Yoga, Tee, LSD - Andrea Jungaberle - E-Book

Yoga, Tee, LSD E-Book

Andrea Jungaberle

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Beschreibung

Open Your Mind – mit und ohne Chemie! Zauberpilze gegen Depressionen, Ecstasy für Trauma-PatientInnen: Neben den bekannten Gefahren bergen psychedelische Substanzen auch großes therapeutisches Potenzial. Die Fachärztin für Anästhesie und Notfallmedizin Andrea Jungaberle forscht seit Jahren intensiv zum Thema Bewusstseinserweiterung – mit und ohne Moleküle. In diesem Buch lädt sie dazu ein, dieses heiß diskutierte Thema von einem aufgeklärten Standpunkt aus zu betrachten. Denn wer sich auf psychedelische Erfahrungen einlässt, erlebt seine Innenwelt als wandelbarer und wird so auch aufgeschlossener für die Gedanken- und Lebenswelt anderer Menschen. Man muss keine Substanzen einnehmen, um hilfreiche veränderte Bewusstseinszustände zu erleben, und im Grunde manipulieren wir alle ständig unseren mentalen Zustand. Dieses Buch ist in jedem Fall eine Horizonterweiterung für alle, die das Tor zum Garten ihres Bewusstseins aufstoßen wollen! Das Buch zum erfolgreichen Hörbuch: Was Drogen wirklich »können« – und was nicht. Medizinischer Background: Mit Informationen zu Pharmakologie, Psychologie, Neurowissenschaft, Risiken & Nebenwirkungen. Unterhaltsam: Bei aller Fachkunde humorvoll und persönlich geschrieben.

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Andrea Jungaberle

Yoga, Tee, LSD

Bewusstseinsveränderung in Wissenschaft und Alltag

WISSEN&LEBEN

herausgegeben von Wulf Bertram

Wulf Bertram, Dipl.-Psych. Dr. med, geb. in Soest/Westfalen, Studium der Psychologie, Medizin und Soziologie in Hamburg. Zunächst Klinischer Psychologe im Universitätskrankenhaus Hamburg Eppendorf, nach Staatsexamen und Promotion in Medizin Assistenzarzt in einem Sozialpsychiatrischen Dienst in der Provinz Arezzo/Toskana, danach psychiatrische Ausbildung in Kaufbeuren/Allgäu. 1986 wechselte er als Lektor für medizinische Lehrbücher ins Verlagswesen und wurde 1988 wissenschaftlicher Leiter des Schattauer Verlags, 1992 dessen verlegerischer Geschäftsführer. Aus seiner Überzeugung heraus, dass Lernen Spaß machen muss und solides Wissen auch unterhaltsam vermittelt werden kann, konzipierte er 2009 die Taschenbuchreihe »Wissen & Leben«, in der mittlerweile mehr als 50 Bände erschienen sind. Bertram hat eine Ausbildung in Gesprächs- und Verhaltenstherapie sowie in Psychodynamischer Psychotherapie und arbeitet als Psychotherapeut in eigener Praxis.

Für seine »wissenschaftlich fundierte Verlagstätigkeit«, mit der er im Sinne des Stiftungsgedankens einen Beitrag zu einer humaneren Medizin geleistet hat, in der der Mensch in seiner Ganzheitlichkeit im Mittelpunkt steht, wurde Bertram 2018 der renommierte Schweizer Wissenschaftspreis der Margrit-Egnér-Stiftung verliehen.

Impressum

Dr. Andrea Jungaberle

Boxhagener Str. 82

10245 Berlin

[email protected]

Besonderer Hinweis:

Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Entwicklungsprozess, sodass alle Angaben, insbesondere zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren, immer nur dem Wissensstand zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches entsprechen können. Hinsichtlich der angegebenen Empfehlungen zur Therapie und der Auswahl sowie Dosierung von Medikamenten wurde die größtmögliche Sorgfalt beachtet. Gleichwohl werden die Benutzer aufgefordert, die Beipackzettel und Fachinformationen der Hersteller zur Kontrolle heranzuziehen und im Zweifelsfall einen Spezialisten zu konsultieren. Fragliche Unstimmigkeiten sollten bitte im allgemeinen Interesse dem Verlag mitgeteilt werden. Der Benutzer selbst bleibt verantwortlich für jede diagnostische oder therapeutische Applikation, Medikation und Dosierung.

In diesem Buch sind eingetragene Warenzeichen (geschützte Warennamen) nicht besonders kenntlich gemacht. Es kann also aus dem Fehlen eines entsprechenden Hinweises nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe

Schattauer

www.schattauer.de

© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Basierend auf einer Audible Original Produktion

Cover: Bettina Herrmann, Stuttgart

Auf Grundlage einer Illustration von upstruct Harzer & Trautmann GbR

Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Altusried-Krugzell

Gedruckt und gebunden von Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg

Konzeptarbeit: Ann-Kathrin Schwarz

Lektorat: Volker Drüke

Lektorat Hörbuch: Susanne Röltgen

Projektmanagement: Dr. Nadja Urbani

ISBN 978-3-608-40139-4

E-Book ISBN 978-3-608-11889-6

PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20574-9

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

1 Let’s Talk About Drugs, Baby

2 It Ain’t Me Babe – und was hat das alles mit dir zu tun?

3 Skandal im Sperrbezirk – legale und illegale Bewusstseinsveränderung

4 Money For Nothing – von Gurus, Möchtegern-Experten und dreisten Abzockern

5 Walking On The Moon – Erleben in psychedelischen Erfahrungen

6 No Milk Today – nicht-pharmakologische Techniken, um das Bewusstsein zu erweitern

7 Light My Fire – Alkohol, Nikotin und Koffein

8 Black Hole Sun – Antidepressiva und Antipsychotika

9 The Drugs Don’t Work – Opiate, Beruhigungsmittel, Ketamin, Stimulantien und Cannabis

10 The End Of The World As We Know It – Psychedelika und Entaktogene

11 Losing My Religion – das Problem der kulturellen Aneignung und die gesellschaftliche Verantwortung

12 Major Tom To Ground Control – Integration und bewusster Substanzgebrauch

13 I Just Died In Your Arms Tonight – Tripsitting, Notfälle und psychische Störungen

14 Wind Of Change – Magic Mushrooms auf Rezept

Anhang

Danksagung

Literatur

Anmerkungen

Sachverzeichnis

1 Let’s Talk About Drugs, Baby

Warum befasse ich mich eigentlich mit Bewusstseinserweiterung? Als Anästhesistin und Notärztin bin ich hauptberuflich eher Expertin für den kunstvollen Bewusstseinsverlust. Als Narkoseärztin begleite ich jeden Tag die Übergänge zwischen Bewusstseinszuständen. Und da gibt es nicht nur ein »An und Aus«, wie bei einem Lichtschalter. Die wahre Kunst des Anästhesisten ist es, den Patienten ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, während sie durch die Schichten ihres Bewusstseins in die Narkose gleiten.1 Wenn man am Kopfende eines Patienten steht, die Beatmungsmaske in der Hand, kommt man schnell zu der Frage: Was das denn eigentlich ist – das Bewusstsein? Und: Ist das, was da ist, etwas Stabiles und weitgehend Unveränderliches?

Mich begleitet diese Frage allerdings schon sehr viel länger, als ich Narkosen mache. Angefangen hat alles mit einem Kinderyogabuch aus den 1970er-Jahren. Als 10-Jährige blätterte ich durch die Seiten mit quietschbunten Mandalas und versuchte, im rotgestreiften Frottee-Pyjama auf meinem Hochbett die gezeigten Übungen nachzuturnen. Ein Foto hatte es mir besonders angetan: die Darstellung eines indischen Asketen mit Lendentuch, langen Dreadlocks und weißer Lehmbemalung auf der Stirn. Die Augen geschlossen, saß er in tiefer Konzentration im Schneidersitz auf einer Strohmatte, die mageren Schultern kerzengrade, die nackten Füße staubbedeckt.

Der Ausdruck im Gesicht dieses Sadhus faszinierte mich. Stundenlang saß ich vor dem Bild und versuchte zu ergründen, wo sich dieser Mann innerlich befand, was er wohl fühlte und wie er die Welt erlebte. Denn so viel war mir schon damals klar: Mit dem, was ich dachte, erlebte und fühlte, konnte das nur wenig zu tun haben.

