Zuversicht - Ulrich Schnabel - E-Book
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Zuversicht E-Book

Ulrich Schnabel

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Beschreibung

Das Buch, das uns zeigt, wie wir auch in schwierigen Zeiten unseren Lebensmut bewahren.

Warum ist Stephen Hawking an seiner Lähmung nicht verzweifelt? Was hilft angesichts einer Krebserkrankung oder einer Pandemie wie der Corona-Krise, die Zuversicht nicht zu verlieren? Und wie bewahrt man seinen Lebensmut, wenn sich die Welt radikal wandelt und man vielfach nur noch Gründe zur Hoffnungslosigkeit zu entdecken vermag? Ulrich Schnabel erzählt von Menschen, die selbst unter schwierigsten äußeren Bedingungen den Lebensmut nicht verloren; er befragt Psychologen, Soziologinnen, Politiker oder Philosophinnen nach ihren Erkenntnissen und Rezepten und berichtet in zahlreichen Geschichten von der Kunst, auch in unerfreulichen, düsteren oder gar aussichtslos erscheinenden Situationen die richtige innere Haltung zu finden.

Dabei geht es nicht um die naive Hoffnung, dass am Ende irgendwie alles gut werde; dieses Buch ist auch kein Ratgeber im positiven Denken oder eine Empfehlung zu unbeirrtem Optimismus, demzufolge es keine Krisen und niemals halbleere Gläser gibt, sondern immer nur Chancen und halbvolle Gläser. Nicht um den Blick durch die rosarote Brille also geht es, sondern um jene Art von Zuversicht, die sich keine Illusionen über den Ernst der Lage macht – und die uns doch in die Lage versetzt, der Angst zu trotzen und jene Spielräume zu nutzen, die sich auftun.

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Seitenzahl: 349

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Das Buch, das uns zeigt, wie wir auch in schwierigen Zeiten unseren Lebensmut bewahren.

Warum ist Stephen Hawking an seiner Lähmung nicht verzweifelt? Was hilft angesichts einer Krebserkrankung oder einer Pandemie wie der Corona-Krise, die Zuversicht nicht zu verlieren? Und wie bewahrt man seinen Lebensmut, wenn sich die Welt radikal wandelt und man vielfach nur noch Gründe zur Hoffnungslosigkeit zu entdecken vermag? Ulrich Schnabel erzählt von Menschen, die selbst unter schwierigsten äußeren Bedingungen den Lebensmut nicht verloren; er befragt Psychologen, Soziologinnen, Politiker oder Philosophinnen nach ihren Erkenntnissen und Rezepten und berichtet in zahlreichen Geschichten von der Kunst, auch in unerfreulichen, düsteren oder gar aussichtslos erscheinenden Situationen die richtige innere Haltung zu finden.

Dabei geht es nicht um die naive Hoffnung, dass am Ende irgendwie alles gut werde; dieses Buch ist auch kein Ratgeber im positiven Denken oder eine Empfehlung zu unbeirrtem Optimismus, demzufolge es keine Krisen und niemals halbleere Gläser gibt, sondern immer nur Chancen und halbvolle Gläser. Nicht um den Blick durch die rosarote Brille also geht es, sondern um jene Art von Zuversicht, die sich keine Illusionen über den Ernst der Lage macht – und die uns doch in die Lage versetzt, der Angst zu trotzen und jene Spielräume zu nutzen, die sich auftun.

Ulrich Schnabel, geboren 1962, studierte Physik und Publizistik in Karlsruhe und Berlin und ist Wissenschaftsredakteur bei der ZEIT. Ulrich Schnabel schrieb in der ZEIT und in GEO viel beachtete Artikel über Religion und Bewusstseinsforschung und wurde 2006 mit dem »Georg von Holtzbrinck-Preis« für Wissenschaftsjournalismus ausgezeichnet. Drei Jahre später veröffentlichte er bei Blessing: »Die Vermessung des Glaubens«. Es wurde von »Bild der Wissenschaft« als »Wissenschaftsbuch des Jahres 2009« ausgezeichnet. Im Oktober 2010 erhielt Schnabel ferner den Werner und Inge Grüter-Preis für Wissenschaftsvermittlung. Sein Buch »Muße. Vom Glück des Nichtstuns« (2010) wurde ein Best- und Longseller. 2015 veröffentlichte er bei Blessing »Was kostet ein Lächeln? Von der Macht der Emotionen in unserer Gesellschaft.«

ULRICH SCHNABEL

zuversicht

Die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je

Pantheon

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Copyright © 2023 by Pantheon Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Copyright © 2018 by Ulrich Schnabel und Blessing Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Umschlagabbildung: Gustav Klimt, Die drei Lebensalter (Ausschnitt), 1905, Galleria Nazionale d’Arte Moderna, Rom © AKG Images/Erich Lessing

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-17980-9V005

www.pantheon-verlag.de

Für Alva und Hannah

und die zuversichtliche Generation

Inhalt

Vorwort

Was heißt hier Zuversicht?

Welche Energieform in Krisenzeiten wichtig wird, was die Zuversicht vom Optimismus unterscheidet und wie wir aus dem Sahnetopf herausfinden

STEPHEN HAWKING – DER FREIGEIST IM ROLLSTUHL

I. Von der Angst zur Gestaltungskraft

Kleine Zeitdiagnose: Warum die Zuversicht heute so einen schweren Stand hat – gerade in wohlhabenden Ländern. Wie man seine Weltsicht verändert und welche drei Prinzipien des guten Lebens dabei helfen

YACOUBA SAWADOGO – DER MANN, DER EINEN WALD PFLANZTE

II. Die innere Freiheit

Warum es mehr auf die Einstellung als auf die äußeren Umstände ankommt. Wie man widrige Situationen als »Trainingseinheit« nutzt und was man vom kleinen Hobbit lernen kann

JULIANE KOEPCKE – DAS MÄDCHEN, DAS VOM HIMMEL FIEL

III. Das richtige Maß der Hoffnung

Wie sich Körper und Psyche beeinflussen, wie selbsterfüllende Prophezeiungen entstehen und warum allzu positives Denken kontraproduktiv ist

ALI MAHLODJI – DER BOTSCHAFTER DER JUGENDTRÄUME

IV. Der Treibsatz der Kreativität

Von der wilden Seite der Zuversicht, dem Kreativlabor der Jugend und den schöpferischen Seiten der Unsicherheit

LÉLIA & SEBASTIÃO SALGADO – DAS PAAR DER GENESIS

V. Der Ausweglosigkeit entkommen

Wie man die Sprache als Fluchtauto nutzt, was Fahrlehrer und Philosophen in Krisenzeiten raten und warum man ohne Resonanz nicht leben kann

VIKTOR FRANKL – DER SEELENARZT IN DER HÖLLE

VI. Die Kraft der großen Sache

Vom Sinn im Leben und wie man ihn findet, weshalb das Leben bei Indianern so attraktiv ist und warum Erfolg nichts mit Titeln zu tun hat

IRENE DISCHE & NATALIE KNAPP – »ES GIBT IMMER EINE LÜCKE«

VII. Haltung und Heiterkeit

Wie man schlechte Denkgewohnheiten verändert, weshalb der ständige Blick auf das Smartphone depressiv macht und warum Zuversicht schlussendlich auch eine Frage des Humors ist

RESÜMEE – DIE ZUVERSICHTLICHEN ZEHN

Ein Erste-Hilfe-Programm für Fälle akuter Hoffnungslosigkeit. Wirkt auch gegen chronische Stimmungstiefs. Wiederhohlte Anwendung empfohlen

ANMERKUNGEN

Vorwort

Es hätte wohl niemanden gewundert, wenn Natalia Kovalenko verzweifelt wäre. Schließlich musste die Ukrainerin alles zurücklassen, als Putins Truppen ihre Heimatstadt Mariupol angriffen.

