Ziele und Werte "sozialistischer Marktwirtschaft" - Elmar Nass - E-Book

Ziele und Werte "sozialistischer Marktwirtschaft" E-Book

Elmar Nass

0,0

Beschreibung

Nach Jahrzehnten der Zurückhaltung präsentiert sich die Volksrepublik China heute als selbstbewusste Weltmacht. Dieser beispiellose Aufstieg wäre ohne die rasante gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung kaum denkbar. Dabei gibt der ordnungspolitische Rahmen bis heute Rätsel auf. In der Verfassung ist eine "sozialistische Marktwirtschaft" festgeschrieben, eine bürokratisch autoritäre Ordnung, in der der Staat und damit die Kommunistische Partei die Regeln vorgeben. Die Staats- und Parteiführung betont zudem verstärkt die nationale Sonderstellung Chinas als Gegenmodell zu den liberalen Gesellschaften des Westens und treibt gewaltige Entwicklungsprojekte voran, die auf politische Dominanz abzielen. Der Autor analysiert die aktuelle Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und legt deren Wertefundament offen. Damit wird das kritische Nachdenken über die Ordnungsethik westlicher Ökonomie und ein verantwortbares Verhalten gegenüber China angeregt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 166

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wirtschaft kontrovers

herausgegeben von Patrick Peters

Elmar Nass

Ziele und Werte „sozialistischer Marktwirtschaft“

Chinas Wirtschaft aus ordnungsethischer Sicht

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Bei den Abbildungen und Tabellen handelt es sich, soweit nicht anders beschrieben, um eigene Darstellungen.

Bemerkung zur Sprache

Mit den in dieser Studie zur Lesefreundlichkeit verwendeten maskulinen Formulierungen sind jeweils im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit alle Geschlechter mit gemeint.

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-043746-3

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-043747-0epub: ISBN 978-3-17-043748-7

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhalt

Reihenvorwort

Geleitwort von Jens Spahn

Vorbemerkung

1

China im Fokus der Ordnungsethik – ein neuer Blickwinkel

2

Methodische Voraussetzungen

2.1

Grundlagen, Aufbau und Anspruch

2.2

Ordnungstheoretische und ordnungsethische Systematik

2.3

Drei Perspektiven als Leitfaden

3

Kontexte und Fakten zur chinesischen Wirtschaftsordnung

3.1

Sino-marxistischer Rahmen

3.2

Konfuzianismus-Rezeption

3.2.1

Prägende Sozialmoral

3.2.2

Jenseits westlicher Wirtschafts- und Sozialethik

3.2.3

Mensch und Guanxi

3.2.4

Adoption durch die Kommunistische Partei

3.3

Patriotismus und/ oder Nationalismus

3.4

Marktwirtschaftliche Elemente

3.5

Wirtschaftliche Entwicklung

4

Ordnungstheoretische Thesen zum Wesen der chinesischen Wirtschaftsordnung

4.1

Herrschende chinesische Position (TT 1 zu P 1)

4.1.1

Wirtschaftstheoretische Gedanken von Justin Yifu Lin

4.1.2

Die Ära Xi Jinping

4.2

Freiheitliche Position (TT 2 zu P 2)

4.3

Neosozialistische Position (TT 3 zu P 3)

4.4

Übersicht

5

Ordnungsethische Thesen zu Wertegrundlagen der chinesischen Wirtschaftsordnung

5.1

Herrschende chinesische Position (TE 1 zu P 1)

5.1.1

Ein neuer Mensch

5.1.2

Parteiherrschaft, patriotisches Selbstbewusstsein und Erziehung zur Harmonie

5.1.3

Mensch, Staat und Wirtschaft

5.2

Freiheitliche Position (TE 2 zu P 2)

5.2.1

Adoptierte liberale Anthropologie im Überwachungsstaat

5.2.2

Dominanter Sozialismus und ökonomischer Nationalismus

5.2.3

Mensch, Staat und Wirtschaft

5.3

Neosozialistische Position (TE 3 zu P 3)

5.3.1

Der kapitalistisch korrumpierte Mensch

5.3.2

Synkretistische Wertebasis

5.3.3

Mensch, Staat und Wirtschaft

5.4

Übersicht

6

Eine vierte ordnungsethische Position

6.1

Drei diskutierte Positionen als Ausgangspunkt

6.2

Thesen zu Ethik und Wirtschaftsordnung (P 4)

