Zur Sache, Chérie - Alain-Xavier Wurst - E-Book

Zur Sache, Chérie E-Book

Alain-Xavier Wurst

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Beschreibung

«Die deutsche Frau ist wunderbar. Sie könnte perfekt sein. Wenn sie nur wüsste, wie man flirtet.» Alain-Xavier Wurst spricht aus Erfahrung. Seit sieben Jahren lebt und liebt der Franzose nun schon in Deutschland, wo für das Spiel des Flirtens offenbar ganz andere Regeln gelten als jenseits des Rheins. Seinen Humor finden die deutschen Demoiselles anzüglich, Komplimente gleiten an ihnen ab, und will er eine gar auf die Wange küssen, guckt sie ihn an, als sei er ein Lustmolch. In «Zur Sache, Chérie» erforscht der Journalist das rätselhafte Flirtverhalten der Deutschen – und schildert mit viel Charme, was aus seiner Sicht daran dringend zu ändern ist.

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Alain-Xavier Wurst

Zur Sache, Chérie

Ein Franzose verzweifelt an den deutschen Frauen

Inhaltsverzeichnis

Zitat

Prolog

Au revoir Paris, bonjour Hambourg

Die deutsche Frau: «Was will der von mir?»

Über das Flirten und andere Straftaten

Sex im Land der Besucherritze

Was die deutsche Sprache über Sex verrät

Onlinedating: Du solltest treu und tierlieb sein

Der deutsche Mann: die Romantik, die Moral und das Werther-Syndrom

Von Deutschland zu Flirtland: Anregungen und Empfehlungen

Dank

«Männer sind… – und Frauen auch, überleg dir das mal.»

Loriot

Prolog

Deutschland schrumpft. Das ist eine bittere Feststellung, aber so ist es. Die Deutschen pflanzen sich ungenügend fort. Das Statistische Bundesamt hat in einem besorgniserregenden Bericht prognostiziert, dass 2060 nur noch 70Millionen Menschen in Deutschland leben werden statt 82Millionen heute.

Das wundert mich nicht.

Deutschland. Auch bekannt unter dem Namen «Land der Dichter und der Philosophen», wie die Schriftstellerin Madame de Staël vor zweihundert Jahren treffend verzeichnete. Anfang des neunzehnten Jahrhunderts bereiste sie das Land von Goethe, Schiller und Kant. Die Baronin schwärmte von der Zuneigung der Deutschen zum Idealen und bewunderte den deutschen Geist, der sich für die Tiefe ereiferte, dort wo der Franzose sich mit Oberflächlichkeit begnügte. In ihrem berühmten Buch De l’Allemagneschrieb sie: «Deutschland ist die Heimat des Denkens.»

Wie wahr.

Leider aber auch der Besucherritze.

Letzteres ist zu meinem Erstaunen der Baronin entgangen. Dabei ist es von größtem Übel. Deutschland, «Land des Denkens und der Besucherritze», wäre jedenfalls richtiger gewesen. Zumal es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Denken und der Besucherritze gibt. Da ein Bett aus zwei Matratzen besteht, getrennt durch eine Besucherritze, bleibt einem nichts anderes übrig, als in seinem Bett zu denken und dann einzuschlafen. Von jeglichen anderen Aktivitäten muss man sich verabschieden.

Wie, zum Beispiel, Sex.

Diese Beobachtung sollte eigentlich schon die Erklärung dafür liefern, warum die Demographie hierzulande einem negativen Trend folgt. Gleichwohl, das erfahren wir aus vielerlei Quellen, haben die Deutschen Sex. Eine überaus erfreuliche Nachricht. Indes, wie lässt sich das Paradox auflösen, dass Deutschland trotz Sex schrumpft?

Das Problem entsteht früher, werte Leserinnen und Leser. Viel früher. Was tun ein Mann und eine Frau, wenn sie sich kennenlernen? Genau. Sie flirten. Die Liebe, der Sex, die Babys, die man auf die Welt bringt – alles hat eines Tages mit dem Flirten begonnen. Am Anfang war das Flirten. Deutschland schrumpft, weil zu wenig geflirtet wird in diesem Land. Voilà, die wahre Erklärung. Damit wären wir auch beim Hauptthema dieses Buches angelangt: das Flirten.

Genauer gesagt: das Flirten mit der deutschen Frau.

Und da habe ich verstanden, warum Deutschland schrumpft.

