Wortlernen mit sozialen Robotern - Nils Frederik Tolksdorf - kostenlos E-Book

Wortlernen mit sozialen Robotern E-Book

Nils Frederik Tolksdorf

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Beschreibung

Die Forschung zum kindlichen Wortlernen hat in den letzten Jahren aufgezeigt, dass der Erwerb eines neuen Wortes durch Prozessualität gekennzeichnet ist. Ein aktuelles Forschungsinteresse richtet sich in diesem Zusammenhang auf die Frage, inwieweit die längerfristigen kontextuellen Gegebenheiten diesen Lernprozess beeinflussen und ob der Erwerbsprozess durch stabile kontextuelle Bedingungen oder durch kontextuelle Variabilität begünstigt wird. Während sich bisherige Arbeiten in dieser Hinsicht vornehmlich auf isolierte Kontextfaktoren konzentrierten, rückt dieser Band die rahmende soziale Handlung und die beteiligten interaktiven Prozesse in den Mittelpunkt. Er zielt darauf ab, die Auswirkungen langfristiger Kontextbedingungen auf das Wortlernen von Vorschulkindern mit sozialen Robotern und menschlichen Interaktionspartnern systematisch zu untersuchen.

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Seitenzahl: 494

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Literacy im Elementar- und Primarbereich

LiEP

Forschungsbeiträge zu Literalität & Literarität

3

Herausgegeben von

Prof. Dr. Iris Kruse (Paderborn)

Prof. Dr. Christiane Miosga (Hannover)

Prof. Dr. Katharina J. Rohlfing (Paderborn)

Prof. Dr. Elvira Topalović (Paderborn)

Wissenschaftlicher Beirat

Prof. Dr. Sandra Ballweg (Paderborn)

Prof. Dr. Tabea Becker (Hannover)

Prof. Dr. Heike Behrens (CH/Basel)

Dr. Kristin Börjesson (Halle)

Prof. Dr. Monika Dannerer (A/Innsbruck)

Prof. Dr. Sara Fürstenau (Hamburg)

Prof. Dr. Petra Gretsch (Freiburg)

Dr. Angela Grimminger (Paderborn)

Prof. Dr. Dieter Isler (CH/Thurgau)

Prof. Dr. Friederike Kern (Bielefeld)

Prof. Dr. Norbert Kruse (Kassel)

Prof. Dr. Daniela Merklinger (Ludwigsburg)

Prof. Dr. Anja Müller (Mainz)

Prof. Dr. Claudia Müller-Brauers (Hannover)

Prof. Dr. Sven Nickel (I/Bozen)

Prof. Dr. Julie A. Panagiotopoulou (Köln)

Prof. Dr. Anke Reichardt (Halle)

Dr. Stefanie K. Sachse (Köln)

Vertr.-Prof. Dr. Lis Schüler (Berlin)

Dr. Jutta Trautwein (Paderborn)

Prof. Dr. Benjamin Uhl (Koblenz)

Prof. Dr. Constanze Weth (LU/Luxemburg)

Prof. Dr. Petra Wieler (Berlin)

Prof. Dr. Anja Wildemann (Landau)

Nils Frederik Tolksdorf

Wortlernen mit sozialenRobotern

Der Einfluss einer systematischen Variation des pragmatischen Rahmens auf das langfristige Lernen morphologisch komplexer Wörter von Vorschulkindern

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

I acknowledge support for the publication costs by the Open Access Publication Fund of Paderborn University.

Nils F. Tolksdorf, Paderborn University, Psycholinguistics (nils.tolksdorf@uni-paderborn.de)

https://orcid.org/0000-0001-6093-1219

DOI: https://doi.org/10.24053/9783381114528

© 2024 · Nils Frederik Tolksdorf

Das Werk ist eine Open Access-Publikation. Es wird unter der Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen | CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, solange Sie die/den ursprünglichen Autor/innen und die Quelle ordentlich nennen, einen Link zur Creative Commons-Lizenz anfügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Werk enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der am Material vermerkten Legende nichts anderes ergibt. In diesen Fällen ist für die oben genannten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG · Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

Internet: www.narr.de

eMail: info@narr.de

ISSN 2751-6547

ISBN 978-3-381-11451-1 (Print)

ISBN 978-3-381-11453-5 (ePub)

Danksagung

Mein besonderer Dank gilt allen Kindern und Eltern, die an der durchgeführten Studie teilgenommen haben. Ohne ihr Interesse und Engagement wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Ebenso danke ich den Betreuerinnen meiner Dissertation, Prof. Dr. Katharina Rohlfing, für ihre stetige inspirierende Unterstützung und Prof. Dr. Kerstin Fischer für ihre entscheidenden Hinweise. Mein Dank erstreckt sich auch auf meine Kolleginnen und Kollegen des SprachSpielLabors der Universität Paderborn für ihre wissenschaftliche und freundschaftliche Unterstützung.

Besonderer Dank gebührt zudem meiner Familie, insbesondere meiner Frau Denise, für ihre Geduld und Unterstützung, sowie meinen Eltern. Schließlich danke ich den Beteiligten des Graduiertenkollegs NRW Digitale Gesellschaft für die Schaffung eines interdisziplinären Forschungsumfelds, das intensive Diskussionen und einen umfangreichen Wissensaustausch förderte.

Der Open-Access-Publikationsfonds der Universität Paderborn unterstützte zudem die Open-Access-Publikation dieser Monographie. Ohne die großzügige finanzielle Unterstützung des Fonds wäre es nicht möglich gewesen, diese Arbeit einem breiteren Publikum frei zugänglich zu machen.

Inhaltsverzeichnis

Danksagung

1Hinführung zum Forschungsgegenstand

1.1Aufbau der Arbeit

2Wortlernen

2.1Zugrunde liegende interaktionistische Perspektive auf den Spracherwerb

2.2Zur Konstitution von Kontext

2.3Klassische Erklärungsansätze des Wortlernens

2.3.1Wortlernen im Lichte einschränkender Prinzipien

2.3.2Sozio-pragmatisches Wortlernen

2.3.2.1Die Rolle gemeinsamer Aufmerksamkeitsbezüge

2.3.3Assoziatives Wortlernen

2.3.3.1Cross-situational learning

2.3.4Synthese aus assoziativem und sozio-pragmatischem Wortlernen? Das Emergent Coalition Model

2.4Interaktionistische Perspektive auf das Wortlernen

2.4.1Die Rolle des pragmatischen Rahmens

2.5Zur Prozesshaftigkeit des Wortlernens

2.5.1Schnelles und langfristiges Wortlernen

2.5.2Enkodierung, Konsolidierung und Abruf: Zur Rolle involvierter Gedächtnisprozesse

2.6Die Rolle kontextueller Rekurrenz und Variabilität im Wortlernprozess

2.6.1Rekurrenz im Wortlernprozess

2.6.2Variabilität im Wortlernprozess

2.6.3A “sweetspot” for contextual variability? Zur Bedeutung einer Kombination aus kontextueller Rekurrenz und Variabilität im Wortlernprozess

2.7Erwerb von Adjektiven und morphologisch komplexen Wörtern

2.7.1Erwerb von Adjektiven

2.7.2Struktur und Erwerb morphologisch-semantisch komplexer Wörter: Komposita

3Kind-Roboter-Interaktionen

3.1Was macht einen sozialen Roboter sozial?

3.2Soziale Roboter zum Zweck des Sprachlernens

3.3Soziale Roboter als methodisches Instrument

4Rekurrenz und Variabilität im Lichte der pragmatic frames

4.1Zielsetzung, Fragestellungen und Hypothesen der Untersuchung

5Forschungsdesign

5.1Erhobene Stichprobe

5.1.1Rekrutierung

5.1.2Ein- und Ausschlusskriterien

5.1.3Stichprobenzusammensetzung

5.1.4Erhobene Sprachmaße

5.1.5Bedingungen und Zuteilung der Versuchspersonen

5.2Untersuchungsdesign und Durchführung

5.2.1Pilotierung

5.2.2Generelles Procedere

5.2.3Aufwärmphase

5.2.4Lernbedingungen: Design und Operationalisierung des pragmatischen Rahmens

5.2.5Testungen zur Erfassung der Lernergebnisse

5.2.5.1Design der Testsituation

5.2.6Design des dialogischen Verhaltens des sozialen Roboters

5.2.7Design der Kontrollbedingung mit einem menschlichen Interaktionspartner

5.2.8Verwendetes Stimilusmaterial

5.3Auswertung der Daten

5.3.1Quantitative Analyse

5.3.1.1Multidimensionale Bewertung der Wortproduktion

5.3.1.2Bewertung der Verstehensleistung

5.3.1.3Statistische Testverfahren und Auswertung

5.3.2Qualitative Analyse

5.3.2.1Entwickeltes Schema der qualitativen Analyse

6Ergebnisse

6.1Deskriptive Statistiken der untersuchten Variablen

6.2Analyse der Daten mittels analytischer Statistik

6.2.1Die Rolle des pragmatischen Rahmens: Befunde und Beobachtungen

6.2.1.1Gruppenvergleich: Retention

6.2.1.2Gruppenvergleich: Generalisierung

6.2.1.3Individuelle Unterschiede im Lichte der Lernbedingungen

6.2.2Weitere explorative Analysen

6.2.2.1Retention und Generalisierung: Zusammenhänge

6.2.2.2Die Rolle der Komplexität der verwendeten Komposita

6.3Qualitative Analyse

6.3.1Verteilung des Antwortverhaltens nach Lernbedingung und Testzeitpunkten

6.3.1.1Antwortverhalten während der Testung der Retention

6.3.1.2Antwortverhalten während der Generalisierungsaufgaben

6.3.2Zur Historie des Antwortverhaltens

6.3.3Exkurs: Probabilistische Betrachtung des Antwortverhaltens

7Diskussion

7.1Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse

7.2Perspektiven auf die Gestaltung des pragmatischen Rahmens

7.2.1Retention der morphologisch komplexen Wörter

7.2.2Generalisierung der morphologisch komplexen Wörter

7.2.3Lernen in verschiedenen Rahmen – zur Rolle individueller Unterschiede

7.3Diversität im referentiellen Verhalten

7.4Soziale Roboter als Partner für komplexes Sprachlernen

7.5Methodische Reflexionen und Limitationen

7.5.1Zur Etablierung einer Routine und ihrer Kontrastierung – eine Reflexion des gestalteten pragmatischen Rahmens

