme: „Treffend kommentierte ein gähnender Zuschauer: ‚Gott sei Dank, dass jetzt alles vorbei ist.‘“ Stuttgart beendet eine auf und neben dem Platz wechselvolle Saison auf Rang acht.

Dem aufstrebenden Stürmer widmet das Sportmagazin kurz vor Saisonende noch einen Artikel mit der kessen Überschrift: „Frank und frei geht Wolfgang Frank seinen Weg“. Darin heißt es: „Was der Gerd Müller als ‚Bomber der Nation‘ für Bayern München, das ist Fußball-Beatle Wolfgang Frank für den VfB Stuttgart. Nicht nur der Mann, der die Tore schießt, das Angriffsspiel ‚würzt‘, sondern schlichtweg auch einfach unverkäuflich. Das zeigte sich erst neulich. Da reagierte der auch privat temperamentvolle, erst 21-jährige ‚Komet‘ nach seiner Nichtnominierung in Hannover im ersten Augenblick ‚zu schnell‘. Er bat den VfB, den kurz zuvor erst verlängerten Vertrag bis Saisonende zu lösen.“

Frank will im Moment des Ärgers eines der ihm vorliegenden Angebote annehmen, unter anderem sollen Borussia Mönchengladbach und der Hamburger SV um ihn buhlen. Heinz Hübner schiebt derlei Überlegungen einen Riegel vor und erklärt den Spieler kurzerhand für unverkäuflich. Frank kriegt sich wieder ein und beteuert, er werde für den VfB noch viele Treffer erzielen, wenn er sich erst eingeschossen habe.

„Für das Fußballschwabenland war die Welt plötzlich wieder in Ordnung“, fasst Wolf Schelling erleichtert zusammen. Aus heutiger Sicht ist freilich der frühe Wechselwunsch des Spielers mehr als eine bloße Momentaufnahme. Denn die schnell aufsteigende Ungeduld und seine fluchtartigen Tendenzen werden Wolfgang Frank durch seine komplette Karriere begleiten, ob als Spieler oder später als Trainer. Beides steht in starkem Kontrast zu seinem Wunsch nach absoluter Loyalität seitens der Vereine und der Erwartung, die er in Sachen Zuverlässigkeit an sich selbst hat. Zwischen diesen Polen verliert Frank zeit seines Lebens viel Energie im Kampf darum, sich und den anderen gerecht zu werden.

Licht und Schatten im zweiten Jahr

Zur Saison 1972/73 übernimmt wie angekündigt Wunschtrainer Hermann Eppenhoff den VfB. Aus dem eigenen Nachwuchs stößt Dieter Schwemmle zum Team, mit dem Wolfgang Frank bereits in der Amateurmeisterschaft gemeinsam gestürmt hat. Über ihr Zusammenspiel sagt Schwemmle heute: „Da gab es ein blindes Verständnis zwischen uns. Der Wolfgang hat doch einige Tore gemacht auf Vorlage von mir.“

Gleich zum Saisonauftakt der Bundesliga gegen den späteren Vizemeister 1. FC Köln trifft Frank doppelt und garantiert seiner Mannschaft den ersten Heimsieg gegen die Domstädter seit der Saison 1968/69. „Der junge Wolfgang Frank hat gleich die richtigen Schußstiefel angezogen“, jubilieren die Reporter des kicker über den gelungenen Saisonstart des Stürmers, für den sie aber nur die Note 3 vergeben. Gleiches gilt für Franks Nebenmann Schwemmle, der sich mit dem Doppeltorschützen auch die Frisur teilt und über den es folgerichtig heißt: „Schließlich entpuppte sich 60-Kilo-Beatle Schwemmle, ein Debütant, als quirliger Flügelmann, dem nur noch ein Schuß Cleverneß fehlt. Zwei der drei Tore leitete Schwemmle immerhin geschickt ein.“

Die gemeinsame Zeit bei den Amateuren habe ihnen in jener Saison vom Start weg geholfen, sagt Schwemmle. „Es gibt einfach Dinge, die, wenn man eine gewisse Zeit miteinander spielt, zu Automatismen werden.“ Darauf habe man direkt wieder zurückgreifen können, trotz der einjährigen Unterbrechung.

