Zuhause in deinen Armen - Sara Wood - E-Book

Zuhause in deinen Armen E-Book

Sara Wood

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Beschreibung

Die Ankunft der jungen Jodie auf Great Luscombe Hall passt überhaupt nicht in Morgan Peraltas Plan. Doch mit ihrem mädchenhaften Charme gelingt es ihr ganz schnell, ihn zu verzaubern, und bevor Morgan so richtig weiß, was eigentlich geschehen ist, möchte er am liebsten, dass Jodie für immer bei ihm bleibt …

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Seitenzahl: 198

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IMPRESSUM

Zuhause in deinen Armen erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2001 by Sara Wood Originaltitel: „Morgan’s Secret Son“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANABand 1446 - 2002 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Johannes Martin

Umschlagsmotive: GettyImages_Rohappy

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733756079

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Jodie sah sich in dem strahlend sauberen Apartment um, strich zufrieden ihren engen Rock glatt und ging zur Tür, um den Riegel zurückzuschieben.

„Hallo, Ken!“, sagte sie freundlich. „Komm herein.“

Eine Wolke feinen Schnees stob an Kens eingemummelter Gestalt vorbei und legte sich als dünner Schleier auf das frisch polierte Parkett.

„Du musst das aufwischen, ehe es Flecken gibt“, riet er mit einem Blick auf die schmelzenden Flocken. „Schnell! Hole den …“

„Nein“, unterbrach Jodie ihn lächelnd, „das tue ich nicht.“

Sie wollte nicht länger für Ken das Dienstmädchen spielen. Er sollte sagen, wie sie aussah, und als er es endlich tat, war das Ergebnis durchaus befriedigend. Durch ihre Weigerung aus dem Konzept gebracht, musterte er sie verblüfft von Kopf bis Fuß – von den kniehohen roten Stiefeln bis zu dem neuen, schicken Haarschnitt.

„Toll, Baby“, meinte er anerkennend. „Du siehst umwerfend aus.“

„Dann halt dich lieber fest.“ Jodie dachte an das, was jetzt kommen würde. „Hilfst du mir in die Jacke?“

„Natürlich, gern.“ Jodies ungewohntes Selbstbewusstsein beunruhigte Ken. Er nahm die ziegelrote Kostümjacke, die sie ihm hinhielt, und fragte: „Gehen wir irgendwohin?“

„Nur ich“, trällerte sie.

Jodie ließ die beiden Arme geschickt in die Jacke gleiten und warf sich schwungvoll ein goldgelbes Wollcape um die Schultern. Dann ließ sie die Bombe platzen.

„Ich gehe … und zwar für immer. Hier sind meine Schlüssel. Das Apartment gehört dir. Deshalb darfst du auch den Fußboden wischen.“

Ken blickte Jodie mit offenem Mund an. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass er unregelmäßige Zähne und zu dicke Lippen hatte. Ein Schauder überlief sie. Machte Liebe wirklich so blind?

„Aber … aber du bist doch verrückt nach mir!“, protestierte er. „Und ich liebe dich.“

„Nein.“ Es ärgerte Jodie, dass Ken wieder einmal seine tiefe, raue Stimme einsetzte, mit der er ganz New York verführen konnte. Nur sie nicht mehr. Sie war fertig mit ihm.

Sie drückte den unvermeidlichen Filzhut auf ihr kurzes kastanienrotes Haar und bog die Krempe frech nach oben. „Du liebst dich selbst, und du liebst die Frau, die du aus mir machen wolltest.“ Jodie sprach mit bewundernswerter Ruhe. „Seit ich als Juniorpartnerin in dein Büro kam, hast du versucht, mich nach deinen Wünschen zu formen. Was dabei herauskommen sollte, war eine Mischung aus Hausangestellter, Karrierefrau und Sexbombe. Ich bin es leid, Antidepressiva einzunehmen, weil ich diesem Ideal nicht entspreche, und ich will mir nicht länger tolle Werbesprüche für dich ausdenken und gleichzeitig Töpfe scheuern … im Ledertanga!“

„Jetzt übertreibst du!“

„Mag sein, aber du kannst nicht leugnen, dass diese Mischung deiner Traumfrau ziemlich nahe kommt.“ Jodies grüne Augen begannen zu funkeln, während sie sich immer mehr in Schwung redete. „Kein Wunder, dass ich nur noch ein Nervenbündel war! Kein Wunder, dass ich in dieser Küche mehr verkohlte Reste gesehen habe als ein Feuerwehrmann mit Überstunden! Wenn du eine Superfrau willst, such dir eine andere. Ich kündige den Job!“

„Das kannst du nicht tun“, erklärte Ken, als sie betont lässig nach ihren neuen Wildlederhandschuhen griff.

