Zen und die Kunst, mit schwierigen Menschen umzugehen - Mark Westmoquette - E-Book

Zen und die Kunst, mit schwierigen Menschen umzugehen E-Book

Mark Westmoquette

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Beschreibung

Manchmal sind andere Menschen eine echte Herausforderung – Arbeitskollegen, Mitreisende, Nachbarn, aber auch Freunde und Familie. Jeder kennt das – aber hängt es nicht auch von unserer eigenen Einstellung ab? Zen-Mönch, Yogalehrer und Achtsamkeitstrainer Mark Westmoquette zeigt uns spielerisch und humorvoll, wie wir mithilfe von einfachen Zen- und Achtsamkeitspraktiken besser mit schwierigen Menschen umgehen können. Denn vielleicht ist es ja besser für uns, den überkorrekten Kollegen oder den aufdringlichen Nachbarn als nützliche Lehrer und »lästige Buddhas« zu begreifen, um an ihnen zu wachsen statt uns aufzuregen.

Lebensnah und mit einem Augenzwinkern die Grundlagen des Zen-Buddhismus kennenlernen: für mehr Gleichmut, Freundlichkeit und Selbsterkenntnis.

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Seitenzahl: 317

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Mark Westmoquette

Zen und die Kunst,

mit schwierigen Menschen umzugehen

Aus dem Englischen vonFelix Mayer

Anaconda

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt undenthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugteNutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzungdurch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitungoder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere inelektronischer Form, ist untersagt und kann straf- undzivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Titel der englischen Originalausgabe

Zen and the Art of Dealing with Difficult People

First published in the UK and USA in 2021 by Watkins,

an imprint of Watkins Media Limited

Unit 11, Shepperton House, 83–93 Shepperton Road,

London N1 3DF

© Watkins Media Limited 2021

Text copyright © Mark Westmoquette 2021

All rights reserved

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung.

© dieser Ausgabe 2023 by Anaconda Verlag, einem Unternehmender Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotive: shutterstock.com / BigGraphic (Hintergrund),Illustration aus dem Innenteil der Originalausgabe

Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de

Satz und Layout: InterMedia – Lemke e. K., Heiligenhaus

ISBN 978-3-641-30310-5V001

www.anacondaverlag.de

So wie Kinder angeblich das Verhalten ihrer Elternwiderspiegeln, spiegeln auch alle Menschen, mit denenwir in Kontakt kommen, unser eigenes Verhalten wider.Wenn wir daher unser Herz öffnen und uns aufrichtig umVerständigung bemühen, wird unser Gegenüber esuns gleichtun. Daher bitte ich Sie: Richten Sie Ihr Leben an derFrage aus, was Sie für andere tun können, und nicht daran, wasandere für Sie tun können. Öffnen Sie im Umgang mit anderenIhr Herz und bemühen Sie sich aufrichtig um Verständigung.1

Mitsunaga Kakudo, Mönch der japanischenTendai-Schule des Buddhismus

1 Mitsunaga Kakudo (1996), zitiert in: S. G. Covell, »Learning to Persevere: The Popular Teachings of Tendai Ascetic«. In: Japanese Journal of Religious Studies, 2004, 31, S. 255–287.

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Erster Teil

Lästige Menschen als Lehrmeister

1 – Achtsamkeit und Einfühlung

2 – Mangelnde Regulierung – warum schwierige Menschen uns in den Wahnsinn treiben

3 – Muster und Vorlieben – Bewältigungsstrategien

4 – Durch Mitgefühl zu mehr Milde

Zweiter Teil

Schauplätze problematischer Begegnungen

5 – Mitreisende als Buddhas

6 – Buddhas am Arbeitsplatz

7 – Freunde als Buddhas

8 – Nachbarn und Mitbewohner als Buddhas

9 – Partner als Buddhas

10 – Buddhas in der Familie

11 – Lehrer als Buddhas

Dritter Teil

Hochproblematische Buddhas

12 – Monster-Buddhas

13 – Wir selbst als Buddha

Vierter Teil

Lästige Menschen als Buddhas erkennen

14 – Die Buddha-Natur

15 – Das innere Heiligtum

Übersicht: Die verschiedenen Herangehensweisen

Danksagungen

Vorwort

Buddhas begegnen uns als lästige Gestalten; das lehren die ­Alten Punkt für Punkt.

Keizan2

Als junger Novize des Zen-Buddhismus war ich ständig dicht von anderen Menschen umgeben. Ich hatte keine Möglichkeit, mich zurückzuziehen. Sieben Jahre lang lebte ich auf der Fläche einer Strohmatte im Meditationssaal eines Klosters, umgeben von zwanzig anderen Mönchen. Dort meditierten und schliefen wir, manchmal aßen wir dort auch. Das Leben war so organisiert, dass wir durch nichts abgelenkt wurden. Die Ausbildung wurde gerne mit dem Prozess in einer Schleiftrommel verglichen. Durch die unvermeid­lichen, durch Selbstsucht ausgelösten zwischenmenschlichen Spannungen sollten wir Neulinge uns aneinander reiben, sodass wir, die wir als rohe Kiesel angetreten waren, zu polierten Edelsteinen würden. Manchmal kochten die Emotionen hoch. Das einzige Mal, dass ich in meinem Leben Mord­gedanken gegen einen Menschen hegte, war in jener Zeit. In unserer kleinen Welt gab es mehrere Selbstmordversuche, einer davon war erfolgreich.

In den meisten Fällen hatte die Lehrzeit jedoch deutlich andere Folgen. Ich habe gesehen, wie aus diesem Prozess des Abschleifens seelisch ausgeglichene, selbstlose und gleichsam innerlich leuchtende Menschen hervorgegangen sind. Die wichtigsten Begriffe unserer Arbeit waren Klarheit und Bewusstheit. Kamen geistiger Großmut, Humor und Mitgefühl hinzu, konnte der Transformationsprozess durchaus rasch vonstattengehen. Das obige Zitat, eine freie Übersetzung eines Satzes aus dem Werk des japanischen Zen-Meisters Keizan (1268–1325), führten unsere Lehrer oft im Munde.

