Zuversicht trotz Corona-Blues - Dagmar Kumbier - E-Book

Zuversicht trotz Corona-Blues E-Book

Dagmar Kumbier

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Beschreibung

Die Pandemie hat uns aus unserem Alltag gerissen und in eine andere Welt geworfen. Trotz erheblicher Einschränkungen und Bemühungen erweist sich der Weg zurück in eine Normalität als quälend langsam. Was löst all das in uns aus, welche inneren Anteile melden sich in uns zu Wort? Was genau macht die Situation so unerträglich, warum gewöhnen wir uns nur begrenzt an die äußere und innere Situation, warum werden so viele mehr oder weniger depressiv? Was kann uns helfen, diese Situation psychisch möglichst gut zu überstehen und anderen in Therapie, Beratung, Schule und Klinik dabei zu helfen? Und was können wir aus diesen Erfahrungen womöglich für die Bewältigung anderer Krisen lernen? Wer nach passender Ausrüstung für die Reise in die Nach-Corona-Zeit sucht, wird hier fündig.

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Psychologisches Handwerkszeug für Pandemiegeschüttelte

Mit einem Vorwort von Friedemann Schulz von Thun

Mit zahlreichen farbigen Illustrationen der Autorinnen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2021 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Anastasiya Velikaya/shutterstock.com

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-647-99433-8

Inhalt

Die Innenseite der Pandemie

Ein Vorwort von Friedemann Schulz von Thun

Ein Buch zu Corona?

Wie es dazu kam

1 Auf einmal im Science Fiction-Film

Was löst Corona in unserem Inneren Team aus?

1.1 Wir schaffen das! Aufbruchstimmung zu Beginn der Pandemie

1.2 Diese Krise ist existenziell: Wenn Sorge und Verzweiflung in uns wachsen

1.3 In den Grundfesten erschüttert: Wie wir mit unterschwelligen Ängsten umgehen

1.4 Schutz und Kontrolle um jeden Preis: Warum wir gereizter sind als sonst

1.5 Wir sind soziale Wesen: Warum wir uns trotz guter Vernetzung einsam fühlen …

1.6 Zwischen Nähesehnsucht und Ansteckungsangst: Unser Inneres Team im Balanceakt

2 Noch eine Welle, noch ein Lockdown

Was uns zermürbt

2.1 Die Säulen unserer Identität wackeln: Selbst(wert)gefühl unter Druck

2.2 Menschen sind verschieden, ihre Grundbedürfnisse auch: Ein Härtetest für die Toleranz

2.3 Gesellschaft in der Zwickmühle: Das Pandemie-Dilemma

2.4 Ausgeliefert und allein gelassen? Ohnmacht und unser Umgang damit

2.5 Nervensystem in Aufruhr: Ein Ausflug in die Neurobiologie

2.6 Die Krise dauert und dauert: Von der Kurz- zur Langstrecke

2.7 Gangbare Wege finden: Welche Haltung brauchen wir jetzt?

3 Aktiv werden

Sechs Strategien zur Selbstfürsorge

3.1 Sich beruhigen: Selbstregulierung lernen

3.2 Eine hilfreiche Mannschaft aufstellen: Die Führung im Inneren Team übernehmen

3.3 Auf die Sonnenseite blicken: In gute Erinnerungen und Erfahrungen eintauchen

3.4 Inseln der Freude und Leichtigkeit entdecken: Die Aufmerksamkeit auf Wohltuendes lenken

3.5 Neuland erobern: Alte Gewohnheiten loslassen

3.6 Nähe anders herstellen: Andere unterstützen und sich engagieren

4 Unerträgliches in Erträgliches verwandeln

Was brauchen wir als Profis?

Die Zuversicht winkt am Ende des Tunnels

Schlusswort

Literatur

Die Innenseite der Pandemie

Ein Vorwort von Friedemann Schulz von Thun

Die Pandemie COVID-19 bedeutet nicht nur gesundheitliche Bedrohung, ist nicht nur eine »demokratische Zumutung« (Angela Merkel), sondern auch eine herbe Zumutung für die Seele. Sie attackiert unser Lebensgefühl und kann uns an den Rand der Zermürbung und der Verzweiflung bringen. Aber das kollektive Schicksal erweist sich bei näherem Hinsehen doch als hochindividuell – je nachdem, an welcher Ecke ich betroffen bin und wie ich darauf reagiere.

