Yoga und Psychoanalyse - Günter von Hummel - E-Book

Yoga und Psychoanalyse E-Book

Günter von Hummel

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Beschreibung

Kann Yoga bei Depressionen helfen? Welche Rolle spielt Yoga bei Selbsterkenntnis und der Erforschung des Unbewussten? Zu was ist meditativer Yoga vor allem im Zusammenhang mit der moder-nen Psychoanalyse außerdem noch im Stande? Lange waren diese Fragen Gegenstand von Diskussionen, Missverständnissen und unscharfen Hilfsansätzen. In diesem Werk schafft Psychoanalytiker Dr. Günter von Hummel die wissenschaftliche Grundlagen zum Beweis der heilenden Wirkung. Er vergleicht die grundlegenden Lehren und Inhalte des Yoga mit den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Psychoanalyse. Aus dieser Zusammenführung entsteht ein eigenes Vderfahren: Die Analytische Psychokatharsis. Dieses Buch schafft auch für den Laien eine Möglichkeit sich diesen Themenfeldern zu nähern und so zu verstehen wie die daraus entstehenden Folgerungen ineinandergreifen und zusammenspielen. Dr. von Hummel hat damit eine Methode geschaffen mit der jeder mit einfachen Mitteln in der Lage ist sich selber zu helfen. Das Buch vermittelt direkt den ersten Schritt zur eigenen Praxis und damit eine Verbesserung des psychischen Zustands erreichen können.

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INHALTSVERZEICHNIS

1.1 Vorwort

1.2 Einleitende Bemerkungen zu Yoga und Psychoanalyse

1.3 Die ‚imaginäre Ordnung‘ des Yoga

2.1 ‚Déjà vu‘ und ‚Jamais raconté‘

2.2 Die ‚symbolische Ordnung‘ der Psychoanalyse

2.3 Ur-

Übertragung

2.4 ‚Visionen‘ und

Eigen-Namen

3.1 Das

Strahlt

des

Anderen

3.2 Das

Spricht

des

Anderen

3.3 Kausales und Reales

4.1

.

Einführung in die

Analytischen Psychokatharsis

4.2

ARE – VID – EOR

4.3 Die

Pass-Worte

und der ‚Auftrag‘ des

Anderen

5.1 Geschichte und Wahrheit

5.2 Die Wissenschaft vom Genießen

Literaturverzeichnis

1. 1 Vorwort

Einen Ausweg aus den Querelen der heutigen Zeit kann es kaum noch mit Hilfe der rein natur- oder rein geisteswissenschaftlichen Disziplinen geben, selbst wenn sie von der immensen Macht der digitalen Welt und technischer Erfolge gestützt werden. Der Mensch ist wieder auf sich selbst als Subjekt zurückgeworfen. In erster Linie sind daher Erneuerungen und Verbesserungen nicht von objektivierenden Wissenschaften oder gar deren Techniken, sondern von einer Wissenschaft v om Subjekt zu erwarten, in der jeder Mensch sich persönlich gemeint wissen kann.1 In dieser Hinsicht ragen im Westen die Psychoanalyse und im Osten der Yoga (Meditation) als entscheidend heraus. Sie sind die zwei Heroen der Selbsterfahrung und Wahrheitsfindung und sind insbesondere aufs Subjekt bezogen und erst in zweiter Linie sielen die nüchternen ‚Objekte‘ eine Rolle.2 Während Yoga, Meditation und östliche Weisheitslehren versuchen hinter alles Bildhafte zurückzugehen, um so mittels konkreter Praxis an das eigentlich aussagbar Wirkende heranzukommen, versucht dies die Psychoanalyse unter Zerlegung alles Aussagbaren und Worthaften, wobei hier der Schwerpunkt mehr auf gut begründeter Theorie liegt. Unter dem Begriff Yoga verbergen sich allerdings genauso wie unter dem der Psychoanalyse viele, oft recht verschieden gestaltete Verfahren.

Doch was den Yoga angeht, kann ich mich gut auf Kirpal Singh (1894-1974) stützen, der einer der bekanntesten Religionswissenschaftler und Yoga-Lehrer Indiens war. Nicht jeder Leser wird dies gleich nachvollziehen können, da Kirpal Singh nicht die öffentliche Bekanntheit hatte wie etwa B. K. S. Iyengar, der auch im Fernsehen auftrat und auf den ich später noch eingehen werde. Wenn ich Kirpal Singhs Leben und seine Lehre hier heranziehe, um Yoga und Psychoanalyse zu vergleichen, dann deswegen, weil er den besten Überblick über diese Thematik vermittelt hat. So hat er auch das profundeste Buch über alle gängigen Arten des Yoga und der Mystik verfasst.3 Er hatte im Westen sehr viele Schüler und lehrte eine ethisch besonders hochstehende Meditationspraxis. Man könnte sagen, dass er einen ‚passiven Yoga‘ lehrte, der nicht so viele körperliche Aktionen, die die meisten Menschen mit dem Wort Yoga verbinden, einschloss.

Lange war er Präsident der Weltgemeinschaft der Religionen und später begründete er ein entsprechendes weltweites Forum für Repräsentanten verschiedenster sozialer, kultureller und ‚spiritueller‘ Gruppierungen (Unity of Man).4 Er publizierte auch zahlreiche andere Bücher und hielt weltweit Vorträge zum Thema Yoga und Meditation. In diesem Buch will ich also einen Vergleich des Yoga mit der Psychoanalyse vorwiegend anhand seiner Lehre darstellen, aber auch andere Yogaformen werden zu Wort kommen. Kirpal Singhs dem Laya-Yoga nahestehender Yoga, von ihm auch Surat-Shabd-Yoga genannt, stellt eine der kompaktesten Yogaformen dar, der zudem westlicher Psychologie sehr nahekommt. Das Wesen des Yoga und dessen Bezug zur modernen Wissenschaft lassen sich so am umfassendsten und aktuellsten vermitteln.