Schon wenige Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 wird Mariupol zum Ziel der Angreifer. Kovalenko kann gerade noch mit ihrer Tochter fliehen, bevor die Belagerung der Hafenstadt beginnt, die einen Großteil der Stadt zerstören und Tausende Zivilisten das Leben kosten soll. Zunächst fahren Kovalenko und ihre Tochter zu den Eltern ins 150 Kilometer entfernte Saporischschja, dann reisen sie weiter durch die Ukraine und Polen, vier Tage lang in überfüllten Zügen, bis sie schließlich am 4. März in Berlin ankommen und dort ein Notquartier in einem Hostel an der Warschauer Straße finden.

Nun wäre es leicht für Kovalenko gewesen, ihre Lage zu bedauern, voller Wut auf alle Russen zu sein und verbittert gegenüber ihrem ungerechten Schicksal. Womit hatte sie das verdient? Warum geschah das gerade ihr? Und was sollte nun aus ihr werden? Doch statt in Selbstmitleid zu versinken, tut Natalia Kovalenko etwas ganz anderes: Wenige Tage nach ihrer Ankunft erkundigt sie sich bei der Berliner Stadtmission, wie sie sich ehrenamtlich engagieren und anderen Flüchtlingen aus der Ukraine helfen könne.

Daraus entsteht am Ende die Idee eines Begegnungszentrums, in dem sich Menschen aus der Ukraine treffen und gegenseitig unterstützen können. Kovalenko, die in der Ukraine als Unternehmensberaterin gearbeitet hat, wird bald Projektkoordinatorin für das Café Ukraine, das mitten in Berlin im Haus der Statistik am Alexanderplatz eröffnet.1 Es wird zur Anlaufstelle für viele Geflüchtete und zu einem Ort, an dem Menschen Informationen oder Kleidung tauschen, an dem sie miteinander essen oder musizieren und sich gegenseitig eine Heimat geben.

Dabei wohnt Kovalenko seit September in einer Obdachlosenunterkunft und kämpft selbst um ihren Lebensunterhalt. Woher nimmt sie die Energie, auch noch anderen zu helfen? Weil sie gerade dadurch »wieder Boden unter den Füßen« fühle, sagt sie, »weil ich das Gefühl habe, etwas zu bewirken und nicht ohnmächtig zu sein.« Zwar sei es für sie nicht immer leicht, Zeit dafür zu finden. »Ich verbringe viel Zeit mit der Wohnungssuche und nehme an Sprachkursen teil.« Aber: »Wenn du die Nachrichten guckst, oder wenn du darüber nachdenkst, wie du eine Wohnung oder Arbeit finden kannst, dann erdrücken dich diese Themen irgendwann. Da ist es wichtig, einen Ort zu finden, wo du willkommen bist. Das allein gibt schon viel Kraft.«

Zudem habe sich ihre Weltsicht verändert, sagt Kovalenko, und das gelte für viele andere Geflüchtete: »Jeder hat sich vorher auf sein eigenes Leben konzentriert.« Sie selbst habe zum Beispiel den Job im Blick gehabt und wollte beruflich weiterkommen. Nun entdecke sie, wie wichtig die Gemeinschaft mit anderen Menschen sei. »Ich glaube, das wichtigste Gefühl, was wir mit unserem Café geben, ist das Gefühl, zu Hause zu sein.«2

Wider den Negativitätseffekt

Diese Geschichte illustriert auf wunderbare Art gleich mehrere Facetten des Themas Zuversicht: zum Beispiel, dass sie sich oft gerade unter schwierigsten Bedingungen entfaltet; dass sie viel mit Gemeinschaft zu tun hat und dass es auch der eigenen Initiative bedarf, um diese besondere Form von zuversichtlicher Energie zu erzeugen. Zugleich hängt die Zuversicht aber auch davon ab, worauf wir uns konzentrieren und welche Perspektive wir einnehmen. Wie es Kovalenko ausdrückt: »Wenn du die Nachrichten guckst, oder wenn du darüber nachdenkst, wie du eine Wohnung finden kannst, dann erdrücken dich diese Themen irgendwann.«

Tatsächlich kann einen die ständige Fokussierung auf Probleme und schlechte Nachrichten geradezu lähmen. Dabei spreche ich aus meiner eigenen Erfahrung als Journalist: Ein übermäßiger oder falscher Nachrichtenkonsum ist ähnlich schädlich wie eine schlechte Ernährung mit zu viel Zucker, Fett und Fast Food. Letzteres ruiniert die Figur, Ersteres verstopft das Denken und stört das seelische Gleichgewicht. Ähnlich wie beim Essen kommt es auch bei Nachrichten weniger auf die Quantität, sondern die Qualität an.

Denn sowohl Nachrichtenmacher als auch -konsumenten werden leicht Opfer des sogenannten »Negativitätseffekts«, unter Psychologen auch als »Negativitätsbias« bekannt: unser Gehirn springt automatisch stärker auf Bedrohliches und Gefährliches an als auf Erfreuliches. Denn im Laufe der menschlichen Entwicklungsgeschichte war es überlebensnotwendig, in Notlagen schnell zu reagieren. Wenn in grauer Vorzeit ein Säbelzahntiger oder Feind auftauchte (oder auch nur ein Busch so verdächtig raschelte, als ob sich darin ein Tiger oder Feind verbergen könnte), musste man sofort alles stehen und liegen lassen und sich zur Flucht oder zum Kampf rüsten. Das Ignorieren solcher Gefahren konnte tödlich sein; übersah man dagegen eine Futterquelle oder andere Freuden, war das zwar ärgerlich, aber nicht lebensbedrohlich.

Deshalb wird Negatives im Gehirn bis heute vordringlich behandelt. Und das wissen auch Medienmacher. »Bad news is good news« heißt eine alte Weisheit im Journalismus. Schlechte Nachrichten erzeugen mehr Aufmerksamkeit und verkaufen sich dadurch besser. Hinzu kommt, dass sich Krisen und Katastrophen einfach leichter in eine Schlagzeile verpacken lassen: Es gibt ein klar umrissenes Ereignis, meist auch einprägsame Bilder, vielleicht sogar einen Schurken oder Schuldigen – alles Dinge, die sich für eine farbige Berichterstattung wunderbar eignen. Positive Entwicklungen hingegen beruhen meist auf langfristigen Prozessen, haben nicht nur einen, sondern viele Urheber und lassen sich zudem oft noch schlecht bebildern – all das ist wenig nachrichtentauglich.

