Zeit der Pflaumen - Patrice Nganang - E-Book

Zeit der Pflaumen E-Book

Patrice Nganang

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Beschreibung

Wieder einmal erzählt Patrice Nganang die Geschichte seiner Heimat Kamerun mit literarischen Mitteln neu. Zeit der Pflaumen setzt im August 1940 ein, als für Kamerun der Zweite Weltkrieg beginnt und erzählt, wie sein Beben das Land im Zentrum Afrikas erschüttert und das Leben der Menschen tiefgreifend verändert. An verschiedenen Schauplätzen verfolgt der Roman das turbulente Schicksal der Bewohner des Dorfes Edea im Süden Kameruns. Da ist zum einen die abenteuerlich-absurde Geschichte von vier jungen Männern, die sich als Soldaten von der französischen Armee anwerben lassen und im Wüstenkrieg gegen Italiener und Deutsche als Kanonenfutter verheizt werden. Zum anderen das wechselhafte Schicksal dreier Freunde, ihrer Frauen und Familien, deren Alltag heimgesucht wird von Gewalt und Verlust und in dem doch auch fortlebt, was immer war: Lebenslust, Erotik, Freundschaft und das Weiterspinnen der eigenen Träume. Wie die Menschen von Edea hineingeraten in die Ereignisse des Krieges und wie sie im Verborgenen ihre Ideen von Protest, Hoffnung und Unabhängigkeit vorantreiben, erzählt Patrice Nganang mit grimmigem Humor und in einer burlesken und bilderreichen Sprache, die in ihrer Meisterschaft dem großen literarischen Vorbild Ahmadou Kourouma ebenbürtig ist.

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PATRICE NGANANG

Zeit der Pflaumen

ROMAN

Aus dem Französischen übersetzt vonGudrun und Otto Honke

Peter Hammer Verlag

Diese Geschichte von Männern und Frauen, einer Handvoll roter Heimaterde gleich, ist meiner Mutter gewidmet, Kemi Rebecca.

Ich stelle klar: In der ganzen Welt bin ich zu Hause, Kamerun ist mein Thema und Jaunde mein Definitionsbereich.

Wenn es viele Gesetze gibt, können die Menschen nicht folgsam sein.

Sultan Ibrahim Njoya,Saan’gam, 1921

Diese Geschichte beginnt nicht 1939

In Jaunde legt die Pflaumenzeit das Herz des Landes frei. Dacryodes edulis, die afrikanische Pflaume, malt rote Tupfer in das Laub des Safubaums. Dann steigt sie in kleinen Haufen zu fünft oder zu zehnt in die Straßen hinab, füllt Säcke auf den Lebensmittelmärkten, verteilt sich auf die Grillstände an den Kreuzungen, lässt sich behutsam neben Kochbananen oder auf Holzkohle geröstetem Mais nieder, deren ideale Beilage sie ist. In Zementpapier gewickelt oder in ein Stück Zeitung, werden jeweils drei zu einhundert Francs verkauft, ein Preis, den niemand infrage stellen könnte, ohne ausgeschimpft zu werden. Am Ende des Tages wird sie manchmal auf die Straße geworfen, einfach so, in Bergen von Abfall, den Fliegen überlassen. Auch platzt sie unter den Autoreifen auf oder heftet sich an rutschige Schuhsohlen. Weil ihre Lebensdauer recht kurz bemessen ist und sie im sanften Sonnenlicht reif wird, verkaufen die Bayamsallam sie am Abend zu Schleuderpreisen, sehen vormittags ihren Preis aber ungern fallen, wenn sie auf der Auslage der Grillfrauen nicht ihren Platz gefunden hat. Denn sie kommt zu ihnen, wie sie in die Stadt kommt: lawinenartig.

Während der Erntezeit ist sie also überall, die Pflaume. Selbst Ongola, das Zentrum Jaundes, überzieht sich mit ihrem würzigen Geruch. Verspeist wird sie hauptsächlich des Abends. Sicher, sie ist nicht die Mango, denn, oh, sie hat nicht den Geschmack, den die Gewitterlaune in der kleinen Regenzeit der Stadt spendiert, die den Überfluss an Früchten bereitwillig annimmt. Die Pflaume treibt Handel mit den Menschen, mit den Stadtteilen. Sie verströmt ihr rotes Leuchten im Schatten der Bäume, bevor sie es unter dem Einfluss der Sonne sanft in ein Blau-Schwarz verwandelt. Man muss nur den Safubaum schütteln, ein bisschen nur, dass sie ringsumher abfällt. Es ist das Fest der Kinder, die sie in einen Sack stecken und in einer Handvoll Asche rösten, und das ist alles. Sie benötigt nur ein klein wenig Hitze, damit sich ihre Haut in Öl hüllt und ihr zart gewordenes üppiges Fleisch den einzigartigen Geschmack bekommt, der sie zum Lieblingsdessert der Straße, ja der Stadt macht. Man isst sie unterwegs, die Pflaume, schnell, denn auf der Auslage der Bars öffnet sich ihr der Magen der Stadt. Wenn die Saison vorbei ist, bleibt ihre Farbe einem jeden im Gedächtnis, blutig zuerst und dann schwarz, ebenso die Süße ihres Fleisches. Niemand kann ihrem köstlichen Geschmack entkommen.

Beim Schreiben dieser Geschichte denke ich an die Männer, die sich an den Straßenkreuzungen eine Pflaume in den Mund stopfen und den Kern im hohen Bogen auf den Gehsteig spucken, und ich weiß, dass darin alles liegt: der Festschmaus der Sinne zum kleinsten Preis; die Unbekümmertheit einer Stadt, die ihre Pflaumen in Zementpapier isst, als würde sie sich im Magen die Häuser bauen, die sie ihren Straßen verweigert; die Heftigkeit einer Geste, so unnütz letzten Endes, nur um sie in Zeitungsfetzen einzuwickeln, die sich der Welt öffnen, Vorspiele für all die Geschichten, die man mit Füßen tritt; die Fahrlässigkeit jener, die den Safubaum oder das Leben wie eine banale Tatsache hinnehmen; doch, ja, doch auch das Moment der zarten Schwärze der Pflaume, die jedem ihre Köstlichkeit zu geringem Preis anbietet. Ich denke an Makénéné, an Tonga, an Edea, lauter Pflaumenstädte auf dem nicht enden wollenden Weg – vor allem aber denke ich an Jaunde. Warum, sagt mir, warum denke ich, wenn die Zeit der Pflaumen beginnt, an diese Vergeudung in der Hauptstadt – die sich wirklich nicht darum schert, ob es Pflaumen gibt oder nicht, sie aber so vergöttert. Ach, diese so kurze Saison erinnert mich immer an die Zeit, in der unser Land, wenn nicht den Ausgangspunkt seiner eigenen Gewalttätigkeit, so doch jene der Welt entdeckt hatte, und um dem zu entsprechen, seine Söhne, die man tirailleurs sénégalais, Senegalschützen, nannte, auf die Wüstenstraßen geworfen hatte, so wie die Straßenverkäuferinnen abends die Pflaumen wegwerfen, die sie nicht dem Grill haben überantworten können. Für uns Kameruner ist nicht 1939 der Beginn des Zweiten Weltkriegs, sondern das Datum, das vorn an der Hauptpost geschrieben steht. Dieser Roman gehört uns ebenso wie unserer Stadt, vor allem ist er der Roman von Pouka, dem Poeten. Im Vergleich zur Welt beginnt er also mit Verspätung. Freilich hat die Heimatfront ihren eigenen Kalender und damit ihre eigenen Geschichten.

DER PUTSCH VON ONGOLA, 1940

1Juniferien auf dem Dorf

»Um es kurz zu machen«, fasste M’bangue zusammen, und er verschränkte seine Hände auf den Knien, »so und nicht anders hat sich Hitler umgebracht.«

Er beschrieb den toten Diktator, sein blaues Sakko, seine schwarze Krawatte, die verschlossene Toilette, deren Tür man hatte eintreten müssen, um ihn herauszutragen. Alle schauten ihn an, mit offenem Mund, besonders Pouka. Er erkannte seinen Vater nicht wieder, der nun mit den Händen bizarre Zeichen, weite Bögen malte. Das Gesicht des Sehers blieb einen Augenblick lang erleuchtet, bald aber verschwanden seine Augen in den Fraktalen, die seine Finger auf den Boden gezeichnet hatten, im geomantischen Mysterium der Zeichen, in den Konturen seiner Stimme. Niemand hatte seine Behauptung in Zweifel gezogen, denn wer hätte seinem Traum widersprechen mögen? Im Grunde genommen war das Gesagte bisher nur Monolog, Geflüster, Gemurmel: Auswurf entfernter Töne, die in seiner Magengrube ihre Wörter fanden.

»Auf der Toilette«, fuhr er fort, »ich sage es euch.«

Nein, Pouka erkannte seinen Vater nicht wieder. Für alle, und besonders für ihn, war diese Behauptung unmöglich ernst zu nehmen. Im Übrigen war der Monat Juni ohnehin schon recht merkwürdig. Warum hätte Hitler Selbstmord begehen sollen, nachdem er halb Europa besetzt hatte? Der Alte sagte es nicht, nur war das genau die Frage. Ach, sein Sohn drängte ihn nicht: Er, er wollte sich erholen. Dieses nebulöse Versprechen barg das Dorf für jeden Städter. Jaunde konnte einen Mann in einen Hund verwandeln, pflegten manche zu sagen. Und das fassten sie als Spott auf. Diesmal hatten sie recht. Das Dorf hingegen, mit den Safubäumen, von denen die Pflaumen herabfielen, mit den Tannen ringsum, den Reihen Flamboyants, den Feldern voller Margeritenbüsche und dem immerwährenden Geruch nach Weihnachten enthielt ein Versprechen von Glück, dem er sich nicht verweigerte.