Ein lästiger oder problematischer Buddha ist eine Person, die bei uns bestimmte wunde Punkte trifft und dadurch Empfindlichkeiten oder verborgenen Unmut freilegt sowie Gereiztheit, Missgunst oder unangemessene Reaktionen hervorruft. Keinem Leid kann man beikommen, indem man sich abstrakt mit ihm auseinandersetzt. Erst wenn uns diese Dinge zu Bewusstsein kommen, bietet sich uns die Möglichkeit, sie zu lösen.

Der Schlüssel zu diesem Transformationsprozess besteht in der Erkenntnis, welche Chancen im Schmerz liegen. Es ist so leicht, andere Menschen, das System oder die Vergangenheit für unseren Schmerz verantwortlich zu machen, und auch ich habe das früher die meiste Zeit getan. Man kann auch sich selbst die Schuld zuschreiben, oder solche würdelosen, unsozialen Empfindungen sogar negieren.

Das Leben in einem Zen-Kloster ist jedoch darauf ausgelegt, dass man diese inneren Haltungen nicht auf Dauer aufrechterhalten kann. Wenn alles gut geht, gelingt es dem Schüler irgendwann, »das Licht der Lampe umzudrehen«, ganz beim Schmerz zu sein und sich seiner bewusst zu werden, ohne ihn zu verurteilen oder auf ihn zu reagieren. In diesem Zustand der mitfühlenden Bewusstheit entwirren sich die körperlichen, energetischen, emotionalen und geistigen Dimensionen des Leids, was schließlich zu einer »Reintegration« (um den jungschen Terminus zu gebrauchen) und zu einer neuen, harmonischen Beziehung zum Ganzen führt.

All das kann jedoch nur in Gang kommen, wenn sich das Leid überhaupt erst manifestiert. Also ist eine problematische Person in dem Moment, in dem wir ihr begegnen, im Grunde der eigentliche Lehrer, der Buddha. Doch wie genau lehrt sie uns etwas? Subjektiv empfinden wir diesen Prozess möglicherweise als ziemlich unbarmherzig. Solange wir nicht zum Kern vorgedrungen sind, wird der damit einhergehende Schmerz immer wieder auftauchen. Ein spirituell geprägtes Dasein stellt man sich oft als ein Leben vor, das sich weit entfernt von den Ablenkungen und den dramatischen Ereignissen der menschlichen Welt abspielt. Natürlich ist es möglich, in solcher Zurückgezogenheit zu leben. So stand etwa ­Buddha, nachdem er unter dem Bodhibaum zur Erleuchtung gelangt war, vor der Wahl. Er konnte an Ort und Stelle sitzen bleiben, in Frieden und Einsamkeit die Früchte seiner erfolgreichen Suche genießen und ein pratyekabuddha werden, ein schweigender Buddha. Er konnte aber auch aufstehen und die mühevolle Aufgabe auf sich nehmen, andere zu lehren, sich ihrem Leid zu stellen. Dass wir heute noch von ihm wissen, zeigt uns, wie er sich entschieden hat, und es zeigt seine Haltung des Mitgefühls, die mehr als nur den persönlichen Nutzen im Blick hat.

Seitdem er begonnen hatte, andere zu unterweisen, warb Buddha für das Ideal der sangha, der spirituellen Gemeinschaft. Darüber hinaus sagte er, er verkünde »solch eine Lehre, nach der man mit niemandem in der Welt streitet«3. Bis heute gelten Uneinigkeit und Spaltung der sangha als äußerst schwerwiegende Angelegenheiten. Warum ist die soziale Dimension der buddhistischen Praxis von so großer Bedeutung? Wir Menschen sind Herdentiere, und bedingt durch den sogenannten Effekt der sozialen Nähe nehmen wir unvermeidlich immer mehr die Züge jener Menschen an, mit denen wir die meiste Zeit verbringen. Doch die Zen-Tradition betont nicht nur die gegenseitige Unterstützung und Stärkung innerhalb der Gruppe, sondern verweist auch darauf, welche Möglichkeiten des Wachstums sich uns innerhalb der sangha bieten, wenn wir einander in geistreicher oder auch provokanter Weise herausfordern:

Eines Tages sandte der Zen-Meister Obaku (gest. 850) seinen Schüler Rinzai mit einem Brief zu einem anderen Zen-Kloster.

Dort war zu jener Zeit Gyosan der Klostervorsteher. Er nahm den Brief entgegen und fragte: »Dieser Brief kommt von Obaku. Doch was hat sein Sondergesandter damit zu tun?«

Daraufhin verpasste Rinzai ihm eine Ohrfeige.

Gyosan gebot ihm Einhalt und sagte: »Mein älterer Bruder, da du die Sache verstanden hast – belassen wir es dabei.«4

Nachdem mein japanischer Lehrer, der Zen-Meister Shinzan, während des Studiums alter zen-buddhistischer Schriften unverhofft festgestellt hatte, dass das Erwachen bei den meisten Schülern durch eine Form der Interaktion ausgelöst wird, entwickelte er ein Vorgehen, bei dem man sich gegenseitig erforscht und das er »Gruppen-Sanzen«5 nannte. Wir bei Zenways setzen diese Arbeit fort, unter anderem mit Re­treats zum Thema »Durchbruch zu Zen«. Diesen Moment der Veränderung in einem anderen Menschen mitzuerleben, ist in meinen Augen eine der ehrfurchtgebietendsten und schönsten Erfahrungen, die man als Mensch machen kann.

Beim gemeinsamen Üben mit anderen geht es jedoch nicht nur um unsere Entwicklung als menschliche Wesen auf einer höheren Stufe. Während er unermüdlich jene aus seiner sangha lobte, die Mitgefühl, Liebe und Weisheit verkörperten, musste Buddha gegen Ende seines Lebens Unmengen Zeit und Kraft aufwenden, um ausfällig gewordenen Anhängern zu begegnen, falschen Anschuldigungen wegen sexuellen Fehlverhaltens oder auch weltlichen Bestrebungen, die bis zu Mordversuchen führten. Obwohl er erleuchtet war, musste er sich mit derlei Dingen beschäftigen. Und wenn das für Buddha galt, dann gilt das auch für uns. Auch wenn die Pflege des eigenen Selbst noch so tief geht und noch so große Veränderungen hervorruft, werden wir uns in der buddhistischen Übung auch immer mit der Seifenoper des menschlichen Lebens auseinandersetzen müssen – ein Leben lang. In welchen Gefilden wir uns auch bewegen, unsere Gefährten sind ziemlich sicher nicht vollkommen; unsere Lehrer und Ranghöheren sind ziemlich sicher nicht vollkommen; und auch wir selbst sind ziemlich sicher nicht vollkommen.

