World of Warcraft: Arthas - Aufstieg des Lichkönigs - Roman zum Game - Christie Golden - E-Book + Hörbuch

World of Warcraft: Arthas - Aufstieg des Lichkönigs - Roman zum Game Hörbuch

Christie Golden

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Beschreibung

DER ROMAN ZUM SENSATIONELLEN WOW-ADD-ON WRATH OF THE LICHKING! Arthas war einst der Kronprinz Lordaerons, bevor er zur Inkarnation des Lichkönigs wurde. Nun plant er von seinem eisigen Thron in Nordend aus, die Länder Azeroths mit einem weiteren verheerenden Krieg zu überziehen. Der neue Lichkönig ist die zentrale Figur der World-of-Warcraft-Erweiterung "Wrath of the Lichking" und schildert Arthas beispiellosen Weg an die Spitze des Totenheeres der Geißel. Basierend auf dem Blizzard-Welterfolg!

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Zeit:12 Std. 26 min

Sprecher:Philipp Oehme

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Arthas Aufstieg des Lichkönigs

Von Christie Golden

Ins Deutsche übertragenvon Mick Schnelle

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Englische Originalausgabe: „World of Warcraft: Arthas – Rise of the Lich King“ by Christie Golden published in the US by Blizzard Entertainment.

Copyright © 2018, 2022 Blizzard Entertainment, Inc. Alle Rechte vorbehalten.

Deutsche Ausgabe: Panini Verlags GmbH, Schloßstraße 76, 70176 Stuttgart.

Geschäftsführer: Hermann Paul

Head of Editorial: Jo Löffler

Head of Marketing: Holger Wiest (E-Mail: [email protected])

Presse & PR: Steffen Volkmer

Übersetzung: Mick Schnelle

Lektorat: Manfred Weinland, Dr. Sabine Jansen, Katharina Reiche

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Cover Illustration von Bill Petras

Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln

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ISBN 978-3-7367-9836-6

Gedruckte Ausgabe:

ISBN 978-3-8332-3632-7

2. Auflage, Oktober 2022

Findet uns im Netz:

www.paninicomics.de

PaniniComicsDE

Dieses Buch ist all denen gewidmet, die Warcraft-Geschichten lieben. Ich hoffe, ihr habt beim Lesen ebenso viel Spaß wie ich beim Schreiben.

PROLOG

Der Traum

Der Wind jammerte und heulte wie ein Kind mit starken Schmerzen.

Die Schaufelhauerherde drängte sich dichter zusammen, um sich zu wärmen. Das dicke, zottige Fell schützte die Tiere vor den schlimmsten Begleiterscheinungen des Sturms. Sie bildeten einen Kreis, in dessen Mitte die jungen Kälber zitterten und blökten. Die Köpfe, allesamt von schwerem Geweih gekrönt, senkten sie der schneebedeckten Erde entgegen. Ihre Augen hielten die Tiere zum Schutz vor den wirbelnden Schneeflocken geschlossen. Zu Eis gefrorener Atem bedeckte die Mäuler, als sie sich hinlegten, um den Sturm duldsam zu ertragen.

In ihren Höhlen warteten die Wölfe und Bären auf das Ende des Wettertobens. Die einen im Schutz ihres Rudels, die anderen allein und schicksalsergeben. So groß ihr Hunger auch sein mochte, nichts würde sie aus den Höhlen hinaustreiben, solange schneidender Wind wütete und dichter Schnee fiel.

Der Wind, der von der See her auf das Dorf Kamagua traf, zerrte an den Fellen, die an Gerüsten befestigt waren, welche man aus den Knochen großer Seewesen geformt hatte. Sobald der Sturm vorbei war, so wussten die Tuskarr, die hier schon seit unzähligen Jahren lebten, würden sie die Netze und Fallen reparieren oder ersetzen müssen. Mochten ihre Hütten auch noch so robust sein, machtvolle Stürme wie dieserbeschädigten sie jedes Mal aufs Neue.

Die Tuskarr hatten sich ausnahmslos in der großen Gemeinschaftshütte versammelt, die tief in den Boden eingegraben war. Die Zeltplanen waren fest verzurrt, und die Öllampen qualmten.

Atuik, der Älteste, wartete mit stoischer Ruhe. Er hatte in den vergangenen sieben Jahren schon viele dieser Stürme erlebt, und es waren beileibe keine gewöhnlichen.

Er war schon sehr alt, wovon sowohl die Länge und Gelbfärbung der Hauer als auch die Runzeln seiner braunen Haut zeugten.

Er blickte auf die Kinder, die ringsum zitterten. Aber nicht vor Kälte. So etwas taten Tuskarrs nicht. Es war die nackte Angst, die sie dazu brachte.

„Er … träumt“, murmelte eines der Kleinen. Seine Augen leuchteten, der Bart sträubte sich.

„Still!“, zischte Atuik barscher, als beabsichtigt. Das Kind verstummte erschrocken, und fortan war nur noch das Heulen der draußen tobenden Gewalten zu hören.

Wie aus Rauch bildete sich ein tiefer, dröhnender Hall. Er war wortlos, doch voller Bedeutung, ein Gesang, von einem Dutzend Stimmen getragen. Der Klang von Trommeln, Rasseln und klackernden Knochen bildete die wilde Untermalung für das getragene Rufen.

Der größte Teil des Windes wurde durch einen Wall aus Pfosten und Fellen von dem Taunkadorf abgehalten. Und die Hütten, deren gewölbte Dächer den Innenraum, wie um die Elemente herauszufordern, hoch überragten, waren stabil gebaut.

Man konnte den Wind noch über das tiefe, uralte Ritual hören. Der Tänzer, ein Schamane namens Kamiku, verpatzte einen Schritt und trat ungeschickt mit dem Huf auf. Doch er glich den Fehler aus und tanzte weiter.

Konzentration. Es ging immer um die Konzentration. So machte man sich die Elemente untertan und zwang sie zum Gehorsam. So überlebten die Leute in einem Land, das hart und unversöhnlich war.

Der Schamane geriet beim Tanzen in Wallung. Schweiß verdunkelte sein Fell. Seine großen braunen Augen waren vor Konzentration geschlossen, seine Hufe fanden erneut den mächtigen Rhythmus. Er warf den Kopf zurück, seine kurzen Hörner durchstachen die Luft, der Schwanz zuckte.

Andere tanzten neben ihm. Ihre Körperwärme und die Hitze des Feuers, das trotz der Schneeflocken, die durch die Rauchöffnung im Dach eindrangen, und trotz des Windes brannte, hielten die Hütte warm und behaglich.

Sie alle wussten, was draußen geschah. Sie konnten diese Winde und den Schnee nicht kontrollieren, wie sie es sonst vermochten, denn dies war sein Werk.

Doch sie konnten diesem Angriff zum Trotz tanzen, feiern und lachen. Sie waren Taunka – sie würden es überstehen.

Die Welt war blauweiß, und es stürmte. Doch drinnen in der Großen Halle war es warm und ruhig. Dicke Scheite nährten ein mannshohes Feuer, sein Knistern war das einzige Geräusch. Über dem verzierten Kaminsims, in den Darstellungen von wundersamen Kreaturen geschnitzt waren, befand sich das riesige Geweih eines Schaufelhauers. Geschnitzte Drachenköpfe dienten als Halterungen für die hell lodernden Fackeln. Schwere Balken stützten die Festhalle, die Platz für Dutzende Menschen bot. Das warme, goldgelbe Leuchten drängte die Schatten in die Ecken. Dicke Pelze von Eisbären, Schaufelhauern und anderen Tieren bedeckten den kalten Steinboden.

Ein Tisch, lang, schwer und reich verziert, beanspruchte den meisten Platz im Raum. Drei Dutzend Personen hätten leicht daran sitzen können. Doch momentan hockten dort nur drei: ein Mann, ein Orc und ein Junge.

Natürlich war diese Szenerie nicht real. Der Mann, der am Ehrenplatz des Tisches auf einem riesigen, erhöhten Stuhl saß, wusste das. Er träumte; er träumte schon seit einer sehr langen Zeit. Die Halle, die Schaufelhauer-Trophäen, das Feuer, der Tisch … der Orc und der Junge … alles war nur Teil seines Traums.

Der Orc zu seiner Linken war alt, doch er wirkte immer noch kraftvoll. Das goldgelbe Licht des Feuers und der Fackeln ließ das gespenstische Zeichen flackern, das auf seinem kantigen Gesicht prangte – ein aufgemalter Totenkopf. Er war Schamane gewesen, hatte über gewaltige Kräfte verfügt, und selbst jetzt noch, in der Vorstellung des Mannes, wirkte er beeindruckend.

Der Junge war das nicht. Einst mochte er ein hübsches Kind gewesen sein, mit tiefgrünen Augen, heller Haut und goldenem Haar. Aber das war Vergangenheit.