7.5.2Limitationen der untersuchten Stichprobe

7.6Conclusio und Ausblick

Literatur

AErgänzende Tabellen

BStichprobenbeschreibung getrennt nach Bedingung

CTestitems

Register

Kapitel 1

Hinführung zum Forschungsgegenstand

Kinder sind außergewöhnliche Lernende, die die Herausforderung, neue Wörter in sozialer Interaktion zu lernen, mit scheinbar müheloser Leichtigkeit meistern. Die Frage, wie diese bemerkenswerte Errungenschaft im Rahmen eines komplexen Zusammenspiels mit der sozialen und physischen Umwelt gelingt, ist Gegenstand einer andauernden sprachphilosophischen und wissenschaftlichen Debatte, die schon in der Antike begonnen hat und bis heute andauert (Coseriu, 2003, Platon 427-347 v. Chr, Aristotels, 384-322 v. Chr.). Vorherige Forschungsarbeiten haben in dieser Hinsicht demonstriert, dass Kinder eine Vielzahl von Faktoren nutzen, um die Bedeutung eines neuen Wortes zu erschließen, zum Beispiel, indem sie sich auf soziopragmatische Hinweise in einer Interaktion verlassen, die von einem kompetenten Sprecher1 geäußert werden (Baldwin, 1993; Booth, McGregor und Rohlfing, 2008; Bruner, 1983; Rohlfing u. a., 2016; Tomasello, 2003) und es ihnen ermöglichen, ein neues Wort auch nach begrenzter Exposition dem richtigen Referenten zuzuordnen (Carey, 1978; Carey und Bartlett, 1978). Abgesehen von dieser anfänglichen Zuordnung eines neuen Wortes zu seinem Referenten zeigt eine stetig wachsende Evidenz, dass der kindliche Lernprozess eines neuen Wortes als ein Kontinuum zu betrachten ist, an dessen Ende eine robuste Familiarität mit dem Lerngegenstand erreicht werden kann (Horst, 2013; Horst, Parsons und Bryan, 2011; Horst und Samuelson, 2008; McMurray, Horst und Samuelson, 2012; Rohlfing, Ceurremans und Horst, 2017). In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass dieses Kontinuum durch eine Prozesshaftigkeit gekennzeichnet ist, in deren Rahmen ein Kind ein neues Wort graduell und inkrementell erlernt und seine Bedeutung allmählich über mehrere Kontexte hinweg ausbaut (Twomey und Hilton, 2020, p. 2). Ein aktuelles Feld der laufenden Forschung beschäftigt sich vor diesem Hintergrund mit der Frage, ob dieser sukzessive Erwerbsprozess durch eine kontextuelle Wiederholung oder durch kontextuelle Variabilität begünstigt wird, wenn ein Kind einem neuen Wort wiederkehrend begegnet (Goldenberg, Repetti und Sandhofer, 2022; Horst, 2013; Rohlfing, Ceurremans und Horst, 2017; Yu und Smith, 2007; Tippenhauer und Saylor, 2019). Ebenso ist noch weitgehend unbekannt, zu welchem Grad die längerfristigen Kontextbedingungen das Lernen von Wörtern beeinflussen, die morphologisch komplex sind (z.B. Komposita) und eine semantisch-pragmatische Versatilität und Relationalität aufweisen, d.h. Wörter, deren Bedeutung je nach Verwendungskontext stark variieren kann (z.B. Adjektive) (Ninio, 1988; Forbes und Plunkett, 2019; Wagner, Dobkins und Barner, 2013; Booth und Waxman, 2009; Berman, 2009; Nicoladis, 2007).

Die vorliegende Arbeit knüpft an diese offenen Fragen an und möchte sich dem Forschungsgegenstand dezidiert aus einer interaktionistischen Perspektive nähern. Dabei sollen nicht nur aktuelle Diskurse in der Wortlernforschung berücksichtigt werden, die eine überrepräsentierte Fokussierung auf simplizische Nomen (die sich auf konkrete Objekte beziehen) kritisieren (Meylan und Bergelson, 2022), sondern auch zentral der Aspekt aufgegriffen werden, in welcher Form Kontext in bisherigen Untersuchungen konstituiert und experimentell operationalisiert wurde. Denn in dieser Hinsicht ist zu beobachten, dass methodologische Ansätze in der Wortlernforschung häufig dazu tendieren, Kontext primär in dem Sinne zu definieren, dass dieser auf spezifische Faktoren limitiert wird, die im Wesentlichen die Aufmerksamkeit eines Kindes auf den Referenten beeinflussen (z.B. Ferguson, Graf und Waxman (2018), Goldenberg und Sandhofer (2013a), Kucker und Samuelson (2012), Vlach und Sandhofer (2011) und Mather und Plunkett (2012).

Die im Folgenden berichtete Arbeit möchte daher einen Beitrag dazu leisten, die Forschungsperspektive im Bereich des langfristigen Wortlernens zu erweitern und fortzuführen, indem sie im Rahmen der durchgeführten Studie Kontext dezidiert nicht im Sinne isolierter Hinweise betrachtet, die etwa die Wahrnehmung eines Referenten beeinflussen, sondern den Fokus auf das gesamte interaktionale Geschehen verlagert, in das ein spezifisches zu lernendes Wort eingebettet und situiert ist und darüber hinaus einem bestimmten Zweck in der Interaktion dient. Auf diese Weise soll berücksichtigt werden, dass der graduelle Bedeutungsaufbau eines Wortes im Rahmen koordinierter Interaktionen mit dem Interaktionspartner erfolgt und die Interaktionserfahrungen eines Individuums widerspiegelt (Marcos, 1991; Rohlfing u. a., 2016; Behrens, 2009; Fischer, 2015; Baldwin und Moses, 2001; Bruner, 1983).

In diesem Zusammenhang wird in dieser Arbeit zentral auf das von Rohlfing u. a. (2016) eingeführte Konzept der pragmatic frames zurückgegriffen, das es erlaubt, Kontext im Sinne eines interaktionalen Ereignisses zu operationalisieren, indem ebendieses als ko-konstruierte und zielorientierte multimodale Handlungssequenz betrachtet wird. Um vor diesem Hintergrund differenzierte Einblicke in die Rolle von Kontextvariation und -rekurrenz für den langfristigen Wortlernenprozess zu erhalten, wurde in der durchgeführten Studie das morphologisch komplexe Wortlernen von 4- bis 5-jährigen Kindern längsschnittlich untersucht, indem die Interaktionserfahrung systematisch manipuliert wurde und die Versuchspersonen neue Wörter entweder a) wiederholt in einem unveränderten pragmatischen Rahmen lernten oder b) eine Variation des pragmatischen Rahmens erfuhren. In Anlehnung an methodologische Ansätze, in denen computergestützte Modelle zur Modellierung kindlicher Sprachlernprozesse eingesetzt werden (u.a. Twomey u. a. (2016)), und als weiteres Charakteristikum der vorliegenden Arbeit knüpft das Vorhaben darüber hinaus an Ansätze an, in denen der Einsatz eines robotischen Systems als methodisches Instrument in einem experimentellen Setting dazu dient, die kontextuellen Bedingungen einer Interaktion nuanciert zu modifizieren und zu kontrollieren sowie die damit einhergehenden Effekte auf den Interaktionspartner zu untersuchen (Fischer und Prondzinska, 2020; Fischer, 2011; Fischer u. a., 2011a; Fischer u. a., 2011b; Lohan u. a., 2012). Die Durchführung der im Folgenden beschriebenen Arbeit mit dem Titel „Wortlernen mit sozialen Robotern: Der Einfluss einer systematischen Variation des pragmatischen Rahmens auf das langfristige Lernen morphologisch komplexer Wörter von Vorschulkindern” war dabei eingebettet in das übergeordnete Forschungsprojekt „Frühkindlicher Medienumgang und Sprachlernen mit sozialen Robotern zur Förderung von Teilhabechancen in der digitalen Gesellschaft (merits)”, das von der Landesregierung Nordrhein - Westfalen im Rahmen der Förderlinie „Digitale Gesellschaft” gefördert wurde.

1.1Aufbau der Arbeit

Der Aufbau der Publikation gliedert sich übergreifend in vier Teile: Im ersten Teil werden theoretische Grundlagen und empirische Befunde zum kindlichen Wortlernprozess unter besonderer Berücksichtigung der kontextuellen Gegebenheiten und zeitlichen Verläufe vorgestellt sowie Bezüge zur vorliegenden Arbeit hergestellt (vgl. Kapitel 2). Darüber hinaus werden soziale Roboter als soziale Lernpartner und methodisches Instrument eingeführt (vgl. Kapitel 3). Auf Basis dieser theoretischen Auseinandersetzung erfolgt eine rahmende Diskussion der theoretischen Inhalte sowie eine Ableitung der in dieser Arbeit verfolgten Fragestellungen und Zielsetzungen (vgl. Kapitel 4). Im zweiten Teil erfolgt die Darstellung der durchgeführten Untersuchung mit einem dezidierten Fokus auf die Gestaltung des Interaktions- und Dialogdesigns, das der systematischen Etablierung einer zielorientierten Handlungsstruktur diente, in die der kindliche Wortlernprozess morphologisch komplexer Wörter eingebettet war (vgl. Kapitel 5). Des Weiteren werden die entwickelten Ansätze vorgestellt, um das referentielle Verhalten der Kinder sowohl quantitativ als auch qualitativ in einer Weise zu erfassen, welche konsequent über eine dichotome Klassifikation von korrekt und inkorrekt hinausgeht. Der dritte Teil befasst sich mit den Ergebnissen der Untersuchung, die Antworten auf die Fragestellungen der Arbeit liefern, wobei flankierende explorative Analysen zusätzliche Einblicke in den langfristigen morphologisch komplexen Wortlernprozess ermöglichen und Wahrscheinlichkeiten im referentiellen Verhalten der Kinder über die Testzeitpunkte hinweg beleuchten (vgl. Kapitel 6). Der abschließende vierte Teil thematisiert verschiedene potentielle Erklärungsrichtungen für die gewonnenen Ergebnisse, geht auf die sich aus der Untersuchung ergebenden Konsequenzen ein und gibt einen Ausblick auf zukünftige Forschungen auf diesem Gebiet (vgl. Kapitel 7).

Neben diesem Überblick über den Aufbau dieser Arbeit gibt jedes Kapitel zu Beginn einen weiteren detaillierten Überblick über die behandelten Inhalte.

1Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit das generische Maskulinum verwendet, es sind jedoch immer gleichermaßen alle Geschlechter eingeschlossen.

Kapitel 2

Wortlernen

The child is not learning simply what to say but how, where, to whom, and under what circumstances.