»Er hat ein wohlschmeckendes Würstchen gegessen«, kam M’bangue zum Schluss, »und dann hat er sich umgebracht …«

Hier prusteten einige los, doch er, Pouka, er lachte nicht.

Kaum zu glauben, dass wir uns schon im Jahre 1940 befanden! Drei Jahre waren vergangen, ohne dass er seine Füße auf den Boden Edeas gesetzt hatte; ja, drei Jahre war er nicht hergekommen. Deshalb vielleicht betrachtete er die Gesten des Alten mit noch größerem Erstaunen als die anderen; deshalb zuckte er bei seiner Wahrsagung zusammen. Wissen muss man, dass er nicht mehr der Heranwachsende war, den man damals von seinem Cousin, dem Boxer, an dessen Fersen er sich geheftet hatte, getrennt und dann der Missionsschule anvertraut hatte. Er war nicht nur zwischenzeitlich katholisch geworden; er war zum Schreiber aufgestiegen, zum Schreiber-Übersetzer! Und das wollte viel heißen. Wenn nämlich das Zurechtlegen von Zeichen auf der Erde, um die Zukunft zu lesen, das Geschäft seines Vaters ausmachte – das Jonglieren mit Worten und das Anlegen von Akten war das seine. Auch er war in der Gestaltung von Zukunft zu Hause, wenigstens glaubte er das.

Oder vielmehr nein: Es war das, was er sich erhoffte. Wie sonst die akribische Sorgfalt erklären, mit der er sich seit seiner Ankunft jeden Morgen kleidete? Er, Pouka, hätte gut darauf verzichten können, seine blank gewienerten Schuhe zu tragen, seine Trevirahose, sein zeitloses Oberhemd, seine bunte Ballonmütze und was sonst nicht noch alles? Doch dann wäre er wieder zu dem Jungen geworden, der einst seine Vergangenheit abgestreift hatte, mit nackten Füßen. Ein Knabe. Ein Eingeborener. Seitdem hatte er sich ein Ziel gesetzt, vielleicht noch ein wenig zittrig. Von dorther war er zurückgekommen. Unterwegs hatte er sich einen Grund ausgedacht: Seinem Vater hatte er gesagt, er wolle eine Frau nehmen. Das war sicher ein Ablenkungsmanöver, eine Möglichkeit, den Zusammenstoß zu vermeiden, den er kommen sah.

»Ich habe dich nicht zu den Weißen geschickt, damit aus dir ein …«

Wer war er geworden? Was? Geduld, geneigter Leser, denn diesen Auftritt hatte er sich immer wieder vorgestellt. Niemals hatte er es fertiggebracht zu sagen, was er inzwischen geworden war. Doch man konnte es sehen. Ein hochgewachsener Mann, dessen Kopf alle überragte, ein Kopf, auf dem, ob es regnete oder die Sonne brannte – Edea würde sich an den Anblick gewöhnen müssen –, eine Ballonmütze saß, die mit dem Kopf verwachsen schien. Das, was er sah, war Respekt, den er auf den Gesichtern der Dorfbewohner ablas. Neid auch. Manchmal Eifersucht. Oder Neugier. Was war er geworden? Und überhaupt, warum nahm er nie seine Mütze ab, wenn er die Leute grüßte? Bumste er auch, ohne sie vom Kopf zu nehmen? Was Mädchen angeht, nein, nicht nötig, von Mädchen zu sprechen. Trotzdem erzählte man sich allerlei Dinge, unanständige Dinge. Dinge, die seinen Alten beunruhigten, das wusste er.

»Wann wirst du dich verheiraten?«

Pouka hatte noch keine passende Antwort gefunden auf die Frage, die er damals, als er fortging, im inquisitorischen Blick seines Vaters gelesen hatte. Er war der älteste Sohn, der älteste von gut fünfzig Nachkommen, von denen viele schon selbst eine Kinderschar hatten, die sie dem Vater zeigen konnten. Ohne seine Freunde zu erwähnen – hier eine Anmerkung: Fritz. Wir kommen darauf zurück, denn dieser Name sagt alles. Im Augenblick betrachtete Pouka seinen Vater, dessen Augen sich von den fernen Erleuchtungen abwandten, und der Gedanke ging ihm durch den Kopf, dass der Krieg hier in dem friedlichen Wald eine ziemlich üble Abwechslung darstellte.

»Hitler …«, setzte M’bangue wieder an.

Diesmal jedoch beendete er seinen Satz nicht.

2Der Zusammenbruch

Für Pouka war die Rückkehr ins Dorf unverhofft gekommen, jedoch notwendig gewesen. Nach dem 14. Juni hatte ein Wind plötzlicher Entbehrlichkeit durch die Amtsstuben der Hauptstadt geweht. Die Veränderung war nur eine Woche nach den Schulferien und den bei ihrem Beginn ausschwärmenden Kindern erfolgt. Das ganze Land schien, als hätte man es in die Ferien geschickt. Und dennoch! Ongola, das Stadtzentrum, war von einem eigentümlichen Fieber ergriffen worden; das unendliche Verharren eines Augenblicks, die Verwandlung eines Punkts in eine Zickzacklinie. Nicht, dass kein Papierkram mehr abzuheften gewesen wäre oder dass kein Rundschreiben mehr hätte in Umlauf gegeben werden müssen. Seit Kriegsbeginn verbrachten die Leute in den Behörden ihre Tage mit dem Ohr am Rundfunk und den Rest der Zeit mit dem Austausch zweifelhafter Nachrichten aus Paris – aus Frankreich. Neu war an jenem Tag der dramatische Ausdruck in ihren Gesichtern.

»Ich habe es immer gesagt«, erhob sich eine Stimme, »Le­brun ist ein Trottel.«

Wenn die Niederlage verschiedene Konturen annehmen kann, so ist die Ohnmacht von immer gleichem Zuschnitt.

»Ein Verräter, willst du sagen!«

Überflüssige Worte, entbehrliche Münder, schmächtige Hän­de, die unaufhörlich gestikulierten, gefangen in einer schnat­­tern­­den Verschwörung zahnloser Männer.

»Die Roten haben Paris eingenommen.«

»Die Kommunisten?«

»Hitler, willst du sagen.«

»Das ist der Gipfel!«

»Wie wahr!«

»Lieber Freund, lieber die Braunen als die Roten.«

Die Augen des Mannes, der gesprochen hatte, schweiften umher, sein Blick fiel plötzlich auf Pouka, seinen einheimischen Assistenten, den er mit einer brüsken Geste verscheuchte.

»Die Regierung ist auf der Flucht«, sagte jemand zum wiederholten Mal.

Der Mensch ist nur dann wirklich gefallen, wenn er schon zerschmettert am Boden liegt; andernfalls gibt es Hoffnung auf ein Aufstehen. Und dennoch: »Auf der Flucht?«

Es gab sehr wenige glaubhafte Nachrichten. Das Gerücht entzündete die Geister, die gewöhnlich nach Neuigkeiten aus der Metropole hungerten, und die Hoffnung befeuerte die Fantasie.

»Ins Exil«, sprach man hier.

»In Gefangenschaft«, berichtigte man dort.

»In Bordeaux«, wurde gesagt, »aber nicht geschlagen.«

»Aber nicht geschlagen.«

»Niemals geschlagen!«

Die Hoffnung ist die Droge der Gemarterten.

»In Afrika!«, verkündete am nächsten Tag der Gefängnisdirektor. »Mein Bruder sagt mir, dass die Regierung sich ab sofort in Afrika befindet.«

»In Afrika?«

Alle Kolonisten schauten sich verblüfft an.

»Wo in Afrika?«

Tage des Zweifels; Tage des Argwohns. Die Stimmung war wahrlich unerträglich geworden. Der Jähzorn seines Vorgesetzten hatte Poukas Urlaub dringend notwendig gemacht. Sein Gesuch war übrigens auf keinerlei Bedenken gestoßen. Die Amtsstuben waren leer, die Entscheidungen hinkten den Ereignissen hinterher. Der Krieg hatte der Stadt seinen Rhythmus der dehnbaren Nichtigkeit aufgedrückt. Irgendwann hatte Pouka darum gebeten, dass ihm ein Monat gewährt würde, denn was bedeutete das schon – Zukunft? Ungewisse Tage. Welche Entschuldigung hatte er gefunden? Nein, er hatte nicht gesagt, dass er sich eine Frau suchen wollte, denn was für eine lächerliche Idee, nicht wahr, in diesen Zeiten eine Frau zu nehmen?

Was für Augenblicke!

