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Thomas Frühwirth hat aus einem harten Schicksal etwas Großes gemacht. Seit einem Motorradunfall querschnittsgelähmt, holte er einmal WM-Gold und fünfmal Olympia-Silber im Handbiken und stellte einen Weltrekord im Para-Triathlon auf. Dank fünfzig einfacher Regeln genießt er das Leben. Seine Botschaft: Wenn ich das kann, kannst du es auch.
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Seitenzahl: 171
Veröffentlichungsjahr: 2024
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ZUM LEBEN DANKE SAGEN
Thomas Frühwirth:
Zum Leben Danke sagen
Alle Rechte vorbehalten
©2024 edition a, Wien
www.edition-a.at
Cover: Bastian Welzer
Satz: Isabella Starowicz
Coverfoto: Lukas Beck
Fotos: © ÖPC/GEPA Pictures
Der Autor bedankt sich beim Österreichischen Paralympischen Committee für die Zurverfügungstellung der Fotos.
Gesetzt in der Premiera
Gedruckt in Deutschland
1 2 3 4 5 — 27 26 25 24
isbn: 978-3-99001-767-8
eBook isbn: 978-3-99001-768-5
Thomas Frühwirth mit Eric Sebach
Wie auch du in jeder Krise gewinnst
»Für all die Begegnungen!
Die Begegnungen, die ich zu schätzen wusste.
Die Begegnungen, für die ich zu unachtsam war.
Die Begegnungen, die mir gut taten und die Begegnungen, für die ich zu wenig Verständnis aufbringen konnte. Für alle Freuden, die ich dabei erlebte, und für alle Fehler, die ich bei diesen Begegnungen beging!«
Ein Tag in Namibia
Freitag, der 13.
Einfach loslassen
Ein Hauch von Hollywood
Meine 50 Regeln
1. Liebe dich selbst, wie du bist
2. Suche nicht bei anderen, was du dir selbst geben kannst
3. Entdecke schöne Seiten an dir
4. Finde Kraft und Halt in dir selbst
5. Schöpfe Kraft aus guten Beziehungen
6. Suche Menschen, die dir guttun
7. Gib acht, wem du deine kostbare Zeit schenkst
8. Wenn du keine Zeit hast, nimm sie dir einfach
9. Erlaube dir ruhig, einmal nichts zu tun
10. Finde Gleichgesinnte, die ähnliche Ziele haben
11. Verzettle dich nicht in unrealistischen Zielen
12. Lerne, deine Ziele mit Leichtigkeit zu erreichen
13. Lass dich nicht von materiellen Werten blenden
14. Suche nach Orten, die dir Kraft geben
15. Lebe, statt nur zu überleben
16. Suche ständig nach neuen Herausforderungen
17. Hab den Mut, etwas zu riskieren
18. Gib dich nicht mit Mittelmaß zufrieden
19. Lass dich nicht unterkriegen, egal wie hart sich das Leben anfühlt
20. Verliere nie den Mut
21. Hab keine Angst, Fehler zu machen
22. Tu es einfach und glaube daran!
23. Konfrontiere dich mit deinen Ängsten
24. Trau dich zu sagen, was dir guttut
25. Sei ehrlich zu anderen und besonders zu dir selbst
26. Behandle Menschen so, wie du selbst behandelt werden möchtest
27. Kümmere dich nicht darum, wie andere dich beurteilen
28. Versuche nicht, in allem perfekt zu sein
29. Vergleiche dich nicht mit anderen
30. Sei dankbar für das, was du hast
31. Genieße jeden Tag
32. Finde jeden Morgen etwas, worauf du dich freuen kannst
33. Zeige jeden Abend Dankbarkeit und Demut
34. Bewahre das Kind in dir
35. Nimm dich selbst nicht zu ernst
36. Sieh deine Schwächen als deine Stärken an
37. Akzeptiere deine Scham
38. Lerne mit Niederlagen umzugehen
39. Versuche, aus schlechten Erfahrungen zu lernen
40. Lass dein Bauchgefühl und deinen Verstand zusammenarbeiten