Nehmen wir etwa das Aufregerthema Sexualmorde: Jeder einzelne Mord lässt sich in grellen Farben ausmalen, treibt zuverlässig die Empörung (und die Verkaufszahlen) nach oben und erzeugt so den Eindruck, das Problem der Sexualmorde werde immer größer. Die Information hingegen, dass die Zahl der Sexualmorde insgesamt in Deutschland seit Jahren zurückgeht, eignet sich nicht zur großen Schlagzeile.

All diese Mechanismen sorgen dafür, dass uns die Welt aus den Medien häufig düsterer entgegentritt, als sie in Wahrheit ist.* Und noch eine Folge hat der Negativitätsbias: Schwarzmaler, die vor Gefahren warnen, halten wir automatisch für intelligenter und glaubwürdiger als jene, die über positive Entwicklungen und Chancen sprechen. Erstere gelten uns als kritisch und seriös, Letztere dagegen eher als naiv und blauäugig. Doch mit Bedenkenträgerei alleine lässt sich keine Krise lösen; vielmehr braucht es beides, die kritische Situationsanalyse ebenso wie kreative Ideen zur Überwindung der Probleme.

Vom Mut des ersten Schrittes

Das zeigen nicht nur die Geschichte von Natalia Kovalenko, sondern auch die anderen Beispiele und Portraits in diesem Buch. Sie alle handeln von der Zuversicht und der Kunst, diese zu fördern. Dabei erwarten Sie auf den folgenden Seiten nicht nur persönliche Schicksale, sondern auch hilfreiche wissenschaftliche Erkenntnisse zu der Frage, was Menschen in Krisensituationen aufrecht hält, was ihnen hilft, wenn äußere Sicherheiten wegbrechen und wie man sich innerlich vorbereiten kann auf die unerwarteten Wechselfälle des Lebens, die häufiger eintreten, als wir uns das eingestehen mögen.

Die erste Auflage dieses Buches erschien 2018, also lange vor Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg. Dennoch wirkt die »Zuversicht« heute aktueller denn je. Denn unabhängig von einzelnen Ereignissen oder Entwicklungen geht es ganz grundsätzlich um die Haltung, die in allen Arten von Krisen hilfreich ist. Es geht darum, eine Form von innerer Widerständigkeit zu kultivieren, die auch in schwierigen Zeiten trägt, und diese Haltung wird zunehmend wichtiger.

Denn auch wenn die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg eines Tages (hoffentlich) der Vergangenheit angehören, wird die Zahl der Krisen nicht abreißen. Wir stecken schließlich mitten in einem globalen Epochenbruch, der alle Bereiche unserer Gesellschaft erfasst: Klimawandel und Artensterben, Energieknappheit und geopolitische Verschiebungen, das Erstarken populistischer Strömungen sowie die Veränderung unserer Lebenswelt durch Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und wissenschaftliche Fortschritte. Wie tektonische Platten verschieben sich langsam, aber unaufhörlich die Koordinaten unseres gewohnten Weltbildes. Da ist es kein Wunder, wenn Ängste und Unsicherheiten um sich greifen.

Der Innovationsforscher Otto Scharmer vom MIT in Boston drückt das so aus: »If you are not confused, you’re out of touch« – Wenn Sie nicht verwirrt sind, sind Sie nicht im Kontakt mit dem, was ist. Wer nicht durch die neue Komplexität der aktuellen Krisen an die Grenzen seines Wissens komme, habe nicht mitbekommen, was eigentlich los sei, sagt Scharmer. Und »wenn wir nicht manchmal Zweifel und Depression spüren, die überall in der Luft liegen, dann sind wir nicht in Berührung mit dem, was geschieht.«3

Diese Art von psychologischer Erschütterung ist so gesehen der erste Schritt, um überhaupt mit der Wirklichkeit umgehen zu können. Doch mit dieser Erkenntnis alleine ist es nicht getan; als zweites braucht es dann die Energie der Zuversicht, um die Herausforderung konkret anzugehen und Wege zu ihrer Bewältigung zu erproben.

Dabei geht es in den seltensten Fällen um eine ausgefeilte Strategie, die das Problem ein für allemal löst. Gerade in komplexen, unsicheren Situationen kann man sich nur vorantasten. Und oft kommt es vor allem darauf an, überhaupt einmal einen ersten Schritt zu wagen – aus dem dann ein zweiter, dritter und weitere folgen.

Auch Natalia Kovalenko hatte nicht gleich die Idee zum Café Ukraine. Ihr erster Schritt war einfach nur ein Anruf und das Angebot ihrer Hilfe; daraus entstand dann zunächst die Zusammenarbeit mit einem Youtuber für ein Video, das Neuankömmlingen aus der Ukraine ihre wichtigsten Fragen beantwortet: Wo gibt es etwas zu essen? Wie komme ich an das Geld auf meinem Konto? Wie melde ich mein Kind für eine Schule an? Und erst durch dieses Projekt und die Diskussion mit anderen Geflüchteten reifte allmählich die Idee für das Begegnungszentrum, die dann immer größere Kreise zog und immer mehr Schwung entfaltete.

So zeigt sich, dass man nicht schon den ganzen Weg überblicken muss, um den Mut zum Losgehen zu finden. Vielmehr braucht es das Vertrauen in die Entwicklungsfähigkeit von Situationen und in die erstaunliche Kraft, die eine gute Idee entfalten kann. Denn die Zukunft ist in alle Richtungen offen, und immer wieder überraschen uns nicht nur negative, sondern auch positive Wendungen, mit denen kaum jemand rechnet.

Dafür offen zu bleiben – das ist die Kraft der Zuversicht, die zum Treibstoff all unserer Hoffnungen und Handlungen werden kann. Dabei ist dieser Energieträger nicht nur in Krisenzeiten essenziell für unseren Antrieb, sondern auch im normalen Alltag. Ohne ein Mindestmaß an Zukunftsvertrauen würde kein vernünftiger Mensch mehr Kinder in die Welt setzen oder zu einer Reise aufbrechen, niemand würde ein politisches Programm entwerfen oder Projekte in Angriff nehmen, ja vermutlich könnten wir morgens noch nicht einmal aufstehen.

Zum Glück ist die Zuversicht eine erneuerbare Energie. Und so möge dieses Buch dazu beitragen, dass zumindest an dieser Energieform in Zukunft kein Mangel herrscht.

Ulrich Schnabel, Dezember 2022

* Um recht verstanden zu werden: Das bedeutet nicht, dass die Medien lügen, wie manche gerne behaupten. Es heißt nur, dass ihre Auswahl eher einseitig ist. Und dafür verantwortlich sind letztlich auch wir Leser: Würden wir alle mit Vorliebe positive Schlagzeilen lesen, sähen unsere Nachrichten anders aus.

Was heißt hier Zuversicht?