Bruner (1990, p. 71)

Vor dem Hintergrund, dass sich die vorliegende Studie mit dem langfristigen, morphologisch komplexen Wortlernen von 4- bis 5-jährigen Kindern befasst und dabei im Vordergrund auf die Rolle des pragmatischen Rahmens eingeht, in welchem der Wortlernprozess situiert ist, soll das folgende Kapitel einen theoretisch-konzeptionellen Einblick in Erklärungsansätze zum Wortlernen geben sowie relevante empirische Befunde thematisieren, die den Prozess des Wortlernens näher beschreiben. Das übergeordnete Ziel dieses Kapitels ist es, zunächst für die Auffassung von Kontext in prominenten Überlegungen und Erklärungen zum Wortlernen zu sensibilisieren und dann die Perspektive auf einen interaktionistischen Ansatz des Wortlernens zu lenken, auf dessen Basis die Prozesshaftigkeit des Wortlernens, die Rolle kontextueller Rekurrenz und Variation sowie das Lernen morphologisch komplexer und semantischpragmatisch versatiler Wörter am Beispiel von Adjektiven näher behandelt werden sollen. Zu Beginn wird dafür eine übergreifende interaktionistische Sicht auf den Spracherwerb skizziert, die einen initialen Ausgangspunkt der Arbeit darstellt (vgl. Kapitel 2.1). Anschließend wird eine erste Eingrenzung des Begriffs des Kontextes angestrebt, die dessen konstituierende Facetten im Zusammenhang des Wortlernens näher aufschlüsselt (vgl. Kapitel 2.2). Auf dieser Basis wird ein Überblick über klassische Erklärungsansätze des Wortlernens dargeboten und die jeweilige Auffassung von Kontext näher skizziert (vgl. Kapitel 2.3). Sodann soll eine interaktionistische Sichtweise auf das Wortlernen und den Kontext vorgestellt werden, die in den Blick nimmt, wie sich das Lernen neuer Wörter im Rahmen von zielorientierten, interaktiven Handlungen vollzieht (vgl. Kapitel 2.4). Im Folgenden soll das Phänomen des Wortlernens weiter vertieft werden, indem die zugrundeliegenden Gedächtnisprozesse herausgearbeitet werden und detailliert der graduelle Charakter des Wortlernprozesses erörtert wird (vgl. Kapitel 2.5). Darauf aufbauend werden zentrale, ausgewählte Befunde vorgestellt, die den Einfluss von kontextueller Rekurrenz und Variabilität im Wortlernprozess thematisieren (vgl. Kapitel 2.6), um schließlich dezidiert auf den Erwerb von semantisch-pragmatisch versatilen und morphologisch komplexen Wörtern einzugehen (vgl. Kapitel 2.7). Dieses Kapitel dient somit als zentrale theoretische Grundlage für die vorliegende Untersuchung, bevor im Folgenden zunächst auf soziale Roboter eingegangen und anschließend die durchgeführte Untersuchung im Detail beschrieben wird.

2.1Zugrunde liegende interaktionistische Perspektive auf den Spracherwerb

Die vergangenen Dekaden haben eine Vielzahl von Positionen und theoretischen Modellen hervorgebracht, die sich allesamt der Frage widmeten, wie ein Kind Sprache und deren Gebrauch in seiner Umwelt erwirbt. Im Mittelpunkt dieser – aus historischer Perspektive erst kürzlich geführten – wissenschaftlichen Debatte stand dabei, ob der Spracherwerb von Kindern auf angeborenen sprachlichen Strukturen basiert oder sich aus kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten des Kindes im Zusammenspiel mit seiner sozialen Umwelt entwickelt. Diese grundlegende Frage, die sich im Kern darum dreht, welche Rolle angeborenen Anlagen und äußeren Faktoren in der Umwelt eines Kindes beigemessen werden, hat eine lebhafte theoretische Diskussion und eine Fülle von empirischen Untersuchungen hervorgerufen, welche die jeweiligen getroffenen Annahmen im Rahmen experimenteller oder naturalistischer Forschungsparadigmen untersuchten. Klassische nativistische Theorien schreiben in diesem Zusammenhang Umwelteinflüssen nur eine geringe Rolle in der Sprachentwicklung zu und betrachten eine modular verarbeitete Entfaltung biologisch angeborener Anlagen als treibende Kraft in der Sprachentwicklung (Chomsky, 1986; Chomsky, 2006; Pinker, 1984; Stromswold, 2000). Klassische epigenetische Erklärungsansätze opponieren hier und stellen die Interaktion des Kindes mit seiner sozialen und physischen Umwelt in den Mittelpunkt (Bates und Goodman, 2001; Bates und MacWhinney, 1987; Tomasello, 2003; Waddington, 1975). Inzwischen ist der wissenschaftliche Diskurs an einem Punkt angelangt, an dem ein Konsens darüber besteht, dass ein Kind über die Fähigkeit verfügt, Sprache zu lernen und damit über eine Sensibilität für Sprache und soziale Signale, wie z.B. das gestische Verhalten eines Interaktionspartners, dessen Blickverhalten oder prosodische Merkmale.

Die vorliegende Arbeit folgt einer interaktionistischen Perspektive auf den Spracherwerb, die sich den epigenetischen Theorien der Sprachentwicklung zuordnen lässt. Dabei folgen interaktionistische Erklärungskonzepte zentral der übergeordneten Prämisse, dass Sprache bzw. sprachliche Bedeutung insofern konstituiert wird, als dies im Rahmen eines interaktiven Prozesses zwischen den Interaktionspartnern geschieht (Heller und Rohlfing, 2017). Dieser soziale, interaktive Prozess zeichnet sich zudem dadurch aus, dass hier wiederkehrende, ko-konstruierte, multimodale Muster geprägt und etabliert werden, die wiederum den Weg für die sprachliche Entwicklung eines Kindes ebnen. Auch wenn an dieser Stelle und im Rahmen dieser Arbeit die einzelnen Ausprägungen nativistischer und epigenetischer Erklärungsansätze sowie die Versuche, eine Synthese aus beiden Positionen zu schaffen, nicht weiter en detail beschrieben werden sollen,1 sei an dieser Stelle expliziert, dass im empirischen Prozess der hier präsentierten Arbeit eine interaktionistische Perspektive als eine Art theoretischkonzeptioneller Wegweiser fungierte. Dieser Aspekt ist nicht zuletzt deshalb hervorzuheben, weil mit einer (unvermeidbaren) theoretischen Verortung bzw. spezifischen theoretischen Perspektivierung auch Implikationen einhergehen, die sich auf den empirischen Prozess einer Untersuchung auswirken, z.B. welche kontextuellen Faktoren in den Fokus einer Analyse rücken (Rohlfing, 2019, p. 14).

2.2Zur Konstitution von Kontext

We should look at the entire situation as constructed by individuals and not at isolated aspects of it.

Rohlfing u. a. (2016, p. 9)

Wortlernen ist ein kontextabhängiger Prozess. Die Exposition gegenüber einem (neuen) Wort ist stets situiert in einen spezifischen Kontext eingebettet und bei der Interpretation der Bedeutung eines neuen Wortes berücksichtigen Kinder den jeweiligen Kontext, in dem es verwendet wird, bzw. in der Vergangenheit verwendet wurde (Rohlfing, Rehm und Goecke, 2003; Rohlfing u. a., 2016). Es ist daher von zentraler Bedeutung, Erkenntnisse über den Einfluss verschiedener Kontextbedingungen auf das Wortlernen von Kindern zu erlangen, da die Art des Kontextes ebenfalls einen entscheidenden Einfluss auf grundlegende Lern- und Gedächtnisprozesse nimmt (Ashworth u. a., 2014; Nelson, 2009b). Im Folgenden soll der Begriff des Kontextes näher definiert und mit der Betrachtung auf das kindliche Wortlernen, wie es in dieser Arbeit adressiert wird, in Einklang gebracht werden. Dies soll zudem eine trennscharfe Perspektive für die folgenden Kapitel eröffnen, welchen kontextuellen Faktoren in verschiedenen theoretischen Konzepten des Wortlernens sowie in der Literatur zur kontextuellen Rekurrenz und Variabilität Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Denn insbesondere die Sichtweise, welchen Kontextfaktoren eine Relevanz im Wortlernprozess zugesprochen wird, hängt stark davon ab, welche theoretische Perspektive auf den kindlichen Wortlernprozess eingenommen wird.

Zunächst ist zu bilanzieren, dass in der Forschungsliteratur zum Wortlernen der Begriff Kontext häufig als Sammelbegriff für eine Vielzahl von Faktoren verwendet wird, die im Zusammenhang mit Verstehens- oder Produktionsprozessen von Wörtern von Bedeutung sind. Dabei ist zu beobachten, dass bei der Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Kontextes oftmals eine simplistische, dichotome Differenzierung vorzufinden ist, die zwischen linguistischen und nicht-linguistischen kontextuellen Faktoren unterscheidet (Ambridge und Lieven, 2011; Bion, 2014; Twomey und Hilton, 2020). Aspekte, wie die umgebende syntaktische Struktur, in der ein neues Wort vorkommt, die Frequenz eines neuen Wortes oder prosodische Eigenschaften werden gewöhnlich dem linguistischen Kontext zugeschrieben, während nicht-linguistische Kontextfaktoren oft synonym mit dem Begriff der Situation verwendet werden und sich auf Aspekte wie die physische Anordnung von Objekten, ihre visuelle Beschaffenheit oder die Art der Aufgabe beziehen.2 In der bisherigen Wortlernforschung hat die konzise Betrachtung individueller Kontextfaktoren linguistischer und nicht-linguistischer Natur vielfältige und grundlegende Erkenntnisse über das frühe Wortlernen erbracht und es den Forschenden ermöglicht, den Einfluss spezifischer Faktoren auf das Wortlernen empirisch zu analysieren – sei es der Einfluss sozio-pragmatischer Hinweise (z.B. Zeigegesten oder das Blickverhalten der Bezugsperson eines Kindes) (Baldwin, 1993; Baldwin und Moses, 2001; Tomasello und Farrar, 1986), das Erkennen von Regularitäten in der Häufigkeit des Vorkommens eines bestimmten Wortes mit einem bestimmten Referenten (Smith und Yu, 2008; Yu und Smith, 2007) oder die Familiarität mit einem Objekt (Diesendruck u. a., 2004; Mather und Plunkett, 2012), respektive die Bedeutung seiner Form (Jones und Smith, 1993; Perry und Horst, 2019). In diesem Zusammenhang hat sich in den vergangenen Dekaden ein Konsens darüber herausgebildet, dass nicht-linguistische und linguistische Faktoren beim Lernen von Wörtern eng miteinander verknüpft sind und im Laufe des Entwicklungsprozesses zusammenwirken (vgl. auch Kapitel 2.3.4). Gleichwohl soll in der vorliegenden Arbeit die Aufmerksamkeit darauf gelenkt werden, dass die bisweilen fragmentierte Adressierung des Kontextbegriffs im Sinne individueller kontextueller Faktoren Limitierungen mit sich bringt, die in der bisherigen Forschung nur geringe Beachtung gefunden haben. So kann einerseits die Tendenz in Studien zum Wortlernen, sich auf einzelne Kontextfaktoren zu konzentrieren, dazu führen, dass die Frage, wie verschiedene Kontextfaktoren beim Wortlernen zusammenwirken oder wie sie von den Kindern abgewogen werden, nicht ausreichend in Betracht gezogen wird. Andererseits ist zu konstatieren, dass das Erlernen eines neuen Wortes teilweise als ein Prozess gesehen wird, bei dem das Kind auf spezifische und unmittelbare kontextuelle Faktoren in seiner Umgebung zurückgreift, um die Bedeutung zu erschließen, woraufhin es als erfolgreich erworben gilt (Ambridge und Lieven, 2011, p. 101), jedoch weniger in den Blick genommen wird, wie Kinder ihr bereits erworbenes Wissen über die Welt und erfahrene kommunikative Handlungen nutzen, um die Bedeutung neuer Wörter zu erschließen und welchen Einfluss die längerfristigen kontextuellen Bedingungen auf den Wortlernprozess haben. Schließlich ist hervorzuheben, dass in Wortlernstudien häufig experimentelle Versuchsaufbauten zum Einsatz kommen, in denen ein Kind isoliert mit unbekannten Objekten und zugehörigen Bezeichnungen konfrontiert wird (siehe bspw. in Twomey, Ranson und Horst (2014) oder (Tippenhauer und Saylor, 2019)), ohne dass es dabei jedoch die Möglichkeit hat, mehr über die Handlung und ihr Ziel zu erfahren. So aufschlussreich und methodologisch erforderlich ein solcher experimenteller Zugang sein kann, um die Auswirkungen spezifischer Kontextfaktoren isoliert zu beleuchten, so kritisch muss die ökologische Validität derartiger Experimente hinterfragt werden, da dabei übersehen wird, dass Kinder im Alltag neuen Wörtern begegnen, die in der Regel in Handlungsroutinen eingebettet sind, in denen nicht nur das spezifische Wort ausgetauscht wird, sondern ebenjenes im Rahmen einer Handlung und einem gemeinsamen Interaktionsziel verwendet wird (Grassmann, 2014; Rohlfing u. a., 2016; Bruner, 1983).