Die deutsche Frau ist wunderbar. Sie könnte perfekt sein. Wenn sie nur wüsste, wie man flirtet. Und dass man flirten darf. Und dass man flirten soll. Und dass man flirten muss. Würde die deutsche Frau beim Spiel des Flirtens mitmachen, würde ich Deutschland sofort zum Paradies erklären. Man stelle sich vor: Ein Land, wo die Renten sicher und die Frauen sexy sind! Ein Traum.

Einmal herrschten in Deutschland schon paradiesische Zustände – zur Zeit des Sommermärchens, als die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland stattfand. Die Welt war zu Gast bei Freunden und Freundinnen, die Sonne schien, eine Wolke von Oxytocin zog über das ganze Land und schüttete pausenlos Lust und Liebe über den Menschen aus. Jeder sprach den anderen an, alle wollten nach Berlin fahren, die deutschen Ladys flirteten mit den Jungs und vergaßen eine Stunde später, wen sie gerade geküsst hatten.

War das toll.

Dieser Ausnahmezustand dauerte einen Monat. Danach kehrte die Realität zurück, die Welt fuhr wieder nach Hause, die Wolken über Deutschland schütteten nur noch Regen aus, niemand sprach in den Straßen niemand mehr an, und die deutschen Frauen vergaßen nicht nur, wen sie küssten, sondern auch das Flirten.

Bringen wir es auf den Punkt: Der Franzose, der sich in Deutschland auf die Suche nach der deutschen Liebe macht, erlebt einen Kulturschock. Einen Clash of civilisation. Als Antwort auf meinen anzüglichen Humor verdrehen die deutschen Demoiselles die Augen, meine Komplimente gleiten an ihnen ab. Will ich sie auf die Wange küssen, gucken sie mich an, als wäre ich ein Lustmolch. Will ich die Rechnung im Restaurant zahlen, tun sie, als wollte ich mir ihre sexuelle Leistung erkaufen. Will ich sie nach Hause bringen, gelte ich als potenzieller Psychopath.

Welch rätselhafte Flirtkultur, dachte ich mir. Die Deutschen flirten sehr subtil, das hatte die Band Wir sind Helden mit «Aurélie» schon frühzeitig erkannt. Allerdings so subtil, dass der Franzose nichts mehr kapiert. Alles, was er in Frankreich gelernt und angewendet hat, die Galanterie, das Hofieren, das Spiel des Verführens, wird hier als böses Mittel interpretiert, das nur dazu dienen soll, die Frau ins Bett zu kriegen.

Natürlich nur dazu. Was ist falsch daran?

Nachdem die erste Zeit des Erstaunens vorbei war, gab es für mich zwei Alternativen: Entweder fahre ich nach Paris zurück und erkläre die deutsche Frau zum hoffnungslosen Fall. Oder ich versuche herauszufinden, was hier los ist. Das Erste klang nach Niederlage, das Zweite nach Herausforderung.

Ich entschied mich für die Herausforderung. Den Sonnenuntergang mit Juliane am Bodensee anschauen, mit Josefine durch die Berliner Clubs ziehen, mit Barbara den Kölner Dom besuchen, mit Kerstin an die Ostsee, mit Sabine auf das Oktoberfest, mit Anna ins Elbtal – all diese Begegnungen im Dienst der Wissenschaft, um lediglich die Frage zu beantworten: Was will die deutsche Frau?

Die Erfahrungen habe ich am eigenen Leib gemacht, getreu dem französischen Motto C’est en forgeant que l’on devient forgeron – Übung macht den Meister. Misserfolge, Fauxpas, Peinlichkeiten, nichts blieb mir erspart. Die Ergebnisse meiner Feldforschung habe ich in diesem Buch sorgfältig niedergeschrieben. Von meinem ersten Schritt bis zur Tür des Schlafzimmers – ich habe stets versucht, einige Situationen aus meiner deutschen Vita so treu wie möglich darzustellen. Damit die Wahrheit über die deutsche Frau endlich ans Licht kommt. Die ganze Wahrheit, und nichts als die Wahrheit.

Bevor wir aber zum Kern der Sache dringen, erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung in Form eines Zitats: «Ich habe die üble Gewohnheit, meine Beobachtungen sofort zu verallgemeinern; das kommt von dem Stolz auf eine wichtige Beobachtung und von der Trägheit, denn es ist viel leichter, mit Hilfe dieses ‹irgendein› oder ‹im Allgemeinen› eine Beobachtung zu verallgemeinern, als sorgfältig nachzuprüfen, ob man wirklich sehr oft Gelegenheit hat, diese zu machen.»