Auch wenn ich es zu diesem Zeitpunkt so noch nicht hätte ausdrücken können – mit einem Mal verstand ich, dass sich mein Ich-Gefühl nicht auf das anderer Menschen übertragen ließ, »Sein« also nicht für alle Menschen das Gleiche bedeutet. Diese Erkenntnis bewirkte einen Entwicklungssprung, der in etwa mit dem Moment vergleichbar ist, in dem ein Kind zum ersten Mal begreift, dass die Mutter nicht aufhört zu existieren, wenn sie den Raum verlässt.

Und da musste doch noch mehr dran sein? Meine Neugier war geweckt, und sie ließ mich seither nicht mehr los. Vieles habe ich dadurch lernen dürfen. Das ist der Grund, warum ich diese Neugier weitergeben möchte. Hier geht es um die Dinge, die uns im Kern ausmachen, die sehr persönlich und nahe am Wesentlichen sind. Das, worüber oft nicht mal Menschen, die sich nahestehen, miteinander sprechen – um das Ich.

Wie Sie, liebe Leserin, lieber Leser – denn sonst würden Sie diese Zeilen vermutlich nicht lesen –, hat mich die Frage nach dem Bewusstsein und seiner Veränderlichkeit seit meinen ersten Erfahrungen damit also nicht mehr losgelassen. Das Betrachten des meditierenden Inders brachte mich auf die Spur zu all den Entwicklungen, die mich heute zur Autorin dieses Buchs machen.

Von meiner Mutter lernte ich etwa mit zwölf Jahren die Grundlagen des Autogenen Trainings, einer weit verbreiteten Technik, die über die Entspannung des Körpers zu einer ganzheitlichen Entspannung führen soll und mit fokussierter Körperwahrnehmung und Autosuggestion arbeitet. Meine Mutter hatte wohl eher nicht den Plan, mich früh auf den Umgang mit veränderten Bewusstseinszuständen im Wechselspiel zwischen Körper und Geist vorzubereiten – ihr ging es vielmehr darum, ihre zeitweise hibbelige Erstgeborene zu beruhigen –, aber das Autogene Training(1) war meine erste Übung im Umgang mit meinem eigenen Bewusstseinszustand. Ich lernte in gewissem Maße, mein Bewusstsein willentlich zu steuern.

Kurz darauf wagte ich mich noch weiter vor – diesmal mit der Einnahme einer psychoaktiven Substanz: Ich hatte in einem Magazin gelesen, dass »die Hippies« manchmal größere Mengen Muskatnuss eingenommen hätten, um high zu werden, wenn ihnen das Haschisch ausgegangen war. Und da Muskatnuss in meinem beschaulichen Heimatdörfchen im Westerwald viel leichter zu bekommen war als irgendwelche Cannabisprodukte, würgte ich am folgenden Abend im Angesicht meiner Roxette-Poster zwei Esslöffel gemahlenen Muskat herunter.

Von der psychoaktiven Wirkung habe ich nichts mitbekommen, ich muss vorher eingeschlafen sein. Dafür bekam ich am Folgetag die erste Migräne meines Lebens – Mission Bewusstseinsveränderung erfolgreich absolviert, wenn auch etwas anders als erwartet. Dass Migränen einen veränderten Bewusstseinszustand hervorrufen können, werden übrigens viele Menschen bestätigen können, die darunter leiden – und ich meine nicht nur die berühmten optischen Veränderungen durch die Aura vor dem großen Kopfschmerz, sondern eben auch das »Klebrigwerden« der Gedanken, die einem in der Migräne manchmal zäh wie Sirup durchs Hirn tröpfeln.

Noch als Teenager machte ich auch erste Erfahrungen mit Mantren und Meditation – zunächst im ökumenischen Jugendzentrum des Klosters Taizé in Frankreich, das in den 1990ern mit seiner Lagerfeuerromantik und der gelebten Internationalität für viele junge Menschen ein beliebter Anlaufpunkt war.

Außerdem hatte ich das Glück, in der Schule an philosophische Texte herangeführt zu werden. Das erste zarte Begreifen der Hegel’schen Dialektik bedeutete für mich damals einen ähnlichen Lustgewinn wie eine Tafel Nougatschokolade – ich wünsche anderen 15-Jährigen ähnlichen Spaß am komplexen Denken, wie ich ihn damals kennenlernen durfte. Als ich die Gedanken anderer zu Geist und Bewusstsein zu lesen bekam, wurde mir klar, dass ich mit meiner Sehnsucht, das alles begreifen zu wollen, nicht alleine war, im Gegenteil, ich schien mich in sehr guter Gesellschaft zu befinden.

Nachdem ich zunächst ein Studium der Kommunikationswissenschaft begonnen hatte, wurde mir schnell klar, dass ich als Gegenpol zu meinen Ausflügen in die Elfenbeintürme der Geisteswissenschaften etwas Greifbares brauchte. Ich beschloss, umzusatteln und Medizin zu studieren – wie schon meine Mutter und meine Patentante. Die Mischung aus Wissen, Entscheidungsfreudigkeit und Empathie, die ich als Ärztin brauchen würde, hatte mich lange fasziniert und zugleich abgeschreckt. Zu groß war mir die Verantwortung vorgekommen, und ich wusste nicht, ob ich diszipliniert genug war, um mir so viel Wissen anzueignen. Heute bin ich sehr froh, mich der Herausforderung gestellt zu haben – noch einmal würde ich diesen Lernmarathon jedoch nicht hinlegen wollen.

In den langen Jahren des Medizinstudiums beschäftigte ich mich als Ausgleich zur Paukerei des Fachwissens um Anatomie, Neurologie und Psychologie mit Yoga und Meditation, und das veränderte meine Sicht auf mich selbst und andere sehr. Noch fand ich keine Antworten auf all meine Fragen, aber ich konnte sie zunehmend präziser stellen, und mir wurde klarer, wonach ich eigentlich suchte.

Neben dem Erlernen des reinen medizinischen Wissens wollte ich mich im Studium mit dem »Menschen als Ganzem« beschäftigen. Dabei kam ich mit dem Institut für medizinische Psychologie in meiner Studienstadt Heidelberg in Kontakt, wo es im Gegensatz zur restlichen Fakultät, an der ein streng naturwissenschaftlicher Wind wehte, auch um Themen der humanistischen Medizin ging. Zum Spektrum des Instituts gehörten u. a. Psychoonkologie (also der gute Umgang mit Krebserkrankungen), Musiktherapie und die Kinderwunschbegleitung von Paaren. Und ich begegnete dort einigen der wenigen Menschen, die es wagten, sich in der kompletten Anti-Stimmung der frühen 2000er-Jahre mit Themen rund um die psychedelische Erfahrung zu beschäftigen – also mit den Erfahrungen im veränderten Bewusstseinszustand, die vor allem durch die Einnahme von besonderen psychoaktiven Substanzen wie LSD(1) und Psilocybin(1) (dem Wirkstoff der berühmten Zauberpilze) hervorgerufen werden können. Nach aktuellem Wissenstand entfalten sie eine teilweise beeindruckende Heilwirkung, wenn man sie entsprechend therapeutisch eingebunden einsetzt. Noch in den 1980er-Jahren hatte es nach der großen Welle der Psychedelika-Forschung Mitte des Jahrhunderts weiterhin vereinzelt erfolgreiche wissenschaftliche Untersuchungen zu diesen Themen gegeben. Im Jahr 2005 wurde das Thema in den gängigen Lehrbüchern der Psychiatrie mit keinem Wort mehr erwähnt.

Unter der Schirmherrschaft eines Professors, der viele der LSD-Forscher der 1960er-Jahre persönlich gekannt hatte, beschäftigten sich also in Heidelberg eine Handvoll Wissenschaftler und Doktoranden mit der Geschichte der psychedelischen Therapie und den in Europa zu dem Zeitpunkt gerade in Mode kommenden Ayahuasca-Zeremonien. Hinter diesem etwas sperrigen Wort steckt ein stark psychoaktives Gebräu aus dem Amazonas. Hier von Tee zu sprechen wäre ungefähr so angemessen, wie Käsefondue als eine leichte Zwischenmahlzeit zu bezeichnen.