Es ist schwer zu sagen, ob man Kirpal Singh einen Lehrmeister des Yoga, einen Mystiker oder Psychotherapeuten nennen soll, denn er war eben nicht nur ein ausreichend guter Theoretiker, sondern vor allem einer der mächtigen Praktiker, der sich nicht in komplexer Methodik verzettelte, sondern einer sehr großen Anzahl von Menschen direkte Hilfe gab. Neben dem auf Sanskrit-Formulierungen gestützten Konzentrationsverfahren vermittelte er trotz eines Lebens im vollen Berufsalltag und Familie die Inhalte einer vegetarischen Lebensweise, Wahrheitsliebe, Gewaltlosigkeit, Selbstlosigkeit und monogamer Einstellung. Trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – verlangt das einundzwanzigste Jahrhundert mit seinen weltweiten rationalen Wissenschaften neben dieser Betonung einer doch im letzten Sinne ‚mystischmythischen‘ und traditionalistischen Methodik und Praxis eine Würdigung auch von der intellektuellen und modernen wissenschaftlichen Seite her. Denn wie sonst sollte man diese wertvollen Erfahrungen weiteren Generationen und den heutigen Wahrheitssuchern auch außerhalb Indiens vermitteln? Die Zeit ist endgültig zu Ende, in der solche ‚Heils-Persönlichkeiten‘ oder Weisheitslehrer zwar großartige Wirkungen erreichten, aber nur dadurch weiterwirkten, dass man sich wieder auf derartige ‚Heils-Persönlichkeiten‘ und Weisheitslehrer verlassen musste, deren Wissen sich nicht in moderne Wissenschaften einschreiben lässt. Von dieser Seite her muss man den Yoga also auch sehr kritisch sehen.

kritisch Abb. 1 sehen. Kirpal Singh

Moderne Wissenschaften wie etwa die Psychoanalyse, übernehmen daher mehr und mehr die Aufgaben, die früher von solchen weisen Menschen ausgeführt wurden. Wir können uns heute nicht mehr ausschließlich auf unmittelbaren Glauben stützen, mag dieser auch von einer starken Persönlichkeit vermittelt worden sein, sondern fordern wissenschaftlichen Zugang, der allen Menschen offen steht. Auch der Psychoanalyse haben anfänglich viele Kenner und Wissenschaftstheoretiker einen Wissenschaftsstatus im eigentlichen und modernen Sinne abgesprochen. Doch der französischen Psychoanalytiker J. Lacan hat die Psychoanalyse in Form einer Konjektural- (Vermutungs-) Wissenschaft weiter entwickelt und sie vereinfacht als ‚logische Praxis‘ bezeichnet. Ich werde zwar auch die herkömmliche Psychoanalyse kritisch sehen, sie jedoch mit der Unterstützung Lacans klar zu schildern versuchen, ihre Nachteile aber ebenso herausstellen wie ich es gerade hinsichtlich des Yoga getan habe. Lacans Begriffsinstrumentarium aber, das sich von herkömmlicher Psychoanalyse abhebt, werde ich für die übergeordnet-verbindliche Sprechweise nutzen, da es si.ch von der herkömmlichen Psychoanalyse abhebt.

Zudem kommt das theoretische Werk Lacans zu Schlussfolgerungen, die den Lehren Kirpal Singhs (Surat-Shabd-Yoga) in vielen Aspekten exakt entsprechen. Lacan bindet die Psychoanalyse an die Sprachwissenschaften und die Mathematik, er bindet sie an das Joch (Yoga) der Wissenschaften vermittels der modernen Geometrie oder besser gesagt: Topologie, die dem Yoga ganz ähnlich ist. Unter Topologie versteht man die moderne Geometrie, auch Gummigeometrie genannt, weil gerade Linien im Raum entsprechend der Einstein´schen Theorie ‚gekrümmt‘ erscheinen können und somit z. B. die Winkelsumme eines Dreiecks größer (z. B. auf eine Kugel gezeichnet) oder kleiner 180o sein kann. Genau in der Art solcher Linien, die mit Libido, mit Bahnen des Begehrens, besetzt sind, sieht der Psychoanalytiker den Menschen durchzogen und so sind sie auch (anders geordnet) als Meridiane und ‚Energielinien‘ im Yoga bekannt, wobei sie eben hier wiederum praktisch und körpernah erfahren werden können. Was der Psychoanalytiker im Sprechen mit dem Patienten ‚durcharbeitet‘ und theoretisiert, wird im Yoga wirklich gespürt und analog beschrieben.

Die psychologische Linguistik Lacans hat zudem einen engen Bezug zu der Struktur von Mantras. Hier wie dort werden Buchstabenkombinationen verwendet, die sich an der Grenze des normal Sprachlichen befinden. Eben damit haben wir eine Möglichkeit in der Hand, Yoga und Psychoanalyse auch von dieser Seite her einer vergleichenden Betrachtung zu unterziehen und uns auf wirklich moderne wissenschaftliche Exaktheit zu stützen. Wir müssen nicht in dieser heutzutage so verbreiteten Pseudowissenschaftlichkeit verbleiben und können trotzdem Kirpal Singhs ‚Auftrag‘ würdigen, dem Wesen des Yoga gerecht zu werden und auch Lacans Psychoanalyse zu entsprechen. Andererseits muss man auch zugestehen, dass der Psychoanalyse besondere und integre Persönlichkeiten fehlen. Kein Analytiker hat seine eigene Analyse vollendet abgeschlossen,5 und unter Wissenschaftlern und Psychotherapeuten fehlt der perfekte Praktiker, der all das selbst auch körpernah erfahren hat, wovon er redet, wie das bei Kirpal Singh der Fall war, während ihm selbst wiederum die moderne, westliche Intellektualität fehlte. Ich stelle Psychoanalyse und Yoga der Ausgeglichenheit wegen gleichermaßen in den Vordergrund.

Es genügt also nicht mehr nur mit gelehrten Statements oder allein mit erfolgreichen Techniken aufzuwarten, wie es die antike oder mythische Wissenschaft tat. Aber auch der ‚universitäre Diskurs‘, in den viele Psychoanalytiker wieder zurückgefallen sind, reicht nicht aus. Eine ausgereifte moderne Menschheitslehre muss sich also an so etwas wie den wissenschaftlichen Beweis anlehnen und zudem direkte und hochstehende Praxis sein. Beides ist nötig.6 Das Problem aller Meditations- und Yogaschulen, der Christian Science, der ID, der Anthroposophie, der Scientologen und anderer ähnlicher oder esoterischer Organisationen ist nicht eine Frage des Sektentums, sondern dass sie sich auf diesen Pseudoszientismus antiker Art stützen, der weit von moderner Wissenschaftlichkeit entfernt ist. Auch die Psychoanalyse wirkte anfangs auf viele Menschen wie eine sektiererische Gruppe, jedoch schon bald war ihr den Naturwissenschaften angepasstes fundiert wissenschaftliches Vorgehen allgemein anerkannt.