Dieses Buch von Dagmar Kumbier und Constanze Bossemeyer handelt von der Innenseite der Pandemie, von unserem seelischen Betroffensein, von unserer Verstörung und von unserer Art und Weise, damit umzugehen und damit fertig zu werden. Die Seele ist der Ort, so erkennen wir bei der Lektüre, wo Betroffenheit und Widerstandsfähigkeit einander begegnen. Die Betroffenheit: Was das alles mit mir macht und wie es mich verstört. Die Widerstandsfähigkeit: Wie ich damit fertig werde, wie es mir gelingt, aus der Not vielleicht sogar eine Tugend zu machen und meine Lebensfreude auch unter erschwerten Bedingungen zu bewahren oder zurückzugewinnen. Die Seele ist der Ort, wo der Kummer und das Sichkümmern im selben Haus wohnen, ebenso ist es mit der Sorge und der Besorgnis, der Fürsorge und der Selbstfürsorge.

In wunderbarer Weise werden wir in diesem Buch dazu ermutigt, eine Fachfrau und ein Fachmann in eigener Sache zu werden! Wir erfahren zunächst, dass man den Phönix nicht zu früh aus der Asche ziehen darf: Die verstörten Anteile in uns wollen erst einmal (an) erkannt und erhört sein, brauchen erst einmal Verständnis und einen liebevollen Schutz. Sodann lernen wir, dass die innere Schutztruppe, die schnell aufmarschiert, wenn Verletzlichkeit und Schmerz sich breitzumachen drohen, zwar erst einmal erfolgreich sein kann, aber auch neue Gefahren heraufbeschwört. Zum Beispiel kann es mir zunächst helfen, innere Ohnmacht und Angst dadurch einzudämmen, dass ich mit Empörung und Verächtlichkeit auf die vermeintlichen Versager losgehe, die uns all das eingebrockt haben oder doch jedenfalls bei der Bekämpfung dilettantisch versagt haben. So entsteht Unfrieden im Land, wo Kooperation und Solidarität heilsam wären. Die Autorinnen zeigen eindrücklich, wie viele neue Polarisierungen entstehen, wenn Menschen unterschiedlicher Persönlichkeit ihre Abwehrformen entwickeln – und wie dann zwischenmenschlich die Welten aufeinanderprallen, zuweilen ziemlich erbittert und unversöhnlich. Letztlich bleibt auch innermenschlich Unfrieden in der Seele.

Dieses Buch bietet nicht nur Aufklärung über das, was »innendrin« geschieht, sondern auch eine Anleitung, wie ich damit konstruktiv und heilsam umgehen kann – sei es als Angehörige(r) eines helfenden Berufes, sei es im Umgang mit meinen Nächsten im privaten Leben oder sei es zuallererst und zuallerletzt ganz für mich selbst. So wie dieses Buch geschrieben ist, kann das sogar Freude machen. Immer wieder erweist sich die Modellvorstellung vom Inneren Team als ein »bildgebendes Verfahren«: Bunte Bilder, mit Liebe und Scharfsinn handgemalt, erleichtern das Verständnis dessen, was in unserer Seele geschieht. Und immer wieder gibt es Übungen, um das kognitiv Verstandene mit dem eigenen Erleben in Beziehung zu setzen.

Das Inneren Team ist erfunden worden, um uns Menschen zu ermöglichen, selbstgeklärt und authentisch miteinander zu reden. Hier in diesem Buch dient es der Selbstaufklärung in Krisenzeiten. Es fügt sich glücklich, dass die beiden Autorinnen das Innere Team sowohl in psychotherapeutischer Praxis als auch in ihren Veröffentlichungen vertieft haben – Dagmar Kumbier (2019) für den Umgang mit schweren Krankheiten, Constanze Bossemeyer (2020) für Adoptiveltern von meist traumatisierten Kindern.

Diese Pandemie wird vermutlich nicht die letzte Krise in unserem Leben bleiben. Vor diesem Hintergrund darf man diesem Buch bleibenden Erfolg wünschen, auch wenn wir um Himmels Willen nicht wünschen, dass es seine Aktualität infolge einer Verewigung des Pandemiegeschehens auf Erden bewahrt. Das »psychologische Handwerkszeug für Pandemiegeschüttelte« taugt – und das sei hier als Geheimtipp verraten – ebenfalls für uns alle, die wir vom Leben immer einmal wieder gebeutelt werden, wodurch auch immer. Ein wenig werden wir dann befähigt sein, die Zumutung in eine Herausforderung zu verwandeln – und die im Buchtitel verheißene Zuversicht winkt lächelnd am Ende des Tunnels. Und das Schöne ist: Man sieht sie schon von weitem!