Ich weiß: Vielen rollen sich bei dem Gedanken an Therapie mit Drogen – bildlich gesprochen – die Zehennägel hoch. Für sie ist das Ganze vor allem sehr gefährlicher Quatsch. Das ist sie aber mitnichten: Zur Psychotherapie unter Zuhilfenahme von psychoaktiven Substanzen gibt es gerade an über 30 Universitäten eine weltweit vielbeachtete Forschung – auch wenn die offizielle Marktzulassung einiger Substanzen zu genau diesem Zweck erst in ein paar Jahren erwartet wird. Deutschland hinkte da bis vor kurzem noch mächtig hinterher.

Mir waren diese Themen rund um die therapeutische Arbeit mit psychoaktiven Drogen zunächst auch sehr unverständlich und fremd. Weil ich mich mit dem damaligen Arbeitsgruppenleiter aber gut verstand, gab er mir eine Arbeit, über die ich mich an das Thema herantasten konnte: die Übersetzung von Artikeln der Szenegrößen Stan Grof und Rick Doblin in einem Buch mit dem Titel Therapie mit psychoaktiven Substanzen1. Später durfte ich außerdem als Zaungast an einer Konferenz zum Thema Ayahuasca(1)-Gebrauch teilnehmen. Der bunt gemischte Haufen aus Wissenschaftlern, echten und selbst ernannten Experten und Schamanen faszinierte mich, gleichzeitig fand ich ihn etwas befremdlich. Ihre teilweise an Fanatismus grenzende absolute Überzeugung von der Wirksamkeit ihrer Methoden weckte meine Skepsis – eine gesunde Grundhaltung, die mir auch heute immer wieder hilft, Behauptungen und Erklärungsmodelle in diesem Bereich kritisch anzuschauen und zu überprüfen.

Mittlerweile bin ich 40 Jahre alt, seit zwölf Jahren als Ärztin tätig und lebe in Berlin. Ich habe in den Bereichen Psychosomatik, Unfallchirurgie, Anästhesie, Intensivmedizin und Notfallmedizin gearbeitet, was mich heute zu einer klinischen Allrounderin macht, die in ihren Patienten nicht nur die »Lungenentzündung von Bett 3« sieht, sondern den ganzen Menschen. Bis 2019 habe ich vor allem als Notärztin und Intensivmedizinerin an einem Krankenhaus am Berliner Stadtrand gearbeitet und mittlerweile mit einem gemischten Team aus Anästhesisten, Psychiatern und Psychotherapeuten eine Privatpraxis in Friedrichshain aufgebaut, in der wir vollkommen legal Therapien in veränderten Bewusstseinszuständen, z. B. mit Ketamin, anbieten. Zusätzlich bin ich ausgebildete Yogalehrerin und befasse ich mich seit nunmehr knapp 15 Jahren als Forscherin und Seminarleiterin mit Themen rund um Harm Reduction(1), also die Vermeidung von Risiken im Bereich der Drogenkonsums, Trance-Induktion und die Erforschung des therapeutischen Potenzials von psychoaktiven Substanzen. Für mich war die eigene Erfahrung mit dem veränderten Bewusstsein nicht genug. Ich wollte mehr wissen – und das Wissen mit anderen weiterentwickeln und nutzbar machen.

Der Weg von der beschriebenen anfänglichen Befremdung durch das Thema hat mich über eine intensive Beschäftigung mit den Potenzialen, Möglichkeiten und Risiken der Anwendung von Psychedelika dahin geführt, dass ich gemeinsam mit meinem Mann im Jahre 2016 eine unabhängige Wissenschaftsorganisation zur Förderung der psychedelischen Forschung gegründet habe. Die MIND Foundation2 besteht mittlerweile aus einem ca. 20-köpfigen Kernteam und etwa 700 ehrenamtlichen Mitgliedern, die sich teilweise sehr aktiv in verschiedenen Projekten aus dem Bereich Medizin, Psychologie, Philosophie und Neurowissenschaften engagieren. Im September 2021 haben wir in Berlin unsere zweite internationale Konferenz mit über 1300 Teilnehmern aus 25 Ländern sowie zahlreichen Zuschauern im Livestream abgehalten. Im Jahr 2021 hat am Zentrum für Seelische Gesundheit und an der Charité in Berlin die erste deutsche Studie zur Psilocybin-Therapie bei Depression(1)3 begonnen, ein Projekt, in dem MIND Kooperationspartner ist. Wir wollen damit helfen, eine neue Form der Therapie für die große Gruppe der chronisch-depressiven Patienten in Deutschland einzuführen und so dazu beitragen, dass in der Behandlungsweise einiger der am weitesten verbreiteten psychischen Erkrankungen umgedacht wird. Weg von einer jahrelangen Gabe von Antidepressiva – hin zu intensiven, kürzeren Therapien, die anhaltende Linderung der Symptome ohne tägliche Pilleneinnahme versprechen.

In 15 Jahren vom Kellerkind in die gute Stube der wissenschaftlichen Forschung – die Entwicklung des Rufes der psychedelischen Forschung ist wirklich rasant. Und das ist gut so.

Ich bin nicht einfach nur von den Themen rund um Bewusstseinsveränderung mit und ohne Einnahme von chemischen Verbindungen fasziniert. Ich halte es auch für dringend notwendig, dass Tabus fallen und in der Gesellschaft offen über alle Aspekte und Effekte von psychoaktiven Substanzen gesprochen wird – von lehrreichen und heilsamen Einsichten und tiefen Gefühlen der Verbundenheit mit allem, über banale Kicks bis hin zu den Gefahren für Geist und Körper, die die Einnahme von Drogen mit sich bringen kann. Als Notärztin und Drogenforscherin weiß ich, dass der Gebrauch von Stoffen, die das Bewusstsein verändern, schlicht und ergreifend eine weit verbreitete gesellschaftliche Realität ist. Diese totzuschweigen und in die Illegalität zu drücken ist brandgefährlich, führt zu Unfällen und kann lebensgefährlich sein. Viele der knapp 1400 Drogentoten im Jahr 20194 in Deutschland wären nicht gestorben, wenn offener und klarer mit diesem Thema umgegangen worden wäre.

Deutschlandweit wurde z. B. 2017 vom Tod einer jungen Amerikanerin berichtet, die nach Einnahme zweier Pillen unbekannten Inhalts in einem der berühmtesten Clubs Berlin an Überhitzung und Nierenversagen starb.5 Dieser sinnlose Tod hätte verhindert werden können, wenn schon damals das jetzt neu eingeführte Drug Checking(1) verfügbar gewesen wäre. Das ist das Verfahren, mit dem Ecstasy-Pillen oder andere Partydrogen vor Ort analysiert werden können und das übrigens in der Schweiz und den Niederlanden längst großflächig etabliert ist. Berlin hingegen hat diese Möglichkeit erst 2020 eingeführt – als einziges Bundesland in Deutschland.6

Den Begriff »Drogen« ist übrigens zweifelhaft. Er ist unklar, mit Vorurteilen belastet und wird von vielen Menschen unkritisch als gleichbedeutend mit »verbotene Wirkstoffe« oder »Rauschgift« benutzt. Für den Rest dieses Buchs werde ich den deutlich neutraleren Begriff »psychoaktive Substanzen« verwenden. Und wo es angemessen ist, verwende ich den Begriff »Psychedelika« – für die Klasse von Substanzen, die in besonderer Art und Weise auf das Bewusstsein wirken.

Ich werde mir in diesem Buch Zeit nehmen, um über verschiedene Methoden und Techniken rund das veränderte Bewusstsein zu sprechen. Es wird dabei natürlich um psychoaktive Substanzen gehen. Aber ich möchte auch Praktiken vorstellen, die funktionieren, ohne dass irgendwelche Moleküle auf die Hirnchemie einwirken. Davon gibt es übrigens durchaus einige. Falls Sie nun wissen möchten, ob ich eigene Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen einbringe, so ist die Antwort ein klares Ja. Ich reise gerne, und in vielen Ländern gibt es Möglichkeiten, in legalem Rahmen psychedelische Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen zu machen, etwa mit psychoaktiven Trüffeln in den Niederlanden oder mit Ayahuasca in einigen südamerikanischen Ländern.