6.2.1

Menschenbild: Wettbewerbsaffiner Kollektivmensch

6.2.2

Weltanschauung: Sozialismus mit notwendigen Ergänzungen

6.2.3

Angestrebte Harmonie von Mensch, Staat und Wirtschaft

6.3

Erstes Fazit

7

Eine christlich-sozialethische Bewertung

7.1

Ordnungsethische Zugabe

7.2

Christlich-ordnungsethische Perspektive

7.3

Bewertung „sozialistischer Marktwirtschaft“

7.3.1

Adoptierter Konfuzianismus und christliche Sozialethik

7.3.2

Menschen- und Gesellschaftsbild

7.3.3

Harmonie versus christliche Irenik

7.3.4

Sozialistischer Wirtschaftsstil

7.3.5

Frieden, Freiheit und Wohlstand

7.4

Zweites Fazit

8

Ausblick

Literatur

1.

Fachliteratur

2.

Gesetze und Statistikquellen

Reihenvorwort

Die Volksrepublik China hat sich in den vergangenen Jahren zu einer politischen und wirtschaftlichen Supermacht entwickelt. Die chinesische Wirtschaft ist seit 2010 nach den USA die zweitgrößte bzw. gemessen an der Kaufkraftparität seit 2016 die größte Volkswirtschaft der Welt. Aber bei aller ökonomischen Leistungsfähigkeit und allen Entwicklungspotenzialen bleibt die Volksrepublik China doch in ihrer sozialistischen Prägung verhaftet. Der Sozialismus chinesischer Prägung, von der Kommunistischen Partei Chinas 1978 geschaffen, hat daher auch die sogenannte „sozialistische Marktwirtschaft“ hervorgebracht, wie der offizielle Begriff für die Wirtschaftsordnung der Volksrepublik China nach den Reformen Deng Xiaopings lautet. Dabei werden Merkmale der Zentralverwaltungswirtschaft wie die zentrale Planung und Lenkung der Wirtschaft mit Bestandteilen der Marktwirtschaft wie freie Preisbildung oder Konkurrenz von Staatsbetrieben kombiniert, sodass eine feste Eigentumsordnung, eingeschränkte Entscheidungsbefugnisse der Unternehmen, eine vorgegebene Motivationsstruktur und die staatliche Übernahme der Koordination kennzeichnend für die „sozialistische Marktwirtschaft“ sind.

Bei der Auseinandersetzung mit diesem Wirtschaftssystem stellen sich zwangsläufig viele Fragen, und zwar aus vielerlei Hinsicht. Eine Dimension ist die wirtschaftsethische: Wie werden moralische und ethische Prinzipien und deren Einfluss auf wirtschaftliche Tätigkeiten in der „sozialistischen Marktwirtschaft“, auch normativ, zusammengebracht? Daher ist dem bekannten christlichen Wirtschafts- und Sozialethiker Prof. Dr. Dr. Elmar Nass von der Kölner Hochschule für Katholische Theologie für sein vorliegendes Werk „Ziele und Werte ‚sozialistischer Marktwirtschaft‘ – Chinas Wirtschaft aus ordnungsethischer Sicht“ zu danken. Indem er China im Fokus der Ordnungsethik betrachtet, entsteht ein neuer Blickwinkel auf das chinesische Wirtschaftssystem, um auf dieser Grundlage die Werte dieses Systems zu beschreiben und sie verantwortlich zu bewerten – denn erst dann kann es uns gelingen, nach Strategien zum Umgang mit der Sozialistisches Marktwirtschaft zu suchen.