41. Sei diszipliniert, egal was passiert
42. Mach die Probleme der anderen nicht zu deinen Problemen
43. Bleib mitfühlend und verletzlich
44. Denke an jene, denen es schlechter geht als dir
45. Verzeih anderen, aber auch dir selbst
46. Gönne dir auch einmal Selbstmitleid, aber maximal eine Sekunde
47. Aktiviere deine Selbstheilungskräfte, um ein mentales Tief zu überwinden
48. Lauf nicht vor dir selbst davon
49. Ändere dich, wenn du etwas verändern möchtest
50. Sei neugierig auf deinen Sterbetag
Die Helden-Reise
»Da draußen drehen sich Milliarden von Galaxien, auf diesem Planeten kreuchen und fleuchen Billionenvon Lebewesen, ich bin nur ein Mensch von vielen.Gleichzeitig bin ich der Schöpfer meines Universums.Eigentlich bin ich bereits tot und dieser Tag ist nur einweiterer Bonus. Danke für diesen wunderbaren Tag!«
Das ist mein Morgengebet. Ich habe es von Mark Aurel geborgt, einem römischen Kaiser aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus, und sage es mir jeden Tag. Es beschert mir die tägliche Portion Glück und Lebensfreude, davon bin ich überzeugt. Ganz besonders an diesem Morgen in Namibia in einem verträumten Motel, weit weg vom europäischen Alltag. Nach einer sternenklaren Nacht mit geheimnisvollen Geräuschen bin ich gerade wachgeworden, öffne das Fenster und ein paar Oryx-Antilopen blinzeln mir aus nächster Nähe entgegen. Im Hintergrund traben Gnus und weiter draußen sind die Dünen der Namibwüste in den Horizont gemalt. Es ist ein Tag im Dezember des Jahres 2016, der erste gemeinsame Urlaub mit Barbara, die gerade zu mir ans Zimmerfenster tritt und mir ein Guten-Morgen-Bussi gibt. Wow, die Schönheit dieses Landes haut uns beide um, und ich bin dankbar, hier sein zu dürfen. Jede Minute genieße ich und atme tief durch, völlig losgelöst von vorweihnachtlichem Trubel und allem Unfrieden auf dieser Welt. Als kleiner Teil dieser wunderbaren Natur. Wer es hier früh genug aus den Federn schafft, kriegt einen herrlichen Sonnenaufgang serviert, erste Reihe fußfrei. Barbara und ich lassen uns das nicht entgehen und ich fühle mich wie ein kleiner Bub, der es nicht erwarten kann, sich ins Abenteuer zu stürzen. Der Rollstuhl wird mich nicht daran hindern und meine Neugier auf einen geilen Tag kein bisschen bremsen.
Während die ersten Sonnenstrahlen funkeln, wird ordentlich gefrühstückt. Es gibt sieben oder acht Eier vom Grill und ein paar Kartoffeln, zum Trinken für mich Wasser und für Barbara eine Tasse Löskaffee, falls sie sich eine Packung aus dem Supermarkt geholt hat. Und dann geht’s sofort raus in diese Bilderbuch-Landschaft. Ein Abenteuerurlaub ohne Sportgerät, das ist für einen Berufssportler wie mich mal was anderes.
Warum gerade Namibia? 2013 nahm ich an einem Handbike-Rennen in Südafrika teil und dort hieß es unter Sportkollegen, ich müsse mir dieses großartige Land unbedingt anschauen. Tja, der Tipp war Gold wert. Namibia ist außergewöhnlich anmutig und dazu einer der sichersten Flecken Afrikas. Zweieinhalb Mal so groß wie Deutschland, mit nur 2,8 Millionen Einwohnern. Nur die Mongolei und die Antarktis sind weniger dicht besiedelt, und menschenleere Gegenden üben auf mich seit Langem eine besondere Anziehung aus.