Die Frage des Sektentums erinnert mich auch an Capras ‚Tao der Physik‘ und andere esoterische Veröffentlichungen, die faszinierende Analogien zwischen Physik und ‚Spiritualität‘ dargestellt haben. Aber die beste Analogie ist noch lange kein wirklicher, wissenschaftlicher Beweis, und so ist der Versuch notwendig Yoga und Wissenschaft (Psychoanalyse) mit Hilfe einer übergeordnetverbindlichen Sprache auf einander zu beziehen. Denn auch der reine analog-sprachliche Vergleich genügt nicht. In ihrem Buch ‚Zen-Buddhismus und Psychoanalyse‘ haben D. T. Suzuki als Kenner östlicher Meditation und E. Fromm als Psychoanalytiker einen profunden Vergleich versucht, aber letztlich – wie ich noch ausführen will – kein übergeordnet-verbindliches Resultat gefunden.7 Während Suzuki in pauschalen Begriffen (was man dem Osten gerne zugesteht) und in den für den Zen typischen Paradoxien seine Zen-Meditation erklärt, argumentiert Fromm ebenso pauschal, aber gleichzeitig akademisch abgehoben über seine ‚humanistische Psychoanalyse‘ (was man dem Westen nicht mehr zugestehen kann).

Ich war über vierzig Jahre lang Schüler von Kirpal Singhs Yoga und bin gleichzeitig ebenso lange als Arzt und Psychoanalytiker tätig gewesen. Ich fühle mich daher gedrängt, diese Herausforderung eines Vergleichs der Psychoanalyse mit einer fundiert wissenschaftlichen Würdigung und Kritik des Lebens und der Lehren Kirpal Singhs aufzugreifen. Aber ein Anfang muss gemacht werden. Zu lange hat mich die Diskrepanz zwischen West und Ost beschäftigt. Obwohl Kirpal Singh oft betonte, dass R. Kipling mit seinem Ausspruch „East is East and West is West and never the twain shell meet“ (Ost ist Ost und West ist West, und niemals werden sich die beiden treffen) unrecht hätte, konnte er die kulturellen und vor allem wissenschaftlich-geistigen Unterschiede zwischen Ost und West bei weitem nicht beseitigen. Seine ‚Nachfolger‘ verkaufen wieder ausschließlich indisch-esoterische Weisheiten und dem kann man heute nicht widerspruchslos zusehen.

Somit wird letztlich ein eigenes Therapie - Verfahren begründet werden müssen, denn man kann nicht Yoga und Psychoanalyse einfach miteinander vermischen, sondern muss diese beiden Verfahren in einer neuen Form und – wie mehrfach betont – ‚übergeordnet-verbindlichen Sprache‘ darstellen. Ich werde mich nicht zu ausgiebig mit anderen Yogaformen beschäftigen, da Kirpal Singh wie erwähnt selbst eine der ausführlichsten Übersichten über alle Yogasysteme gibt.8 So bezeichnet er den Hatha Yoga (Yoga vermittels rein körperlicher Übungen) als umständlich und nur für körperlich sehr widerstandfähige Menschen geeignet, und auch den umfassenden, aber doch sehr traditionalistischen Yoga Patanjalis, als für die meisten Menschen im Westen nicht relevant. Lediglich ein paar Übungen in Verbindung mit Atemübungen (Pranayama) und Konzentration mögen für eine allgemeine Fitness und Entspannung hilfreich sein.

Dies, eine mehr kommerzielle, allgemeine und verwestlichte Form des Yoga kann nicht Inhalt dieses Buches sein. Sie mag sinnvoll sein für ein bisschen Wellness des modern gestressten Menschen. Aber selbst ein ausgiebigeres Üben auf dieser reduzierten Ebene lassen einen genauso wie in Bhakti-, Kriya-, Jnana- und andere Yogaformen nie einen wirklich tiefen Einblick in die eigene Persönlichkeit tun. In der Sprache des Surat-Shabd-Yoga ausgedrückt: sie lassen einen nicht über die ‚spirituelle‘ Grund-Ebene hinaus gelangen, über der sich jedoch noch vier weitere Ebenen befinden. Sämtliche Körper-Zentren (Chakras), also untere yogische Ebenen gelten als nicht so beachtenswert. Ich muss also meine vergleichende Untersuchung auf einem gut begründeten Niveau ansetzen und stets vergleichendes psychoanalytisches Vokabular einbringen.

Ich bin nicht der erste, der einen derartigen Versuch unternimmt, die indische ‚Spiritualität‘ mit der westlichen Wissenschaft zu vergleichen und zu verbinden. Der erste war F. I. Winter, der die Psychoanalyse S. Freuds und C. G. Jungs mit Patanjalis Yoga-Sutras in Bezug zueinander setzte.9 Später hat sich C. G. Jung selbst ausführlich damit beschäftigt.10 In neuerer Zeit haben I. P. Sachdeva und A. Roland11 von der psychoanalytischen Seite her eine derartige Zusammenschau versucht, sowie M. G. Gupta und M. Juergensmeyer von der indisch-philosophischen her.12 D.C. Lane hat eine soziologische Untersuchung speziell über den Surat-Shabd-Yoga vorgelegt,13 und J. W. Newman eine vergleichende

Studie über Zen-Meditation und Psychoanalyse.14 Sehr ausführlich beschäftigte sich K. T. Behanan mit dem direkten Vergleich von Yoga und Psychoanalyse.15 Am ausführlichsten aber nimmt B. S. Goel zu dieser Thematik in seinem Buch ‚Psychoanalyse und Meditation‘ Stellung,16 und Suzukis und Fromms Buch soll ebenfalls weiter dargestellt werden. Im Internet sind zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Yoga Kirpal Singhs und vergleichbarer Yogalehren zu finden, wie diskutiert werden wird, um einen klar begründeten Weg zu finden, der das mehr persönlichkeitsbestimmte Werk Kirpal Singhs durch ein präzises, der Psychoanalyse entnommenes, neues eigenes Verfahren ergänzen und neu beleben kann. Davon wird auch die Psychoanalyse profitieren, indem ihr inzwischen so komplex gewordenes Gebäude durch dieses Verfahren vereinfacht praktiziert werden kann.