Weil das Leben in unserer modernen Welt so kleinteilig ist, kann ein buddhistischer Laie ohne Weiteres auf die harte Arbeit der Interaktion in einer menschlichen sangha verzichten und in Zurückgezogenheit leben. Doch wer sich hierfür entscheidet, dem entgeht unendlich viel. Wenn wir uns dem Leben entziehen, werden wir niemals lästigen Buddhas begegnen. Als ich anfing, Zen außerhalb des klösterlichen Rahmens zu lehren, suchte ich nach Wegen, wie die Schüler die Möglichkeiten dieser auf Veränderung abzielenden Form der buddhistischen Übung nutzen konnten.

Schauplätze gab es ausreichend. Familie, Beruf, der Freundeskreis – überall sind in großer Zahl lästige Buddhas anzutreffen. Als ich gebeten wurde, einen Lehrplan für die Ausbildung von Zen-Lehrern zu entwickeln, wollte ich darüber hinaus den Schülern vielfältige Gelegenheiten bieten, durch die zwischenmenschliche Reibung zu lernen, die auch am Anfang meines Weges gestanden hatte. Unsere sangha bildet ein Kloster ohne Mauern. Zen-Lehrer in der Ausbildung arbeiten mit mir und ebenso mit ihren rohen und ungeschliffenen Mitschülern.

Vor einiger Zeit saß ich mit Mark Kuren Westmoquette zusammen und wir sprachen über diesen Aspekt der zen-­buddhis­tischen Übung. Wie Mark mir später erzählte, war dieses Gespräch der Ausgangspunkt für das vorliegende Buch. Marks Geschichte ist ein erhellendes Beispiel dafür, was alles möglich ist. Er kam vor fast fünfzehn Jahren zu mir, ein schüchterner und unbeholfener Astrophysiker. Allein schon anderen Menschen in die Augen zu sehen, fiel ihm schwer. Er hatte eine problematische und schmerzvolle Kindheit durchlebt und erkannt, dass die abstrakte Welt dieser komplexen Wissenschaft ihn angezogen hatte, weil sie in sicherer Entfernung zum Schmerz des menschlichen Daseins und zur Unordnung des sozialen Lebens lag. Ebenso war er sich bewusst, dass ihm diese Distanz nicht guttat, und er war auf seine stille Art entschlossen, einen anderen Weg zu finden.

Mark wurde ein aktives Mitglied der buddhistischen Gemeinschaft von Zenways, und dabei hat er viele der zwischenmenschlichen Stresssituationen und Wachstumschancen, die er in diesem Buch beschreibt, selbst erfahren oder beobachtet. Gleichzeitig setzte er sich intensiv mit den lästigen Buddhas in seiner Familie und in der von brutalem Wettbewerb geprägten akademischen Welt auseinander.

2009 begann er die Ausbildung zum Zen-Yogalehrer und begegnete dabei zum ersten Mal der Energie und dem Glück, das achtsamkeitsbasiertes Üben beschert, sowie der Kraft, die in tiefgründigen Beziehungen mit anderen Menschen liegt.

Im Lauf der Zeit veränderte sich sein Leben. Zuvor hatte er all seinen Schmerz nur mit sich selbst ausgemacht. Jetzt verspürte er den sehnlichen Wunsch, sich verstärkt Menschen anstatt entlegenen Sternen zuzuwenden, und er begann, hauptberuflich Zen-Meditation und Yoga zu unterrichten, arbeitete als Seelsorger im Krankenhaus, leitete Zen-Übungsgruppen für Strafgefangene und Obdachlose und stand mir unzählige Stunden als Assistent zur Seite.

Im Jahr 2010, während eines Retreats in Gyokuryuji in Zentraljapan, im Tempel meines Lehrers, trug seine Übungspraxis üppige Früchte. Der Zen-Meister Shinzan nahm mich zwischen zwei Meditationseinheiten zur Seite und flüsterte mir auf Englisch vier Worte zu: »Red hair open eye.« Mark, der rotes Haar hat, hatte das Tor zu kensho durchschritten, dem »Erkennen der eigenen Natur«.

Nach den folgenden Jahren, in denen er weiter reifte und seine Übungspraxis weiterentwickelte und auch einmal eine Zeit lang als ordinierter Zen-Mönch über Englands Straßen wanderte und von Lebensmittelspenden lebte, ernannte ich Mark 2015 zum Zen-Lehrer.

Im Lauf der Jahre waren seine Selbstsicherheit und seine Präsenz bei Begegnungen mit anderen Menschen stark gewachsen. Er war in der Lage, Rendezvous zu vereinbaren, und heiratete nach einer Weile. Er schrieb zwei Bücher, in denen er das äußere und das innere Universum erkundete. Nach zwölf Jahren Ausbildung im Zen-Buddhismus, größtenteils inmitten des Trubels der Interaktionen im Kreis der sangha, zog er sich für zwei Jahre auf eine abgelegene Insel im Südatlantik zurück, dachte über diesen so bedeutenden und zutiefst menschlichen Aspekt der spirituellen Praxis nach und schrieb das vorliegende Buch.

Wie er mir erklärte, war es ihm wichtig, auch die Arbeit der anderen aus der Gemeinschaft von Zenways herauszustellen und zu würdigen, von denen auf den folgenden Seiten viele bereitwillig von ihren zwischenmenschlichen Kämpfen und Lernerfolgen berichten.

