ZAP. Für die einen ist es Vergnügen. Für ihn ein Albtraum. - Andreas Eschbach - E-Book

ZAP. Für die einen ist es Vergnügen. Für ihn ein Albtraum. E-Book

Andreas Eschbach

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Beschreibung

Der neue Geniestreich von Bestsellerautor Andreas Eschbach! Ein mitreißender Tech-Thriller, eine Satire auf die Medienwelt und die Frage, wie schnell aus einem Leben ein Albtraum wird. Ein gnadenloses Spiel und du kennst die Regeln nicht. Finn ist gerade erst mit seiner Familie umgezogen und trotzdem hat sich nichts an seinem Leben geändert: Für seinen Vater ist er immer noch zu introvertiert, sein Bruder und er haben sich nichts zu sagen, seine Mutter und Schwester finden ihn zu wenig umweltbewusst. Schöne Scheiße! Doch als er von der Schule nach Hause kommt und in ihrer Wohnung fremde Möbel und Menschen vorfindet, wünscht er sich schnell sein langweiliges Leben zurück. Nichts stimmt mehr in der Stadt, keine Straßennamen, keine Gebäude. Nach und nach erkennt Finn, dass ein gnadenloses Spiel mit ihm gespielt wird. Ihm bleibt keine Wahl als mitzuspielen … oder? Rasant, bewegend und psychologisch raffiniert: Eschbach über die Frage, was wirklich zählt.    Weitere Titel von Andreas Eschbach bei Arena: Gliss. Tödliche Weite Aquamarin (1) Submarin (2) Ultramarin (3) Black*Out (1) Hide*Out (2) Time*Out (3) Perfect Copy Das Mars-Projekt (1-5)

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Seitenzahl: 242

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Gliss. Tödliche Weite

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Submarin

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Black*Out

Hide*Out

Time*Out

Perfect Copy. Die zweite Schöpfung

Die seltene Gabe

Das Marsprojekt – Das ferne Leuchten (Band 1)

Das Marsprojekt – Die blauen Türme (Band 2)

Das Marsprojekt – Die gläsernen Höhlen (Band 3)

Das Marsprojekt – Die steinernen Schatten (Band 4)

Das Marsprojekt – Die schlafenden Hüter (Band 5)

Andreas Eschbach

geboren in Ulm, studierte in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik. Mit seinem Thriller »Das Jesus-Video« eroberte er erstmals die Bestsellerlisten. Seither gehört Eschbach mit seinen Romanen, zuletzt »NSA« und »Eines Menschen Flügel«, zu den deutschen Topautoren. Er lebt als freier Schriftsteller mit seiner Familie in der Bretagne.

Weitere Informationen zum Autor unter www.andreaseschbach.de

Ein Verlag in der Westermann Gruppe

1. Auflage 2023

© 2023 Arena Verlag GmbH

Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Werk wurde vermittelt durch dieLiterarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Text: Andreas Eschbach

Umschlaggestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign, Münchenunter Verwendung von Motiven von AdobeStock:alexandre zveiger (Junge Oberkörper), RomanGorielov (Junge Beine), the7dew (Textur Titel)

Layout und Satz: Malte Ritter, Berlin

E-Book-ISBN 978-3-401-81062-1

Besuche uns auf:

www.arena-verlag.de

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MORGENS

Der Wecker zeigte 02:90 Uhr und piepste und piepste und piepste.

Und irgendwie war der Abschaltknopf verschwunden! Einfach weg!

Finn stemmte sich mühsam hoch, starrte schlaftrunken auf die in der Dunkelheit rot glühenden Digitalziffern und verstand beim besten Willen nicht, was eigentlich los war.

Zwei Uhr neunzig? Wie ging das denn überhaupt? Wie kam das blöde Ding dazu, ihn um diese unmögliche Zeit zu wecken?

Und wieso fand seine Hand den verdammten Knopf nicht, mit dem man das Gepiepse abschalten konnte?

Dann sprang die Uhr auf 12:90 Uhr, und Finn dämmerte, dass der Wecker einfach auf dem Kopf stand. Er packte das Ding, drehte es um und las 06:21 Uhr, was schon wesentlich vernünftiger aussah. Der flache Knopf war auch wieder da, wo er hingehörte. Ein Drücken, und es wurde still, herrlich still.

Stöhnend ließ sich Finn zurück ins Kissen fallen. Keine Frage, wer ihm diesen Streich gespielt hatte: Moritz. Sein lieber, kleiner Bruder, mit dem er sich seit dem Umzug das Zimmer teilen musste.

Er reckte sich nach dem Schalter, der das unpraktisch angebrachte Leselicht über seinem Kopf einschaltete, kniff die Augen zusammen, als es hell wurde, und lugte hinüber ins andere Bett. In dem natürlich niemand mehr lag. Moritz saß bestimmt schon seit mindestens einer halben Stunde im Wohnzimmer vor dem Computer, hatte Kopfhörer auf und ballerte die erste Runde des Tages in irgendeinem seiner zehntausend Spiele, bei denen Finn vom bloßen Zusehen Kopfschmerzen bekam.