„Stuttgart ist schon voll da!“, titelt der kicker nach dem zweiten Spieltag. Diesmal besorgt Schwemmle den Treffer zum 1:0-Sieg. Jubelstürme gelten allenthalben dem neuen Trainer, mit dem man – anders als zuvor mit Zebec – reden könne. Zudem betonen alle Beteiligten, wie eng man zusammengerückt sei. Daran erinnert sich auch Horst Köppel, der erzählt, es habe hin und wieder Treffen in einer Kneipe nahe des Stadions gegeben. „Da ging es dann ganz ordentlich zur Sache, das hätte der Trainer nicht wissen dürfen.“ Die Regel seien solche privaten Treffen aber trotz des funktionierenden Mannschaftsgefüges nicht gewesen. Und: „Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob Wolfgang jemals dabei war, aber sollte ich es heute beschwören, würde ich sagen: eher nein.“ Frank sei niemand gewesen, der die Freundschaft in der Gruppe gesucht habe.

Ähnlich erinnert das auch Dieter Schwemmle. „Ich habe Wolfgang als eher introvertiert gesehen. Von der Persönlichkeit her ein ganz ruhiger und sehr nachdenklicher Typ.“ Ohnehin habe man in jener Zeit aus dem Privatleben der Mitspieler aber nur in Einzelfällen etwas mitbekommen, sagt Schwemmle, und Frank habe die Zeit vermutlich eher mit seiner Freundin verbracht. „Ich habe nie mitbekommen und kann mir auch nicht vorstellen, dass er sich mit anderen Spielern mal privat getroffen hat. Das war seine Sache nicht.“

Es läuft in jenem Herbst 1972 gut für Stuttgart und den Stürmer Wolfgang Frank. Mal gewinnt der VfB mit Dusel (2:1 gegen den HSV), mal sehr sicher (3:1 gegen den FCK). Nach dem 10. Spieltag steht der Klub trotz einer zwischenzeitlichen derben 1:6-Abreibung in Düsseldorf auf dem dritten Tabellenrang, Frank hat bisher jedes Spiel gemacht – und bereits fünf Tore erzielt. „Er war ein richtiger Strafraumspieler“, schwärmt Schwemmle. „Der Wolfgang, der hatte einen Riecher dafür, wo er stehen und wohin er laufen muss.“ Medien und Präsidium sind gleichermaßen begeistert vom ersten Saisondrittel, während der verletzte Libero Willi Entenmann mit trockenem Realismus bremst und via Presse daran erinnert, in der ersten, erfolgreichen Zeit unter Zebec habe man diesen auch in positiven Farben beschrieben. Der Eppenhoff’sche Angriffsfußball aber liegt dem Team, das ist deutlich zu sehen.

Zur Winterpause steht die Mannschaft auf dem vierten Platz. Frank hat in der Hinserie lediglich ein Spiel verpasst, auswärts gegen Braunschweig aufgrund einer Verletzung, die er sich in der Woche zuvor beim 2:1-Sieg gegen Bremen zugezogen hatte. Acht Treffer sind dem quirligen Stürmer in 16 Spielen bereits gelungen, damit steht er in der internen Torjägerliste vor den Teamkollegen Handschuh und Köppel (je sieben) sowie Ettmayer (sechs). Trainer Eppenhoff bringt seinen erfolgreichsten Stürmer schon einmal für das Nationalteam ins Gespräch.

Doch in der zweiten Saisonhälfte hat Wolfgang Frank plötzlich zu kämpfen. Mit Verletzungen, Formtiefs – und immer wieder auch mit sich selbst. „Ich kann mich an kein Spiel erinnern, in dem der Wolfgang nicht in der Startelf war“, wundert sich Dieter Schwemmle. Tatsächlich aber fehlt Frank vom 24. bis zum 29. Spieltag. Als der Stürmer am 30. Spieltag bei Hertha BSC ein 35-minütiges Comeback erlebt, hat er den Berlinern beim 1:5 ebenso wenig entgegenzusetzen wie der Rest der Mannschaft. Und in Stuttgart ist man abseits des Platzes auch weiterhin zu viel mit Vereinsstrukturen und amtierenden Personen beschäftigt.