„Wie du siehst, doch.“

„Wir könnten Kinder haben.“

Dieser letzte schäbige Versuch, sie zum Bleiben zu bewegen, empörte Jodie mehr als alles andere. Seit sechs Jahren wollte sie heiraten und Kinder haben, aber Ken hatte sich hartnäckig geweigert.

„Leb wohl“, sagte sie kalt. „Du kannst mein Auto vom John-F.- Kennedy-Flughafen abholen.“

„Das kann nicht dein Ernst sein!“ Ken geriet langsam in Panik. „Wo ist dein Gepäck?“

„Schon im Auto.“ Jodie öffnete die Tür. Sie fühlte sich wie ein Vogel, der seinen Käfig verlässt.

„Warte noch! Wohin fliegst du?“

„Nach England.“ Ein glücklicher Ausdruck trat auf Jodies Gesicht. „Zu meinem Vater.“

„Wie bitte? Du musst tatsächlich verrückt sein. Ich weiß, Matt hat an dich geschrieben und dich eingeladen, aber das ist sechs Monate her. Seitdem hast du nichts von ihm gehört.“ Ken lachte verächtlich. „Ein Mann, der seine Frau und seine kaum einjährige Tochter sitzen lässt, wird kaum vor Freude an die Decke springen, wenn diese Tochter nach Jahren als seelischer Krüppel zu ihm zurückkehrt.“

„Deine Gemeinheiten treffen mich nicht mehr“, antwortete Jodie ungerührt. „Gut, Dad wollte mich wieder sehen und hat seine Meinung dann offensichtlich geändert. Warum auch nicht? Er befindet sich schließlich in keiner angenehmen Situation. Ich muss ihm entgegenkommen und alles tun, um eine Versöhnung herbeizuführen. Schließlich ist er mein einziger lebender Verwandter.“

Welche Wohltat, selbst über sich zu bestimmen! Warum hatte sie das nicht längst getan? Seit sieben Jahren arbeitete sie für Ken, und seit sechs Jahren lebte sie mit ihm zusammen.

„Du findest meine Lederwäsche in der obersten Kommodenschublade“, sagte sie spöttisch und öffnete die Tür. „Viel Spaß damit.“

Übermütig trat Jodie in den wirbelnden Schnee hinaus. Sie fühlte sich großartig – schon wegen der neuen duftigen Unterwäsche, die die unbequeme Lederwäsche abgelöst hatte. Darüber trug sie ein sündhaft teures orangefarbenes Seiden-T-Shirt, das ziegelrote Kostüm mit dem auffällig kurzen Rock und das extravagante Wollcape. Dazu den Hut und die roten Stiefel … Nein, sie war nicht mehr dieselbe Frau, und sie ließ sich auf eine unbestimmte Zukunft ein.

Immer noch musste sie an den Augenblick denken, als sie den Brief geöffnet hatte. „Dein dich liebender Vater, Matt“, hatte darunter gestanden, und diese Worte hatten sie mit neuer Hoffnung erfüllt. Jemand liebte sie. Jemand sorgte sich um sie. Noch jetzt kamen ihr die Tränen, wenn sie daran dachte, und sie musste sich schnell die Augen wischen, um nicht von einem Bus platt gedrückt zu werden.

Jodie war noch klein gewesen, als ihre Mutter starb. Sie war zu Pflegeeltern gekommen, und dort – das erkannte sie jetzt ganz deutlich – war ihre fröhliche, lebensbejahende Natur durch überstrenge Vorschriften und Strafen verbildet worden. Liebe hatte es nicht gegeben, jedenfalls keine echte, selbstlose, nachsichtige Liebe. Das würde sich jetzt ändern.