Der Junge war krank. Er war dünn, so abgemagert, dass die Knochen seine Haut zu durchbohren drohten. Die ehemals leuchtenden Augen waren stumpf und lagen tief in den Höhlen. Eine dünne Schicht bedeckte sie. Pusteln überzogen seine Haut, eine grünliche Flüssigkeit sickerte daraus hervor. Das Atmen schien ihm schwerzufallen, und die Brust des Kindes hob und senkte sich unter kleinen keuchenden Atemzügen.

Der Mann glaubte das mühsam arbeitende Herz zu sehen, das eigentlich schon vor langer Zeit versagt haben sollte, doch stetig weiterschlug.

„Er ist immer noch hier“, sagte der Orc und wies mit dem Finger auf den Jungen.

„Er wird nicht bleiben“, sagte der Mann.

Wie um seine Worte zu bestätigen, begann der Junge zu husten. Er spie Blut und Schleim auf den Tisch und wischte sich mit seinem dünnen Arm, der in einem einst edlen, inzwischen aber zerschlissenen Ärmel steckte, über den bleichen Mund. Er lehnte sich zurück und sprach mit stockender Stimme. Offenbar strengte ihn das Reden an.

„Du hast ihn – noch nicht ganz. Und ich werde – dir das beweisen.“

„Du bist genauso närrisch wie übergeschnappt“, knurrte der Orc. „Diese Schlacht wurde schon vor langer Zeit gewonnen.“

Die Hände des Mannes schlossen sich um die Armlehnen des Stuhls, während er den beiden zuhörte. Diesen Traum hatte er während der letzten Jahre immer wieder durchlebt, und mittlerweile war es eher ermüdend als unterhaltsam. „Ich bin dieses Kampfes überdrüssig. Lasst ihn uns ein für alle Mal beenden.“

Der Orc lächelte den Jungen an, sein Totenschädelgesicht wirkte abscheulich. Der Junge hustete erneut, hielt dem Blick des Orcs aber stand. Langsam und würdevoll richtete er sich auf. Seine milchigen Augen blickten von dem Orc zu dem Mann.

„Ja“, sagte der Orc, „er führt zu nichts. Bald schon ist die Zeit des Erwachens gekommen. Die Zeit, um erneut in diese Welt vorzudringen.“ Er wandte sich an den Mann, und seine Augen leuchteten. „Geh den Weg weiter, den du eingeschlagen hast.“

Der Totenschädel schien sich von seinem Gesicht zu lösen; er schwebte fast darüber, als wäre er ein eigenständiges Wesen. Mit dieser Bewegung veränderte sich der Raum. Die geschnitzten Verzierungen, die einen Augenblick zuvor noch einfache hölzerne Drachen gewesen waren, veränderten sich und erwachten zum Leben. Die Fackeln in ihren Mäulern leuchteten und warfen groteske Schatten, während sich die Häupter schüttelten. Draußen heulte der Wind, als das Tor zur Halle aufflog. Schnee umwehte die drei Gestalten. Der Mann breitete die Arme aus, sodass der eisige Wind ihn wie einen Mantel umhüllte. Der Orc lachte, der Totenschädel schwebte über seinem von wahnsinniger Freude verzerrten Gesicht.

„Lass dir zeigen, dass deine Bestimmung in mir liegt und du die wahre Macht nur bekommst, wenn du ihn tötest.“

Der zerbrechlich dünne Junge war von einer kalten Windbö aus seinem Stuhl geworfen worden. Jetzt mühte er sich wieder auf die Beine. Er zitterte, und sein Atem ging in kurzen Stößen, als er auf den Stuhl zurückkletterte. Er warf dem Mann einen Blick zu – voll von Hoffnung, Angst und … merkwürdiger Entschlossenheit.

„Noch ist nicht alles verloren“, flüsterte er. Und trotz des Gelächters des Orcs und des Totenschädels, trotz des heulenden Windes, vermochte der Mann ihn irgendwie zu verstehen.

TEIL I

Der Goldjunge

1

„Halt ihren Kopf, so geht das, Junge!“

Die Stute, deren weißes Fell mit Schweiß bedeckt war, verdrehte die Augen und wieherte. Prinz Arthas Menethil, der einzige Sohn von König Terenas Menethil II. und künftiger Herrscher über das Königreich Lordaeron, hielt die Zügel fest umklammert und redete beruhigend auf das Pferd ein.

Das Tier warf wild den Kopf herum und traf dabei beinahe den neunjährigen Prinzen. „Ho, Lichtmähne!“, sagte Arthas. „Ganz ruhig, Mädchen, es ist ja alles gut. Du brauchst keine Angst zu haben.“

Jorum Balnir schnaubte vor Freude. „Ich bezweifle, dass du das noch glauben würdest, wenn etwas von der Größe eines Fohlens aus dir herauskäme, Junge.“

Sein Sohn Jarim kletterte neben seinen Vater und den Prinzen und lachte. Arthas fiel mit ein. Er kicherte ausgelassen, als der feuchtwarme Schaum aus Lichtmähnes Maul auf sein Bein tropfte.

„Nur noch einmal, Mädchen“, sagte Balnir und bewegte sich entlang des Pferdekörpers zu der Stelle, wo das Fohlen es bereits zur Hälfte hinaus in die Welt geschafft hatte.

Arthas hätte eigentlich nicht hier sein dürfen. Doch wenn er keinen Unterricht hatte, schlich er sich oft zu Balnirs Hof, um die Pferde, für deren Zucht Balnir bekannt war, zu bewundern und um mit seinem Freund Jarim zu spielen.

Beiden war klar, dass der Sohn eines Pferdezüchters, selbst wenn der regelmäßig Tiere für den königlichen Haushalt lieferte, für einen Prinzen nicht der „passende“ Umgang war. Doch es kümmerte sie nicht, und bislang hatte kein Erwachsener ihre Freundschaft beendet.

Also war er hier. Sie hatten Forts gebaut, mit Schneebällen geworfen und Räuber und Gendarm gespielt, als Jorum sie zu sich rief, damit sie das Wunder einer Geburt miterleben konnten.

Das „Wunder der Geburt“ war eigentlich ziemlich eklig, fand Arthas. Er hatte nicht gewusst, dass derart viel … Schleim dabei im Spiel war. Lichtmähne schnaubte und presste erneut, ihre Beine waren steif und standen kerzengerade. Mit einem feuchten Geräusch kam ihr Fohlen in der glänzenden Haut auf die Welt.

Der schwere Kopf der Stute sank auf Arthas’ Schoß, und sie schloss für einen Moment die Augen. Ihr Körper hob und senkte sich, während sie Atem schöpfte.

Der Junge lächelte, streichelte den feuchten Hals und die dichte, raue Mähne. Er blickte zu Jarim und seinem Vater, die sich um das Fohlen kümmerten. Zu dieser Jahreszeit war es kühl in den Ställen, und nur der warme, feuchte Körper des Neugeborenen dampfte. Mit einem Handtuch und trockenem Stroh rieben Vater und Sohn die Reste der Geburtshaut von dem Fohlen ab, und Arthas merkte, wie sich sein Gesicht zu einem Lächeln verzog.

Feucht, grau, fast nur aus langen Beinen und großen Augen bestehend, sah sich das Fohlen um und blinzelte im dämmrigen Licht der Laternen. Die großen braunen Augen ruhten auf Arthas. Du bist wunderschön, dachte Arthas. Sein Atem stockte, und ihm wurde zum ersten Mal bewusst, dass das allseits gerühmte „Wunder der Geburt“ tatsächlich mehr als wundersam war.

Lichtmähne stellte sich auf die Füße. Arthas stand ebenfalls auf und drückte sich gegen die hölzerne Wand des Stalls, damit sich das große Tier umdrehen konnte, ohne ihn zu zerquetschen. Die Mutter und das Neugeborene beschnüffelten sich, dann schnaubte Lichtmähne und begann damit, ihr Fohlen mit der langen Zunge abzulecken und zu säubern.

„He, Junge, du siehst ein wenig mitgenommen aus“, sagte Jorum.

Arthas blickte an sich herab, und sein Herz sank. Er war mit Stroh und Pferdespeichel bedeckt. Arthas zuckte mit den Achseln. „Vielleicht sollte ich in eine Schneewehe hüpfen, bevor ich zum Palast zurückgehe“, meinte er und lächelte. Während er sich säuberte, sagte er: „Keine Sorge. Ich bin schon neun, kein Baby mehr. Ich kann hingehen, wohin ich …“

Die Hühner gackerten, und die dröhnende Stimme eines Mannes ertönte. Arthas entglitten die Gesichtszüge. Er straffte die schmalen Schultern, unternahm einen angestrengten, letztlich jedoch vergeblichen Versuch, das Stroh abzuklopfen und trat aus der Scheune.