Mit der vorliegenden Studie wird die wirtschaftsethische Diskussion zu den Wertegrundlagen der Wirtschaftsordnung Chinas nunmehr explizit gemacht und dementsprechend angestoßen. Daraus entspringt freilich zunächst ein hoher Wert an sich, aber vor allem auch für die Reihe „Wirtschaft kontrovers“, in der, dem Namen gemäß, kontroverse, aktuelle ökonomische Themen kritisch diskutiert und für ein interessiertes Publikum zugänglich werden sollen. Das mit dem westlichen Verständnis konkurrierende chinesische Wirtschaftssystem bietet dafür, gerade auch aus wirtschafts- und ordnungsethischer Perspektive, ein weites Feld. Das ordnungsethische Verstehen Chinas heute und dessen Bewertung stehen noch ganz am Anfang: Prof. Dr. Dr. Elmar Nass hilft mit seinem Band „Ziele und Werte ‚sozialistischer Marktwirtschaft‘ – Chinas Wirtschaft aus ordnungsethischer Sicht“ dabei, diese voranzutreiben.

Ebenso ist Jens Spahn, MdB, Mitglied des Präsidiums der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) und Leiter der Fachkommission Wohlstand zum Grundsatzprogramm der CDU Deutschland, in der Prof. Dr. Dr. Elmar Nass als externer wissenschaftlicher Sachverständiger mitarbeitet, für sein instruktives Geleitwort zu danken, das noch einmal eine andere Sicht auf die Fragestellung des Bandes anführt.

Mönchengladbach/Stuttgart, im Januar 2023Prof. Dr. Patrick Peters, MBA

Geleitwort von Jens Spahn

Der Aufstieg des kommunistischen Chinas ist die epochale Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Sie konfrontiert alle Staaten und Menschen, denen die bestehende internationale Ordnung am Herzen liegt. Egal welche politischen Schlüsse man daraus zieht, sicher ist: Wir müssen China und sein Handeln in der Welt besser verstehen. Elmar Nass widmet sich mit dem vorliegenden Werk dieser Aufgabe und leistet einen wichtigen Beitrag zu unserem wachsenden Verständnis.

Bislang besteht ein deutliches Ungleichgewicht: Die Volksrepublik China versteht uns besser als umgekehrt und ist uns auch in vielen Teilen der Welt einen Schritt voraus. Das liegt schon in Chinas naturgemäß größeren Kapazitäten begründet. Ein Beispiel: Deutsche Diplomaten stehen auf dem afrikanischen Kontinent einer chinesischen Präsenz gegenüber, die unsere weit übertrifft. Während 40.000 chinesische Studentinnen und Studenten in Deutschland leben, studieren gerade mal 10.000 Deutsche in China – und das war vor der Pandemie. China ist präsent, lern- und wissbegierig. Wir müssen, was das betrifft, unseren Ehrgeiz erst wieder entwickeln, uns dabei als Europäer verstehen und als Europäer gemeinsam auftreten.

Die Corona-Pandemie war ein tiefer Einschnitt in unserem Leben. Für China war sie ein Trauma, das zwar unterdrückt wird, aber unter der Oberfläche wirkt. Unseren empathischen Blick darauf sollten wir uns bei aller Konkurrenz bewahren. In der Bewältigung der Pandemie hat sich aber vor allem eines bewiesen: Die Demokratie und die soziale Marktwirtschaft können liefern. In Friedens-, aber auch und gerade in Krisenzeiten. Es ist kein Zufall, dass wir in Deutschland und Europa die Pandemie schneller überwunden haben als China es konnte. Denn auch wenn die Abhängigkeit von China gerade zu Beginn der Pandemie schmerzhaft war, etwa bei medizinischen Gütern, haben wir uns doch schnell angepasst und Abhängigkeiten reduziert. Die europäischen Demokratien haben in der Krise ihre Resilienz bewiesen.

Daran sollten wir denken, wenn uns unsere Demokratie, unser Föderalismus, unsere soziale Marktwirtschaft mit ihren Abstimmungen, Prozessen und Akteuren wieder einmal besonders mühsam erscheinen. Denn wir gewährleisten damit nicht nur eine größere Legitimität allen politischen Handelns, sondern handeln, wenn wir es richtig angehen, auch effektiver. Gerade weil wir uns als Gesellschaft und unsere politischen Entscheidungen ständig hinterfragen. Das Hinterfragen schwächt unser System nicht – weil es keine Institutionen kennt, die den Anspruch erheben, fehlerfrei zu agieren. Das Hinterfragen stärkt unser System vielmehr, weil es uns die Chance gibt, aus Fehlern zu lernen. In der Forschung und in der Wirtschaft entstehen dadurch erst Know-how und Innovationen. Während der Pandemie hat das, maßgeblich aus Deutschland heraus, zur Entwicklung effektiver Impfstoffe geführt und uns einen Weg aus der Pandemie geebnet.