In dieser Arbeit wird der Versuch angestrebt, einige der genannten Limitationen zu adressieren, indem das Verständnis von Kontext nicht auf individuelle Faktoren reduziert wird, sondern ein holistischer Ansatz verfolgt wird, der Wortlernen als einen Akt des kooperativen Austauschs zwischen den Interaktanten auffasst, in dem Wörter gebraucht werden, um gemeinsame Ziele durch Sprache zu erreichen. Im Spezifischen soll sich dem Begriff des Kontextes handlungsorientiert genähert werden, d.h. Kontext wird als interaktive, sequentiell organisierte Struktur aufgefasst, in der es darum geht, Handlungsziele zu erreichen, auf welche die Interaktionspartner kooperativ und interaktiv vor dem Hintergrund einer (gemeinsamen) Interaktionshistorie hinarbeiten (Heller und Rohlfing, 2017; Rohlfing u. a., 2016; Rohlfing und Grimminger, 2019). Dafür wird zudem zentral auf das Konzept der pragmatic frames zurückgegriffen (Rohlfing u. a., 2016) (vgl. auch Kapitel 2.4).

Das beschriebene Verständnis von Kontext trägt überdies dem Umstand Rechnung, dass Wortlernen als situierter Prozess zu betrachten ist. Die hier eingenommene Sicht rekurriert dabei auf eine Perspektive, wie sie von Rohlfing, Rehm und Goecke (2003) vertreten wird. In diesem Zusammenhang und zur weiteren Präzisierung ist es hilfreich, die Begriffe Situation und Kontext terminologisch zu differenzieren: Rohlfing, Rehm und Goecke (2003, p. 3) vertreten die Auffassung, dass eine Situation die räumlich-zeitliche Anordnung von Objekten und Individuen in einem spezifischen Moment beschreibt, während der vorliegende Kontext die rahmende Struktur umfasst, in der bestimmte kommunikative Handlungen und kognitive Operationen der Interaktanten erforderlich sind und/oder erwartet werden sowie miteinander in Beziehung stehen (Rohlfing, Rehm und Goecke, 2003, p. 3). Zur Verdeutlichung ihrer Ansicht führen Rohlfing, Rehm und Goecke (2003, p. 3) exemplarisch den Kontext eines Seminars an, welcher strukturell vorgebe, dass „[a] student at a seminar has to act according to her role […], i.e. she has to be attentive, ask smart questions, and discuss the topic of the seminar. Dancing, singing, or swearing is not expected from her as it is not licensed by the seminar context”. In diesem Sinn könnte ein weiterer beispielhafter Kontext das gemeinsame Anschauen eines Bilderbuchs zwischen einem Kind und seiner Bezugsperson sein, in welchem ebenfalls bestimmte Handlungsmuster, Objekte, interaktive Rollen und Verhaltensnormen vorzufinden sind, in dessen Rahmen ein Kind zudem ein neues Wort mit Bedeutungsinhalten anreichern kann. Die erwähnten Beispiele verdeutlichen darüber hinaus, dass die konkrete Situation, wie z.B. die Art des Bilderbuches oder die räumliche Position der Interaktionspartner, stets in einen spezifischen Kontext eingebettet ist und von diesem beeinflusst und bestimmt wird (Rohlfing, Rehm und Goecke, 2003, p. 3).

Vor diesem Hintergrund kann der einleitende Satz dieses Kapitels, dass Wortlernen ein kontextabhängiger Prozess sei, dahingehend präzisiert werden, dass das Lernen eines neuen Wortes in interaktive, zielgerichtete Handlungsstrukturen eingebettet ist, die ein koordiniertes Zusammenspiel von Interaktionspartnern, Situation und Kontext widerspiegeln (Bruner, 1983; Rohlfing, 2006; Rohlfing, Rehm und Goecke, 2003; Rohlfing u. a., 2016). Die Erfahrung und das Wissen eines Kindes über verschiedene Kontexte und Situationen, bzw. die Etablierung von Routinen sind daher von zentraler Bedeutung, denn ein neues Wort, wie z.B. ein Adjektiv, das eine besondere Eigenschaft eines Objektes aufgreift, wird in einem entsprechenden Kontext nicht um seiner selbst Willen gebraucht, sondern weil es in der Interaktion einen bestimmten Zweck erfüllt, der dem Wort seine Bedeutung verleiht (Bruner, 1983; Rohlfing u. a., 2016; Sonne, Kingo und Krøjgaard, 2023; Wittgenstein, 1953). Ferner bekräftigt diese Perspektive auf den Kontext einerseits den graduellen Charakter des Wortlernens und unterstreicht andererseits zugleich die Relevanz kontextueller Rekurrenz und Variation, da die erfahrenen kontextuellen Begebenheiten einem Kind einen Erfahrungsschatz bieten und eine Interaktionshistorie formen, vor deren Hintergrund ein neues Wort gebraucht wird und dessen Bedeutung ausgebaut werden kann (Marcos, 1991; Rohlfing u. a., 2016; Behrens, 2009; Fischer, 2015).

2.3Klassische Erklärungsansätze des Wortlernens

Wie erkennen Kinder, auf welche Entität sich ein neues Wort in ihrer Umwelt bezieht? Diese wesentliche Aufgabe im Wortlernprozess steht häufig im Mittelpunkt verschiedener Erklärungsansätze zum Wortlernen und dreht sich um das sogenannte Referenzproblem (Quine, 1960), das im Kern die Herausforderung aufgreift, wie die Referenz eines neu angebotenen Wortes erschlossen werden kann. Um die Komplexität zu illustrieren, die dieser scheinbar einfach zu erreichenden Aufgabe inhärent ist, werden in der einschlägigen Forschungsliteratur oftmals Beispiele herangezogen, die eine alltägliche Situation beschreiben, in der etwa die Bezugsperson eines Kindes ein Wort produziert (z.B. „Auto“) und dabei auf die entsprechende Referenz, bzw. das Denotat des Objektes zeigt (z.B. ein vorbeifahrendes Auto) (Ambridge und Lieven, 2011; Frank, Goodman und Tenenbaum, 2009; Kauschke, 2012; Quine, 1960). Ein Vorteil dieser exemplarisch skizzierten Ausgangssituation ist es, dass sogleich mehrere Problematiken offensichtlich werden, die dem Kind in dieser Situation begegnen: Zum einen erläuterte der Philosoph Willard Quine bereits 1960, dass ein produziertes Wort, wie bspw. Auto – um bei dem verwendeten Beispiel zu bleiben – prinzipiell auf eine Vielzahl von Bedeutungen referieren kann (Quine, 1960). So könnte etwa Auto ebenso eine Eigenschaft oder einen Teil eines Autos bezeichnen (bspw. die Farbe des Autos oder entsprechende Meronyme, wie Fahrertür oder Anhängerkupplung). Auto könnte aber auch auf einen Objektnamen mit einem anderen Grad an Spezifität referieren, etwa auf den Oberbegriff Fahrzeug oder das Hyponym Cabriolet. Ferner wäre es auch möglich, dass das produzierte Wort auf eine Handlung referiert, bspw. fahren, anhalten oder abbiegen. Schließlich – um den Sachverhalt noch weiter zu verkomplizieren – wäre es außerdem möglich, dass die Bezugsperson auf eine Handlung referiert, die die Interaktionspartner selbst betrifft (z.B. schau!, stehenbleiben!) oder auf etwas, was gar nicht im Zusammenhang mit dem Objekt Auto steht (z.B. schöner Tag oder Straßenkreuzung). Zum anderen stellen Tomasello und Haberl (2003) fest, dass sich vor diesem Hintergrund ein weiteres Problem der Referenzauflösung offenbart, nämlich dass das Lernen von bestimmten Nomen, wie bspw. Abstrakta (z.B. Barmherzigkeit) und anderen Wortarten, wie etwa Präpositionen (z.B. unter) oder Artikeln (z.B. die) im skizzierten Kontext schwer vorstellbar erscheint (siehe auch Tomasello (2003)).