Die Wahrheit wäre, wenn nicht für lächerlich, dann jedenfalls für dumm gehalten worden und hätte ihm die Ablehnung seines Gesuchs eingebracht. Stellt euch vor, er hätte einfach gesagt, was er zu tun gedachte: »Ich will in meinem Dorf einen kleinen Literaturkreis gründen.«

Zunächst, wer hätte ihm geglaubt? Denn er, Verfasser zahlreicher Manuskripte, für die er keinen Verleger gefunden hatte – »noch nicht, noch nicht«, sagte er zu seinen Freunden –, er, der meistausgezeichnete Poet seiner Generation, dessen Texte in der Kameruner Gazette und im Kameruner Weckruf erschienen waren, er war es leid, dass niemand in seinem Dorf ihn kannte, dass sein Cousin Hebga, der Boxer, allein durch die Kraft seiner Muskeln, der Schwarm der Gegend geworden war, wo er, Pouka, doch Ehrungen überseeischer Akademien und Orden für poetische Verdienste in der Kolonie erhalten hatte. Das war zwar nicht der Prix Goncourt, aber immerhin. Letztendlich hatte er begriffen, dass es den französischen Institutionen, die ihm Preise verliehen, völlig egal war, ob seine Landsleute jemals eines seiner Bücher sehen, ob die Einheimischen jemals erfahren würden, was ein Rondo war, und er hatte beschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Die Revolte? Nein, nicht mit ihm, der sich für einen französischen Untertan hielt. Das Bedürfnis nach Anerkennung gebiert manchmal Verrücktheiten, und die Revolte war eine Verrücktheit, die ihn bestürzte, wenn er daran dachte. In Wirklichkeit verachtete er seine Brüder, ja, das tat er. Trotzdem, der Gedanke, dass sie seine Werke nicht lesen konnten, erzürnte ihn. Kurz, in Wahrheit wollte er in seinem Dorf den Leser seiner Gedichte heranbilden, und er hätte euch gesagt, dass er sich darin nicht von Hugo, von Mallarmé und noch weniger von Gautier unterschied, dem er sich näher fühlte. Den Zweck seiner Reise konnte er seinem Vorgesetzten natürlich nicht anvertrauen. Doch war er zu ehrlich, um einen Trauerfall in seiner Familie vorzutäuschen, die glaubwürdigste Entschuldigung. Außerdem wusste man nie, welche Katastrophe man anrichten könnte, wenn man erzählte, der Vater wäre tot, oder wenn man seinen Großvater, der seit einigen Jahren unter der Erde lag, noch einmal sterben ließ.

Im Bus, der ihn nach Edea brachte, dachte er über einen Grund nach, der seinem Vater seine plötzliche Ankunft erklären würde – oder vielmehr seine dreijährige Abwesenheit. Er wäre nicht der Erste gewesen, der sich eine Geschichte ausdachte, der gute Pouka: Gerade in solchen Zeiten hatte die Welt mehr als alles andere Angst vor der Wahrheit. Denn wer gab schon zu, dass das, was geschah – wie die Zeit auf einer Schweizer Uhr verging, der Wind über die neuen Blechdächer strich, ein Säugling in einem verschlossenen Zimmer wimmerte –, wirklich geschehen war? Auch unser Held, dieser eher hochmütige, aber schüchterne, häufig zaudernde junge Mann, der dem Duft der Frauen einen Tempel errichtet hatte, entdeckte plötzlich, was es hieß, allein zu sein – dass man in einem überfüllten Bus die stumme Illusion eines jeden Mitfahrenden teilte. Die Ferien! Das Dorf!

In dem Augenblick, als sein Vater ihn im Hof des Familienanwesens umarmte, verstummte das Geschrei, das ihm vom Busbahnhof aus gefolgt war. Eine Verkäuferin gegrillter Kochbananen, die ihn wiedererkannt hatte, hatte den Hügeln der Bassa seine Ankunft verkündet. Sie hatte ihn übrigens begleitet und mit ihr die kleinen Jungen, die die Missionsschule für vier Monate auf den Spielplatz geschickt hatte.

3Die vier Augen des Alten

In Edea drehte sich die Welt in ihrem Rhythmus, der in diesem Moment den ehrwürdigen Gesten des Alten folgte. M’bangue besaß eine Macht, die ihm alles vor die Füße warf, was sich in der Gegend irgendeiner Autorität erfreute – außer den Franzosen natürlich, die niemals vergaßen, dass er früher Deutsch gesprochen hatte. Dafür gab es vielleicht andere Gründe, keine unzweideutigen, muss man sagen, denn wer hätte sonst in Zweifel gezogen, dass seine Vorhersagen richtig waren? Einmal war er nachts quer durch den Wald gelaufen, um seinen Bruder zu wecken, und hatte so mit knapper Not verhindert, dass dem das Dach seines eigenen Hauses auf den Kopf fiel. Jene, die seinen Worten keinen Glauben schenkten, hatten dafür teuer bezahlen müssen: zum Beispiel sein Schwager, der Holzfäller, der trotz seiner Warnungen aufgebrochen war, um Bäume zu fällen, und dann mit ansehen musste, wie einer der Bäume, an den er keine Hand angelegt hatte, sich auf merkwürdige Weise drehte und auf ihn fiel. Die unbestrittenste Begabung des Alten und die alltäglichste, nebenbei gesagt, war das Voraussagen von Regen, auf diesem Gebiet war er unschlagbar. M’bangue nannte euch die Stunde, zu der der Sturm kommen, seine Dauer und den Ort, wo er am heftigsten wüten würde, die Zahl seiner Opfer dort und deren Gesichtsausdruck in dem Fall, dass einige sich starrköpfig zeigten und seinen Rat, am Vortag nicht mit ihrer Frau zu schlafen, missachteten.

»Hat er gebumst?«, fragte er bei einem Toten, der vom Blitz erschlagen worden war und den er genau davor gewarnt hatte.

Vor Scham zog die Frau des Toten es vor zu schweigen, oder sie verbarg sich aus Angst vor Vergeltung. Niemand äußerte den Träumen des Alten gegenüber Skepsis, außer bei seinen Vorhersagen in Bezug auf Hitler, die zugegebenermaßen eher ungereimt waren. Das war aber nicht die erste Überspanntheit, die M’bangue sich leistete. Dass sein Sohn, wie einige wenige Jungen aus dem Dorf, es von der katholischen Schule bis in die französische Verwaltung geschafft hatte, ohne jemals sein Einverständnis einzuholen, lieferte, wie es hieß, die Erklärung dafür, dass er so lange nicht nach Hause gekommen war. Ein Traum von kommendem Unglück? Ein Schmollen des Vaters? Was? Von heute aus betrachtet, wäre es einfach, zu schreiben, dass M’bangue vorhergesehen hatte, was aus seinem Sohn werden würde! Schaut jedoch genauer auf die Streitereien zwischen einem ältesten Sohn und seinem Vater! Man sagte, dass man eines Abends oder doch an einem Nachmittag und warum nicht an einem Morgen laute Stimmen im Haus gehört hatte … Weinen der Mutter im Halbschatten eines Zimmers, Verwünschungen, die mitten im Salon ausgestoßen wurden. Aber was wird nicht alles erzählt!

4Gedankenflüge ferner Unterhaltung

Seine Séancen hatten für M’bangue die gleiche Bedeutung wie für seinen Sohn, den rechtzeitig Bekehrten, das Niederschreiben eines Gedichts. Der Alte hatte vor seinen Füßen einen Kreis gezogen. Er hatte eins, zwei, drei abgezählt, die Wahrscheinlichkeiten multipliziert und seine Gleichung neu aufgestellt. Er hatte sich mit beiden Händen das Gesicht getrocknet, als wolle er die Wahrheit seiner eigenen Prophezeiung in sich wachrufen, bevor er seine Vision darlegte und die Worte aussprach, die Pouka so aufgeschreckt hatten, dass er sich erhob und fortging. Eins wusste Pouka: Wenn er die väterliche Behauptung an seine Vorgesetzten weitergegeben hätte, die sich in der Hauptstadt dem Klatsch hingaben, sie wären aus dem Lachen nicht mehr herausgekommen. Sicherlich hätte es unangenehme Folgen gehabt, wenn die Kolonisten gelacht hätten, wenn Jaunde von dröhnendem Gelächter erschüttert worden wäre, besonders jetzt in den Tagen des Zerfalls, aber trotzdem, ja, trotzdem! Viele Visionen seines Vaters hatten sich nicht bewahrheitet, der Sohn konnte das bezeugen. Den Traum von Hitler wird er, Pouka, aber nicht vergessen, und gegenüber seinen Landsleuten, die ihn für einen großen Narren hielten, erinnerte er sich viel später der Worte, die damals in einem Salon in Edea beim Erwachen aus einer Trance, doch mit fester Stimme gesprochen worden waren, und in seinem Herzen dachte er: »Ich habe doch recht gehabt.«

Ob man recht hat, misst sich am Fortschreiten der Geschichte, wie man weiß. Nun gehörte die Geschichte hier aber in das Reich des Unwahrscheinlichen, der Vorspiegelung falscher Tatsachen. Der junge Mann zuckte mit den Schultern wie jemand, der einen Namen vernahm, der zu gewichtig war, um glaubwürdig zu erscheinen, und erhob sich, indem er Luft an seinen Hintern brachte. Kurz danach im Hof seines Cousins, des Boxers, dachte er schon an etwas anderes. Er hatte keine andere Wahl: Die Worte seines Vaters trieben ihn fort.

»Cousin«, rief der Boxer aus, als er die Tür seines Hauses geöffnet hatte, »du bist ja ein Weißer geworden!«

Er drückte Pouka fest an seine Brust, fasste ihn an den Schultern, gleichzeitig betrachtete er sein Gesicht, nahm seine Kleidung unter die Lupe, musterte ihn bis auf die Knochen. Sein Ruf, weithin vernehmbar, rief herbei, was in der Gegend noch nichts von der Ankunft des Städters erfahren hatte, will heißen, einzig seine Freunde.