Aber ich müsste gar nicht weit wegfahren, um mein Bewusstsein zu verändern, denn die nicht-pharmakologischen Zugangswege zu veränderten Wachbewusstseinszuständen sind auch in unseren Breiten frei zugänglich: Yoga und Meditation, holotropes Atmen und Trance-Dance, aber auch tiefe Flow-Zustände bei körperlicher Arbeit und Sport. Denn, wie mir jemand im Rahmen des Holotropic Breathwork7 einmal sagte: »Heftig Atmen ist nicht illegal.« Und wie diese Selbsterfahrungstechnik, bei der intensivierter Atem und emotional anregende Musik verbunden werden, geht und wie sie sich anfühlt, wird ebenfalls Thema in diesem Buch sein.

Sich durch veränderte Wachbewusstseinszustände selbst besser kennenzulernen und neu zu erleben ist kein Vorrecht weniger Dauermeditierer, Profihippies oder spirituell Hochbegabter. Man braucht keine Vorkenntnisse oder Superkräfte. Alle Menschen besitzen mehr oder weniger stark ausgeprägt die Fähigkeit, mit ihren inneren Räumen und Prozessen in Kontakt zu treten. Es fehlt den allermeisten nur an Anleitung und Hilfe beim Erlernen des Umgangs mit diesen erweiterten Innenräumen. Die Hinwendung zu Achtsamkeitstechniken, Yoga und Meditation kann eine Menge bewirken. Man sollte sich nicht davon abschrecken lassen, wenn es jemand schneller hinbekommt als man selbst, und sich sie Zeit geben, die nötig ist, um mit diesen Themen in Kontakt zu kommen. Genau wie manche in der ersten Yogastunde durch den Sonnengruß fliegen, als hätten sie nie etwas anderes getan, während andere bei jeder Bewegung ihre Gliedmaßen durchzählen müssen, gibt es auch Menschen, die leichter Zugang zu veränderten Bewusstseinsräumen haben. Sie haben schlicht Glück. Ihnen bleibt ein Teil des mühsamen Einübens erspart, mit dem sich die anderen an Zustände von innerer Verbundenheit und Erkenntnisgewinn heranarbeiten müssen. Das heißt aber nicht, dass sie die Einzigen sind, denen diese Wege offenstehen – Yoga und Meditation sind Übungen, keine Talentwettbewerbe.

Wichtig ist, zu erkennen, dass Bewusstsein keine ominöse, unbeeinflussbare Struktur ist, auf die der Einzelne nicht einwirken kann. Jeder hat die Möglichkeit, an seinem Bewusstsein zu arbeiten, bestimmte Aspekte zu stärken und andere Aspekte in den Hintergrund treten zu lassen.

Ich möchte etwas genauer erklären, wie ich das meine. Dazu nutzen wir jetzt schon mal eine Technik des veränderten Bewusstseins: eine geführte Imagination. Also los.

Stell dir bitte vor, du stehst an einem Gartentor. Vor dir liegt der Garten deines Bewusstseins. Du öffnest das Gattertürchen im Jägerzaun und betrittst dein Innenleben. Sicher erkennst du viel Vertrautes. Die sorgfältig von Unkraut freigehaltenen Wege des logischen Denkens. Die von einer Vielzahl Gemüsepflanzen strotzenden Beete voller im Laufe deines Lebens erworbenen Wissens. Die bunten Blumenrabatten der Themen und Erfahrungen, die dich bewegen und ausmachen.

So weit der Anteil deines Bewusstseins-Gartens, der dir bestens vertraut ist. Hier hältst du dich täglich auf, pflückst vielleicht die Früchte der Erinnerungsbäume und bewegst dich auf sicheren und vertrauten Pfaden. Wenn es mal ungemütlich wird, weil schlechte Stimmung in Form eines Hagelschauers hereinbricht, hast du dir vielleicht einen Unterstand eingerichtet, weil du es satthattest, immer nass zu werden. Tolle Sache!

Aber hinter all den bekannten Arealen deines Gartens gibt es noch mehr. Vielleicht hast du diese Tatsache bisher so geschickt verdrängt, dass du überrascht bist, was du zu sehen bekommst, wenn du den Blick hebst.

Was du bisher vielleicht nur aus dem Augenwinkel als diffuse grüne Masse wahrgenommen hast, sind, genauer betrachtet, unbekannte Büsche, struppig, aber mit exotischen Blüten. Das Gras ist hüfthoch und von Malvenranken und Mohn durchzogen. Überall zirpt und brummt es, die Anzahl von Insekten und Kleintieren, die da zu Hause sind, lässt dich staunen. Es gibt Brennnesseln und Brombeergestrüpp. Steht da ein altes Klettergerüst? Und wer hat den Spaten da hinten vergessen? Fasziniert trittst du ein paar Schritte näher, kommst an die Grenze deines gepflegten Kleingartens und fährst mit der Hand durch einige Grasbüschel, die bei der Berührung leise rascheln. Ein Vogel krächzt ungehalten und fliegt aus der Wiese in die Sicherheit eines der alten, knorrigen Bäume, die noch ein Stück weiter weg stehen. Das alles ist dir bisher noch nie aufgefallen, weil du ihm keinen Blick geschenkt hast. Und wo endet der Garten eigentlich? Ist das da hinten ein Zaun oder nur das nächste Gebüsch?

Fragen über Fragen – und so viel zu entdecken.

Genau an diesem Punkt stehen die meisten von uns, wenn sie beginnen, sich mit ihrem Bewusstsein näher zu beschäftigen. Wenn man anfängt, sich mit dem eigenen Innenleben jenseits des Alltagsüblichen zu befassen, ist das nicht unbedingt immer nur interessant und angenehm. Viele der Aspekte des eigenen Selbst, des eigenen Bewusstseins, können auch irritierend und fordernd sein. Manchmal auch überfordernd. Da hilft es sehr, eine Übersicht zu bekommen, was denn überhaupt so alles möglich ist und welche Techniken einen wohin führen können.

Wir werden uns also intensiv mit den Werkzeugen vertraut machen, die du nutzen lernen kannst, um über das dir so bekannte Areal im Vordergrund deines Bewusstseins hinaus mit den unbekannteren, wilderen Anteilen in Kontakt zu kommen. Wir bewegen uns dabei durch ganz verschiedene Areale im Zusammenhang mit vielen Aspekten deines Bewusstseins – von der Neurobiologie und Pharmakologie hin zu den feineren, eher geistig-spirituellen Anteilen. Mir geht es darum, Menschen einen Zugang zu ihren inneren Anteilen und Bewusstseinsaspekten zu ermöglichen, ohne von dogmatischen Vorgaben von außen beschränkt zu werden. Neben der Informationsvermittlung zu den Grundlagen der Funktionsweise des Nervensystems, von Arzneimittelwirkungen und psychologischen Grundmechanismen möchte ich zu einem Grundverständnis für die klar benennbaren und eher schwer erfassbaren Vorgänge deines Geistes beitragen. Mit dieser Grundausstattung sollte jede und jeder in der Lage sein, gute und sinnvolle Entscheidungen treffen zu können, ob sie ihr Bewusstsein in Zukunft als etwas gezielt Gestaltbares handhaben möchten – und, falls ja: wie sie das schaffen.

Ich freue mich, dich auf dieser Reise zu begleiten und für dich auch komplexe wissenschaftliche Konzepte mithilfe von Bildern, Anekdoten und Impulsen zu erschließen.

Manche Dinge werden sofort klar und logisch erscheinen, anderes kommt einem vielleicht auf den ersten Blick fremd vor. Aber keine Sorge, mit der Zeit werden dir viele Dinge immer bekannter und gewohnter vorkommen.

Und jetzt: Willkommen in deinem Bewusstsein.

2 It Ain’t Me Babe – und was hat das alles mit dir zu tun?

Verändertes Wachbewusstsein(1) – wenn ich den Begriff einfach so in den Raum werfe, löse ich in der Regel die verschiedensten Reaktionen aus: Einige nicken wissend oder gar mit einem kleinen Grinsen, andere können sich schlicht nichts darunter vorstellen.