Wir können der Herausforderung durch China also durchaus selbstbewusst begegnen. Unser System wird sich immer wieder beweisen müssen. Am Ende geht es um die Ziele von Frieden, Sicherheit, Freiheit und Wohlstand. Die soziale Marktwirtschaft ist dafür unser bewährtes Erfolgsmodell. Und auch China wird sich mit seinem System seiner „sozialistischen Marktwirtschaft“ beweisen müssen, vor allem den eigenen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber. Die Herausforderungen für China wachsen, die chinesische Gesellschaft altert schnell und der wirtschaftliche Aufstieg verlangsamt sich. Der andauernde wirtschaftliche Erfolg bildete bislang die Grundlage der Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei. Was passiert, wenn dieser Erfolg ausbleibt, der das zutiefst menschliche Bedürfnis nach gesellschaftlicher Freiheit bisher überdeckt? Die Bürger der ehemaligen DDR haben auf diese Frage vor gut dreißig Jahren eine eindeutige Antwort gegeben, die in der Wiedervereinigung unseres Landes mündete.

Welche Fragen sich im Verlauf der 20er Jahre in China stellen und welche Antworten auf sie gegeben werden, dürfte für uns von ähnlich epochaler Bedeutung sein. Es ist Elmar Nass‘ Verdienst, unseren Blick darauf zu lenken, und die „sozialistische Marktwirtschaft Chinas“ besser zu verstehen.

Vorbemerkung

„Wie mit China umgehen? Das ist die große, derzeit viel diskutierte Frage.“ (Görk u. a. 2023) China als die große (nicht allein) wirtschaftliche Herausforderung der Gegenwart und Zukunft ist in aller Munde. Und es ist klar, dass im Umgang mit Chinas Regierung und Konzernen nicht einfach so weitergemacht werden kann wie bisher (vgl. Doll 2022 und Weber 2022). Zu groß sind die Irritationen der letzten Jahre, ökonomisch, politisch, militärisch. Blindes Vertrauen allein führt in die Irre. Es braucht nun neue, wohl durchdachte Strategien und dafür in sich stimmige Orientierungen. Das Fundament dafür liegt im Verstehen der chinesischen Wirtschaftsordnung und deren auch ethisch reflektierten Einordnung. Darauf aufbauend nur können der Komplexität entsprechende, verantwortbare (wirtschafts- und unternehmens-)politische Strategien entworfen und umgesetzt werden. Das vorliegende Buch ist kein Strategiepapier. Das überlasse ich anderen. Diese Studie baut vielmehr an den dazu bislang fehlenden und dringend notwendigen Fundamenten, wenn es sich ausdrücklich der Frage widmet, was eigentlich das Wesen der chinesischen Wirtschaftsordnung ausmacht und wie diese normativ bewertet werden kann. Anschließend erst können Fragen diskutiert werden, wie mit ihr und ihren Repräsentanten umzugehen ist.