Dies schrieb der französische Schriftsteller Stendhal in seinem Tagebuch in Braunschweig, welcher zwischen 1806 und 1808, während des napoleonischen Feldzugs, nach Braunschweig geschickt wurde. Stendhal, der eigentlich Henri Beyle hieß, hat sich den Namen der Stadt Stendal in Sachsen-Anhalt als Pseudonym ausgesucht, weil er den Archäologen und Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann verehrte, der in Stendal geboren wurde. Um sein Pseudonym noch zusätzlich zu germanisieren, fügte Stendhal ein «h» hinzu.

Ein Franzose, der ein deutsches Pseudonym wählte und De l’Amour schrieb – ich kann mir kein besseres Vorbild vorstellen. Umso mehr darf ich mir dieses Zitat zuschreiben, das wie die Faust aufs Auge für mein Buch passt.

Nun lassen Sie uns gemeinsam das Paradies made in Germany gestalten, werte Leserinnen und Leser. Diesmal, ausnahmsweise, mit französischer Technik. Es geht hier um Technologietransfer. Seien Sie unbesorgt: Wenn es um Liebe geht, streikt der Franzose nie. Mit deutschen Frauen und französischer Flirtkultur werden wir den Beweis erbringen, dass auch das Statistische Bundesamt sich irren kann.

Die deutsch-französische Freundschaft ist sowieso tot. Es lebe die deutsch-französische Liebe.

Au revoir Paris, bonjour Hambourg

Sommer 1992, an einem französischen Strand an der Atlantikküste.

Eine blonde Demoiselle im weißen Bikini liegt allein auf ihrem Badehandtuch, samt Buch, Tasche und Flasche Mineralwasser. Sie speichert Sonne womöglich für das ganze Jahr und lässt sich den Rücken bräunen. Der langsam rot wird. Immerhin hat sie einen Hut, der ihren Kopf schützt und ihrem Gesicht etwas Schatten spendet.

Jef und ich kennen uns seit der Schule und sind enge Freunde. Wir sind Anfang zwanzig und verbringen unseren Urlaub am Meer. Mit Sturm und Drang jagen wir die Schönheiten, die sich am Strand dehnen. Die blonden Ausländerinnen sind unsere Lieblingsbeute. Sprich, hauptsächlich Holländerinnen, Schwedinnen und Deutsche. Man könnte denken, die Hürden der Sprache hinderten uns daran, Kontakt aufzunehmen. Mitnichten. Sie ermöglichen im Gegenteil alle Missverständnisse, welche das Anbaggern vereinfachen. Ein gebrochenes Englisch mit französischem Akzent, begleitet von vielen Gesten und Gesichtsausdrücken, ist eine sehr erfolgreiche Eintrittskarte, um mit ausländischen Demoiselles ins Gespräch zu kommen.

Die unbekannte Sylphide bemerken wir sofort. Sie ist ungefähr in unserem Alter.

«Mademoiselle?»

Mademoiselle dreht sich um. Oh, la, la! Der Fang des Tages. Eine wahre Beauty sitzt uns gegenüber, die wir offensichtlich aus ihrem Halbschlaf geweckt haben.

«Vous êtes toute rouge dans le dos – Ihr Rücken ist ganz schön rot.»

In ihrem Fall stimmt es. Wir haben natürlich Creme dabei. Den Trick haben wir schon fünfzigmal geübt, und die Dame hat es bestimmt schon hundertmal gehört.

Sie zeigt mit eindeutiger Körpersprache, dass sie uns nicht versteht.

«You spik änglisch?», fragen wir in möglichst schlechtem Englisch. Der Franzose muss sich dafür nicht mal verstellen.

«Yes.»

«Whäre are you… euh… coming fromm?»

«Germany.»

«Ah! Dötschland! Euh… wir spräschön ein bischön dötsch! Gutön Tak!»

Wie gut, dass wir Deutsch in der Schule gelernt haben. Eine kleine Rechnung zeigt, wie effizient wir sind: Von der siebten Klasse bis zum Abitur sind es fünf Jahre. In einem französischen Schuljahr gibt es ungefähr zweiunddreißig Wochen. Pro Woche hatten wir drei Stunden Deutschunterricht. Pro Stunde sprachen wir höchstens zwei Minuten aktiv deutsch. Pro Jahr haben wir also drei Stunden und zwölf Minuten gesprochen. Auf fünf Jahren hochgerechnet sind das sechzehn Stunden. Anders gesagt: null. Dafür sind wir aber im Fachbereich Körpersprache zweisprachig.

Die junge Dame scheint ihrerseits der französischen Sprache auch nicht besonders mächtig zu sein.

«Je ne parle pas français», sagt sie.

