Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Gelangweilt hörte Peter sich ihr Geschwätz an, während das Tier nach ihrem Körper schrie. Peter hatte sie schon durchschaut, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Ein kaltes Miststück, das nur an Macht und einer schnellen Nummer interessiert war. Wahrscheinlich war sie zu fixiert auf ihre Karriere, als dass sie sich wirklich für jemand anderen interessieren würde, als für sich selbst. Peter konnte solche Leute nicht ausstehen, sah sie aber als notwendig an um zu überleben. Das Tier musste zum Schweigen gebracht werden, wenigstens für den einen Moment. Ansonsten hielt es Peter nicht mehr aus. Dann fiel sein Blick auf einen Laster, der gerade die Kreuzung überquerte. Er fuhr mit ungewöhnlich hoher Geschwindigkeit direkt auf das Restaurant zu. Peter verstand erst was passierte als es schon zu spät war. Der Laster krachte durch die Mauer. Seine Verabredung wurde in einer Sekunde vom Kühlergrill erfasst der ihr sämtliche Knochen im Leibe brach. Peter wurde durch den Raum geschleudert. Knallend schlug er mit dem Kopf zuerst auf. Unglaublicher Schmerz wütete durch seinen Körper und ließ ihn wütend knurren. Das Adrenalin rauschte durch seine Adern und ließ sein Herz rasen. Das Rauschen seines eigenen Blutes dröhnte in seinen Ohren. Gehör- und Geruchssinn schärften sich ins unendliche. Er hörte einen Straßenköter auf der anderen Straßenseite bellen, als stünde er neben ihm. Das Gezeter und Geschrei der anderen Gäste drang schmerzhaft in seine Ohren, während tausend Gerüche in seine Nase eindrangen. Er roch das Essen und das viele Parfüm der Gäste - fast schon konnte er die Gerüche sehen. Besonders hervorstachen aber die Panik, das Blut und der Tod. Genüsslich sog Peter diese wunderbaren Gerüche ein. Ein längst vergessenes Gefühl überkam ihn. Er hatte ganz vergessen wie es sich anfühlte. Was es bedeutete ein Tier zu sein. Eine wilde Bestie die nur darauf wartete zu töten.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 449
Veröffentlichungsjahr: 2023
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Cora Bullinger
Zehn Fantasy-Horrorgeschichten
Inhaltsverzeichnis
Story 1: Odins Zorn
Story 2: Mary und der Rachegeist
Story 3: In der Umlaufbahn von Y-7
Story 4: Verflixtes Experiment
Story 5: Der Hexenjäger
Story 6: Früher Engel, heute Dämon
Story 7: Gefürchtete Macht
Story 8: Panik, Blut und Tod
Story 9: Meuchelmörder
Story 10: Kopfkino
Impressum
STORY 1: Odins Zorn
"Sven, lauf nach draußen und bring das Vieh in den Stall! Ein Sturm zieht auf!"
Der kleine Sven warf sich rasch einen Umhang um die Schultern und verließ die Hütte, um der Aufforderung seiner Mutter zu folgen.
Als der blonde Junge die Tür hinter sich schloss und sein Blick gen Himmel schweifte, erschrak er. Im Osten ballten sich schwere, schwarze Gewitterwolken, die sich rasch näherten und von einem bedrohlichen, langsam aber stetig steigenden Donnergrollen begleitet wurden. Gerade in diesem Augenblick erhob sich eine leichte Brise, die jedoch eine unheilverkündende Spannung mit sich trug.
Sven eilte über den Hof und die Wiese hinauf zur Weide. Dort standen die Ziegen zitternd und eng aneinander gedrängt und gaben gequälte Laute von sich, während auch sie ihren ängstlichen Blick zum Himmel richteten.
Der Junge öffnete das Gatter und versuchte, die Tiere aus der Umzäunung hinaus und hinunter zum Hof zu treiben, was sich jedoch als weitaus schwieriger gestaltete, als er zuerst dachte. Anfangs wollten sich die Ziegen keinen Zentimeter bewegen. Sven lief um sie herum, wedelte mit einem Stock schrie, doch es half nichts. Die einzige Reaktion war hin und wieder ein verängstigtes "Bäääähhh!" Während dieser ganzen Zeit war der Wind immer stärker geworden und auch das Donnern hatte an Intensität zugenommen.
Dann konnte man den ersten grellen Blitz sehen, der den mittlerweile komplett schwarzen Himmel zu spalten schien, und fast augenblicklich ertönte ein krachender Donner. Dies wirkte auf die Tiere. Mit panischen Schreien brachen sie aus und verstreuten sich in alle Himmelsrichtungen. Der arme Sven versuchte vergeblich, sie zusammenzutreiben, was sich jedoch als unmöglich erwies. Nicht zuletzt war der Wind ein Grund dazu. Nun toste er schon mit orkanartigen Böen über das Land und in den nahegelegenen Wäldern erhob sich ein Rauschen und Brausen, dass dem Jungen Angst und Bange wurde.
Hilflos versuchte er, den Auftrag seiner Mutter zu erfüllen, doch er hatte nicht die geringste Chance. Als er, sich bereits gegen den Wind stemmend, verzweifelt zum Hof hinabsah, entdeckte er verschwommen die Gestalt seiner Mutter, die ihm heftig winkte.
Instinktiv wusste Sven, dass er sofort seiner Mutter folgen musste, oder er würde es nie mehr schaffen. Er rannte los.
Er hatte die Weide noch nicht mal verlassen, als der Regen einsetzte. Und nicht, wie gewöhnlich, zuerst leicht tröpfelnd und stetig an Intensität zunehmend. Vom einen auf den anderen Moment setzte ein gewaltiger Fluss ein, als würde der Himmel seine Schleusen öffnen und alle Wasser der neun Welten gleichzeitig entladen, und auch die Tropfen waren riesig im Vergleich zu normalem Regen.
Durch die dichten Sturzbäche hindurch konnte Sven plötzlich nichts mehr sehen und drohte, die Orientierung zu verlieren. Doch da war es ihm, als würde eine unsichtbare Hand ihn in eine bestimmte Richtung schieben. Und plötzlich fand die Hand seiner Mutter die Seine und zog und zerrte, bis er endlich in der trockenen Hütte war.
Sofort hatte seine Mutter ihn auf einen Sessel niedergedrückt und ihm eine dicke Decke um die Schultern geworfen.
"Ein schlimmer Sturm..." ertönte plötzlich die krächzende Stimme der alten Heidrun. Sie war Svens Großmutter, und jeder kannte sie eigentlich nur als die "Alte" Heidrun.
Heidrun wusste immer irgendwelche Geschichten zu erzählen. Meist erntete sie dann einen ärgerlichen Blick ihrer Tochter, doch das war der Alten egal.
"Mutter, fang bitte nicht wieder an..." begann Sven's Mutter, doch die Alte fuhr ihr energisch dazwischen.
"Was denn? Es ist nunmal so! Etwas Schreckliches wird passieren... Wer weiß? Vielleicht steht uns Ragnarök schon bevor? Thor jedenfalls scheint sich bereits auf eine Schlacht vorzubereiten... Der Donnergott ist erzürnt..."
Und während sie so in der Hütte saßen, ängstlich aneinander gekauert und immer wieder mal von Heidruns Schauergeschichten aufgeschreckt, schien außerhalb der Haustür tatsächlich bereits die letzte Schlacht angebrochen zu haben...