Außerdem ist der Klub schlicht zu klamm, um sein erfolgreiches Personal zu binden: Horst Köppel, Dieter Schwemmle und Wolfgang Frank hören alle gut zu, wenn andere Klubs ihnen lukrative Angebote unterbreiten. Frank wird erst länger mit dem 1. FC Köln in Verbindung gebracht, dann mit dem FC Lüttich. Schwemmles Weg führt in die Niederlande zu Twente Enschede. „Natürlich war es eine finanzielle Geschichte, wegzugehen“, sagt Schwemmle heute.

Frank hat derweil ein privates Intermezzo auszufechten, denn mittlerweile buhlt Alkmaar Zaanstreek um den hochveranlagten Stürmer. Damit ist sein Vater, der Förderer und Forderer, indes nicht einverstanden. „Unser Opa war total dagegen, dass Daddy zu Alkmaar geht“, erzählt Sebastian Frank. Doch es gibt längst einen Menschen in Wolfgang Franks Leben, dessen Urteil ihm wichtiger ist als das seines Vaters: Freundin Brigitte, die später auch Franks Frau wird. „Ich glaube, die Eltern von meinem Vater hätten sich schon eher eine Schwäbin gewünscht, ein Hausmütterchen. Meine Mutter war eine, die ihre Meinung gesagt und den Konflikt gesucht hat. Die zwei hatten schon so eine ‚Wir beide gegen den Rest der Welt‘-Einstellung, glaube ich“, puzzelt sich Sebastian Frank zusammen, was er von seinen Eltern aus jener Zeit weiß. Sein dominanter Großvater habe mit Eifersucht auf die Frau im Leben des Sohnes reagiert. „Er hatte das Gefühl, er muss etwas von ihm abgeben. Das hat ihm nicht gepasst.“ Frank beendet seine Zeit in Stuttgart nach dieser zweiten Profisaison, in der sich der VfB am Ende noch für den UEFA-Cup qualifiziert, und geht nach Alkmaar. Dieser Schritt bedeutet für ihn auch erstmals Abstand vom Vater.

KAPITEL 3

Eine neue Spielkultur

„In Holland spricht zwar fast jeder deutsch, aber keinerkann schwäbischen Dialekt verstehen. Dort mußte ichmich umstellen und hochdeutsch reden.“

WOLFGANG FRANK 1976 IM KICKER

Seinen Kopf benutzt Wolfgang Frank nicht nur, um tolle Tore zu erzielen. Von Anfang beschäftigt ihn, was auf dem Platz passiert. Dabei interessiert ihn nicht nur seine eigene Rolle, sondern er nimmt alle Spieler und deren Aufgaben in den Blick. In der ersten Profisaison beim VfB ist ihm Trainer Zebec dabei ein Vorbild: Auch der galt bereits zu seiner Spielerzeit als einer, der das Geschehen auf dem Platz sehr gut lesen konnte und extrem taktisch dachte. Beide verbindet ein Gefühl für das Spiel. Als der 22-jährige Stürmer im Juli 1973 mit Freundin Brigitte in die Niederlande zieht, um bei Alkmaar Zaanstreek (AZ) zu spielen, bekommt sein Interesse neues Futter. Der Verein zahlt 200.000 Gulden für Frank, der einen Zweijahresvertrag unterschreibt. Seinerzeit heißt der Verein AZ’67 und ist ein Zusammenschluss aus Alkmaar’54, dem ersten Proficlub der Niederlande, und dem FC Zaanstreek. In der Saison 1967/68 ist AZ’67 in die Eredivisie aufgestiegen und spielt dort seither mit einem Jahr Unterbrechung. Saisonziel der Spielzeit 1973/74 ist: Klassenerhalt plus X. Am Ende belegt der Klub in der 18er-Liga Platz sieben.

Neuer Trainer wird im Juli 1973 Joop Brand. Der aus Dubbeldam stammende Coach war Spieler beim XerxesDZB Rotterdam, hat bei den Go Ahead Eagels in Deventer seine Trainerkarriere begonnen und dort die Fußballschule geleitet. Außerdem ist er Dozent an der CIOS, einer Akademie für Sportlehrer. Brand ist ein wissbegieriger, offener Trainer, der in seinen Klubs viele Entwicklungen anstößt. Bei AZ’67 implementiert er gemeinsam mit Ted Troost die Methodik der Haptonomie (etwa: Lehre von der Berührung), die Verletzungen verhindern oder Beschwerden schneller kurieren soll. Das Thema inspiriert Frank.