Ich reiste 1969 für längere Zeit nach Indien. Mit Literatur über Yoga und Meditation hatte ich mich vorher schon beschäftigt und in der Zeit danach mich noch weiter darin vertieft. Bereits vorher hatte ich eine psychoanalytische Ausbildung begonnen, über die ich im Schlussteil des Buches noch berichten werde. Auf jeden Fall stieß ich zwei Jahre später auf Kirpal Singh und zwar zuerst einmal über Kontakte mehrerer Menschen, die von seiner Persönlichkeit sehr beeindruckt waren. Trotz eines von vielen Seiten her behaupteten Widerspruchs von Psychoanalyse meditativem Yoga, vor allem auch von Warnungen meines psychoanalytischen Ausbildungsinstitutes begleitet, begann ich mich auf Theorie und Praxis des Surat-Shabd-Yoga einzulassen. Das war eine sehr verwirrende Angelegenheit, die sich sicher auch jetzt noch in diesem meinen ersten Seiten wiedergespiegelt hat.

1 Ich werde noch erläutern, dass diesbezüglich auch der Begriff der Konjekturalwissenschaft geeignet ist. Konjektur heißt Vermutung, die man – wie in der Mathematik – stets mit stärkeren Vermutungen fortsetzt, bis das letzte Resultat feststeht. Diese bereits von Nikolaus von Kues begonnene Definition lässt eben auch dem heutigen Subjekt den Spielraum, anhand konkreter, wissenschaftlich abgestützter Vermutungen zu einer ‚Selbstverwirklichung‘ zu kommen.

2 Ich schreibe ‚Objekt‘ in Anführungszeichen, da es vorwiegend um psychische ‚Objekte‘ geht, die eine Art seelischer Zustände oder psychischer Fixierungen darstellen.

3 Kirpal Singh, Die Krone des Lebens, Die Yogalehren (1974)

4 Ich schreibe ‚spirituell‘ in Anführungszeichen, da es keine klaren wissenschaftlichen Grundlagen hat. Es verführt auch zum ‚spiritual bypassing‘, nämlich Heil im rein Geistigen zu suchen, wenn es um Grundprobleme des Alltags geht. Freilich gilt spirituell für Religiosität allgemein.

5 Safouan, M., Die Übertragung und das Begehren des Analytikers, Königsh. & Neumann (1997)

6 Man kann die antike, mythische Wissenschaft von der modernen am besten dadurch unterscheiden, indem man ihren Bezug zum Wissen und zum Können definiert. In der antiken Wissenschaft sind diese beiden Eigenschaften noch sehr eng verbunden: wer heilt, hat recht (wer kann, weiß auch das Richtige). Dagegen sind in der modernen Wissenschaft Wissen und Können weitgehendst voneinander getrennt und dadurch präziser darstellbar.

7 Suzuki, D. T., Fromm, E., Zen-Buddhismus und Psychoanalyse (1972)

8 Kirpal Singh, Die Krone des Lebens, Günther Verlag (1974) Empfehlenswert ist auch Taimni, I. K. The Science of Yoga, Theos. Publ. (1961)

9 Winter, F. I., The Yoga System and Psychoanalysis, Quest 10 (1918)

10 Jung, C. G., Die Psychologie des Kundalini-Yoga, Walter (1998)

11 Sachdeva, I.P., Yoga And Depth Psychology, Motilal (1978). Roland, A., In Search of Self in India and Japan, Princeton (1988).

12 Gupta, M. G., Modern Indian Mysticism, MG Publishers (1994). Juergensmeyer, M., Religion as Social „Vision“, California (1982)

13 Lane, D. C., The Radhasoami Tradition, Garland Publ. (1992)

14 Newman, J. W., Asian Thought and Culture, Disciplines of Attention, Peter Lang Verlag (1996)

15 Behanan, K. T., YOGA, Its Scientific Basis, Dover Public. (2002)

16 Goel, B. S. Meditation und Psychoanalyse, Ariston (1989)

1. 2 Einleitende Bemerkungen zu Yoga und Psychoanalyse

Yoga-Lehrer pflegen oft zu sagen, dass das Entscheidende nicht die physische Geburt ist, sondern jene zweite, geistige – in Indien ‚spirituell‘ genannte – ‚Geburt’, die sich durch einen bestimmten, bewegenden und strukturverändernden Moment im Leben darstellt. Das erinnert sehr stark an die zwei ‚Geburten’, eine „aus dem Wasser“ und eine „aus dem Geist“ im Nikodemus-Gespräch des Neuen Testaments, und es ist wohl das Gleiche gemeint. Wenn es darum ging, sein Leben und seine Mission zu erklären, fügte Kirpal seinen Ausführungen oft hinzu: "I had background (ich hatte Hintergrund)". Dieser Ausdruck sollte heißen, dass er die Gunst gewisser Bedingungen in dieses zweite Geborenwerden einzutreten für sein Leben von Anfang an gesehen hat. Um es kurz zu sagen: diese Bedingungen, dieser Hintergrund, mit dem auch die geistige, die ‚zweite‘ Geburt zusammenhängt, könnten wir – entsprechend Kirpal Singhs Lehre und dem, was er eben unter ‚Spiritualität‘ verstand, – den Yoga des ‘Licht’- und ‘Laut’- Prinzips nennen. Mit diesen beiden Begriffen, grundlegenden Prinzipien bzw. Kräften, kennzeichnete er nämlich die wesentlichsten Eckpfeiler seiner Lehre, seines Surat Shabd Yoga, aber auch aller anderen Yogaformen und geistigen Transformationen, deren Wesen er bei seinem Lehrer Sawan Singh erlernte.17