Andernorts: Asgard
Während in der Menschenwelt die Welt unterzugehen schien, erhob sich hinter den Mauern des sagenumwobenen Götterreiches und am anderen Ende des Regenbogens ein mächtiges und zornerfülltes Gebrüll. In Bilskirnir, dem gewaltigen Palast von Thrudheim, knallten donnernd die Tore auf, und heraus jagte ein Hüne mit flammend rotem Haar und Vollbart, sowie mit einer Figur, die seine gewaltigen Kräfte nur erahnen ließ und Augen, die zornerfüllte Blitze auszusenden schienen. Die gestaltgewordene Wut: Thor, der Donnergott.
"WO IST ER??? WER HAT ES GEWAGT? WO IST DER DIEB? ICH WERDE IHN ZERSCHMETTERN!" brüllte er so laut, dass selbst die Mauern von Gladsheim, zu erzittern schienen. Drohend ballte er die Fäuste und niemand wagte sich in die Nähe, aus Angst, der wildgewordene Thor würde ihn erschlagen.
Da erklang Hufgetrappel, und Thor gewahrte durch den feurigen Schleier der Wut hindurch einen Reiter auf schimmernd weißem Rosse heransprengen, mit leuchtenden Augen, die die Weisheit der Welt verinnerlicht zu haben schienen. Es war Heimdall, sein göttlicher Bruder und Wächter über das Götterreich und die Himmelsbrücke.
Dieser zügelte sein Pferd, sprang herab und eilte auf Thor zu.
"Was ist denn passiert?" fragte er. "Du brüllst das ganze Götterreich zusammen! Selbst die Kelche in Walhalla haben gezittert! Allvater hat mich losgeschickt um zu sehen, was los ist."
"Mein Hammer..." stieß Thor unter zusammengepressten Zähnen hervor und es klang wie bedrohliches Donnergrollen vor einem Jahrhundertsturm, "Man hat mir meinen Hammer gestohlen."
Heimdalls Augen weiteten sich. "Den Mjölnir?" flüsterte er entsetzt. Thor nickte nur grimmig.
"Auf, komm mit zur Walhalla" rief Heimdall und winkte ihm ungeduldig. "Odin muss davon erfahren. Er wird wissen, was zu tun ist. Möge das Schicksal uns gnädig bleiben... Wenn der Donnergott seinen Hammer nicht mehr schwingt, so wird es bald schlimm um uns alle stehen!"
In Windeseile jagten sie nach Gladsheim, die breiten Stufen zum Palast hinauf und durch die langen Gänge, bis sich schließlich die Tore von Walhalla vor ihnen öffneten.
In dem gigantischen, goldglänzenden Saal, in dem Odin, der Göttervater, die Seelen der tapferen und verstorbenen Krieger um sich versammelte, saßen die Götter beisammen und hielten Rat. Aller Augen richteten sich voller Neugier nun auf Thor und Heimdall, die durch ewigen Reihen der Bänke auf den Thron des Allvaters zu eilten. Sofort verstummte jede Rede, und es wurde still.
Odin saß auf seinem Thron, erhaben und majestätisch mit dem schneeweißen Bart, der auf sein schlichtes, graues Gewand wallte und dem strahlenden Auge, das darüber leuchtete. Auf seiner Lehne saßen die beiden Götterraben, Hugin und Munin, und man glaubte fast, sie seien ohne Leben und ein Teil des Thrones selbst. Odin blickte nachdenklich zu Boden, doch als Heimdall und Thor vor ihm angelangt waren, sah er auf. Das strahlende Auge des Göttervaters blickte forschend über seine Söhne und verweilte lange auf dem Donnergott.
"Nun, was gibt es zu berichten?" fragte er schließlich mit ruhiger Stimme.
"Mein... mein Vater..." begann Heimdall stockend, "ich wage es kaum..." Odin blickte ihn durchdringend an.
"Mein Sohn, so sprich" sagte er. "Noch nie ist es geschehen, dass du gezögert hast! Sag mir, was ist geschehen?"
Da konnte sich Thor nicht länger zurück halten.
"Man hat mir meinen Hammer gestohlen!" grollte er fürchterlich durch den Saal und alle Anwesenden zuckten zusammen. Sofort hob ein bestürztes Flüstern und Murmeln an. Die mächtigste Waffe der Götter in ihrem immerwährenden Kampf gegen die bösen Mächte war verschwunden! Odin hob die Hand und gebot um Stille. Dann richtete sich das Licht seines Auges durchdringend auf Thor.
"Du sagst, der Mjölnir ist gestohlen worden?" Thor nickte in stummen Grimm.
"Mein Vater" meldete sich nun Heimdall zu Wort, "Was soll denn nun geschehen? Ohne den Hammer werden wir es schwer haben, die Feinde von Asgard fernzuhalten! Wir haben Grund zu der Annahme, dass die Riesen wieder einen Schlag gegen uns oder die Menschenkinder vorhaben! Wie sollen wir uns ohne Mjölnirs Kraft gegen die Feinde behaupten? Gerade jetzt sind die Menschen auf den Schutz von Midgards Wehr angewiesen!"
Wieder hob ein aufgeregtes Murmeln im Saal an. "Was sollen wir nun tun?" sagte der Eine. "Ohne den Zermalmer sind wir doch nur halb so stark" sagte der Andere. Oder auch "Wehe uns, wenn der Feind uns angreift!"
"He, wo ist eigentlich Ragnar?" rief Tyr, der einarmige Kriegsgott in diesem Moment. "Warum ist er denn nicht hier? Sollte er vielleicht etwas damit zu tun haben?"
Als Thor dies hörte, knallte er die Faust auf den Tisch, dass es dröhnte. Die Wut in seinem Inneren brannte wie Feuer und schien jegliche Vernunft auszuschließen. Aus seinen Augen schossen flammende Blitze hervor.
"Ragnar, natürlich! Er wird ihn mir gestohlen haben! Vielleicht sitzt er nun schon mit dem Hammer bei den Riesen und sie lachen über uns! Dieser Ränkeschmied, wenn ich ihn in die Finger bekomme! Ich werde ihn zermalmen, ich werde..."
"STILLE!" rief Odin mit durchdringender, kraftvoller Stimme, und sein schneeweißer Bart zuckte. Augenblicklich verstummten alle, und selbst Thor vergaß für einen Moment seine Wut.
"Ragnar ist unschuldig" sagte der Göttervater ruhig aber bestimmt. "Er wandert gerade im Glasirwald, wie mir eben meine treuen Raben berichtet haben. Aber ich werde nach ihm schicken. Ragnar soll uns mit klugem Rat zur Seite stehen. Thor, mein Sohn, zügle deinen Zorn noch, bis wir Ragnars Rat gehört haben. Du wirst ihn nicht anrühren, wenn er hier erscheint!" Damit erhob er die Hand und winkte. Da kam plötzlich Leben in die beiden Raben. Sie schüttelten ihr Gefieder, erhoben sich in die Luft und verschwanden krächzend in der Ferne.
Thor blickte den beiden finster nach. Er sollte seinen Zorn zügeln? Ragnar, den listenreichen Ränkeschmied ungeschoren davonkommen lassen? Grimmig knirschte er mit den Zähnen und ballte die Fäuste, dass die Finger knackten. Er hatte diesem zwielichtigen Kerl noch nie vertraut. Mehr als einmal hätte Thor liebend gerne seinen Hammer an Ragnar versucht, doch immer hatte diesen das schiere Glück oder Odin selbst davor bewahrt, zermalmt zu werden. Jedoch war der Zermalmer das Einzige, was Ragnar fürchtete. Thor traute es ihm durchaus zu, den Hammer gestohlen zu haben. Doch er würde tun müssen, was Odin befohlen hatte, wollte er seinen Vater nicht verägern. Und so wartete er stumm und finster brütend, während die anderen Anwesenden wieder in eine angeregte Diskussion verfielen, welch finsteren Zeiten Asgard ohne den Schutz von Mjölnir, dem Zermalmer, entgegensehen mochte.