Ein Buch zu Corona?

Wie es dazu kam

Man darf seine Freunde nicht mehr treffen und muss mindestens anderthalb Meter Abstand von anderen Menschen halten. Man darf keinen Urlaub machen, Geschäfte, Restaurants, Hotels, Bars und Konzerthäuser werden zwangsweise geschlossen. Auch die Schulen und Kindergärten sind monatelang zu. Alle Menschen müssen eine Maske tragen, die ihr Gesicht weitgehend verhüllt. Wenn eine Party oder ein Kindergeburtstag gefeiert wird und das auffliegt, dann kommt die Polizei und löst die Versammlung auf.

All dies wäre zum Jahreswechsel 2019/2020 noch Science-Fiction gewesen. Die Coronapandemie hat uns von jetzt auf gleich in eine vollkommen andere Wirklichkeit geworfen: Andere Menschen sind zu einer potenziell tödlichen Gefahr geworden, wir können in der Krise einander weder durch körperliche Nähe trösten noch Schutz beieinander suchen. Andere Menschen dürfen uns in zuvor unvorstellbarem Maße vorschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben. Ganze Branchen sind unvorhersehbar und vollkommen unverschuldet in existenzielle Not geraten.

Und alle Hoffnungen, Voraussagen und Versprechungen darüber, wann das alles vorbei sein wird, haben sich als falsch erwiesen. »Wenn wir uns alle am Riemen reißen, dann können wir miteinander Weihnachten feiern. Die Friseure würde man mit dem Wissen von heute nicht mehr schließen. Diesmal reicht ein ›Lockdown light‹. Noch zwei Wochen …« – und dann noch zwei – und dann … Wer hätte im Frühjahr 2020 ernsthaft geglaubt, dass Sie sich zu diesem Zeitpunkt noch ein Buch über Corona kaufen würden?

Über sehr lange Zeit hinweg hat uns all unser Bemühen nicht aus der Pandemie heraushelfen können. Natürlich wäre ohne dieses Bemühen alles noch viel schlimmer gekommen. Aber dennoch haben wir die für uns höchst ungewohnte Erfahrung gemacht, dass wir die Lage nicht in den Griff bekommen haben. Und auch wenn sicher Fehler gemacht wurden und es berechtigte Kritik an manchen Entscheidungen und Planungen gab und gibt – die Tatsache, dass die Pandemie Länder auf allen Kontinenten dazu gebracht hat, die Wirtschaft herunter zu fahren, Schulen zu schließen und Kontaktbeschränkungen zu verhängen, dass es in fast allen Demokratien zu Protesten und sozialen Verwerfungen gekommen ist, könnte man als Hinweis darauf verstehen, dass diese Pandemie ihren eigenen Gesetzen folgt und sich nicht einfach schlafen legt, wenn wir alles richtig machen.

Was löst all das in uns aus? Welche inneren Anteile melden sich in uns zu Wort? Was genau macht die Situation so unerträglich, warum gewöhnen wir uns nur begrenzt an die äußere und innere Situation, warum werden so viele mehr oder weniger depressiv? Und was könnte uns helfen, diese Situation möglichst gut zu überstehen und auch anderen dabei zu helfen – als Psychotherapeutin oder Coach, als Seelsorger oder Lehrerin, als Ärztin oder Pfleger? Wir arbeiten an einem kleinen Fortbildungsinstitut für Psychotherapeutinnen und Berater in Hamburg. Und Corona hat uns wie unsere ganze Branche kalt erwischt. Mit vielen Leuten in einem Seminarraum zu sitzen, kam gar nicht mehr in Frage und für die Kolleginnen, die nicht zugleich eine psychotherapeutische Praxis führen, brach erst einmal das gesamte Einkommen weg. Wir hatten Angst, waren besorgt und ganz oder teilweise arbeitslos. Aber was wir hatten, das war unser psychologisches Handwerkszeug. Und wir hatten einen Email-Verteiler mit Menschen, die daran interessiert waren, was wir zu sagen haben.