Wenn Ihnen an kontemplativer buddhistischer Praxis gelegen ist, sind Sie möglicherweise einer der rund tausend Menschen auf der Welt, die als absolute Einsiedler leben. Falls nicht, ist Ihr Platz im menschlichen Geflecht aus lästigen Buddhas. Wenn dem so ist, dann ist dieses Buch für Sie. Sie finden darin eine verlässliche und praxistaugliche Anleitung, wie Sie das Blei zwischenmenschlicher Reibungen in das Gold einer Liebe verwandeln können, die Ihr ganzes eigenes Selbst, sämtliche Lebewesen und das gesamte Universum umfasst.

Ich wünsche Ihnen auf Ihrem Weg reichlich Begegnungen mit Buddhas.

Julian Daizan Skinner

Zenways Dojo, London

Rohatsu 2020

2 Jiyu-Kennett, PTNH, Zen is Eternal Life. Shasta Abbey Press, Kalifornien, 1999, S. 251.

3 Madhupindika Sutta, »Der Honigkuchen« (Mittlere Sammlung, MN 18); https://palikanon.com/majjhima/zumwinkel/m018z.html.

4 The Zen Teaching of Rinzai. Shambhala, Berkeley, 1975, S. 76.

5 Wörtlich »Zen-Studium in der Gruppe«. Mehr dazu in: J. D. Skinner (Hg.), The Zen Character: Life, Art and Teachings of Zen Master Shinzan Miyamae. Zenways Press, London, 2015.

Einleitung

Wir alle begegnen im Leben Menschen, die uns lästig sind oder uns vor Herausforderungen stellen. Sie gehen uns auf die Nerven, reizen uns bis aufs Blut oder bringen uns auf gräss­liche Gedanken. Das kann ein Kollege sein, die Nachbarin eine Etage tiefer, der Partner, die eigene Mutter oder jeder andere der Menschen, auf die wir regelmäßig oder vielleicht auch nur ein einziges Mal treffen.

Unsere Sprache kennt zahlreiche anschauliche Bilder, die beschreiben, was solche Menschen in uns auslösen. Wir sagen etwa »er geht mir auf den Zeiger«, »sie ist eine Nervensäge«, »er bringt mich auf die Palme«, »er bringt mich zur Weißglut«, »sie raubt mir den letzten Nerv« oder »wir ticken einfach unterschiedlich«. Was haben solche Leute an sich, dass sie uns Unwohlsein bereiten? Und wie können wir mit diesem Unwohlsein umgehen, sodass die Lage nicht eskaliert und noch mehr Unwohlsein entsteht? In diesem Buch werden wir die unterschiedlichsten Lebenssituationen betrachten, in denen wir es mit lästigen Menschen zu tun haben, und wir werden erkunden, wie Achtsamkeit sowie die Lehren des Zen uns dabei helfen können. Und letztlich werden diese Lehren uns zeigen, wie wir von den Menschen, die uns besonders lästig fallen, am meisten lernen können. Wir werden erfahren, wie wir in jedem einzelnen von ihnen eine schöne und einzigartige Verkörperung jenes Universums sehen können, von dem wir alle ein Teil sind – wir werden ihre Buddha-­Natur erkennen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen mit Zen vor allem tiefgehende Stille, Ruhe, Geduld und Schlichtheit verbinden und davon ausgehen, dass Leute, die Zen praktizieren, diese Eigenschaften zu jedem Zeitpunkt verkörpern. Ich praktiziere Zen nun seit über zehn Jahren, und ich kann Ihnen sagen, dass ich keineswegs andauernd eine Aura der tiefgehenden Stille verbreite – im Gegenteil, meistens kann davon keine Rede sein. Vielleicht wird es eines Tages dazu kommen, doch soweit ich es verstanden habe, ist das gar nicht das Ziel beim Zen. Im Zen geht es darum, die eigene wahre Natur zu erkennen und, sobald das gelungen ist, aus dieser Erkenntnis heraus zu leben. Doch auch wenn diese Erkenntnis erreicht ist (auf diesen Zustand werden wir im Folgenden noch näher eingehen), werden wir immer Menschen begegnen, die uns auf den Wecker gehen, vielleicht auch so sehr, dass unser Blut anfängt zu kochen und uns der Dampf aus den Ohren pfeift. Zen lehrt uns, auf diese Gefühle zu hören und anders mit ihnen umzugehen.

An wen richtet sich dieses Buch?

Dieses Buch richtet sich an alle, die lernen möchten, auf pro­blematische Menschen und Situationen mit mehr Klarheit und Umsicht zu reagieren. Vielleicht haben Sie es derzeit in unterschiedlichen Bereichen Ihres Lebens mit lästigen Menschen zu tun, vielleicht gibt es auch eine ganz bestimmte Person, die Sie regelmäßig zur Raserei treibt, oder Sie sind in verschiedenen Lebensphasen immer wieder solchen Leuten begegnet. Vielleicht haben Sie festgestellt, dass Sie auf solche Menschen oftmals auf dieselbe Weise reagieren und dass diese Art der Reaktion bei Ihnen Leid auslöst, möglicherweise sogar großes Leid. Wenn wir innerlich wachsen wollen, müssen wir uns diesem Leid stellen, müssen klar benennen, was wir empfinden und wie wir reagiert haben, und uns bemühen, dieses wiederkehrende, Leid verursachende Muster zu durchbrechen. Um dieses Buch mit Gewinn zu lesen, brauchen Sie keinerlei Erfahrung mit Achtsamkeit oder Zen zu haben (oder irgendeiner anderen Richtung des Buddhismus), und schon gar nicht müssen Sie sich als Buddhist verstehen oder irgendeiner Glaubensrichtung anhängen.

Als ich anfing, Zen zu praktizieren, riet mir mein Lehrer, das Ganze als ein wissenschaftliches Experiment zu betrachten. Mein Körper und mein Geist stellten gleichsam das Labor dar, und obwohl die Methode im Lauf zahlreicher Jahrhunderte verfeinert worden war, musste ich selbst zu einem Ergebnis und zu Schlussfolgerungen kommen. Dabei gab es keine richtige Antwort, sondern nur meine Antwort. Damals war ich um die zwanzig Jahre alt, studierte Astro­physik und hielt große Stücke auf diese pragmatische Herangehensweise. Ich hatte den Kopf voller Gleichungen, kannte nur die intellektuelle Art des Lernens und hatte mich schon jahrelang bemüht, einen Zugang zum emotionalen Anteil meiner Persönlichkeit zu finden. Heute weiß ich, dass ich mir einen solchen Gegenstand – eine vom Verstand geprägte Tätigkeit, die sich mit Dingen beschäftigt, wie sie nicht weiter von der Erde und dem wirklichen Leben entfernt sein könnten – auch deshalb ausgesucht hatte, weil ich vor etwas davonlaufen wollte.