Das ‘Licht’- und ‘Laut’- Prinzip ist nach Kirpal Singh ein universaler, in allen Bereichen des Lebens und der Materie anzutreffender Dualismus von ‚Kräften’, der – was das ‚Licht‘ angeht – sofort wieder an die gerade erwähnten Meridiane und Libido-Linien (Freud sprach von Bahnen), und – was den ‚Laut‘ angeht – an die Psycho-Linguistik und die Mantras erinnert. Es handelt sich generell genommen um nichts Neues. Wir kennen aus fast allen religiösen oder mythischen Schriften die Gleichsetzung des Göttlichen mit dem ‘Licht’ auf der einen und dem ‘Laut’ oder ‚Wort‘ (Logos), auf der anderen Seite. Auch in anderen Bereichen wird der Ebene des Visuellen, des Sichtbaren, Optisch-Realistischen, die des Begrifflichen, Symbolischen, Semantischen gegenüber gestellt. In den Naturwissenschaften ließen sich diese zwei Prinzipien ebenso feststellen, etwa in dem Gegensatz von Materie-Energie und Information. Der Philosoph J. Grünfeld widmet sein Buch Conceptual Relevance ganz dem Dualismus des Realistischen (Wirklichen) und Semantischen (Bedeutungsvollen). Er kommt allerdings zu keinem Schluss, wie man diese beiden Prinzipien effektiv zusammenbringen könnte.18 Immer ist das Bedeutungsvolle zu wenig realistisch und umgekehrt das Realistische zu wenig bedeutungsvoll. Dennoch geben sie exakt Kirpal Singhs Prinzipien wieder.

Ich werde im Laufe dieser wissenschaftlichen Untersuchung noch ausführlich darauf zurückkommen. Auf jeden Fall kann dieses Doppel-Prinzip als Leitfaden nicht nur für Kirpal Singhs Leben und Lehre, sondern auch für meine Ausführungen gelten, zumal sich zeigen wird, dass dieses Dual - Prinzip auch in der Psychoanalyse besteht. Wir sprechen dort von einem Dualismus der grundlegenden Triebe, Trieb-Kräfte, die wie der ‘Licht’ / ‘Laut’ Kräfte-Dualismus als grundlegende Prinzipien oder Signifikanten wirken. Der Begriff des Signifikanten stammt aus der Sprachwissenschaft. Er ist gegenüber dem Signifikat, dem Bezeichneten und der Bezeichnung der/das eigentlich ‚Bezeichnende‘, ‚Bestimmende‘, das Zeichen eines Subjekts bis fast hin zu so etwas wie einem subjektbezogenen Zustand. Aber erst eine Kombination der Signifikanten schafft Klarheit innerhalb aller Beziehungs- und Bedeutungsknoten.

Ich werde jedoch gleich die Unterscheidung in den mehr , symbolischen (wie er für die Psychoanalyse typisch ist) und den mehr bildhaften, imaginären Signifikanten (der für den Yoga typisch ist) einführen und so von Wort-Wirklichem und Bild-Wirklichem sprechen, denn beides steht dem Realen, den Trieb-Kräften nahe, die bei Freud noch Eros-Lebenstrieb und des Todestrieb hießen, was J. Lacan umformuliert hat zum Dualismus vom Wahrnehmungs- bzw. Schautrieb, der einer ‚imaginären Ordnung‘, der Bild-Wirklichkeit unterliegt, einerseits und vom Entäußerungs- bzw. Sprechtrieb, der einer ‚symbolischen Ordnung‘, also der Wortangehört, andererseits. Damit haben wir gleich von den ersten Zeilen an eine klare Richtschnur für unser Vorgehen.

Der ‘Licht’- und ‘Laut’-Begriff allein klingt uns also bei aller grundlegenden Berechtigung für mein übergeordnetes Vorhaben zu mystisch-magisch und die Bestimmung ausschließlich als Triebe fixiert zu sehr an etwas Sexuelles. Andererseits – und wie gesagt berechtigterweise – steht hinter all diesen Doppel-Begriffen eine Auffassung, die sich auch wissenschaftlich vertreten lässt. So wird der Begriff der Spiegelung in der Psychoanalyse sehr viel verwendet, um früheste Identifizierungen (sich identisch erfahren, sehen, identisch wissen) zu beschreiben, und er ist somit auch dem bereits erwähnten Schautrieb nahe, in dessen ‚Primärvorgang‘ die psychische, libidinöse Energie entsprechend ihren Linien frei und direkt abstrahlt, so dass ich den Schautrieb auch verkürzt ein ‚Es Erscheint‘, Es Strahlt, nennen will, was nur wieder ein anderer Begriff für das Bild-Wirkliche ist.

Ebenso finden die Wiederholungseffekte des Echos im Begriff des Wiederholungszwanges (unbewusstes, unbemerkt zwanghaftes Wiederholen von Handlungen, Affekten und Gedanken) in der Psychoanalyse – korrelierend dem yogischen oder mantrischen ‚Laut’ – eine zentrale Verwendung. Mantras beispielsweise müssen im Yoga ständig gedanklich bewusst wiederholt werden, während in der Psychoanalyse die Lautwiederholung dem erwähnten Sprechtrieb nahesteht, den man dann auch weiter verkürzt als ein ‚Es Verlautet‘, Es Spricht, bezeichnen könnte, was wiederum dem Wort-Wirkliochern korreliert. In der psychoanalytischen Wissenschaft ordnen wir also dem Menschen durch früheste Identifizierungen (Spiegelungen, Strahlt, Bild-Wirkliches) und Wiederholungsmechanismen (Echos, Spricht, Wort-Wirkliches) genauso ein zweites ‚Leben‘ zu wie ich es oben vom Yoga erwähnt habe, auch wenn das Wort ‚Leben‘ hier – in Yoga und Psychoanalyse – wohl etwas unterschiedlich gewertet wird..

Nun ist die Theoretisierung all dieser Aspekte in einem Dualismus von ‚Kräften‘, Trieben problematisch, denn Freuds Annahme, dass die Triebe im Biologischen gefunden werden könnten, hat sich nicht bestätigt, und die Annahme ‚spiritueller‘ Prinzipien sind zu mythisch, mystisch und selbst in den sogenannten Geisteswissenschaften, wie etwa der Philosophie, fragwürdig. Die Triebe, Kräfte, Prinzipien gehören einem eigenen Bereich an, einem – wie ich es vorerst schon einmal ganz kühn nennen will – ‚autochthonen Genießen’,19 dessen Wesen ich später noch erläutern werde, weil ich es hier vorerst nur in seiner Form als Kombination von Strahlt und Spricht bezeichnen kann. Doch der Begriff eines Genießens als solchen wird sich für meinen Versuch der übergeordneten Sprechweise eignen. Er findet auch eine Stütze in Lacans Äußerungen über das Genießen der Pflanzen,20 aber auch das der Bäume, der Amöben und der Bakterien.21 Freilich ist auch das Schnurren der Katze ein Ausdruck dieses ‚autochthonen Genießens‘.