Wieder sank er zurück in sein Kissen und war einmal mehr davon überzeugt, dass man ihn bei der Geburt vertauscht haben musste. Zumindest war er der einzig Normale in einer Familie krankhafter Frühaufsteher: Seine große Schwester hüpfte jeden Tag um fünf Uhr aus dem Bett, um Hausaufgaben zu machen, sein Vater schrieb um diese Zeit die ersten E-Mails in der Hoffnung, auf diese Weise seine Kollegen beim Sender zu beeindrucken, und seine Mutter bastelte an aufwendigen Frühstücken, die sie für ihren Blog fotografierte, ehe sie auf den Tisch kamen. Ja, und Moritz eben – BÄMM, BÄMM, ZONG, PENG, »Hasta la vista, Baby!«

Kurzum, die Wohnung brummte längst vor Leben, obwohl es noch nicht mal halb sieben war. Man hörte es sogar: Gespräche, Gelächter, das Klappern von Töpfen und Geschirr. Finn dagegen würde seine erste heroische Tat des Tages vollbringen, indem er sich bis ins Bad schleppte.

FAST FORWARD

6:35

Immerhin ein paar ruhige Minuten auf der Toilette waren ihm vergönnt. Er schaffte es sogar, dabei nicht wieder einzuschlafen. Doch kaum stand er am Waschbecken, rumpelte es von draußen gegen die Tür.

»Bist du das, Ökfaim?«, hörte er Silke zetern.

Ökfaim, das war ihre Abkürzung für »Ökologischer Fußabdruck in Menschengestalt«. Seine eingebildete Schwester gab sich auf ihrem Videochannel nämlich höchst umweltbewusst, allerdings hauptsächlich, weil das gut ankam. Oder weil sie dachte, dass das gut ankam. Ökfaim nannte sie ihn, wenn er ihr im Weg war oder sie sonst irgendwie nervte. Und eins von beidem war fast immer der Fall.

»Besetzt!«, rief er.

»Oh, Mann!«

Er beugte er sich vor, studierte sein Gesicht im Spiegel und versuchte, sich vorzustellen, wie er mit Bart aussehen würde. Bestimmt besser. Er fand, dass er total belanglos aussah, so ohne irgendwelche Ecken und Kanten, die einen erst interessant machten.

Silke rüttelte wieder an der Türklinke. »Jetzt lass mich doch mal kurz rein! Ich brauch auch nur einen Moment, versprochen!«

Sie drängelte so lange, bis er schließlich nachgab und ihr das Bad überließ. Ein Fehler, wie er gleich darauf merkte, als er draußen im Flur stand und hörte, wie drinnen die Dusche anging.

FAST FORWARD

6:55

Bestimmt gab es einen Unterschied zwischen einem Albtraum und einem Frühstück im Kreis seiner unerträglich aufgekratzten Familie, aber Finn hatte noch nicht herausgefunden, welchen.

»Da bist du ja endlich«, sagte seine Mutter, als er sich setzte, und stellte einen Pfannkuchen mit gesund aussehendem Zeug als Topping vor ihn hin. »Vorsicht, der Teller ist heiß. Hab ihn im Ofen warm gehalten.«

»Silke hat mich aus dem Bad vertrieben«, verteidigte sich Finn.

»Du darfst dir halt nicht alles gefallen lassen, Brüderchen«, meinte Silke schnippisch. Sie betrachtete sich durch die Frontkamera ihres Handys und zupfte ihre noch leicht feuchte Mähne in Form. »Außerdem hab ich mir nur schnell die Haare gewaschen, das ging total schnell.«

»Und das fällt dir um halb sieben ein?«

»Hab’s halt vergessen. Meine Güte!«

Moritz redete währenddessen ohne Punkt und Komma auf ihren Vater ein, schwärmte von einem neuen, supertollen Superfernseher, den er gesehen hatte: Was für wahnsinnig tolle Bilder! Was für ein wahnsinnig toller Sound! Den müssten sie unbedingt kaufen! Ihr Vater nickte nur und war mit den Gedanken offenbar ganz woanders.

»Du willst das Ding ja nur, um noch mehr zu zocken und damit es noch bunter und lauter kracht«, meinte Finn.

Moritz bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick. »Du hast echt keine Ahnung. Wär doch ein blödes Spiel, wenn’s am Ende nicht kracht, oder?«

Finn seufzte. »Du hast recht. Ich hab wirklich keine Ahnung.« Er musterte seinen Teller. »Was ist das überhaupt?«

»Zuckerfreie, vegane Pfannkuchen mit geriebenem Apfel und Früchten des Waldes«, erklärte Mutter. »Also, Beeren, kurz gesagt.«

»Und das da?« Er deutete auf einen weißlichen Klecks.

»Als ich’s fotografiert hab, war es noch Schlagsahne. Aber die ist im Ofen natürlich zerlaufen.«

Silke checkte ihre Statistiken und maulte, dass die Views schon wieder runtergegangen seien, obwohl sie ein soo tolles Video eingestellt hatte. »Mom, du hast selbst gesagt, dass das Video toll war, oder?«

»Ja. Aber jetzt iss was.«

Finn schob das, was von der Sahne noch übrig war, mit der Gabel beiseite und probierte den Pfannkuchen. Glück gehabt, heute schmeckte es sogar ziemlich gut. Was nicht immer der Fall war, manchmal sahen die Gerichte seiner Mutter einfach nur gut aus.

Silke aß auch und fing schon nach dem zweiten Bissen an, in den höchsten Tönen zu schwärmen. »Boah, ist das gut! Mom! Du hast dich wieder selber übertroffen! Ich muss dir einen Kommentar schreiben, sobald das Foto online ist. Ach was, fünf Kommentare!« Silke unterhielt ein Dutzend verschiedener Accounts, über die sie regelmäßig ihre eigenen Beiträge lobte, wenn es sonst niemand tat.

»Schon gut«, meinte ihre Mutter, »was willst du?«

»Deinen mauvefarbenen Seidenschal. Bitte! Nur für ein paar Bilder und ein Video.«

Mutter lächelte. »Also gut, du kriegst ihn … für eine Zwei oder besser in Geschichte.«

Silke warf die Gabel hin. »Och Mann, Mama!«

Vater ließ sich eine zweite Tasse Kaffee aus dem Automaten. Er trug doch tatsächlich dieses grässliche 1spass-TV-Fan-T-Shirt! Auf dem Rückweg zum Tisch verwuschelte er Finn die Haare und meinte: »Na, Junge, alles senkrecht?«

Finn verdrehte die Augen. Er hasste es, wenn sein Vater auf Jugendsprache machte, weil er dann erst richtig alt wirkte.

»Ich hab neulich deinen Klassenlehrer getroffen«, fuhr sein Vater fort, während er sich wieder setzte. »Der meinte, du hättest dich schon ganz gut eingelebt an der neuen Schule.«

Stimmte das? Finn hätte darauf gewettet, dass sein Klassenlehrer sich noch nicht einmal seinen Namen gemerkt hatte.

Hatte er aus Versehen irgendwas richtig gemacht, ohne es zu merken?

Normal wäre gewesen, wenn sein Vater darüber gespottet hätte, dass Finn als Einziger in der Familie Bücher las und dem Fernsehprogramm, diesem fantastischen, vielfältigen Angebot auf über zweihundert Kanälen, nichts abgewinnen konnte.

Normal wäre gewesen, wenn sein Vater ihn »Bücherfresser« genannt hätte, oder, als Ausdruck seiner besonderen väterlichen Zuneigung, »unser kleines Bücherfresserchen«.

»Ist heute irgendwas Besonderes los?«, fragte Finn misstrauisch.

SWITCH

7:10

»Wie bitte?« Lea stellte die Müslischüssel so hart auf den Tisch, dass Milch überschwappte und sich auf der rot-weiß karierten Tischdecke verteilte. »Das kannst du doch nicht machen!«

Die morgendliche Sonne warf ihr scharfes, helles Licht in die kleine Küche, deren Fenster nach Osten ging. Da sie im zehnten Stock wohnten, kriegten sie schon Sonnenlicht ab, wenn der Rest von Ostwaldau noch im Dunkeln lag.

»Das kannst du nicht machen!«, wiederholte Lea.

Ihr Vater stand im Türrahmen, unüberwindlich, so groß und stark, wie er war. »Doch«, sagte er. »Kann ich.«

»Wir schreiben heute eine total wichtige Arbeit!«, protestierte sie.

Das war gelogen, doch das wusste ihr Vater ja nicht.

»Egal«, sagte er. »Du bleibst da.«

»Aber … aber wieso denn?«

»Du weißt genau, wieso. Oder anders gesagt, ich weiß es genau. Ich weiß genau, was passieren würde, wenn ich nachgebe.« Er seufzte. »Lea – versteh doch. Wir wären ruiniert. Wir wären so was von am Ende …«

Lea presste die Lippen zusammen.

»Und wenn ich es verspreche?«, fragte sie. »Wenn ich verspreche, mich da ganz rauszuhalten?«

»Könntest du es denn versprechen? Sieh mich an.«

Der Blick ihres Vaters hatte etwas von einem Röntgenstrahl.

Lea schaute auf den Tisch hinab. »Nein«, gab sie zu.

SWITCH

»Ich will nur noch mal ausdrücklich sagen, dass ich das Opfer aller in der Familie, meinem neuen Job zuliebe umzuziehen, sehr zu schätzen weiß«, erklärte Finns Vater gewichtig. »Umzüge sind immer stressig, das ist klar. Und dass es so schnell gehen musste, so hoppla-hopp, hat es nicht leichter gemacht. Ihr musstet eure Freunde zurücklassen …«

Ich, dachte Finn. Ich musste das. Silke hat nur Onlinefreunde, Moritz hat gar keine Freunde, jedenfalls keine aus Fleisch und Blut – aber ich hatte mit Navid zumindest einen Freund! Einen besten Freund, mit dem ich jetzt nur noch texten oder telefonieren kann.

»… doch ihr werdet sehen, das wird sich alles auszahlen, sobald es mit meiner Karriere erst richtig losgeht!«

»Was soll da denn losgehen?«, platzte Finn heraus. »Hallo? Du arbeitest jetzt bei einem Sender, bei dem die Nachrichten von einem verdammten Roboter gelesen werden! Was für Aufstiegschancen kann’s da überhaupt geben?«

»Erstens«, belehrte sein Vater ihn, »ist das kein Roboter, sondern ein Avatar. Das ist eine digital erzeugte Gestalt, deren Aussehen von erfahrenen Psychologen und Marketingfachleuten haargenau auf die Erwartungen des Publikums abgestimmt worden ist und ein Höchstmaß an Vertrauen erweckt. Und dadurch, dass man einfach nur Text einzuspeisen braucht, erreichen wir ein Höchstmaß an Aktualität. Tatsächlich laufen in vielen Fällen die Texte der Nachrichtenagenturen direkt in das Avatar-System. Das spart Kosten, ist absolute Hightechsoftware und zeigt, dass 1spass-TV der fortschrittlichste Sender der Welt ist. Unser System gilt international als Vorbild. Wir sind bereits heute die Zukunft der Fernsehunterhaltung!«

»Ganz toll«, murmelte Finn unbegeistert. Diese Litanei hatte Familie Ahlmann schon so oft gehört, dass er aufgehört hatte zu zählen.

»Und zweitens«, fuhr sein Vater fort, »habe ich bei diesem Sender einen richtig, richtig dicken Stein im Brett …«

Finn hob die Augenbrauen. Das war jetzt neu.

»Ich darf noch nicht darüber sprechen, aber so viel kann ich sagen: Da kommt eine richtig große Sache auf uns zu. Und damit ihr’s wisst, die haben mich explizit ausgesucht! Herr Ahlmann, haben sie gesagt, wir bieten Ihnen eine Chance, wie es sie nur einmal im Leben gibt, und alles, was Sie tun müssen, ist, Ja zu sagen. Da musste ich nicht lange überlegen.«

Moritz wollte gleich wissen, ob das bedeutete, dass sie den tollen neuen Riesenfernseher kriegen würden, worauf sein Vater schmunzelte und meinte: »Na, ich schätze, das wird absolut drin sein!«

»Ökfaim«, unterbrach Silke und wies auf die Uhr, die zehn nach sieben zeigte. »Wird’s nicht allmählich Zeit für dich?«

Dummerweise hatte sie recht. Moritz hatte freitags erst ab der dritten Stunde Schule, Silke musste erst kurz nach acht den Bus ins Zentrum nehmen, wo ihre Fachschule lag – nur er, Finn, hatte mal wieder die Arschkarte.

Er stand auf, trug sein Geschirr in die Küche, kippte das eklig fettgetränkte Ende des Pfannkuchens in den Müll und stellte alles in die Spülmaschine. Als er sich die Schuhe angezogen hatte, erregte ein Karton auf dem Schuhschrank seine Aufmerksamkeit. »Was ist das?«, fragte er und lugte hinein.

»Lass das!«, rief Silke. »Das sind die Bio-Müsli-Riegel, für die ich Werbung machen soll!«

Sie klang superstolz. Das war ihr erster richtiger Auftrag als »Influencerin«; womöglich bekam sie sogar Geld dafür.

Ein Grund mehr, einen davon mitgehen zu lassen. Die Dinger waren in knallbunte Metallfolie verpackt; Finn nahm sich einen Riegel in Rot.

»Ich hab gesagt, du sollst das lassen!«, kreischte Silke.

Sie sprang vom Tisch auf, aber zu spät. Finn riss die Verpackung des Riegels auf, biss demonstrativ hinein, schnappte sich dann seinen Rucksack mit den Schulsachen und ging.

FAST FORWARD

7:15

Draußen auf der Straße drehte sich Finn noch einmal zum Haus um. Sie wohnten im ersten Stock des vordersten Abschnitts eines Mehrfamilienreihenhauses, und wie er es nicht anders erwartet hatte, streckte Silke den Kopf aus dem Fenster ihres Zimmers und brüllte ihm irgendwas nach, das er nicht verstand, aber auch gar nicht verstehen wollte.

Um sie zu ärgern, knüllte er die knallrote Verpackung des Riegels zusammen und warf sie demonstrativ achtlos mitten in das Grünzeug, das den Boden entlang der Häuser bedeckte. Was seine Schwester erst recht toben ließ. Bestimmt rannte sie nachher runter und klaubte die Folie wieder auf.

Oder auch nicht. Egal. So war das nun mal, wenn man einen Ökfaim zum Bruder hatte: echt hart.

Im Weitergehen verzehrte er den Rest des Riegels. Schmeckte nach nichts Besonderem. Süß halt. Süß und klebrig.

Finn überquerte die Straße, und wie jeden Morgen seit den zwei Wochen, die sie hier nun schon wohnten, sank seine Laune beim Anblick der Stadt. Ostwaldau war eigentlich nur ein Stadtteil, aber irgendwie so gewuchert, dass er größer war als der Rest der Stadt zusammen. Es war total öde hier. Alle Häuser sahen gleich aus – wie eine riesige Legebatterie für Menschen.

Und vor ihm lag wieder ein Tag an der neuen Schule, in der er immer noch niemanden kannte und an der irgendwie alle zusammenzuhalten schienen gegen jeden, der neu dazukam.

SWITCH

Die große Uhr im Regieraum des Senders 1spass-TV zeigte 7:15 Uhr. Auf zahllosen Monitoren sah man leere Studios, stumm laufende Werbespots oder gar nichts. Eine rote Signallampe leuchtete über einem Bildschirm, auf dem der Avatar-Sprecher gerade die neuesten Nachrichten »verlas«: Die digital erzeugte Gestalt hielt Blätter in der Hand, blickte aber niemals darauf. Wozu auch?

Der Mann, der vor dem Mischpult mit seinen zahllosen Knöpfen, Reglern und Touchpads saß, drehte den Ton des künstlichen Sprechers etwas lauter. Die Meldungen enthielten nichts Aufsehenerregendes – nur die üblichen Krisen an den üblichen Orten, die üblichen Äußerungen hochrangiger Politiker, die eingeblendet wurden, dann Börsen-Blabla und schließlich das Wetter. In Ostwaldau würde der Tag heiter bis wolkig verlaufen, mit Temperaturen zwischen 7 und 16 Grad, und es würde nicht regnen.

Dieselbe Prognose hing ausgedruckt an einer Pinnwand neben dem Mischpult, versehen mit einem großen Grinse-Emoji und der handschriftlichen Notiz: Let’s go for it!

Die Tür ging auf, ein zweiter Mann kam herein, eine Tasse Kaffee in der Hand.

»Und?«, fragte er. »Wie sieht’s aus?«

Der Mann am Mischpult hob nur die Augenbrauen. »Wie soll’s aussehen? Ein Tag wie jeder andere liegt vor uns.«

Sie lachten beide.

»Genau«, sagte der Mann mit der Kaffeetasse. »Ein Tag wie jeder andere.«

VORMITTAGS

REWIND … REWIND … REWIND

6:45

Das Gelände des Speditionslagers lag im kalten Dämmerlicht des anbrechenden Tages. Lang gezogene Wolken hingen am Himmel wie nasse Watte. Ein Mann ging die Reihe der wartenden Lastwagen ab, zog dabei fröstelnd die Schultern hoch. An jedem Wagen checkte er die Ladelisten, verglich sie mit seinen Unterlagen. Alles in Ordnung. Er blieb stehen, betrachtete versonnen seine weiße Atemwolke und wartete.

Nach und nach trudelten die Arbeiter und die Fahrer ein. Die Fahrer meldeten sich bei ihm, er hakte ihre Namen auf seiner Liste ab.

Auf der Straße vor der Ausfahrt des Lagers hielt eine dunkle Limousine. Ein Mann in einem eleganten Anzug stieg aus, dann fuhr der Wagen wieder davon.

Der Mann im Anzug kam näher, eine Ledermappe unter dem Arm. »Morgen«, sagte er. »Und? Wie sieht’s aus?«

»Alles da. Kann losgehen.«

Der Mann im Anzug schaute auf seine Armbanduhr, ein teures Modell mit vielen Knöpfen und Zeigern. »Noch nicht«, sagte er.

Der andere Mann hatte das Gefühl, ihn beruhigen zu müssen. »Es ist ein Job wie jeder andere, letzten Endes«, erklärte er und dachte: Nur dass es eben kein Job ist wie jeder andere. Sondern einer, von dem wir noch unseren Enkelkindern erzählen werden.

Der Mann im Anzug nickte aber und wirkte nicht mehr so angespannt. Also kein Grund, weiter darüber zu reden.

FAST FORWARD

7:35

Eine der nervigsten Regeln an der neuen Schule war, dass alle Schüler ihre Handys vor Betreten des Gebäudes im Büro des Hausmeisters abgeben mussten. Man kam sich vor, als beträte man ein Gefängnis. Es gab eigens ein riesiges Regal mit Hunderten von Fächern für die Geräte und Pfandmünzen, die man im Austausch dafür bekam wie in einer Garderobe. Die Regel war noch gar nicht so lange in Kraft, hatte Finn mitgekriegt, ein paar Monate erst, und immerhin hassten die anderen sie genauso wie er.

Heute war die Schlange noch länger als sonst, und wer immer sich diese Regelung ausgedacht hatte, legte heute noch eine Schippe obendrauf: Man musste seinen Namen sagen, worauf der Typ hinter der Theke, heute jemand anderes als der Hausmeister, einen in seiner langen Liste suchte und abhakte. Großes Kopfschütteln; niemand wusste, was das sollte.

»Name?«, bellte der Typ, als Finn an der Reihe war.

»Ahlmann, Finn.«

»Finn?«

»Ja. Wie Finnland, nur ohne Land.« Sein Standardspruch.

»Hä?«

Endlich fand der Mann den Namen auf seiner Liste. »Okay. Handy …« Er nahm es, legte es nach all dem Getue doch nur wieder in eins der vielen Fächer, schrieb aber die Nummer des Fachs auf die Liste, ehe er Finn die Pfandmünze in die Hand drückte. »Nächster!«

An seiner alten Schule, dachte Finn im Weitergehen, hatte die Anweisung genügt, die Handys im Unterricht ausgeschaltet zu lassen. Wenn ein Handy während der Schulstunde klingelte, gab es einen Nachmittag Nachsitzen; danach hatte man gelernt, darauf zu achten.

Wenn mir damals jemand erzählt hätte, dass ich mich mal nach dieser Schule zurücksehnen würde, ich hätt’s nicht geglaubt, dachte Finn. Und jetzt vermisse ich sie richtig.

Hinter ihm kamen zwei Typen, die auch in der Schlange gewartet hatten. »Finnland, nur ohne Land«, wiederholte der eine, und dann schmissen sich die beiden weg vor Lachen.

Na toll. Wahrscheinlich hatte er spätestens heute Mittag einen neuen Spitznamen weg!

SWITCH

Lea saß auf ihrem Bett und sah der Uhr auf ihrem Nachttisch dabei zu, wie die Minuten umsprangen. Normalerweise wäre sie jetzt längst in der Schule gewesen, hätte vor dem noch verschlossenen Klassenzimmer gestanden und mit ihrer Freundin Hanne gequatscht. Bis dann Frau Weiß, die Französischlehrerin, gekommen wäre, wie immer mit ihrem laut klappernden Schlüsselbund in der Hand.

Stattdessen musste sie hier hocken und zuhören, wie ihr Vater in der Wohnung herumfuhrwerkte. Und noch mal an den Kühlschrank. Wasser, das in die Spüle lief. Schubladen, die auf- und zugeschoben wurden.

Er hatte sie eingesperrt, wirklich und wahrhaftig! Hatte ihr das Handy weggenommen und den Laptop, und so saß sie jetzt da, ohne jede Verbindung zum Rest der Welt! Sie solle was lesen, hatte er gemeint, sie lese doch so gern. Oder Schularbeiten machen.

Gemein, dachte Lea.

Zum Glück wusste ihr Vater nicht, dass sie einen zweiten Schlüssel für ihre Zimmertür besaß.

SWITCH

Die halbe Klasse wartete bereits vor der Tür zum Klassenzimmer, und als Finn dazukam, musterten ihn alle abweisend.

Genau wie die letzten zwei Wochen auch. Er gehörte halt nicht dazu.

Na und? Er wollte auch gar nicht dazugehören. Ihm reichte es schon, wenn er sah, wie sie alle T-Shirts, Abzeichen, Schals und sogar Jacken mit dem Logo von 1spass-TV trugen. Dieser verdammte Fernsehsender hatte die Leute in Ostwaldau echt allesamt in der Tasche.

Dabei, echt mal: Wen kümmerte heutzutage noch, was in der Glotze lief? Fernsehen, das war was für Leute, die zu alt fürs Internet waren. In Finns alter Klasse war das Fernsehprogramm praktisch nie Thema gewesen.

Als sie über den Umzug hierher diskutiert hatten, hatte sein Vater eine Menge Geschichten erzählt, wie der Sender »bei den jungen Leuten punktete«, wie er es genannt hatte: mit Konzerten zum Beispiel, zu denen große Stars geholt wurden, und wer im richtigen Moment vor dem Screen saß und die Preisfrage beantworten konnte, gewann einen Backstagepass. Es gab die 1spass-TV-Disco und das 1spass-TV-Sportfest, und darüber hinaus brachte der Sender die Leute regelmäßig dazu, massenhaft irgendetwas Verrücktes zu tun: verkleidet irgendwo aufzulaufen, eine Menschenkette quer durch die Stadt zu bilden, einen Tag lang jeden, den man traf, mit »Ein Spaß! Ein Spaß!« zu begrüßen oder Wasserschlachten mit Spritzpistolen von Balkon zu Balkon zu veranstalten. Das wurde jeweils gefilmt und kam später in irgendeiner Sendung. Aber vor allem gab es immer was zu gewinnen. Darauf waren sie scharf. Wenn man den Leuten die Chance auf einen Gewinn versprach, dann machten sie alles mit.

Finn hatte das erst für eine von diesen maßlosen Übertreibungen gehalten, zu denen sein Vater neigte. Aber seit er hier war, glaubte er es. Jedes Wort.

Wahrscheinlich, überlegte er, könnte er mächtig punkten, wenn er erzählen würde, dass sein Vater bei 1spass-TV arbeitete. Womöglich dort demnächst sogar ein großes Tier wurde.

Und genau deshalb würde er kein Wort darüber verlieren.

Er nahm seinen Rucksack ab, lehnte sich gegen die Wand und wartete wie alle anderen auch. Kurz vergewisserte er sich, dass er das Buch dabeihatte, das er heute in der Schulbibliothek abgeben wollte, die so ziemlich der einzige Lichtblick an dieser Schule war. Ein Roman, »Der Graf von Monte Christo«, von Alexandre Dumas. Eigentlich ein uraltes Buch, aber Finn hatte es regelrecht verschlungen.

Im Verzeichnis hatte er gesehen, dass es von Alexandre Dumas noch einen anderen Roman in der Bücherei gab, »Die schwarze Tulpe«, doch den hatte letzte Woche eine Lea Singer ausgeliehen. Vielleicht hatte sie ihn ja inzwischen zurückgegeben? Wenn ja, würde er heute zuschlagen, dann war zumindest das Wochenende gerettet.

Mit dem Klingeln zur ersten Stunde tauchte der Englischlehrer auf, Herr Jäger, wie immer auf den letzten Drücker. Auch er bedachte Finn mit einem seltsamen Blick, sagte aber nichts, sondern schloss ohne ein Wort das Klassenzimmer auf.

SWITCH

Der Lastwagen bremste ab, kam vor einem Reihenhaus zu stehen, das genauso aussah wie alle anderen in dieser Siedlung.

»Nummer 10«, sagte der Mann im Anzug, der auf dem Beifahrersitz saß. »Das ist es.«

Dann stieg er aus, und die Arbeiter, die sich auf dem Rücksitz drängten, beobachteten, wie er die Treppe zur Haustüre hinaufstieg und klingelte.

»Ich weiß nicht«, meinte einer und ächzte. »Das ist das Schrägste, was ich je gemacht habe.«

FAST FORWARD

8:10

Englisch. Für Finn war es eine Wiederholung von längst bekanntem Stoff. An seiner bisherigen Schule waren sie schon viel weiter gewesen, und ihr Lehrer hatte außerdem nicht mit so starkem Akzent gesprochen. Finn hörte nur mit halbem Ohr zu; er hätte jede Frage aus dem Stegreif beantworten können. Langweilig.

Er sehnte sich nicht nur nach seiner alten Schule zurück, sondern auch nach der Stadt drum herum. Vor dem Umzug war ihm Kirchstadt vorgekommen wie ein von aller Welt vergessenes Provinznest, in dem nichts los war. Ha! Wenn er geahnt hätte …

Jetzt dachte er voller Wehmut daran zurück, wie er und Navid zusammen durch die schmalen Gassen gezogen waren. An das Eis an dem schmuddeligen Stand in der Unterstadt. An die Kisten mit den Billigbüchern vor der winzigen Buchhandlung unweit der Schule. An die langen Nachmittage im Freibad. Wie sie immer auf der alten Stadtmauer gesessen hatten, um die Beine baumeln zu lassen, auf die Leute im Park runterzuschauen und über alles Mögliche zu quatschen.

Und natürlich an die Stunden, in denen er Navid zugeschaut hatte, wie er durch das Internet surfte. Navid konnte nicht leben ohne WLAN, Social Media und ein ganzes Arsenal an Software. Was Finn nicht nachvollziehen konnte; er benutzte das Internet nur, wenn er unbedingt musste, für Schulaufgaben zum Beispiel. Was wiederum Navid nicht verstand, für den das Internet der tollste Spielplatz der Welt war.

Finn musste schmunzeln, als ihm wieder einfiel, wie Navid die Website der Schule gehackt und, nun ja, leicht abgewandelt hatte. Wie sie versucht hatten, einander mit ihren Ideen zu überbieten. Nach diesem Nachmittag hatte die ganze Welt lesen können, dass man am Gymnasium Kirchstadt in Chemie das Bombenbauen lernte und dass im Keller des Schulgebäudes hungrige Löwen gezüchtet wurden. Ganze fünf Tage lang. Dann hatte jemand etwas gemerkt, und die alte Website war wiederhergestellt worden.

Alles Vergangenheit. Und nur wegen Vaters neuer Firma. Nur wegen dieses blöden Fernsehsenders, wo sie so unglaublich stolz darauf waren, dass alle Welt über ihren Nachrichtensprecher aus dem Computer redete. Mister Avatar.

Finn hätte sich am liebsten auch durch einen Avatar ersetzt. Ein Hologramm, das aussah und sprach wie er!

Und er … er hätte währenddessen irgendwas wirklich Interessantes machen können.

SWITCH

Jetzt. Jetzt ging ihr Vater endlich. Er klopfte noch einmal gegen die Tür, nachdem er sie zweimal abgeschlossen und noch seltsam lange dran herumgemacht hatte, sagte: »Also, wie gesagt, tut mir leid, dass das sein muss, aber es geht nun mal nicht anders. Bis heute Abend!« Dann hörte Lea, wie die Wohnungstür ins Schloss fiel.

Sie sprang auf, eilte ans Fenster und wartete darauf, ihn unten aus dem Haus gehen zu sehen.

Da kam er. Er schaute auf die Uhr, schlug den üblichen Weg ein; scheinbar hatte er es eilig. Und … weg war er.

Gut. Lea ging zum Schreibtisch und holte den Schlüssel aus der untersten Schublade. Sie grinste, als sie ihn ins Türschloss steckte und aufsperrte.

Aber, verdammt, das half gar nichts! Ihr Vater hatte die Tür irgendwie von außen blockiert!

Sie war tatsächlich eingesperrt.

FAST FORWARD

8:35

Vor dem Physiksaal hieß es wieder warten, bis aufgeschlossen wurde. Zwei von den Arschlochtypen, die es anscheinend in jeder Klasse gab, vertrieben sich die Langeweile, indem sie einen anderen Jungen piesackten, Rupert Mitnich, wenn Finn sich richtig an seinen Namen erinnerte. Der war ein magerer blasser Kerl, gut in Musik und in Kunst, jemand, der den zwei groben Klötzen absolut nichts entgegenzusetzen hatte. Sie schubsten ihn herum und riefen dabei Sachen wie: »Beschleunigung!«, oder: »Impulsgesetz!«, und es gelang Rupert nicht zu entkommen; wie eine Puppe taumelte er ständig zwischen den beiden hin und her.

Alle lachten. Eine andere Klasse wanderte vorbei, eines der Mädchen feuerte die zwei an – Torben und Björn hießen sie, jetzt fiel es Finn wieder ein – und zog dann mit ihrer Gruppe weiter.

Verdammt. Finn hielt es nicht mehr aus. Wie eine Explosion kam es über ihn, dass er dazwischenging und die beiden anschrie: »Lasst ihn in Ruhe, verflucht noch mal!«

Verblüffte Stille. Auch Finn selber war verblüfft; so kannte er sich gar nicht. Wahrscheinlich gingen sie jetzt gleich auf ihn los. Und wenn schon, anders als Rupert war Finn nicht gerade der Schwächste.

Taten sie aber nicht. Stattdessen lachten sie schief, wirkten ein bisschen verunsichert. Dann sagte Torben: »Finnland ohne Land, wie wär’s, wenn du einfach wieder dahin verschwindest, wo du hergekommen bist, hm?«

»Liebend gerne«, erwiderte Finn. »Sobald ich meine Strafe hier bei euch abgesessen hab.«

Ein paar der anderen lachten, Torben dagegen verstand den Witz gar nicht. Dann wurde endlich aufgeschlossen.

FAST FORWARD

9:05

Der Physiksaal war reichlich heruntergekommen. Manche der Sitze wackelten, und über eine der Fensterscheiben ging ein Riss, der von einer Seite zur anderen reichte und in dem schon Moos wuchs.

Ihre Physiklehrerin hieß Frau Stein und wurde »Frau Einstein« genannt, wegen ihrer wirren grauen Haare und weil sie immer aussah, als schwebte sie geistig in höheren Sphären. Finn mochte sie, weil sie die Einzige unter allen Lehrern war, bei der er das Gefühl hatte, dass ihr etwas an ihrem Fach lag. Die anderen machten nur Dienst nach Vorschrift, zogen halt ihren Stoff durch, langweilten sich dabei, und natürlich merkte man das.

Allerdings neigte Frau Stein zu Abschweifungen, und Finns Mitschüler hatten es raus, sie durch geschickte Fragen vom Schulstoff abzubringen.

Auch heute wieder. Auf einmal redete sie nicht mehr über Kräfte und Massen und Beschleunigung, sondern über Kosmologie und die Entstehung des Universums aus dem Urknall. Sie erzählte, dass es theoretisch möglich war, durch sogenannte Wurmlöcher in andere Universen zu gelangen.