Die Debatte darum, wie es einem Kind nun gelingt, die Bedeutung zwischen einem neuen Wort und seiner Referenz zu erschließen, die referentielle Ambiguität aufzulösen sowie diese Bedeutung über die Zeit hinweg zu behalten und das Wissen in anderen Kontexten zu gebrauchen, hat in der Vergangenheit verschiedene zu charakterisierende Strömungen hervorgebracht, die im Folgenden vorgestellt werden sollen. Diese theoretischen Ansätze unterscheiden sich im Wesentlichen darin, inwieweit präsupponiert wird, wie umfangreich und spezifisch die Vorkenntnisse sind, die ein Kind in eine Wortlernsituation einbringt, wie sich diese Kenntnisse entwickeln oder ob Wortbedeutungen stärker in einem sozialen, interaktiven Prozess erworben werden. Vor dem Hintergrund, dass sich die vorliegende Arbeit mit der übergreifenden Frage beschäftigt, ob das langfristige Wortlernen durch kontextuelle Rekurrenz oder kontextuelle Variabilität unterstützt wird, ist eine Thematisierung der verschiedenen theoretischen Ansätze unerlässlich, da der gegebene Überblick eine Grundlage für die nachfolgenden Kapitel bietet, aus welcher theoretischen Perspektive der Forschungsgegenstand des langfristigen Wortlernens in Abhängigkeit der kontextuellen Bedingungen betrachtet wurde und wie die Operationalisierung von Kontext in den empirischen Untersuchungen erfolgte. In diesem Sinne soll der Überblick eine Einordnung ermöglichen, in welcher theoretischen Tradition die Forschungsarbeiten stehen, die sich bisher der Frage gewidmet haben, ob der kindliche Wortlernprozess durch kontextuelle Rekurrenz oder durch kontextuelle Variabilität begünstigt wird.

Die in den Erklärungsansätzen vorhandenen unterschiedlichen Nuancierungen und Fokussierungen von Kontext – wie im Folgenden deutlich werden wird – sollen darüber hinaus durch prägnante Resümee-Boxen begleitet werden.

2.3.1Wortlernen im Lichte einschränkender Prinzipien

The lexical constraint account proposes that word learners are naturally equipped with lexical assumptions that constrain the possible meanings of given words.

Kobayashi, Yasuda und Liszkowski (2022, p. 1)

In der Forschungsliteratur wird unter dem Begriff der einschränkenden Prinzipien (engl.: lexical-constraints oder lexical-principles) eine theoretisch- konzeptionelle Perspektive gefasst, welche die Erklärung vorschlägt, dass ein Kind im Prozess des Bedeutungserwerbs auf ein Repertoire von Strategien zurückgreift bzw. mit spezifischen Prinzipien operiert, die die Anzahl möglicher Bedeutungen eines Referenten reduzieren (Markman, 1990; Markman, Wasow und Hansen, 2003; Markman und Wachtel, 1988; Merriman, Bowman und MacWhinney, 1989; Mervis und Bertrand, 1994). Ambridge und Lieven (2011, p. 61) konstatieren in diesem Zusammenhang pointiert, dass dem Ansatz der einschränkenden Prinzipien nach, Worlernen durch eine Reihe von “default assumptions” (dt.: Standardannahmen) geleitet werde, d.h., dass Kinder über Neigungen verfügen, welche die Hypothesen über die Zuordnung von Referent und Wort gewichten. Markman (1990), eine klassische Vertreterin dieses Ansatzes, formulierte drei zentrale Prinzipien, welche im Folgenden näher beschrieben werden. Es sei an dieser Stelle bereits darauf hingewiesen, dass neuere Forschungsarbeiten die Annahme unterstützen, dass die vorgeschlagenen Prinzipien sich emergent im Rahmen gezielter Interaktionen mit der Bezugsperson entwickeln und sich im Zuge der linguistischen und kognitiven Entwicklung etablieren (Rohlfing, 2019; Thom und Sandhofer, 2009, p. 159). In diesem Zusammenhang treten sie als herausgebildete kognitive Operationen in Erscheinung, die ein schnelleres Lernen ermöglichen - nicht aber, wie ursprünglich angenommen, als prädisponiertes Wissen, das Kinder von Anfang an in eine Wortlernsituation mitbringen (Hollich u. a., 2000; Samuelson und McMurray, 2017).

•Das Ausschließlichkeitsprinzip. Die Relevanz eines Ausschließlichkeitsprinzips (engl. auch mutual exclusivity) wird an Beobachtungen festgemacht, denen zufolge Kinder dem Prinzip folgen, dass Benennungen sich gegenseitig ausschließen und zwei Wörter sich nicht auf das gleiche Objekt beziehen. (Hollich u. a., 2000; Woodward und Markman, 1998). Demnach tendiert ein Kind dazu, nur ein Wort mit einem Objekt oder Ereignis zu verbinden und infolgedessen die Bezugnahme auf ein familiäres Objekt auszuschließen, wodurch gleichzeitig eine lexikalische Überlappung vermieden wird (Rohlfing, 2019, p. 160). Die Annahme des Ausschließlichkeitsprinzips wurde klassischerweise im Rahmen einer Studie von Markman und Wachtel (1988) untersucht, in welcher die Autoren zweijährigen Kindern Bilder von Paaren von Objekten zeigten und diese benannten. Entscheidend war, dass jeweils ein Objektname den Kindern bereits bekannt war. Es zeigte sich, dass die Kinder das neue Wort zuverlässig mit dem zuvor unbekannten Objekt und nicht mit dem vertrauten Objekt in Verbindung brachten (Markman und Wachtel, 1988). Die Autoren interpretierten die Ergebnisse so, dass die Kinder in dieser Situation auf ein Ausschließlichkeitsprinzip zurückgreifen. In einer nachfolgenden Studie mit einem vergleichbaren experimentellen Procedere replizierten Markman und Wachtel (1989) die Ergebnisse zudem mit vierjährigen Kindern.

An dem vorgeschlagenen Ausschließlichkeitsprinzip wird allerdings kritisiert, dass dieses vermutlich nur eine Strategie darstellt, auf welche Kinder in spezifischen Situationen zurückgreifen. So demonstrieren andere Befunde, dass Kinder im Alter von zwei und drei Jahren häufig das Ausschließlichkeitsprinzip verletzen und durchaus dazu in der Lage sind, mehrere Namen für ein Objekt zu akzeptieren (Mervis und Bertrand, 1994; Deák und Maratsos, 1998; Blewitt, 1994; Clark und Svaib, 1997). Ein Kind billigt bspw., dass ein Eisbär auch mit einem Eigennamen (bspw. Knut) bezeichnet werden kann oder etwa mit dem Oberbegriff Tier. Darüber hinaus konnte experimentell nachgewiesen werden, dass bei Vorschulkindern ein Verständnis darüber vorhanden ist, dass Sprechende unterschiedlicher Sprachen sich mit unterschiedlichen Wörtern auf denselben Referenten beziehen können (Au und Glusman, 1990) und diese Sensibilität bereits einen frühen Entwicklungsursprung in der Kindheit aufweist (Henderson und Scott, 2015).

•Das Prinzip des ganzen Objektes. Im Zuge des Referenzprozesses nehmen Kinder häufig an, dass Wörter sich auf ganze Objekte (bspw. Bär) und nicht auf spezifische Teile (bspw. Pfote) von Objekten beziehen. Dieses Prinzip des ganzen Objektes wurde von Markman und Wachtel (1988) vorgeschlagen, nachdem die Autorinnen folgendes Experiment durchgeführt hatten: In dem Versuchsaufbau wurden 3- und 4-jährigen Kindern zunächst in einer Lernphase unbekannte Objekte gezeigt (zum Beispiel eine Abbildung einer Lunge), woraufhin die Experimentatorin die Kinder in einer anschließenden Phase aufforderte, sich zu entscheiden, ob sich das Wort Lunge auf das ganze Objekt oder einzelnen Teile bezieht. Dabei umkreiste sie mit einer Zeigegeste entweder das ganze Objekt oder sie zeigte auf einen spezifischen Teil (in dem Fall auf die Luftröhre). In vier von fünf Fällen wählten die Kinder das ganze Objekt, was die Autorinnen zu der Annahme führte, dass Kinder beim Auflösen der Referenz dazu tendieren, auf ein Prinzip des ganzen Objektes zurückzugreifen (Markman und Wachtel, 1988).

•Das Taxonomieprinzip. Die Annahme eines Taxonomieprinzips geht zurück auf Befunde von Markman und Hutchinson (1984) zurück, die zeigen, dass bei Kindern eine Neigung vorhanden zu sein scheint, ein Wort auf eine Klasse von Objekten zu beziehen, die in einer Weise taxonomische Bezüge aufweisen. Dieser Punkt tangiert den zentralen Aspekt des Wortlernens, nämlich dass das Kind erkennen muss, dass sich ein bestimmtes Wort auf mehrere Exemplare einer Kategorie beziehen kann.3 Das Taxonomieprinzip besagt in diesem Zusammenhang, dass ein Kind bei der Herausforderung der Generalisierung des Wortwissens taxonomisch relatierte Objekte bevorzugt (Markman und Hutchinson, 1984). Ausgangspunkt für diese Annahme bildete ein Experiment mit einem Versuchsaufbau, bei dem zwei- und dreijährige Kinder mit einer Handpuppe interagierten: In dieser Interaktion benannte eine Handpuppe den Kindern bekannte Objekte (z.B. Polizeiauto) mit unbekannten Pseudowörtern (z.B. Sud). Anschließend erhielten die Kinder die Aufforderung „Finde einen anderen Sud, der genauso ist wie dieser Sud“. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Kinder in dieser Situation in 80 % der Fälle für das taxonomisch relatierte Objekt, z.B. ein normales Auto, entschieden und ein thematisch relatiertes Objekt (z.B. eine Figur eines Polizisten) außer Acht ließen (Markman und Hutchinson, 1984). Eine weitere Bedingung im Rahmen der Studie offenbarte zudem, dass sich die Kinder wiederum in gleichem Maße an thematischen oder taxonomischen Bezügen orientierten, wenn kein neues Wort genannt wurde und ihnen z.B. das Polizeiauto gezeigt wurde, verbunden mit der Aufforderung „Finde ein gleiches wie das“. In dieser Situation wählten die Kinder auf vergleichbarem Niveau das taxonomisch (normales Auto) oder thematisch (Figur eines Polizisten) relatierte Objekt. Markman und Hutchinson (1984) erachten dieses beobachtete Verhalten als Evidenz, dass Kinder bei der Auflösung der Referenz, auf ein taxonomisches Prinzip zurückgreifen, welches sie dazu motiviert, ein unfamiliäres Wort mit einem Objekt mit taxonomischen Bezügen zu verknüpfen und alternative Interpretationen auszuschließen. Ein dem Taxonomieprinzip entsprechendes Verhalten konnte zudem in nachfolgenden Studien bei Kindern bis ins beginnende Schulalter nachgewiesen werden (Booth und Waxman, 2002; Booth und Waxman, 2003), obgleich in der Forschungsliteratur kritisch diskutiert wird, welche Ursache dem beobachteten Effekt zugrunde liegt. So deuten Befunde darauf hin, dass Kinder vielmehr Wörter auf eine Klasse von Objekten beziehen, welche eine gemeinsame Funktion teilen (Booth und Waxman, 2009) oder vielmehr die Form eines Objektes ausschlaggebend ist (Baldwin, 1993; Imai, Gentner und Uchida, 1994). Der letztere Aspekt soll im Folgenden näher beschrieben werden.