Egal wo ich gerade unterwegs bin, mein Tag beginnt stets mit Marc Aurels Gedanken, die ich laut ausspreche und genauso meine und spüre. Auf mich wirkt jeder Tag wie ein neues Abenteuer, und erst recht in Namibia, wo Barbara und ich jede Nische eines unbekannten Landes erkunden wollen. Wir beide haben nicht die geringste Lust auf einen 08/15-Urlaub am Strand und ich denke an meine Jugend, in der ich davon träumte, die Welt auf dem Motorrad zu erobern. Holzfällen in Kanada, Schafe hüten in Australien, Ölbohren in Texas, das alles wäre genau mein Ding gewesen. Die Welt spüren und erleben, alles auskosten, Erfahrungen sammeln: Das ist für mich Leben. Statt ewig am selben Fleck sitzenzubleiben, hat es mich von klein auf in die Ferne gezogen. Ich liebe den Planeten, ich verehre die Natur und die Welt bietet so viele Plätze, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. Zum Beispiel hier in Namibia, wo Barbara und ich gerade auf Entdeckungsreise gehen. Etwa im Norden von Lüderitz, einer früheren deutschen Diamantgräberstadt direkt am Südatlantik, wo ein Deutscher buchstäblich in ein Felsmassiv die »Feste im Fels« hingezaubert hat. Eine kleine, aber feine Hotelanlage mit vier Lodges, Restaurant und Swimmingpool, umgeben von leuchtend roten Granitfelsen. Am Abend wird es hier bereits recht zeitig dunkel, weil die Sonne abrupt hinter den Bergen verschwindet. Ich sitze mit Barbara auf der Terrasse und genieße das Abendessen. Reis, Gemüse, gegrilltes Antilopenfleisch. Wir fühlen uns wie in einem Haubenlokal.
Namibia hat in diesen Tagen noch einiges mehr zu bieten: Die Landschaft ist einzigartig, etwa in Aussenkehr, ein von deutschen Auswanderern gegründeter Ort. Oder beim Fish River Canyon, einem der größten Canyons der Welt, mit weiten, ausgebrannten Landstrichen und vereinzelten Köcherbäumen. Menschen triffst du nur, wenn du bei einer Unterkunft Halt machst oder einkaufen gehst. Ich gebe zu, das gibt mir ein unbeschreibliches Gefühl von Freiheit.
Was für einen Lottosechser ich mit Barbara gemacht habe, erkenne ich bereits in den ersten Urlaubstagen. Welche Frau mag schon fünf Stunden mit mir durchgehend im Auto über Schotterstraßen glühen, danach eine Düne hochmarschieren und gleich wieder im Auto schwitzen? Ich bin ein Glückspilz. Ja, richtig gelesen. Ich bin glücklich, auch wenn ich mir ausmalen kann, was ich vor meinem Motorradunfall mit Barbara in Namibia alles unternehmen hätte können. Ich hätte mir bestimmt ein Motorrad geliehen und wäre stundenlang in der Namibwüste auf den Dünen herumgekurvt. Vermutlich wäre ich auf jeden erdenklichen Felsen geklettert. Ja, das wäre Action pur geworden. Aber soll ich darüber jammern, nunmehr nicht die Dünen mit Barbara hinaufwandern zu können? Blödsinn.
Ich sitze seit zwanzig Jahren mit inkompletter Querschnittslähmung im Rollstuhl und werde den Teufel tun, auch nur eine einzige Minute meines Lebens mit Jammerei darüber zu verschwenden. Stattdessen schau ich vom Rollstuhl aus meiner Freundin zu, während sie auf die Dünen hinaufstapft. Zwischendurch flirte ich mit ein paar Oryx-Antilopen, die mich offenbar verwundert mustern. »Mann im Rollstuhl« ist kein alltäglicher Anblick für diese grazilen Wüstenbewohner. Barbara ist noch unterwegs und als die Antilopen weitergezogen sind, setze ich mich wieder ins Auto und vertreibe mir die Langeweile, indem ich wie ein Irrer im Sand herumfahre. Vom Holpern durch das unwegsame Gelände fliegen ein paar Wasserflaschen bis ans Autodach und platzen auf. Ich bin eben ein großes Kind. Natürlich wäre ich lieber mit Barbara zusammen gewesen anstatt ein paar Auto-Stunts zu drehen. Aber Jammern: Fehlanzeige. Ich erlebe hier gerade besondere Momente. Augenblicke, um die mich viele beneiden würden.