So viel sei gesagt: Auch, wenn viele denken, dass das alles doch nun definitiv nichts mit ihnen zu tun hat – wir alle erleben immer wieder Momente des veränderten Wachbewusstseins, auch wenn wir es nicht unbedingt so nennen.

Und dafür gibt es sehr viele Beispiele, die wir alle kennen: Erinnere dich mal an die letzte Situation, in der du mit voller Aufmerksamkeit Musik gehört hast. Also nicht nebenbei, sondern mit der Entscheidung, eben jetzt Musik zu hören. Sei es bei einem Konzert in einer vollen Halle oder daheim auf der Couch, die Füße hochgelegt und vielleicht ein Glas Wein in der Hand. Fast jeder von uns hat »seine« Musik – die, die einen wegbeamt und in andere Welten entführt, bei der Gefühle, Erinnerungen oder innere Bilder hochkommen. Bei mir ist das z. B. Nils Frahm, ein Pianist, der viel mit elektronischer Verzerrung und Loops arbeitet. Bei vielen seiner Stücke habe ich das Gefühl, dass er sie nur geschrieben hat, um Leute zu verspulen und innerlich auf die Reise zu schicken. Bei anderen sind es ganz andere Musikstile oder Stimmungen: Ein laut wummerndes Beispiel ist Psy-Trance, ein Musikstil, der die Trance schon im Namen trägt und speziell für Tanz-Trance-Erfahrungen in großen Gruppen entwickelt wurde. Aber auch Bach, die Red Hot Chili Peppers oder Norah Jones haben das Potenzial, solche Zustände hervorzurufen. Oft gekoppelt an Erinnerungen oder konkrete Situationen.

Aber was meint der Begriff »verändertes Wachbewusstsein« denn nun genau? Wir versuchen mal eine Annäherung von verschiedenen Seiten:

Fangen wir ruhig mit der wissenschaftlichen Definition an und arbeiten uns dann in weniger trockene Gefilde vor. Also: Ein verändertes Wachbewusstsein (engl.: »altered state of consciousness«) ist definiert als ein Bewusstseinszustand, der sich »signifikant von einem normalen Wachbewusstseinszustand unterscheidet«. Dieser Versuch einer Definition wurde in 1960er-Jahren von Arnold Ludwig, einem amerikanischen Psychiater, eingeführt. Aber schon 60 Jahre zuvor wurde der Begriff vereinzelt benutzt – damals vor allem im Zusammenhang mit der Hypnose. Und wenn er auch gerade in diesem Zusammenhang erstmal ganz schick und brauchbar anmutet, bringt er uns doch potenziell in einige Schwierigkeiten, wenn wir versuchen, ihn auf alltagsnähere veränderte Wachbewusstseinszustände anzuwenden, landen wir ganz schnell in einer Sackgasse. Was bedeutet in diesem Zusammenhang »signifikant«? Die Erkennbarkeit von außen ist kein gutes Kriterium. Natürlich sehe ich, wenn jemand total bekifft ist. Aber die große, stille Bewusstseinsleere bei tiefer Meditation oder die Gefühlsregungen durch intensive Musik stehen den Leuten nicht auf die Stirn geschrieben. Sie sind manchmal nicht mal zu erahnen. Dazu kommt, dass das, was für Lisa »normal« ist, vielleicht für Tom schon einen veränderten Bewusstseinszustand darstellt: Es gibt also Unterschiede zwischen Individuen. Darüber hinaus gibt es aber auch kulturelle Unterschiede. Wer schon mal eine arabische Großfamilie beim Trauern beobachtet hat, weiß vermutlich, wovon ich spreche. Als Notärztin habe ich da schon mal eine Dame mittleren Alters ins Krankenhaus bringen müssen, die im hochausdrucksvollen, emotional-schmerzlichen Überschwang glatt einen Schlaganfall erlitten hatte. Die drei anderen hyperventilierenden Damen im überfüllten Wohnzimmer verblieben mit Papiertüten zum Reinatmen vor Ort. Hier ein Spoileralarm: Auf die Hyperventilation werden wir in den kommenden Kapiteln noch einmal zurückkommen.

Weitere Beispiele für kulturell unterschiedliche Bezugsrahmen für normales und verändertes Bewusstsein sind etwa das Konzept der Präsenz der Ahnen als ganz normaler Alltagsbestandteil in vielen asiatischen Kulturen. Die sind halt einfach da. Und nicht als abstraktes theologisches Konzept, sondern als ganz reale Präsenzen, die durch den Alltag begleiten und auch mit Essensgaben auf dem Hausaltar versorgt werden müssen. Wenn dir deine WG-Partnerin erzählen würde, dass sie ihrer toten Oma jeden Abend Eierlikör und Kekse hinstellt, würdest du vermutlich tendenziell an ihrer geistigen Gesundheit zweifeln. Aber genau das ist der Punkt: »Normal« ist keine feste Größe, sondern variiert zwischen einzelnen Menschen, kulturellen Hintergründen und auch über die Lebensspanne hinweg. Wenn die eben angesprochene Oma zu Lebzeiten dement war, war ihr »normal« dann sicher auch ein anderes als in den 60er-Jahren.

Ein weiterer Punkt: Nicht nur was »normal« ist, ist Auffassungssache. Auch wie man mit »nicht normalen Bewusstseinszuständen« umgeht, ist global unterschiedlich. Wenn jemand vor einem Baum steht und diesen abwechselnd umarmt und wüst brüllend beschimpft, würden wir das als wahrscheinlich gefährlich und schwer geistesgestört wahrnehmen und überlegen, ob es notwendig ist, den Rettungsdienst zu rufen. In Kamerun, wo ich genau dieses Verhalten bei einem Mann in einer kleinen Siedlung beobachtet habe, führte das bei den Dorfbewohnern nur zu einem Achselzucken und der gechillten Aussage: »That’s Billy, he’s mad«. Das Konzept, dass manche Leute halt »mad« sind und in diesem Zustand im Dorfleben mitlaufen, war als komplett normal kulturell abgespeichert. Aber auch der Tatsache geschuldet, dass es gerade in vielen afrikanischen Ländern keinerlei Zugang zu Psychiatrien und entsprechenden Medikamenten gibt. Da bleibt die Psychose eben unbehandelt und muss von der Dorfgemeinschaft irgendwie mitgetragen werden.

Normal ist also auch, womit wir im Alltag vertraut geworden sind.

Außerdem gibt es noch den Aspekt, dass manche Bewusstseinsveränderungen einfach passieren, andere aber bewusst oder halbbewusst herbeigeführt werden – sei es durch bestimmte Bewusstseinstechniken, wie die eben schon genannte Meditation, oder eben Substanzen, die auf die Hirnchemie wirken und dadurch am Bewusstsein schrauben. Eben psychoaktive Substanzen. Schauen wir uns die mal genauer an:

Dass man nach einer Flasche Rotwein innerlich an einem anderen Ort ist als vor dem intensivierten Konsum eines vergorenen Traubenquetschproduktes, ist für die meisten von uns ein Allgemeinplatz. Und doch würden viele von uns die Veränderung ihres Bewusstseinszustands nicht unbedingt als den ersten Grund nennen, warum man den Korkenzieher rausgeholt hat. Mögliche Antworten wären vielleicht: Geschmack, Gewohnheit, Entspannung, Geselligkeit oder der Wunsch danach, soziale Hemmungen abzubauen. Zumindest die drei letzten Gründe zielen aber schon auf die gezielte Manipulation des eigenen Bewusstseins ab. Auch wenn wir nicht daran gewöhnt sind, es so klar zu benennen. Bei anderen Substanzen scheint der Zusammenhang jedoch glasklar: Vieles dessen, was im Alltag unter dem Begriff »Drogen« subsumiert wird, dient klar dazu, sich in einen anderen Orbit zu schießen. Das »Wohin« kann sich dabei sehr unterscheiden: Zwischen dem flauschig-diffusen Wohlbefinden auf Opiaten wie Heroin, der brutalen Aufgedrehtheit durch Amphetamine wie Speed und den wabernden Visionslandschaften unter LSD liegen Welten. Aber was macht mein 9-jähriger Sohn eigentlich, wenn er nach der Schule erstmal einen Riegel Schokolade schnorren kommt? Letztlich nichts anderes, als sich mit einem zuckerbedingten Dopamin-Kick in einen anderen Bewusstseinszustand von Wohlbefinden und Ruhe zu befördern. Er hat sogar die Einsichtsfähigkeit, das genauso zu benennen: »Ich will was Süßes, weil ich mich dann besser fühle.« Hut ab, so viel checken viele Erwachsene nicht, was ihre Motive und Bedürfnisse angeht.