„Sire Uther“, sagte er in seiner besten Ich bin ein Prinz und das solltest du bedenken-Stimme. „Diese Leute waren sehr freundlich zu mir. Ich beschwöre Euch, zertrampelt nicht ihr Geflügel.“

Oder ihre Löwenmaulbeete, dachte er und blickte auf die schneebedeckten Haufen aufgeworfener Erde, wo die wunderschönen Blumen, die Vara Balnirs ganzer Stolz waren, in ein paar Monaten blühen würden. Er hörte, wie ihm Jorum und Jarim nach draußen folgten, doch er sah sich nicht um. Stattdessen erblickte er den Ritter, vollständig gekleidet in eine …

„Rüstung!“, schnappte Arthas. „Was ist geschehen?“

„Ich erzähle es Euch unterwegs“, sagte Uther grimmig. „Ich schicke jemanden, der Euer Pferd holt, Prinz Arthas. Standhaft ist schneller, selbst wenn er uns beide tragen muss.“ Seine große Hand legte sich auf Arthas Arm, und er zog den Jungen zu sich hinauf, als wöge er nichts.

Vara war beim Geräusch des herangaloppierenden Pferdes aus dem Haus gelaufen. Sie wischte die Hände an einem Handtuch ab und hatte Mehlreste an der Nase. Ihre blauen Augen waren weit aufgerissen, sie blickte besorgt zu ihrem Ehemann hinüber. Uther nickte ihr höflich zu.

„Wir reden später darüber“, sagte Uther. „Mylady.“ Er berührte seine Stirn mit der gepanzerten Hand zu einem höflichen Gruß, dann trieb er sein Pferd Standhaft an – das ebenso wie sein Reiter in voller Rüstung steckte –, und das Tier preschte los.

Uthers Arm lag wie eine Stahlfessel um Arthas Hüfte. Angst stieg in dem Jungen auf, doch er unterdrückte sie, während er gegen Uthers Arm ankämpfte. „Ich weiß, wie man reitet“, sagte er, wobei seine Gereiztheit seine Besorgnis übertünchte. „Sagt mir, was los ist.“

„Ein Reiter ist von Süderstade gekommen. Er brachte schlechte Nachrichten. Vor ein paar Tagen sind Boote voll mit Flüchtlingen aus Sturmwind an unserer Küste gelandet“, sagte Uther. Er zog seinen Arm nicht zurück. Arthas gab den Kampf dagegen auf und reckte den Hals. Dabei lauschte er angestrengt. Seine meergrünen Augen waren aufgerissen, sein Blick hing an Uthers grimmigem Gesicht. „Sturmwind ist gefallen.“

„Was? Sturmwind? Wer steckt dahinter? Was …“

„Das werden wir in Kürze herausfinden. Die Überlebenden, darunter Prinz Varian, werden von einem der ehemaligen Helden Sturmwinds angeführt, Lord Anduin Lothar. Er, Prinz Varian und ein paar andere kommen in ein paar Tagen in die Hauptstadt. Lothar hat uns vorgewarnt, dass er beunruhigende Neuigkeiten überbringt – was offensichtlich ist, wenn Sturmwind zerstört wurde. Ich wurde ausgeschickt, um nach Euch zu suchen und Euch zurückzubringen. Ihr solltet Euch in dieser Situation Eure Zeit nicht mit dem gemeinen Volk vertreiben.“

Gebannt drehte sich Arthas um und blickte wieder nach vorn. Seine Hände hielten Standhafts Mähne umschlossen.

Sturmwind! Er war noch nie dort gewesen, doch er hatte Geschichten darüber gehört. Es war eine mächtige Stadt, mit großen Steinmauern und wunderschönen Gebäuden. Sie war stabil gebaut worden, um den wilden Winden standzuhalten, denen sie ihren Namen verdankte. Unvorstellbar auch nur daran zu denken, dass er gefallen sein könnte. Wer oder was wäre stark genug, um solch eine Stadt einzunehmen? „Wie viele Leute waren dabei?“, fragte er, dabei hob er seine Stimme lauter an, als beabsichtigt, um über den Hufschlag gehört zu werden.

„Das weiß ich nicht. Es sind nicht wenige, so viel steht fest. Der Bote sagte, es wären alle, die überlebt haben.“

Die was überlebt hatten?

„Und Prinz Varian?“ Er hatte sein ganzes Leben lang von Varian gehört, so wie er natürlich auch alle anderen Namen der benachbarten Könige, Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen kannte. Plötzlich weiteten sich seine Augen. Uther hatte Varian erwähnt, doch nicht den Vater des Prinzen, König Llane …

„Er wird schon bald König Varian werden. König Llane ist mit Sturmwind gefallen.“

Diese Nachricht eines Einzelschicksals traf Arthas irgendwie härter als der Gedanke an Tausende Menschen, die plötzlich ohne Heimat waren. Arthas’ eigene Familie stand sich sehr nah – er, seine Schwester Calia, seine Mutter, Königin Lianne, und natürlich König Terenas. Er hatte schon erlebt, wie lieblos einige Herrscher mit ihren Familien umgingen, und wusste, dass seine Familie bemerkenswert engen Kontakt pflegte. Die eigene Stadt verloren zu haben, die eigene Lebensart und den eigenen Vater …

„Armer Varian“, sagte er, und Tränen des Mitgefühls füllten seine Augen.

Uther klopfte ihm auf die Schulter. „Aye“, sagte er. „Es ist ein schwarzer Tag für den Jungen.“

Arthas schauderte mit einem Mal, was nichts mit der Kühle des Wintertages zu tun hatte. Der schöne Nachmittag mit dem blauen Himmel über der sanft gewellten, schneebedeckten Landschaft hatte sich plötzlich für ihn verdüstert.

Ein paar Tage später stand Arthas auf den Zinnen der Burg, leistete Falric, einer der Wachen, Gesellschaft und reichte ihm eine Tasse mit dampfend heißem Tee. Solche Besuche, wie Arthas sie Balnirs Familie, den Küchenmädchen der Burg, den Dienern, den Hufschmieden und praktisch jedem Untergebenen abstattete, waren nichts Ungewöhnliches. Terenas kommentierte es stets mit Stoßseufzern, doch Arthas wusste, dass niemand nur dafür bestraft wurde, dass er mit ihm sprach, und oft fragte er sich, ob sein Vater dieses Verhalten nicht insgeheim sogar befürwortete.

Falric lächelte dankbar und verbeugte sich tief vor aufrichtigem Respekt. Dabei zog er seine Handschuhe aus, damit er sich die kalten Hände wärmen konnte. Schnee drohte zu fallen, der Himmel war hellgrau. Dennoch war das Wetter klar. Arthas lehnte gegen die Mauer und legte sein Kinn auf die verschränkten Arme. Er blickte über die gewellten weißen Hügel von Tirisfal, in Richtung der Straße, die durch den Silberwald nach Süderstade führte. Die Straße, über die Anduin Lothar, der Magier Khadgar und Prinz Varian kommen würden.

„Schon was von ihnen zu sehen?“

„Nein, Euer Hoheit“, antwortete Falric und trank von dem heißen Tee. „Es könnte heute sein, morgen, oder übermorgen. Wenn Ihr hofft, einen Blick auf sie werfen zu können, Sire, müsst Ihr vielleicht noch ein Weilchen warten.“

Arthas lächelte ihn an, seine Augen blitzten vor Übermut. „Das ist besser als Unterricht“, sagte er.

„Nun, Sire, das wisst Ihr besser als ich“, sagte Falric diplomatisch, wobei er gegen den Drang zu lachen ankämpfte.

Während die Wache den Tee austrank, seufzte Arthas und spähte die Straße hinab, so wie er es schon ein Dutzend Mal zuvor getan hatte. Zuerst war das aufregend gewesen, doch nun begann er sich zu langweilen. Er wollte gehen und nachsehen, wie es Lichtmähnes Fohlen ging, und überlegte, wie schwierig es wäre, für ein paar Stunden zu entwischen, ohne dass man es bemerkte. Falric hatte recht. Lothar und Varian konnten noch ein paar Tagesreisen entfernt sein, wenn …

Arthas blinzelte. Er hob langsam sein Kinn von den Händen und verengte die Augen.

„Sie kommen!“, rief er ein paar Herzschläge später.

Falric war augenblicklich bei ihm, den Tee vergaß er. Er nickte.

„Scharfe Augen, Prinz Arthas! Marwyn!“ Ein weiterer Soldat eilte herbei. „Los, berichtet dem König, dass Lothar und Varian kommen. Sie sollten binnen einer Stunde hier sein.“

„Aye, Herr Hauptmann!“ Der jüngere Mann salutierte.

„Ich mache das! Ich gehe!“, sagte Arthas und rannte bereits los, noch während er sprach. Marwyn zögerte und blickte zu seinem Vorgesetzten, doch Arthas wollte vor ihm im Thronsaal sein. Er rannte die Stufen hinab, rutschte über das Eis und legte den Rest des Weges auf ebenso verwegene Weise zurück. Er überquerte den Hof und geriet, als er den Thronsaal erreichte, ins Schlittern. Gerade noch rechtzeitig dachte er daran, dass er sich beruhigen musste. Heute war der Tag, an dem sich Terenas mit den Vertretern des Volkes traf, um sich ihre Sorgen anzuhören und ihnen, so weit es in seiner Macht stand, zu helfen.