•Das Prinzip des Formmerkmals. Entgegen der Annahme von Markman und Hutchinson (1984), dass ein Kind, wenn es ein neues Wort hört, dieses aufgrund bestimmter taxonomischer Relate (z.B. Farbe oder Textur) einer Klasse von Objekten zuordnet, vermuten Jones und Smith (1993), dass vielmehr die Form eines Objektes entscheidend ist. Demnach ordnen Kinder ein Objekt aufgrund seiner Form einer bestimmten Kategorie zu (engl. auch shape bias) (Jones und Smith, 1993). Perry und Horst (2019) präzisieren an dieser Stelle, dass sich die Neigung des Formmerkmals im Zuge der frühen Wortschatzentwicklung eines Kindes und der damit verbundenen Regularitäten etabliert. So beziehen sich die meisten Wörter, die Kinder früh lernen, auf Objekte in Kategorien, die nach einer Ähnlichkeit der Form geordnet sind – wenn Kinder dann mehr über einzelne Kategorien lernen, die in der Regel nach Formähnlichkeit organisiert sind, entwickelt sich ein Prinzip des Formmerkmals, wodurch nach diesem Prinzip handelnde Kinder dazu tendieren, Wörter im Allgemeinen auf Kategorien zu beziehen, die nach Form organisiert sind (Samuelson und Smith, 1999; Smith u. a., 2002; Perry u. a., 2010).

•Das Prinzip der Neuigkeit. Verschiedene Forschungsarbeiten zeigen, dass in Situationen, in welchen Kinder vor die Herausforderung gestellt sind, den Referenten eines neuen Wortes aus einer Reihe an bekannten und einem neuen Objekt auszuwählen, sie zuverlässig das neue Objekt als Referenten auswählen (siehe etwa (Diesendruck u. a., 2004; Merriman, Marazita und Jarvis, 1995; Mather und Plunkett, 2012)). Im Einklang mit den im Vorherigen beschriebenen Effekten könnte zunächst angenommen werden, dass ein Kind im skizzierten Fall ganz im Sinne des von Markman und Wachtel postulierten Ausschließlichkeitsprinzips handelt (Markman und Wachtel, 1988). Neuere Forschungsarbeiten unterstützen jedoch eine alternative Erklärung und erachten den Grad der Neuheit eines Objektes als einen ausschlaggebenden Faktor im Referenzprozess (Bion, Borovsky und Fernald, 2013; Mather und Plunkett, 2012; Merriman, Marazita und Jarvis, 1995). So führten Horst u. a. (2011) eine Studie durch, in welcher zweijährige Kinder für eine Zeit von zwei Minuten unbekannte Objekte explorierten und dann aufgefordert wurden, den Referenten eines neuen Wortes aus einer Reihe von zwei zuvor gesehenen neuen Objekten und einem einzigen „superneuen“ Objekt zu bestimmen. Keines der Objekte war zuvor benannt worden, so dass die Kinder im Rahmen der Aufgabe nicht auf das Ausschließlichkeitsprinzip zurückgreifen konnten. Interessanterweise wählten die Kinder mit signifikant höherer Wahrscheinlichkeit das superneue Objekt (Horst u. a., 2011). Aus dieser Beobachtung schlossen die Autorinnen, dass Kinder also weniger eine ausgebildete Neigung aufweisen, ein Wort nur mit einem Objekt oder Ereignis zu verbinden (im Sinne des Ausschließlichkeitsprinzips), sondern dass das kindliche Verhalten in dieser Situation eher auf eine endogene Neigung gegenüber Neuem zurückzuführen ist (Horst u. a., 2011). In einer Replikation der Studie von Horst u. a. (2011) konnte der Effekt zudem bei drei- und vierjährigen Kindern bestätigt werden – sowohl bei neuen Objekten als auch bei neuen Handlungen (Dysart, Mather und Riggs, 2016).

Zusammengefasst zeigt sich, dass die theoretische Perspektive der einschränkenden Prinzipien eine einschlägige Erklärung bietet, dass Kinder beim Wortlernen situativ auf spezifische Annahmen zurückgreifen, die ihnen dabei helfen können, die Referenz eines Wortes aufzulösen und den lexikalischen Erwerb zu beschleunigen (Golinkoff, Mervis und Hirsh-Pasek, 1994). Zugleich repräsentiert eben diese Spezifität der Annahmen aber auch einen der prominentesten Kritikpunkte dieser theoretischen Sichtweise und verdeutlicht, dass durch die einschränkenden Prinzipien der Worterwerb nicht vollständig erklärt werden kann (Golinkoff, Mervis und Hirsh-Pasek, 1994; Samuelson und McMurray, 2017). So bezieht sich die Kritik vor allem darauf, dass es sich bei den einschränkenden Prinzipien um spezialisierte Strategien handelt, die – angesichts ihrer häufigen Verletzung (vgl. z.B. Bloom, Tinker und Margulis (1993) oder Nelson, Hampson und Shaw (1993)) – beim Wortlernen nur in sehr spezifischen Situationen zur Anwendung kommen würden (Ambridge und Lieven, 2011; Samuelson und McMurray, 2017; Szagun, 2019). In diesem Zusammenhang merkt Rohlfing an, dass Kinder beim Prozess des Wortlernens auch auf andere Informationsquellen zurückgreifen müssten (Rohlfing, 2019, p. 162) – ein Aspekt, der von Befürwortern der einschränkenden Prinzipien in späteren Arbeiten anerkannt wird: So präzisieren Markman und Kollegen, dass die einschränkenden Prinzipien einem Kind als eine erste Vermutung dienen und dabei unterstützen, mögliche Bedeutungen eines Referenten in Ermangelung anderer Informationsquellen zu reduzieren (Markman, Wasow und Hansen, 2003, p. 242).

Kontext vor dem Hintergrund der einschränkenden Prinzipien

Es ist festzuhalten, dass der Erklärungsansatz der einschränkenden Prinzipien vor allem eine Erklärung für die initiale Verknüpfung von Wortform und Referent liefert, d.h. die initiale Wort-Objekt-Beziehung fokussiert und damit einen, wenn auch entscheidenden Teil des Wortlernens adressiert (Munro u. a., 2012). Das Verständnis von Kontext ist in diesem Erklärungsansatz jedoch primär auf wenige (statische) Standardannahmen limitiert, die ein Kind bei der Begegnung mit einem neuen Wort anwendet, wobei im Wesentlichen die situativen Eigenschaften von Objekten (z.B. perzeptuelle Eigenschaften wie die Form oder die Neuheit eines Objektes) in den Blick genommen werden. Andere Aspekte werden in diesem Zusammenhang weitgehend ausgeblendet. Insbesondere die Rolle des breiteren, rahmenden Kontextes, in dem ein Kind mit einer Bezugsperson interaktiv die Referenz aushandelt und in den etwa die Exposition eines Objektes eingebettet ist, wird ignoriert. Als Konsequenz hieraus erweisen sich die einschränkenden Prinzipien auch nur als bedingt nützlich, um das Lernen anderer Wortarten wie Verben oder Adjektive zu erklären, deren Bedeutung je nach Verwendungskontext stark variieren kann (Childers u. a., 2017, p. 809).

2.3.2Sozio-pragmatisches Wortlernen

In social-pragmatic view, […] children acquire linguistic symbols as a kind of by-product of social interactions with adults, in much the same way they learn many other cultural conventions.

Tomasello (2000, p. 90)

Klassische Ansätze des sozio-pragmatisch geleiteten Lernens betrachten den Wortlernprozess eines Kindes als einen kulturellen Lernprozess, in welchem es die Ziele und Intentionen seiner Bezugsperson innerhalb der sozialen Umwelt erkennt und auf dieser Grundlage Inferenzen darüber anstellt, welche Bedeutung ein Wort trägt, das von einem Interaktionspartner geäußert wurde (Tomasello, 2003; Tomasello und Farrar, 1986; Nelson, Hampson und Shaw, 1993; Baldwin und Moses, 2001; Bruner, 1978). Im Spezifischen betten sozio-pragmatische Erklärungsansätze den Wortlernprozess in einen sozialen Handlungskontext ein, in welchem das Kind die Referenz eines Wortes erschließt, indem es verschiedene situative Gegebenheiten wie das multimodale Verhalten des Interaktionspartners (z.B. Blicke, Gesten, Intonation etc.) und dessen kommunikative Ziele und Intentionen berücksichtigt und interpretiert (Carpenter u. a., 1998; Grassmann, 2014; Akhtar, Carpenter und Tomasello, 1996). Somit betont diese Erklärungsrichtung, dass sich die Bedeutung eines Wortes situativ im Rahmen der sozialen und sprachlichen Interaktion konstituiert, in welcher sich ein Kind und die Bezugsperson gerade befinden (Kauschke, 2012, p. 68). Die soziale Interaktion zwischen einem Kind und einem Erwachsenen wird damit ins Zentrum gerückt und dient einem Kind als entscheidende Informationsquelle beim Erwerbsprozess neuer Wörter.

Im Kontrast zur theoretischen Perspektive der einschränkenden Prinzipien greifen sozio-pragmatische Erklärungsansätze folglich den Umstand auf, dass Kinder neuen Wörtern typischerweise in einem sozial-kommunikativen Kontext begegnen und dabei sensibel gegenüber sozialen Signalen sind sowie auf ihre eigenen sozio-pragmatischen Fähigkeiten zurückgreifen (Akhtar, Carpenter und Tomasello, 1996; Carpenter u. a., 1998; Tomasello, 2001). Diese theoretische Sichtweise knüpft damit an Befunde an, die zeigen, dass Kinder schon früh die referentiellen Absichten ihres Gegenübers deuten und in dem Alter, wenn sie ihre ersten Worte sprechen, bereits fortgeschrittene (nonverbale) Kommunikationspartner sind, die deiktische und ikonische Gesten, Gesichtsausdrücke sowie Lautäußerungen – sowohl allein als auch in Kombination – zur Kommunikation mit ihren Bezugspersonen einsetzen (Acredolo und Goodwyn, 1988; Liszkowski, 2014; Grassmann, 2014). Demzufolge kennzeichnet den Referenzprozess vor allem die gemeinsame soziale Handlung der Interaktionspartner, deren kontextuelle Charakteristika einschränken, was ein Wort bedeuten kann (Bruner, 1978; Nelson, Hampson und Shaw, 1993; Tomasello und Rakoczy, 2003).