China ist laut seiner eigenen Verfassung eine „sozialistische Marktwirtschaft“. Das klingt paradox. Sozialismus und Markt sind uns lehrbuchmäßig als unvereinbare Gegensätze bekannt. Was also macht die Ordnung dieser in den letzten Jahrzehnten so rasant gewachsenen Wirtschaft im ‚Reich der Mitte‘ wirklich aus? Wird hier etwas zusammenkonstruiert, was nicht zusammenpasst? Oder wächst da etwas zusammen, was irgendwie doch zusammengehört? Selbstverständlich wird in maßgeblichen Klassikern der Wirtschaftsforschung wie etwa bei Ulrich Blum (2020, S. 353, 723) auf die Besonderheit dieser Wirtschaftsordnung aufmerksam gemacht. Sie hält zwar grundsätzlich am „dialektischen und historischen Materialismus“ fest (Xi 2017, S. 71; vgl. ders. 2015, S. 291). Sie verzichte im Gegensatz zur marxistischen Wirtschaftslehre aber auf die kommunistische Utopie von einem „früheren Paradieszustand und das Gesetzmäßige in Bezug auf historische Abläufe.“ Hier schimmert schon auf, dass Chinas Modell nicht einfach eine Kopie untergegangener osteuropäischer Staatswirtschaften ist. Es fehlt uns am Ende aber bislang noch eine gezielte und tiefgehende Untersuchung zum Wesen dieser Ordnung: Ist sie nun mehr Markt oder mehr Sozialismus? Oder eine schön verkaufte Mogelpackung? Oder eine neue, bisher nicht gekannte kreative Symbiose? Auf diese konkreten Fragen gibt es keine einfache Antwort, sondern allenfalls miteinander konkurrierende, kontroverse Deutungen. Diese fair miteinander ins Gespräch zu bringen und aus diesem kreativen Diskurs mögliche Antworten für ein orientierendes Strategie-Fundament zu erschließen, versucht ein ganzheitliches Verstehen „sozialistischer Marktwirtschaft“. Für ein solches dialogisches Programm ist die von Prof. Dr. Patrick Peters herausgegebene Reihe „Wirtschaft kontrovers“ das ideale Forum. Denn es geht in dieser Forschungsfrage nicht um ein einfaches Ja oder Nein, ein Gut oder Schlecht. Sondern es geht um eine abwägend dialogische Annäherung an ein hoch komplexes Phänomen der Wirtschafts- als Ordnungstheorie und ihrer Praxis. Vor dem Versuch einer normativen Bewertung steht das behutsame Verstehen. Genau das ist ein wesentliches Profil dieser innovativen Reihe und des vorliegenden Bandes. Mit diesem von mir gewählten Zugang soll zudem die Bresche geschlagen werden in das bisher allzu unwegsame Gelände einer ordnungsethischen Diskussion zur Wirtschaft Chinas. Hier stößt das vorliegende Büchlein in die Lücke eines Forschungsdesiderates hinein und nutzt dazu die Erkenntnisse der miteinander ins Gespräch gebrachten kontroversen Positionen zum Verstehen der chinesischen Wirtschaft. Durchaus gewagt und nicht ohne spekulativen Pioniergeist soll so ein innovativer Grundstein gelegt werden für eine wirtschaftsethische Diskussion zur Wirtschaft Chinas. Der Leser mag sich dabei in der möglichst fairen Gegenüberstellung verschiedener Positionen und deren ethischer Weiterführungen selbst eine eigene Meinung bilden dazu, wie nun die Wirtschaftsordnung Chinas einzuordnen und wie sie ethisch zu bewerten ist. Das Rüstzeug für eine solche eigene Meinungsbildung des Lesers und damit für einen angestoßenen kontroversen Dialog dazu findet seine zweifellos auch herausfordernden Pointen im hier vorgeschlagenen Angebot einer Antwort auf die ordnungstheoretischen und -ethischen Fragen sowie eine herausfordernde eigene ethische Positionierung des Verfassers. Der diskursive Aufbau verspricht also keine einfachen Antworten, sondern stellt Perspektiven einander gegenüber und bietet Schlussfolgerungen an, um daran etwa mit konkreten Schlussfolgerungen weiterzudenken, sei es affirmativ und/ oder kontrovers.

Der Fokus liegt hier eindeutig auf den Fragen nach der Wirtschaftsordnung. Solche sind, das lehrt uns nicht zuletzt die Idee des Stilgedankens Sozialer Marktwirtschaft, wie ihn Alfred Müller-Armack geprägt hat, nicht losgelöst von einer Idee der Sozialkultur zu verstehen. Deshalb müssen hierbei auch Aspekte chinesischer Sozialkultur mitberücksichtigt werden, ohne dass damit der Anspruch einer soziologisch-sinologischen Studie erhoben werden kann. Dazu fehlt mir zweifellos die eigene Expertise ebenso wie die eigene Erfahrung in der konkreten Begegnung mit dieser Kultur vor Ort. Auch für diesen Bereich der vorliegenden Studie fließen deshalb verschiedene Sichtweisen von anerkannten Experten ein (etwa zu den für das Zusammenleben wichtigen Einflüssen von Guanxi und Konfuzianismus). Eine sozialkulturelle Analyse Chinas – so spannend sie sein mag – kann und soll hier aber nicht das Thema sein.