Arthas warf die Kapuze seines schön bestickten roten Umhangs aus Runenstoff zurück. Er atmete tief ein, stieß die Luft durch die Lippen als feinen Nebel aus und nickte, als er die beiden Wachen erreichte, die ihn zackig grüßten und sich umwandten, um ihm die Tür zu öffnen.

Im Thronsaal war es deutlich wärmer als im Hof, auch wenn es ein großer Raum aus Marmor und Stein mit einer hohen Kuppeldecke war. Selbst an einem bewölkten Tag wie heute ließ das achteckige Fenster an der Spitze der Kuppel ausreichend Tageslicht herein. Die Fackeln in den Halterungen an der Wand brannten stetig und spendeten sowohl Wärme als auch einen goldgelben Farbton. Ein komplexes Muster aus Kreisen umgab das Siegel von Lordaeron auf dem Boden, das nun verborgen unter den versammelten Menschen lag, die allesamt respektvoll darauf warteten, vor ihren Herrscher zu treten.

Auf einem edelsteinbesetzten Thron, der auf einer Empore stand, saß König Terenas II. Sein blondes Haar war an den Schläfen von Grau durchzogen, und in seinem Gesicht waren leichte Falten, die mehr vom Lächeln zeugten als von Sorgen. Sorgen, die ihre Spuren ebenso auf der Seele wie auf Gesichtern hinterließen.

Er trug ein gut geschnittenes, blauviolettes Gewand, das von glänzenden Goldstickereien durchwirkt war. Sie fingen das Licht der Fackeln ein und spiegelten sich auf der Krone. Terenas beugte sich gerade vor und unterhielt sich konzentriert mit einem vor ihm stehenden Mann – einem niederen Adeligen, an dessen Namen sich Arthas im Moment nicht erinnern konnte. Seine tiefblauen Augen waren auf den Mann gerichtet.

Wohl wissend, wessen Ankunft er verkünden würde, sah Arthas einen Moment lang einfach seinen Vater an. Wie Varian war er der Sohn eines Königs, ein Prinz von Geburt. Doch Varian hatte keinen Vater mehr, und Arthas spürte, wie ihm ein Kloß im Hals steckte, als er an die Zeit dachte, wenn dieser Thron hier einst verwaist wäre, wenn Klagegesänge für Terenas angestimmt würden …

Beim Licht, lass diesen Tag noch weit, weit entfernt sein.

Vielleicht spürte Terenas den intensiven Blick seines Sohnes, denn er blickte zur Tür. Seine Augen funkelten vergnügt, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Bittsteller zu.

Arthas räusperte sich und trat vor. „Entschuldigt die Unterbrechung, Vater, sie kommen. Ich habe sie gesehen! Sie sollten binnen einer Stunde hier sein.“

Terenas schien ernüchtert. Er wusste, wer mit „sie“ gemeint war. Dann nickte er. „Danke, mein Sohn.“

Die versammelten Menschen sahen einander an, die meisten wussten ebenfalls, wer „sie“ waren, und die Versammlung begann sich aufzulösen, als sei die Audienz vorbei.

Terenas hob die Hand. „Nein. Das Wetter hält sich, und die Straßen sind frei. Unsere Besucher sind erst da, wenn sie tatsächlich hier eintreffen und keinen Moment früher. Bis dahin sollten wir fortfahren.“ Er lächelte wehmütig. „Ich vermute, dass Zusammenkünfte wie diese danach selten sein werden. Erledigen wir so viel, wie wir können, bevor das geschieht.“

Arthas blickte seinen Vater stolz an. Deshalb liebten die Menschen Terenas so – und das war auch der Grund, warum der König normalerweise die Abenteuer seines Sohnes unter dem gemeinen Volk tolerierte. Terenas war sein Volk wirklich wichtig, und seinem Sohn hatte er dieses Gefühl anerzogen.

„Soll ich vorausreiten, um sie zu empfangen, Vater?“

Terenas sah seinen Sohn einen Augenblick lang prüfend an, dann schüttelte er den blonden Kopf. „Nein. Ich glaube, es ist das Beste, wenn du bei diesem Treffen nicht mit dabei bist.“

Arthas war wie vom Donner gerührt. Nicht daran teilnehmen? Er war schließlich neun Jahre alt! Etwas wirklich Schlimmes war einem wichtigen Verbündeten zugestoßen, und ein Junge, der kaum älter war als er, hatte seinen Vater dabei verloren. Er spürte plötzliche Wut. Warum beschützte sein Vater ihn dermaßen? Warum durfte er nicht an wichtigen Besprechungen teilnehmen?

Er unterdrückte die Antwort, die ihm auf den Lippen gelegen hätte, wenn er mit Terenas allein gewesen wäre. Es wäre nicht gut, mit seinem Vater vor all diesen Leuten zu streiten. Auch wenn Arthas wusste, dass er völlig im Recht war. Er atmete tief ein, verneigte sich und ging.

Eine Stunde später hatte es sich Arthas Menethil auf einem der vielen Balkone bequem gemacht, die über dem Thronsaal aufragten. Er lächelte in sich hinein und zappelte aufgeregt. Er war immer noch klein genug, um sich unter den Sitzen zu verstecken, falls jemand den Balkon kontrollieren sollte. In ein oder zwei Jahren würde er das nicht mehr können.

Aber in ein, zwei Jahren wird Vater auch einsehen, dass ich es verdiene, an solchen Sitzungen teilzunehmen, und ich muss mich gar nicht mehr verstecken.

Der Gedanke beruhigte ihn. Er rollte seinen Umhang zusammen und benutzte ihn als Kissen, während er wartete. Der Raum wurde von den Kohlepfannen, Fackeln und den vielen Leuten beheizt. Die Wärme und das beruhigende Murmeln der Stimmen machten ihn müde, und er schlief fast ein.

„Euer Majestät.“

Die Stimme, mächtig und wohlklingend, ließ Arthas aufwachen.

„Ich bin Anduin Lothar, Ritter aus Sturmwind.“

Sie waren da! Lord Anduin Lothar, der ehemalige Held von Sturmwind …

Arthas kam unter dem Sitz hervorgekrochen und erhob sich vorsichtig. Dabei versicherte er sich, dass er von dem blauen Vorhang verdeckt wurde, der den Balkon umgab, und spähte hinaus.

Lothar war mit jedem Zoll ein Krieger, dachte Arthas, als er den Mann betrachtete. Groß und kräftig gebaut, trug er die schwere Rüstung mit einer Leichtigkeit, die zeigte, dass er an ihr Gewicht gewöhnt war. Obwohl er einen dichten Schnurrbart trug, war sein Schädel fast kahl. Die wenigen verbliebenen Haare waren zu einem kurzen Pferdeschwanz zurückgebunden. Neben ihm stand ein alter Mann in einem violetten Gewand.

Arthas Blick fiel auf den Jungen, der nur Prinz Varian Wrynn sein konnte. Er war groß, schlaksig, hatte aber breite Schultern, die andeuteten, dass der schmale Körper eines Tages kräftiger werden würde. Er wirkte bleich und erschöpft. Arthas zuckte, als er den Jungen ansah, der ein paar Jahre älter war als er. Er wirkte verloren, allein und verängstigt. Als der Junge angesprochen wurde, riss er sich zusammen und gab höflich die erforderlichen Antworten. Terenas war geübt darin, anderen Menschen Selbstsicherheit zu vermitteln. Schnell entließ er alle, bis auf ein paar Höflinge und Wachen, und erhob sich von seinem Thron, um die Besucher zu begrüßen.

„Bitte, behaltet Platz“, sagte er und entschied sich, nicht auf dem beeindruckenden Thron sitzen zu bleiben, wie es sein Recht gewesen wäre. Stattdessen setzte er sich auf die oberste Stufe der Empore. In einer väterlichen Geste zog er Varian zu sich herab.

Arthas lächelte.

Versteckt beobachtete der junge Prinz von Lordaeron und hörte genau zu. Die Worte, die zu ihm hinaufdrangen, klangen beinahe fantastisch. Als er diesen mächtigen Krieger aus Sturmwind betrachtete – mehr noch, als er das bleiche Gesicht des zukünftigen Königs dieses ruhmreichen Reichs betrachtete –, erkannte Arthas mit einem beklemmenden Gefühl, dass dies alles keine Einbildung war. Es war tödlicher Ernst, und es war erschreckend.

Die versammelten Männer redeten von Kreaturen, die sie „Orcs“ nannten und die irgendwie in Azeroth erschienen waren. Groß, grün, mit Hauern als Zähnen und nach Blut dürstend, hatten sie eine „Horde“ gebildet, die sich wie eine unaufhaltsame Flut ausbreitete.

„Genug, um das Land von Küste zu Küste zu überziehen“, hatte Lothar düster berichtet.