»Sieh dir das an, Hebga!«

»Das« erwies sich als jemand anders. Pouka war nicht mehr der kleine Junge im Schatten des Boxers, der ihm vor den Kämpfen die Hände bandagierte, ihm die Muskeln massierte, ihm auf den Bauch klopfte und die richtigen Worte wusste, die ihm den Mut gaben, seinen Gegnern das Gesicht zu zerschmettern. Er war nicht mehr der Pouka, der Hebga beim Boxen in Kampfstimmung brachte, doch war er deswegen gleich ein Weißer? Der Schreiber fand das amüsant, so wie er sich über die begehrlichen Blicke amüsierte, die seine Kleider verschlangen, seine Schuhe, und die auf seinen Schultern Paradiese zu sehen meinten, die der Amtsgehilfe, der er eigentlich war, dort niemals vermutet hätte. Das musste in der Bar der Trunkenbolde gefeiert werden, und der frisch Zurückgekehrte hätte das Dorf nicht von dem Bacchanal ausschließen können.

Sein Glück: In Miningas Bar traf er Um Nyobè wieder, Schreiber wie er und wie er ein Sprössling der Missionsschule, der dann in die französische Verwaltung gegangen war, doch der Habitus des ewigen Jünglings und die Einfachheit von dessen Kleidung standen in krassem Gegensatz zu seiner eigenen stolzen Ausstattung. »Um sieht man den Seminaristen an«, sagte Pouka. Um Nyobè war vor ihm im Dorf eingetroffen, wegen eines plötzlichen Todesfalls in seiner Familie – »mein Onkel väterlicherseits« – und der Beerdigungsfeierlichkeiten, die seine Anwesenheit erforderten. Ihm blieben nur noch einige Tage, aber gut, aber gut.

»Du auch nicht«, fiel Pouka über ihn her, »du besuchst mich nie. Man könnte meinen, ich sei ein Verbrecher geworden!«

»Jaunde«, antwortete Um Nyobè, »du weißt ja selbst, wie es ist.«

»Pouka wohnt in Madagaskar, hast du das vergessen?«

Um Nyobè unterdrückte ein Lächeln. Nein, Pouka hatte sich nicht verändert. Die ganze Zeit … und seine Eitelkeit hatte sich um kein Jota verringert. Er sprach immer von sich in der dritten Person. Ach, Pouka! Dennoch, sein Viertel war ganz in der Nähe der Beamtensiedlung von Messa, wo Um Nyobè wohnte, wirklich nur ein bis zwei Kilometer entfernt.

»Und dann, hast du vergessen, dass ich der Ältere bin?«

Obwohl die Dorfbewohner sich wunderten, dass die beiden aus Jaunde sich nur hier in ihrem Dorf sahen, waren sie einer Meinung mit ihm: Es war an Um Nyobè, den ersten Schritt zu tun.

»Oh, ich entschuldige mich«, räumte Letzterer ein und fügte hinzu: »Großer Bruder.«

Pouka fand auch andere Freunde aus seiner Kindheit wieder, wie er es erwartet hatte. Fritz, zum Beispiel, hatte schon Familie. Seine Geschäfte führten ihn meist nach Duala, und er schien aufzählen zu wollen, welche Annehmlichkeiten das Leben bietet, »wenn man nicht für die Weißen arbeitet«, kurz, wenn man »sein eigener Chef« ist, wie er sagte. Hebga, wir müssen es zugeben, ließ ihm aber keine Zeit dazu.

»Ach, meine Brüder«, rief der Boxer in eben dem Moment aus, »erzählt mir von Jaunde!«

Heute würde man eher sagen: »Erzählt mir von Paris!« Mitte Juni 1940 hätte auch Hebga diesen Wunsch äußern können, wäre er nicht, wie alle in der Gegend, von den Volten der Geschichte abgeschnitten gewesen. Genau genommen hätte er fragen müssen, was Frankreich zugestoßen war, warum es so schnell kapituliert hatte, wie die Stadt des Lichts so leicht hatte fallen können, warum sie sich so schnell von den Deutschen hatte besetzen lassen, und dann vor allem, was unter diesen Umständen aus Kamerun werden würde. Ja, würde Kamerun in der Treuhandschaft eines besiegten Landes verbleiben? Die Burschen, die sich in Miningas Bar immer wieder umarmten, Bier tranken und Kochbananen mit Pflaumen aßen, würden bald auf diese Fragen kommen, glaubt mir. Wer den kühlen Blick Um Nyobès sah, ahnte es bereits, selbst wenn Hebgas inquisitorische Gedankensprünge die fröhliche Willkommensfeier bis spät ins Schnarchen der Nacht hinein überlagerten.

5Wie Cousins aus der Sage

Hebga war ein junger Mann in den Zwanzigern. Seine ausgeprägte Brustmuskulatur, auf der sich ein paar Haarbüschel unterscheiden ließen, stellte eine echte Herausforderung dar. Seine geflochtenen Haare, die durch einen Mittelscheitel geteilt wurden, ein Überbleibsel eines deutschen Haarschnitts, gaben ihm eine Eleganz, die das aufgebauschte Tuch unterstrich, das er großzügig zwischen seinen Beinen hindurch geschwungen und um die Hüften verknotet hatte. Für Pouka war er ein Adoptivbruder und war es immer gewesen. Was die beiden vereinte, hatte etwas von der mysteriösen Bindung im ländlichen Afrika, die stärker war als das Blut, das den Schreiber mit den fünfzig anderen Kindern seines Vaters verband, verdankte sich in Wirklichkeit aber der Hartnäckigkeit einer Frau. Denn Pouka war eigentlich von Sita erzogen worden, Hebgas Mutter, der ältesten Schwester seines Vaters, und für die Einwohner von Edea Mutter des Marktes. Sie hatte es nie ertragen können, dass sie nur ein Kind hatte, und den erstgeborenen Sohn ihres Bruders angenommen, als wäre er ihr zweiter. Dies geschah ganz im Sinne des jungen Pouka, der sich über seinen älteren Adoptivbruder freute, da er keinen leiblichen hatte.

Die Verbindung zwischen beiden Jungen war in den Tiefen des Waldes geknüpft worden. Nach dem Tod des Vaters hatte Hebga Holzfäller werden müssen. Damals war er erst sechzehn Jahre alt. Dass ein Irokobaum ihn zur Waise gemacht hatte, hatte ihm, wie es schien, ein unstillbares Verlangen nach Rache eingegeben. Der Wald war von seinen zahllosen Feinden bevölkert. Allein stellte er sich dem Baumstamm gegenüber, dort, wo es normalerweise einer Legion von Männern bedurfte, um einen Stamm zu fällen. Pouka folgte ihm immer in die Wildnis, wobei er auf seinem Kopf Essen und Wasser trug, die Hebga Kraft gaben. Wenn Hebga seinen Kampf mit dem auserwählten Baum begann, rief Pouka ihm Worte der Ermutigung zu und stimmte manchmal Psalmen an, die seine Anstrengung verdoppelten. Ihre Verbindung stützte sich bald auf regelmäßige Gesänge und Seufzer, anfeuernde Worte und Mühen, und war bald so eng, dass man kaum sagen konnte, wer den anderen am meisten benötigte.

Es war daher nur eine Frage der Zeit, dass die Tatkraft und der Schwung dieser Bruderschaft von Schweiß und Wort bekannt wurden. Edea wachte eines Morgens von lauten Stimmen auf, die ankündigten, dass Boxchampions ins Dorf kommen würden. Das war nichts Besonderes, denn mehrmals in der Trockenzeit fuhr die Eisenbahngesellschaft über Land, um ihr Spektakel vorzuführen und Geld einzusammeln. Die Beteiligten waren ebenso Schauspieler wie abgefeimte Sportler, die von einem durchtriebenen Manager trainiert wurden, einem Franzosen obendrein, der begriffen hatte, welchen Vorteil er aus der Inszenierung spektakulärer, doch vorgegaukelter Kämpfe ziehen konnte. Den Dorfbewohnern eröffnete er eine Gelegenheit, aus ihrem tristen Alltag auszubrechen. Zwei Kraftprotze schlugen sich unter dem Beifall der Meute die Köpfe ein, während die Frauen ihren Kindern die Augen zuhielten und die männliche Torheit verfluchten. Die Männer sahen lieber den Boxkämpfen zu als dem Wanderkino, das die katholische Kirche organisierte, denn mit der Zeit brachten Abbé Jeans Filme nur noch die Kinder zum Lachen. Also stieg die Nachfrage nach dem Boxen; die Gesellschaft machte sich die Kampfpausen zunutze und erhöhte die Wetteinsätze.

Eines Tages passierte jedoch Folgendes: Einer in der Menge, ein Knabe, schüttelte sich vor Lachen, als der Ringrichter die Hand des von ihm zum Sieger Erklärten in die Höhe riss. Welches Insekt hatte Pouka gestochen? Er hörte nicht auf mit seinem despektierlichen Gelächter, der Flegel, als der Boxer, der zum Champion von Kamerun erklärt worden war, ihn mit seinen roten, blutunterlaufenen Augen ansah, ganz im Gegenteil! Wie elektrisiert davon, dass er plötzlich die Aufmerksamkeit der Menge auf sich gezogen hatte, rief der Junge, so laut er konnte: »Mein Cousin ist der Champion von Kamerun!«

Die Boxer lachten schallend los. Sie waren aber die Einzigen in dem Nest, die Hebga nicht kannten. Gelegentlich hatten sie auf ihren Tourneen Dörfler angetroffen, bei denen die harte Feldarbeit schillernde Visionen gigantischer Siege heraufbeschwor und die aus Mangel an Bescheidenheit darin nicht den Größenwahn erkannten, der für den Ohnmächtigen charakteristisch ist. Vielleicht sah er eine Gelegenheit, noch mehr Geld zu verdienen, indem er der alltäglichen Routine einen Überraschungskampf hinzufügte – jedenfalls fragte der Manager die Menge: »Wer ist dieser Champion?« Niemand gab sich zu erkennen.