Freud war ursprünglich von einer Autoerotik ausgegangen. Jede Körperstelle könne libidinös gereizt und durch eine befriedigende Handlung wieder in den Urzustand zurückgeführt werden, meinte er. Erst in der späteren Entwicklung des Kindes sucht sich die Libido ein ‚Objekt‘, an der sie sich befriedigen kann, und öffnet damit Tür und Tor zur Erklärung allen menschlichen Leidenschaften, aber auch seelischer Höchstleistungen. Freud postulierte hier nämlich auch eine sogenannte ‚desexualisierte Libido‘, also den Zustand eines ganz eigenen, sublimierten (verfeinerten) Genießens. Im Yoga, in Meditation, auch im Zen wird häufig von ‚Samadhi‘, ‚Sartori‘ oder Ähnlichem geredet, das einem Zustand gehobener Stimmung, ekstatischer Erfahrung oder sublimiertem Genießen‘ entspricht, was wiederum eng der Freud’schen Auffassung von der ‚desexualisierten‘ Libido korreliert. Deswegen gehe ich jetzt schon einmal ganz einfach von diesem Begriff eines ‚Genießens‘ per se, eines ‚autochthonen Genießens‘ des Körpers als solchem aus und rechne dies einer übergeordnet-verbindlichen Sprechweise zu, auch wenn diesbezüglich noch keinerlei Gewissheit und wissenschaftliche Klarheit besteht. Weitere, klärende Beschreibungen sind also selbstverständlich notwendig. Hier eine kleine Übersicht über die verwendeten Begriffe.

Kirpal Singh versuchte an vielen Stellen seines Werkes diesen Dualismus (bei ihm also ‚Licht’ und ‚Laut’) unter das Dach allgemein vergleichender Religionslehren zu stellen. Dadurch mildert er etwas das Krass-Mystische ab und muss sich auch nicht einer eingeengten religiösen Konfession unterstellen. 22 Dennoch haben Yoga und Psychoanalyse das gleiche Ziel, wenn sie auch unterschiedliche Wege benutzen. Indem ich jedoch an diese vergleichende Untersuchung bevorzugt von einer psychologisch wissenschaftlichen Sichtweise herangehe, sind bereits auch der Begriff einer ‚zweiten Geburt‘ sowie der des ‚Spirituellen’ jeweils etwas problematische Ausdrücke. Denn mit Geburt hat dieser Vorgang der ‚zweiten Geburt‘ nur wenig zu tun, und das Wort ‚spirituell‘ (geistig) ist zu diffus und scheint mir eher zur imaginären Ordnung zu gehören.

Zwar ist der Ausdruck der ‚zweiten Geburt‘ rein allegorisch nicht schlecht gewählt; jeder wird in etwa verstehen, dass ein analoger Vorgang gemeint ist, nämlich in völlig neue Welt- und Gedankenbezüge einzutreten und dadurch neu in diese hineingeboren zu werden. Doch schon hier spürt man, dass aktives Eintreten besser ausdrücken würde, um was es geht, als ein passives Hineingeborenwerden. Die ‚zweite Geburt‘ ist also eher ein tätiges Erwachen, ein persönliches Engagement, eine aktive Selbstanalyse zu einem im weitesten Sinne sozialen, geistigen und kulturellen Leben als ein passives Geborenwerden und Geschehenlassen. Aber auch ganz generell ist der Ausdruck ‚zweite Geburt‘ zu blumig, zu diffus und zu wenig konkret. Es wäre besser von einer völligen Lebens-Umstellung, analytischer Resilienz und einem persönlichen Paradigmawechsel zu sprechen, also einem vollkommenen Eintreten in die Selbstanalyse.

Gerade in der modernen psychologischen Wissenschaft oder Entwicklungsforschung erscheint bereits die Geburt des menschlichen Kindes als ein so komplexer Vorgang, dass man fast sagen kann, die psychologischen Geschehnisse im Säugling und in den ersten Lebensjahren sind eher selbst ein Widerhall der Geburtswehen, und der Schrei des Neugeborenen spiegelt schon die ganze menschliche Dramatik wieder, die das eigentliche Leben zu bieten hat. „Der Säugling wird nicht als Monade geboren, sondern von Anfang seines Lebens an von einer Umwelt gehalten“: einer Umwelt aus Tausenden von ‚Objekten‘, von Bild- und Wort- Wirklichkeiten – um die Signifikanten begrifflich nochmals einzugrenzen, von denen die Mutter, anfänglich speziell ihre Augen und natürlich ihre nahrungsspendende Brust, aber auch ihr Reden und Plappern als besondere gelten.23 Der Psychoanalytiker R. Krause schreibt, dass der Mensch mit zwei ‚Organisationskernen‘ psychophysischer Natur auf die Welt kommt, die durch den Einfluss der Mutter, anderer primärer Bezugspersonen oder Umweltgeschehnissen nicht immer gut zusammengehalten, ‚zusammengeschaltet‘, werden können. Diese beiden ‚Organisationskerne‘ sind bildlicher, blicklicher (Strahlt) und lautlicher (Spricht) Art, passen also wieder zu den bereits zitierten Grundbegriffen.24

Mit der ersten Geburt ist also die zweite schon da! In Form eines Traumas (einer unbewusst gebliebenen psychischen Verletzung) oder einer erheblichen Veränderung, Umstrukturierung, ja, ‚Verknotung‘25 des ganzen psychischen Organismus schreibt sich die ‚zweite‘ Geburt schon in die erste von Anfang an in komplexester Weise ein. Die ‚zweite Geburt‘ ist angelegt wie ein Spiegel und ein Echo der ersten und der um sie herum passierenden Vorgänge schlechthin. Spiegel, damit möchte ich nämlich wieder an das ‘Licht’, die ‚imaginäre Ordnung‘, den Schautrieb und Echo, damit möchte ich wieder an den ‘Laut’, die ‚symbolische Ordnung‘, den Sprechtrieb anknüpfen und diese beiden Begriffe durch die Einführung anderer anreichern und vertiefen, um sie für eine ost-westverbindende Sprache stärker nutzbar zu machen.