Wer bin ich, dass ich Ihnen etwas über den Umgang mit lästigen Menschen erzähle?

Als ich dreizehn Jahre alt war, hatten meine Mutter und mein Stiefvater einen Autounfall. Mein Stiefvater kam ums Leben, und meine Mutter landete im Krankenhaus, mit Verbrennungen ersten Grades, die fast ihren gesamten Körper bedeckten. Der Unfallverursacher war ein Polizist, der gerade dienstfrei hatte und sich mit einem Freund auf der Straße ein Rennen lieferte. Er verschätzte sich, schnitt das Auto meiner Mutter, sodass sie die Kontrolle darüber verlor, auf die Gegenfahrbahn geriet und frontal in ein anderes Auto fuhr, wobei ihr eigenes in Flammen aufging. Um meiner Mutter das Leben zu retten, amputierte man ihr beide Beine und einen Arm. Sieben Jahre zuvor hatte mein biologischer Vater Betretungsverbot für unser Haus erhalten. Als ich sechs Jahre alt gewesen war, hatte meine Mutter herausgefunden, dass er mich und meine Schwester sexuell missbraucht hatte.

Im Lauf meines Lebens hatte ich mit zahlreichen Menschen zu tun, die jeweils eine ungewöhnlich große Herausforderung darstellten. Mein Vater und der Polizist, der den Unfall meiner Mutter verursacht hat, stechen da besonders hervor. Was diese beiden angeht, brauchte ich viele Jahre der Übung und des tiefen Inmichgehens, um zu einer Sichtweise zu gelangen, die den Blick nicht nur auf die entsetzlichen Dinge richtet, die sie begangen haben. Heute sehe ich in ihnen Menschen, die ihr eigenes Leid zu tragen haben, und was sie getan haben, hat mich unendlich viel über mich selbst und über die menschliche Natur gelehrt (mehr dazu im vierten Teil). Aber ich hatte oft auch mit Menschen zu tun, die sozusagen in normalem Maß lästig waren. Mehrere Jahre lang hatte ich einen Bürojob, und aus dieser Zeit ist mir noch gut der ein oder andere lästige Kollege in Erinnerung. Jahrelang pendelte ich innerhalb von London, zusammen mit allen möglichen nervigen Fahrgästen, und ich lebte in verschiedenen Wohngemeinschaften mit nicht wenigen Mitbewohnern, die auch Quälgeister sein konnten. Ich lebe seit zehn Jahren in einer Beziehung (und seit fünf Jahren sind wir sogar verheiratet). Und so schön das auch immer war – wir sind in etliche problematische Situationen geraten, durch die ich vieles gelernt habe und innerlich merklich gewachsen bin!

Der Lernprozess, der mich dazu geführt hat, lästige Menschen als die besten Lehrer anzusehen, verlief weder schnell noch problemlos, und ich bin diesen Weg auch nicht allein gegangen. Beim Verfassen dieses Buches habe ich von der Weisheit zahlreicher erleuchteter Menschen profitiert. Nicht nur habe ich über zehn Jahre lang unter der Anleitung eines Meisters und in einer Gemeinschaft Zen praktiziert sowie zwanzig Jahre lang Yoga bei mehreren herausragenden Lehrern, sondern war auch dreieinhalb Jahre lang in psychotherapeutischer Behandlung. Ein roter Faden, der sich durch all diese Bereiche der persönlichen Entwicklung zog, war das Üben von Achtsamkeit.

Achtsamkeit ist im Kern eine Technik, um die Dinge deutlicher wahrzunehmen, sie sein zu lassen und sie loszulassen. Die Klarheit, die wir gewinnen, wenn wir die Dinge so sehen, wie sie sind, liefert uns die Informationen, die wir brauchen, um in besonnener Weise zu entscheiden, wie wir weiter vorgehen. Das ist eine der wichtigsten Fähigkeiten im Umgang mit lästigen Menschen.

Ich würde nicht behaupten wollen, dass ich in dieser Hinsicht alles im Griff habe. Beim Umgang mit den anspruchsvollen Fragen, die wir in diesem Buch behandeln, sollte man sich durchaus auch erlauben, einmal zu sagen: »Ich weiß es nicht.« Noch immer ärgern oder verdrießen mich bestimmte Menschen, und ich verliere den Blick für ihr eigenes Leid sowie dafür, dass auch sie Teil des großen Ganzen sind. Ich bin nicht perfekt und entwickle mich laufend weiter – so wie wir alle, bis zur Stunde unseres Todes.

Der Lehrmeister auf dem Parkplatz

Aber wie genau schaffen wir es, in einem nervigen Menschen den besten Lehrmeister zu sehen? Das klingt doch absurd! Nehmen wir ein konkretes Beispiel. Sie stehen mit Ihrem Auto auf einem Parkplatz und wollen es gerade in eine freie Lücke manövrieren, und da schlüpft jemand anders vor Ihnen hinein und tut so, als hätte er Sie nicht gesehen. Eine normale impulsive Reaktion (eine ohne bewusste Entscheidung) könnte sein, herumzuschreien, zu fluchen und den Gedanken zu hegen, mit dem Schlüssel das Auto des anderen zu zerkratzen. Was soll ein solcher Mensch Sie lehren können außer dem, wie Sie sich nicht verhalten sollten? Und wie gelingt es Ihnen, das im Kern gute Wesen des anderen zu erkennen und ihn als jemanden zu sehen, mit dem Sie in Verbindung stehen? Das klingt nach einer Mammutaufgabe. Das ist es auch – aber es ist zu schaffen. Der erste Schritt besteht darin, dass Sie aufrichtig dazu bereit sind, Ihr Verhältnis zu diesem problema­tischen Parkplatzklauer unter die Lupe zu nehmen.