Diese Monster hatten Sturmwind angegriffen und aus den Bewohnern Flüchtlinge – oder Tote, wie Arthas begriff – gemacht. Es wurde etwas lauter, als einige Höflinge Lothar nicht glauben wollten. Lothar erregte sich, doch Terenas entschärfte die Situation und schloss die Versammlung. „Ich werde die Könige der Nachbarreiche zusammenrufen“, sagte er. „Das betrifft uns alle. Euer Majestät, ich biete Euch mein Heim und meinen Schutz, solange Ihr es benötigen solltet.“

Arthas lächelte. Varian würde hierbleiben, im Palast, zusammen mit ihm. Es wäre schön, einen anderen adeligen Jungen zu haben, mit dem er spielen konnte. Er kam gut mit Calia aus, die zwei Jahre älter als er war, aber sie war dennoch ein Mädchen. Und obwohl er Jarim gern hatte, wusste er doch, dass die Gelegenheiten, miteinander zu spielen, zwangsläufig begrenzt waren. Varian dagegen war ein geborener Prinz, so wie Arthas, und sie konnten miteinander trainieren, reiten und auf Erkundungen gehen …

„Ihr wollt, dass wir uns auf einen Krieg vorbereiten.“ Die Stimme seines Vaters schnitt brutal in seine Gedanken, und Arthas’ Stimmung verdüsterte sich wieder.

„Ja“, antwortete Lothar. „Auf einen Krieg, bei dem es um das Überleben unserer Art geht.“

Arthas schluckte schwer, dann verließ er den Balkon so leise, wie er gekommen war.

Wie Arthas es erwartet hatte, wurde Prinz Varian kurze Zeit später das Gästequartier gezeigt. Terenas persönlich geleitete den Jungen und legte eine Hand auf dessen Schulter. Wenn es ihn überraschte, dass sein Sohn im Gästequartier wartete, dann zeigte er es nicht.

„Arthas. Das hier ist Prinz Varian Wrynn, der zukünftige König von Sturmwind.“

Arthas verneigte sich vor dem Gleichgestellten. „Euer Hoheit“, sagte er förmlich. „Ich heiße Euch in Lordaeron willkommen. Ich wünschte nur, die Umstände wären glücklicher.“

Varian erwiderte die Verneigung höflich. „Wie ich König Terenas bereits sagte, bin ich dankbar für Eure Hilfe und Freundschaft in solch schwierigen Zeiten.“

Seine Stimme klang steif, angespannt, müde. Arthas sah den Umhang, die Tunika und die Hose, die aus Runen- und Magierstoff bestanden und wunderschön bestickt waren. Sie wirkten, als hätte Varian sie sein halbes Leben lang getragen, so schmutzig, wie sie waren. Sein Gesicht war offensichtlich gewaschen, doch es gab Dreckspuren an den Schläfen und unter den Fingernägeln.

„Ich werde ein paar Diener mit ein wenig Essen, Handtüchern, heißem Wasser und einer Wanne schicken, damit Ihr Euch erfrischen könnt, Prinz Varian.“ Terenas verwendete weiterhin den Titel des Jungen. Das würde sich im Laufe der Zeit ändern, doch Arthas wusste, warum sein Vater sich so verhielt. Varian sollte wissen, dass man ihn immer noch respektierte, er immer noch königlich war, obwohl er alles außer seinem Leben verloren hatte.

Varian presste die Lippen zusammen und nickte. „Danke“, sagte er schließlich.

„Arthas, ich gebe ihn in deine Obhut.“ Terenas drückte tröstend Varians Schulter. Dann ging er und schloss die Tür.

Die beiden Jungen musterten sich gegenseitig. Arthas’ Geist war völlig leer. Die Stille zog sich unangenehm lange hin. Schließlich platzte Arthas heraus: „Das mit deinem Vater tut mir leid.“

Varian fuhr zusammen, wandte sich ab und ging zu den großen Fenstern, vor denen sich der Lordameresee ausbreitete. Es hatte zu schneien begonnen, die Flocken sanken langsam zu Boden und bedeckten das Land mit einem weißen Tuch. Das war schade – an einem klaren Tag konnte man bis zur Festung Fenris blicken.

„Danke.“

„Ich bin sicher, er hat bis zum Schluss mutig gekämpft.“

„Er wurde ermordet.“ Varians Stimme war dumpf und emotionslos. Arthas wirbelte herum und blickte ihn schockiert an. Seine Gesichtszüge, die Arthas nun im Profil sah und die durch das kalte Licht des Wintertages erhellt wurden, waren unnatürlich ruhig. Nur seine braunen Augen, blutunterlaufen und voller Schmerz, schienen lebendig. „Eine vertraute Freundin arrangierte ein Treffen mit ihr allein. Dann tötete sie ihn. Stach ihm mitten ins Herz.“

Arthas blickte ihn an. Der Tod in einer glorreichen Schlacht war schon schwer genug zu ertragen, aber dies …

Impulsiv legte er eine Hand auf den Arm des Prinzen. „Ich habe gestern gesehen, wie ein Fohlen geboren wurde“, sagte er. Es klang verrückt, aber es war das Erste, was ihm einfiel, und er sprach mit vollem Ernst. „Wenn das Wetter besser wird, zeige ich es dir. Es ist wirklich eine tolle Sache.“

Varian drehte sich zu ihm um und blickte ihn einen Moment lang an. Gefühle verwandelten sein Gesicht – Beleidigung, Unglaube, Dankbarkeit, Sehnsucht, Verstehen.

Plötzlich füllten sich seine braunen Augen mit Tränen, und Varian sah weg. Er verschränkte die Arme und schlang sie um sich, seine Schultern, zitterte. Er schluchzte und tat sein Bestes, um die Gefühlsaufwallung zu verbergen. Sie brach sich trotzdem Bahn. Es waren schroffe, abgehackte Klagelaute, die um einen Vater trauerten, ein Königreich, eine Lebensart, deren Verlust er vielleicht bis zu diesem Moment noch nicht richtig begriffen hatte. Arthas drückte seine Arme und stellte fest, dass sie sich unter seinen Händen hart wie Stein anfühlten.

„Ich hasse den Winter“, schluchzte Varian. Diese vier Worte zeigten die Tiefe seines Schmerzes – ein scheinbarer Gedankensprung, der Arthas beschämte. Unfähig, solch rohen Schmerz zu erleben, machtlos, etwas dagegen zu tun, ließ er die Hände sinken, wandte sich ab und blickte aus dem Fenster.

Draußen fiel derweil unentwegt der Schnee.

2

Arthas war frustriert.

Nachdem die Kunde von den Orcs eingetroffen war, hatte er geglaubt, endlich mit der richtigen Ausbildung beginnen zu können, und zwar gemeinsam mit seinem neuen besten Freund, Varian. Stattdessen geschah genau das Gegenteil. Der Krieg gegen die Horde führte dazu, dass jeder, der ein Schwert halten konnte, zur Armee ging – bis hin zum obersten Hufschmied. Varian bemitleidete sein jüngeres Gegenüber und bemühte sich eine Zeit lang, ihn zu trösten. Doch schließlich seufzte er und blickte Arthas mitfühlend an.

„Arthas, ich will ja nicht gemein sein, aber …“

„Es ist schrecklich.“

Varian verzog das Gesicht. Die beiden waren in der Waffenhalle, wo sie mit Helmen, ledernen Brustpanzern und Holzschwertern übten. Varian ging zur Ablage, legte das Übungsschwert darauf, setzte den Helm ab und sagte: „Es hat mich ziemlich überrascht, dass du so kräftig und schnell bist.“

Arthas schmollte. Er kannte Varian gut genug, um zu wissen, dass der Prinz die Lage nur entschärfen wollte. Mürrisch folgte er ihm, verstaute sein eigenes Schwert und löste die Riemen der Rüstung.

„In Sturmwind beginnen wir mit der Ausbildung, wenn wir noch recht jung sind. Als ich in deinem Alter war, hatte ich meine eigene Rüstung, die extra für mich angefertigt worden war.“

„Mach’s nur noch schlimmer“, knurrte Arthas.

„Tut mir leid.“ Varian lächelte ihn an, und Arthas lächelte zögernd zurück. Obwohl ihr erstes Treffen von Trauer und Verlegenheit bestimmt gewesen war, hatte Arthas entdeckt, dass Varian über einen starken Willen und ein fröhliches Wesen verfügte. „Ich frage mich, warum dein Vater nicht dasselbe mit dir gemacht hat.“

Arthas wusste es. „Er versucht mich zu beschützen.“

Varian hängte seinen ledernen Brustpanzer auf. „Mein Vater wollte mich auch beschützen. Hat aber nicht geklappt. Ihm sind die Realitäten des Lebens dazwischengekommen.“ Er blickte Arthas an. „Ich habe zwar zu kämpfen gelernt. Aber wie man es anderen beibringt, weiß ich nicht. Ich könnte dich verletzen.“

Arthas errötete. Er wäre nie auf die Idee gekommen, dass Varian ihn verletzen könnte.