Ragnar war aber nicht mehr im Glasirwald. Stattdessen saß er in der Gestalt eines grauen Eichhörnchens auf den Ast einer Tanne und beobachtete schöne Frauen beim Baden. Er hatte einen kleinen See in eine heiße Quelle verwandelt und viele Menschen kamen von weit her, um das Wunder zu bestaunen. Dabei gab es feste Zeiten, wann die Männer und wann Frauen rein durften, wobei Ragnar es vor allem auf letztere abgesehen hatte. Plötzlich begann er zu rutschen. In letzter Sekunde krallte er sich an den Ast fest. Er hing kopfüber und atmete erleichtert aus. Er wollte sich nur ungern bei dieser … Situation erwischen lassen, weder von Menschen noch von Nichtmenschen. Schnell hangelte er sich wieder auf den Ast. Erleichtert sah er, dass er noch nicht bemerkt worden war. Die Frauen lachten immer noch und spritzten sich gegenseitig mit Wasser ab. Dabei waren sie unverhüllt. Jede Kurve, jede Rundung war bis ins letzte Detail zu sehen. In dem Gott des Feuers machte sich eine wollige Wärme im Schritt breit. Dabei starrte er auf eine Frau mit besonders großen Brüsten. Er konnte nicht anders. Immer weiter beugte er sich nach vorne. Er hatte Mühe nicht gleich los zu sabbern. Ein Krächzen erschrak ihn zu Tode. Trudelnd fiel er von der Tanne in den See mit kochendem Wasser hinein. Das Gekreische war groß, genau wie die Panik unter den Frauen. Ragnar hatte Probleme unter dem tosenden Wasser nicht unterzugehen. Keuchend durchbrach er die Oberfläche und schaute direkt auf zwei wundervoll geformte Brüste. Ihm blieb die Kinnlade hängen. „Ach schaut mal. Das ist ja bloß ein Eichhörnchen. Na, mein Kleiner.“ Ragnar bekam den Kopf einfach nicht hoch. Diese Brüste hatten ihn, wie eine Schlange hypnotisiert. „Ist der nicht süß“, antwortete die Frau. „Er scheint aber noch unter Schock zu stehen.“, antwortete eine andere. Ich bin im Himmel, dachte Ragnar. Aber ein erneutes Krähen zerstörte die Illusion. Als Ragnar zum Himmel aufsah, erblickte er Odins Grillhänchen. Sie wollten ihn wohl abholen. Dann war Thor wahrscheinlich der Verlust seines Hammers aufgefallen. Was sonst konnte so wichtig sein? Also ging Ragnar aus dem heißen Wasser, schüttelte sich wie ein nasser Hund und ging. Aber nichts in der Welt konnte ihm davon abhalten noch einen letzten Blick auf die nackten Schönheiten zu erhaschen. Schnell kletterte er den Baum hoch, verwandelte sich in einen Adler und folgte den beiden Raben.
Sie flogen und flogen. Es war ein weiter weg, nach Asgard. So hatte Ragnar genug Zeit über seine Vorgehensweise nachzudenken. Die Wahrheit konnte er nicht sagen, denn zum einem war es wider seiner Natur und zum anderen konnte er einen von Odins Lieblingssöhnen wohl schlecht sagen: Hey, Thor. Sorry wegen dem Hammer. Ich habe ihn beim Karten spielen verloren. Zu meiner Verteidigung, ich hatte ein sehr gutes Blatt gehabt … nur leider hatte einer der Riesen ein besseres. Aber macht dir nichts draus. Ihr habt doch nur eure mächtigste Waffe verloren. Das ist noch lange nicht das Ende der Welt. Oh, ich vergaß. Es ist doch das Ende der Welt. Nein, sowas kam nicht gut. Also musste er das tun, was er am besten konnte, nämlich lügen. Lügen das sich die Balken bogen. Vor ihnen am Horizont erschienen die Zinnen von Asgard, dem Heim der Götter. Ragnar hielt nichts von diesem prächtigen Gemäuer. Mit anderen an einer Tafel zu sitzen, Met zu trinken und dabei Sauflieder über Odin zu singen. Seiner Meinung nach, konnte man das genauso gut in einer einfachen Kneipe machen, während man der Kellnerin zuzwinkerte. Ragnar wusste um seinen Charme, seinem Charisma gegenüber Frauen und spielte ihn nur zu gerne aus. Die beiden Krähen und der Adler flogen durch ein offenes Fenster in den Thronsaal. Während der Adler in der Mitte des Saales landete, flogen die Raben zurück zu ihren Herrn. Ragnar wusste, was er tun musste. So konnte er Odin nicht gegenüber treten. Was viele aber nicht wussten, dass Ragnar keine wahre Gestalt hatte. Er war alles und nichts. Freund wie Feind, je nachdem was seinen Zwecken gerade mehr nützte. Diesmal entschied er sich für eine ganz besondere Gestalt. Er verwandelte sich in die vollbusige, nackte und vor allem nasse Frau von der heißen Quelle, die ihn in seinem Bann geschlagen hatte. Viele reagierten mit lautem Gegröle auf diese Respektlosigkeit. In so einer Gestalt trat man Odin nicht gegenüber. „Was soll das denn?“, schrien sie oder „Wie kannst du es wagen, Odin so gegenüber zutreten.“ Manche Rufe waren aber so voller Alkohol, dass man sie nicht einmal verstehen konnte. Aber Ragnar hatte mehr als ein Stein im Brett bei dem Göttervater, also durfte er sich so etwas erlauben. Außerdem würden diese Barbaren in ihrer Rage schnell etwas Dummes sagen, was Ragnar gegen sie einsetzen konnte. Sinnlich fuhr sich Ragnar durch die Haare und erntete mehr Gebrülle. „Was gibt es mein Blutsbruder.“ Ja, Ragnar war der Blutsbruder Odins. Einer der Steine und bis jetzt sein Größter Schutz vor gewissen Hünen namens Thor. „Tritt näher.“ Odin schien seine Nacktheit zu ignorieren. Wenn es etwas gab, das Ragnar an ihm bewunderte, dann war es seine unerschütterliche Ausgeglichenheit. Nichts konnte ihn in Rage bringen. Auf dem Weg durch die Reihen der Asen sah Ragnar einen knallroten Kopf, der nur Thor gehören konnte. Auf ein freches Augenzwinkern von ihm, antwortete er mit lautem Zähneknirschen. Als Ragnar vor Odin trat, sagte dieser mit der Ruhe eines Felsens: „Mjölnir ist geraubt worden. Wahrscheinlich haben ihn die Riesen bereits.“ Ragnar betrachtete gelangweilt seine Fingernägel. „Hm. Mjölnir … Mjölnir … Tut mir leid. Nie gehört.“ „Mein Hammer, du Wurm!“ „Ach, dein Spielzeug.“ Ragnar klatschte seine Hand gegen die Stirn. „Dein Riesenschnuller. Deine Kuscheldecke …“, während Ragnar eine Aufzählung machte die jeder Beschreibung spottete, versuchten acht tapfere Asen den mächtigen Thor zurückzuhalten. Ragnar wusste, dass Thor ihn am liebsten tot gesehen hätte. Es war schon immer so gewesen. Sie waren einfach zu unterschiedlich. Er war das Genie. Thor war der primitive Hüne, der nicht weiter als bis zu seiner nächsten Mahlzeit denken konnte. „Ragnar“, obwohl dieser Name nur so dahingesagt worden war, so brachte er den Gott des Feuers doch zum Verstummen. So war Odin. Ein einfacher Satz klang bei ihm wie eine Morddrohung. „Was schlägst du vor?