Insgesamt tut sich der Stürmer aber zunächst schwer mit dem Wechsel in das fremde Land, obwohl er ihn selbst forciert hat. Sein Vater nimmt es ihm übel, dass er nicht beim VfB geblieben ist – und äußert das in heimischen Medien. Seine Freundin hat anfangs mit Heimweh zu kämpfen. In Alkmaar wird Frank „der kleine Deutsche“ genannt, was ihm nicht gefällt. Vermutlich stammt aus dieser Zeit auch sein immer wieder kolportierter Spitzname „der Floh“, den Mitspieler seiner deutschen Vereine nicht bestätigen: In einem Interview begründet Frank damals seine enorme Sprungkraft – nach Torerfolgen macht er einen mächtigen Satz in die Luft – einmal mit seiner geringen Größe von 1,72 Metern sowie seinen nur 66 Kilo und sagt: „So ein Fliegengewicht ist leicht zu stemmen.“ Der Satz wird in jener Saison vielfach zitiert – und in der Übersetzung ist offenbar aus der Fliege ein Floh geworden.

Frank steht in den ersten vier Ligaspielen auf dem Rasen, kommt aber nicht zum Torerfolg. AZ spielt dreimal unentschieden und kassiert eine Niederlage. Anschließend bleibt der Stürmer zweimal ohne Einsatz. Sein Verein holt den ersten Saisonsieg und verliert mit 1:5 gegen PSV Eindhoven. Am 7. Oktober 1973 schießt Frank gegen den MVV Maastricht sein erstes Tor in der Eredivisie. In der Tageszeitung Alkmaarsche Courant heißt es anschließend: „In der 21. Minute bekam AZ, was sie verdient hatten. Nygaard setzt Frank mit einem scharfen langen Ball in Szene. Der kleine Deutsche umspielte gekonnt Stammtorwart Herben und traf kontrolliert zum 1:1.“ Der Däne Kristen Nygaard ist seinerzeit neben Frank der zweite ausländische Spieler im Verein, er ist bereits im Jahr zuvor gekommen. „Es war keine einfache Zeit, weil Alkmaar nur semi-professionell war und wir alle noch Jobs hatten“, erinnert sich Cees de Vries, von 1972 bis 1976 Spieler bei AZ. „Wolfgang und Kristen waren die einzigen Vollprofis. Sie waren sehr unterschiedlich, Kristen offen und neugierig, Wolfgang eher zurückhaltend. Er hat auch gezögert, Niederländisch zu lernen.“ Aus Scham, Fehler zu machen, wie der Schwabe Frank Jahre später einmal im Interview eingesteht.

Sportlich läuft es nun zunächst positiv für Frank: Er trifft auch in den beiden folgenden Spielen. So lernen die AZ-Fans die Freudensprünge des deutschen Stürmers kennen. „So erinnere ich ihn am besten“, sagt Klubarchivar Jan Visser. „Er konnte sehr hoch springen.“ Ernst Slinger, der seit 1958 kaum ein Heimspiel des Vereins verpasst hat, erzählt: „Wolfgang war schnell und ein agiler Spieler. Er ging leicht am Gegner vorbei. Aber es fehlte ihm an körperlicher Stärke. Er fiel ganz einfach zu Boden, mindesten zehnmal pro Spiel. Ich gab ihm den Spitznamen ‚das Stehaufmännchen von AZ‘.“

Die Mannschaft trainiert am Nachmittag, nach den Arbeitstagen der Spieler. „Vielleicht hat Wolfgang einen professionelleren Klub erwartet, wie Ajax, wo zweimal täglich Training war“, mutmaßt de Vries. Immerhin trifft der Stürmer auf einen innovativen Coach: Joop Brand beschäftigt sich in den 1970er-Jahren bereits mit Themen wie Ernährung und Fitness. „Er war ein Trainer, der schönen, schnellen und taktisch starken Fußball mochte“, erinnert sich der Journalist Sam de Jager. Frank ist gleichwohl nicht die erste Wahl des Trainers gewesen, Brand wollte eigentlich den Schotten Joe Jordan von Leeds United verpflichten. Doch der Transfer war für AZ finanziell nicht zu machen. So soll nun also der kleine Frank für Tore sorgen und jene Stärken einbringen, mit denen er seine geringe Körpergröße ausgleicht. „Er konnte extrem hart schießen“, erinnert sich Torhüter Gerrit Vooys.