Und so wählten wir den Weg, den Psychologinnen womöglich häufig wählen, wenn sie in eine Krise geraten: Wir haben versucht, zu verstehen, was mit uns passiert, und wir haben darüber geredet. Aus dem, was wir glaubten, verstanden zu haben, haben wir Vorträge und Workshops gemacht – online natürlich, anders ging es ja nicht. Die Teilnehmerzahlen brachen alle Rekorde und uns wurde bewusst, wie groß der Bedarf ist nach Worten und Bildern dafür, was gerade mit uns allen passiert.

Als eine Teilnehmerin uns vorschlug, wir sollten daraus doch ein Buch machen, fanden wir diese Idee erst einmal abwegig. Bücher entstehen in einem gemächlichen, behäbigen Tempo – wie sollte dieser Prozess mit der Dynamik der Pandemie Schritt halten können? Und wäre diese nicht lange vorbei, wenn das Buch endlich da wäre? Aber die Idee ließ uns nicht mehr los – und die Tatsache, dass dieses Buch nun offenbar Ihr Interesse findet, zeigt, dass das Thema (leider) weiterhin aktuell ist.

Im ersten Kapitel werden wir darstellen, was der Aufschlag der Pandemie und die veränderte Wirklichkeit, in die diese uns geworfen hat, in unserem Inneren auslöst. Im zweiten Kapitel geht es um die Erfahrung, dass wir trotz aller Bewältigungsversuche, trotz aller Opfer und Mühen über eine quälend lange Zeit in der Pandemie feststecken: Die Pandemie ist stärker als wir und hält uns gefangen. Anhand verschiedener psychologischer Modelle werden wir zeigen, warum diese Erfahrung uns so sehr zermürbt und warum wir uns daran nur begrenzt gewöhnen können. Auf dieser Basis geht es im dritten Kapitel um die Frage, was wir brauchen, um gut durch diese Zeit zu kommen. Hier bekommen Sie konkretes Handwerkszeug. Und im vierten Kapitel schließlich nehmen wir den Profiblick ein: Was bedeutet die Pandemie für unsere Arbeit, was ist momentan anders und was müssen wir anders machen? Das Buch wendet sich an psychosoziale Profis wie Psychotherapeuten, Coaches und Beraterinnen, Lehrerinnen und Seelsorger und ebenso an diejenigen, die in Kliniken, Altenheimen oder Kindergärten Menschen bei der Bewältigung und Verarbeitung der Krise unterstützen. Dabei geht es um Ihre Arbeit mit den Menschen, die Ihnen anvertraut sind – zugleich aber immer auch um Sie selbst und um Ihre Selbstfürsorge. Denn wir sind von der Pandemie genauso betroffen wie unsere Klientinnen und Klienten, und nur wenn es uns selber hinreichend gut geht, können wir für andere da sein.

Zugleich gehen wir davon aus, dass das Buch auch für andere Menschen hilfreich sein kann. Denn wir alle bekommen es in der Pandemie mit uns selbst zu tun und stehen vor der Frage, was mit uns und mit anderen los ist, wir alle suchen nach Wegen, gut durch Pandemie zu kommen und unseren Kindern, Eltern, Partnerinnen und Freunden dabei zu helfen.

1 Auf einmal im Science Fiction-Film

Was löst Corona in unserem Inneren Team aus?

Was löst also die Coronawirklichkeit in uns aus? Wir möchten uns dieser Frage mit Hilfe des »Inneren Teams« nähern. Beim Modell des Inneren Teams gehen wir davon aus, dass wir alle sehr unterschiedliche innere Anteile haben (Schulz von Thun, 1998; Schwartz, 1997; Kumbier, 2013). Die Dynamik zwischen diesen inneren Anteilen verstehen wir dabei in Analogie zur Dynamik in Arbeitsteams oder Familien.

Analogie Innen wie Außen

Im Inneren Team gilt ebenso wie in einem Arbeitsteam oder in einer Familie, dass es dem System nur dann gut gehen kann, wenn alle seine Mitglieder sich gesehen, respektiert und gewürdigt fühlen, wenn jeder sich mit seinen Bedürfnissen und Gefühlen anerkannt fühlt und wenn ein Klima herrscht, in dem auch Konflikte ausgetragen werden können. Innen wie außen braucht es dafür jemanden, der das Team leitet. Im Arbeitsteam ist das die Chefin oder der Chef, in der Familie sind es die Eltern, im Inneren Team das »Oberhaupt« (Schulz von Thun, 1998, Kap. 2; Kumbier, 2013, S. 30 ff.). Aufgabe dieser Teamleitung ist es, dafür zu sorgen, dass jeder seinen Platz hat, dass Konflikte benannt und konstruktiv gelöst werden können. Denn innen wie außen gilt: Wer sich ausgeschlossen fühlt, wird sich dennoch und gerade deswegen bemerkbar machen, vielleicht in Form von Verweigerung und Blockaden. Und im Gegensatz zu äußeren Teams können wir Mitglieder unseres Inneren Teams nicht kündigen: Sie bleiben ein Teil von uns und wir stehen vor der Aufgabe, mit ihnen umzugehen und sie zu integrieren.

Darum ist es wichtig, dass wir als Oberhaupt unseres Inneren Teams alle Teammitglieder im Blick haben und zu allen Teammitgliedern einen Draht und einen positiven Blick auf sie haben. Faktisch ist das meist nicht gegeben, wir haben Lieblingskinder im Inneren Team – und wir haben Teile in uns, die wir weniger mögen, weil sie uns mit schwierigen Gefühlen konfrontieren, uns innerlich attackieren und entwerten oder weil sie nicht in unser Selbstbild passen. Bei der Arbeit mit dem Inneren Team gehen wir von der Überzeugung aus, dass alle Teammitglieder gute Gründe für ihre Gefühle und ihr Verhalten haben. Häufig liegen diese Gründe nicht in der Gegenwart, sondern in der Vergangenheit. Dann können wir diese Teammitglieder nur vor dem Hintergrund unserer Biografie verstehen. Welche inneren Anteile melden sich nun in unserem Inneren Team als Reaktion auf die Pandemie zu Wort?

1.1 Wir schaffen das! Aufbruchstimmung zu Beginn der Pandemie

Wie antworten Sie im Moment, wenn Sie gefragt werden, wie es Ihnen geht? Vor allem zu Beginn der Pandemie haben fast alle Menschen als Erstes gesagt, dass es ihnen gut gehe. Eigentlich höchst erstaunlich, angesichts dessen, was wir zu bewältigen hatten! Gleichwohl haben selbst Menschen, die durch die Pandemie beruflich schwer getroffen waren, oft erst einmal aufgezählt, wie privilegiert sie sich dennoch fühlten: weil sie und ihr nahes Umfeld gesund waren, weil sie noch niemanden an COVID-19 verloren hatten, weil sie immerhin ihre Familie hatten, schön wohnten – oder zumindest in einem Land mit guter medizinischer Versorgung lebten.

Inzwischen klingt das Aufzählen der eigenen Privilegien häufig eher pflichtbewusst. Wir wollen deutlich machen, dass uns bewusst ist, wie viel schwerer es andere getroffen hat (diejenigen, die Tote zu beklagen oder durch Corona einen gesundheitlichen Schaden erlitten haben, die Restaurantbesitzer, die Hoteliers oder die Menschen in Flüchtlingslagern). Wir wollen deutlich machen, dass wir im Vergleich zu anderen auf hohem Niveau jammern. Aber die Pandemie scheint uns auch stärker bewusst gemacht zu haben, was es Gutes in unserem Leben gibt. Gerade weil vieles auf einmal in Frage stand oder wegrutschte, meldete sich verstärkt eine Dankbare in uns zu Wort, die uns auf das hinweist, was bleibt und was trägt, auch und gerade in der Krise.

Ebenso konnten viele Menschen der Krise zu Beginn auch Gutes abgewinnen. Die Pandemie hat unsere oft so überhitzte Welt schlagartig ausgebremst. Und auf einmal wurde uns bewusst, wie erschöpft wir eigentlich von unserem Lebenstempo waren. Nicht nur berufliche Verpflichtungen, auch die Freizeitaktivitäten hatten vor Corona bei vielen von uns eine hohe Schlagzahl, ständig unterwegs, stets volle Terminkalender, alles verbunden mit hohem Anspruch und wenig Verschnaufpausen. Im ersten Lockdown hatten viele von uns auf einmal jede Menge Zeit. Das galt nie für alle, der Arbeitsalltag von Ärztinnen und Pflegern auf der Intensivstation, von Verkäuferinnen, Altenpflegerinnen und Postboten war vermutlich nie zuvor so anstrengend. Und viele Selbständige haben hart gearbeitet, um Wege zu finden, in der Pandemie weiter arbeiten zu können. Aber viele hatten auf einmal mehr Ruhe denn je. Und trotz Angst, trotz Sorgen merkte die Ruhebedürftige in uns, dass es durchaus guttat, aus dem Hamsterrad ausgestiegen zu sein.

Und die Misere schien auch Gutes in Gang zu bringen – jedenfalls aus Sicht der inneren Optimisten. Die Flugzeuge blieben am Boden, die Fabriken standen still, der Himmel war allerorten so klar wie lange nicht mehr. Womöglich profitierte also das Klima von der Pandemie, womöglich ist diese Situation eine Gelegenheit, auch über Corona hinaus zu einem weniger klimaschädlichen Lebensstil zu finden? Vielleicht könnten wir als Gesellschaft diesen harten Stopp dazu nutzen, unseren Kurs zu korrigieren und in eine bessere Richtung weiterzugehen?

Diese Hoffnung beruhte auch darauf, dass die Krise zu Beginn Solidarität mobilisierte. Es gab viel Mitgefühl mit den schwer betroffenen Branchen, Nachbarn kauften für alte Menschen ein und es gab Vernetzung und Unterstützung dabei, neue Wege zu finden. Als wir am Ifit, unserem Institut für Integrative Teilearbeit in Hamburg, den ersten Newsletter in Coronazeiten herumschickten und erst einmal ratlos bekannt gaben, dass wir jetzt auf Sicht schauen, welche Seminare stattfinden können und welche nicht, meldete sich eine Kollegin, um uns zu erzählen, dass sie an ihrem Institut innerhalb einer Woche alles auf online umgestellt hatten. Sie bot uns an, zu einer Veranstaltung dazu zu kommen. Das war lehrreich, bewegend und motivierend. Aha – auch online sind lebendiges Lernen, Begegnung und Interaktivität möglich! Das war der Startschuss für uns, diese Veränderung ebenfalls anzugehen. Solche Geschichten haben wir viele gehört und viele erlebt. Die gegenseitige Unterstützung war beflügelnd und glich – jedenfalls am Anfang – so manche Belastung aus.

Wir mussten neue Wege finden, niemand konnte so weiter machen wie bisher. Und erstaunlich viele Menschen, auch aus schwer betroffenen Branchen, fanden das neben den Belastungen und Schwierigkeiten auch spannend. Alle bekamen eine Zwangsfortbildung in Digitalisierung. Wir zum Beispiel hätten niemals freiwillig Online-Seminare, Online-Therapie, Online-Beratung angeboten. Und wir werden auch weiterhin Fans von Präsenztreffen bleiben, denn in allen Berufen, wo es um Kontakte geht, geht online viel verloren. Aber die Experimentierfreudigen in unserem Inneren Team stellten fest, dass online viel mehr geht, als wir je gedacht hätten. Wir können Vorträge halten und unsere Teilnehmer können sich von überall her zuschalten. Damit können wir niedrigschwellig Impulse geben. Wir können als Therapeutin oder Berater Krankenbesuche machen und mit Klientinnen und Klienten, die vorübergehend nicht zu uns kommen können, weiterarbeiten. Auf diese Weise eröffnete die Pandemie ein Experimentierfeld, es ging nicht mehr nur um die Bewältigung der Not, sondern auch um eine inspirierende Suche nach neuen Wegen.

Optimistische und tatkräftige innere Anteile

Wir sind inzwischen an einem ganz anderen Punkt. Von mehr Ruhe spricht kaum noch jemand – sondern mehr über den kaum zu bewältigenden Spagat zwischen Homeoffice und Homeschooling, über die Verdichtung der Arbeitszeit, noch weniger Pausen und nahtlos aneinander anschließende Online-Meetings, über das Fehlen informeller Kontakte und Eintönigkeit und Langeweile: ein Tag wie der andere. Aber es scheint uns sinnvoll, diese anfängliche Aufbruchstimmung noch einmal in Erinnerung zu rufen. Denn darin liegen wichtige und wertvolle Ressourcen, die uns auch jetzt noch beim Umgang mit der Krise helfen können. Dazu später mehr (siehe Kapitel 3.2, S. 110).