“ „Was, ich?“ Ragnar zeigte dabei verwundert auf sich selbst. Hatte er das gerade richtig verstanden? Er hatte gedacht, man würde ihn verhören und dann in die Tiefen der Welt verbannen. Aber nein, er sollte einfach nur helfen den Hammer zu finden. Sofort nahm ein neuer Plan in Ragnars Kopf Gestalt an. „Ich … Äh … Wie wär´s mit einer alten Asentaktik. Wir schicken, hm … sagen wir zwei Leute dort hin, die den Hammer dann zurückholen.“ Und diesen Zweien werde ich die Reise so unangenehm wie möglich machen. Und dann bin ich zwei der Asen los, dachte Ragnar heimtückisch. Und er wusste auch schon, wer der Erste sein würde, der sich zu diesem Himmelfahrtskommando melden würde. „Das übernehme ich.“ Thor hatte sich inzwischen von seinem Anfall erholt und war aufgestanden. „Gut“, meinte Odin, „Aber wer soll dich begleiten?“ Sofort erhallten Rufe von den billigen Plätzen. „Zu dem Stärksten von uns können wir nur den Schnellsten mitschicken.“ „Nein“, meinte ein anderer, „den Reinsten.“ Und so kam eine Aufzählung von all den besten Kriegern der Asen. Bis schließlich ein einzelner Ruf durch die Halle stieß. „Wie wär´s mit dem Klügsten?“ Alle Asen schauten schockiert zu dem einen der das Aussprach, was keinem im Traum eingefallen wär. Es war ein eher schmächtiger, blonder Jüngling, der noch nicht einmal seine ersten Barstoppeln besaß. Selbst Ragnar hatte mit so einem Vorschlag nicht gerechnet. Das Ausgerechnet Baldur, Odins Lieblingssohn, so etwas vorschlagen würde, war selbst für Ragnar ein Schock. Er sollte mit Thor …? Oh nein, eher ließ er sich verbannen. Schnell versuchte er den Spieß zu wenden. „Oh Bruder, hör nicht auf diesen … diesen Jüngling. Der Met scheint seine Sinne zu vernebeln. Schick besser ihn mit Thor ins Land der Riesen. Die beiden verstehen sich doch eh viel besser, als wenn ich...“, der Rest des Satzes kam ihm noch nicht einmal über die Lippen. „Ein Grund mehr, dich mit ihm loszuschicken. Ich weiß, dass ihr beide euch nicht leiden könnt. Aber ihr müsst lernen, mit dem jeweils anderen zu Leben. Also werdet ihr in der Nacht still und heimlich verschwinden, damit unsere Feinde nicht Wind von der Sache bekommen. Ihr solltet euch also noch mal ausruhen und euch für die weite Reise vorbereiten.“ Ragnar stöhnte. Wieder war ein Plan nach hinten losgegangen. Aber es war immer noch besser als der Zorn Odins.
Als die Sichel des Mondes hoch am Firmament stand, stahlen sich zwei Schatten Klammheimlich aus Asgard raus. Der eine war ein Hüne mit einem gewaltigen Breitschwert. Seine dumpfen Schritte ließen die Erde erbeben. Hinter ihm schlich leise ein schmächtiger Jüngling von nicht mehr als sechszehn Sommern. Er hatte zwei Armbrüste auf den Rücken und einen Gürtel mit Giften und Heiltränken. Sicherheitshalber hatte er überall in seiner Kleidung Messer versteckt. Thor dagegen hatte sich eher schlicht gehalten. Abgesehen von seinen Fellen und seinen Schwert trug er nichts dabei. Er war halt ein dummer Barbar. „Nur damit du es weißt“, zischte Ragnar, „Ich mache das genauso ungerne wie du.“ Thor konnte nur ein Knurren von sich geben. Er wollte wohl nicht mit Ragnar reden, was dem auch lieber war. Und so machte sich dieses ungleiche Paar ins Land der Riesen auf.
Seit Stunden marschierten sie nun schon durch diesen dichten Nebel, ohne wirklich zu wissen, ob sie die richtige Richtung eingeschlagen hatten. Thor blickte finster drein und hatte die Zähne aufeinander gepresst, denn in ihm wuchs langsam der Unmut und die Wut auf seinen Reisegenossen.
Von Asgard aus hatten sie Lichtalfenheim durchquert, bis sie schließlich an der Grenze von Nifelheim angelangt waren. Vor ihnen hatte sich eine trostlose Landschaft aufgetan, in der eisige Kälte und wabernde Nebelschwaden vorherrschten.
Der Knabe, dessen Gestalt der listige Ragnar angenommen hatte, war leichtmütig drauf losmarschiert und hatte Thor verkündet, sie bräuchten nur ihren Schritten zu folgen, die würden ihnen schon den richtigen Weg zeigen. Dem Donnergott war nicht viel übrig geblieben, als Ragnar zu vertrauen, war dieser doch für seine List und Schläue bekannt.
Doch nach und nach war sein von Grund auf vorhandenes Misstrauen Ragnar gegenüber gewachsen, denn es schien, als würde der Knabe irgendetwas aushecken. Schließlich hatten sich düstere Erinnerungen in Thors Gedanken geschlichen, die ihm von Ragnars vergangenen Taten erzählten, hatte er die Götter doch mehr als einmal in eine äußerst brenzlige Lage gebracht. Aber, und dieser Gedanke fachte die Wut des Donnergottes umso mehr an, Ragnar hatte den Asen doch auch stets wieder durch seine Schläue und List aus der Patsche geholfen, so dass man nie genau wusste, wie man bei dem Feuergott dran war.
Und nun stapften sie durch dieses nebelige Nirgendwo, und dieser Umstand verstärkte das Misstrauen des Donnerers noch mehr, da er sich nicht mehr ganz so sicher war, ob sie wirklich auf dem richtigen Weg waren. Hin und wieder kamen sie an gewaltigen Eisplatten und Gletschern vorbei, welche wie mächtige, behäbige Giganten aus dem Nebel auftauchten und Zeugen von der uralten, gewaltigen Macht waren, die einst bei der Erschaffung der Welt vorgeherrscht hatte. Nifelheim war die urälteste Welt, die eisige Kälte, hoch im Norden, erschaffen in den unendlichen Weiten noch vor Beginn der Zeit.
Gerade wollte Thor sich an Ragnar wenden, um mit dem Kerl mal ein ernstes Wörtchen zu wechseln, als vor ihnen im Nebel ein riesiger Schatten erschien, der sich beim Näherkommen als mächtige Felswand entpuppte. Der gezackte Riss darin, der sich auf Höhe des Erdbodens befand, schien geradezu winzig, und doch war die Öffnung gigantisch, aus welcher sich ein reißender Strom ins Freie schlängelte. Stirnrunzelnd wandte sich Thor um.
"Du hast doch gesagt, wir würden schon auf dem richtigen Wege sein. Was soll das?" dabei deutete er mit dem Daumen über den Rücken in Richtung des Flusses.
Die Mundwinkel des Knaben verzogen sich zu einem listigen, geheimnisvollen Lächeln, und er antwortete mit zuckersüßer Stimme:
"Nun, mein Freund, wenn ich das gesagt habe, dann wird es wohl auch so sein. Wir sollten diesem Flusslauf folgen, er wird uns gewiss zu deinem kostbaren Hammer bringen."