Eine erste Reaktion könnte sein, dass Sie sich ärgern – der andere ist egoistisch, weil er Ihnen etwas weggenommen hat, das eigentlich Ihnen gehörte (den freien Parkplatz), und indem er Sie ignoriert hat, hat er Ihnen zu verstehen gegeben, dass Sie keine Rolle spielen, oder noch schlimmer: dass Sie überhaupt nicht da sind. Diese Gedanken, die Ihre anfängliche Haltung prägen, gründen auf der klaren Trennung zwischen »dieser Typ« und »ich«. Wenn wir uns jedoch unsere Empfindungen auf ehrliche Art bewusst machen und sie unvoreingenommen betrachten, wird sich diese anfängliche Haltung früher oder später erweitern und einen ganzheitlicheren Charakter annehmen. Als Erstes können wir erkennen, dass unsere Reaktionen von Gewohnheiten, Erfahrungen aus der Vergangenheit und unserem eigenen Leid bestimmt werden. Vielleicht waren Sie in Eile, oder Sie waren aufgeregt wegen dem, was Sie anschließend erwartete. Vielleicht hatten Sie Schwierigkeiten beim Einparken und waren deshalb schon ein wenig frustriert. Vielleicht wurde Ihre Reaktion durch die Automarke des anderen verstärkt, weil Sie feste Vorurteile gegenüber den Fahrern dieser Marke hegen. Und war der freie Parkplatz überhaupt »Ihrer«? Vielleicht hat der andere Sie ja wirklich nicht gesehen.

All diese Überlegungen sollen keinesfalls Leute freisprechen, die Ihnen in böswilliger Manier den Parkplatz wegnehmen, aber allein schon indem wir uns solche Fragen stellen, verliert unsere Haltung an Starrheit. Und die Art und Weise, wie wir impulsiv handeln oder denken, kann uns zeigen, wo es bei uns hakt, wo eingeschliffene Verhaltensmuster und Gewohnheiten uns im Griff haben. Außerdem können wir, wenn wir eine weniger starre Haltung einnehmen, über das ärgerliche Verhalten des anderen hinwegsehen und den Blick auf den Menschen richten, der dahintersteht – ein Mensch, der seine eigenen Gewohnheiten und Erfahrungen aus der Vergangenheit hat und der sein persönliches Leid zu tragen hat. Vielleicht war er furchtbar in Eile, weil er ein krankes Familienmitglied abholen musste oder zu spät zu einem Vorstellungsgespräch kam. Vielleicht hat er nach einem einschneidenden Ereignis in seinem Leben eine bestimmte Haltung entwickelt, um sich selbst zu schützen. Vielleicht haben die Umstände seines Lebens egoistisches Verhalten gefördert. Wir wissen es einfach nicht.

Wenn wir uns entspannen und unseren Blickwinkel erweitern, reagieren wir nicht mehr so impulsiv auf den Anlass des Ärgers. Natürlich ist das entsprechende Gefühl noch da, vielleicht sogar in derselben Intensität, aber wir klammern uns nicht mehr so stark an diese Emotionen und richten unser Handeln nicht mehr so sehr an ihnen aus. Langsam und schrittweise können wir uns sodann weiter aus der Starre lösen. Vielleicht verspüren wir dann auch Dankbarkeit gegenüber diesem anderen Menschen, weil er uns gezeigt hat – uns gelehrt hat –, an welcher Stelle wir instinktiv einen Schutzzaun errichten und aus einem Gefühl des Getrenntseins he­raus handeln, aus dem Gefühl heraus, dass »der da« »mir« etwas antut und dass »ich« eigentlich etwas anderes verdiene. Wenn wir wirklich ehrlich und aufrichtig mit uns selbst umgehen, können wir uns, ausgehend von dieser Erkenntnis, selbst annehmen, uns aus der Starre lösen, wachsen und gesunden. Auf diese Art und Weise wird jede herausfordernde Situation oder Begegnung mit einem lästigen Menschen zu einer Gelegenheit, mit mehr Weisheit und Mitgefühl zu handeln.

Aber der Samen von Weisheit, Mitgefühl und Dankbarkeit kann auch zu einer gänzlich neuen Sichtweise auf die Menschen heranwachsen, über die wir uns ärgern oder die uns auf die Nerven gehen. Für gewöhnlich betrachten wir uns selbst und den oder die anderen als getrennte Wesen. Wir sagen: »Hier bin ich, hier ist meine ›Grenze‹, und dort bist du«, oder: »Ich bin so ein Mensch, und du bist so ein Mensch«. Diese Denkweise beruht auf dem Prinzip der Trennung und Unterscheidung. Das Zen-Denken betont jedoch, dass ein solches starres und auf Trennung basierendes Weltbild nur einen ­Aspekt des Wesens der Dinge darstellt.

Das Erlebnis des Erwachens (oder der Erleuchtung) besteht darin, die andere Perspektive zu erkennen und sie selbst zu erleben: dass das Leben im Fluss ist, dynamisch und ständiger Veränderung unterworfen, und dass wir alle nur vorübergehende, in diesem Augenblick präsente Emanationen des Universums sind. Oder, wie mein Zen-Lehrmeister sagen würde: »Wir erkennen, dass wir nicht so sehr ein Ding inmitten einer Welt aus Dingen sind, sondern ein Prozess in einer Welt aus Prozessen.« Ich selbst bin durch folgendes Bild zu einem Verständnis dieser beiden Weltsichten gelangt: Ich stelle mir eine Bergkette vor, die von einer Wolkendecke eingehüllt wird, aus der nur die felsigen Gipfel herausragen. Diese Gipfel erscheinen uns als vereinzelt, voneinander getrennt und unveränderlich – wie die Begriffe von »Ich« und »Du«, oder wie Gegenstände, etwa eine Wand oder ein Tisch. Doch wenn sich die Wolkendecke auflöst, erkennen wir, dass die Gipfel durch die Talsohlen miteinander verbunden sind. Jeder einzelne Berg ist ein Teil der gesamten Kette, und so sind auch Ich und Du, die Wand und der Tisch allesamt miteinander verbunden und nur voneinander verschiedene Teile eines Ganzen. Und sie sind auch nicht wirklich unveränderlich. Sie wandeln sich (wenn auch im Fall der Berge sehr langsam).