Barbara und ich bemerken bald, wie unglaublich privilegiert wir sind. Wir wollen einen Offroad-Trail in der Nähe von Aussenkehr befahren und sollen uns den Schlüssel für das Einfahrtstor vom Leiter eines Supermarktes holen. Der Laden steht in einem Township, einem Slum mit Strohhütten, wo vor allem mittellose Menschen ohne Strom und Wasser leben. Als wir dort ankommen, hat sich bereits eine Menschenschlange gebildet, obwohl der Markt noch nicht aufgesperrt hat. Es ist gerade Monatsanfang und offenbar wurden vor kurzem Löhne ausbezahlt. Dann gehen die Türen auf, die Menschen stürmen hinein und binnen weniger Minuten scheint dieser Lebensmittelmarkt leergefegt zu sein. Einen Moment lang fühlen wir uns gar nicht großartig: Wir warten auf einen Schlüssel für eine Jux-Fahrt, während Einheimische sich um ihr tägliches Essen anstellen. Tausende arbeiten in Namibia für einen Spottlohn in der Weinlese, alles wird von Hand gemacht. Und der Kolonialismus ist nicht verschwunden, das gibt Barbara und mir zu denken. Als wir den Schlüssel für den Freizeit-Trail bekommen, blättern wir zwanzig Dollar auf den Tisch und brechen auf. Bei der kilometerlangen Fahrt durch den Canyon denke ich nochmals an die Einheimischen und habe eine Zeitlang ein schlechtes Gewissen, weil sie einen so unbeschwerten Tag wie wir niemals erleben werden.
Namibia bietet aber auch positive Erlebnisse, bei denen dir regelrecht der Mund offenbleibt und du dich fragst, ob es ein Traum oder Realität ist. Im Etosha-Park im Norden lassen sich mit dem Auto die »Big Five« problemlos aus allernächster Nähe bewundern, wenn du an Wasserlöchern vorbeikommst. Natürlich wollen Barbara und ich uns das nicht entgehen lassen. Löwen, Nashörner, Zebras oder Elefanten praktisch zum Anfassen, das lässt jeden staunen. Und dabei gilt es beim Autofahren höllisch aufzupassen, denn nach einer Kurve steht auf einmal eine Giraffe vor dir, als wäre sie aus dem Nichts aufgetaucht. Wer will schon eine Giraffe über den Haufen fahren? Ich kann gerade noch ausweichen. Das habe ich davon, flotter als die im Tierpark erlaubten vierzig Kilometer pro Stunde unterwegs zu sein, aber ich kann eben nicht anders. Als langjähriger Enduro-Pilot übt das Schnellfahren eine unwiderstehliche Lust auf mich aus. Um ein Haar hätte ich ein Warzenschwein ins Jenseits befördert. Puh, alles gutgegangen. Wer Gas geben kann, muss auch bremsen können.
Den Plan, die Welt kennenzulernen, hatte ich recht früh im Kopf. Ich bin als drittes von vier Kindern auf einem Bauernhof in der Südoststeiermark aufgewachsen, mit allem, was dazugehört. Mit sechs Jahren bin ich morgens und abends bis zu den Knöcheln im Schweinedreck gestanden, habe immer mithelfen dürfen und von Stallputzen und Ferkel-auf-die-Welt-Bringen bis Schlachten und Ausnehmen so ziemlich alles mitgekriegt. Das klingt einigermaßen wild, war aber ganz okay. Natürlich wäre ich lieber mit dem Motorrad über Stock und Stein gebrettert. Mit sieben jedenfalls habe ich bereits mit einem Moped die Gegend rund um den elterlichen Bauernhof unsicher gemacht. Mit neun Jahren davon geträumt, Motocross einmal professionell zu betreiben. Meine Eltern hielten das für ein Hirngespinst, eh klar.
Aber mit knapp zwölf bin ich tatsächlich mit einer 500er-Maschine vom Nachbarn herumgekurvt und habe mich wie ein König gefühlt. Ich hatte nicht nur jede Menge Spaß, sondern konnte damit auch meinen Freunden mächtig imponieren. Das kennt jeder, als junger Mensch irgendetwas Besonderes machen zu wollen. Klarerweise wollte ich besser Motorradfahren können als Gleichaltrige. In dem Alter hat doch kaum einer ein gefestigtes Selbstbewusstsein. Auch ich habe permanent nach Anerkennung gesucht und alles unternommen, um als cooler Typ durchzugehen. Ich habe verrückte Sachen gemacht, auf die ich im Nachhinein keineswegs stolz bin. Mein fehlendes Selbstvertrauen als junger Bursch habe ich einfach durch saublöde Raufereien und jede Menge Alkohol ankurbeln wollen. Einerseits war ich ziemlich schüchtern, andererseits habe ich mich wie der größte Trottel benommen. Ich bin unzählige Male betrunken in einem Straßengraben gelegen, einmal sogar auf dem Hauptplatz meines Heimatortes Edelsbach. Und es hat mich tausendmal mit dem Motorrad geschmissen. In meiner Lehrzeit ließ ich kaum eine Gelegenheit aus, mich in Gesellschaft volllaufen zu lassen. Jeder kann sich vorstellen, dass Freunde eine Hetz‘ damit hatten, mich in kürzester Zeit berauscht zu erleben. Keine schöne Erinnerung! Im Nachhinein bin ich heilfroh, irgendwann die Kurve gekratzt zu haben und auf gut Deutsch g’scheiter geworden zu sein. Endlich fühlte ich mich auch ohne den depperten Alkohol stark und gut genug. Übrigens, seit mittlerweile acht Jahren trinke ich keinen Tropfen mehr. Nicht nur aus gesundheitlichen Gründen, sondern weil mir das Zeug nicht mehr schmeckt.