Thor zog die Augenbrauen zusammen und in seinen Augen blitzte es gefährlich auf.
"Ich warne dich, du falsche Schlange" knurrte er und ballte dabei bedrohlich die Faust, die groß genug schien, um Ragnars Kopf mit Leichtigkeit zu umfassen, "wenn du irgendeine Schandtat vorhast, so werde ich dich zu Brei stampfen, hast du mich verstanden?"
In Ragnars Augen tauchte für einen kurzen Augenblick der Schatten von Furcht auf, doch schnell gewann wieder seine listige, freche Art die Oberhand.
"Aber, aber, guter Thor" und dabei schlich er um den riesigen Asen herum wie ein streunender Kater, "was denkst du denn nur von mir? ich würde dich doch niemals hintergehen, so stark und mächtig wie du bist, oh großartiger, mächtiger Thor!"
"Du hast in der Vergangenheit nicht gerade gute Erinnerungen hinterlassen, Freundchen" entgegnete der Donnergott. Ragnar legte den Kopf zur Seite und blinzelte seinen Gefährten an.
"Vertraust du mir etwa nicht?" fragte er spitz.
"Eher würde ich mit der Midgardschlange kuscheln, bevor ich behaupte, dass du vertrauenswürdig seist." grollte Thor. Zu seiner Überraschung kam Ragnars Antwort leise lachend.
"Wer weiß, wer weiß... Nichts ist unmöglich, mein Freund! Nur Odin weiß um die Zukunft der Welten bestellt, und selbst bei ihm bin ich mir manchmal nicht ganz sicher. Aber du beschämst mich. Folge dem Weg" dabei deutete er auf die Spalte in der Felswand, "und du wirst ans Ziel kommen."
Thor blickte ihn misstrauisch an. Er sollte diesem Kerl, dem Ursprung von Lüge und Verrat, wirklich trauen? Andererseits, er hatte keine andere Wahl. Odin hatte ihm Ragnar nicht ohne Grund zur Seite gestellt.
"Und was ist mit dir?" fragte er.
"Oh, ich bin ganz dicht hinter dir, oh Mächtiger. Du bist der Stärkere von uns, außerdem ist es dein Hammer, also solltest du voran gehen, während ich mit meinen Waffen, also mit meinem Gehirn kämpfe."
Der rotbärtige Ase sah den Knaben noch einen Moment lang zweifelnd an, doch dann wandte er sich um und stapfte weiterhin auf die gezackte Öffnung zu, so dass das Rauschen des Flusses stets an Intensität gewann.
Als er den gezackten Eingang passierte, schien es dem Gott, als würde er in eine andere Welt eintauchen; die Kälte, welche sich sogar schon in seinen doch sonst schier unbeugsamen Geist eingeschlichen und begonnen hatte, seine Gedanken zu verlangsamen, blieb draußen zurück, und Thor fühlte sich, als könne er endlich wieder frei durchatmen.
Doch mit jedem Schritt wuchs die Dunkelheit, und schon bald waren sie von einer wabernden, scheinbar alles verschlingenden Dunkelheit umgeben. Sie konnten nur noch das Rauschen des Flusses hören, dass hier unten dumpf dröhnte.
"He, Feuergott" rief Thor über den Lärm hinweg, "Mach deinem Titel mal Ehre und besorge uns irgendeine Fackel, damit wir was sehen."
Es kam keine Antwort.
"Ragnar?" fragte Thor. "He, Kleiner, wo bist du denn hin?"
Wieder verging eine ganze Weile, und Thor wollte schon umkehren und, Ragnar in Gedanken verwünschend, nach seinem Gefährten suchen, als plötzlich ein Prusten und Lachen ertönte, als Ragnar in einem aufflammenden Licht erschien und sein Gesicht zu einer spöttischen Maske verzerrt war.
"Huhuhu, der mächtige Thor fürchtet sich doch wohl nicht?" feixte er. Dann quiekte er, Thor's Stimme übertrieben hoch nachahmend: "Ragnar, oh Ragnar, so komm und rette mich, ich fürchte mich!"
"Hör mit deinen dämlichen Späßen auf und führe uns lieber hier raus!" kam die knurrende Antwort des Donnerers.
"Hab keine Angst, mein kleines Donnerchen" frotzelte Ragnar, "der Onkel Ragnar wird dich schon führen. Na los, mir nach!"
Und so sprang er lachend davon, noch bevor Thor die Gelegenheit hatte, ihn zu greifen und ihm eine Lektion zu erteilen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als Ragnar zu folgen.
Sie folgten dem Flusslauf, der nach und nach immer schmaler und weniger reißend wurde; der Weg begann schon bald, bergab zu führen, in gewundenen Linien, mal links, mal rechts, aber stets beharrlich bergab. Stunde um Stunde marschierten sie schweigend dahin, Ragnar scheinbar unbeschwert und fröhlich, gefolgt von Thor, dem Donnergott, dessen Gesichtsausdruck eher an einen wütenden Eber erinnerte.
Auf die Frage, wo sie denn nun seien, antwortete Ragnar stets nur mit einem Schulterzucken und achtete immer ganz genau darauf, nicht in Thors Reichweite zu sein.
Mit der Zeit wurde es wärmer, und vor ihnen war ein unheimlich flackerndes, rot schimmerndes Licht zu sehen. Der Fluss war mittlerweile nur noch ein Bach. Endlich traten sie aus dem Gang in eine Höhle hinaus, deren gewaltige Größe jedoch nur zu erahnen war, verlor sich die Decke doch in der Dunkelheit über ihren Köpfen. Das flackernde Licht schien direkt aus den Wänden zu kommen, als würden dahinter zahlreiche kleine Feuer brennen.
"Wo sind wir hier?" fragte Thor und wandte sich zu Ragnar um.
Aber Ragnar war verschwunden.
Thor drehte sich einmal im Kreis und rief leise Ragnars Namen, doch er erhielt keine Antwort. Er war allein.
Die Zähne aufeinander gepresst und ein bedrohliches Knirschen von sich gebend ballte er die Fäuste. Wenn er diesen durchtriebenen Hund zu fassen bekommen sollte, so würde er ihm diese Späße ein für allemal austreiben.
Ein Geräusch ließ ihn herumfahren, und seine Hand fuhr automatisch an den Gürtel. Aber da war kein Hammer. Schmerzlich registrierte Thor, wie sehr er Mjölnir doch vermisste. Diese mächtige Waffe, die ihm so vertraut war, die besser war als jede andere Waffe... Der mächtige Zermalmer, der Blitze schleudern konnte oder, von des Gottes Hand geworfen, sein Ziel immer vernichtend traf und danach wieder treu in die Hand von Thor zurückkehrte. Er musste ihn wieder haben, koste es was es wolle.
Lauernd drehte sich der Donnergott im Kreis und zog leise sein Schwert. Mit der blitzenden Waffe, deren Größe allein schon fast die Länge eines ausgewachsenen Mannes hatte, schlich er vorsichtig am Bachlauf entlang. Ein seltsamer Geruch stieg ihm in die Nase, wie von frisch geschnittenem Holz, und er fragte sich, ob es wirklich in diesen finsteren Tiefen möglich sei, dass hier noch Pflanzen wuchsen.
Der Weg stieg nun leicht bergan, und als er schließlich die Spitze des Hügels erreicht hatte, lag vor ihm die Quelle des Flusses: Es war ein Brunnen.