Solche kleinen Alltagskicks verpassen wir uns ja letztlich alle ständig: Nicht umsonst sind die Kaffeemaschine und die Gummibärchenschale fester Bestandteil des Büroinventars. Morgens hoch mit Espresso und Honigbrötchen, abends runter mit Bier oder Rotwein. Und das ist ja auch komplett okay – allerdings sollte uns klar sein, dass gerade unsere Alltagsmodulatoren(1) Zucker, Alkohol und Nikotin ganz schön üble Nebenwirkungen mit sich bringen können, wenn man (was leicht passiert) die Kontrolle über den Konsum verliert: Diabetes, Leberschäden und Lungenerkrankungen entstehen nicht schnell, sondern schleichend und über viele Jahre. Deswegen ist es so wichtig zu verstehen, warum wir uns Substanzen als dauerhafte Krücken zur Verbesserung unseres Befindens zugelegt haben: Zigaretten als Stresshemmer, Pralinen als Mittel gegen schwierige Gefühle.

Also zurück. Jeder von uns erlebt jeden Tag Veränderungen seines Bewusstseinszustandes. Das passiert sowohl bewusst als auch unbewusst. Die bewussten Beeinflussungen unseres inneren Zustands nennt man Modulationen. Aber beileibe nicht jede dieser Modulationen führt zu einem signifikant veränderten Bewusstseinszustand. Andrea auf Kaffee ist im Normalfall im gleichen Bewusstseinsraum wie Andrea ohne Kaffee. Nur halt eben etwas wacher.

Und was hat dann mein Espresso mit dem Thema dieses Buchs zu tun? Nun ja, in meinem Erleben viel. Denn wenn uns gar nicht bewusst ist, dass unser Bewusstsein etwas Veränderliches ist, wir jeden Tag Mini-Manipulationen an unserem Bewusstsein vornehmen, ist der Schritt zu den »echten« veränderten Bewusstseinszuständen sehr weit. Bei extremen Zuständen ist die Lage meistens klar – eine Panikattacke oder einen Vollrausch erkennt eigentlich jeder. Aber gerade weil »signifikant« in diesem Zusammenhang oft ein so schwieriger Begriff ist, lohnt sich eine Auseinandersetzung mit den fließenden Übergängen und Tricks, die wir uns alle angeeignet haben. Und da jeder sein eigenes Repertoire: Für den einen ist es die Dreiviertelstunde auf dem Laufband mit Hardrock auf den Ohren, um aus akuten Stresszuständen auszubrechen. Für den nächsten stellt ein besonders gutes Essen das Wohlgefühl wieder her, nachdem man eine unangenehme zwischenmenschliche Begegnung hatte. Der absolute Klassiker wäre z. B. intensiver Versöhnungssex, der so viele streitende Paare aus der emotionalen Entfremdung wieder in ein Nähegefühl bringt.

Halten wir also fest: »Normal« ist gar nicht so einfach abzugrenzen. Es gibt Unterschiede zwischen einzelnen Menschen, kulturellen Gruppen – und selbst in verschiedenen Erfahrungen ein und des desselben Menschen. Aber: Jeder Mensch erfährt immer wieder Veränderungen seines Bewusstseinszustandes. Manche bewusster als andere, manche häufiger oder intensiver als andere. Manche Menschen suchen gezielt nach solchen Veränderungen, anderen passieren sie mehr oder weniger einfach so. Und auch die, die sie suchen, kontrollieren sie oft nicht oder nur teilweise. Da gibt es übrigens auch klare Übungseffekte, wie z. B. Menschen, die viel meditieren oder regelmäßig bewusstseinsverändernde Substanzen konsumieren, bestätigen werden.

Veränderung ist erst einmal ein neutraler Begriff. Dinge verändern sich zum Besseren oder zum Schlechteren, werden intensiver oder weniger intensiv. Deswegen sollten wir nun auf unserem Weg hin zu wünschenswerten veränderten Bewusstseinszuständen gemeinsam einen Schritt weitergehen und zwei Begriffe ins Spiel bringen: den der »Bewusstseinserweiterung« und den der »psychedelischen Erfahrung(1)«. Diese Begriffe liegen nahe beieinander und werden oft auch im Austausch verwendet. Beide haben eines gemeinsam: Anders als etwa das Partizip »verändert«, das in diesem Zusammenhang vor allem »irgendwie relevant anders« bedeutet und z. B. auch eine Narkose einschließen könnte, sind sowohl »erweitert« als auch »psychedelisch« mit einer Steigerung an Wahrnehmung verbunden. Es geht um die Transzendenz des im Alltag Zugänglichen. Das bezieht sich nicht nur auf optische Phänomene, wie wir sie z. B. als psychedelische Muster aus den Filmen über die Hippiezeit kennen, sondern auf ein Mehr an Gefühlen, körperlichen Empfindungen, Verbindung von bestimmten Sinnesqualitäten (wie z. B. Töne sehen oder Farben schmecken), starken traumartigen Bildern und intensiven oder ungewöhnlichen Gedanken und Einsichten. Das kann angenehm sein, ist es oft auch – muss es aber nicht. Im Rahmen einer psychedelischen Erfahrung zu verstehen, was der in einem selbst begründete Mechanismus hinter dem ständigen Scheitern von romantischen Beziehungen ist, kann sehr erhellend und hilfreich, aber auch massiv belastend und schmerzhaft sein. Aber genau solche Erkenntnisprozesse, auf die wir im Normalbewusstsein keinen Zugriff haben, machen den Wert und die Faszination solcher Erfahrungen für viele Menschen aus, die solche Bewusstseinsräume nutzen wollen, um sich selbst besser kennenzulernen. Was nicht heißt, dass das die Intention jedes Berliner Partygängers wäre, der im Rahmen eines Clubwochenendes eine Pappe Acid einwirft. Aber es ist eben eine Spielart der Auseinandersetzung mit dieser Art der Bewusstseinsmanipulation.

»Aha, Acid! Kenn ich: LSD! Drogen!!!«, mögen viele jetzt vielleicht denken. Ja, es geht auch darum. Aber eben nicht nur. »Psychedelisch« setzt sich aus den altgriechischen Wurzeln für »das Innere« oder »die Seele« und »offenbaren« zusammen. Und darum geht es. Das Herantasten an das, was da in einem verborgen liegt. Und solche innere Archäologie braucht Werkzeuge – Techniken des Selbst. Ob die nun auf Molekülen basieren und direkt an der Hirnchemie herumschrauben, wie das psychedelische Substanzen in besonders intensiver Weise tun, oder über nicht-pharmakologische Mechanismen wirken, wie die Techniken, die auf Bewegung, Musik oder Atmung beruhen, ist letztlich nicht zentral wichtig für Intensität oder Bedeutsamkeit der Erfahrung. Die meisten Erfahrungen dieses Kalibers werden jedoch auf irgendeinem Weg herbeigeführt und aktiv hervorgerufen. Eher selten kommt es auch zu spontanen Erlebnissen von erweitertem Bewusstsein, das dann jedoch meistens in besonders begünstigendem oder ungewöhnlichem Umfeld, z. B. bei starken Erfahrungen von der Kraft und Größe der Natur bei Wanderungen oder in – schon mit dieser Intention gestalteten – sakralen Bauten wie alten Kirchen oder Tempeln in Südostasien. So wie es besonders musikalische Menschen oder solche mit ausgeprägtem handwerklichen Geschick gibt, gibt es eben auch Menschen mit einer besonderen Begabung für besondere Bewusstseinszustände. Man könnte von besonders psychedelischen Menschen sprechen.