Auch die Liebe zum Motorradfahren brachte mich weg von der Sauferei. Und damit war die berufliche Laufbahn vorgezeichnet. Ich absolvierte in Graz die Kfz-Lehre zum Mechaniker und Elektriker und konnte mir mit fünfzehn bereits voll Stolz mein erstes eigenes Motorrad leisten. Das war der Beginn einer großen Leidenschaft, vielleicht sollte ich es aber eher Passion nennen. Als Leiden kann ich es nämlich nicht bezeichnen, mit hundert Sachen und mehr durch die Landschaft zu fetzen. Nach Abschluss meiner Lehre ging es für drei Jahre in die Abendschule, und mit neunzehn Jahren übersiedelte ich bereits zur Firma KTM nach Oberösterreich. Eine herrliche Zeit. Weil ich meine Arbeit und meine Spezis mochte, vor allem aber auch, weil ich mir am Wochenende immer wieder eine lässige Maschine ausborgen und damit in die Berge zischen konnte.
Meine Eltern haben meine Übersiedlung nach Oberösterreich verständlicherweise skeptisch gesehen. Sie hätten nichts dagegen gehabt, dass sich einer ihrer vier Buben später einmal um Äcker, Wald und die rund 220 Schweine kümmert. Ich für meinen Teil träumte allerdings von anderen Dingen: Gefahren zu trotzen, Herausforderungen zu stemmen, einfach viel zu erleben. Ich wollte immer schon den Spuren Peter Pans folgen und mein Neverland finden. Dennoch bin ich dankbar, am Bauernhof groß geworden zu sein und die Arbeit dort kennengelernt zu haben. Das hat mir auf keinen Fall geschadet. Nebenbei habe ich stets nach allem Möglichen gesucht, um mich zu beweisen, habe so gut wie fast alles ausprobiert und bin am liebsten gegen den Strom geschwommen. Es gab für mich nichts, was nicht erlaubt wäre. Ein Leben auf der Überholspur, wie es so schön heißt. Nichts, absolut gar nichts war mir heilig. Als junger heranwachsender Mann hätte ich eine Art Mentor gebraucht, der einem Führung gibt und der einen mitunter bei den Ohren zieht, wenn es notwendig ist. Hätte es diesen Mentor gegeben, wäre ich nicht so oft im Straßengraben aufgewacht und hätte vermutlich auch nicht so viele Autounfälle fabriziert. Ich bin eben ständig aufs Ganze gegangen, ohne Rücksicht auf Verluste.
Meine Eltern waren zu dieser Zeit nicht zu beneiden, und im Nachhinein tun sie mir ein wenig leid. Dennoch bereue ich nur wenig, weil ich die verrücktesten Sachen erlebt habe und dabei auch noch Schweineglück hatte. Nicht nur meine Eltern waren verzweifelt, auch meine damaligen Freundinnen, die sich nach und nach Sorgen um mich gemacht haben. Wenn ich mich allerdings zwischen einer Frau und dem Motorrad hätte entscheiden müssen, wär’s mit Sicherheit das Gerät geworden. Als ich mit den Enduro-Rennen begann, wurde mein Fahrstil langsam vernünftiger. Eine Straßenmaschine habe ich mir dennoch nicht zugelegt, weil ich wusste, ich würde mit diesem superschnellen Motorrad nicht lange überleben. Ich wäre im Straßenverkehr eine Gefahr für mich und die Allgemeinheit gewesen.