Seltsam, dachte Thor. Ein Brunnen in dieser Tiefe? Welche Bedeutung mochte er wohl haben? Wem sollte er hier nutzen?
Ein lautes Schaben und Kratzen riss ihn aus seinen Gedanken, und er hob den Kopf und blickte nach oben. Über seinem Kopf gewahrte er den Schatten eines riesigen, hölzernen Gebildes. Gewaltig schlängelte es sich durch die Höhle und warf weitere Stränge zur Seite.
So seltsam es klingen mochte: Thor befand sich unter einer Wurzel.
Plötzlich traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag! Yggdrasil! Die Weltenesche! Es hieß, dass eine ihrer mächtigen Wurzeln in Nifelheim lag, am Brunnen Hwergelmir, dem ältesten aller Brunnen und dem Ursprung aller kalten Gewässer.
Doch es hieß auch, dass dieser Brunnen sowie die Wurzel in Nastrand lagen, und in Nastrand hauste der Legende nach...
Den gigantischen Schatten, der sich über ihm erhob, bemerkte er nur Sekunden, bevor das markerschütterndste Gebrüll ertönte, das er je vernommen hatte. Als Thor aufsah, war ihm, als blicke er in den Rachen der Zerstörung selbst, und vielleicht war dem auch so: Vor ihm erhob sich der gewaltige Leib von Nidhögger, dem Vater aller Drachen. Pechschwarz, mit einem langen Schlangenleib, einem furchteinflößenden Kopf in dem sich schwertlange Zähne befanden, dunkelrot glühenden Augen, Pranken, die ein Haus mühelos zerschmettern konnten und Schwingen, die mit einem Schlag einen Wirbelsturm entfachen konnten.
All diese Entdeckungen machte der Ase in einem einzigen Augenblick, denn der Drache ließ ihm gar keine Zeit, ihn näher zu betrachten. Sofort zuckte der gewaltige Kopf auf Thor hernieder, der sich mit einem beherzten Sprung gerade noch in Sicherheit brachte. Grimmig blickte er sich um. Verrat! Ragnar hatte ihn verraten und ihn quasi dem Drachen zum Fraß vorgeworfen. Wenn er nur seinen Hammer gehabt hätte... Doch auch ohne Mjölnir würde er nicht einfach kampflos aufgeben. Er war der Donnergott, und das sollte auch diese alte Schlange spüren, wenngleich Nidhögger als eines der mächtigsten Wesen in allen neun Welten galt.
Fauchend schlug das Untier mit einer seiner Pranken nach Thor, und er konnte die vorbeifliegenden Rindenfetzen sehen, die sich zwischen den Krallen eingehackt hatten. Stücke der Wurzel, an der der Drache der Sage nach alle Zeit hindurch nagt, um die mächtige Weltenesche eines Tages zu Fall zu bringen. Nidhögger, der Wurzelnager, der Drache, der sich von den Toten ernährte... Doch Thor sollte er nicht haben. Zumindest noch nicht.
Der Drache sprang von der Wurzel und landete auf dem Erdboden, so dass die ganze Höhle erzitterte. Mit weit geöffnetem Rachen ging er auf Thor los, der sich im letzten Moment zur Seite warf und dem Drachen das Schwert in den Hals rammte.
Zumindest versuchte er dies.
Die Klinge sprang mit einem lauten Klingen vom Schuppenpanzer des Drachen ab, ohne auch nur einen Kratzer darin zu hinterlassen. Fassungslos starrte Thor auf die Stelle. Einen Moment zu lange. Den Schatten, der von der Seite heransauste, bemerkte er den Bruchteil einer Sekunde zu spät, und so traf ihn die volle Wucht des Drachenschwanzes, und er flog gute dreißig Meter durch die Luft, bis er schwer auf dem Boden landete. Er schüttelte den Kopf und versuchte, die dunklen Schatten vor seinen Augen und seine Benommenheit zu bezwingen. Keuchend rappelte er sich auf und blickte zum Drachen hinüber. Dieser hatte nun die Schwingen gespreizt und erhob sich wie eine geschmeidige Schlange im Wasser hinauf in die Luft, um sich jedoch sofort wieder auf Thor herabzustürzen. Dieser sprang hoch und hechtete sich unter einen nahen Wurzelstrang, so dass die gewaltigen Klauen des Monsters nur tief in den felsigen Boden fuhren und massive Brocken herausrissen.
Thor wusste, dass er diese Auseinandersetzung nicht lange würde durchhalten können. Er hatte keinerlei wirkungsvolle Waffe gegen diesen Giganten der Unterwelt. Sollte dies wirklich das Ende sein von Thor dem Mächtigen, von Donar, dem Gott des Donners, dem Schutzpatron der Menschheit, der Welt Schirmherr und Beschützer?
Er ballte die Faust und blies zornig in seinen dichten, roten Vollbart. Nein! Er würde niemals aufgeben! Nicht umsonst war er Odins Sohn und der Stärkste der Asen!
Von dieser neuen, grimmigen Entschlossenheit erfüllt, trat er aus seinem Versteck hervor und direkt auf den Drachen zu. Er wusste nicht, ob Nidhögger ihn verstehen würde; dennoch hob er die Hand und deutete auf den brüllenden Wurm.
"Lass ab von mir, alter Wurzelnager!" schrie er, und obwohl das Gebrüll der Bestie die Höhle in ihren Grundfesten erschütterte, so übertönte seine donnernde Stimme den Lärm. "Ich bin Donar, Yggers Sohn, dem Herrn dieses Baumes und Vater allen Seins! Nicht wirst du Thor, den Mächtigen, bezwingen, solange die Sonne am Himmel steht!"
So stand er also da, furchtlos, ein Gott zwar, aber dennoch winzig im Gegensatz zu dem gewaltigen Schatten, der sich einer Gewitterwolke gleich vor ihm ausbreitete.
Der Drache neigte den Kopf und schien für einen Moment verwirrt, war es doch in diesen vielen tausend Jahren seiner schrecklichen Existenz noch nie vorgekommen, dass hier unten menschliche Worte gesprochen wurden. Für einen winzigen Moment glühte in den von Bosheit und Gier erfüllten Augen so etwas wie Überraschung und sogar Respekt auf, verschwand dann jedoch, um dem schlimmsten Ausdruck von Hass und Abscheu Platz zu machen, den Thor je gesehen hatte. Dennoch wich der Ase keinen Schritt und senkte auch nicht den Blick.
"Ich werde dir so schwer im Magen liegen, dass du dir wünschst, nie existiert zu haben" knurrte er und hob das Schwert, bereit für den Ansprung der Bestie und in Erwartung des nahenden Todes.
Doch es kam nie dazu. Denn plötzlich war hinter dem Drachen eine schmächtige Gestalt aufgetaucht mit einer Armbrust im Anschlag. Der Bolzen, der den mächtigen Schädel des Untiers traf, prallte zwar wirkungslos daran ab, hatte jedoch den Effekt, die Aufmerksamkeit des Drachen von seinem bisherigen Opfer abzulenken. Fauchend schwenkte der gigantische Leib herum, um zu sehen, wer sich diese Frechheit erlaubte.
Die Gestalt jedoch war bereits katzenartig weiter gesprungen und hatte einen weiteren Bolzen auf das Untier abgefeuert, natürlich erneut ohne jegliche Wirkung. Mit einem Wutgebrüll stürmte der Drache hinter dem neuen Angreifer her, der es sich doch erdreistete, ihn anzugreifen. Ragnar jedoch, denn kein anderer verbarg sich hinter der Gestalt, war viel zu leichtfüßig und schnell für den Wurm, sprang hierhin und dorthin, ohne dass ihm die zuschnappenden Klauen und der umherpeitschende Schwanz gefährlich werden konnten.