«C’est pas grave! – Das ist nicht schlimm!», antworten wir. «Du bringst uns Dötsch bei, wir dir Französisch! Tu t’appelles comment? – Wie heißt du?»

«Franziska.»

«Francesca?!»

«No! Franziska!», und betont dabei das «zis».

«Ah, Franzoseschka?!»

Sie guckt uns von unten an. Sie findet uns schon amüsant, aber sie hätte gern ihre Ruhe, das ist spürbar. Wir labern sie trotzdem weiter an, in einer komischen Mischung aus Französisch, Englisch und Deutsch.

«Dein Rückön sehr rot! Wir cremön dir!«

«Non, non!», antwortet die Demoiselle. «I’ve sun lotion – ich habe Creme.» Sie sucht die Creme in ihrer Tasche. Wir knien uns jetzt neben sie, Jef links, ich rechts von ihr. Wir tragen beide Sonnenbrillen und sehen wie Mafiosi-Azubis aus.

Sie holt die Creme hervor, wie eine Trophäe. Sonnenschutz 12.

«Du brauchst aber französische Creme für französische Sonne!»

Sie macht einen Gesichtsausdruck, den ich erst in fünfzehn Jahren identifizieren werde. Nämlich: «Häh?» Zu diesem unsäglichen «Häh» werde ich mich später äußern. Kehren wir erst mal zurück in die frühen Neunziger.

«Yes, very good lotion», sagt sie. Als ob uns die Sonnencreme interessieren würde.

Ihr Tonfall ist nicht wirklich einladend. Sie lächelt nur halbherzig. Um uns abzukühlen, müsste sie sich jedoch mehr bemühen, so einfach lassen wir unser Jagdobjekt nicht entkommen.

Jef steigert das Spiel und deutet auf ihr Dekolleté.

«Oh, la, la! Et ici aussi!–Und hier auch!» An dieser Stelle ist sie weiß wie Schnee.

«Very dangerous!», sage ich. «You need help! Don’t worry, we are professionals!»

«I will do it myself.»

Denkt sie wirklich, wir würden ihre Brust anfassen, einfach so?

Franziska findet unsere kleine Szene nicht mehr so lustig. Sie guckt nach rechts und nach links und fühlt sich offensichtlich von diesen zwei aufdringlichen Franzosen belästigt.

«Do you want to drink something with us?» Jef weist auf die kleine Hütte am Strand. «A coca-cola?! With lemon and ice?!»

«And a good crêpe!», füge ich hinzu. «Crêpe schmäckt gutt!»

«Thank you.» Sie zeigt ihre Mineralwasserflasche.

Bon. Franziska macht nicht mit, trotz unseres ganzen Guignol-Theaters. Dann halt Pech für sie. Es gibt viel zu viele Demoiselles an diesem Strand, die auf unser Eincremen warten, als dass wir mit dieser Walküre unsere Zeit verschwenden. Wir geben Franziska eine letzte Chance und weisen abermals auf die kleine Hütte: «Okay! We will be there at seven o’clock, if you want to join us. Salut!»

Wir warten heute noch auf Franziska. Einen Tag nach dieser Szene sind wir zwei blonden Schwedinnen begegnet. Vielleicht lag es daran, dass sie auch zu zweit waren? Auf jeden Fall haben wir uns den Rücken gegenseitig eingecremt, und sie lachten über unsere Duo-Nummer. Jef war im Vorteil, er konnte Gitarre spielen – der Klassiker. Aber Klassiker funktionieren immer gut. Sonst wären sie ja keine Klassiker. Rachel schrieb ihren Namen auf meine Haut, als ich sie fragte, wie sie hieß. Rachel und Jessica. Jef hat mit Jessica noch lange Zeit korrespondiert.

Nicht alle Blonden sind gleich.

Ich werde Franziska nie vergessen. Sie war meine erste Erfahrung mit einer deutschen Frau. Nein, eigentlich die zweite. Es gab bereits ein Fräulein vor ihr, noch schöner, dafür genauso humorlos: Claudia Schiffer.

Für die Franzosen meiner Generation war Claudia Schiffer zehn Jahre lang der Inbegriff der Versuchung. Als ich zwanzig war, bin ich ihr täglich in den Straßen von Paris begegnet. Sie stand in Übergröße auf jedem zweiten Werbeplakat der Stadt, und jede Woche posierte sie auf dem Cover eines französischen Frauenmagazins.

Sie repräsentierte die deutsche Frau schlechthin, indem sie alle Klischees erfüllte, welche wir in Frankreich von den deutschen Frauen haben: groß, blond, schön. Würde man eine Umfrage unter Franzosen machen, welche deutsche Frau sie spontan nennen könnten, wäre es sicherlich Claudia Schiffer.