2.3.2.1Die Rolle gemeinsamer Aufmerksamkeitsbezüge

Ansätze des sozio-pragmatisch geleiteten Wortlernens schreiben der Etablierung gemeinsamer Aufmerksamkeitsbezüge eine entscheidende Bedeutung zu (engl.: joint attention) (Akhtar, 2005; Tomasello, 2008; Tomasello und Rakoczy, 2003). Bezogen auf das Wortlernen betrifft dies insbesondere die Koordination der Aufmerksamkeit der Interaktionspartner in triadischen Interaktionen, z.B. zwischen Kind und Bezugsperson koordiniert auf ein Objekt. In solch einer triadischen Interaktion wenden sich beide Interaktionspartner einem Referenten zu, um über ein entsprechendes Objekt zu kommunizieren, wodurch in Konsequenz dessen eine Etablierung einer geteilten Referenz ermöglicht wird (Rohlfing, 2019: 106). Die gemeinsame Beteiligung der Interaktionspartner an der Interaktion ist dabei jedoch nicht nur auf den gemeinsamen (visuellen) Aufmerksamkeitsfokus limitiert, sondern beinhaltet auch eine kognitive Komponente in Form eines gemeinsamen mentalen Fokus (Rohlfing, 2019, p. 106), was insbesondere dann von Bedeutung ist, wenn z.B. ein Objekt oder Ereignis im gegebenen Kontext nicht präsent ist (Tomasello und Kruger, 1992). In Anlehnung an Hubley und Trevarthen (1979) spricht Sinha (2004, p. 228) in diesem Zusammenhang von einem referentiellen Dreieck (engl.: “referential triangle”), welches den Grundstein für die Etablierung von Intersubjektivität lege sowie ein essentielles Kriterium des Symbolgebrauchs darstelle.

Im Bereich des Wortlernens wird die Bedeutung gemeinsamer Aufmerksamkeitsbezüge von mehreren Studien unterstrichen. So zeigen Baldwin u. a. (1996), dass Kinder im Alter von 18 Monaten dazu in der Lage waren, neue Wörter für unbekannte Objekte zu lernen, wenn sie mit ihrem Interaktionspartner eine geteilte Aufmerksamkeit auf ein Objekt herstellen konnten, ein Lernerfolg jedoch ausblieb, wenn sich der Interaktionspartner des Kindes außerhalb des kindlichen Sichtfeldes befand und das Kind nicht dessen Blick folgen konnte. Darüber hinaus zeigen Studien, dass die Zeit, die Kinder in gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen mit ihren Bezugspersonen verbringen, positiv mit der Größe ihres Wortschatzes korreliert (Brooks und Meltzoff, 2008; Carpenter u. a., 1998).

Neben der Relevanz des Blickverhaltens der Interaktionspartner im Rahmen gemeinsamer Aufmerksamkeitsbezüge zeigen Forschungsarbeiten ferner, dass das gestische Verhalten ein wichtiges kommunikatives Signal darstellt, welches Kinder bei dem Erwerb von Bedeutungen neuer Wörter unterstützt (Booth, McGregor und Rohlfing, 2008). So untersuchte eine Arbeit von Booth, McGregor und Rohlfing (2008), ob zweijährige Kinder in ihrem Wortlernen davon profitieren, wenn der Interaktionspartner des Kindes verschiedene kommunikative Modalitäten kombiniert (Blickverhalten, Zeigegeste, Berühren oder Manipulieren eines Objektes). Interessanterweise stellte sich heraus, dass es für den Wortlernerfolg der Kinder besonders gewinnbringend war, wenn der Interaktionspartner des Kindes in der Benennsituation nicht nur auf das Objekt schaute, sondern gleichzeitig auch auf das Objekt zeigte (Booth, McGregor und Rohlfing, 2008).

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass der sozio-pragmatische Ansatz – in seiner Essenz – Wortlernen als in einen Handlungskontext eingebetteten Prozess betrachtet, in welchem ein Kind Wörter in sozialer Interaktion mit seiner Bezugsperson erlernt, da es die kommunikativen Absichten des Gegenübers deutet und dabei sowohl eine Vielzahl von referentiellen Hinweisen berücksichtigt als auch auf sein eigenes Vorwissen und bereits erworbene sozio-pragmatischen Fähigkeiten zurückgreift (Bruner, 1983; Carpenter u. a., 1998; Liszkowski, 2014; Tomasello, 2001; Tomasello und Kruger, 1992). Allerdings wird dem sozio-pragmatischen Ansatz entgegengehalten, dass ebenjenes Verstehen kommunikativer und referentieller Absichten in gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezügen voraussetzt, dass sich ein Kind die mentalen Zustände seines Interaktionspartners erschließen muss, obgleich diese nicht direkt beobachtbar sind (Rohlfing, 2013, p. 89). Daher ist es eine entscheidende Frage, wie Kinder die Fähigkeit entwickeln, die Absichten anderer zu lesen und zu interpretieren. Rohlfing (2019, p. 107) bietet in dieser Hinsicht eine plausible Erklärung und plädiert für eine weniger „mentalistische Zuschreibung“ und betont, dass sich diese Fähigkeit im Rahmen von wiederholten Interaktionen entwickele. Zentral sei hierbei die Etablierung von Routinen, welche sich im Zuge von erlebten Interaktionsmustern herauskristallisieren und dem Kind als „Erfahrungsschatz“ dienen, um Ziele und Handlungen innerhalb einer Interaktion vorhersehen zu können (Rohlfing, 2013, p. 91). Darüber hinaus wird der sozial-pragmatische Ansatz für seine unzureichende Erklärung der Phasen des frühen Wortlernens kritisiert, da verschiedene Studien darlegen, dass Kinder erst ab einem Alter von circa 12 Monaten dazu in der Lage sind, systematisch dem Blickverhalten einer Bezugsperson zu folgen, soziale Signale zu interpretieren, gemeinsame Aufmerksamkeitsbezüge zu etablieren und die Intentionen anderer zu deuten (siehe bspw. Franco und Butterworth (1996) oder Baldwin (1991)). Kritiker der sozialpragmatischen Perspektive beanstanden vor diesem Hintergrund, dass sich der Erklärungsansatz typischerweise auf Studien stützt, die mit Kindern ab einem Alter von zwei Jahren durchgeführt wurden (Ambridge und Lieven, 2011). So zeigt sich nämlich, dass Kinder einerseits bereits im Alter von 6–9 Monaten einige Wörter zu kennen scheinen und Objekte betrachten, die den Referenten entsprechen (zum Beispiel „Fuß“ oder „Mama“) (Bergelson und Swingley, 2012; Mandel, Jusczyk und Pisoni, 1995; Tincoff und Jusczyk, 2012) und Kinder andererseits im Alter von einem Jahr und älter auch erfolgreiches Wortlernen in Situationen demonstrieren, in welchen dem Kind gegenüber kaum soziale Signale geäußert werden (Houston-Price, Plunkett und Harris, 2005; Werker u. a., 1998). Dies führte zu der Debatte, ob die Auflösung der Referenz eines Wortes nicht vielmehr auf weniger komplexen Prozessen der Wahrnehmung beruht, worauf im folgenden Kapitel näher eingegangen werden soll.

Kontext vor dem Hintergrund sozio-pragmatischen Wortlernens

Sozio-pragmatische Erklärungsansätze rücken eine Auffassung von Kontext in den Vordergrund, nach der Wortlernen in eine gemeinsame Handlung zwischen Kind und Bezugsperson eingebettet ist und das Erkennen von Intentionen zentral ist. Der Kontext umfasst in diesem Zusammenhang sowohl die sozialen Signale des Interaktionspartners des Kindes (z.B. Gesten, Blickverhalten, verbale Äußerungen etc.) als auch die physischen Gegebenheiten der Situation, die ein Kind pragmatisch nutzt und berücksichtigt, um im Moment der Exposition mit einem neuen Wort die referentiellen Absichten des Gegenübers zu deuten und die Bedeutung des Wortes zu erschließen (Grassmann, 2014). Auch wenn sozio-pragmatische Erklärungsansätze teilweise die Bedeutung des Wissens über vorangegangene Handlungen für eine gegenwärtige Interaktion berücksichtigen (Liszkowski, 2014), konzentriert sich das Verständnis von Kontext vor allem auf den unmittelbaren Moment, in dem eine bestimmte Entität bezeichnet wird – die iterative, interpersonale Handlungsstruktur der Interaktanten sowie die gemeinsame Interaktionshistorie verbleiben im Hintergrund.

2.3.3Assoziatives Wortlernen

The central idea is that general processes of perceiving, remembering, and attending when placed in the word-learning context may be sufficient in and of themselves to create children’s smart word interpretations.

Samuelson und Smith (1998, p. 95)

Ansätze zum Wortlernen, die ein assoziativ oder perzeptionsgeleitetes Lernen postulieren, führen die zugrunde liegenden Mechanismen zur Auflösung der Referenz eines neuen Wortes vor allem auf generelle bzw. allgemeine kognitive Prozesse zurück, wie die vorrangige Perzeption salienter Ereignisse oder (neuer) Objekte sowie das Aufgreifen von statistischen Häufigkeiten, mit der Wörter und potentielle Referenten zusammen auftreten (Samuelson und Smith, 1998; Houston-Price, Plunkett und Duffy, 2006; McMurray, Horst und Samuelson, 2012; Smith und Vela, 2001; Smith und Yu, 2008).