Aber genau wie ein Talent für Kunsthandwerk noch keinen Meisterbildhauer macht, reicht auch ein besonderes Gespür für das Hervorbringen innerer Welten nicht unbedingt aus, um sich besonders wertvolle psychedelische Zustände zu erschließen. Also zurück zu den Werkzeugen. Und das ist wichtig: Es gibt in unserem westlichen Kulturraum heute viel zu wenig Tradition der Lehre des Umgangs mit dem eigenen Bewusstsein.

Für fast alles gibt es heute Kurse und Onlineanleitungen. Aber wenn es um den sinnvollen Umgang mit dem eigenen Bewusstsein geht, gibt es zwar Input aus bestimmten Traditionen wie dem Buddhismus, aber auch viel Geschwafel von zumeist selbsternannten Heilsbringern.

Eine undogmatische und offene Herangehensweise ist selten und leider schwer zu finden. Wir als Team der MIND Foundation haben genau aus diesem Grunde mit unserer MIND Academy eine Plattform geschaffen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, sowohl digital als auch vor Ort in Berlin hochwertige Angebote zu erweiterten Bewusstseinszuständen zugänglich zu machen. Wir bieten Vorträge, Seminare und eine Ausbildung für Therapeuten an, die Patienten im Umgang mit Erfahrungen in diesem Bereich unterstützen wollen. Neben den Theorien zu Wirksamkeit und den Methoden der Erfahrung steht dabei das Thema der Integration der psychedelischen Erfahrung im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit. Fragen wie: »Was kann ich aus meinen psychedelischen Erfahrungen lernen?« oder: »Was sind die Konsequenzen meiner neuen Einsichten für mein Leben?« sind aus unserer Sicht hoch spannend und relevant.

Neu ist das alles natürlich nicht.

Methoden zur Beeinflussung des Bewusstseins gibt es schon sehr lange in der Menschheitsgeschichte, sie sind beileibe keine Erfindung irgendwelcher Hippies. Schon in Höhlenmalereien sind verdächtig oft Pilze abgebildet, während die Darstellungen von Möhren oder Sellerie komplett fehlen. Die Handtrommel ist vermutlich eines der ältesten Instrumente, die der Mensch geschaffen hat, und ihr monotoner Klang begleitet auch heute noch in vielen Kulturen den klassischen Weg in andere Bewusstseinswelten. All die Methoden der Bewusstseinsveränderung erinnern an Michel Foucaults Begriff »Techniken des Selbst«. Der Aspekt des aktiv zu Gestaltenden, des Erlernbaren kommt da gut zum Tragen.

Also zurück zu den Werkzeugen: Ich werde in den Kapiteln 6 bis 10 ausführlich auf viele einzelne Methoden und Wege eingehen, die man sich zunutze machen kann, um psychedelische Zustände in sein Leben zu bringen. Aber mir ist klar, dass viele Leser immer noch keine Vorstellung davon haben, was ich mit psychedelisch eigentlich meine. So richtig erfassen, was diese Art der Bewusstseinsveränderung ausmacht, kann man leider oft erst, wenn man mal selbst in die Nähe einer solchen Erfahrung gekommen ist. Das ist auch der Grund, warum so viele der Menschen, die sich selbst in diesem Bereich als Experten wahrnehmen, gar nicht versuchen, mit »Unerfahrenen« darüber in Austausch zu kommen. Es ist ziemlich anspruchsvoll, jemandem, der nur schwarz-weiß sehen kann, das Konzept »Farbe« zu erklären. Und so fühlt es sich in etwa an, wenn man versucht, einem Menschen, der noch nie in irgendeiner Form einen psychedelischen Zustand erlebt hat, zu erklären, wie das denn nun ist. Für den »Farbenseher« ist es schwierig, seine Wahrnehmung von »Blaugrün« in Worte zu übersetzen – und für den, der nur Schwarz, Weiß und Grau gewohnt ist, klingen diese versuchten Beschreibungen der Farbe der Nordsee wahrscheinlich komplett absurd. Wenn es aber beiden Seiten gelingt, sich auf die Übersetzung der eigenen gedanklichen Konzepte in die Sprache des jeweils anderen einzulassen, können beide davon profitieren: Der Farbenblinde bekommt eine (vielleicht auch diffuse) Vorstellung von den Farben, die in der Welt zweifellos existieren. Und der Farbensehende schärft seine Fähigkeit im Umgang mit diesen Phänomenen. Man könnte auch sagen, dass derjenige, der erfahren hat, dass es jenseits der Schwarz-weiß-Welt noch andere Sphären zu erleben gibt, eine gewisse Verantwortung hat, dies für diejenigen zu übersetzen, die diese Erfahrung nicht oder eben noch nicht gemacht haben. Andererseits hat der Technicolor-Fan auch nicht das Recht, seine Wahrnehmung über die der Nicht-bunt-Seher zu stellen. Überspitzt gesagt, darf jeder mit seiner inneren Farbpalette glücklich werden. An diesem Beispiel wird klar: Die eigene Erfahrung ist nicht der Maßstab aller Dinge. Meine Ich-Erzähler-Perspektive auf die Welt ist eben nur meine. Niemand sieht, riecht, schmeckt, fühlt, atmet in exakt der gleichen Weise, wie ich es tue. Deswegen ist es so wichtig, für solche sehr subjektiven Wahrnehmungen objektivierbare und von mir abgelöste Beschreibungen zu finden. Schon bei der Beschreibung eines Geschmacks tun wir uns da oft schwer. »Schmeckt irgendwie nach Hühnchen« ist ja schon ein Klassiker der kulinarischen Reiseberichte und wird dort dann auch für alles – vom Schlangenragout bis zum gegrillten Papagei – angewendet. Wie viel schwerer ist es also, wenn es sich um Vorgänge in unserem Bewusstsein handelt!

Da hilft dann wirklich nur noch der Wechsel in sogenannte Dritte-Person-Perspektiven: beschreibend und mit dem Versuch auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, der es möglich macht, sich klar miteinander auszutauschen. In diesem Sinne werde ich versuchen, dass, was die psychedelische Erfahrung ausmacht, so objektiv wie möglich zu beschreiben, ohne das Ganze blutleer und langweilig wirken zu lassen. Denn das sind solche Erfahrungen mit Sicherheit nicht. Eine Einführung in diese Erfahrungswelten kann nur gelingen, wenn wir uns vorher gemeinsam eine innere Landkarte solcher Erfahrungen zurechtgelegt haben. Aber genau wie die Landkarte nicht das abgebildete Territorium ist, sind Beschreibungen der Erfahrung nicht die Erfahrung, sondern nur zweidimensionale Darstellungen dessen, was man erleben kann. Wir unternehmen einen Versuch, »psychedelisch« verständlich zu machen.

Psychedelische Zustände(1) können alle Achsen der Wahrnehmung und des Erlebens betreffen, z. B. Zeit und Raum, Musik, Gefühle, Beziehungsqualitäten, optische Wahrnehmung mit geschlossenen und offenen Augen, Klänge, Konsistenz und Geschmack von Lebensmitteln. Als nächste Stufe kommt dazu, dass nicht eine dieser Veränderungen isoliert auftritt, sondern sich aus der Überlagerung vieler solcher Verschiebungen von Erlebnisqualitäten eine Gesamterfahrung ergibt – die sich außerdem je nach Werkzeug, das ich nutze, um die Erfahrung zu machen, Person, die die Erfahrung macht, und dann noch bei jeder einzelnen Gelegenheit unterscheidet. Und doch stellt jeder, der solche Erfahrungsräume aufsucht, fest, dass sich irgendwann ein sehr persönliches Muster herauskristallisiert: individuell immer noch sehr variabel, aber eben typisch. Bestimmte optische Muster, Körperwahrnehmungen, Abläufe werden vertrauter und werden zu einer Art inneren Landschaft, in der man sich zu bewegen lernt. Wie schon angedeutet: Man kann diese Art des inneren Reisens lernen.