Meine jugendlichen Eskapaden hatten vermutlich damit zu tun, dass ich ständig danach suchte, alles Erdenkliche auszukosten. Während der Berufsschulzeit bin ich nach einem halben Jahr aus dem Internat geflogen. Mein Selbstfindungstrip, so könnte ich ihn nennen, führte zu acht Überschlägen mit Autos, bevor ich offiziell einen Führerschein besaß. Mein Glück war, dass niemand anderer dabei zu Schaden kam. Ich selbst habe nicht nur die eine oder andere Schramme davongetragen, nein, es war auch eine Gehirnblutung mit zweiwöchigem Koma dabei. Damals hatte ich Glück im Unglück, weil ich tot sein hätte können. Gott sei Dank ist mir als Andenken lediglich ein leichter Tinnitus geblieben. Aber gescheiter geworden bin ich durch den schweren Unfall nicht. Im Gegenteil: Ich ging nicht runter vom Gas und war relativ schnell wieder bereit für neuen Blödsinn. Das klingt radikal, ich weiß, aber für mich gehörte Risiko zum Alltag. Frei nach dem Motto: »Wenn das Leben aus ist, ist es aus, aber es war wenigstens geil!« Klarerweise habe ich es nicht darauf angelegt zu sterben, weil ich so viel wie möglich erleben wollte. Zugleich hatte ich keine Angst vor dem Tod. Ein Knochenbruch oder ein Kreuzbandriss beim Enduro-Fahren konnte mich erst recht nicht bremsen. Ich habe eben die Zähne zusammengebissen und geschaut, so schnell wie möglich wieder fit zu werden.
Bis mir eines Tages das Schicksal den Stinkefinger zeigte. Ausgerechnet an einem Freitag, den 13., genauer gesagt am 13. August 2004, am Tag nach meinem 23. Geburtstag. Manchmal schmunzle ich heute noch über das Datum, weil ich alles andere als abergläubisch bin. Wie auch immer: Es geschah in Polen auf der Heimreise von einem sechswöchigen Motorrad-Trip, den ich mit einem Spezi durch Norwegen, Schweden und Finnland unternommen hatte. Ein wahres Abenteuer. Am Tag vor dem Unglück feierten wir meinen Geburtstag in der Altstadt von Krakau bei einem gemütlichen Bier, danach schliefen wir in einer Jugendherberge. In der Früh brachen wir ohne großen Kater von Krakau in Richtung Warschau auf. Ich weiß noch, dass es regnete und wir auf einem kerzengeraden Autobahnstück unterwegs waren. Ich wunderte mich, dass mein Freund lediglich mit achtzig Kilometern pro Stunde unterwegs war und träumte irgendwie vor mich hin. Deshalb bemerkte ich auch nicht, dass der Straßenbelag zahlreiche Spurrillen aufwies. Ich kam zu Sturz, schlitterte ungefähr dreihundert Meter weit dahin und dachte mir lediglich »Mein Gott, war das denn jetzt nötig?« Mein Verhängnis: Mit nicht einmal fünf Kilometern pro Stunde bin ich gegen einen Steher der Mittelleitschiene geprallt. Es gab einen ordentlichen Knacks. Nach wenigen Sekunden fühlte es sich an, als würden meine Beine lichterloh brennen. Erst dachte ich, mein Motorrad hätte Feuer gefangen, das war aber nicht der Fall. Und dann schoss mir durch den Kopf, ein Bekannter, der bei einem Unfall eine Rückenmarksquetschung erlitten hatte, hatte von exakt demselben Gefühl in den Beinen erzählt. Verdammte Scheiße! Mir dämmerte sofort, was mit mir los sein könnte. Noch dazu konnte ich unmittelbar nach dem Aufprall meine Beine nicht bewegen.
Die erste Diagnose in einer Spezialklinik in der Nähe von Warschau traf mich wie ein Hammer. Erster Lendenwirbel zersplittert, die Wahrscheinlichkeit, jemals wieder gehen zu können, erschien verschwindend gering. Im Laufe des zehntägigen Aufenthaltes in der polnischen Klinik wurden mir zwei Eisenplatten implantiert, ehe ich per Ambulanzjet in ein Salzburger Krankenhaus überstellt werden konnte. Dort hatte ich traurige Gewissheit und wurde bald in der Reha-Klinik Tobelbad in der Nähe von Graz aufgenommen. Vier Monate habe ich dort verbracht, hoffte eine Zeitlang, das Gefühl in den Beinen würde doch noch zurückkommen. Vergebens! Recht bald war klar, ich würde lebenslang auf einen Rollstuhl angewiesen sein. Mit meiner großen Liebe, dem Motorradfahren, war es aus und vorbei.