Für Kirpal Singh war Gott beispielsweise ein sehr reales, und doch gleichzeitig auch gespaltenes, nur virtuell einheitliches Wesen, das nur in diesen beiden veräußerten Urprinzipien („outgoing faculties“ wie er sagte) zu fassen sei. Gott, das Absolute, das Metaphysische, projiziert sich, tritt ins Sein nur in Form dieser zwei Attribute.26 Es gibt keinen persönlichen, auch nur irgendwie als Einheit fassbaren Gott, sondern nur diese zwei Urkräfte oder Urprinzipien. Der Mensch muss diese in sich selbst auffinden und zusammenbringen. Sie lassen sich nicht verschmelzen oder schon miteinander legiert als Eines fassen, denn dann gäbe es ja wieder einen konkret greifbaren, direkt benennbaren Gott.27 Ein im Menschen selbst wirkender Dualismus (hier als Trieb-Dualismus bezeichnet) ist also auch die Basis der Psychoanalyse,28 und Gott ist nur eine dahinterstehende, virtuelle Einheit, ein ‚Ich-Ideal‘ wie Freud sagte. In der Existenzialphilosophie J. P. Sartres existiert Er nur, weil die Menschen sich in ihren Beziehungen so sehr irrealisieren, dass sie sich einen Gott schaffen mussten. Doch soweit muss man nicht gehen. Gerade körperhaft ist Gott erfahrbar, spürbar, aber ohne jede Kennzeichnung und Form. Das würde man auch im Yoga und speziell in dem Yoga Kirpal Singhs so bestätigen können.

Ich könnte hier noch zusätzlich I Kants Apriorisches anfügen, nämlich ‚Raum‘ und ‚Zeit‘ als etwas vor allem Bestehendes. ‘Licht’ (das alles Durchflutende) ist dann nur eine andere Bezeichnung für den ‚Raum‘ und ‘Laut’ (das rhythmisch Pochende) für die ‚Zeit‘. Beide sind also die zwei ersten Formen oder Triebe einer creatio ex nihilo, und Kirpal Singhs glücklicher „background“ ist – wie der Semiotiker R. Barthes es ausdrückte, nichts anderes als ein „Glück der Zeichen“,29 die Freude an einer gewissen Bestimmung, die Lust an einer Offenbarung. Nur im Sinne dieses ‚Glücks‘ kann man dann eben auch von Gott als etwas reden, das einen wie physisch berührt. Diese Auffassung, diese Glückszeichen eines hypothetischen Einen hinter zwei tatsächlich fassbaren Ur-Prinzipien ist also im Grunde nichts Ungewöhnliches, denn sie wurde und wird in Indien von vielen Sufis, Yogis und Mystikern vertreten und wird auch von Lacan in dem Begriff der ‚Jouissance‘, dem Genießen als solchem, theoretisiert, was wiederum dem von mir favorisierten Begriff der Autochthonie, einer Art des Selbstseins, nahe steht, das für alle Lebewesen gelten könnte.

Zusammenfassung: Ich bin von dem Dualprinzip der Kräfte oder Triebe ausgegangen und habe geschildert, wie schwierig es ist, hierfür genaue Definitionen zu finden, die man zudem noch für beide Bereiche (Psychoanalyse und Yoga) gleichermaßen verwenden kann. Lacan geht davon aus, dass der Mensch ja als völlig hilfloses Wesen zur Welt kommt und somit auf die Hilfe und Zuwendung eines Anderen angewiesen ist. Der Schrei des Kleinkindes ist kein expressiver Schrei, sondern ein Anruf, Anspruch, ein Appell an diesen Anderen. Man muss den/das Andere(n) groß und kursiv schreiben, denn diesem Anderen ist eine gewisse Bedeutung zugeordnet. Anfänglich geht es beim Anderen um eine wichtige Bezugsperson, meist die Mutter, deren Manifestation, Erscheinung, Figur aber auch ‚objekthaft‘ vorwiegend im Sinne der ‚symbolischen Ordnung‘ – also als ein erstes ‚MaMa‘ – verinnerlicht wird.

„Indem der Anspruch sich vom Bedürfnis losreißt entsteht im Zwischenraum das Begehren“, also der Trieb, schreibt Lacan. So entsteht beim Bedürfnis nach Nahrung der nach der Erotisierung der Mundzone zurückbleibende Oraltrieb. Der Anspruch ist selbst eine Triebkraft, eine Wort-Wirklichkeit,30 was ich auf ein Es Spricht verkürzt habe und den man auch der ‚symbolischen Ordnung‘, also der Sprachordnung, zurechnen kann. Das Gleiche gilt für den Yoga, der vom innerlichen Hören des ‚Lautes‘ ausgeht, bis es im Inneren von einem selbst zu einem Sprechen mit dem Guru kommt. Auch hier gilt ein Es fast mehr als ein Er, das oder der Spricht, denn es handelt sich ja nicht um den realen Guru, sondern nur um eine Pro- und Introjektion von ihm, die Spricht und Strahlt.

Denn beim Es Strahlt verhalten sich die Dinge genauso. Der Psychoanalytiker spricht hier vom ‚Spiegelstadium‘ des etwas eineinhalb Jahre alten Kindes, das sich zum ersten Mal identifizieren kann, aber nur dadurch, dass es sich vor dem Spiegel auf dem Arm des Erwachsenen (des Anderen hier noch mehr im Sinne der ‚imaginären Ordnung‘) sehen kann, was das Spiegelbild stabilisiert. Sich allein im Spiegel zu sehen, würde das Kind eher verwirren, zumindest kein jubilatorisches Strahlt ergeben. Aber auf dem Arm des Erwachsenen gestützt kann das Kleinkind eine Ganzheit vorwegnehmen, die es jubelnd ‚strahlen‘ lässt. Es befindet sich damit noch vorwiegend in der ‚imaginären Ordnung‘, in der alles durch Bilder, Blicke, Spiegelungen etc. geregelt wird. Ähnlich ergeht es dem Yogi, der von der innerlich gebildeten ‚Astralebene‘ schwärmt, jedoch ebenfalls nur dann, wenn er sich in einer ‚Strahlt-Gestalt‘ absichern kann. Diese kann aus der Erfahrung und dem Gefühl eines innerlich wahrzunehmenden geweiteten Raumes mit stabilen ‚Lichtpunkten‘ entstehen, also eines scheinbaren Sternhimmels oder der Wahrnehmung der ‚Astral-Gestalt‘ des Gurus im Inneren.