Jodie lächelte einem Taxifahrer zu, der sie abdrängen wollte, und ließ ihm mit einer Handbewegung die Vorfahrt. Als er zögerte, weil ihm so viel Rücksicht verdächtig vorkam, lachte sie hell auf. Sie war eben in glücklicher Stimmung und liebte jeden – sogar einen New Yorker Taxifahrer.

Bald, ging es ihr träumerisch durch den Kopf, werde ich in Südengland vor dem Haus meines Vaters stehen. Er hatte den Brief, in dem sie ihm ihre Ankunft mitteilte, inzwischen sicher bekommen und würde sie nach einer so weiten Reise kaum von der Tür weisen.

Für den Fall, dass er es doch tat, musste sie sich eben in der Nähe ein Hotel suchen. Von dort aus würde sie an sein gutes Herz appellieren, bis er endlich zu einem Treffen bereit war. Doch so weit würde es nicht kommen, das spürte sie genau. Irgendetwas oder irgendjemand hatte ihn davon abgehalten, ihre vielen Briefe zu beantworten. Sie wusste inzwischen aus Erfahrung, wie sehr man von anderen Menschen beeinflusst werden konnte.

Kens Rat, ihren Vater zu vergessen, war reine Selbstsucht gewesen. Sie hatte sich auf Ken verlassen und war dabei immer abhängiger und unterwürfiger geworden. Jetzt wusste sie endlich, was er war: ein Tyrann, der andere beherrschen wollte.

Jodies neu gewonnene Zuversicht gründete sich darauf, dass ihr Vater um ihren Besuch gebeten und sogar nach der Adresse ihrer Mutter gefragt hatte. Es gab Jodie immer noch einen Stich, wenn sie an den Tod ihrer Mutter dachte. Noch in der Erinnerung fühlte sie das Entsetzen und die Einsamkeit, die sie damals überfallen hatten, aber das war nun endgültig vorbei.

Jodies Augen strahlten. Dies war der glücklichste Tag in ihrem ganzen Leben. Keine Wolken am Horizont. Keine Ledertangas. Nur ein Koffer, vollgestopft mit der neuesten Mode in schrillen Gelb-, Orange- und Rottönen.

„Aufgepasst, England!“, rief sie laut, als sie die Abzweigung zum Flughafen erreichte. „Ich komme!“

Es war nicht leicht, mit vom Seifenwasser glitschigen Händen und Jack über der Schulter die Tür zu öffnen, aber endlich gelang es Morgan. Warum musste immer jemand klingeln, wenn er gerade das Baby badete? Er fand keine Erklärung für dieses Rätsel, und wahrscheinlich gab es auch keine.

Morgan stieß einen unwilligen Laut aus, als er den Postboten mit dem lustigen, neugierigen Gesicht erkannte. Das Landleben in Sussex hatte entschieden seine Nachteile. Die Leute erwarteten, dass man mit ihnen schwatzte, und es gab zu viele Wichtigtuer, die unbedingt herausfinden wollten, was er in Matt Frazers Haus zu suchen hatte.

„Ein Einschreiben.“ Der Postbote war vor Morgans grimmiger Miene einen Schritt zurückgewichen und händigte ihm vorsichtig die Sendung aus.

„Danke.“ Morgan unterschrieb für den Empfang des Briefes und betrachtete ihn flüchtig. Für Matt, wie gewöhnlich. Wann würde er endlich gesund werden? Auf dem Flurtisch stapelten sich die ungeöffneten Briefe.

„Geht es dem Kleinen gut?“, fragte der Postbote in fast demütigem Ton.

Morgan seufzte. Neugier war anscheinend stärker als Furcht. „Sehr gut.“

„Er muss jetzt etwa fünf Wochen alt sein. Darf ich ihn einmal ansehen?“

Es wäre äußerst unfreundlich gewesen, diese harmlose Bitte abzuschlagen, obwohl die Versuchung groß war. Außerdem würde Jack während der kommenden Monate noch mehr Neugier wecken. Vorsichtig lüftete Morgan das Frotteetuch, in das er den nassen Jack eingewickelt hatte, und lächelte zärtlich, als ihm zwei kleine pechschwarze Augen entgegensahen.

„Ganz der Vater“, versicherte der Postbote und schnitt für den kleinen Jack komische Grimassen.