Claudia Schiffer verdankt ihren Erfolg allerdings nicht nur ihrer Schönheit, sondern auch ihrer Ähnlichkeit mit Brigitte Bardot. Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Claudia Schiffer blieb immer nur eine Erscheinung auf Hochglanzpapier, gewissermaßen abstrakt. Sie war zwar eine perfekte Plastik, wirkte aber kühl und reserviert. Ihr fehlten im Unterschied zur Bardot die Lebendigkeit und das Verführerische, welche die Schönheit ins Umwerfende verwandeln. Mit diesen Eigenschaften bestätigte sie auch ein weiteres Klischee der Franzosen über die deutschen Blondinen: schön und diszipliniert. Und null Sex-Appeal.

Die Presse berichtete kaum über Claudia Schiffers Liebesleben – ob sie überhaupt Affären hatte? Der Terminkalender eines Topmodels lässt ja bekanntermaßen wenig Freiraum fürs Private. Eines Tages erfuhr man, dass sie mit dem amerikanischen Zauberer David Copperfield liiert war. David Copperfield war eine Art Siegfried und Roy in einer Person, nur ohne Tiger. Die komische Paarung war weit von dem entfernt, was die Öffentlichkeit an Phantasien über ein Supermodel hegt. Als ob Brigitte Bardot mit Eduard Zimmermann geflirtet hätte. Es erwies sich später tatsächlich als PR-Coup, was die ganze Sache recht peinlich machte.

Dagegen war die Liaison von Brigitte Bardot und Gunter Sachs eine legendäre Geschichte, ein romantisches Abenteuer. Legendär ist vor allem die Art und Weise, wie unser Freund Gunter die schöne Brigitte verführte. Aus einem Hubschrauber streute er Hunderte von roten Rosen auf die Madrague, Bardots Villa an der Côte d’Azur. Liebeserklärung im großen Stil. Und zu diesem Zeitpunkt waren sie bereits verheiratet! Aber wer glaubt, man bräuchte seine Frau nicht mehr zu erobern, nur weil man sie geheiratet hat, wird eines Tages böse Überraschungen erleben.

Das Leben von Gunter Sachs beweist, dass auch deutsche Männer Don Juans sein können. Wobei Gunter Sachs ein Komet im männlichen deutschen Himmel war. Nach ihm gab es niemanden dieses Kalibers mehr – nur noch Schlagerkönige von Mallorca. Die deutschen Männer haben inzwischen offenbar verlernt, wie man Frauen verführt. Heute leiden sie unter akutem Werther-Syndrom oder pflegen ein Arschlochdasein. Mit dieser Problematik werden wir uns später ausführlich beschäftigen.

Kaum war der Stern von Claudia Schiffer am Erblassen, rollte schon die zweite Welle der deutschen Blondinen auf Frankreich zu: Heidi Klum, die Mitte der Neunziger Furore machte. Ihre Karriere als Model dauerte nicht so lang wie jene ihrer Vorgängerin, doch hielt sie sich sorgfältig an das Klischee der blonden deutschen Schönheit. Solange die Deutschen uns ihre Topmodels schicken, damit diese in Paris defilieren, sind sie herzlich willkommen. Schifferland und Klumland, bitte erobert uns. Lenaland auch.

Was interessieren mich eigentlich die deutschen Frauen?, könnte man fragen. Gibt es nicht genug schöne Französinnen? O ja. In der Tat. Aber ich wollte ethnologische Erfahrungen machen und etwas Neues sehen. Nachprüfen, ob alle deutschen Frauen blond und humorlos sind. Und letztlich hat dieses Interesse auch etwas mit dem Namen Wurst zu tun. Wurst ist mein Name. Nein, das ist kein Pseudonym. Ja, ich weiß. Wie kam es zu diesem Desaster?

Meine Großeltern väterlicherseits waren Deutsche. Sie stammten aus Schlesien und hatten sich nach dem Krieg in Düsseldorf niedergelassen. Sie erzählten uns immer, meinem kleinen Bruder und mir, von der Heimat. Von der Heimat gab es ein schwarz-weißes Foto in der Küche. Hügelige, ruhige Landschaft mit viel Wald. Haben wir aber auch in Frankreich, dachten wir, und unsere Berge waren sogar höher. Was war da so besonders? Mit zehn versteht man nicht alles.