Welche Energieform in Krisenzeiten wichtig wird, was die Zuversicht vom Optimismus unterscheidet und wie wir aus dem Sahnetopf herausfinden

Eines vorweg: In diesem Buch geht es nicht um die naive Hoffnung, dass am Ende alles gut werde und Kriege, Viren oder Klimaprobleme irgendwann von selbst verschwinden. Dieses Buch ist auch keine Empfehlung zum unbeirrten Optimismus, demzufolge es keine Krisen und niemals leere Gläser gibt, sondern immer nur Chancen und halb volle Gläser. Diese Art von stählernem Optimismus ist mancherorts – wie etwa in den USA – ja schon fast zur Staatsideologie erhoben. Dabei trübt der ständige Blick durch die rosarote Brille die Sicht eher, als sie zu schärfen. Gerade wenn echte Krisen drohen, ist diese Haltung wenig hilfreich und oft sogar kontraproduktiv.

Eingängig lassen sich die Unterschiede zwischen Optimismus, Pessimismus und Zuversicht anhand der berühmten Parabel von den drei Fröschen illustrieren, die in einen Topf Sahne fallen. Der Pessimist denkt: »O je, wir sind verloren, jetzt gibt es keine Rettung mehr.« Sagt’s und ertrinkt. Der Optimist hingegen gibt sich unerschütterlich: »Keine Sorge, nichts ist verloren. Irgendjemand wird uns am Ende schon retten.« Er wartet und wartet und ertrinkt schließlich ebenso sang- und klanglos wie der erste. Der dritte, zuversichtliche Frosch hingegen sagt sich: »Schwierige Lage, da bleibt mir nichts anderes übrig, als zu strampeln.« Er reckt den Kopf über die Oberfläche und strampelt und strampelt – bis die Sahne zu Butter wird, und er sich mit einem Sprung aus dem Topf retten kann.

Zuversicht heißt also nicht, illusionäre Hoffnungen zu hegen, sondern einen klaren Blick für den Ernst der Lage zu behalten; zugleich bedeutet Zuversicht aber auch, sich nicht lähmen zu lassen, sondern die Spielräume zu nutzen, die sich auftun – und seien sie noch so klein.

Allerdings ist die Begriffsverwirrung zwischen Zuversicht, Hoffnung und Optimismus weit verbreitet. So definiert etwa der Duden die Zuversicht als »festes Vertrauen auf eine positive Entwicklung in der Zukunft«, andere Nachschlagewerke führen sie als »sinnverwandt« zum Optimismus auf. Dabei ist aber ein wichtiges Element der ursprünglichen Bedeutung verloren gegangen. In dem alten Wort Zuversicht schwingt nämlich stets ein Mollklang mit, der dem gut gelaunten, modernen Optimisten fremd ist. Den Unterschied hat meine ZEIT-Kollegin Susanne Mayer einmal feinsinnig so beschrieben: »Anders als ihr prolliger Vetter, der Optimismus, der mit fetten Fingern in die Zukunft weist, mit diesem ›Ach-das-wird-schon‹, hat die Zuversicht schmerzliche Kenntnis von der großen Zahl ihrer Widersacher.«4

Etymologisch leitet sich der Begriff Zuversicht vom althochdeutschen zuofirsiht ab, also vom Verb sehen mit den Präfixen zuo und fir, was so viel bedeutete wie das Voraussehen auf die Zukunft, egal ob sich diese nun gut oder schlecht präsentiert5. Im Laufe der Zeit wandelte sich die Bedeutung des Begriffs mehr und mehr von der neutralen Zukunftsaussicht hin zu einer hoffnungsvoll geprägten Erwartung dessen, was man sich wünscht. Dabei schwang lange Zeit das religiöse Vertrauen auf das Himmelsreich mit (wie es in dem Choral Jesus, meine Zuversicht von Bach zum Ausdruck kommt). Doch im Laufe der Neuzeit verblasste diese religiöse Grundierung und wurde ersetzt durch das Vertrauen in die Kraft der eigenen Fähigkeiten und den unaufhaltsamen Fortschritt.

Was also früher das ewige Leben im Himmel einlösen sollte (dass am Ende doch alles gut wird), musste fortan der Mensch selbst (genauer: der künftige Fortschritt) garantieren. Und eine Zeit lang sah es ja tatsächlich so aus, als weise die aufklärerische Vernunft den Weg in ein solches irdisches Paradies. Dank Wissenschaft und Technik wurden viele Arbeiten leichter, Krankheiten weniger bedrohlich und die Menschen insgesamt wohlhabender. Zugleich versprach der Humanismus, auch auf politischem Felde alles zum Besten zu wenden: Sklaverei abgeschafft, Menschenrechte erklärt, Freiheit und Demokratie für alle Bürger in Aussicht gestellt.

Natürlich waren die Verhältnisse niemals perfekt, aber das machte nichts, solange man den Glauben bewahren konnte, dass die Marschrichtung stimmte und man auf diesem Wege in ferner Zukunft das gelobte Land des universellen Menschenglücks erreiche. Optimistische Gemüter bewahrten sich diesen Glauben noch bis 1989. Als die Berliner Mauer fiel, postulierte der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama vollmundig Das Ende der Geschichte und vertrat die These, der Siegeszug des politischen (und ökonomischen) Liberalismus sei unaufhaltsam und die westliche Demokratie werde sich nahezu zwangsläufig weltweit als Regierungsform durchsetzen.6

Wie wir aus dem Sahnetopf herausfinden

Heute kann man über solche Hoffnungen nur noch müde lächeln. Spätestens die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben deutlich gemacht, wie fragil die vermeintliche Stabilität unserer gewohnten Ordnung ist. Der vermeintliche Siegeszug der westlichen Demokratie ist nicht nur zum Stehen gekommen, sondern scheint in vielen Ländern den Rückwärtsgang eingelegt zu haben. Liberale politische Parteien müssen sich gegen den Aufstieg (rechts-)populistischer Strömungen zur Wehr setzen oder in autokratischen Staatsformen ums Überleben kämpfen – eine Entwicklung übrigens, die der deutsch-britische Soziologe und Politiker Ralf Dahrendorf früh vorausgesehen hat. Bereits 1997 diagnostizierte Dahrendorf in einem hellsichtigen Artikel, wir stünden »an der Schwelle zum autoritären Jahrhundert«, was er als zwangsläufige Folge der globalisierten Wirtschaft beschrieb: Denn in dem Maße, wie sich große transnationale Firmen der Kontrolle und Gesetzgebung demokratischer Staaten entzögen, rufe dies »beinahe unweigerlich autoritäre Maßnahmen auf den Plan«. Deshalb würden die Globalisierung und ihre sozialen Folgen »eher autoritären als demokratischen Verfassungen Vorschub leisten.«7

Doch nicht nur die politische Fortschrittshoffnung hat sich als brüchig erwiesen, auch das Vertrauen in Wissenschaft und Technik hat gelitten. Die Hoffnung auf die heilsbringende Wirkung des technischen Fortschritts ist vielfach umgeschlagen in die Furcht vor seinen Nebenwirkungen: Kernenergie bringt schwer zu entsorgenden radioaktiven Abfall mit sich, der Einsatz von Antibiotika fördert gefährliche Resistenzen, die Entwicklung intelligenter Maschinen bedroht Arbeitsplätze und so weiter. Sicher hat es in den vergangenen Jahrhunderten enorme Fortschritte gegeben. Niemand wünscht sich etwa zu den sanitären Zuständen des 12. Jahrhunderts oder zu chirurgischen Eingriffen ohne Narkose zurück. Aber die Hoffnung, dass es ewig so weitergehen könnte und am Ende das Paradies der ewigen Glückseligkeit stehe, diese Zukunftshoffnung ist zerstoben.

Vielleicht kann man die derzeitige Umwälzung am besten mit dem Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit vergleichen, der ebenfalls von technischen Erfindungen, vielerlei Entdeckungen und wirtschaftlichen Neuerungen angetrieben wurde und der das Leben der Menschen in nahezu allen Bereichen veränderte. Auch damals war die Welt in Aufruhr, die Kräfte des Alten und des Neuen prallten mit entsetzlicher Wucht aufeinander und nur unter fürchterlichen Kämpfen – man denke an den Dreißigjährigen Krieg – entstand allmählich eine neue Gesellschaftsordnung. Wer will es den Menschen damals verdenken, dass sie Angst vor dem Neuen hatten, krampfhaft am Vertrauten festhielten oder sich in Weltuntergangsfantasien flüchteten? Hätte man einen Menschen im 15. Jahrhundert gefragt, wie er sich die Welt der Zukunft vorstellte, so hätte er wohl nicht annähernd beschreiben können, wie dramatisch sich das moderne Leben von seinem eigenen Dasein einmal unterscheiden würde.

Ähnlich geht es uns heute. Auch wir wären überfragt, wenn man uns bitten würde, die Welt in ferner Zukunft zu beschreiben. Gut möglich, dass bis dahin Entwicklungen und Veränderungen eingetreten sind, die wir uns heute noch nicht einmal ansatzweise ausmalen können. Doch eines ist klar: Der Weg dahin ist keinesfalls zwangsläufig, sondern hängt letztlich davon ab, wie wir heute handeln und welche Weichen wir stellen – und ob wir dabei noch so etwas wie eine positive Utopie entwickeln können, eine Zukunftsvorstellung, für die es sich zu leben und zu kämpfen lohnt. Um im Bild der Frösche-Parabel zu bleiben: Wir sind alle in die Sahne gefallen und müssen nun sehen, wie wir gemeinsam wieder herauskommen.

Dafür braucht es jedoch nicht nur kluge Analysen und kreative Ideen, sondern auch Beispiele und Vorbilder. Denn kaum etwas bewegt uns so sehr wie persönliche Schicksale. Das gilt insbesondere für den Portraitierten im folgenden Kapitel: Angesichts seines schweren Schicksals hätte er allen Grund zur Verzweiflung oder Depression gehabt; und doch hat er es geschafft, sich nicht brechen zu lassen und seine innere Freiheit zu wahren. So hat er nicht nur seine eigene Krise auf fast wundersame Weise überwunden, sondern wurde zu einem Idol für viele andere. Seine Geschichte zeigt anschaulich, wozu der menschliche Geist selbst unter widrigsten Bedingungen fähig ist.

STEPHEN HAWKING – DER FREIGEIST IM ROLLSTUHL

Stellen Sie sich vor, Sie starten in Ihr Erwachsenenleben, sind Anfang Zwanzig und voller Ideen und Zukunftshoffnung. Da wird bei Ihnen eine rätselhafte Krankheit diagnostiziert, die unheilbar ist und – so eröffnen Ihnen die Ärzte bedauernd – allmählich zur Lähmung und über kurz oder lang zum Tod führen wird. Wie viele Jahre Ihnen noch bleiben, kann niemand genau sagen, aber den betroffenen Mienen der Ärzte entnehmen Sie, dass es offenbar nicht mehr allzu viel Zeit ist.

Wie gehen Sie damit um? Wüten Sie gegen Ihr Schicksal und stürzen sich in eine Verzweiflungsaktion? Versinken Sie in Selbstmitleid und einem depressiven Es-hat-ja-alles-eh-keinen-Sinn-mehr-Gefühl? Oder hoffen Sie auf ein Wunder und bitten Sie – je nach Glaubensrichtung – um eine Audienz beim Papst / Dalai Lama / Wunderheiler?

Stephen Hawking hat nichts von alledem getan, als ihm sein bald bevorstehendes Ende angekündigt wurde. Dabei hätte er allen Grund zur Wut oder Depression gehabt. Kurz nach seinem einundzwanzigsten Geburtstag war es, als ihm die Ärzte eröffneten, dass er an einer seltenen Muskelerkrankung leide, für die es keine Therapie gäbe. Wie lange er noch zum Leben habe, konnte ihm niemand sagen, aber es war klar, dass mit einer kontinuierlichen Verschlechterung seines Zustandes zu rechnen sei. Der junge Physik-Doktorand wusste nicht einmal, ob ihm noch genügend Zeit bliebe, seine Promotion abzuschließen.

Doch dann überlebte Hawking alle ärztlichen Prognosen und erreichte das respektable Alter von 76 Jahren. Und nicht nur das: Als er im März 2018 starb, wurde der gelähmte Kosmologe für eine Weltkarriere gerühmt, die selbst für kerngesunde Forscher märchenhaft gewesen wäre: bekanntester Physiker seiner Zeit, sensationell erfolgreicher Bestsellerautor und nebenbei noch mehrfacher Vater und Großvater. Welche Zuversicht hielt ihn aufrecht, woraus schöpfte Hawking seinen erstaunlichen Lebensmut? Und was lässt sich daraus lernen für unseren eigenen Umgang mit unabwendbaren Krisen und lebensbedrohlichen Situationen?

Stephen Hawking in der Schwerelosigkeit eines Parabelfluges  © picture-alliance/dpa

Üblicherweise sind beim Thema Zuversicht ein paar typische Antworten schnell bei der Hand: Man dürfe die Hoffnung nicht verlieren, dass am Ende doch alles gut ausgehe; müsse sich in positivem Denken üben und zum Beispiel darauf vertrauen, dass auch bei unheilbaren Krankheiten noch Spontan- oder Wunderheilungen möglich seien; oder es wird empfohlen, sich der Religion zuzuwenden und seinen Glauben wiederzuentdecken.

Stephen Hawkings Geschichte ist deshalb so bemerkenswert, weil bei ihr all diese gängigen Antworten nicht greifen: weder erlebte er eine wundersame Heilung, noch ging seine Krankheitsgeschichte »gut« aus. Im Gegenteil, die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), an der er litt, hat seinen Körper genau so unerbittlich in den Schraubstock genommen, wie es die Ärzte vorhergesehen hatten. Die Nervenerkrankung raubte ihm nach und nach die Kontrolle über seine Muskeln und schließlich noch die Stimme. Über vierzig Jahren saß er im Rollstuhl, die letzten dreißig Jahren seines Lebens konnte er sich nur mithilfe eines Sprachcomputers und einer roboterhaften Kunststimme mitteilen.

Auch mit der Hoffnung auf Gott oder andere höhere Mächte brauchte man Hawking nicht zu kommen. Der Physiker war ein durch und durch nüchterner Kopf, der mit religiösen Anwandlungen ebenso wenig anfangen konnte wie mit allen Arten von Wunderglauben oder esoterischem Hoffnungskitsch. Im Gegenteil. Im Leben wie in seinen physikalischen Theorien hatte er sich der Logik und der kühlen Ratio verschrieben. Anders als sein berühmter Kollege Albert Einstein hat er auch niemals Spekulationen darüber angestellt, was »der Alte« (wie Einstein Gott gern bezeichnete) wohl täte oder ob Gott würfelt oder ähnliches. In seinen Theorien, so sagte Hawking einmal, sei für einen Schöpfer schlicht kein Platz.**

Es ist aber auch nicht so, dass Hawking ein übermenschlicher Superheld gewesen wäre, dem jegliche Verzweiflung und Schwermut fremd waren. Auf die Eröffnung, dass er an einer unheilbaren Krankheit litt, reagierte er so, wie wohl jede/r von uns darauf reagieren würde: Er empfand die Nachricht als »Schock« und fragte sich, warum ausgerechnet ihm so etwas passiere. »Ich fühlte mich irgendwie als tragische Gestalt«, erzählte er in seinen Memoiren, er habe zunächst viel Musik von Wagner gehört und wirre Träume gehabt.8 Die Zeitschriftenberichte aber, denen zufolge er unmäßig getrunken habe, so insistierte Hawking, seien »übertrieben« gewesen (was nicht ausschließt, dass er sich hin und wieder ein Glas genehmigte). Kurz und gut: Stephen Hawking zeigte sich als ganz normaler Mensch, der seine tiefe Krise nicht mit übernatürlichen Fähigkeiten meisterte, sondern mit denselben Mitteln, die uns allen zur Verfügung stehen.

Genau das macht ihn als Beispiel für die Kraft der Zuversicht so interessant. Denn in dem Maße, wie ihm die äußere Bewegungsfähigkeit genommen wurde, war Hawking gezwungen, seine innere Freiheit zu entdecken. Das ist ihm offenbar so gut gelungen, dass er daraus einen enormen Überlebenswillen entwickelte, unabhängig von seiner körperlichen Verfassung. Fairerweise muss man hinzufügen, dass Hawking außergewöhnlich intelligent war und eine eindeutige Begabung zum physikalischen Denken hatte – ein solches Talent hat nicht jeder. Dennoch kann er auch jenen, die am aktuellen Zustand der Welt verzweifeln, als Vorbild dienen: Obwohl der junge Hawking nach gängigen Maßstäben kaum eine Chance hatte, hat er sie exzellent genutzt.

Um zu ermessen, wie außergewöhnlich diese Haltung ist, braucht man sie nur mit der sonst üblichen Stimmung zu vergleichen, die in Ländern wie Großbritannien (oder Deutschland) vielfach anzutreffen ist. Während der gelähmte Kosmologe trotz seines schweren Schicksals vor Lebensmut fast zu sprühen schien, macht sich ausgerechnet unter den Bewohnern wohlhabender Industrieländer eine resignative Untergangsstimmung breit. Das bekam auch Stephen Hawking zu spüren, als er mit über 70 Jahren einen Text über die Zukunftsaussichten der Menschheit veröffentlichte. In diesem Essay analysierte er kritisch die aktuellen Menschheitsprobleme – vom politischen Populismus über die extreme ökonomische Ungleichheit bis hin zum Klimawandel –, mahnte ein notwendiges Umdenken an und erklärte abschließend: »Das ist machbar. In Bezug auf die Spezies Mensch bin ich ein ungeheurer Optimist«.

Was war die Reaktion? Aus den Leserkommentaren scholl ihm postwendend eine enorme mentale Depression entgegen: »Ich teile den Optimismus für unsere Spezies nicht. Die Menschheit ist das Krebsgeschwür dieses Planeten – dieser wird sich jedoch zu heilen wissen. Wir hatten unsere Chancen. Es ist zu spät«, schrieb etwa ein Leser namens »René«. Der nächste legte nach: »Ich kann mich René nur anschließen, auch ich hege keinerlei Hoffnung bezüglich der menschlichen Rasse …« Und so ging es immer weiter. Die Kommentatoren schienen sich geradezu in Hoffnungslosigkeit übertreffen zu wollen.

Wer solche Meinungsäußerungen liest oder Umfragen betrachtet, stößt immer wieder auf diese resigniert-wütende Stimmung, die den Untergang für beschlossene Sache hält und sich nur in der Negation so richtig wohlzufühlen scheint. Die Vertreter dieser Position würden sich selbst vermutlich anders beschreiben: vielleicht als realistisch oder desillusioniert, jedenfalls auf dem Boden der harten Wirklichkeit stehend, während die anderen hoffnungslos abgehobene Träumer seien. Doch klar ist: Hier kommt eine enorme Zukunftsverneinung zum Ausdruck.

»Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen« – dieser flapsig daher gesagte Satz des verstorbenen Altkanzlers Helmut Schmidt hat inzwischen ein fast tragisches Gewicht bekommen***. Kaum ein Politiker wagt heute noch einen großen visionären Entwurf; gerade dem reichen Westen scheinen die positiven Utopien abhandengekommen zu sein. Stattdessen dominieren rückwärtsgewandte »Retrotopien«, wie der Sozialphilosoph Zygmunt Baumann diagnostizierte. In seinem letzten Buch Retrotopia beschrieb Baumann, wie zu Beginn des 20. Jahrtausends viele Menschen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft gegen den Wunsch eingetauscht haben, es möge alles so werden wie es früher einmal war. Sie begeistern sich, so Baumann, für »Visionen, die sich anders als ihre Vorläufer nicht mehr aus einer noch ausstehenden und deshalb inexistenten Zukunft speisen, sondern aus der verlorenen/geraubten/verwaisten, jedenfalls untoten Vergangenheit« – eben Retro- statt Utopien. Dass dabei in der Regel Antworten gegeben werden, die schon gestern gescheitert sind, scheint die Anhänger der jeweiligen Retrotopien nicht zu stören. Offenbar kann der Mensch besser mit falschen Visionen leben als ganz ohne sie.

Suchte man allerdings bei Stephen Hawking nach jenen Antriebskräften, die ihn trotz seiner tödlichen Diagnose am Leben gehalten haben, wurde man nur schwer fündig. Wenn man ihn interviewte, sprach er stets lieber über Kosmologie als über sein eigenes Befinden. Selbst in seinen Memoiren nimmt die Beschäftigung mit physikalischen Themen den größten Raum ein. Nabelschau lag Stephen Hawking erkennbar nicht.

Aber vermutlich ist das schon ein Teil der Antwort: Es gab etwas, das ihn mehr interessierte als das permanente Kreisen um sich selbst und das eigene Wohl und Weh. Gerade die Begeisterung für die großen Fragen der Kosmologie hat Stephen Hawking einen Grund zum Weiterleben gegeben, als er eigentlich in Depression hätte versinken können. Er lieferte somit den praktischen Beleg für einen berühmten Satz des Philosophen Friedrich Nietzsche: »Hat man sein Warum des Lebens, so verträgt man sich fast mit jedem Wie.« Und Hawking hatte ganz offensichtlich sein »Warum« des Lebens gefunden.

Damit soll nicht gesagt sein, dass in jeder persönlichen Krise die Beschäftigung mit der Astrophysik anzuraten ist. Das »Warum des Lebens« nimmt schließlich für jeden Menschen eine eigene, individuelle Form an. Für die einen ist es das Wohlergehen der eigenen Kinder, für andere der Wunsch nach beruflicher Anerkennung, wieder andere gehen im Sport, in der Musik oder in der Beschäftigung mit altbyzantinischer Kirchenmalerei auf – vermutlich gibt es ebenso viele Warums, wie es Menschen gibt. Und nicht immer ist es leicht, seinen persönlichen Antrieb zu identifizieren, der sich zudem von Lebensabschnitt zu Lebensabschnitt verändern kann. Aber es lohnt sich, danach Ausschau zu halten, denn das ist es, was einem in Krisensituationen hilft, den Kopf über Wasser zu halten.

Außerdem war Hawking mit einem beneidenswerten Humor gesegnet. Er liebte die lakonische Pointe, sowohl in seinen physikalischen Erklärungen wie auch in der persönlichen Betrachtung. Als er etwa 1979 in Cambridge auf den legendären Lucasischen Lehrstuhl für Mathematik berufen wird, den einst Isaac Newton innehatte, kommentiert der Rollstuhlfahrer Hawking ironisch: »Ich sitze hier auf Newtons Lehrstuhl. Aber dieser Stuhl hat sich offensichtlich stark verändert – er wird jetzt elektrisch betrieben«. Oder er erklärte in gespieltem Ernst, seine Behinderung sei in mancher Hinsicht durchaus von Vorteil: So müsse er keine Vorlesungen halten, keine Studienanfänger unterrichten und vor allem nicht an zeitraubenden Sitzungen teilnehmen. Solche selbstironischen Betrachtungen brachten nicht nur sein Umfeld zum Lachen; sie waren auch ein hervorragendes Mittel gegen die Verführung des Selbstmitleids und die allzu starke Identifizierung mit dem eigenen Leid.

Und noch eine dritte Kraft war es, die es Hawking ermöglichte, sein Schicksal zu meistern: die Liebe. Was ihn am Leben gehalten habe, so erklärte er einmal, sei die Liebe der Frauen gewesen, die ihn umsorgten. Tatsächlich wurde Hawking stets von (meist mehreren) Frauen betreut: seiner jeweiligen Ehefrau, seinen diversen Krankenschwestern (die zum Teil später zur Ehefrau avancierten), und seiner persönlichen Sekretärin. Zusätzlich hatte er in seinem Büro an der Universität Cambridge ein riesiges Foto von Marilyn Monroe an der Wand hängen. Man konnte das für einen Spleen halten. Aber letztlich war auch das Marilyn-Poster eine Hommage an die lebenserhaltende weibliche Kraft in seinem Leben.

Der Rest – seine zunehmende Popularität, der Erfolg als Physiker und Autor, die Verewigung als Filmfigur in Raumschiff Enterprise und in der Zeichentrickserie The Simpons, sein schließlich ikonenhafter Status als eine Art Weltweiser – war dann am Ende nur eine Folge dieser Lebensquellen, eine Zugabe des Schicksals, mit der niemand rechnen konnte. Der Ursprung des traumhaft anmutenden Hawking-Märchens lag in jenen Antriebskräften – Begeisterung, Humor, Liebe – die ihm trotz seiner schweren Krankheit die Zuversicht vermittelten, dass sich das Leben dennoch lohne.

** Dass er in seinem Bestseller Eine kurze Geschichte der Zeit dennoch davon spricht, »Gottes Plan« auf der Spur zu sein, war ein reiner Verkaufstrick. Am liebsten hätte er diesen Satz gestrichen, gibt Hawking in seinen Memoiren zu. Aber dann »hätten sich die Verkaufszahlen möglicherweise halbiert«.

*** Tatsächlich war das nur eine ironische Bemerkung von Schmidt, mit der er die drängende Frage eines Journalisten nach seinen Visionen abwehrte. Wer Helmut Schmidt kannte, wusste, dass dieser Politiker natürlich Zukunftsvorstellungen und politische Visionen hatte – etwa zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit oder zur Gestaltung Europas.

I. Von der Angst zur Gestaltungskraft

Kleine Zeitdiagnose: Warum die Zuversicht heute einen so schweren Stand hat – gerade in wohlhabenden Ländern. Wie man seine Weltsicht verändert und welche drei Prinzipien des guten Lebens dabei helfen

Wer 2017 oder 2018 versuchte, ein aktuelles Stimmungs bild der Deutschen zu zeichnen, stieß schnell auf ein Paradox: Von außen betrachtet, ging es Deutschland – im Vergleich zu anderen Ländern – erstaunlich gut. Die Menschen leben seit Jahrzehnten in Frieden, die Wirtschaft brummt, ihr Land ist sicherer, demokratischer und wirtschaftlich stärker als die meisten anderen Staaten. Sie genießen eine hohe Lebenserwartung und können sich über einen Wohlstand freuen, von dem viele andere Menschen auf diesem Planeten nur träumen. Von »Cool Germany« schwärmt selbst der sonst so kritische Economist. Deutschland sei »facettenreich, offen, informell und hip«, schreibt die einflussreiche britische Wirtschaftszeitung und sieht darin gar ein »Modell« für die anderen westlichen Länder.9

Betrachtete man Deutschland jedoch von innen, schien die kollektive Gemütslage schlechter denn je. Ein Großteil der Bürger blickt voller Angst und Sorge in die Zukunft. Und wer nicht nur Wirtschaftszeitungen liest, sondern auch andere Stimmen zur Kenntnis nimmt, dem tritt ein ganz anderes Deutschland entgegen. »Das Land ist von einer Unruhe befallen, die bereits Züge von Paranoia und Panik trägt«, kann man etwa im Feuilleton der ZEIT lesen.10 »Der Zukunftsoptimismus ist steil zurückgegangen«, diagnostiziert das Allensbach Institut, das den Deutschen regelmäßig den Stimmungspuls fühlt.11 »Das soziale Klima in Deutschland ist geprägt von Gefühlen der Ohnmacht und Orientierungslosigkeit, von Überforderung und Überreizung«, schließt das Frankfurter Zukunftsinstitut aus seinen Studien,12 und der Soziologe Heinz Bude, der hauptberuflich Stimmungslagen erforscht, erklärt: »Vor allem ein Gefühl bestimmt derzeit die Stimmung in Deutschland, aber auch in allen anderen westlichen Nationen: die Angst.«13

Wie kann das sein? Wie ist es zu erklären, dass die »gefühlte« Lage so gar nicht zu den guten Wirtschaftsdaten passen will und in Zeiten großen Wohlstands vor allem Angst und Sorge die kollektive Psyche dominieren? Warum haben populistische Parteien in nahezu allen reichen Industrieländern großen Zulauf, und wie ist der Erfolg des »Trumpismus« in den USA zu erklären, jene aggressive Form des politischen Zynismus, die sich vor allem aus der Wut auf das Bestehende und der Angst vor dem Abstieg speist?