Nur 50 Kilometer südlich von Alkmaar, bei Ajax Amsterdam, hat unterdessen eine fußballerische Revolution stattgefunden. Zwei Namen stehen für die Basis dieser Entwicklung: Jack Reynolds, Engländer, Disziplinfanatiker und derjenige, der den Grundstein für die Ajax-Akademie legt. Ihm folgt 1959 und mit einer kurzen Unterbrechung bis 1964 sein Landsmann Vic Buckingham, der – für seine Zeit ungewöhnlich – stark auf Ballbesitz aus ist. In Buckinghams Amtsphase fällt auch das Debüt von Johan Cruyff. „Er war ein magerer Jugendfußballer, aber mit außergewöhnlichem Talent, blitzschnell und technisch perfekt“, erzählt de Jager, der damals als Sportreporter auch über Ajax berichtet und für Cruyff mitunter als Dolmetscher fungiert, wenn der Ajax-Star von ausländischen Medien interviewt wird. „Er hatte ein atemberaubendes Spielverständnis und die Qualität, um es zu nutzen.“

Plötzlich Einwechselspieler

Cruyff und de Jager spielen gelegentlich Billard zusammen und sprechen dabei viel über Fußball. „Seine Philosophie war klar. Technisch musste man alles mit dem Ball machen können. Aber im Spiel ging es hauptsächlich um Raum. Eine Mannschaft musste zunächst sicherstellen, dass sie den Ball erobert, Freiheit schuf, indem sie sich viel in Kombination bewegte und einen Mann freispielte, der die Angriffe weiter aufbauen konnte. Durch schnelle Positionswechsel war der Gegner gezwungen, die Raumdeckung aufzugeben. Wer beim Rotieren als Verteidiger auf die Stelle des Rechtsaußen gekommen war, musste auch diese Position beherrschen. Das war Cruyffs Vision.“ Den Journalisten erinnert das an eine Strömung im Theater: Schauspieler*innen wollen nicht mehr nur auf der Bühne agieren, sondern sich im Raum bewegen und ihr Publikum einbeziehen. Man spricht dabei vom „Theater Totaal“. „Später war ich der Erste, der Ajax’ Spielsystem ‚Voetbal Totaal‘ nannte. Der Begriff ist in den Niederlanden allmählich alltäglich geworden.“

Die Entwicklung bei Ajax inspiriert viele niederländische Trainer sowohl in spieltaktischer Hinsicht als auch in der Herangehensweise an die Strukturen im Training. Aus Spielbeobachtungen jener Saison lässt sich ablesen, dass Joop Brand in der Regel ebenfalls auf das von Ajax perfektionierte 4-3-3-System setzt. Der Platz als Mittelstürmer gehört dabei zumeist Kees Kist. „Kist und Nygaard waren ein lebensbedrohliches Duo“, erinnert sich Sportreporter de Jager. Nygaard liefert die Vorlagen, Kist verwandelt eiskalt. „So landete Wolfgang Frank auf der Ersatzbank.“ Es sind nicht einmal viele Spiele, die der Stürmer von außen begleiten muss, aber Frank kommt damit nicht zurecht. In einem Interview mit der Zeitung De Telegraaf erklärt er: „Ich habe genug von AZ!“ Bei Brand, der zwar mit Franks Fleiß im Training einverstanden ist, ihn aber für die Torflaute im Spiel offen kritisiert, kommt das gar nicht gut an. Dann verpasst der Pechvogel auch noch einige Spiele aufgrund eines hartnäckigen grippalen Effekts. Seine Situation ist plötzlich richtig schlecht.

Im Gespräch für einen längeren Artikel im Magazin Kick