»Wo ist er, dein Cousin?«, fragte er den Jungen.

Pouka zeigte mit dem Finger auf ihn. Die Augen der Zuschauer richteten sich auf die stille Kraft, die wie alle dem Kampf ohne großes Interesse zugeschaut hatte. Von dem, was am Tag danach geschah oder eine Woche später, spricht man in Edea noch immer, jedoch nicht, weil der Sieger vom Vortag dem Schlachtfeld jäh den Rücken kehrte und in den Wald floh, sondern weil sein Agent Sita nicht überzeugen konnte, ihm als Ersatz für jenen ihren Sohn zu überlassen, trotz des Koffers voll Geld, den er vor den Augen der Händlerin geöffnet hatte.

Sita hatte so etwas anscheinend schon gesehen. Als Mutter des Marktes vermietete sie die Stände an die Frauen. Sie war zudem beauftragt, die monatlichen Beiträge einzusammeln, die ihnen als Krankenversicherung dienten. Dass sie es gewohnt war, Geldbeträge zu verwalten, war offenkundig. Doch diesmal war die Rede vom »Koffer voll Geld«, der vor ihren Augen offen dalag, selbst wenn das ein wenig übertrieben war. Der Weiße sprach erstmals in Sitas Haus von der Möglichkeit, ihren Sohn nach Jaunde mitzunehmen. Hebgas Mutter ließ sich davon so wenig beeindrucken, dass er sein Angebot durch den Vorschlag ersetzte, ihn nach Duala mitzunehmen. Als Sita sich noch immer ungerührt zeigte, erhöhte er nochmals den Einsatz, indem er versprach, ihren Sohn nach Paris mitzunehmen. Keine Reaktion. Da kam der Geldkoffer ins Spiel. Auch der brachte die Starrköpfigste aller Bayamsallam der äquatorialen Waldregion nicht zum Nachgeben. Die Versionen von dieser Begebenheit sind so biegsam wie die Bücher, in denen sie erzählt werden, eindeutig hingegen, was die Worte von Hebgas Mutter angeht, die den Bemühungen des Weißen ein Ende setzten. Ihre Antwort ging in die Legenden des Bassalandes ein: »Nur über meine Leiche.«

Der Mann war verblüfft. Sita wiederholte sich.

»Nur über meine Leiche geht mein Sohn nach Paris.«

Unbegreiflicher Eigensinn, denn, unter uns, wer träumte nicht davon, nach Paris zu gehen? Lag etwas Verwerfliches darin, sein Talent zum Geldverdienen einzusetzen? Aber die Frau, die ihren Ehemann begraben hatte, wollte nicht ihren Sohn verlieren, der ihr von zehn Kindern, die sie insgesamt gehabt hatte, als Einziger geblieben war.

Unsere Geschichte ist auch die, die davon erzählt, wie Poukas poetische Begabung ans Licht kam. Nachdem er sich öffentlich eingemischt hatte, musste er seinen Cousin davon überzeugen, dass in ihm ein Faustkämpfer schlummerte, der einen Profiboxer mitten im Kampf in die Flucht schlagen konnte. Er musste Worte finden, um Hebga, der seine Kraft bisher nur an den Brettwurzeln der Bäume gemessen hatte, tief in der Waldesstille, die durch seine Axtschläge unterbrochen wurde, begreiflich zu machen, dass er mit eben der gleichen Anstrengung einen Riesen niederstrecken konnte. Vom ersten Kampf an bekamen Poukas Worte einen gymnastischen Schwung, entschwebten in mythische Sphären. Und der Junge bückte sich, um sie besser in die Ohren seines Cousins zu flüstern, ihm die Seele zu massieren und seinem Stolz zu schmeicheln, bis er Faust und Körper anspannte und Flammen aus seinem Blick schlugen.

Er erfand alle möglichen Adjektive, um seinen Cousin von der ihm eigenen Größe zu überzeugen und ihm zu beweisen, dass sein Gegner nur ein Scheinboxer war: ein »Nichtwesen«, ein »Nichtsnutz«, ein »Sansanboy«. Nur ein Dichter weiß dort Größe zu erschaffen, wo sich der Zweifel niederlässt.

»Sohn der Katze!«, sagte Pouka.

So sprach er von Hebga, und das war nicht alles.

»Löwe der Wildnis!«

»Geboren aus dem Furz guter Geister!«

Bei jedem dieser Zurufe wurden Hebgas Fäuste zu Stahl, und sobald Pouka das Lied vom Champion anstimmte, setzten die Füße des Stegreifboxers zu einem rhythmischen Tanz an, der seinen Gegner für immer aus dem Gleichgewicht brachte. Pouka sang, die Menge klatschte und trampelte, und der Dorfboxer schlug seine Fäuste in die Augen, auf die Nase, an die Schläfe des Gegners.

»Adler, Adler der Wildnis!«

Und Pouka rief: »Die Axt!« Alle stimmten ein, mit zwei Silben: »Die Axt!«

»Die Axt!«

»Die Axt!«

»Die Axt!«

Ein Faustschlag kann die Wucht einer Stadt haben. Hebgas Faustschläge hatten die Wucht eines Waldes. »Die Axt!« Denn in ihm lebte das Bassaland – »Die Axt!« –, durch Poukas Lieder verlieh es ihm Kraft. »Die Axt!« Bald wurden die Rufe des Pöbels langsamer: »Die Axt!« »Die Axt!« »Die Axt!« Hebga hatte seinen Gegner zu Boden gestreckt. Er tänzelte um ihn herum, sprach Beschwörungsformeln, brüllte Flüche, sagte Unanständiges. Der Boxer versuchte sich zu erheben. »Die Axt!« »Die Axt!« »Die Axt!« Diesmal kämpfte er mit vollem Körpereinsatz. Seine Knie, nein, seine Füße, nein, seine Wirbelsäule, sein ganzer Körper streikte plötzlich. Er taumelte, hielt sich aber aufrecht.

»Zerschlag ihm die Nase!«

Die Menge kann unberechenbar werden. In die Totenstille, die der Mann hervorgerufen hatte, der ebenso mit sich selbst wie mit dem Kind aus dem Dorf kämpfte, erhob sich eine Stimme.

»Reiß ihm das Ohr ab!«, sagte Pouka.

Hebga hielt inne, im Moment abgelenkt durch die wahnwitzigen Worte eines Jungen, doch auch, weil sein Gegner merkwürdig ins Wanken geraten war.

»Schlag ihm den Magen zu Brei!«

Und unversehens änderte Pouka den Tonfall. »Töte ihn!«

Dieser Ruf, der aus dem Mund eines Kindes kam, rief Bestürzung hervor. Der Moment des Zweifels. Sein Gegner nutzte die Gelegenheit, um sich zu sammeln, und stürzte, den Kopf voraus, in die Menge, die in Panik vor ihm zurückwich. Der Mann durchschlug sie wie ein Blitz und verschwand im Wald, der sich hinter seiner Schande schloss. Manche liefen los, ihn zu verfolgen, manche Stimmen begleiteten ihn mit amüsierten Kommentaren und schallendem Gelächter, was seine Erniedrigung schlimmer machte. Das Erzählen von seinem Scheitern nahm seinen Fortgang in Miningas Bar, im Gelächter der abendlichen Trinker, die sich alle darüber verbreiteten, wie der Stiesel Fersengeld gegeben hatte. Hebgas Gegner hatte die Schande dem Tod vorgezogen. Was den legendären Ruhm des Boxers angeht, der dort seinen Ursprung hatte, so vermochte er nichts, aber auch gar nichts angesichts der – unerbittlichen, würde ich sagen – Entscheidung Sitas, seiner Mutter. Pouka begann an jenem Tag damit, Lieder zu schreiben, anfangs, um Dämme gegen seine Gewaltbereitschaft zu errichten, die ihn selbst überrascht hatte, und um die Größe seines Helden in Verse zu gießen. Jeder Athlet hat seinen Poeten. Wir befinden uns in den Dreißigerjahren. Das war, bevor das Kind zu dem Mann wurde, den wir kennen, zu dem Mann, der sich für einen Aristokraten hielt.

6Der Kampf mit einem hypothetischen Gegner

Und dann 1940. Was hatte sich in der Zwischenzeit verändert? Pouka sollte es schnell erfahren: Hebga war süchtig nach Wahrscheinlichkeiten geworden, ein Fanatiker der Lotterie, und überprüfte die Zahlen, wenn sie in der Kameruner Gazette veröffentlicht wurden. Sicher, er konnte nicht lesen, doch die Gewinnzahlen wusste er zu entziffern. Hatte er schon einmal den Hauptgewinn abkassiert? Wer ihm ins Gesicht blickte, dem war schnell klar, dass seine Träume die gleichen geblieben waren. Er zog auch noch immer in den Wald. Das fiel Pouka bald auf. Nur, dass er jetzt nicht mehr seine Muskeln trainierte, sondern Bäume fällte. Sein Traum von Paris hatte überlebt, obwohl seine Mutter ihn missbilligte, und der Wunsch, ihn zu verwirklichen, hatte gigantische Ausmaße angenommen, wahnsinnige, würde ich sagen, befeuert durch die Lieder von Josephine Baker und anderen, die Mininga von morgens bis abends in ihrer Bar spielte. Man hätte meinen können, Hebga sei von seinem Gegner aus keinem anderen Grund in den Busch gezerrt und dazu verdammt worden, sich wie ein Kettensträfling Runde um Runde weiterzuschleppen, als dass die Tore des Pariser Paradieses sich für ihn öffneten. Nach seinem ersten Kampf war er seinem Gegner nicht hinterhergelaufen. Heute, im Regen oder unter der sengenden Sonne, erhob er sich morgens, machte sich auf in den Wald und erkundete ihn die Kreuz und die Quer. Er brach mit den ersten Pflanzern auf, die zu ihren Feldern gingen, auch ihn hatte das Krähen des Hahns geweckt. Allerdings war es nicht seine Bestimmung, Jams- und Tarowurzeln aus dem Boden zu ziehen. Unser Mann hatte erfasst, dass sein Sieg über den Boxer mehr eine Überraschung, eine kaufmännische Gefälligkeit gewesen war als das Ergebnis systematischer Vorbereitung.