Ihr Sohn, mein Vater, wanderte wiederum später nach Paris aus. So begann die ganze Geschichte, ceci explique cela. Anfang der achtziger Jahre, als wir zwischen acht und zwölf waren, verbrachten mein Bruder und ich jeden Sommer drei Wochen in Deutschland. Wir kamen bei unseren Großeltern in Düsseldorf an, unser Opa holte den Opel Ascona 12 aus der Garage, und wir fuhren ins Sauerland – das Land der tausend Berge. Ob es eine Reminiszenz an die Heimat war? Wir haben Malefix, Mensch-ärger-dich-nicht und Minigolf gespielt. Die US-Kampfjets flogen ganz niedrig, der Lärm war unfassbar laut, aber wir fanden es verdammt cool. In Paris flogen ja keine Kampfjets. Wir waren drei Wochen lang im Zentrum der deutschen Spießigkeit, und es waren wunderbare Ferien dank unseren Großeltern, die für ihre zwei französischen Enkelkinder alles getan hätten.

Abgesehen davon, wussten wir von Deutschland nichts.

Zwanzig Jahre später dachte ich mir, es wäre Zeit, dieses Land besser kennenzulernen, das mir so fremd war und doch so nah. Bevor ich mich verabschiedete, traf ich mich mit meinen engsten Freunden in meinem Pariser Studio.

«Leute, ich werde für einige Zeit nach Deutschland gehen.»

«Was willst du dort?», fragte Clément.

«Die Deutschen erforschen.»

«Wozu?»

«Die Sprache ist unmöglich, sie tragen weiße Socken mit Sandalen, und sie streiken nie. Ansonsten ist Berlin super. Voilà, du hast die Deutschen erforscht. Noch Fragen?», sagte Patrick.

«Okay, ich habe mich offenbar falsch ausgedrückt. Ich will die deutsche Frau erforschen.»

«Ah! Ich komme mit!», rief Guillaume.

«Die ziehen sich alle grungemäßig an», sagte Matthieu.

«Unter den Jeans haben sie keine Dessous, dafür unrasierte Beine. Viel Spaß», sagte Clément.

«Alles Öko-Fanatikerinnen! Bis sie den Typ mit dem fetten Geländewagen treffen», sagte Xavier.

«Ich habe eine kennengelernt, in der Bretagne», sagte Vincent. «Sie hieß Judith. Blond, groß, sie sah geil aus, riesige Titten – aber selbst hinter verschlossener Tür durfte ich sie nicht befummeln. Glaubst du das? Sie schlafen nie am ersten Tag und auch nicht am dritten mit dir. Der Wahnsinn.»

All diesen freundlichen Einwänden und Warnungen zum Trotz packte ich einige Tage später meine Koffer ins Auto, eine Ente, Modell Charleston, Baujahr 1981, schwarz und rotweinrot. Tachostand 80000Kilometer – die Ente war wie neu. Dieses Modell ist heute noch sehr begehrt, allerdings ist das schwarzgelbe Modell Charleston bei Kennern noch gefragter, weil sehr selten. Die Überlebensfähigkeit der Ente ist erstaunlich. Sie hat die Sahara-Wüste durchquert. Jetzt sollte sie den Asphalt der deutschen Autobahnen genießen.

Die Ente ist für Franzosen, was der Käfer für die Wessis und der Trabi für die Ossis ist. Ein Stück Nationalidentität. Zur französischen Nationalidentität gehören natürlich auch Käse und Wein. So will es das Klischee, und wie alle Klischees ist es falsch und stimmt trotzdem. Für die Aufrechterhaltung meines Gemütszustandes in den fremden nordischen Gegenden rüstete ich mich käsemäßig auf. Außerdem hegte ich die Hoffnung, mit einer Sammlung edlen Käses ein deutsches Fräulein zu verzaubern. Wenn sie mit Roquefort oder Cantal nichts anfangen konnte, dann wären wir sowieso nicht füreinander gedacht.

Das einzige Problem an diesem herrlichen Lebensmittel ist der Geruch, der manchmal ein wenig aufdringlich sein kann. Gleichwohl besagt eine ungeschriebene Regel, dass, je mehr der Käse riecht, er umso leckerer schmeckt. Ein starker Epoisses ist in dieser Hinsicht unschlagbar. Jean Anthelme Brillat-Savarin, der Urvater aller Feinschmecker, nannte ihn nicht zufällig den «König der Käse».