Was einem bei den ersten Erfahrungen im veränderten Wachbewusstsein noch als in keiner Weise steuerbar erschienen sein mag, wird mit Übung und Zeit klarer und vertrauter. Es fühlt sich dann nicht mehr an, als wäre man unter einen Güterzug geraten, der einen mitschleppt. Mit der Zeit wird die eigene Erfahrung modulierbarer, was nicht mit »totaler Kontrolle« meint – wer diese zu erreichen versucht, hat gute Chancen, eine wirklich miese Zeit zu erleben. Es ist so ähnlich wie beim Klarträumen: Wenn ich erfasse, dass ich träume, kann ich auf die Inhalte Einfluss nehmen. Und das oft sehr weitgehend: Fliegen, tauchen, Baum werden … aber wenn ich es überdrehe, falle ich aus dem Erleben und wache auf.

Jede psychedelische Erfahrung ist ein Mosaik aus den Veränderungen der verschiedenen veränderten Wahrnehmungsebenen und kaleidoskopartig jedes Mal, also wirklich jedes Mal, komplett anders. Dies als Einstieg in das Thema Psychedelik(1). Wir kommen in den nächsten Kapiteln noch viel ausführlicher auf die einzelnen Techniken und Erlebnisräume zurück.

Einen Aspekt, den wir gerade elegant umschifft haben, ist die Frage nach den Übergängen vom veränderten Wachbewusstsein hin zu pathologischen Zuständen wie der Psychose. Diese Übergänge sind fließend. Wie schon angesprochen ist das, was für den einen Menschen schon ein veränderter Bewusstseinszustand ist, für den anderen noch normales Wachbewusstsein. Wenn wir an den extremen äußeren Rand des veränderten Wachbewusstseins gehen, wiederholt sich dieses Muster. Was für Tom noch eine psychedelische Erfahrung ist, ist für Lisa vielleicht schon ein momentaner psychotischer Zustand. Was den Unterschied ausmacht? Vereinfacht gesagt, weiß man im veränderten Wachbewusstsein normalerweise und zu den meisten Zeitpunkten, dass man gerade eine ungewöhnliche Bewusstseinserfahrung macht, hat also sozusagen noch eine Sicherungsleine in der Alltagsrealität. Im psychotischen Erleben ist diese Sicherungsleine gekappt, der Betroffenen treibt mehr oder weniger ohne fixen Orientierungspunkt in seinem veränderten Erleben. Gerade im Zusammenhang mit hohen Dosen psychedelischer Substanzen kann ein solches psychotisches oder psychosenahes Erleben zeitlich begrenzt auftreten – zumeist endet der Spuk jedoch, wenn die Wirkung der Substanz auf die Hirnchemie verflogen ist. Aber manchmal bleibt dieses Driften im veränderten Bewusstsein über den Einfluss der psychoaktiven Substanz hinaus erhalten und verselbstständigt sich – es entsteht eine Psychose. Ich schreibe bewusst nicht »Drogenpsychose«, weil bis heute nicht ganz klar ist, ob die Einnahme von psychoaktiven Substanzen der wirkliche Grund für die Entwicklung einer solchen Psychose ist.

Jemand, in dessen Neurobiologie keine Grundtendenz zum Psychotischen angelegt ist, bekommt in der Regel nach Einnahme von Psychedelika auch keine Psychose. Aber es gibt bestimmte Faktoren, die die Entwicklung einer solchen Erkrankung mit vorherbestimmen. Einer ist die familiäre Prädisposition, also die genetisch mitgegebene Veranlagung zu psychischen Erkrankungen mit psychotischer Symptomatik, wie die Schizophrenie. Weitere Faktoren, die die Entstehung einer drogenassoziierten Psychose beeinflussen können, sind noch nicht ausgereifte neuronale Netze (also jugendliches Alter), begleitende Vorerkrankungen, wie Depression oder bipolare Störung, sowie vorhergegangene Episoden psychotischen oder psychosenahen Erlebens. Zum Teil versuchen gerade junge Menschen mit psychischen Vorbelastungen sich selbst mit psychoaktiven Substanzen zu behandeln. Diese sogenannte Selbstmedikation wird als akzeptable Alternative dazu empfunden, im offiziellen Medizinsystem die Hilfe eines Psychiaters oder Psychotherapeuten zu suchen. Manchmal passiert das komplett unbewusst, in anderen Fällen wird die Einnahme von psychoaktiven Substanzen als der »noblere Weg« der Selbstbehandlung überhöht – der Verweis auf die alte Weisheit der indigenen Völker und das Salbeibündel zum Räuchern sind dann meistens nicht weit weg. Tatsache ist, dass beim Gebrauch psychoaktiver Subtanzen und eben auch Psychedelika Psychosen auftreten können. Allein in meinem Bekanntenkreis habe ich im vergangenen Jahr fünf Fälle miterlebt, die ärztliche Behandlung, antipsychotische Medikation und teilweise monatelange Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken benötigt haben. Andererseits probieren laut Global Drug Survey8, der größten Onlineumfrage zu Drogen, mehr als ein Prozent der Gesamtbevölkerung in Europa einmal in ihrem Leben eine psychedelische Substanz – in den USA sind es sogar noch mehr. Das wären allein in Deutschland mehr als 800 000 Menschen, die schon einmal oder mehrfach Kontakt mit Psychedelika hatten. Aber unsere Psychiatrien sind spannenderweise nicht voll mit Menschen, die »auf Droge« psychotisch geworden sind. Da braucht es also eine gewisse Klarheit im Umgang: Ja, Drogen können psychische Erkrankungen auslösen – sie tun es auch. Aber eben nicht häufig. Und von hier aus ist die Überleitung ins nächste Kapitel einfach: Es geht nämlich um legale und illegale Drogen und die Gründe, warum Menschen solche Erfahrungen suchen.

3 Skandal im Sperrbezirk – legale und illegale Bewusstseinsveränderung

»Cannabis(1) ist verboten, weil es eine illegale Droge ist.« Dieses Zitat der ehemaligen Bundesdrogenbeauftragten, Marlene Mortler, macht mit einem Schlag klar, was in der deutschen Drogenpolitik seit Jahrzehnten schiefläuft. Politische Entscheidungen zum Umgang mit psychoaktiven Substanzen werden nicht an Fakten zu Suchtrisiko, Nebenwirkungen und Gesundheitsfolgen orientiert – und schon gar nicht an möglichem Mehrwert für die körperliche und seelische Gesundheit. Was legal oder illegal ist, wird aufgrund von oft relativ unreflektierten Moralreflexen festgelegt, die Forschung mit den als illegal eingestuften Substanzen als gefährlich, weil verboten, verhindert – um sich dann darauf zu berufen, dass man die Substanzen nicht freigeben kann, weil man zu wenig über Risiken und Wirkungsprofil weiß. Dabei haben einige der »beliebtesten« auf dem Schwarzmarkt gehandelten Substanzen ohnehin schon eine klare Rolle in der Medizin: Ketamin ist das wichtigste Narkosemittel bei Schwerverletzen in der Notfallmedizin und spielt zunehmend eine Rolle in der Therapie von schweren Depressionen. Kokain wird in der Augenheilkunde als lokales Betäubungsmittel eingesetzt. Opiate gehören zum täglichen Handwerkszeug jedes Narkosearztes und Schmerztherapeuten. Die Kosten für medizinisches Cannabis müssen mittlerweile unter bestimmten Voraussetzungen sogar von der Krankenkasse übernommen werden. Kiffen auf Rezept ist auch in Deutschland längst Realität. Es geht noch weiter: Amphetamine werden in den USA ganz selbstverständlich neben Ritalin zur Therapie von ADHS verwendet, und GHB, das sogenannte Liquid Ecstasy, findet sich unter dem Namen Somsanit auf vielen Intensivstationen und dient dort dazu, den Tag-Nacht-Rhythmus von Patienten wiederherzustellen. Dem gegenüber steht die irrsinnig hohe Zahl der Alkohol- und Nikotinabhängigen. An den Spätfolgen von Alkohol- und Tabakkonsum starben in Deutschland im Jahr 2019 zusammengenommen 195 000 Menschen.9 Und da sind die Verkehrsunfälle unter Alkohol noch nicht mal mitgerechnet. Laut Bundesgesundheitsministerium starben im Jahr 2019 1398 Menschen durch illegale Drogen.10 Das sind 0,7 Prozent der Toten durch Alkohol und Tabak.