Er hatte seinem Gegner Kampftaktiken entgegengesetzt, als der Uppercuts erwartete. Er kannte noch keine Boxregeln, wusste aber seinen Körper einzusetzen. Mit der Axt umzugehen, sie gegen den Baumstamm zu schlagen, hatte ihm gezeigt, was sein Organismus zu leisten imstande war. Ihm war klar, dass er schonend mit seinen Kräften umgehen musste, wenn er einen langen Kampf durchstehen wollte. Verweilen wir noch bei dem Kampf, mit dem alles begann. Hier der Grund, warum er seinen Gegner so schnell niedergestreckt hatte. Hebga war sich seines doppelten Vorteils bewusst: zunächst die Menge, die durch Poukas Mund Lobgesänge für ihn anstimmte und die auf seinen Sieg wettete, dann die Erinnerung an den Kampf vom Vortag, bei dem er nur Zuschauer gewesen war: Er hatte die Techniken seines künftigen Gegners beobachtet und sich gemerkt, wie der seinen Körper einsetzte. Im Grunde genommen ist der Körper wie ein Baumstamm, dessen war sich Pouka gewiss: Er steckt die Schläge ein, die er empfängt.

Von seinem Vater hatte Hebga die Übungen gelernt, die der Körperertüchtigung dienen, und auch, wie notwendig es war, die trainierten Muskeln in Form zu halten. Für das, was folgte, hatte er verbindliche Grundlagen gelegt. Hebga erinnerte sich der väterlichen Worte: »Der Feind des Holzfällers ist nicht der Baum, es ist sein eigener Körper.« Und dieser Feind offenbarte sich in Form fürchterlicher Krämpfe, die zu vertreiben ein regelmäßiges Training der Arme, der Füße, der Wirbelsäule, des Nackens, der Hände erforderlich machte. Er musste seine Muskeln permanent in Bewegung halten, sie umschmeicheln, ihnen Spannkraft geben. Er musste jeden seiner Körperteile täglich mit einer Übung beschäftigen, denn einen Baobab zu fällen erforderte die Anstrengung aller Glieder in einer gewaltigen Sinfonie. Ich möchte sagen, ja, dass Hebgas Vater seinen eigenen Körper als ständigen Feind ansah, der Sohn aber den Baum, der eines Morgens auf seinen Vater niederfiel, für den wahren Feind hielt. Das Feindbild zwang ihm seine Übungen auf, aber sein erster Sieg über einen Clown von Boxer setzte Adrenalin frei, und das gleich in einem Maße, wie er es noch nicht erlebt hatte.

Der Holzfäller, der glaubte, er habe in den schweigsamen Bäumen einen Feind entdeckt, erkannte nun, dass nur dann ein echter Kampf stattfindet, wenn der Gegner jeden der Schläge zurückgibt, den man ihm verpasst. Das Fairplay ist das Gesetz eines gerechten Kampfes, doch allein das Training enthüllt die Moral des Muskels. Also begann Hebga, den Kampf gegen hypothetische Gegner zu trainieren. Er stellte sich vor, dass sie erst nur ihre Fäuste einsetzten wie der Boxer, den er auf die Bretter geschickt hatte. Dann stellte er sich vor, aus Heimtücke könnte sein Gegner die Füße einsetzen. Er übte sich im Kampf gegen wen auch immer, der ihn gleichzeitig mit Händen und Füßen herausfordern würde. Seine Waffen vermehrten sich ins Unendliche, denn wenn es möglich war, die Füße einzusetzen, warum dann nicht den Kopf? Ja, warum nicht den Kopf? Bald gewöhnte er sich daran, ein Messer zu gebrauchen, dann ein Fleischmesser. Pouka begleitete Hebga nicht mehr in den Wald, als der zum Messer mit offener Klinge überging, dann zu einem mit gebogener. Und noch weniger, als er zu Angriffsstrategien erst mit einem kleinen und dann mit einem großen Speer überging. Danach verschlang die Missionsschule den Jungen.

Genau genommen hatte Hebga einen Kreis geschlossen, der ihn wieder an den Punkt brachte, den sein Vater ihm gezeigt hatte. Von all den Waffen bevorzugte er die Axt. Er nahm sie behutsam in beide Hände und verlangsamte seine Bewegungen, denn man durfte sich auf keinen Fall die Gelenke verletzen. Er setzte die Füße auseinander und spreizte die Beine zu einem Dreieck. Er hob die Arme, wobei er die Axt mit aller Kraft hielt, er näherte sie dem Himmel, dem schemenhaften Unendlichen. Ein Sonnenstrahl brach durch die Bäume, glitt über die von Tau bedeckten Blätter und prallte von der Schneide seiner Waffe ab. Es war wie die Segnung der Geister, das sternförmige Versprühen lautloser Kräfte. Er senkte seine Arme und schlug zu: wumm! Mehrfach wiederholte er die Übung: wumm! Von Schweiß bedeckt, fröstelte er in der morgendlichen Brise und zog sein Baumwollgewand über. Schwer atmend setzte er sich unter einen Baum, horchte in seinen Körper hinein und spürte jeden Pulsschlag. Er wusste, dass er seine Lungen in ein Stoßgebet verwandelt hatte. Er betrachtete seine Hände, die hart wie Stein geworden waren. Seine Brustmuskulatur, hart wie Holz, hob und senkte sich. Seine Oberarmmuskeln mit den tätowierten Kreisen darauf zitterten. Über ihm war es, als würden die zum Himmel aufragenden Bäume sich verneigen und ihm flüsternd die Ehrbezeugung erweisen, die sein Cousin ihm nicht mehr bekundete, seit die Missionsschule ihn dem Wald entrissen und nach Jaunde entführt hatte. Wie in rhythmischem Rauschen sangen sie die Hymne für den Champion, die Pouka noch nicht komponiert hatte und die er im Übrigen nie schreiben würde.

»Die Axt!«

»Die Axt!«

Das also war der Bursche, der, inmitten seiner Freunde, im Lärm von Trinken und Reden, nun seinen Cousin bat, ihm von Jaunde zu erzählen.

»Erzähl mir von Jaunde«, beschwor Hebga ihn.

Es war mehr als ein Drang, es war zu einer Obsession geworden.

7Der Umschwung

1940 also: An jenem Tag verkündete Um Nyobè den bei Mininga versammelten Freunden, dass der General de Gaulle zum Dissidenten geworden war und einen Aufruf verbreitet hatte, in dem er die französischen Streitkräfte aufforderte, den Kampf fortzusetzen, wo immer sie sich auch befanden. »Kurz, Widerstand zu leisten.« Um Nyobè zeigte da einen der Charakterzüge, die Pouka stets aufs Neue überraschten, und daran würde er sich später erinnern, als er ein langes Gedicht schrieb, das nie veröffentlicht wurde: Für Ruben, Hymne Kameruns, gewidmet seinem Freund aus Kindertagen. Wie hatte Um Nyobè die Neuigkeit erfahren? Eine simple Frage einte jetzt die Freunde.

»De Gaulle?«

Hebga formulierte sie klar und deutlich.

»De Gaulle, wer ist das denn?«

Selbst Um Nyobè konnte nicht mit Bestimmtheit antworten, obwohl er in der Gruppe am meisten von Politik verstand. Im Geist ging er die Mitglieder der Regierung Lebrun in Frankreich durch, wobei er seine kleinen Augen kreisen ließ, und jedes Mal erstand vor ihm das undurchdringliche Gesicht Pétains, das er in Verwaltungsbroschüren gesehen hatte.

»Und wo ist er, dein General …«, fragte ihn Hebga, indem er mit seinen Fingern ins Leere schnippte, während er den Namen suchte »… de Gaulle?«

»In England.«

Niemand brach in Gelächter aus, aber viel hätte nicht gefehlt.

»Um es kurz zu machen«, nahm Fritz den Faden auf. Er drückte sich in seinen Sessel, kreuzte die Füße, wog jedes seiner Worte ab, um ihnen mehr Bedeutung zu verleihen, und stellte seine Flasche hin. »Wenn ich es richtig verstehe, ist er auf der Flucht.«

Er betonte »auf der Flucht« mit einem für alle sichtbaren Kopfnicken. Hebga und Pouka sahen sich an, wachsam. Fritz war noch nicht fertig.

»Auf der Flucht«, wiederholte Hebga.

»Und«, sagte Fritz in die Stille, die seine Worte hervorgerufen hatten, und streckte die Hände in die Höhe, um die Tragweite seiner Worte deutlich zu machen, »er bittet die anderen zu kämpfen.«

Das Schweigen in der Bar wurde durch Miningas Erscheinen unterbrochen, als sie ein paar Bierflaschen brachte und vor die Plauderer stellte.

»Wenn er auf der Flucht ist«, sagte sie in die Runde, »braucht er nur nach Edea zu kommen, wir verstecken ihn im Wald, nicht wahr?«

Ihr fröhliches Gesicht hellte die Mienen der Freunde auf, wobei ihr Vorschlag sie überrumpelte. Daran hatten sie wirklich nicht gedacht, und wie auch? Sicher, sie hätten de Gaulle im Maquis von Edea verstecken können. Miningas Frage war so abwegig, dass sie alle zum Lachen brachte. Und die Frau, die ihrer Unterhaltung einen Gedankenstrich hinzugefügt hatte, blieb einen Moment bei ihnen stehen, die Hände auf den Hüften.

»Wir selbst werden ihn ernähren«, fuhr sie fort, »mit gegrillten Kochbananen und Pflaumen, nicht wahr?« Sie schaute auf die Verkäuferin mit den gerösteten Kochbananen.

Ihr Witz erheiterte sie.

»Na so-o«, sagte die Verkäuferin, »Bohnenkrapfen a day for ya.«

»Andernfalls«, meinte Mininga, »sagt, wie heißt das noch mal?«

Ihre fragenden Augen glitten über das Gesicht eines jeden Zechers. Keiner von ihnen erriet das Wort, das sie suchte. Sie erwartete von ihnen auch keine Antwort und brachte ihren Gedanken ebenso geistreich zu Ende, wie sie ihn eingeführt hatte, aber hinter der Theke, neben dem Barmädchen, das ihr half.

»Unterlassene Hilfeleistung bei Menschen in Gefahr oder Not.«

Schallendes Gelächter.

»Der Krieg ist doch kein Lotteriespiel, was?«

»Es versteht sich von selbst, dass er den Kampf fortsetzen will«, setzte Fritz das Gespräch fort, wobei er seine Freunde in den Blick nahm, bevor er laut und vernehmlich erklärte: »Aber von London aus.«

Im allgemeinen Gelächter spann er einen Gedanken weiter, der durch Miningas Überschwänglichkeit verschüttet worden war und durch jemanden, der sagte: »Apropos Kochbananen, bring mir …«

Sein Blick traf den von Um Nyobè.

»Die Weißen fressen sich gegenseitig«, schloss er. Und ein unbestimmtes Gefühl durchzog seine Adern. Nur ein deutsches Wort konnte es ausdrücken: Schadenfreude. Er sprach es nicht aus, doch er rieb sich die Hände.

»Also, de Gaulle ist in England«, fasste Hebga zusammen, indem er sich erhob, »mit den alliierten Streitkräften.«

»Fahnenflüchtig, willst du sagen.«

»Wie auch immer, er ist am Ende.« Hebga trat von einem Fuß auf den anderen: »Wo geht’s hier zur Toilette, Mamy nyanga?«

»Wer weiß?«

Das hatte Fritz gesagt.

»Der Weg zur Toilette hat sich seit gestern nicht verändert, Onkel.«

»Die Franzosen sind komisch, nicht wahr?«

Das Gelächter des Holzfällers verlor sich im hinteren Teil, im Plätschern von Urin auf einen Stein. So also standen die Dinge in jenem Juni, in dieser Bar, in der sich während der Ferien auf dem Dorf Jugendfreunde trafen, die sich nach Jahren der Trennung wiedersahen. Unwillkürlich wechselten sie das Thema, denn sie hatten sich durchaus interessantere Dinge zu erzählen als das Los eines aus dem weit entfernten Frankreich geflohenen Generals. Schließlich hatte sich im eigenen Land nichts geändert. Wie aber das Goldene Buch der Schwätzereien schließen, das Paris für die Freunde immer gewesen war? Einige Zeit vorher war das Porträt Pétains überall in den öffentlichen Gebäuden aufgehängt worden, in Jaunde wie in Duala. Selbst als Besiegte hatten die Franzosen in Kamerun immer noch die Befehlsgewalt. Um Nyobè war es, der darauf hinwies, und Fritz fragte ihn: »Bis wann?«

Die beiden waren gut aufeinander eingespielt, wenn es ums Diskutieren ging. Seit der Grundschule, so erzählte man sich, lieferten sie sich, immer wenn sich ihre Lebensbahnen ineinanderschlangen, Wortgefechte. Es schien, als wären sie nur deswegen auf die Welt gekommen, damit der eine mit dem anderen niemals übereinstimmte, und so waren ihre Lebenswege der Widerschein des einen vom jeweils anderen. Doch begriff man schnell, dass sie in Wirklichkeit Athleten waren, die die gleiche Sportart ausübten, und dass der ewige Kampf sie stark machte: Boxer mit dem Maul! Zu Hause in seinem Salon setzte sich Fritz, der ein junger Familienvater geworden war, zum Beispiel auf seinen Bambusstuhl, am Tischende, an den Platz, der dem Familienoberhaupt vorbehalten war. Da thronte er, seine kleine Schiffermütze auf dem Kopf, im Hemd, das Wickeltuch um die Hüften geknotet, und es sah aus, als sei ihm das Familienerbe in den Teller gefallen. Um Nyobè hingegen, der ihm gegenüber am anderen Tischende saß, erhobenen Hauptes und nicht weniger stolz, hatte sich der unermüdlichen Sinnsuche in den Fluren der Kolonialverwaltung verschrieben. Weder der eine noch der andere hatte sich das Leben ausgesucht, das ihres geworden war und gemeinsame Abschnitte umspannte: Missionsschule, Lehrerbildungsstätte in Foulassi, Arbeit als einheimischer Lehrer. In jenem Salon diente der Esstisch als Austragungsort für ihr Rededuell.

Fritz, der zu früh Oberhaupt seiner Familie wurde, war im Eiltempo erwachsen geworden, denn er hatte die Kinderschar seines Vaters und dazu dessen Frauen zu ernähren: Das Unterrichten hatte er aufgegeben. Um Nyobès Lebensweg war hingegen von seinem ungezügelten Temperament diktiert worden. Da er einen eher widerborstigen Charakter besaß, war er wegen mangelnder Disziplin von der Lehrerbildungsstätte verwiesen worden. Er hatte, wie es hieß, einen Streik seiner Kameraden organisiert, um gegen das schlechte Essen in der Kantine zu protestieren. Alle staunten, nur sein Vater nicht, der in seinem Abkömmling sein eigenes heißes Blut wiedererkannte, das ihn seinerzeit die Stimme gegen die Zwangsarbeit hatte erheben lassen. Die Nyobès wohnten damals in Makon, das heißt, im Herzen der deutschen Schikanen, denn der Ort war das Zen­trallager für Eisenbahnschienen. Ein Wort zu viel hatte dem Vater von Um Nyobè ein entsprechendes Exil eingebracht, wenn man seine Vertreibung aus dem deutschen Zentrum so nennen will. Er hatte sich mit seiner Familie dann im Heimatdorf seiner zweiten Frau niedergelassen, die erste, also Um Nyobès Mutter, war bei dessen Geburt gestorben. Um Nyobè zog Edea dem neuen Wohnort vor, auch wenn er in Edea bei Freunden Unterkunft suchen musste. Diesmal wohnte er, so glaubte man, bei Fritz.

»Ich habe euch immer gesagt, dass wir uns nicht mit Frankreich einlassen sollten«, brach es aus ihm hervor, »seht doch nur, was aus dem Land geworden ist.«

»Trotzdem arbeitest du für Frankreich«, konterte Fritz schlagfertig.

Er schüttete sich ein Glas Bier ein. Bei seinen Freunden war Um Nyobè für seine Unbeugsamkeit bekannt. Wenn er sich eine Meinung gebildet hatte, war es schwer, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Er verteidigte sie manchmal bis zur Absurdität. Fritz schien auf die Welt gekommen zu sein, um ihm die Schwachstellen seiner Gedanken aufzuzeigen. Als Älterer nahm er sich dieses Vorrecht.

»Mit euch kann man nicht diskutieren«, sagte ihnen Pouka oft, und zweifellos hatte er recht.

Um Nyobè war der Ansicht, dass Pouka eine eigene Meinung fehlte.

Hebga würde sagen: ein kleiner Bruder.

Ich hingegen, ich würde sagen: Es war ein Wiedersehen alter Freunde mit alten Geschichten.

8Die Bildung der literarischen Waldgesellschaft

Aber ja, die Geschichte hat eine ziemlich gewagte Handschrift. Davon wollte Pouka sich erholen. Ich sage und du, geneigter Leser, vielleicht auch, dass er sich dazu einen verdammt ungünstigen Moment ausgesucht hatte. Von ihm aus gesehen, konnte es für seinen Traum aber keinen geeigneteren Zeitpunkt geben. Er hatte schon drei Jahre gewartet, mit den Alexandrinern, die ihm im Magen, mit den ungeduldigen Reimen, die ihm auf der Zunge lagen. Während der Unterhaltung mit seinen drei Freunden war er zerstreut gewesen. Nicht nur, weil der Ort Erinnerungen in ihm wachrief. Sein Blick wanderte in Miningas Bar umher, nahm die Wände in Augenschein, auf denen unleserliche Zeichen zu sehen waren, und verweilte auf dem Regal mit den Getränken. Im Geiste verwandelte er seine Umgebung in das Nachtlokal, von dem er gelesen hatte, und stellte sich vor, wie Nerval, ja, Nerval!, Gautier, wirklich!, und ihre Freunde auf umgedrehten Bierkästen saßen und über Kunst diskutierten. Selbstverständlich befinden wir uns nicht im Jahr 1830, nein, noch weniger in Paris, sondern in einer übel beleumdeten Ecke von Edea. Aber genau dieser Unterschied hatte sich in seinen Gedanken eingenistet. Ein literarischer Salon im Wald, das war seine Idee. Das war sein Ziel.

Als er am nächsten Tag wieder in die Bar kam, hatten andere die Plätze eingenommen. Er erkannte zwei oder drei Stammgäste, die sich erhoben, als sie ihn sahen, und ihn mit Respekt, doch auch mit Erstaunen grüßten, zweifellos, weil sie den Ngovina, den Angestellten der Kolonialverwaltung, wie man ihn hier hinter seinem Rücken nannte, zweimal nacheinander an diesem Ort erblickten. Er ging geradewegs zur Theke und stellte Miningas gute Laune auf die Probe.

»Sag mir, dass ich dir gefehlt habe, mon chéri«, flötete sie ihm zu.

Sie sagte »mon chéri« auf Französisch. »Sie spricht wie eine von der Straße, diese Frauensperson«, dachte er. Doch Mininga war noch nicht fertig. Sie war die Gebieterin des Etablissements – Wirtin wäre ein zu schwaches Wort, um die Frau zu charakterisieren, die die Ungezwungenheit jener besaß, die nicht aus der Region stammten, die Schamlosigkeit eines Menschen, der keine Tabus kannte und sie unwissentlich übertrat oder sich nicht darum scherte. Sie besaß die Lässigkeit einer Person, die die lokale Sprache mit außergewöhnlicher Gewandtheit, also ohne Akzent sprach, selbst wenn es für die Einheimischen stets überraschend war, welche Adjektive sie wählte, ebenso überraschend übrigens wie die Farbe ihrer Kleider. Wenn sie sprach, nahm sie die Hand ihrer Kunden, als wäre jeder ihr Liebhaber. Sie war eine Ewondo.

Mininga stellte Pouka eine Flasche Bier hin.

»Ich habe nicht vergessen, was du trinkst«, fuhr sie fort, während sie die Flasche öffnete, »nicht wahr, mon chéri?«

Sie gab sich einen Ruck und brachte ihren üppigen Busen in Positur. Pouka begann zu bedauern, dass er an den Ort zurückgekehrt war, wo ein guter Leumund in einem Wimpernschlag zuschanden wurde. Er entzog ihr seine Hand, ein wenig aus Verzweiflung, und glücklicherweise schwieg die Frau.

»Ein Sparverein?«, fragte sie ihn, nachdem sie sich die detaillierte Schilderung seines Projekts angehört hatte.

»In etwa«, sagte er, »in etwa.«

Sicher war es für diese Geschäftsfrau schwer zu akzeptieren, dass ihre Bierkästen ein paar Stunden lang Leuten als Sitzgelegenheit dienen sollten, die keine Getränke bestellen würden, aber sie konnte sich damit trösten, dass sie am Morgen kamen.

»Zu einer Stunde, wenn du noch keine Kunden hast.«

»Kunden habe ich immer«, protestierte sie und schaute auf die drei Stammgäste, die in einer Ecke saßen und zu dieser frühen Stunde schon glasige Augen hatten.

Es ging um eine Formalität, Pouka war das klar. Er wollte aber nicht mehr an Entgelt anbieten, als er sich vorgestellt hatte. Ebenso wichtig wie Miningas Meinung war die des Priesters. Nicht weil der Mann etwas von Poesie verstanden und etwas anderes als Kirchenlieder gekannt hätte. Abbé Jean hatte seinen Vater damals davon überzeugt, ihn zur Missionsschule zu schicken, und auf gewisse Weise war er der Bürge seines Erfolgs geblieben. Der Beistand des Prälats hatte für ihn den Vorteil, dass er im Dorf etwas auf die Beine stellen konnte, ohne die Aufmerksamkeit der Kolonialverwaltung auf sich zu lenken. Im Moment ging es darum, den Mann davon zu überzeugen, dass der kleine Literaturkreis nicht eine Art Mitternachtsmesse darstellte.

»Leider sind die Schüler und die Zöglinge in den Ferien«, begann er, »andernfalls wäre ich zum Direktor gegangen. Im Grunde genommen ist es nur eine Ferienbeschäftigung.«

Der Vorwand war zu offensichtlich, um ernst genommen zu werden. Pouka erkannte es, bevor er in das skeptische Gesicht Abbé Jeans blickte.

»Ich hätte das auch in der Kirche machen können, wenn dort nicht der Religionsunterricht stattfinden würde«, fügte er hinzu, »klar.«

Das war sein bester Einfall. Abbé Jean lächelte. Wenn er auch Priester war, merkte er doch, wenn man ihn beschwatzen wollte. Die einzige Gefährtin, die Pouka auf seinem Lebensweg von Anfang an begleitete, war seine Eitelkeit. Nicht der Katholizismus, auch nicht die Karriere als Schreiber-Übersetzer hatte den Jungen zu dem Mann geformt, den er vor sich hatte. Aber gut, sein Standpunkt war viel zu paternalistisch, um ernst genommen zu werden.

»Genau«, begann er, »du solltest kommen und die Katechumenen begrüßen. Sie werden sich freuen, dich zu sehen.«

Er sprach vom Eifer der neuen Generation und der Saat, die er dort aufgehen sah.

»Du könntest Kurse im Bibellesen organisieren.«

Pouka gehörte zur ersten Generation, die er ausgebildet hatte. Es war klar, dass er von ihm schnelle Gewinnausschüttungen erwartete. Er war glücklich gewesen, als Pouka zunächst das Priesteramt anstrebte. Dass er dann Schreiber werden wollte, hatte den Prälaten nicht überrascht, denn die Kolonialverwaltung übte auf die Jugend des Landes eine große Anziehungskraft aus, doch konnte er daran nicht ohne Traurigkeit denken. Das Dorf hingegen hatte sich die Hände gerieben, als Pouka, der eine Weile Hilfslehrer an der Internatsschule von Akono war, die Soutane ausgezogen hatte. Abbé Jean sagte sich, dass er seinen einstigen Schützling, dem seine Lehrer übrigens den Spitznamen »Luther Afrikas« gaben, vielleicht nicht hätte verlieren müssen, wenn er nicht sämtliche Poesiepreise gewonnen hätte.

»Warum nicht bei deinem Vater?«, fragte der Abbé.

»Sie kennen meinen Vater«, antwortete Pouka, und er und der Abbé seufzten.

Wenn es schon schwierig war, in einer Kirche literarische Lesungen zu veranstalten – in einem heidnischen Tempel war es undenkbar, wie der Geistliche zugeben musste. So kam es, dass Pouka und der Priester auf dem Rücken des Alten zu Verbündeten wurden, zum Zwecke der Verteidigung und Verbreitung der Poesie in Edea.

»Und was wirst du vortragen?«

Das war seine Art, seine prinzipielle Zustimmung auszudrücken.

»Ich weiß es noch nicht«, antwortete Pouka und merkte im selben Moment, dass er einen Fehler begangen hatte. Die beste Art, den Gesprächspartner auf seine Seite zu bringen, bestand nicht darin, seine Unentschlossenheit vor ihm auszubreiten, im Gegenteil.

»Mit Sicherheit Claudel«, begann er und spreizte seine Finger, um die Namen im Pantheon der französischen Literatur, die er so liebte, aufzuzählen.

»Das ist gut«, unterbrach ihn Abbé Jean, »kein Kommunist.«

Pouka lächelte. Dass er die kommunistischen Dichter aus seiner Anthologie ausgeschlossen hatte, war seiner Ansicht nach so offensichtlich, dass es keiner besonderen Erwähnung bedurft hätte.

»Natürlich, kein Roter.«

»Besonders jetzt in den Kriegszeiten«, fuhr der Abbé fort, »brauchen wir alle den Glauben. Und Gebete.«

Am gleichen Tag lud eine an der Kirchentür angeschlagene Ankündigung jeden ein, der die Dichtkunst erlernen wollte, am Mittwoch um neun Uhr »bei Mininga« zu erscheinen. Unterzeichnet war die Ankündigung mit »Pouka, Schreiber«.

9Die erste Versammlung

Als Pouka die Schlange sah, die vor Miningas Bar wartete, glaubte er zunächst, er habe sich im Haus geirrt. Niemals hätte er sich vorgestellt, dass die Poesie so viele Leute anlocken würde. Als er aber anfing, mit jedem Einzelnen zu reden, wurde ihm schnell klar, dass viele von ihnen den Sinn der Zusammenkunft missverstanden hatten. Dem Irrtum zum Trotz bat er die Versammelten nicht, wieder nach Hause gehen, denn er gab die Hoffnung nicht auf, dass er unter den Männern und Frauen angehende Dichter und Dichterinnen finden würde – wenn sie auch mit der Erwartung gekommen waren, sie würden bei der französischen Verwaltung angestellt oder zur Teilnahme an einer neuen Kampagne gegen die Schlafkrankheit eingeladen, oder ihn für den Vorarbeiter einer Firma mit weißem Inhaber hielten. Manche waren Kilometer um Kilometer zu Fuß gelaufen, nur um sich in die Reihe zu stellen, dort, vor Miningas Bar.

Es versteht sich von selbst, dass die meisten des Lesens und Schreibens unkundig waren.

»Mein Fehler«, sagte sich Pouka und schlug sich an die Stirn.