Zentral bei diesem Erklärungsansatz ist es, dass ein Kind zunächst eine Assoziation zwischen einem Laut und einem Referenten bildet, was einerseits durch (saliente) Hinweise (engl.: ‘cues’) aus der unmittelbaren Umwelt begünstigt wird und andererseits der Bildungsprozess einer Assoziation durch eine zeitliche Kontiguität charakterisiert ist (Klann-Delius, 2016; Rohlfing, 2019). Der Ansatz des assoziativ geleiteten Lernens tritt ferner deutlich in Opposition zu Ansätzen, die in der Tradition des Nativismus die Ansicht vertreten, dass sich das kindliche Wortlernen im Rahmen von sprachspezifischen, bzw. domänenspezifischen Verarbeitungsprozessen vollzieht (Rohlfing, 2019). Vielmehr betonen Vertreter des assoziativ geleiteten Lernens, dass „[…] general processes of attention and memory are central in creating children’s rapid word learning” (Samuelson und Smith, 1998, p. 102) – Wortbedeutungen also auf Basis einer synergistischen Interaktion von domänenübergreifenden kognitiven ‘low-level’ Prozessen der Wahrnehmung und des Gedächtnisses etabliert werden (Samuelson und Smith, 1998; Spencer u. a., 2011). Kucker, McMurray und Samuelson (2015) heben zudem hervor, dass die gleichen Mechanismen, die an der initialen Verknüpfung zwischen einem Wort und einem Referenten beteiligt sind, auch eine entscheidende Rolle beim langfristigen, robusten Lernen eines Wortes spielen. Zentral sei hierbei eine “[…] slow accumulation of small bits of learning during and after each situation-time behavior” (Kucker, McMurray und Samuelson, 2015, p. 76). Das heißt, dass sich eine anfängliche Assoziation im Rahmen variabler Kontexte graduell verstärke und es über die Zeit hinweg zu einer Dekontextualisierung der entsprechenden Assoziation komme (Kucker, McMurray und Samuelson, 2015). Darüber hinaus erkennt ein Kind in diesem längerfristigen Prozess Invarianzen des entsprechenden Referenten und registriert Häufigkeiten, wie oft ein identischer Referent in unterschiedlichen Kontexten mit einem bestimmten Wort assoziiert wird (Klann-Delius, 2016, p. 120). Zugleich wird davon ausgegangen, dass die Exposition eines neuen Wortes in verschiedenen Kontexten dazu beiträgt, fehlerhafte Verknüpfungen mit anderen Referenten zu verwerfen (Kucker, McMurray und Samuelson, 2015). In diesem Zusammenhang verdeutlichen Kucker und Kollegen die theoretische Position an folgendem Beispiel:

“[…] if a child sees a cup and a shoe on the table when hearing cup, he or she builds links not only between cup and the object cup, but also between the word and the shoe and table. Over time, the object cup is more likely to be present when cup is heard, and spurious links can be pruned leaving cup associated strongly with the object cup, partially associated with the semifrequent table, but not linked with shoe. Over longer time scales as cups are labeled in more diverse settings, the word will become less bound by context and more closely tied to the right associates.” (Kucker, McMurray und Samuelson, 2015, p. 76)

Das Beispiel illustriert, dass dem Aufgreifen von statistischen Häufigkeiten, mit der Wörter und potentielle Referenten zusammen auftreten, eine bedeutende Relevanz im langfristigen Wortlernprozess beigemessen wird. Diese Einschätzung wird zudem durch Forschungsarbeiten gestützt, die im wissenschaftlichen Diskurs unter dem Begriff des cross-situational learnings thematisiert werden (Smith, Suanda und Yu, 2014; Smith und Yu, 2008). Im folgenden Unterkapitel soll diese essentielle theoretische Komponente des assoziativen Lernens näher skizziert werden.

2.3.3.1Cross-situational learning

Dem Ansatz des cross-situational learnings nach wird die referentielle Ambiguität eines neuen Wortes Schritt für Schritt überwunden bzw. aufgelöst, indem ein Kind die erlangten Informationen aus verschiedenen Expositionen mit einem neuen Wort kombiniert, situationsübergreifend Regularitäten erkennt und schließlich auf probabilistischer Basis die Herausforderung meistert, die Bedeutung eines Wortes robust zu erlernen (Smith und Yu, 2008; Yu und Smith, 2007). Bekräftigt wird diese Annahme u. a. durch eine Studie von Smith und Yu (2008), die das Wortlernen von 12 und 14 Monate alten Kindern untersuchten: In dem Experiment saßen die Kinder auf dem Schoß der Bezugsperson vor einem Bildschirm und das Blickverhalten der Kinder wurde aufgezeichnet. Die Forschenden operationalisierten eine Situation, indem sie den Kindern in 30 verschiedenen Durchgängen jeweils zwei verschiedene Objekte (Zeichnungen von fiktiven Objekten, jeweils in einer individuellen Farbe) präsentierten, die vier Sekunden lang auf dem Bildschirm zu sehen waren. In jedem Durchgang hörten die Kinder zwei unbekannte Wörter über einen Lautsprecher (z.B. bosa und kaki) und erhielten keine weiteren Informationen oder Hinweise, welches Wort zu welchem Referenten gehörte. Jeder Durchgang war also in sich referentiell ambig, doch über die 30 Durchgänge hinweg erschien z.B. das Wort bosa nur mit einem fest zugeordneten Referenten, so dass die Referenz aufgrund des gemeinsamen Auftretens von Wort und Referenzobjekt aufgelöst werden konnte. Im Anschluss an die Trainingssituation bestimmten die Forschenden den Wortlernerfolg der Kinder, indem sie deren Blickverhalten im Rahmen eines sogenannten Preferential-Looking-Paradigmas4 analysierten. Hierbei sahen die Kinder in 12 Durchgängen erneut jeweils zwei Objekte auf dem Bildschirm, hörten aber pro Durchgang nur ein Wort, das sich auf das situationsübergreifend korrekte Referenzobjekt bezog. Anschließend wurde die Blickdauer der Kinder auf den korrekten Referenten des Wortes und auf das andere ablenkende Objekt (ebenfalls ein Objekt aus dem Training) gemessen. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass sowohl die 12-monatigen als auch die 14-monatigen Kinder während des Tests signifikant länger auf das Objekt schauten, dessen korrekte Bezeichnung sie gehört hatten. Aus den Ergebnissen schlossen die Forschenden, dass ein wesentlicher Mechanismus hinter dem kindlichen Wortlernen das Erfassen statistischer Regelmäßigkeiten in der Umwelt sei, bzw. dass Kinder die Bedeutung eines Wortes situationsübergreifend erschließen, indem sie die Häufigkeiten erfassen, mit der ein bestimmtes Wort mit einem bestimmten Referenten auftritt (Smith und Yu, 2008).

Vertreter des assoziativ geleiteten Lernens resümieren daher einerseits, dass ein Kind beim Lernen eines neuen Wortes gar nicht auf komplexere Hypothesen einschränkende Prinzipien zurückgreifen müsse (Samuelson und McMurray, 2017; Samuelson und Smith, 1998). Andererseits schreiben theoretische Modelle des assoziativ geleiteten Lernens auch sozio-pragmatischen Hinweisen eine (untergeordnete) Rolle im Worlternprozess zu (Houston-Price, Plunkett und Duffy, 2006; Schafer und Plunkett, 1998; Smith und Yu, 2008). Aus der Perspektive des assoziativ geleiteten Lernens fungieren soziale Signale, wie etwa das Blickverhalten, vielmehr als ein Mittel, welches die Salienz von Objekten oder Ereignissen erhöhen kann (Smith u. a., 2002; Yu und Smith, 2007), jedoch weniger als ein Ausdruck der kommunikativen Absichten des Interaktionspartners. Kritiker dieser theoretischen Position halten dem Ansatz jedoch vor, dass dieser zwar erklären könne, wie ein Kind die Bedeutung bestimmter Wörter erwerben kann, aber nicht berücksichtige, wie ein Kind lernt, Wörter für spezifische kommunikative Zwecke in seinem sozialen Umfeld zu gebrauchen (Frank, Goodman und Tenenbaum, 2009). Ein weiterer maßgeblicher Kritikpunkt besteht darin, dass das assoziative Lernen nur schwerlich erklären kann, wie Kinder Wörter für Abstrakta lernen oder Wörter, die sich auf Handlungen beziehen, die zum Zeitpunkt des Sprechens nicht im Gange sind (Frank, Goodman und Tenenbaum, 2009; Kousta u. a., 2011; Gleitman, 1990; Grimminger u. a., 2020). Schließlich müsste es nach dem assoziativen Lernen auch zu sinnlosen Fehlverbindungen zwischen Wort und Referent kommen, z.B. wenn ein Kind seine Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Objekt richtet und dabei z.B. das Gespräch der Mutter oder des Vaters mit dem Geschwisterkind erlebt. Rohlfing (2019, p. 104) weist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, dass solche Fehlverbindungen äußerst selten auftreten, da die Parameter der sozialen Interaktion die möglichen Verknüpfungen für eine Assoziation einschränken.

Kontext vor dem Hintergrund des assoziativen Wortlernens

Die Sichtweise des Kontextes, die ein assoziatives Wortlernen nahelegt, fokussiert in erster Linie perzeptuell wahrnehmbare Einheiten (z.B. Objekte oder Ereignisse) mit ihren Eigenschaften sowie den auditiven Reiz in Form des geäußerten Wortes in einer spezifischen Wortlernsituation. Dabei negiert ein assoziatives Lernen im gegebenen Kontext nicht die Rolle anderer Informationen, wie z.B. das Vorhandensein sozialer Signale des Interaktionspartners (z.B. Gesten), betrachtet diese aber als fakultative Hinweise, die die Aufmerksamkeit eines Kindes auf einen Referenten erhöhen können. Darüber hinaus misst der Erklärungsansatz des assoziativen Lernens dem Vorwissen, das ein Kind in den Kontext mitbringt, eine relevante Bedeutung bei, um Regularitäten und Invarianzen erkennen zu können, womit der Ansatz zugleich längerfristige zeitliche Verläufe des Wortlernens in seine Betrachtung einbezieht. Die vorgeschlagene Betrachtungsweise des Kontextes, in der geäußerte Wörter zugespitzt als bloße “attentional spotlights” (Waxman und Gelman, 2009, p. 4) gesehen werden, lässt jedoch zentral außer Acht, dass die Bildung von Assoziationen unter interaktiven Bedingungen erfolgt und Wörter ihre referentielle Bedeutung durch die Einbettung in eine soziale Interaktion erhalten.

2.3.4Synthese aus assoziativem und sozio-pragmatischem Wortlernen? Das Emergent Coalition Model

The emergentist coalition model posits that children’s lexical development is the product of intricate, epigenetic interactions between multiple factors.

Hollich u. a. (2000, p. 17)

Mit dem emergent coalition model stellten Hollich u. a. (2000) den Versuch an, dem Aspekt Rechnung zu tragen, dass dem komplexen Phänomen des Wortlernens verschiedene Mechanismen und Einflussfaktoren zugrunde liegen. Die Autoren greifen in diesem Modell Konvergenzen verschiedener theoretischer Erklärungsansätze auf und entwickeln in gewisser Weise eine Synthese aus perzeptionsgeleiteten, prinzipiengeleiteten und sozial-pragmatischen Ansätzen (Hollich u. a., 2000). Das zentrale Plädoyer der Autoren geht davon aus, dass ein Kind im Laufe seiner Entwicklung auf verschiedene Mechanismen zurückgreift bzw. verschiedene Mechanismen beim Wortlernen zusammenwirken und sich deren Gewichtung im Laufe der Entwicklung verändert (Hollich u. a., 2000; Golinkoff u. a., 2000). Im Konkreten bringen Hollich u. a. (2000) mit ihrem Modell die verschiedenen Ansätze und ihre postulierten Mechanismen in eine Stufenfolge:



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