Varian schien einzusehen, dass er die Sache so nur verschlimmerte und schlug Arthas auf die Schulter. „Weißt du was? Wenn der Krieg vorbei ist und der passende Ausbilder wieder abgestellt werden kann, werde ich mit König Terenas reden. Und ich bin mir sicher, in kürzester Zeit wirst du mich ungespitzt in den Boden rammen.“

Der Krieg ging schließlich zu Ende, und die Allianz gewann ihn. Der Anführer der Horde, der einst mächtige Orgrim Schicksalshammer, wurde in Ketten zur Hauptstadt gebracht. Sowohl Arthas als auch Varian waren beeindruckt gewesen, den mächtigen Orc durch Lordaeron ziehen zu sehen. Turalyon, der junge Paladin, der Schicksalshammer besiegt hatte, nachdem der Orc zuvor den edlen Anduin Lothar getötet hatte, zeigte Gnade und verschonte die Bestie. Terenas, der im Grunde seines Herzens ein guter Mensch war, setzte diese Haltung fort, indem er Angriffe auf die Kreatur verbot. Spott und Buhrufe waren erlaubt – schließlich war es gut für die Moral, dass der Orc, der sie so lange terrorisiert hatte, jetzt machtlos Hohn ertragen musste. Doch Orgrim Schicksalshammer würde nichts geschehen, solange er sich in Terenas’ Obhut befand.

Es war das einzige Mal gewesen, dass Arthas erlebt hatte, wie Varians Gesicht sich vor Hass verzog. Doch das war nur allzu verständlich, wie er fand. Denn wenn die Orcs Terenas und Uther getötet hätten, hätte auch er diese hässlichen grünen Gestalten angespuckt.

„Er sollte hingerichtet werden“, knurrte Varian, und seine Augen blitzten wütend, als sie von der Brustwehr aus beobachteten, wie Schicksalshammer auf den Palast zumarschierte. „Und ich wünschte, ich dürfte das Todesurteil vollstrecken.“

„Er kommt in die Unterstadt“, sagte Arthas. Die alten königlichen Krypten, Gewölbe, Kanäle und die verwinkelten Gassen tief unter dem Palast waren irgendwie an diesen Beinamen gekommen, als handele es sich dabei um einen ganz anderen Ort. Die Unterstadt, düster, feucht und schmutzig, war nur für Gefangene und Tote bestimmt. Doch die Ärmsten der Armen schienen immer einen Weg dort hinein zu finden. Wenn man obdachlos war, lebte es sich hier immer noch besser, als wenn man den Elementen schutzlos ausgesetzt war. Und wer etwas brauchte, was nicht so ganz legal war, das wusste selbst Arthas, würde es dort bekommen. Ab und zu gingen die Wachen hinunter und versuchten in einem verzweifelten und letztlich nutzlosen Bemühen, aufzuräumen.

„Niemand kommt aus der Unterstadt heraus“, versicherte Arthas seinem Freund. „Er wird als Gefangener sterben.“

„Das ist zu gut für ihn“, sagte Varian. „Turalyon hätte ihn töten sollen, als er die Möglichkeit dazu hatte.“

Varians Worte sollten sich als prophetisch erweisen. Der große Anführer der Orcs war nur scheinbar von Spott und Hass gedemütigt. Wie sich herausstellen sollte, war er alles andere als gebrochen. Eingelullt von seiner Mutlosigkeit, so hatte Arthas es gehört, waren die Wachen lax im Umgang mit ihm geworden. Niemand wusste genau, wie Orgrim Schicksalshammer seine Flucht bewerkstelligt hatte, weil niemand überlebt hatte, um davon berichten zu können. Er hatte jeder Wache, auf die er getroffen war, das Genick gebrochen. Doch es gab eine Spur aus Leichen, darunter Wächter, Arme und Kriminelle – Schicksalshammer machte keinen Unterschied zwischen ihnen –, die von der sperrangelweit offenen Zellentür durch die Unterstadt seinen Fluchtweg nachzeichnete und direkt in die stinkenden Kanäle führte. Schicksalshammer war kurz danach wieder eingefangen und diesmal in ein Internierungslager gesteckt worden. Als er auch von dort wieder fliehen konnte und sich seine Fährte diesmal verlor, wartete die ganze Allianz mit angehaltenem Atem auf einen von ihm organisierten Angriff.

Doch nichts geschah. Entweder war Schicksalshammer bei der Flucht umgekommen, oder sein Kampfgeist war letztlich doch gebrochen worden.

Zwei Jahre waren seitdem vergangen, und nun sah es so aus, als würde das Dunkle Portal, durch das die Horde zum ersten Mal nach Azeroth gekommen war – das Portal, das die Allianz am Ende des Zweiten Krieges geschlossen hatte – erneut geöffnet werden. Arthas war sich nicht sicher, weil niemand ihm auch nur irgendetwas erzählte. Und das, obwohl er eines Tages König werden sollte.

Es war ein schöner Tag, sonnig, klar und warm. Ein Teil von ihm wollte mit seinem neuen Pferd nach draußen, das er Unbesiegbar genannt hatte. Es war das Fohlen, bei dessen Geburt er an dem bitterkalten Wintermorgen vor zwei Jahren dabei gewesen war. Vielleicht würde er das später tun. Doch jetzt führte ihn sein Weg in die Waffenkammer, wo er und Varian geübt und Varian ihn beleidigt hatte. Die Kränkung war unbeabsichtigt geschehen, dennoch schmerzte sie.

Zwei Jahre war das her.

Arthas ging zu dem Gestell mit den hölzernen Übungsschwertern und nahm eins davon in die Hand. Er war jetzt elf Jahre alt und hatte einen „Wachstumsschub“ erlebt, wie sein Kindermädchen es genannt hatte – zumindest hatte sie das gesagt, als er sie das letzte Mal gesehen hatte. Sie hatte geweint, ihn gedrückt und ihn zum „richtigen jungen Mann“ ernannt, der kein Kindermädchen mehr brauchte. Das kleine Schwert, mit dem er als Neunjähriger geübt hatte, war die Waffe eines Kindes gewesen. Er war jetzt wirklich ein richtiger junger Mann, der 1,76 Meter groß war und, wenn man seine Erbanlagen bedachte, noch weiter wachsen würde. Er nahm das Schwert, schwang es hin und her und lächelte plötzlich.

Er trat zu einer der alten Rüstungen und umfasste das Schwert fester. „Ha!“, rief er und wünschte sich, eins dieser scheußlichen grünen Monster, die schon so lange ein Dorn im Auge seines Vaters waren, würde vor ihm stehen. Er richtete sich zu voller Größe auf und berührte mit der Schwertspitze die „Kehle“ der Rüstung.

„Glaubst du, du könntest einfach hier vorbei, du scheußlicher Orc? Du befindest dich auf dem Boden der Allianz! Dieses Mal lasse ich noch Gnade walten. Verschwinde und komm niemals zurück … Wie? Du willst nicht gehen? Ich habe dir deine Chance gegeben, doch nun – kämpfe!“

Er machte einen Ausfallschritt, wie er ihn bei Varian gesehen hatte. Nicht direkt gegen die Rüstung gerichtet, nein, denn das Ding war alt und sehr wertvoll. Stattdessen zielte er direkt daneben. Stoßen, blocken, unter dem Schlag wegducken, das Schwert auf den Körper zubewegen, dann herumwirbeln und …

Er keuchte, als das Schwert ein Eigenleben zu entwickeln schien und durch den Raum flog. Krachend landete es auf dem Marmorboden und schlitterte mit einem schabenden Geräusch darüber, bevor es aufhörte sich zu drehen.

Verdammt! Er blickte zur Tür – genau in das Gesicht von Muradin Bronzebart.

Muradin war der Botschafter der Zwerge in Lordaeron, der Bruder von König Magni Bronzebart und am Hof wegen seiner kameradschaftlichen, geradlinigen Art sehr beliebt. Dabei spielte es keine Rolle, ob es dabei um gutes Bier und Gebäck ging oder um Staatsangelegenheiten. Er galt als ausgezeichneter Krieger, gerissen und wild im Kampf.

Und er hatte gerade gesehen, wie der zukünftige König von Lordaeron versuchte, Orcs zu bekämpfen und dabei sein Schwert quer durch den Raum warf. Arthas spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach, und wusste, dass seine Wangen rotgefärbt waren. Er rang um Fassung.

„Oh … Herr Botschafter … Ich habe gerade …“

Der Zwerg hustete und sah weg. „Ich suche Euren Vater, Junge. Könnt Ihr mir sagen, wo ich da hin muss? Dieser teuflische Bau hat zu viele Gänge und Biegungen.“

Arthas wies stumm auf eine Treppe zu seiner Linken. Er beobachtete, wie der Zwerg ging. Sie wechselten kein weiteres Wort.

Arthas war in seinem ganzen Leben noch nicht so verlegen gewesen. Tränen der Scham brannten in seinen Augen, und er kämpfte mit Macht dagegen an. Er legte das Schwert nicht zurück, sondern verließ augenblicklich den Raum.