Meine Ente wurde zum Lieferwagen. Ich füllte sie mit Epoisses, Ziegenkäse, Roquefort und anderen schimmeligen Köstlichkeiten. Dazu einige Weinflaschen. Unverzichtbar. Besonders in einem Moment von Heimweh. Ich stehe auf Côtes-du-Rhône, Rotweine aus der Bourgogne und trockene Weißweine. Deshalb brachte ich auch einige Chablis mit, Sancerre sowieso und eine Flasche Chassagne-Montrachet. Letztere wollte ich mir für die große Liebeserklärung, samt «Willst du mich heiraten?» und «Ich will drei Kinder von dir», aufbewahren. Ist ja schließlich ein Chassagne-Montrachet 1976.

Bloß nicht den Korkenzieher vergessen, und dann konnte es endlich losgehen. Aus dem Périphérique musste ich Porte de la Chapelle raus, Richtung Lille, an den Schtis vorbei. Dann durch Belgien weiter Richtung Lüttich, und bald war ich in Sichtnähe von Aachen. Ich hupte, als ich den Namen dieser symbolstarken Stadt sah. Sie ist die Stadt von Karl dem Großen, aus jener Zeit, als das Frankenreich die noch nicht existierenden Franzosen und Deutschen einigte – wie gut, dass sie sich inzwischen getrennt haben, sonst gäbe es keinen Anlass für dieses Buch.

Seitdem wir keine Grenzen mehr innerhalb Europas haben – genauer gesagt, innerhalb des Schengen-Raums–, gibt es am Übergang von Belgien zu Deutschland nur noch ein kleines rundes Schild, schlicht und bescheiden: Bundesrepublik Deutschland. Hier also beginnt das Land der langbeinigen Blondinen – und der langen Wörter.

Ja, die langen Wörter. Die deutsche Sprache ist tatsächlich für einen Franzosen ein phonetischer und optischer Schock. Einen Vorgeschmack auf lange Wörter gewann ich im Deutschkurs auf dem Gymnasium. Zum Glück hatte ich Deutsch noch vor der Rechtschreibreform gelernt, die Wörter waren also ein bisschen kürzer als heute. Schifffahrt schrieb sich zum Beispiel noch Schiffahrt. Schifffahrt mit drei f ist zwar logisch und pragmatisch, aber unsexy. Die umgekehrte Proportionalität von Pragmatismus und Sexyness betrifft allerdings nicht nur die deutsche Sprache, wie ich später noch feststellen sollte.

Und dann mussten wir uns in der Schule auch mit den Feinheiten der deutschen Grammatik auseinandersetzen. Eine Sisyphusarbeit. Jedes Mal, wenn ich dachte, ich hätte den Unterschied zwischen Akkusativ und Dativ verstanden, gab es etwas Neues, das ich nicht kapierte. Zum Beispiel: Der Akkusativ ist der Kasus der Bewegung (wohin), der Dativ der Kasus der Örtlichkeit (wo). Bon. Wenn ich von Paris nach Hamburg fahre, bewege ich mich. Bon. Entsprechend sollte ich 900Kilometer auf die Autobahn fahren. Nicht bon. Ich fahre 900Kilometer auf der Autobahn, weil ich mich auf der Autobahn befinde. Kurz: Ich fahre eine Strecke von 900Kilometern, und der Deutsche erklärt mir, dass ich auf der Autobahn kleben bleibe. Was will man da verstehen? Immerhin weiß ich heute noch, dass aus, außer, bei, mit, nach, seit, von, zu Präpositionen sind, die den Dativ erzwingen. Hätte ich damals gewusst, wie salonfähig es ist, die Grammatik zu beherrschen, hätte ich mir auch die Präpositionen mit Akkusativ gemerkt. Ein echter Opener bei den deutschen Ladys, diese Liste.

Also, falls man ein bisschen schusselig ist wie ich, dann verpasst man das kleine runde Schild und fährt daran vorbei, in der irrigen Annahme, man sei nach wie vor in Belgien. Doch allmählich merkte ich, hier läuft etwas anders. Ich gewann den Eindruck, meine Ente bewegte sich plötzlich langsamer als je zuvor. Alle dreißig Sekunden raste ein Auto an mir vorbei, das mich mit einer Geschwindigkeit überholte, die ich unangemessen fand und, um ehrlich zu sein, demütigend. Liegt es an mir, oder sind die anderen schneller geworden?

Seitdem die französische Regierung überall radarbewaffnete Gendarmen auf den Straßen und Autobahnen Frankreichs postiert hat, die gnadenlos ins Portemonnaie greifen und Führerscheinpunkte abziehen, fährt der Franzose auf annähernd zivilisierte Weise. Die Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn beträgt 130km/​h. Dementsprechend empfand ich das Überholen in Frankreich respektvoll: 130, manchmal 135km/​h gegen 100 für die Ente. Manchmal auch 180, der Südländer hat bekanntermaßen ein anderes Verhältnis zum Gesetz als der Deutsche. Die Autos, die mich überholten, waren meistens Renault, Peugeot oder Citroën – man muss ja die nationale Industrie fördern. Aber auch viele Volkswagen und Toyota, Mercedes, Audis, ein paar BMW und ab und zu mal ein Porsche. Viel Blau, Schwarz, Rot, Weiß, ein bisschen Grün, eher Dunkelgrün. Eine bunte Mischung also.