„Tatsächlich?“

Morgan vermochte beim besten Willen nicht einzusehen, warum ein winziges stupsnasiges Wesen, das gerade erst das Licht der Welt erblickt hatte, einem erwachsenen Mann gleichen sollte. Trotzdem hatten bisher alle eine verblüffende Ähnlichkeit mit Matt festgestellt!

Schuldgefühl und Zorn begannen Morgan wieder zu plagen. Es war eine Qual, so hin und her gerissen zu sein. Er blickte wie blind auf das Baby und verachtete sich für das, was er getan hatte. Er war wütend, er hasste sich, und die Sorge machte ihn fast krank.

„Es tut uns allen sehr leid, dass Mr. Frazer plötzlich wieder ins Krankenhaus musste“, fuhr der Postbote mit ehrlicher Anteilnahme fort. „Wie geht es ihm?“

„Sein Zustand ist kritisch.“ Morgans schroffer Ton verriet, wie es in ihm aussah.

„Oh weh! Das Schicksal hat es nicht gerade gut mit ihm gemeint, seit er im letzten Sommer hierher gezogen ist.“ Der Postbote legte kurz die Hand auf Morgans Arm. „Sie haben seiner Frau ein schönes Begräbnis ausgerichtet. All die tröstlichen Worte …“

Morgan widersprach nicht. Teresa war nicht Matts Frau gewesen, und dieser Umstand hatte wesentlich zu ihrem Tod beigetragen. Der Postbote meinte es gewiss gut, aber für Morgan war es eine Qual, an den Tag erinnert zu werden, an dem sie Teresas Sarg bei strömendem Regen in die Grube hinabgelassen hatten.

Danach hatten ihm Teresas Londoner Freunde ihr Beileid ausgedrückt. Sie kannten das Geheimnis der Toten, die Morgans Geliebte gewesen war, ehe sie sich für Matt entschied. Morgan erinnerte sich noch gut an ihre verstohlenen Blicke und das Getuschel hinter vorgehaltener Hand. Einmal hatte er jemanden sagen hören: „Der arme Morgan … er liebt sie immer noch und kommt über ihren Tod nicht hinweg.“

Was für ein Heuchler er war! Wie gut er lügen und betrügen konnte! Die Erinnerung war zu viel für ihn. Er hielt es nicht länger aus.

„Danke“, sagte er und vermied es, sich zu räuspern.

Das nutzte der Postbote aus. „Wirklich nett von Ihnen, dass Sie sich um das Baby kümmern“, meinte er. „Wenige Männer würden das tun. Sie sind wohl ein naher Verwandter?“

„Nicht direkt, und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.“ Das fehlte Morgan noch – sich nach den Familienverhältnissen aushorchen zu lassen und diese dann endlos bei einer Tasse lauwarmen Kaffees zu erörtern. „Jacks Badewasser wird kalt.“

Morgan schloss die Tür und drückte Jack zärtlich an seine Brust. Wer sollte das kleine Wesen vor anderen schützen, wenn nicht er? Vielleicht war es gut, dass Matts Tochter nicht auf den Hilferuf reagiert hatte. Sie hätte Jacks Zukunft gefährdet, und dass hätte er nicht ertragen.

Teresas Tod war ein furchtbarer Schock gewesen. Mit allem hatte er gerechnet, aber damit nicht. Und jetzt? Die Täuschung, auf die er sich eingelassen hatte, ließ sich immer schwerer aufrechterhalten. Jedes Mal, wenn er Matt besuchte, erhob sich das Geheimnis von Jacks Geburt wie ein drohendes Gespenst und trübte die Beziehung zu dem Mann, den er bewunderte, verehrte und mehr als jeden anderen Menschen liebte.

Morgan stöhnte leise auf. Die Wahrheit herauszuschreien würde für ihn eine unendliche Erleichterung, aber für Matt ein Todesurteil sein. Darum musste er das äußerste Opfer bringen und schweigen, solange Matt lebte. Seine eigenen Wünsche mussten zurückstehen. Es ging darum, zwei Menschen zu schützen, die schwächer waren als er und seine Hilfe brauchten.