Auch soll hier kein (wirtschafts-)politisches Programm für den künftigen Umgang von Regierungen und Unternehmen mit China entworfen werden. Eine solche konkrete und in sich stimmige Orientierung ist natürlich zweifellos eine der ganz dringlichen Herausforderungen unserer Zeit (vgl. Feege 2022, S. 56). Nicht zuletzt der Überfall Russlands auf die Ukraine und chinesische Solidaritätsbekundungen für Wladimir Putin haben wachgerüttelt, erst recht im Frühjahr 2023 die durchschaubaren Angebote der chinesischen Regierung, sich als getarnter russlandfreundlicher Vermittler in dem Konflikt friedensstiftend zu profilieren (vgl. Ang 2023). Es soll sich die Geschichte im Umgang mit autoritären Systemen und wirtschaftlichen oder anderen Abhängigkeiten nicht wiederholen. Wie also sollen wir in den Handelsbeziehungen u. a. politischen Fragen mit dem mächtigen Reich der Mitte und seiner kommunistischen Regierung umgehen. Nicht nur ökonomisch, sondern auch militärisch und politisch ist China ganz oben in der Welt angekommen und spielt zunehmend seine wiedergewonnene Machtrolle aus (vgl. Drüten/Mattheis 2022). Welche Unternehmenskulturen und -werte werden bei der Produktion westlicher Firmen in China noch eine Zukunft haben? Drohen hier bei Kritik an Regime und Menschenrechtsfragen Repression oder finanzielle Erpressung? Braucht es also neue Freihandelszonen mit demokratischen Staaten und/ oder eine Verlagerung wichtiger Industrien wieder zurück nach Europa oder Deutschland (vgl. Görk u. a. 2023)? Die ebenso hitzigen wie notwendigen Diskussionen um Huawei-Lizenzen, Cosco-Anteile am Hamburger Hafen, die Einhaltung von Klimazielen und WTO-Regeln, ausgeprägte Importabhängigkeiten von China1, damit verbundene Lieferketten oder die so genannte neue Seidenstraße sind nur Schlaglichter eines kontroversen gesellschaftlichen Ringens um ebenso ökonomisch rationale wie ethisch vertretbare Entscheidungen. Von chinesischen Märkten abhängige Lobbyinteressen und einseitig durch die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) gelenkte wissenschaftliche Analysen und Meinungen sowie rein kurzfristige ökonomische Kalkulationen dürfen in solchen Bewertungen ebenso wenig den entscheidenden Ausschlag geben wie Protektionismus, Wagenburgmentalitäten, politischer Opportunismus oder naive Vorurteile (vgl. Pfahler 2022).

Ich bin der festen Überzeugung, dass die jetzt klug zu bedenkenden neuen Strategien erst dann eine nachhaltige Wirksamkeit erzielen (vgl. Görk u. a. 2023), wenn sie auf einer soliden wissenschaftlichen Basis beruhen, mit der die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung Chinas auch nur annähernd verstanden und auch normativ bewertet werden kann. Genau das scheint mir in vielen aktuellen Medienberichten und Diskussionen sowie manchen eilig einberufenen Expertenkommissionen bisher zu kurz zu kommen. Genau in diese Lücke hinein will das vorliegende Buch stoßen. Es ist also kein Beitrag zur direkten Politik- oder Unternehmensberatung. Es will vielmehr mit an dem Fundament bauen, auf dem dann solche Strategien erst aufbauen können. Zunächst müssen wir verstehen, was eigentlich die „sozialistische Marktwirtschaft“ Chinas bedeutet, bevor wir uns zu ihr verantwortungsvoll verhalten können. Und hierzu gehört auch eine ordnungsethische Einordnung. Was in aller Munde ist, bleibt ohne ordnungsethische Analyse eine leere Formel mit austauschbaren Inhalten: „Im Westen spricht man ob der unterschiedlichen ethischen Werte deshalb seit geraumer Zeit von systemischen Rivalen.“ (Feege 2022, S. 54. vgl. auch Görk u. a. 2023) Was aber ist eigentlich dieses rivalisierende Wirtschaftssystem? Was sind seine Werte? Und wie können wir sie verantwortlich bewerten? Erst wenn wir darauf Antworten haben, können wir nach Strategien zum Umgang suchen.