Zehn Minuten später war er frei. Er ritt aus den Stallungen und wandte sich nach Osten in Richtung der Hügel von Tirisfal. Er hatte zwei Pferde bei sich, einen freundlichen, älteren Apfelschimmel namens Treuherz, auf dem er saß, und am Zügel führte er das zwei Jahre alte Fohlen Unbesiegbar.

Er hatte das Band zwischen ihnen von dem Moment an gespürt, als ihre Blicke sich getroffen hatten, nur wenige Momente nach der Geburt des Fohlens. Arthas hatte gewusst, dass es sein Pferd sein würde, sein Freund, das große Pferd mit dem großen Herzen, das so sehr ein Teil von ihm war. Sogar noch mehr, als seine Rüstung oder Waffen.

Pferde wie dieses konnten zwanzig Jahre oder länger leben, wenn man sich gut darum kümmerte. Dieses würde ihn treu und anmutig bei Zeremonien und auf den täglichen Ausritten tragen. Es war kein Schlachtross. Die waren eine eigene Rasse, wurden nur für besondere Zwecke in besonderen Zeiten benutzt. Er würde später eins haben, wenn er ins Feld zog. Doch Unbesiegbar würde ein Teil seines Lebens werden. Eigentlich war er das schon.

Das Fell des Hengstes, die Mähne und der Schwanz, bei seiner Geburt grau, waren mittlerweile so weiß wie der Schnee geworden, der den Boden am Tag seiner Geburt bedeckt hatte. Es war eine Farbe, die selbst unter Balnirs Pferden selten vorkam, deren „weiße“ Felle eigentlich meist hellgrau waren. Arthas hatte an Namen wie „Schneefall“ oder „Sternenlicht“ gedacht, doch schließlich war er der Tradition Lordaerons gefolgt und hatte das Pferd nach seinen Eigenschaften benannt. Uthers Pferd hieß „Standhaft“, das von Terenas „Tapfer“.

Und seins hieß „Unbesiegbar“.

Arthas wollte Unbesiegbar unbedingt reiten, doch der Pferdemeister warnte ihn, dass der Zweijährige mindestens noch ein Jahr zu jung sei. „Mit zwei ist er noch ein Baby“, sagte er. „Er wächst noch, seine Knochen bilden sich gerade erst richtig aus. Seid geduldig, Euer Hoheit. Ein weiteres Jahr ist nicht lang für ein Pferd, das Euch zwei Jahrzehnte lang dienen wird.“

Doch es war eine lange Wartezeit. Arthas blickte über die Schulter zu dem Pferd und fand den leichten Galopp langweilig, der das Schnellste zu sein schien, wozu Treuherz in der Lage war. Im Gegensatz zu dem älteren Wallach bewegte sich der Zweijährige, als würde er schweben, ohne die geringste Anstrengung zu zeigen. Seine Ohren waren aufgerichtet, und seine Nüstern schnaubten, als könnte er den Geruch von Tirisfal spüren. Seine Augen leuchteten, und er schien zu drängen: Los doch, Arthas … Dafür wurde ich geboren.

Ein Ritt würde sicherlich nicht schaden. Nur ein leichter Galopp und dann zurück in den Stall, als wäre nichts geschehen.

Er ließ Treuherz Schritt gehen und band die Zügel an einen niedrigen Ast. Unbesiegbar wieherte, als Arthas sich ihm näherte. Der Prinz lächelte. Das samtige weiche Maul strich über seine Handfläche, während er dem Pferd einen Apfel gab. Unbesiegbar war mit dem Sattel vertraut. Das war Teil des langwierigen Prozesses, um das Pferd daran zu gewöhnen, etwas auf seinem Rücken zu haben. Allerdings war ein leerer Sattel etwas ganz anderes als ein lebender Mensch. Doch Arthas hatte viel Zeit mit dem Tier verbracht. Er sandte ein kurzes Gebet zum Himmel und schwang sich dann schnell auf den Rücken des Pferdes, bevor Unbesiegbar einen Schritt zur Seite machen konnte.

Unbesiegbar bäumte sich auf und wieherte wild. Arthas klammerte sich mit den Händen in die drahtige Mähne und hing wie eine Klette mit jedem Zoll seiner langen Beine auf dem Rücken des Tieres. Das Pferd sprang und bockte, doch Arthas blieb darauf sitzen. Er schrie auf, als Unbesiegbar versuchte, ihn abzuwerfen, indem er unter die Äste rannte. Doch Arthas ließ es nicht zu.

Und dann galoppierte Invincible.

Besser gesagt, er flog. Zumindest erschien es dem übermütigen jungen Prinzen so, der sich eng an den Hals des Pferdes presste und breit lächelte. Er war noch nie auf einem derart schnellen Tier geritten, und sein Herz hämmerte vor Erregung. Er versuchte nicht einmal, Unbesiegbar zu kontrollieren, er konnte nur hoffen, im Sattel zu bleiben. Es war herrlich, wild, schön – alles, wovon er je geträumt hatte. Sie würden …

Bevor er begriff, was geschah, flog Arthas durch die Luft und landete hart auf dem grasbedeckten Boden. Für einen langen Moment konnte Arthas durch den Aufprall nicht atmen. Langsam kam er wieder auf die Beine. Sein Körper schmerzte, doch er hatte sich nichts gebrochen.

Doch Unbesiegbar verschwand schnell in der Ferne. Arthas fluchte lautstark, trat gegen einen Erdklumpen und ballte die Hände zu Fäusten. Für den Moment hatte er genug.

Bei seiner Rückkehr wartete Sire Uther auf ihn. Arthas verzog das Gesicht, als er von Treuherz abstieg und die Zügel einem Stallknecht gab.

„Unbesiegbar ist vor Kurzem allein zurückgekommen. Er hatte einen bösen Schnitt am Bein, doch Ihr könnt Euch freuen, der Stallmeister meint, es gehe ihm gut.“

Arthas überlegte, ob er lügen und Uther erzählen sollte, dass sie herumgeritten waren und Unbesiegbar weggelaufen war. Doch durch die Grasflecken auf seiner Kleidung war es offensichtlich, dass er gestürzt war, und Uther würde niemals glauben, dass ein Prinz sich nicht auf dem gutmütigen, alten Treuherz halten konnte.

„Ihr wisst doch, dass Ihr ihn noch nicht reiten sollt,“ fuhr Uther unerbittlich fort.

Arthas seufzte. „Ich weiß.“

„Arthas, versteht Ihr nicht? Wenn Ihr ihn in diesem Alter zu sehr belastet, wird er …“

„Ich habe es verstanden, ja? Ich hätte ihn zum Krüppel machen können. Es war nur dieses eine Mal.“

„Und dabei bleibt es auch?“

„Ja, Sire“, erwiderte Arthas mürrisch.

„Ihr habt Euren Unterricht verpasst. Wieder einmal.“

Arthas war still und blickte Uther nicht an. Er war wütend, beleidigt und verletzt und wünschte sich nichts sehnlicher, als ein heißes Bad und etwas Wilddornrosentee, um seine Schmerzen zu lindern. Sein rechtes Knie begann bereits anzuschwellen.

„Immerhin seid Ihr rechtzeitig zur nachmittäglichen Gebetsstunde zurück.“ Uther musterte ihn von oben bis unten. „Obwohl Ihr Euch noch waschen müsst.“

Arthas war tatsächlich verschwitzt und wusste, dass er extrem nach Pferd stank. Es war ein guter Geruch, fand er. Ein ehrlicher.

„Beeilt Euch. Wir treffen uns in der Kapelle.“

Arthas wusste nicht einmal, worum es in der heutigen Gebetsstunde ging. Er fühlte sich ein wenig schlecht deshalb. Das Licht war sowohl seinem Vater als auch Uther wichtig, und er wusste, wie sehr sich beide wünschten, dass er diese Hingabe teilte. Doch obwohl er die Existenz des Lichts nicht bestreiten konnte – es war zweifellos da, er hatte gesehen, wie Priester und die Paladine des neuen Ordens wahre Wunder der Heilung und des Schutzes gewirkt hatten –, verspürte er nicht den Drang, stundenlang zu meditieren, wie Uther es tat. Oder ehrfürchtig zu beten wie sein Vater. Das Licht war eben einfach … da.

Eine Stunde später, gewaschen und in eleganter Kleidung, eilte Arthas zur kleinen Familienkapelle im königlichen Schlossflügel.

Der Raum war nicht sonderlich groß, doch er war schön. Es war die verkleinerte Version einer traditionellen Kapelle, die man in jeder Stadt der Menschen fand, vielleicht ein wenig großzügiger ausgestattet, was die Details anging. Der Kelch, den man sich teilte, war aus feinem Gold gearbeitet und mit Edelsteinen besetzt. Er stand auf einem antiken Tisch. Selbst die Bänke waren weich gepolstert, während das gemeine Volk auf hartem Holz sitzen musste.

Beim Eintreten erkannte er, dass er der Letzte war – und zuckte zusammen, als ihm einfiel, dass mehrere wichtige Persönlichkeiten seinen Vater besuchten. Neben den üblichen Teilnehmern – seiner Familie, Uther und Muradin – war auch König Trollbann anwesend, obwohl der noch unglücklicher wirkte als Arthas.