„Oh Jack“, flüsterte er. „So klein und schwach du auch bist … du ahnst nicht, welches Leid du anderen verursachst.“

Jack sah ihn mit seinen blanken dunklen Augen an und bewegte die Lippen, als suchte er die Mutterbrust.

„Armer kleiner Kerl.“ Morgan bot ihm einen Finger als Ersatz. Der kleine Mund schloss sich fest darum, und die Lider senkten sich vor Behagen. „Kein Wunder, dass Matt dich anbetet. Bei dir geht jedem das Herz auf. Aber jetzt wollen wir baden, damit du ganz sauber bist für deinen …“

Nein, er konnte es nicht laut sagen. Einen andern ausdrücklich als Jacks Vater zu bezeichnen ging immer noch über seine Kraft. Alles konnte man von ihm verlangen, aber das nicht.

Morgan trug den Kleinen ins Kinderzimmer hinauf und kam sich dabei wie ein Lump vor. Er spürte förmlich, wie sich das Lügennetz um ihn zusammenzog. Was hatte er eben getan? Jack an seinem Finger saugen lassen, weil die Mutterbrust fehlte. So würde er ihn immer weiter betrügen, jeden Tag ein bisschen mehr.

Doch das wollte er nicht! Sein Vaterherz, das er gerade erst entdeckt hatte, verlangte nach einer offenen Erklärung, nur sein Verstand sagte Nein. Herz gegen Verstand – ein verzweifelter Kampf, dessen Ausgang ungewiss war.

Einen Moment lang war Morgan versucht, den Kopf zurückzuwerfen und einen lauten, wilden Schrei auszustoßen, aber Jack hielt ihn davon ab. Mit erzwungener Ruhe setzte er das tägliche Baderitual fort und konzentrierte sich ganz auf die Bedürfnisse des Babys.

Nach dem Baden machten sie es sich im Wohnzimmer vor dem Kaminfeuer bequem. Morgan hielt Jack auf dem Schoß und sah zu, wie er aus der Flasche trank. Seine Gesichtszüge entspannten sich, der gequälte Ausdruck wich einem scheuen, fast ehrfürchtigen Lächeln.

Für Morgan war das Kind ein Wunder an Vollkommenheit. Dunkles Haar, makellose Haut, dichte schwarze Wimpern. Vorsichtig berührte er die kleine Hand mit den zarten Fingern und den winzigen Fingernägeln. Dies war sein Sohn, und jeder sollte es wissen. Warum ließ sich dieser Traum nicht erfüllen?

„Matt wird stolz auf dich sein“, sagte er leise und gab sich damit selbst ein Versprechen.

Allmählich ließ Jacks Hunger nach. Er wirkte satt und zufrieden, seine Lippen öffneten sich, der Kopf sank schläfrig zur Seite. Morgan sehnte sich ebenfalls nach Schlaf. Er stellte die Flasche weg und änderte seine Haltung, damit er und das Baby es bequemer hatten. Nur ein kurzer Schlummer, schwor er sich. Mehr würden seine rastlosen Gedanken ohnehin nicht zulassen.

Morgan hatte bisher noch keine Haushaltshilfe gefunden, und in der Küche musste dringend Ordnung geschaffen werden. Danach musste er Flaschen sterilisieren, neue Babynahrung zubereiten, die Waschmaschine anstellen und bügeln. Irgendwann im Lauf des Tages musste er auch im Büro anrufen, um festzustellen, ob es noch existierte. Und natürlich durfte er den Besuch bei Matt nicht vergessen, für den er Jack warm einpacken musste.

Morgan stöhnte bei dem Gedanken, welche Pflichten ihn noch erwarteten. Es war bereits halb zwölf, und er hatte sich noch nicht rasiert – geschweige denn, seinen Morgenkaffee getrunken. Es war jeden Tag dasselbe. Wenn er nicht an Matts Bett saß, den Haushalt erledigte oder das Baby versorgte, wanderte er unruhig auf und ab, grübelte nach und beobachtete, wie er sich langsam ruinierte.

Die Zukunft sah nicht gerade verlockend aus. Jahrelang hatte er tun können, was er wollte, reisen können, wohin es ihm beliebte, sich frei bewegen können wie ein Vogel. Jetzt waren ihm die Flügel beschnitten worden, und es fiel ihm schwer, sich an das beschränkte Leben zu gewöhnen.