Zwar ist der östliche Yoga viel stärker vom Bildhaften des Strahlt, also von der ‚imaginären Ordnung‘, her bestimmt, und die westliche Psychoanalyse vom Spricht des Unbewussten und dem Sprechen in der analytischen Sitzung, fußt also ganz entscheidend auf der ‚symbolische Ordnung‘. Sicher ist dies nur schwerpunktmäßig zu verstehen, die jeweils anderen Bereiche werden an diese Betonungen bzw. Schwerpunkte angepasst. Für beide Bereiche gilt die Kombination des Strahlt / Spricht als eine Schreibweise und Kombination, die ich später noch besser definieren werde und die für das übergeordnete Ziel wichtig sein wird. Dieser Schrägstrich (slash) in der Mitte wird nämlich eine sehr präzise und wissenschaftlich klare Aussage bezeichnen, indem er auch den Begriff des ‚autochthonen Genießens‘ stützen kann. Den grundlegenden Dualismus, der in der Einzelbetrachtung des jeweiligen Verfahrens dann nicht mehr so deutlich stehen bleiben wird, will ich jedoch vorerst noch so belassen.

Zu dieser Thematik will ich den von mir eingangs zitierten B. S. Goel nochmals erwähnen. Goel unterzog sich selbst einer psychoanalytischen Therapie und beschäftigte sich weiterhin mit der Entwicklung dieser Wissenschaft. Zudem wurde er Anhänger des bekannten Gurus Sathya Sai Baba, der auch sehr viele westliche Schüler und auch solche aus indischen Regierungskreisen hatte. Aber Sai Baba war auch bekannt für das ‚Materialisieren‘ sogenannter ‚heiliger Asche‘ sowie für sexuell missbräuchliches Verhalten. Unbeschadet davon beschreibt Goel in einer sehr durchmischten Sprache aus psychologischen und yogisch-meditativen Begriffen seinen Weg und die daraus gewonnene eigene Methode der ‚psychoanalytischen Meditation‘. Letztere ist eine ziemlich verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Therapieform, in der Begriffe aus beiden Bereichen mehr gefühlsmäßig und eben sehr nach bildhaften Aspekten oder undefinierten Begriffen zusammengestellt werden. Damit gelingt ihm gerade eine klare Definition des Strahlt / Spricht nicht. Er wählt eine ständig wechselnde und freie Kombination dieser beiden Grundkonstanten (Triebe, Prinzipien) und kommt nicht zu einer ‚übergeordneten-verbindlichen Sprechweise.

Auch bei Suzuki und Fromm findet sich keine einfache Vergleichsdefinition von Meditation und Psychoanalyse. Suzuki betont, dass Zen hauptsächlich darin besteht, „die Dinge von innen her zu sehen“, was anmutig klingt, aber unkonkret bleibt. Für ihn ist das Unbewusste „kosmisch“, „instinktiv“ oder „Denken mit dem Bauch“, alles poetisch ausgedrückt, wie es eben zur mythischen Sprache in Yoga und Zen gehört. Allerdings greift er A. Tennyson als westlichen Dogmatiker heftig an, wo dieser Schriftsteller doch eine ebenso poetische, blumige Sprache verwendet wie er selbst. Er sieht in Tennyson nur die blanke Neugier des westlichen Forschers, der „scharfe Augen und kein Gefühl“ hat, worin man nur ein Vorurteil hören kann. Für Fromm leidet der heutige Mensch an Entfremdung, an „vollkommen produktiver Orientierung“, kennt nicht Wahrheitsliebe und anderes Denken und ist als Mensch nicht mehr ‚ganz‘. Das Unbewusste ist für ihn totale Empathie und Empfindung und so muss der Mensch durch Psychoanalyse ethisch gewandelt werden, er muss „sozialer denken“ und zur Universalität des Gefühls zurückfinden, was alles mehr nach frommer Erziehung als nach Psychoanalyse klingt.

Schon gar nicht wird in dem genannten Buch ein Fundament erstellt, auf dem man die primärsten Zusammenhänge für Meditation und Psychoanalyse erstellt wie ich es mit dem Strahlt / Spricht versuche, von dem aus dann weitere vergleichende Momente gefunden, erarbeitet und aufgebaut werden können. Suzuki und Fromm sind sich lediglich darin einig, dass das Leben eine „fortwährende Geburt ist und in dem der Tod eintritt, wenn die Geburt aufhört“. Schön gesagt, aber wie bewerkstelligt man das, wie gebärt man sich ständig, damit der Tod nicht zu früh eintritt?

17 Surat heißt Aufmerksamkeit, Shabd, das ‚Wort‘ im Sinne von Logos, von etwas Grundsymbolischem. Was ‘Licht’ und ‘Laut’ bedeutet, werde ich noch mehrmals erörtern.

18 Grünfeld, J., Conceptual Relevance, Grüner Publishing (1989)

19 Ich übersetze autochthon mit Selbstsein, einem aus sich selbst heraus Existierendem.

20 Lacan, J., Lettres de L’Ècole freudienne, Nr. 16 (1975) S. 192, wo Lacan die Frage, ob Pflanzen ‚genießen‘, weitläufig diskutiert und bejaht.

21 Lacan, J., Seminar XXI, Vortrag vom 23. 4. 1974.

22 Unter ähnlichen Bezeichnungen finden wir diese Begriffe jedoch in fast allen Yogasystemen und auch in mythisch-mystischen und religiösen Bereichen.

23 Altmeyer, M., Forum der Psychoanalyse, Heft 1 (2005) S. 43-57

24 Krause, R., Affektpsychologische Überlegungen zu Seins Formen des Menschen, PSYCHE Nr. 6 (2017) S. 453 – 478

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