Und da war … noch jemand, ein Mädchen, schlank und aufrecht, mit langem blondem Haar, das ihm den Rücken zuwandte. Arthas blickte sie neugierig an und stieß gegen eine der Bänke.

Er hätte genauso gut einen Teller fallen lassen können. Königin Lianne, auch mit Anfang fünfzig noch eine Schönheit, wandte sich bei dem Geräusch um und lächelte ihren Sohn liebevoll an. Ihr Gewand war perfekt arrangiert. Ihr Haar wurde von einem goldenen Reif zurückgehalten, von dem keine einzige Haarsträhne abstand. Calia war vierzehn und wirkte so schlaksig und verspielt, wie Unbesiegbar am Tag seiner Geburt gewesen war. Sie warf ihm einen düsteren Blick zu. Offensichtlich waren seine Missetaten schon bis hierher vorgedrungen – oder sie war wütend, weil er zu spät kam. Terenas nickte ihm zu, dann konzentrierte er sich wieder auf den Bischof, der die Messe zelebrierte. Arthas erschauderte angesichts des stummen Missfallens in dem Blick. Trollbann achtete nicht auf ihn, und Muradin drehte sich ebenfalls nicht um.

Arthas setzte sich auf eine der Bänke, die entlang der Wand standen. Der Bischof begann zu reden und hob die Hände, die von einem sanften weißen Leuchten umgeben waren. Arthas wünschte sich, dass sich das Mädchen umdrehen würde, damit er ihr Gesicht sehen konnte. Wer war sie? Offensichtlich die Tochter eines Adeligen oder jemand von hohem Rang, sonst wäre sie wohl nicht eingeladen worden, am Gebet der Familie teilzunehmen. Er überlegte, wer sie sein konnte. Dabei interessierte er sich mehr für sie als für die Messe.

„… und seine königliche Hoheit, Arthas Menethil“, sprach der Bischof. Arthas richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Gottesdienst und fragte sich, ob er etwas Wichtiges versäumt hatte. „Möge das Licht all seine Gedanken, Worte und Taten segnen, damit er sich wohl entwickle und er ihm als Paladin dienen möge.“

Arthas spürte, wie ihn plötzlich eine beruhigende Wärme durchfloss, als der Segen auf ihn gesprochen wurde. Die Steifheit und die Schmerzen verschwanden, und er war erfrischt und friedvoll.

Der Bischof wandte sich der Königin und der Prinzessin zu. „Möge das Licht auf ihre königliche Majestät, Lianne Menethil scheinen, damit sie …“

Arthas lächelte und wartete darauf, dass der Bischof mit den persönlichen Segnungen zum Ende kam. Dann würde er das Mädchen beim Namen nennen. Arthas lehnte sich gegen die Mauer.

„Und demütig erbitten wir den Segen des Lichts für Lady Jaina Prachtmeer. Möge sie gesegnet sein mit seinem Heil und seiner Weisheit, die sie …“

Aha! Das rätselhafte Mädchen war nicht länger rätselhaft. Jaina Prachtmeer, ein Jahr jünger als er, die Tochter von Admiral Daelin Prachtmeer, dem Seekriegshelden und Herrscher über Kul Tiras. Warum war sie hier?

„ … und dass ihre Studien in Dalaran gut verlaufen. Möge sie eine Abgesandte des Lichts werden und ihrem Volk als Magierin gut und wahrhaftig dienen.“

Das klang logisch. Sie war auf dem Weg nach Dalaran, der schönen Stadt der Magier, die nicht weit von der Hauptstadt entfernt lag. Aufgrund der strengen Regeln der Etikette und Gastfreundschaft in königlichen und adeligen Kreisen war sie ein paar Tage zu Besuch, bevor sie weiterreiste.

Das, überlegte er, könnte spaßig werden.

Am Ende der Messe ging Arthas, der sich ohnehin schon nahe der Tür befand, als Erster hinaus. Muradin und Trollbann kamen nach, beide wirkten erleichtert, dass die Messe vorbei war. Terenas, Uther, Lianne, Calia und Jaina folgten.

Sowohl seine Schwester als auch das Prachtmeermädchen waren beide blond und schlank. Doch damit hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Calia war feingliedrig, mit einem Gesicht wie auf den alten Gemälden und weicher, blasser Haut. Jaina dagegen hatte leuchtende Augen und ein lebhaftes Lächeln, und sie bewegte sich wie jemand, der es gewöhnt war, zu reiten und zu wandern. Sie verbrachte offensichtlich einen großen Teil ihrer Zeit im Freien, weil ihr Gesicht gebräunt war und sie Sommersprossen auf der Nase hatte.

Das, erkannte Arthas, war ein Mädchen, dem es nichts ausmachte, einen Schneeball ins Gesicht zu bekommen oder an einem heißen Tag schwimmen zu gehen. Jemand, mit dem er, anders als mit seiner Schwester, spielen konnte.

„Arthas … auf ein Wort“, erklang eine ruppige Stimme.

Arthas wandte sich um und sah den Botschafter auf sich zukommen.

„Natürlich, Sire“, sagte Arthas, und ihm sank das Herz. Er wollte eigentlich nur mit seiner neuen Freundin plaudern – er war sich bereits sicher, dass sie prächtig miteinander auskommen würden –, und Muradin wollte ihn gewiss für die blamable Vorstellung in der Waffenkammer schelten.

Immerhin war der Zwerg diskret genug, ein paar Schritte mit ihm fortzugehen. Er wandte sich dem Prinzen zu, die knubbeligen Daumen unter den Gürtel gehakt, das schroffe Gesicht gedankenvoll. „Junge“, sagte er. „Ich komme gleich zur Sache. Eure Kampftechnik ist fürchterlich.“

Wieder spürte Arthas, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. „Ich weiß“, sagte er, „doch Vater …“

„Euer Vater hat viele Dinge im Kopf. Womit ich natürlich nichts gegen ihn gesagt haben will.“

Was sollte er antworten? „Nun, ich kann mir ja schlecht das Kämpfen selbst beibringen. Ihr habt gesehen, was geschieht, wenn ich es versuche.“

„Ich kann es Euch beibringen. Wenn Ihr wollt, unterrichte ich Euch.“

„Das … das würdet Ihr tun?“ Arthas konnte es zuerst nicht glauben, dann war er erfreut. Die Zwerge waren neben vielem anderen vor allem für ihr kämpferisches Geschick bekannt. Ein Teil von Arthas fragte sich, ob Muradin ihm wohl auch beibringen würde, wie man einen Bierkrug hielt – eine weitere Spezialität der Zwerge, doch er entschloss sich, lieber nicht danach zu fragen.

„Aye, das hatte ich ja gesagt, oder? Ich habe mit Eurem Vater gesprochen, und er ist einverstanden. Das wurde schon zu lange aufgeschoben. Doch eine Sache sollten wir vorab klären. Ich akzeptiere keine Ausreden und nehme Euch hart ran. Wenn ich jemals zu mir selbst sage: ‚Muradin, du verschwendest nur deine Zeit‘, dann höre ich auf, habt Ihr das verstanden, Junge?“

Arthas unterdrückte ein unpassendes Glucksen, das in ihm aufsteigen wollte, weil jemand, der so viel kleiner war als er, ihn „Junge“ nannte.

„Ja, Sire“, sagte er eifrig.

Muradin nickte und streckte ihm seine große, schwielige Hand entgegen. Arthas schüttelte sie. Lächelnd sah er zu seinem Vater hinüber, der in ein Gespräch mit Uther vertieft war. Wie ein Mann wandten sie sich in diesem Moment jedoch zu ihm um, und beide Augenpaare verengten sich vor Erwartung.

Arthas seufzte innerlich. Er kannte diesen Blick. So viel zum Thema Spielen mit Jaina – vielleicht würde er gar keine Zeit mehr haben, sie zu sehen, bevor sie wieder abreiste.

Er wandte sich Calia zu, die den Arm um die Schulter des jüngeren Mädchens gelegt hatte und Jaina aus dem Raum zog. Doch kurz bevor sie durch die Tür verschwand, wandte Admiral Prachtmeers Tochter ihren blonden Kopf um. Arthas’ Blick traf ihren, und sie lächelte.

3

„Ich bin sehr stolz auf dich, Arthas“, sagte sein Vater. „Solch eine Verantwortung zu übernehmen …“

In der Woche, in der Jaina Prachtmeer zu Gast bei der Menethil-Familie gewesen war, war „Verantwortung“ zum Schlüsselwort geworden. Nicht nur hatte seine Ausbildung bei Muradin begonnen, sie war auch exakt so hart und fordernd, wie der Zwerg es ihm prophezeit hatte. Der Muskelkater und die Prellungen wurden nur noch übertroffen von den schallenden Ohrfeigen, wenn Arthas Muradins Meinung nach nicht genug Acht gab.