Wie aufregend war es, wenn ein Entwurf auf dem Reißbrett allmählich Gestalt annahm. Wie beglückend, wenn das Gebäude auf dem Bauplatz langsam, aber stetig in die Höhe wuchs und mit der Umgebung zu einer Einheit verschmolz. Das alles war jetzt infrage gestellt, denn sein Leben hatte sich von Grund auf verändert.

Nie würde er den Augenblick vergessen, als er im Krankenhaus erschienen war und Teresa ihm gebeichtet hatte, dass Jack sein und nicht Matts Sohn sei. Die Empfängnis fiel in die Zeit ihrer Beziehung mit Morgan, als Matt sie noch gar nicht gekannt hatte.

Sobald Morgan von dem Autounfall gehört hatte, war er von seiner Londoner Wohnung nach Sussex ins Krankenhaus geeilt. Noch jetzt sah er Teresas Gesicht vor sich, furchtbar entstellt und doch einst so schön. In der Gewissheit des nahen Todes hatte sie nur noch den Wunsch gehabt, ihm die Wahrheit zu sagen, und er hatte nicht eine Sekunde an ihrem Wort gezweifelt. Kurz darauf hatte man sie in den OP gebracht, um wenigstens das Kind mit einem Kaiserschnitt zu retten.

Morgan hatte den kleinen Jack als Erster in den Armen gehalten und vor übergroßer Freude heftig geweint. Es waren die ersten Tränen seit seinem elften Lebensjahr gewesen, aber das Glück, plötzlich Vater zu sein, hatte ihn überwältigt.

Wie ein Wunder war ihm das kleine Wesen vorgekommen. Sein Kind. Sein Sohn! Aber da war Matt, ein kranker, langsam dahinsiechender Mann, dem er alles verdankte. Es gab keine andere Lösung. Jack musste als Matts Sohn registriert werden.

Morgan beugte sich zu Jack hinunter und küsste seine zarte Stirn. Plötzlich überkam ihn große Müdigkeit. Die Wärme des Kaminfeuers, die vielen schlaflosen Nächte … Seine Gedanken verwirrten sich, und er schlief ein, vorübergehend erlöst von seinen Sorgen und dem Bewusstsein des schändlichen Betrugs.

2. KAPITEL

Je näher Jodie dem Dorf kam, in dem ihr Vater lebte, umso aufgeregter wurde sie. Was für ein wunderbares Gefühl, plötzlich einen Vater zu haben! Ihr Herz klopfte schneller. Sie wünschte sich so sehr, dass alles gut ging. Es musste einfach gut gehen!

Neugierig betrachtete sie die hügelige Landschaft zu beiden Seiten der Straße. Auf der Karte wurde sie als „Downs“ bezeichnet, weil sie südlich von London lag. Schafe grasten auf den Wiesen, und auf einem Fluss, der sich durch die Hügel schlängelte, zogen Schwäne dahin.

Und da war er endlich, der altmodische Wegweiser mit dem Namen des gesuchten Dorfs. Jodie bog von der Hauptstraße ab und folgte der schmaleren Nebenstraße. Ihr Herz jubelte vor Freude, jetzt, da sie dem Ziel so nah war.

Allmählich begann es zu dämmern, obwohl es erst vier Uhr nachmittags war. Ab und zu tauchte ein Cottage am Wegrand auf. Manche waren aus schlichtem grauem Feldstein erbaut, andere hatten Fachwerk, Strohdächer und hübsche Gärten, in denen jetzt nichts blühte.

Wenn wieder ein Haus in Sicht kam, ging Jodie auf Schritttempo hinunter, um den Namen lesen zu können. Plötzlich stockte ihr der Atem. Da, im schwindenden Tageslicht gerade noch erkennbar, stand über einem Torbogen der Name, den sie suchte: „Great Luscombe Hall“.

„Bitte, Dad, sei zu Hause“, betete sie leise und bog in die Auffahrt ein.

Ängstlich umklammerte sie das Lenkrad. Der Weg war länger, als sie gedacht hatte, und sie beugte sich vor, um alles besser erkennen zu können. Plötzlich weiteten sich ihre Augen. Ein Wassergraben! Vorsichtig passierte sie die schmale Holzbrücke. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, dass ihr Vater reich sein könnte.