An meiner Charleston-Ente fuhren jetzt aber nur noch Audi, Mercedes, BMW und Volkswagen vorbei. Mercedes, schwarz, glänzend, neu, Audi, schwarz, glänzend, neu, Volkswagen, schwarz, glänzend, neu, BMW, schwarz, glänzend, neu, wieder ein Mercedes, schwarz, glänzend, neu, Volkswagen, schwarz, glänzend, neu. Ah! Ein Porsche zur Abwechslung. Schwarz, glänzend, neu. Nicht mal ein kleiner Peugeot mit Beulen hinten, vorne, links und rechts, um die deutsch-französische Freundschaft aufrechtzuerhalten? Nicht einer. Ein Beweis mehr für meine These.

Ich entwickelte angesichts dieses Überholwahns einen Minderwertigkeitskomplex. Diese Deutschen mit ihrer motorischen Überlegenheit! Dafür haben wir Stil!, schrie ich allein in meiner Ente. Ach, was soll’s, ich lasse mich nicht von diesen materiellen Dingen stören. Mich interessieren die Menschen, nicht die Autos. Ich korrigiere. Mich interessieren die Frauen, nicht die Autos. Das Problem mit dieser Geschwindigkeit war, dass man kaum Zeit hatte zu sehen, wer am Steuer saß.

Jetzt aber erspähte ich endlich im Rückspiegel ein Auto, das sich mit entenfreundlicher Geschwindigkeit näherte. Und an mir vorbeizog. Ein Ford Fiesta. Wer saß am Steuer? Oh! Eine Claudia Schiffer! Bonjour! Die unbekannte Blondine musterte meine Ente mit einer Mischung aus Mitleid und Amüsement. Für einen Moment trafen sich unsere Blicke. Dann trat sie aufs Gaspedal und verschwand am Horizont. Ich versuchte nicht einmal mitzuhalten, die Ente brachte es nicht.

Während ich mich in Gedanken an die Claudia Schiffer im Ford Fiesta verlor, fing die Ente langsam an zu keuchen. Sie brauchte dringend Benzin. Eine Pause würde mir sowieso guttun. Die nächste Tankstelle war nicht weit, hustend kamen wir am Benzintropf an.

Ich spürte schon eine gewisse Aufmerksamkeit des lokalen Publikums, das sich fragte, aus welcher merkwürdigen und unbekannten Welt dieses fahrende Fossil kam. Damit entsprach ich nicht wirklich dem deutschen Männlichkeitsbild, das war mir schon klar.

Ich parkte mit letzter Entenkraft neben einem himmelblauen Golf GTI. Endlich eine ungewöhnliche Farbe. Mein müder Blick heiterte sich sofort auf. In dem Golf unterhielten sich zwei Claudia Schiffers! Sie redeten und redeten, bis eine von den beiden die Präsenz meines UFOs registrierte. Dann starrten die beiden blonden Pferdeschwänze auf mein schwarz-rotes Fahrgestell, und ich will gar nicht wissen, wie sie geschaut hätten, wenn ich noch eine Baskenmütze auf dem Kopf getragen hätte.

Eine Tankstelle ist nicht besonders geeignet, mit zwei Fremden ins Gespräch zu kommen, aber manchmal muss man dem Schicksal eine Chance geben. Es war Zeit, mein erstes Gespräch mit weiblichen Einheimischen zu führen. Ich nickte ein kurzes Hallo mit einem kleinen Lächeln und deutete mit einer Geste an, sie sollten ihre Scheibe runterkurbeln.

Claudia Schiffer I drehte sich zu ihrer Freundin um, sagte etwas und lachte, Claudia Schiffer II lachte zurück, sagte noch etwas, beide Claudias lachten, und Claudia Schiffer I kurbelte die Scheibe runter.

«Guten Tag», sagte ich. «Noch nie ein solches Auto gesehen?»

«Nein.»

«Das ist ein Deux Chevaux.»

«Aha.»

«Der französische Käfer, wenn man so will. Sie hat so viel magische Power wie der Käfer von Monte Carlo1 – aber sie heißt nicht Dudu!», fügte ich grinsend hinzu.