Natürlich will dieses Buch viele geneigte Leser ansprechen, die sich aus unterschiedlichen Motiven für Sozial- und Wirtschaftsethik, für internationale Wirtschaftsbeziehungen, für China oder den Beitrag christlicher Sozialwissenschaften für drängende soziale Herausforderungen interessieren. Aber noch mehr: Wer in welcher Funktion und in wessen Auftrag auch immer mit der Erarbeitung wirtschafts- und unternehmenspolitischer Strategien zu einem vertretbaren und zukunftsfähigen Umgang mit China betraut ist, für den will diese Studie eine grundlegende Orientierung anbieten. Weitere Bausteine zu einem solchen Fundament müssen folgen. Auch dazu will dieser Band herausfordern. Aber ohne tragfähige Wertebasis gibt es keine verantwortbare Strategie.

Das Interesse an der gewählten Thematik dieses Bandes liegt hierbei, das sollte klar geworden sein, nicht etwa in dem Hype eines unreflektierten China-Bashing begründet, der durch den Ausbruch der Corona-Pandemie und die anderen aktuellen Krisen plötzlich Konjunktur bekam. Es hat neben den schon genannten fachlichen Gründen vielmehr auch verschiedene persönliche Quellen: 1.) den eigenen wirtschafts- und ordnungsethischen Forschungsschwerpunkt, 2.) den rasant steigenden Einfluss Chinas auf die Weltmärkte, 3.) die ausgemachte Lücke einer wirtschaftsethischen Untersuchung zur Ordnung Chinas, 4.) die Frage nach der Zukunft freiheitlicher Wirtschaft und Gesellschaftsordnung, 5.) die Neugier an fremden Kulturen und ihren auch fremden Gesellschaftsideen, 6.) die eigene christliche Prägung mit der Suche nach christlich-sozialen Antworten auf drängende soziale Fragen unserer Zeit, 7.) die Suche nach einer verantwortbaren Weiterentwicklung der ordnungsethischen Konzeption Sozialer Marktwirtschaft sowie 8.) nicht zuletzt auch eine lange Freundschaft mit der Gesellschaft des göttlichen Wortes (Steyler Missionare SVD), die sich auf besondere Weise über viele Jahrzehnte und vielfältig in der China-Forschung profiliert hat. Das alles fordert die entsprechenden Fragestellungen dieses Bandes geradezu heraus.

Danke sage ich vor allem an Herrn Prof. Dr. Peters als dem Herausgeber dieser innovativen Reihe, der sich für das Thema dieser Studie schnell begeistern ließ. Danke auch für das Vertrauen und die großartige Unterstützung durch Herrn Dr. Uwe Fliegauf, der im Namen des Kohlhammer Verlags die Aufnahme dieser Dialog-Studie in die Reihe „Wirtschaft kontrovers“ möglich gemacht hat. Ich freue mich sehr, dass der Kohlhammer Verlag als einer der führenden Wissenschaftsverlage Deutschlands diesem drängenden Thema für Forschung, Lehre und Praxis diese Plattform ermöglicht, die hoffentlich auf breite Resonanz stoßen wird. Ein besonderer Dank richtet sich auch an Herrn Bundesminister a. D. Jens Spahn für sein fachlich brillantes Geleitwort zu diesem Band. Als externer wissenschaftlicher Sachverständiger darf ich in der von ihm geleiteten Fachkommission Wohlstand zum neuen CDU-Grundsatzprogramm mitwirken. Seine hohe werteorientierte, menschliche und wirtschaftspolitisch fachliche Kompetenz zusammen sind eine exzellente Expertise für die sachliche Einordnung dieser wirtschafts- als ordnungsethischer Studie. Weiterhin danke ich Frau Sophie Zintl, M. Sc., für sehr wertvolle Hilfen bei der Erstellung und Durchsicht des Manuskriptes.

Köln, im Frühling 2023Elmar Nass

1

Aktuell fallen in Deutschland nach Aussage des Sachverständigenrates (Wirtschaftsweise) „45,1 Prozent des Anteils am Gesamtimport der Produkte mit starker Importabhängigkeit auf China.“ (Görk u. a. 2023)

1China im Fokus der Ordnungsethik – ein neuer Blickwinkel