Als das Haus endlich auftauchte, hatte sie sich halbwegs an den Gedanken gewöhnt. Sie parkte vor dem beeindruckend breiten Treppenaufgang und sah sich mit klopfendem Herzen um.

„Great Luscombe Hall“ war ein würdiges, leicht verfallenes Herrenhaus mit einer Fachwerkfront, in der ein ganzer Eichenwald zu stecken schien, und großen Steinplatten auf dem Dach.

„Das glaube ich einfach nicht“, flüsterte Jodie, stellte den Motor ab und stieg aus. Sie war noch nie so nervös gewesen, und das laute Hundegebell, das plötzlich einsetzte, flößte ihr zusätzlich Angst ein.

„Hilfe!“, rief sie, als ein Collie hechelnd auf sie zugesprungen kam. „Guter Hund … braver Hund …“

„Er tut nichts“, erklang eine mürrische Männerstimme. „Sehen Sie nicht, dass er mit dem Schwanz wedelt?“

Ihr Vater! Jodie vergaß den Collie und wandte sich der Haustür zu. Ein zaghaftes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und verschwand sofort wieder. Das konnte nicht ihr Vater sein. Der Mann war viel zu jung. Wilde Fantasien gingen ihr durch den Kopf. Die hohe Einfahrt, der Wassergraben, das mittelalterlich wirkende Haus mit dem finsteren Fremden … Wer war er, und wo war sie gelandet?

Der Mann hatte die Haustür halb hinter sich zugezogen, als wollte er jedem Besucher den Eintritt verwehren. Ein schmaler Lichtstreifen fiel direkt auf seine Gestalt und machte es Jodie möglich, ihn zu erkennen. Er war groß, hatte pechschwarzes, zerzaustes Haar und dichte Augenbrauen. Er trug ausgeblichene Jeans und einen alten Marinepullover und sah feindselig auf sie hinunter.

„‚Great … Luscombe Hall‘?“, fragte sie schüchtern.

„Ganz recht“, lautete die knappe Antwort.

Also war sie am Ziel, und der Mann würde ihr wohl nichts tun. Er hatte schlechte Laune, war unfreundlich, sogar abweisend, aber Angst brauchte sie nicht zu haben.

„Hallo“, sagte sie mit neu gewonnenem Mut, der sie gleich wieder verließ, als sie eine Hundeschnauze an ihrem Bein spürte. „Kann ich näher kommen, ohne von dieser Bestie verschlungen zu werden?“

„Er hat schon gefressen.“ Der Mann bewegte kaum die Lippen, die aus Granit gemeißelt zu sein schienen. „Wünschen Sie etwas?“

Jodie war schon netter empfangen worden. Der Mann war offenbar mit dem falschen Bein aufgestanden, und zwar erst vor kurzem, wenn sie sein Aussehen richtig deutete. Ob er der Gärtner war? Nein, dann wäre er nicht von drinnen gekommen. Oder der Butler? „Great Luscombe Hall“ war groß genug, um das zu rechtfertigen, aber ein Butler wäre nicht so nachlässig gekleidet gewesen und hätte sich nicht wie ein Räuberhauptmann verhalten!

Blieb noch eins – der Hausmeister. Wahrscheinlich hatte er auf dem Fußboden gelegen, um irgendetwas zu reparieren. Daher wohl die nachlässige Kleidung und das wirre Haar.

Vorsichtig trat sie näher. Der Collie sprang vergnügt um sie herum, als wäre sie ein verirrtes Schaf, das er zur Herde zurückbringen sollte. Bei dem Gedanken musste Jodie lächeln, aber sie war zu sehr Städterin, um es zu wagen, den Hund zu streicheln.

„Hierher, Satan!“, kam ein knapper Befehl.

Satan! Das sprach Bände über den Besitzer. Jodie blieb stehen und sah zu, wie der Hund auf seinen Herrn zujagte, sich hinsetzte und ängstlich zu ihm aufsah. Er musste eine harte Lehre hinter sich haben, um so zu gehorchen. Da sie gerade von ihrem eigenen Zuchtmeister kam, sank ihre Sympathie für den Mann auf Null.