In dieser ganzheitlichen Sichtweise ist der Mensch, der Sie auf die Palme gebracht hat, so sehr von Ihnen getrennt wie Ihre linke Hand von Ihrer rechten. Sie und der andere erschaffen die jeweilige Situation gemeinsam. So wie Sie ist auch der andere eine vorübergehende Manifestation des einen, ungeteilten Universums. Den anderen so zu sehen, heißt in der Sprache des Zen, seine Buddha-Natur zu erkennen. Doch wie man es auch nennt – das leuchtende Wesen eines Menschen, seine wahre Natur –, gemeint ist immer dasselbe. Der andere ist ein Buddha, der uns in lästiger Gestalt entgegentritt.

Worum es in diesem Buch geht – und worum nicht

Dieses Buch stellt eine von Achtsamkeit geprägte Herangehensweise an das Problem vor, wie wir mit den unterschiedlichsten Arten von schwierigen Menschen umgehen können. Achtsamkeit zu üben bedeutet, alles, was sich in unserem Inneren bemerkbar macht, in seinem ganzen Umfang wahrzunehmen und anzuerkennen; das gelingt am besten, wenn wir die Dinge nicht als gut oder schlecht beurteilen, nicht meinen, dass sie so sein sollten, wie sie sind, oder dass sie eben nicht so sein sollten, und sie weder willkommen heißen noch ablehnen. Wenn wir eine achtsame Haltung pflegen, beschäftigen wir uns nicht vorrangig mit dem Inhalt dessen, was unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht, etwa mit den Fragen, wer was gesagt hat oder warum und weshalb es zu einer bestimmten Situation oder einem bestimmten Geschehen gekommen ist. Vielmehr geht es um unser Verhältnis zu diesen Phänomenen. Daher werde ich Ihnen keine Schritt-für-Schritt-Anleitung vorlegen, wie Sie mit bestimmten Sachlagen und Situationen am besten umgehen, sondern Ihnen verschiedene Techniken vorstellen, mit denen Sie im konkreten Fall das beste Vorgehen ermitteln können. Wenn das Verhalten einer lästigen Person jedoch übergriffig oder missbräuchlich wird, sollten Sie sich an jemanden wenden (etwa an einen professionellen Coach oder Therapeuten), der ihnen in der konkreten Lage rasch helfen kann.

Dieses Buch will Sie davon wegführen, Ihre Klagen und Nöte einfach nur aufzuzählen. Zu klagen und ganz allgemein über das Leben zu jammern, kann befreiend sein, doch wenn wir unserem Verdruss Aufmerksamkeit (und damit auch Energie) widmen, ohne uns Gedanken darüber zu machen, was wir dagegen tun können, gießen wir damit nur Wasser auf die Mühlen des negativen Denkens. Wenn wir die emotionale Energie der Frustration und der Wut, die aus unseren Klagen erwächst, nicht in positive, konstruktive und heilsame Bahnen lenken, führt das unweigerlich zu unklugem oder sogar zerstörerischem Verhalten.

Im Folgenden werde ich Ihnen aufzeigen, wie Sie Ihre innere Haltung erweitern und sich aus der Erstarrung lösen können, und wie Sie zu einer Haltung der Güte gelangen und Einsichten über sich selbst und die Welt, in der wir leben, gewinnen. Dadurch werden Sie lernen, den Wesenskern und die wahre Natur aller Menschen zu erkennen, denen Sie begegnen, seien es lästige oder umgängliche.

Wie es weitergeht

Im ersten Teil werden wir der Frage nachgehen, wie schwierige Menschen, denen wir im Leben begegnen, für uns zu Lehrmeistern werden können. Die Grundsteine dieses Lernprozesses sind Achtsamkeit und Einfühlung – wenn wir nicht äußerst wachsam auf unsere Gefühle und unser Handeln ­blicken sowie auf die Gefühle der anderen, haben wir nicht die geringste Chance, die Art und Weise zu verändern, wie wir mit schwierigen Menschen umgehen, und aus solchen Begegnungen zu lernen. Wir werden der Frage nachgehen, warum wir, konfrontiert mit einem lästigen Menschen, Schwierigkeiten mit der emotionalen Selbstregulation haben, warum es uns schwerfällt, unser Verhalten zu kontrollieren, unsere Wut im Zaum zu halten und nichts zu tun oder zu sagen, was wir später vielleicht bereuen. Ich werde erläutern, wie vor allem zwei Faktoren unsere emotionale Steuerung durcheinanderwirbeln: der Abwehrmechanismus gegen Bedrohungen (das Hochziehen eines Schutzzaunes und in der Folge eine eingeschränkte Wahrnehmung) und das Gefühlschaos, das daraus folgt (das uns mit sich reißen und so dicht werden kann, dass wir nicht mehr klar sehen können).

In einer problematischen Beziehung mit echter Bewusstheit und Güte aufzutreten, ist nicht leicht und erfordert Mut, Geduld und Mitgefühl. Wir werden erörtern, warum es so wichtig ist, unserem inneren Erleben mit aufrichtiger Offenheit zu begegnen, mag es auch noch so problematisch, schmerzbehaftet oder verwirrend sein. Gefühle senden uns letztlich wichtige Botschaften, und wenn wir sie unterdrücken, ignorieren oder nicht in der Lage sind, sie in ihrer ganzen Bedeutung anzuerkennen, verlieren wir den Kontakt zu dem, was in uns wirklich vor sich geht. Anschließend werden wir besprechen, wie wir die Fähigkeit zur emotionalen Steuerung wiederherstellen können, sowohl wenn wir allein sind, als auch in der sicheren Gemeinschaft vertrauter Menschen.

Abgesehen davon, dass wir alle im Eifer des Gefechts mal ausrasten, hat jeder und jede von uns ein bevorzugtes Muster, wie er oder sie auf Schwierigkeiten in Beziehungen zu anderen Menschen reagiert und sie bewältigt. Manche brausen auf, andere ziehen sich zurück, und wieder andere wollen die Lage um jeden Preis beruhigen, um Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen. Daher können wir aus problematischen Begegnungen vieles über unsere allgemeinen Haltungen und Gewohnheiten lernen. Wenn wir über diese charakteristischen Verhaltensweisen sprechen, werde ich etliche Beispiele anführen und auch ein paar Zen-Koans vorstellen (das sind kurze Anekdoten oder Sentenzen, die eine spirituelle Lehre beinhalten), die uns helfen, den Blick auf jene Gebiete zu richten, auf denen wir uns verstricken, sowie darauf, wie wir uns aus diesen Verstrickungen befreien können.

Zum Abschluss werden wir uns Gedanken darüber machen, wie wichtig Mitgefühl ist. Je mehr wir erkennen und akzeptieren, wie wir uns lästigen Menschen gegenüber verhalten und wie unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit und unser Leid unsere Reaktionen bestimmen, desto wichtiger ist es, dass wir uns selbst mit ebenso viel Mitgefühl begegnen wie allen anderen Menschen.

Der zweite Teil enthält einen bunten Strauß an lehrreichen Geschichten von den unterschiedlichsten Menschen, die es in verschiedenen Kontexten ihres Lebens mit herausfordernden Leuten zu tun hatten und aus diesen Erfahrungen weitreichende Lehren gezogen haben. Wir werden Beispiele aus der Arbeitswelt hören, aus Freundeskreisen, aus der Familie – von Partnern, Ehegatten oder anderen Familienmitgliedern –, aber auch von Nachbarn oder Mitbewohnern, sowie aus der großen weiten Welt, etwa von Reisegefährten. Wir werden auch erfahren, dass Vorbilder und Lehrer, insbesondere spirituelle Meister, lästige Buddhas sein können und was wir dadurch über uns selbst lernen können.

Im dritten Teil richten wir das Augenmerk auf das obere Ende der Skala der lästigen Mitmenschen; wir werden lernen, wie man mit Menschen umgeht, die uns missbraucht oder in irgendeiner Weise tiefgehenden Schmerz verursacht haben. Dabei werde ich Ihnen ein paar monsterähnliche Gestalten vorstellen, die in meinem Leben eine Rolle gespielt haben, und Ihnen aufzeigen, wie ich sehr viel über mich selbst gelernt habe, indem ich mich mit meiner Beziehung zu ihnen beschäftigt habe. Und wir werden uns mit einer weiteren lästigen Person befassen – unserem Selbst. Zwar geht es bei vielen der Aspekte, die dieses Buch behandelt, auch um unser Selbst sowie um unser Verhältnis zu der Person, die wir sind, doch hier werde ich noch ein paar weiterführende Gedanken zu diesem Thema skizzieren.

Wie problematisch ein Mensch im Umgang auch sein mag, wie nervtötend oder böswillig – niemand ist ein isoliertes Wesen, das nur für sich und aus sich selbst heraus existiert. Wir alle sind unterschiedliche Facetten ein und desselben Universums, und wir sind in ständiger Bewegung und miteinander verwoben wie die Wellen des Ozeans. Um diesen Aspekt geht es im vierten Teil. Wenn wir andere Menschen als gleichwertige Manifestationen dieses Universums ansehen, die allesamt das Potenzial haben, diese Perspektive einzunehmen, sprechen wir davon, dass wir ihr wahres Wesen oder ihre Buddha-Natur erkennen. Doch die Menschen in diesem Licht zu sehen, ist erst der erste Schritt. Als letzten Aspekt werden wir erörtern, was es bedeutet, von dieser Erkenntnis ausgehend zu handeln – spontan auf schwierige Menschen zu reagieren und dabei sowohl ihr Leid als auch ihre Buddha-Natur zu sehen und anzuerkennen.

Erster Teil

Lästige Menschen als Lehrmeister

1 – Achtsamkeit und Einfühlung

Zunächst möchte ich klarstellen, dass es in diesem Buch nicht darum geht, wie man Leute, die einem lästig sind, aus seinem Leben verbannt. Wie erleuchtet Sie auch sein mögen, es wird immer Menschen geben, die Sie auf die Palme bringen oder Ihnen den letzten Nerv rauben. Ebenso wenig geht es in diesem Buch darum, wie man lernt, solche Leute einfach zu ertragen. Wenn wir uns zum Fußabstreifer des Universums machen und anderen verletzendes Verhalten durchgehen lassen, tun wir uns selbst damit nichts Gutes – und den anderen auch nicht. Dieses Buch will darlegen, wie lästige Menschen uns Möglichkeiten eröffnen, uns persönlich weiterzuentwickeln und als Menschen zu wachsen. Insbesondere im ersten Teil geht es darum, wie Begegnungen mit nervigen Leuten Aspekte unseres Inneren erhellen können, die im Verborgenen liegen und Schmerz verursachen, sowie darum, wo wir aus ­alten Gewohnheiten heraus handeln oder in anderer Weise in unserem Handeln blockiert sind. Sobald wir uns dieser Dinge bewusst werden, können wir lästigen Menschen in klügerer Manier begegnen.

Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich auf einem Schiff auf einem Ozean und wollen einen bestimmten Hafen ansteuern. Solange Sie nicht wissen, wo Sie sind, können Sie jede beliebige Richtung einschlagen – Sie werden den Hafen nie erreichen. Der entscheidende erste Schritt besteht darin he­rauszufinden, wo Sie sind. Beim Kreuzen über die stürmischen Meere der problematischen zwischenmenschlichen Beziehungen kommt der Achtsamkeit eine entscheidende Bedeutung zu. Sie ermöglicht uns, unsere gegenwärtige Position zu bestimmen. Achtsamkeit bedeutet, die Aufmerksamkeit gezielt auf das zu lenken, was in diesem Augenblick geschieht. Auf diese Weise können wir ausmachen, an welcher Stelle der Karte wir uns befinden – indem wir Sinneswahrnehmungen registrieren, unsere Körperhaltung, Gedanken, Erinnerungen und Einfälle –, und so eine wohldurchdachte Entscheidung treffen, in welche Richtung wir den nächsten Schritt setzen.