Thor beobachtete die Szene staunend. Ragnar war also doch gekommen, um ihm zu helfen! Zunehmend besorgt jedoch sah er, dass es dem Drachen gelang, seinen Gefährten immer weiter ins Eck zu drängen, so dass der Knabe wohl bald in der Falle sitzen würde.
Er stürmte los. Nidhögger beachtete ihn nicht, lag seine Aufmerksamkeit doch ganz und gar auf Ragnar, der es geschafft hatte, den Drachen bis über alle Maßen zu reizen.
Thor erreichte das rechte Bein des Drachen und holte aus. Er musste Ragnar helfen, denn sonst war er verloren. Mit aller Macht ließ er seine Faust auf den Fuß des Monsters niedergehen.
Es war, als hätte er gegen die Mauern von Asgard geschlagen. Ein zuckender Schmerz jagte durch seinen Körper und betäubte ihn für einen Augenblick. Aber der Schlag zeigte die gewünschte Wirkung. Der Drache heulte wütend auf und schlug mit dem Schwanz um sich. Dieser traf den Asen und schleuderte ihn mehrere Meter davon.
Thor hob stöhnend den Kopf, als er plötzlich von hinten gepackt wurde.
"Du barbarischer Tölpel!" hörte er Ragnar hinter sich. "Da versucht man, dich zu retten, und was machst du? Wirfst dich diesem Untier noch in die Arme!"
Thor riss den Kopf in den Nacken und sah Ragnar verdutzt an. "Aber wie hast du das gemacht?" fragte er. Ragnar zog ihn jedoch als Antwort auf die Füße und zerrte ihn dorthin, wo sie hergekommen waren: Zur Felsspalte, durch die das Wasser des Brunnen Hwergelmir entfloss.
"Du Dummkopf vergisst, dass ich mich verwandeln kann!" fauchte Ragnar kratzbürstig. "Nun komm, wir müssen hier weg! Ich würde dich zwar liebend gerne hier lassen, so dass Nidhögger zur Abwechslung mal eine göttliche Mahlzeit bekommt, aber ich befürchte, Odin wird etwas dagegen haben. Außerdem hättest du dich mit deinem Selbstopfer eher zum Heiligen gemacht, und das kann ich nun wirklich nicht durchgehen lassen. Komm jetzt!"
Hinter ihnen ertönte bereits wieder wutentbranntes Gebrüll, und der Windstoß verriet, dass der Drache sich in die Luft erhoben hatte.
Sie rannten verbissen auf den Ausgang zu, nicht hinter sich schauend, um nicht von der Verzweiflung gepackt zu werden, und überwanden die letzten Meter in einem verzweifelten, gewagten Sprung.
Sie stürzten in das eisig kalte Wasser der Höhle. Als sie auftauchten, ertönte ein gewaltiges Donnern und Krachen; der Drache war gegen die Höhlenwand geprallt. Das wütende Gebrüll drang ihnen noch lange nach, während sie dem Wasserlauf folgten, der sie fort von der finsteren Höhle führte, jener Höhle, in der der Wurzelnager hauste und die als die schlimmste Station der Unterwelt galt.
Ragnars Lungen füllten sich mit dem eiskalten Wasser des Flusses. Sein Plan war, bis auf den Schluss, perfekt gewesen. Er ritt Thor in den Schlamassel und haute ihn wenn es schwierig wurde wieder raus. Und wenn sie schließlich den Hammer hatten, würde er Thor irgendwo sterbend zurücklassen und lachend davon gehen, Mjölnir immer wieder mit einer Hand in die Luftwerfend und -wiederauffangend. Natürlich hatte Ragnar Thor vorher noch ein paar Mal gerettet, damit er auch vollstes Vertrauen in den Gott des Feuers hatte. Allein dieses von ihm erdachte Szenario hielt ihn noch bei diesen Klumpen primitivem Fleisch. Allerdings musste er sich jetzt erst einmal mit der Wirklichkeit abgeben, in der leider nicht alles so eingetroffen war, wie geplant. Sie waren in diesen dämlichen Fluss gefallen, der sie direkt nach Hel brachte. Einem Ort, von dem noch niemand, weder Gott, noch Mensch, je zurückgekehrt war. So sagte man zumindest. Schreiend wurden die beiden aus der Spalte gespien und landeten wieder im Fluss. Prustend und Wasserspuckend durchbrachen die Götter die Wasseroberfläche. Mit letzter Kraft konnten sie sich an einigen Zweigen festhalten. Wieder aus dem Fluss zu kommen, war da schwieriger. Es bedurfte schon die Kraft eines Thors, damit Ragnar wieder aus dem Nass kam. So standen beide durchnässt in der Kälte der Unterwelt. Sie war eine graue Ödnis, wo abgesehen von ein paar verkrüppelten Bäumen und Büschen nichts war. „Sind wir in der Unterwelt?“, fragte Thor. „J-ja. W-w-wieso?“, bibberte Ragnar. „Hab ich mir ganz anders vorgestellt“, meinte der Donnergott. Ragnar konzentrierte sich auf das Feuer in seinem inneren. Schon bald fing seine Kleidung zu dampfen an. Es hatte Vorteile der Feuergott zu sein. „Ach das“, Ragnars Atem bildete kleine Wölkchen. „Ich hab Hel vor einiger Zeit beim Umdekorieren geholfen. Ich sagte ihr: Hel, sagte ich, dieses ganze Eiszeugs ist doch heute nicht mehr aktuell. Wie wär es mit einer grau, düsteren Ödnis, darauf stehen die Menschen heute vielmehr. Ich meine, wenn die Leute noch am Leben sind, verbringen sie ihr Dasein schon in Eis und Schnee, brauchen sie sowas auch noch im Tode? Tja. Und darauf haben wir diese Ödnis hier geschaffen. Das war vielleicht ´ne Arbeit. Wie du siehst haben wir mehr, als nur ein paar Möbel verrückt.“ Thor schnaubte verächtlich. Sein Odem bildete weiße Wölkchen, was an einem dampfenden Teekessel erinnerte. „Aber es ist nicht gerade wärmer geworden“, meinte er verdrießlich. „Ja, aus irgendeinem unempfindlichen Grund, wollte sie es unbedingt kalt haben. Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen. Hat sie bestimmt von ihrer Mutter geerbt. He?!“, Ragnar stupste Thor gespielt kameradschaftlich mit dem Ellenbogen an. Ich muss mit ihm nur noch einige Zeit auskommen und dann auf nimmer wiedersehen, du Vielfraß, dachte er. „Wir sollten machen, dass wir weiterkommen. Wir vergeuden nur wertvolle Zeit. Wo ist der Ausgang?“, fragte der Donnergott und stapfte dann los. Ragnar stellte sich ihm mit weitausgebreiteten Armen in den Weg. „Hey, hey, hey. Nicht so stürmisch. Wir müssen Hel darum bitten, dass sie uns hier raus lässt, ansonsten sitzen wir hier fest.“ „Also gehen wir zu ihr“, Thor stapfte an den Feuergott vorbei. Ragnar stellte sich ihm wieder lächelnd in den Weg. „Was soll das jetzt schon wieder?“, Thor hob musternd eine seiner dichten Augenbrauen. „Wieso sollten wir nicht zu Hel gehen?“ Wieso eigentlich nicht? Aber da war noch eine alte Geschichte, weswegen Ragnar sich von ihr fernhielt. Er wusste aber schon lange nicht mehr, worum es bei der Sache gegangen war. Es war irgendetwas Wichtiges gewesen. Auch egal. Ragnar musste sich schnell was einfallen lassen, sonst würde dieser Idiot noch etwas Unvorhergesehenes anrichten. Ein Gasthaus fiel ihm ins Auge, welches Scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht war. „Thor sieh! Dort hinter dir!“ Der Donnergott starrte ihn lustlos an. „Das ist der älteste Trick der Welt. Der Streich funktioniert nicht“, meinte er bloß. „Nein, wirklich. Da hinter dir! Sieh es dir doch nur mal an!“, dabei sprang der Jüngling aufgeregt auf und ab. Sein Finger zeigte genau auf das Gasthaus hinter dem Donnergott. Schließlich wurde es Ragnar zu blöd, also drehte er den Barbaren einfach um. „Siehst du! Ich wette, du hast schon einen ziemlich großen Hunger. Ich meine, nach dem Abendteuer mit dem Drachen, könnten wir eine kleine Zwischenmahlzeit einschieben, findest du nicht?“ Grummelnd ging Thor auf das Gasthaus zu. Als er mit dem Rücken zum Feuergott stand, rieb sich dieser verschlagen mit einem dreckigen Grinsen die Hände.
