Zen und das alltägliche Wunder - Charlotte Joko Beck - E-Book

Zen und das alltägliche Wunder E-Book

Charlotte Joko Beck

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Beschreibung

Die legendäre Zen-Lehrerin und Bestseller-Autorin über die Kunst, alles im Leben anzunehmen   Charlotte Joko Beck war eine der einflussreichsten Zen-Lehrerinnen im Westen. In diesem spirituellen Ratgeber zeigt sie, wie negative Grundüberzeugungen unser Denken und Verhalten bestimmen und wie wir uns davon befreien können. Mit einem klaren Verständnis der menschlichen Psyche und der buddhistischen Psychologie öffnet sie Möglichkeiten, wie wir aus dem ständigen Denken in die gefühlte Erfahrung kommen und aus der Angst in ein unerschütterliches Vertrauen ins Leben. Durch Meditation und Achtsamkeit wird es möglich, die Trennung zwischen uns und der Welt zu überwinden und zurückzufinden in ein erfüllendes Gefühl des Verbundenseins. Die Tiefe von Becks eigener Praxis, viele Fallgeschichten ihrer Schüler*innen und ihre klare Ausdrucksweise zeigen oft humorvoll, wie wir mitten im Alltag Wunder entdecken können und mit Gelassenheit entspannt durchs Leben surfen. "Zen und das alltägliche Wunder" basiert auf noch nie veröffentlichten Vorträgen, die von Becks Tochter aus dem Nachlass zusammengestellt wurden.

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Charlotte Joko Beck

Zen und das alltägliche Wunder

Wie wir lernen, das Leben anzunehmen, wie es ist

Aus dem amerikanischen Englisch von Gerd Bausch

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Die legendäre Zen-Lehrerin und Bestseller-Autorin über die Kunst, alles im Leben anzunehmen

 

Charlotte Joko Beck war eine der einflussreichsten Zen-Lehrerinnen im Westen. In diesem spirituellen Ratgeber zeigt sie, wie negative Grundüberzeugungen unser Denken und Verhalten bestimmen und wie wir uns davon befreien können.

Mit einem klaren Verständnis der menschlichen Psyche und der buddhistischen Psychologie öffnet sie Möglichkeiten, wie wir aus dem ständigen Denken in die gefühlte Erfahrung kommen und aus der Angst in ein unerschütterliches Vertrauen ins Leben.

Durch Meditation und Achtsamkeit wird es möglich, die Trennung zwischen uns und der Welt zu überwinden und zurückzufinden in ein erfüllendes Gefühl des Verbundenseins.

Die Tiefe von Becks eigener Praxis, viele Fallgeschichten ihrer Schüler*innen und ihre klare Ausdrucksweise zeigen oft humorvoll, wie wir mitten im Alltag Wunder entdecken können und mit Gelassenheit entspannt durchs Leben surfen.

 

„Zen und das alltägliche Wunder“ basiert auf noch nie veröffentlichten Vorträgen, die von Becks Tochter aus dem Nachlass zusammengestellt wurden.

Inhaltsübersicht

Vorwort

Einleitung

Erster Teil

Das Einzige, was wir wissen müssen

Das Geheimnis der Veränderung

Was wollen Sie wirklich?

Ein Frieden, der alles Verstehen transzendiert

Schnee, einfach nur Schnee

Hoffnung aufgeben

Aufs und Abs und der Raum dazwischen

Was ist Freude?

Wahrnehmen und sein

Gewahrsein und Benennen

Das Leben erleben

Praxis ist Leben (und Leben ist Praxis)

Das Leben, wie es ist

Zweiter Teil

Die eiskalte Couch

Die Geburt unserer Konditionierung

Das Wesen der Konditionierung

Die Nabe des Rades

Die eigene Konditionierung aufspüren

Sehen, was man tut

Sich seiner Grundstrategie bewusst werden

Das Wunder, die Waffen zu strecken

Unsere wichtigste Aufgabe

Wahres Selbst: Nicht-Selbst!

Der Geist ist kein Waisenkind

»Es tut mir leid«

Weitermachen, ohne zu denken

Das Wesen des Selbst

Drei Listen

Unsere unmittelbaren Reaktionen besänftigen

Der fehlende Schritt

Widerstände und Ausdauer

Bei der Praxis geht es um Ihr Leben

Ein Ersatzleben

Worum es im Leben geht

Den Fluchtweg abschneiden

In der Wahrnehmung verweilen

Sitzen an sich ist keine Tugend

Wie wir es gerne hätten

Das Leben ist kein Ding

Langeweile ist ein anderer Name für Praxis

Das Leben vorwegnehmen

Die Konditionierung schwächen

Unsere Praxis ist unser Leitfaden

Dritter Teil

Unser innerer Kampf

Die zwei Seiten der Praxis

Das Chaos aushalten

Nichts greifen, nichts ablehnen

Mit dem Chaos im Einklang

Was ist hier los?

Der Mut zu praktizieren

Keine Anstrengung – riesige Anstrengung

Entspannung und Anstrengung

Die Zeichen, dass Praxis wirkt

Das eigene Leid bezeugen

Was ist Praxis?

Effektive Praxis

Die Weisheit des Körpers

Uns nicht mehr abwenden

Was wir im Körper festhalten

Ein zusätzliches Gesicht

Den Schmerz transformieren

Gedanken und Empfindungen

Alle praktizieren

Konzentration erlaubt es Ihnen, wirklich da zu sein

Über Trauma und Haltung

Die Würde der Stille

Gute Praxis zerstört sich selbst

Wie wir die Dinge haben wollen

Unsere persönliche Katastrophe

Welche Ansprüche stellen Sie?

Die immer gleiche Geschichte

Es ist nicht fair

Vierter Teil

Wut und andere Ziegelsteine

Reaktionen auf Ärger

Standfestigkeit entwickeln

Echtes Bedauern

Sehen Sie Ihr Klagen

Eine Klage ist eine Spielart des Ärgers

Selbstbezogene und lebensbezogene Handlungen

Keine Klagen

Nichts zu verzeihen

Nichts zu töten und niemand, der tötet

Uns selbst verzeihen

Das torlose Tor

Mit dem Leiden Freundschaft schließen

Die große Verwirklichung

Inner- und außerhalb des Freiraums

Fünfter Teil

Auf Pastinaken treffen

Selbstvertrauen

99,4 Prozent unserer Probleme …

»Schmeckst du schon, oder urteilst du noch?«

Wozu der Geist dient

Tu eine Sache

Die Weite und die Erdnussbutter

Ein kleiner Ausrutscher

Angst ist Mangel an Achtsamkeit

Nichts als das Ganze

Sich nass machen

Täter oder Opfer

Sitzen ist die Grundlage

Vertrauen in das, was ist

Sechster Teil

In die Dunkelheit gehen

Eine Beziehung zwischen Lehrerinnen und Lehrern

Authentische Beziehungen

Drei Kreise

Einen Schutzmantel finden

Wie wir zu Wahlfreiheit kommen

Ehrliche Motivation

Die andere Seite des Berges

Federbetten der Erwartungen

Die Warteschleife

Die Dinge, wie sie sind

Für Dolche durchlässig werden

Lehrer, keine Retter

Tiefes Zuhören

Siebter Teil

Weit weg vom Ufer

Auf See treiben

Neunundneunzig Versuche

Gutes tun

Opfer

Dienen Sie sich selbst

Der Weg ist schmal

Der einfache Weg

Funkelnde Bilder

Alltägliche Wunder

Nachwort

Vorwort

Von Jan Chozen Bays

Charlotte Joko Beck war ein einzigartiger Mensch. Noch jenseits der vierzig schlug die damalige Sekretärin ganz neue Wege ein und wurde zur wagemutigen Vorreiterin. Sie war immer ganz vorn dabei, wenn es darum ging, neue Möglichkeiten zu erproben, wie sich sowohl geistige als auch körperliche Gesundheit verbessern ließe. Ich selbst gehörte zu einer Gruppe neuerer Schülerinnen und Schüler, die sich am Zen Center Los Angeles ihrer Führung anvertraut hatten.

Sie hatte die Gabe, Menschen zu begeistern und mitzureißen. Einmal nahm sie zum Beispiel an Werner Erhards EST-Training teil1, und Dutzende am Zen-Center taten es ihr gleich. Sie kaufte sich ein kleines Trampolin, und so sah man, wenn man zu ihrem Zimmer hinaufschaute, wie ihr Kopf im Fenster auftauchte und wieder verschwand, während sie sprang. Auch von dieser Übung – dazu gedacht, den »Lymphfluss zu verbessern« – ließen sich einige von uns »anstecken«. Sie begann mit Nordic Walking, wozu sie sich sogar Gewichte anlegte, und kurz darauf sah man auch viele von uns so durch die Straßen laufen. In höherem Alter legte sie sich ein professionelles Pilates-Gerät zu und ließ sich von einem Personalcoach trainieren, da sie dem Zentrum nicht zur Last fallen wollte. Damals war sie achtzig. Als ich sie zu dieser Zeit nach vielen Jahren das erste Mal wiedersah, war ich überwältigt: Sie schien den Alterungsprozess umgekehrt zu haben, sie bewegte sich eleganter und sprach mit größerer Klarheit als je zuvor. Noch als über Neunzigjährige hat sie unterrichtet.

Als ich sie kennenlernte, arbeitete sie noch als Verwaltungskraft am Fachbereich Chemie der University of California in San Diego, aber in Wahrheit schien sie das Fachgebiet mit seinen etwas eigensinnigen Professorinnen und Professoren von ihrem Schreibtisch aus zu leiten. Sie erzählte uns, dass die Leute, wenn der Dekan außer Haus war, bei ihr Schlange standen, weil sie mit ihr reden wollten. Und sie fügte an: »Damals habe ich viel darüber gelernt, wie man Menschen therapeutisch helfen kann.« Joko hatte sich von ihrem gewalttätigen Mann getrennt und lebte als alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Ihr Ex-Mann, ein psychisch kranker Professor, hätte sie um ein Haar umgebracht; sie verdankte ihr Leben allein der Tatsache, dass ihr Nachbar damals zufällig vorbeigeschaut hatte. Dank dieser Erfahrungen blieb sie glücklicherweise angesichts der Klagen einiger Schülerinnen und Schüler stets unbeeindruckt; die Härten in ihrem eigenen Leben hatten sie gelehrt, was wirklich zählt.

Jokos Interesse am Zen wurde entfacht, als sie ein öffentliches Gespräch zwischen einem Zen-Meister und einem christlichen Geistlichen besuchte. Sie war von der Souveränität und Präsenz des Zen-Lehrers Maezumi Roshi (damals Maezumi Sensei) derart berührt, dass sie seine Schülerin wurde. Damals war sie Ende vierzig.

Eine andere Quelle der Inspiration war ihr eine enge Freundin, die an Krebs erkrankt war. Diese Freundin hatte acht Kinder und meditierte in einer kleinen Kammer, in der auch die Waschmaschine und der Wäschetrockner standen – dem einzigen Ort in ihrer Wohnung, an dem sie etwas Ruhe hatte. Joko war nicht nur von der Hingabe, mit der ihre Freundin praktizierte, inspiriert, sondern auch von dem Engagement, mit dem diese sich selbst in den letzten Tagen ihres Lebens um die Menschen um sie herum kümmerte. Joko war überzeugt, dass sie deswegen auf die Schmerzmittel verzichtete, weil sie ihre Meditationspraxis aufrechterhalten und vermeiden wollte, dass die Medikamente ihren Geist trübten – und so hielt sie es selbst im Prozess ihres äußerst friedlichen Todes. Joko war bei ihr, als sie den Übergang aus diesem Leben vollzog und »zu einem einzigen Strahlen« wurde. Diese Erfahrung hat Joko zutiefst beeindruckt und geprägt. Als sie anschließend über Stunden am Strand spazieren ging, wurde ihr bewusst, dass sie jegliche Angst vor dem Tod verloren hatte.

Sie wurde Mitglied einer Meditationsgruppe in San Diego, die sich im Laufe der Jahre entwickelte: Andere aus ihrem Bekanntenkreis stießen dazu, darunter einige Wissenschaftler und Studierende ihrer Universität. Joko war eine entschlossene Praktizierende und begann, an Sesshins (strengen Meditationsretreats) unter der Leitung von Yasutani Roshi und Soen Roshi teilzunehmen. Ihre Töchter begleiteten sie zu diesen intensiven Zen-Klausuren, um mit ihrer Mutter zusammen sein zu können, auch wenn es im Schweigen war. Nachdem Maezumi Roshi sein eigenes Zentrum gegründet hatte, fuhr sie jeden Sonntag für einen Dokusan – ein privates Gespräch – zwei Stunden ins nördlich gelegene Los Angeles, um sich anschließend auf den ebenso langen Rückweg zu machen. Als sie in Rente ging, zog sie in das Zen-Center ihres Meisters, um »Vollzeit« zu praktizieren.

Eine nach dem anderen folgten wir ihr nach Norden und gründeten eine sehr lebendige Zen-Gemeinschaft, eine interessante Mischung aus Hippiekommune und Zen-Kloster, einen Ort für junge Leute, die wild auf Erleuchtung waren. Wieder einmal standen die Menschen Schlange, diesmal im Gang vor Jokos Wohnung, und wollten mit ihr sprechen. Sie wurde ordiniert, bekam bald darauf die Dharma-Übertragung2 und wurde zu einer sehr geschätzten und geliebten Lehrerin. Später erzählte sie, Maezumi Roshi habe sie trotz ihres recht unorthodoxen Zugangs zur Praxis zur Lehrerin gemacht, da er gesehen habe, wie sehr sich die Menschen von ihr angezogen fühlten. Jokos unverrückbarer Fokus auf die Praxis war ansteckend, und viele von denen, die mit ihr in San Diego und Los Angeles praktiziert hatten, wurden später selbst Lehrerinnen und Lehrer mit eigenen Zentren.

Sie lebte und lernte bereits sechs Jahre im Zentrum, als bekannt wurde, dass Maezumi Roshi sich hatte Verfehlungen zuschulden kommen lassen. Joko brach die Verbindung zu ihm umgehend ab und zog zurück nach San Diego, wo sie die Ordinary Mind School gründete. Ihr Lehrstil war direkt, voll tiefer Einsichten, bestechend einfach und sachlich, manchmal auch ironisch. Vielleicht zuckte man bei dem einen oder anderen Hinweis innerlich zusammen, doch man wusste, dass sie wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen und eine lieb gewonnene »Konditionierung«, die einem im Grunde doch nur Leiden bereitete, entlarvt hatte.

Joko war die Erste, von der ich ganz praktische Anweisungen zu dem hörte, was heute als »Achtsamkeitspraxis« in aller Munde ist. Sie sagte Dinge wie: »Wenn ihr Geschirr abspült, dann spült nur ab. Spürt die Wärme des Wassers, spürt, wie sich die Seife anfühlt und der Teller in eurer Hand.« Sie machte aus Zen-Ritualen alltägliche Praktiken. Im vorliegenden Buch adaptiert sie beispielsweise die Zen-Praxis des Kinhin (das langsame Gehen zwischen langen Sitzungen des stillen Sitzens), indem sie einem erschöpften, überarbeiteten Arzt rät, den Gang immer achtsam entlangzulaufen und dabei zu entdecken, wie erholsam dies für seinen Körper und seinen Geist sein kann.

In einer Sesshin mit Yasutani Roshi öffnete sich Joko das erste Mal gegenüber dem, was sie fortan »wirkliches Leben« nannte. Später erzählte sie, es sei »furchtbar« gewesen. Einer ihrer Freunde berichtete, sie habe ihn von da an auf ihren Spaziergängen, bei denen sie über Zen sprachen, oft intensiv angestarrt, mit dem Finger auf ihn gezeigt und gesagt: »Das ist nicht wirklich.« In einer anderen Sesshin hatte sie Einblick in die Leerheit aller Phänomene. Es machte sie wütend. Sie ging zu ihrem nächsten Dokusan, schrie, alles sei leer, und warf mit einer kleinen Lampe nach dem Roshi. Als guter Zen-Lehrer duckte dieser sich nur, sagte: »Gewöhn dich daran«, und läutete mit seiner Handglocke, was bedeutete, dass ihr Gespräch zu Ende war.

Auch wenn Joko oft als psychologisch orientierte Zen-Lehrerin bezeichnet wird, war sie der Überzeugung, dass Therapie nicht zur letztendlichen Befreiung vom Leiden führe. »Therapie gibt Linderung, Sitzen schenkt Freiheit«, pflegte sie zu sagen. »Wenn wir lange und intensiv genug praktizieren und unsere Konditionierungen entdecken, brauchen wir keine Therapie. Statt wie zuvor selbstbezogen zu sein, werden wir lebensbezogen.«

Allerdings bemerkte sie sehr wohl, wenn Menschen für tiefere Praxis noch nicht bereit waren, und offerierte ihnen einen einfachen, pragmatischen Zugang zu den Themen, an denen sie zu arbeiten hatten. So erzählte ihr eine Schülerin, dass sie begonnen hätte, Jura zu studieren, jetzt aber zweifelte, ob dies nicht ein schwerwiegender Fehler gewesen sei, denn sie habe Sorge, Mann und Kind zu vernachlässigen. Joko hörte ihr lange zu und fragte dann: »Hast du bereits irgendwelche Abschlüsse?« – »Nein«, war die Antwort. – »Warum wartest du dann mit deinen Sorgen nicht, bis du die ersten Zensuren hast?« Dank dieser Frage verflogen Gedankenwirrwarr und tiefe Besorgnis der Frau augenblicklich.

Joko versprach keine erhabenen Glückszustände, sondern pflegte nur trocken zu bemerken: »Das Einzige, was schlimmer ist, als Sesshins zu sitzen, ist, es nicht zu tun.« Sie betonte, dass im Laufe langer Jahre der Praxis eine allmähliche, kontinuierliche Veränderung möglich sei. Gleichzeitig warnte sie vor der Erwartung, man könne irgendwann vollkommene Freiheit finden oder zum Heiligen werden. Und meistens fügte sie hinzu: »Aber wisst ihr, es ist ein riesiger Unterschied, ob man völlig festsitzt oder nur zu fünfzig Prozent. Denn selbst das bedeutet immerhin fünfzigprozentige Freiheit.«

Ihre Neugier war unstillbar, und dank ihres wissenschaftlichen Hintergrunds hatte sie stets Interesse an neuen Ansätzen, um ihren Schülerinnen und Schülern zu helfen. Eine von ihnen erinnert sich, dass Joko »über eine nicht versiegende Quelle an Tricks verfügte und immer etwas hervorzauberte, von dem sie uns riet, es auszuprobieren. Und zugleich bereitete es ihr keinerlei Problem, solche Ratschläge wieder zu verwerfen.«

Einmal gab sie zehn Wochen lang jeden Sonntag mehr oder weniger die gleichen Dharma-Unterweisungen. Manche merkten es, andere nicht. Sie überraschte uns damit, uns bei unseren gemeinsamen Mahlzeiten Wasser und Brot aufzutischen, und genoss unsere Reaktionen, die irgendwann den Weg zu ihr fanden. Ein grundlegender Bestandteil der Sesshins mit ihr war das »In die Augen starren«. Dabei ging es darum, jeden Tag einen anderen Teilnehmer auszuwählen, dem man beim Sitzen eine halbe Stunde lang in die Augen schaute. Dabei sollten wir genau auf das achten, was »jetzt« geschah – auf körperliches Unbehagen, ausweichende Blicke, abwandernde Gedanken und auftauchende Gefühle.

Kam einer ihrer Schüler mit einer Litanei von Klagen zu ihr, fragte sie normalerweise: »Was ist dein Satz?« Der Betreffende musste dann seine geistigen Verstrickungen in einem oder zwei Sätzen zusammenfassen. Das half ihm zu verstehen, welche Geschichte er sich wieder und wieder erzählte. In diesem Buch werden Sie einen von Jokos Lieblingssätzen finden: »Bleib auf der eiskalten Couch.« Sie erklärte, dass man bei dieser Praxis in den Körperwahrnehmungen, Gedanken und Gefühlen ruhen sollte. Bleibt man Stunde um Stunde, Tag für Tag auf dieser kalten Couch, wird sie zu einer Pforte zu Freiheit und Zufriedenheit – und das bei allem, was das Leben uns bringt.

Joko stellte an sich selbst hohe Ansprüche. Sie war eine hervorragende Pianistin, und wir alle erfreuten uns an der Musik, die während der Pausen aus ihren Fenstern hallte. Als sie älter wurde, gab sie das Spielen auf, da ihre Finger nicht mehr das taten, was sie von ihnen erwartete.

Sie hatte eine interessante Art, für ihre Schüler da zu sein. Acht Stunden pro Woche hielt sie telefonische Sprechstunden ab. War besetzt, musste man einfach so lange immer wieder anrufen, bis man das Glück hatte, den Moment zu erwischen, in dem gerade einer aufgelegt und der Nächste noch nicht angerufen hatte. Sie bekam Anrufe aus der ganzen Welt, und das wohlgemerkt zu einer Zeit, in der Ferngespräche minutengenau und teuer abgerechnet wurden.

Auch wenn Joko viel des traditionellen Zen ablegte und ihre schwarze Zen-Robe gegen eine einfache Bluse und einen langen Rock eintauschte, vertraute sie voll und ganz auf das Herz aller Zen-Praxis – die vielen Stunden stillen Sitzens. Sie war davon überzeugt, dass ein fünftägiges Sesshin, bei dem man schweigend dasitzt und alles wahrnimmt, was sowohl im Körper als auch im Geist vonstattengeht, nach und nach innerlich und äußerlich das eigene Gewahrsein für die persönlichen Konditionierungen öffne. Dies wiederum entflechte die Verstrickungen von Gedanken und Emotionen, die im Zentrum des Leidens des »falschen, selbstzentrierten Lebens« der Betreffenden lagen – eines Lebens, das sie gern »Trostpreis-Leben« nannte. Ihr war bewusst, dass dieser Prozess kein einfacher, sondern oft genug ein schmerzhafter war, aber sie betonte, dass letztlich nur dies zu tiefgreifender Veränderung führe.

Ich würde Ihnen raten, sich einige Minuten – oder auch länger – Jokos Vorträge auf Youtube anzuhören, denn dann können Sie, wenn Sie ihre Worte hier im Buch lesen – und immer wieder lesen –, innerlich die Wärme und Direktheit ihres Tons hören. Und um Gottes willen praktizieren Sie, was sie Ihnen empfiehlt und was sie vierzig Jahre ihres Lebens selbst umgesetzt und gelehrt hat: über lange Zeit still und schweigend dasitzen, all dessen gewahr, was in dem passiert, was wir unseren Körper, unsere Gedanken und unsere Gefühle nennen. Wenn Sie das durchhalten, werden Sie, genau wie Joko, bei allem, was das Leben Ihnen bringt, Gelassenheit und einfache Freude finden.

Einleitung

Von Brenda Beck Hess

Meine Mutter wollte immer ein drittes Buch schreiben, hatte jedoch in ihren letzten Lebensjahren dafür einfach nicht mehr die Energie. In den Jahren nach ihrem Tod wuchs in mir die Idee, selbst ein Buch mit Ausschnitten aus ihren Vorträgen zu veröffentlichen, doch jedes Mal, wenn ich in den Kisten mit den Tonaufnahmen aus ihren Kursen stöberte, überwältigte mich das Gefühl, nicht zu wissen, wo ich anfangen sollte, und so ließ ich von der Aufgabe ab. Erst 2013, als während der schlimmsten Waldbrände der amerikanischen Geschichte auch bei uns in Prescott Evakuierungswarnungen ausgesprochen wurden, wurde mir klar, dass ich zumindest beginnen musste, die Aufnahmen zu digitalisieren, damit sie nicht eines Tages irgendeiner Naturkatastrophe zum Opfer fielen. Schon bald nach den Bränden nahm ich – nicht zuletzt in der Hoffnung, ihren Wunsch nach einem weiteren Buch zu erfüllen – mehr oder weniger zufällig ein Tape aus der Sammlung, legte es in das Nakamichi-Tapedeck, das ich extra zu diesem Zweck gekauft hatte, und lauschte den ersten Worten der Dharma-Unterweisung. »Wenn ich je ein weiteres Buch schreiben würde …«, war da zu hören. Volltreffer. Sofort begann ich mit dem Prozess des Digitalisierens und Anhörens der Aufnahmen.

Die erwähnte erste Aufnahme dokumentierte einen Kurs aus dem Jahr 1997, bei dem sie über das gesprochen hatte, was sie »Konditionierung« nannte. Neugierig darauf, wie sie diesen zentralen Punkt ihrer Belehrungen entwickelt hatte, ging ich im Geiste weitere eineinhalb Jahre zurück: Anfang 1996 hätte sie eigentlich zu Besuch nach Prescott kommen sollen, wurde aber durch die erste Grippe ihres Lebens daran gehindert. Sie war ziemlich krank und hatte deshalb offenbar viel Zeit für Praxis und Kontemplation. Als sie anschließend wieder zu unterrichten begann, teilte sie uns mit, sie arbeite gerade an der Klärung eines neuen Aspekts der Praxis, bei dem es um die Konditionierung gehe. In einer Dharma-Unterweisung Mitte 1996 erklärte sie dies näher. Auch wenn sie bei anderen Vorträgen durchaus weitere Aspekte beleuchtete, die an der Konditionierung beteiligt sind, wählte sie hier – sicherlich zur Vereinfachung des komplexen Themas – nur einen aus.3 Sie erklärte die Ausbildung der Konditionierung nach der Geburt: Im Mutterleib hat die Welt alle Bedürfnisse des Ungeborenen befriedigt. Nach der Geburt hingegen ist es unmöglich, allen Wünschen des Kindes zu entsprechen. Während er oder sie nicht in der Lage ist, zu begreifen, dass es an den Eltern liegen könnte, von denen man als Tochter oder als Sohn vollkommen abhängig ist, wird im jungen Erdenbürger ein Samen gesetzt: Er glaubt, der Mangel komme daher, dass mit ihm etwas nicht stimmt, und so wird die Basis für die Konditionierung gelegt. Das Kleinkind lernt, Strategien zu entwickeln, um zu bekommen, was es will: Vielleicht schreit es, bittet oder ist trotzig (um nur ein paar Optionen zu nennen). Es gibt viele Strategien, doch alle dienen demselben Ziel: sich in der Welt sicher und geliebt zu fühlen. Da das Kind spürt, dass sein Überleben in Gefahr ist, macht es sich eifrig jene Strategien zu eigen, die wirkungsvoll zu sein scheinen.

Die meisten von uns verstärken diese Strategien im Laufe der Jahre immer weiter. Sie gerinnen zu einigen wenigen Kernthemen und werden zu dem, was Joko »die Konditionierung« nannte – und das, obwohl sie bei den meisten von uns mit zunehmendem Alter nicht mehr funktionieren. Die Konditionierung besteht aus stets negativen Selbstbildern, die so schmerzhaft sind, dass wir nahezu alles in unserer Macht Stehende tun, um das jämmerliche Gefühl unserer Wertlosigkeit, das sie beinhalten, nicht spüren zu müssen – das Gefühl, dass wir es nicht wert sind, geliebt zu werden. Diese grundlegenden Strategien sind unsere heftigen und verwirrten Antworten: starre Reaktionen in einer fließenden Welt.

Während sie die Konditionierung als natürlichen und beinahe unvermeidlichen Bestandteil der Entwicklung des Kleinkinds betrachtete, hat Joko ihre Aufmerksamkeit auf den Bereich konzentriert, in dem uns die Praxis helfen kann, etwas an den »Spätfolgen« zu ändern. Es geht um die Frage, wie wir unsere Konditionierung als Erwachsene aufrechterhalten und wie sie unsere Entscheidungen sowie die Art, wie wir uns mit dem aktuellen Leben in Beziehung setzen, beeinflusst.

Wiederholt sprach sie darüber, dass unser Verstand uns durchaus behilflich sein kann, diese Konditionierung zu Bewusstsein zu bringen. Doch so wichtig diese Klärung auch ist, sie stellt doch nicht mehr dar als einen ersten Schritt. Beließen wir es dabei, blieben wir im Bereich der Psychologie.

Genau hier berühren wir einen grundlegenden Aspekt der Praxis, in der wir mit der Konditionierung arbeiten. Sofern wir mehr anstreben als ein rein psychologisches Verständnis, kommen wir nicht umhin, eine Arbeit zu tun, die keinem von uns angenehm ist: Wir müssen zur Ruhe kommen, sitzen und den Schmerz erfahren, ebendas, worin das ausgesprochen schwierige Herzstück der Praxis liegt – das Ankommen im gegenwärtigen Augenblick. Genau das ist Zen-Praxis.

Dazu gehört das Paradox, dass die Schmerzen dadurch, dass wir wirklich in ihnen ruhen, zum Erliegen kommen: Wir erkennen, dass da in Wirklichkeit gar kein Schmerz ist – und niemand, der oder die ihn erlebt. Doch durch willentliche Anstrengung allein werden wir dies nie erleben. Das Paradox der Praxis besteht darin, so gut wir können, in diesem Leiden zu ruhen, was anfangs eine enorme Anstrengung erfordert. Es führt dazu, dass diese Erfahrung sich langsam abnutzt, und so können Momente der Anstrengungslosigkeit aufscheinen – Augenblicke des reinen Schmerzes, der reinen Freude.

Es sind Momente, die wir vielleicht »erleuchtet« nennen könnten, doch meine Mutter hat dieses Wort nur sehr selten benutzt, denn sie war der Überzeugung, dass wir im tiefsten Inneren ohnehin bereits erwacht sind. Wir sehen es nur nicht, da wir sorgfältig ein falsches Konstrukt geschaffen haben, mit dem wir versuchen, dieses »Gefäß«, also diesen Körper, zu schützen.

Für Joko lag der Sinn ihres fortdauernden Studiums und neugierigen Forschens darin, dass sie ihren Schülerinnen und Schülern helfen wollte, das Problem zu sehen und zu lernen, damit zu praktizieren.

Eine ihrer zentralen Lehren war, die Gedanken zu benennen4. Sie glaubte, dass die geduldige und oft müßige Arbeit, uns unserer immer wiederkehrenden Gedankenmuster bewusst zu werden, uns helfen kann, auch die darunterliegende Konditionierung sowie die Grundstrategien, die wir entwickelt haben, zu erkennen. Ist dies einmal geklärt, lernen wir langsam, uns ihrer bereits dann bewusst zu sein, wenn sie erscheinen. Wenn wir beispielsweise aufgebracht sind, so Joko, ist dies ein guter Indikator dafür, dass diese Muster aktiv sind.

Ein zweites wichtiges Element ihrer Lehren war, dass ein großer Anteil unserer fortwährenden Arbeit, unsere Konditionierung freizulegen, darin liegt, in die Spannungen des Körpers hineinzuspüren, da dies hilft, die Wut und den Schmerz in uns zu demaskieren. Dabei hat sie betont, dass wir diese Arbeit, die sich auf unsere direkt erlebbaren körperlichen Empfindungen stützt, Abertausende Male tun müssen. Erst dann werden unsere Gedanken wie Luftblasen, die an die Oberfläche kommen und platzen: Wir verstärken sie nicht mehr durch weitere Gedankenketten und halten nicht länger an ihnen fest. Schließlich zeigen sich gänzlich unverhüllt Augenblicke der Freude, völlig unabhängig davon, was sonst vor sich geht.

Joko erklärt in ihren Unterweisungen auch, dass unsere Konditionierung, unsere Strategien, Gedanken und Körperempfindungen – also die Dinge, die unsere inneren Leiden verursachen und die wir für so greifbar und real halten – nichts anderes sind als Erleuchtung, allerdings nur, wenn wir sie, ganz gleich wie es sich anfühlt, wirklich im Hier und Jetzt erleben. Was sollte ein Erleben im Hier und Jetzt auch sonst sein?

Die Tragik besteht darin, dass wir das nicht erkennen. Entsprechend vermeiden wir es, den gegenwärtigen Augenblick zu erfahren, und das führt zu Leiden. Anstatt eins zu sein mit dem, was sich im Hier und Jetzt zeigt, überdecken wir es mit unseren Strategien. Statt das Mitgefühl, das wir in uns tragen und das wir letztendlich sind, zu manifestieren, verstricken wir uns in ein Leben, in dem sich alles darum dreht, dass wir uns wohlfühlen und sicher sind. Immer und immer wieder hat Joko in ihren Vorträgen dargelegt, wie wir die außerordentlich einfache und zugleich sehr schwierige Arbeit, im Jetzt anzukommen, leisten können.

Uns dürstet nach dem Frieden, den das Verweilen im gegenwärtigen Augenblick mit sich bringt, wie er sich auch zeigen mag. Aber tatsächlich ist das das Schwierigste überhaupt und bedarf großer Anstrengung. Wir alle wollen uns wohlfühlen. Das Paradox liegt darin, dass wir so lange immer wieder mit unserer Konditionierung sein müssen, bis sie schwächer wird, denn dann zeigen sich die Freude und der Frieden des gegenwärtigen Augenblicks, ganz gleich, wie er sich äußert. Das Leben, das wir dann entdecken, schenkt uns Mitgefühl, passende Antworten und ist nützlich.

Meine Mutter hat mit erstaunlich unermüdlicher Ausdauer praktiziert, und ihr Engagement als Lehrerin stand dem in nichts nach: Sie suchte nach immer neuen Wegen, zu klären, wozu Praxis eigentlich dient. Sie hat hierzu ein weites Spektrum an Quellen studiert und sich von Buddhismus, Hinduismus, Christentum und säkularem philosophischen und psychologischen sowie von New-Age-Wissen inspirieren lassen.

Im Verlauf ihres Lebens kam sie insbesondere zu zwei Büchern immer wieder zurück: La Doctrine suprême des französischen Psychotherapeuten Hubert Benoit sowie I am That des indischen Lehrers der shaivistischen Tradition Sri Nisargadatta Maharaj. Das sage ich Ihnen für den Fall, dass Sie die Werke selbst lesen möchten.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie sie mich als Kind mit in die Buchhandlungen nahm; sie durchforstete sie nach interessanten Büchern, die ihr auf ihrer Suche nach der Wahrheit weiterhelfen könnten. In ihren späteren Jahren hielt sie mehr nach solchen Titeln Ausschau, die nützlich sein könnten, um ihren Schülerinnen und Schülern verständlich zu machen, worum es bei der Praxis geht, und ihnen womöglich halfen, besser in die eigene Übung hineinzufinden.

Als sie an ihren beiden Büchern arbeitete, grübelte sie über jeden einzelnen Satz nach, um sicherzustellen, dass er auch genau das vermittelte, was sie sagen wollte. Gleichzeitig lachte sie und sagte, dass es im Zen eigentlich immer nur die eine Belehrung geben sollte.

Ich habe von meiner Mutter nie formellen Unterricht erhalten, aber für mich war und ist sie meine Lehrerin. Es war ein riesiges Geschenk, ihre Aufnahmen zu hören, sie zu transkribieren und beim Editieren zu helfen. Sie bleibt lebendig, und ich bin dankbar, dass ich weiter von ihren Worten lernen kann.

Im letzten Jahr ihres Lebens hat sie weniger differenziert unterrichtet. Zuerst dachte ich, es läge daran, dass ihre Gabe, die Lehren darzulegen, altersbedingt nachließ, doch dann verstand ich, dass sie immer mehr zur Essenz der Lehren vordrang: »Du bist in Ordnung.« Sie klopfte mir auf die Schulter und sagte genau dies.

Ich danke Rachel Neumann für die editorische Bearbeitung der Texte. Sie nahm den Schatz von einem ganzen Jahr an Belehrungen und machte daraus eine kohärente Einheit, wodurch das Gesagte noch hilfreicher geworden ist. Und ich danke Matt Zepelin von Shambhala Publications für das, was ich gern das »Glätten« des Manuskripts nenne.

Und natürlich bin ich meiner Mutter für immer dankbar. Ihre Lehren haben mir das Leben gerettet. Ihre intelligente Art, ihr ganzes Leben ausdauernd zu praktizieren, war vielen von uns Vorbild für unser eigenes Leben der Praxis.

Erster Teil

Erfahrung

Das Einzige, was wir wissen müssen

Es gibt nur eine Sache, die wir wissen müssen. Und die ist sehr einfach.

Als Menschen, die ihr Leben voll und ganz erleben wollen, sollten wir bei jeder einzelnen Erfahrung aufmerksam sein.

Dafür müssen wir nichts anderes tun, als zu beginnen, zu sein, was und wer wir wirklich sind – nicht mehr und nicht weniger. Das braucht Mut, denn es liegt jenseits all unserer bisherigen Vorstellungen davon, wie wir mit dem Leben umgehen sollten, und der Mechanismen, diese Vorstellungen umzusetzen. Das klingt zauberhaft, oder? Auf keinen Fall! Denn um zu sein, wer wir wirklich sind, müssen wir zum Beispiel, wenn wir aufgrund einer bestimmten Angelegenheit aufgebracht sind – uns verletzt fühlen oder ärgerlich sind –, die entsprechenden Gefühle auch zulassen und empfinden. Manche von uns spannen, wenn sie starke Emotionen haben, ihren Körper zu einem schmerzhaften Knoten an. Anderen wird regelrecht übel. Und wer will so etwas schon erleben?

In erster Linie vermeiden wir es, mit unseren Gefühlen auf Tuchfühlung zu sein, weil viele von ihnen – ganz gleich, ob es sich um Verletztheit, Wut oder Ablehnung handelt – schmerzhaft sind. Und ebendem möchten wir zunächst auf keinen Fall begegnen.

Doch wenn wir wirklich empfinden, was und wie wir sind, wie immer es im gegenwärtigen Augenblick aussehen mag, gewinnen wir an Freiheit. Manchmal sagen mir Leute Dinge wie: »Oh ja, ich bin in Kontakt mit dem, was ich bin. Ich weiß, dass mein Körper verspannt ist.« Dass ist keine Erfahrung. Zum einen: Wenn wir sagen: »Ich« weiß, dass »mein Körper« voller Anspannung ist, trennen wir zwischen uns, unserer Wahrnehmung und unserem Körper. Wir gehen davon aus, dass es ein »Ich« gibt, das etwas »anderes« erkennt. Damit trennen wir uns von der direkten Erfahrung der inneren und äußeren Welt ab. Tun wir das, finden wir aber weder Frieden noch Freiheit.

Vielleicht sagen wir Dinge wie: »Mir ist bewusst, dass ich leide. Ich spüre es deutlich.« Wenn wir etwas wirklich erleben, dann spüren wir das Leiden und den Zorn nicht, dann sind wir sie. Und ich rate Ihnen: Seien Sie, wer Sie sind. Manche verwirrt das Wort »erfahren«. Eine Erfahrung ist keine komplizierte Sache. Etwas erfahren bedeutet einfach, für eine Sekunde das zu sein, was man ist, ohne über sich selbst nachzudenken – also Erfahrungen ohne Gedanken. Lassen Sie Ihren Geist für eine oder zwei Sekunden darin ruhen. Spüren Sie, was immer Sie spüren. Das ist alles.

Wenn wir aufgebracht sind, verspannt sich unser Körper ganz automatisch, und dies kann, so werden Sie vielleicht sagen, durchaus interessant sein. Meistens ist diese Erfahrung allerdings nichts Besonderes. Doch wenn wir – sagen wir, für ein, zwei Stunden – sitzen können und dabei wirklich in der Erfahrung ruhen, verändert sich unser Leben ausgesprochen schnell. Gleichzeitig ist die Transformation nicht spektakulär und impliziert nicht, dass keine Gedanken mehr entstünden. Doch die Gedanken sind nun eher wie Luftblasen, die an die Wasseroberfläche steigen und platzen: Wir wissen um sie und lassen sie gleich wieder los. Normalerweise folgen wir hingegen den Gedanken, die uns durch den Kopf gehen. Statt sie einfach aufsteigen und wieder verschwinden zu lassen, wie sie es natürlicherweise tun würden, schaffen wir ein Hirngespinst.

Nichts von alledem können Sie willentlich tun, so funktioniert Loslassen nicht. Das wäre verrückt. Gibt es überhaupt jemanden, der loslassen würde? Sie können sich nicht zwingen, dies zu tun oder sich selbst und andere anzunehmen. Was Sie allerdings sehr wohl tun können, ist, zu erfahren, dass Sie es nicht akzeptieren. Wie lange können Sie sitzen und in dieser Nichtakzeptanz sein? Die meisten schaffen das nur drei oder vier Sekunden lang. Doch je mehr wir im direkten Erleben der Dinge sind, desto weniger wollen wir die Situationen verändern und desto geringer ist unser Wunsch zu urteilen. Und es erübrigt sich zu sagen, dass ein Leben, das sich aus dieser Art der Praxis nährt, mitfühlender, offener und friedvoller ist. Was weder bedeutet, dass man nicht für Dinge kämpft, noch, dass man alles geschehen lässt. Aber man tut, was man tut, nun mit einer ruhigen und achtsamen Einstellung.

Eine solche wirkliche Erfahrung fühlt sich anfangs vielleicht wie ein großer Verlust an – der Verlust dessen, was wir zu sein glauben, dessen, was wir für unsere Identität halten. Das wirkt erst einmal bedrohlich. Auch wenn wir in Wirklichkeit natürlich nichts verlieren, haben wir Angst davor, unser Bild davon aufzugeben, was wir glauben zu sein, zu tun zu haben, besitzen zu müssen, sowie davor, uns von der Idee zu verabschieden, dass wir nicht geliebt werden oder dass das so furchtbar ist. Nichts von alledem gibt es, wenn wir im reinen Erleben sind.

Selbst wenn wir unsere Gedanken nicht mögen und vielleicht sagen: »Viele von ihnen gefallen mir nicht«, sind sie uns wohlbekannt. Und wir leben lieber mit etwas, das wir gewohnt sind, als in unbekannte Gewässer zu tauchen. Das ist der Grund, warum uns Praxis so schwerfällt. Aber sie ist möglich.

Das Geheimnis der Veränderung

Unser wundervolles, fließendes und unglaubliches Leben macht keine Pause. Es vollzieht sich in jeder Sekunde, ganz gleich, ob wir es mögen oder nicht. Das Spektrum an Verhaltensweisen, mit denen wir versuchen, diese umfassende Erfahrung zu verarbeiten und auf sie zu reagieren, ist hingegen sehr festgelegt, eng und begrenzt.

Das Geheimnis liegt darin, das gesamte Leben genau so zu erleben, wie wir es erfahren. Sagen wir, wir schaffen es für ein paar Minuten, unsere Empfindungen wirklich zu erleben, statt wie üblich davor fortzulaufen, darüber nachzudenken, sie zu analysieren, eine Tablette zu schlucken, uns zu betrinken oder was wir sonst tun, um sie nicht spüren zu müssen. Gelingt es uns jedoch, tatsächlich mit dem Schmerz zu sein sowie ihm eine freundliche und neugierige Einstellung entgegenzubringen, beginnen wir uns zu verändern. Wenn wir hingegen über alles im Leben einen Gedanken stülpen, halten wir das Leiden nur weiter fest. Es kann sich nicht bewegen. Es kann nichts tun. Es sitzt einfach nur da und macht uns wahnsinnig.

Können wir unser gedankenbasiertes persönliches Verlangen, die Dinge möchten sich auf bestimmte Art entwickeln, loslassen, beginnt der Schmerz, den wir empfinden, sich in Öffnung zu verwandeln. Und in diesem Moment wird das Gefühl klar und ruhig, lässt Raum für Stille und Staunen. Und zum Schluss bleibt nichts – nur dieses Staunen. Diese Quelle der Ruhe liegt hinter all unseren Schwierigkeiten und schenkt uns wahre Freiheit. Wie auch immer Sie es nennen möchten, es ist da.

Was wollen Sie wirklich?