Auf diese großen Fragen, die derzeit die Politstrategen vieler Parteien umtreiben, gibt es natürlich mehr als eine Antwort. Schließlich wird die kollektive Stimmung einer Nation von vielen Faktoren beeinflusst, und die Gründe für Trumps Erfolg in den USA sind nicht einfach dieselben, die in Deutschland den Aufstieg der AfD oder in Großbritannien den Erfolg der Brexit-Bewegung erklären. Ein paar Grundmuster allerdings lassen sich herausarbeiten, und diese haben vor allem mit den Eigenheiten unseres emotionalen Erlebens zu tun. Denn dieses hängt nicht an der Größe wirtschaftlicher Kennziffern, sondern an der subjektiven Wahrnehmung der Menschen. Und die folgt ganz anderen Gesetzen als die Statistik.

Die Angst vor dem Verlust

So hat beispielsweise die Angst vor Terroranschlägen in den vergangenen Jahren massiv zugenommen; spätestens seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016 fragen sich viele bang, ob sie noch gefahrlos Weihnachtsmärkte besuchen können oder sich damit in Lebensgefahr bringen. Und der vermehrte Zuzug von Flüchtlingen und Migranten (und die ausführliche Berichterstattung darüber) hat bei vielen Menschen zu dem Gefühl geführt, Deutschland werde von Fremden geradezu überrannt und es drohe eine »Islamisierung des Abendlandes«. Dabei lässt der Blick auf die nüchternen Zahlen die eine wie die andere Angst irrational erscheinen: Insgesamt leben in Deutschland gerade einmal fünf Prozent Muslime, von einer flächendeckenden »Islamisierung« kann nicht die Rede sein; und die Terrorgefahr erscheint marginal, wenn man sie mit dem normalen Risiko des Straßenverkehrs vergleicht: Während 2016 insgesamt 27 Terrortote zu beklagen waren,14 starben im selben Jahr auf deutschen Straßen 3 214 Menschen bei Verkehrsunfällen.

Um recht verstanden zu werden: Das soll weder den Terror verharmlosen noch die Schwierigkeiten unterschlagen, die bei der Zuwanderung von Menschen (vor allem jungen Männern) aus fremden Kulturkreisen mit zum Teil völlig anderen Wertvorstellungen entstehen. Natürlich bringt die Integration Probleme mit sich, und natürlich ist jedes Terroropfer eines zu viel. Allerdings ist auch jedes Verkehrsopfer eines zu viel. Doch an die Risiken des Autoverkehrs, dem jedes Jahr mehrere Tausend Menschen in Deutschland zum Opfer fallen, haben wir uns schlicht und einfach gewöhnt. Deshalb wird darüber weder groß berichtet, noch nehmen wir diese Gefahr emotional besonders wahr. Ganz anders ist es mit der Bedrohung von Terroranschlägen oder dem Zuzug von Flüchtlingen; beides sind historisch relativ neue Phänomene und erhalten deshalb viel mehr emotionale Aufmerksamkeit.

Denn ein Grundzug unseres Gefühlslebens ist die Tatsache, dass es immer komparativ ist. Das heißt: Gefühle orientieren sich nicht an absoluten Fakten, sondern stets am Vergleich zu anderen Situationen oder anderen Menschen. Deshalb schätzen wir neue, unbekannte Gefahren als sehr viel höher ein als bekannte Risiken – selbst wenn das Vertraute mehr Opfer fordert und de facto viel gefährlicher ist. Doch solche objektiven Tatsachen sind unserem Emotionshaushalt schnuppe. Ihm geht es vor allem um den Vergleich: Als wichtig wahrgenommen wird das, was sich verändert.15

Illustrieren lässt sich dieser Mechanismus an einem simplen Beispiel: Wird Sie der Umzug in eine 100-Quadratmeter-Wohnung glücklich machen? Kommt darauf an. Wenn Sie zuvor auf 50 Quadratmeter lebten, werden Sie sich wie ein König fühlen; residierten Sie dagegen vorher auf 200 Quadratmetern, werden Sie die neue Wohnung als enges Loch empfinden. Die emotionale Bewertung des Wohnraums hängt eben nicht von der absoluten Quadratmeterzahl ab, sondern vom relativen Vergleich zur bisherigen Situation.

Oder freuen Sie sich über eine Gehaltserhöhung von 500 Euro? Vermutlich schon. Wenn Sie allerdings hören, dass Ihr nebenan sitzender Kollege 1 000 Euro mehr erhält, ist es schlagartig aus mit der Freude. Obwohl sich Ihre Summe nicht verändert hat, erscheint sie Ihnen nun wie eine Demütigung und ein berechtigter Grund zum Ärger.

Für die Stimmungslage einer Nation sind daher nicht so sehr die absoluten (Wirtschafts-)Zahlen ausschlaggebend, sondern vielmehr die dabei empfundenen relativen Veränderungen. Da mögen Außenstehende noch so sehr auf die guten Lebensbedingungen in Deutschland verweisen; für das emotionale Erleben der Einwohner zählt nicht der Istzustand, sondern der Wandel. Und Wohlstand erleben sie vor allem dann als positiv, wenn damit ein Zuwachs einhergeht.

Deshalb waren die Deutschen am zuversichtlichsten zwischen 1958 und 1964, der Zeit des Wirtschaftswunders. »Sie merkten: Es geht aufwärts, es kann nur besser werden«, erklärt der Soziologe Heinz Bude. »Diese kollektive Interpretation erzeugte eine enorme Aufbruchstimmung.«

Bei den nach 1960 Geborenen, die in Frieden und wachsendem Wohlstand groß wurden, setzte sich dagegen allmählich die Überzeugung durch, das Schlimmste liege nicht hinter ihnen, sondern stehe noch bevor. »Die Zukunft droht, sie verspricht nichts mehr«, sagt Bude.16 Gerade weil die heutige Generation das Leben bislang als vergleichsweise gut, sicher und komfortabel erlebte, nagt nun an ihr die zermürbende Sorge, dass es nicht immer so gut sein wird wie gewohnt.

So erlebt ein ganzes Volk das Phänomen der Verlustaversion, dessen Erforschung wir vor allem Daniel Kahneman verdanken. Der israelisch-amerikanische Psychologe, der für seine »Erwartungstheorie« zusammen mit Amos Tversky 2002 den Wirtschafts-Nobelpreis erhielt, hat mit Experimenten gezeigt, dass unser Gehirn den Schmerz über einen Verlust stets stärker gewichtet als die Freude über einen vergleichbaren Gewinn.17