In der Gasstätte war es nicht gerade schön. Ein paar Untote versuchten sich als Bedienstete. Sie schlürften umher und gaben einigen Leuten Getränke. Unter den Gästen waren auch einige Prominente dabei. Da war zum Beispiel Regin, der angeblich von Sigurd getötet worden war. In Wahrheit hatte sich der Idiot aber einen Helm mit ziemlich kleinem Visier für den Kampf ausgesucht. Dann war er schreiend mit geschlossenem Visier auf Sigurd zugerannt, welcher ihm Auswich und ihn geradewegs gegen eine massive Felswand rennen ließ, wo er sich den Schädel einschlug. Dumm gelaufen. Seltsamerweise war das aber ganz anders in die Geschichtsbücher eingegangen. Wahrscheinlich wegen dem Spannungsbogen oder ähnlichem. Aber der Helm war auch zu schön gewesen. Irgendwann später war er in Ragnars Besitz gekommen, wo er ihn eingetauscht hatte gegen Frauen mit besonderen … Dienstleistungen. Er hatte nie was davon gehalten, in Asgard zu leben. Lieber streifte er durch die Länder, suchte Schätze, tötete Drachen und ähnliches, rettete Jungfrauen, machte aus ihnen nicht-mehr-Jungfrauen, bestielte irgendwelche Leute die er nicht kannte, Leute die er kannte und vieles mehr. Er war kein Krieger, er sah sich mehr als eine Art Abenteurer. Aber jetzt saß er hier in der Unterwelt fest und als hätte das nicht genügt, musste er die Ewigkeit auch noch mit Thor verbringen. Doch was sollte er jetzt tun? Er brauchte Zeit, um nachzudenken. Und bei einem Mahl mit dem gefräßigsten aller Asen von Asgard hatte er mehr als genügend Zeit. „Einmal Met, bitte“, sagte Thor mit erhobenen Finger. Stöhnend brachte die Kellnerin einen vollen Krug mit Met. Thor guckte hinein. Angewidert fischte er aus dem Met ein Auge heraus und hielt es angewidert der Kellnerin hin. Die schielte mit ihrem verbliebenen Auge darauf und lächelte dämlich. „Entschuldigung, warum ist ein Auge in meinem Met?“ „Ich glaube die korrekte Frage lautet, wie kommt Met in das Auge?“, versuchte Ragnar einen Scherz, der ihm nicht recht gelang. Zornig funkelt Thor ihn an. „Hör auf mit deinen Witzen! Du hast uns schließlich in diesen Schlamassel gebracht. Ohne dich wären wir nicht hier!“ „Ach ja?!“, fuhr Ragnar den Donnergott an. „Wer ist denn in den Fluss gefallen und hat mich am Bein gepackt, damit ich ebenso hier festsitze?“ „Das hab ich überhaupt nicht getan!“ Das stimmte, aber Ragnar brauchte gerade eine Ausrede. Und wäre Thor nicht so dämlich gewesen und hätte sich seinen Hammer von Ragnar abluchsen lassen, hätte der wiederrum diese fette Lüge nicht auftischen müssen. „Stimmt doch!“, schrie Ragnar ihn an. Wütend standen die beiden auf und gingen sich gegenseitig an die Gurgel. Ragnar zog Thor am Bart und biss ihm in die fleischige Hand, während Thor den Jüngling an der Kehle packte und ihm die andere Faust in den Magen rammen wollte. Plötzlich wurde die Tür der Gaststätte von einem eisigen Luftstoß aufgerissen. Herein kam eine wutentbrannte Frau. Sie war wunderschön. Schwarz wallendes Haar. Die Beine der Schönheit schienen auch kein Ende zu nehmen. Zornig blitzten ihre Augen auf, als sie die beiden Streithähne sah. Sie trug einen schwarzen Mantel, welcher unheildrohend wallte. Ihre rechte Hand bestand nur noch aus Knochen, mit welcher sie auf die beiden zeigte. „Du!“, zischte sie wütend. Die beiden Streithähne erstarrten in ihrer Bewegung. „Du! Jetzt bezahlst du für deine Taten!“ „Was meint sie?“, fragte Thor. Ragnar war rasch hinter Thor verschwunden. „Keine Ahnung“, sagte er hecktisch. „Aber du bist von uns beiden der Stärkere. Also los Thor! Fass!“, grob schupste er den Gott in Richtung der Frau. Der schaute sie nur verdutzt und leicht ängstlich an. Aber sie ließ ihn links liegen und ging auf den Feuergott zu, der nach hinten stolperte und immer weiter vor ihr zurückwich. „Hel. Liebling. Schätzchen. Es ist nicht das, wonach es aussieht“, versuchte er sich in Ausflüchte zu retten. Ihm war wieder eingefallen, weswegen er seine Tochter mied. „Du hast mir meinen Freund ausgespannt!“, kreischte sie. Thor schaute verdutzt auf Ragnar. „Ähm, das war ich nicht. Das war deine Tante Laki. Ich hatte mit der Sache überhaupt nichts zu tun.“, er wedelte dabei abwehrend mit den Händen. „Vater, jeder Narr wusste, dass du das warst.“ Nicht jeder, dachte Ragnar, der Trottel hat mich weder erkannt, noch ist ihm die namentliche Ähnlichkeit aufgefallen. Er verehrte den Boden auf den ich lief sogar noch, als meine Tarnung aufgeflogen war. Ein hoffnungsloser Fall, dem ich nie im Leben meine Tochter gegeben hätte. „Ähm. Ich wollte nur das Beste für dich. Der Typ hatte dich gar nicht verdient. Und außerdem er, … er … er hatte eine Affäre mit Zwillingen. Ich habe ihn zusammen mit hübschen Zwillingen gesehen. In … in irgendeiner Taverne.“ „Und das soll ich dir glauben?!“ Nein, dachte Ragnar, das würde ich mir nicht einmal selber abkaufen. Also blieb den beiden Göttern nichts anderes übrig, als sich der Gnade von Hel auszuliefern. Sie wurden in Ketten gelegt und von untoten Wikingern begleitet.
H
Tausende von E-Books und Hörbücher
Ihre Zahl wächst ständig und Sie haben eine Fixpreisgarantie.
Sie haben über uns geschrieben: