Zwei Fürstenkinder brauchen Liebe - Melanie Rhoden - E-Book

Zwei Fürstenkinder brauchen Liebe E-Book

Melanie Rhoden

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. Fürst Rainer von Wildberg-Kallau steuerte selbst den großen, schweren Wagen. Auf den Waldstraßen nahe dem Schloß fuhr er besonders langsam, weil gerade in den Morgenstunden Wildwechsel eine Gefahr bedeutete. Erst auf der Autobahn konnte der starke Motor seine Kräfte entwickeln. Weniger Spitzengeschwindigkeiten als das zügige Fahren brachte die Reisenden rasch nach dem Süden. Kaum drei Stunden später tauchten schon die mächtigen Umrisse der Berge als blaugraue Schemen auf. Die Zeit verging schnell, weil die Kinder auf den Rücksitzen nett miteinander plauderten. Fürstin Vera saß neben ihrem Mann und schaute verträumt in die reizvolle Landschaft des Alpenvorlandes. Glückliche Stunden zogen als Erinnerungen vorbei; an die glanzvolle Hochzeit auf Schloß Wildberg; an den Augenblick, da ihr bewußt wurde, daß sie Mutter sein werde. Und dann die dramatisch verlaufende Geburt, während der sie meinte, sterben zu müssen! Fürstin Vera wußte noch genau, daß sie unter der Wirkung der schmerzlindernden Mittel nur noch einen Wunsch fühlte, nämlich wenigstens einmal ihr Kind sehen zu können. Sie überstand alle Komplikationen mit dem festen Willen, bei ihrem geliebten Mann und bei ihrem Kind zu bleiben. Die Ärzte sprachen von einem Wunder und verboten ihr jede weitere Schwangerschaft. »Ich wollte damals auf keinen Fall, daß Ronald als Einzelkind aufwächst«, sagte Fürstin Vera unvermittelt. Erst verstand Rainer nicht gleich, was sie meinte, aber dann fand er sich in ihre Gedanken. »Du warst wunderbar tapfer«, bestätigte er ihr. »Wie habe ich dich für deinen Leichtsinn verurteilt!« »Glaub mir, Rainer, wenngleich die Ärzte schwarz in schwarz die Gefahren ausmalten, wußte ich genau, daß ich einmal für meine Kinder nicht sterben, sondern leben sollte!« Fürst Rainer suchte tastend die Hand seiner Frau, zog sie an die Lippen und küßte zärtlich die Fingerspitzen, bis sie ihn verwies: »Das ist während der Fahrt verboten, mein Lieber.

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Fürstenkinder – 4 –

Zwei Fürstenkinder brauchen Liebe

Ein erregendes Familienschicksal aus dem Hochadel

Melanie Rhoden

Fürst Rainer von Wildberg-Kallau steuerte selbst den großen, schweren Wagen. Auf den Waldstraßen nahe dem Schloß fuhr er besonders langsam, weil gerade in den Morgenstunden Wildwechsel eine Gefahr bedeutete. Erst auf der Autobahn konnte der starke Motor seine Kräfte entwickeln. Weniger Spitzengeschwindigkeiten als das zügige Fahren brachte die Reisenden rasch nach dem Süden. Kaum drei Stunden später tauchten schon die mächtigen Umrisse der Berge als blaugraue Schemen auf. Die Zeit verging schnell, weil die Kinder auf den Rücksitzen nett miteinander plauderten. Fürstin Vera saß neben ihrem Mann und schaute verträumt in die reizvolle Landschaft des Alpenvorlandes. Glückliche Stunden zogen als Erinnerungen vorbei; an die glanzvolle Hochzeit auf Schloß Wildberg; an den Augenblick, da ihr bewußt wurde, daß sie Mutter sein werde. Und dann die dramatisch verlaufende Geburt, während der sie meinte, sterben zu müssen! Fürstin Vera wußte noch genau, daß sie unter der Wirkung der schmerzlindernden Mittel nur noch einen Wunsch fühlte, nämlich wenigstens einmal ihr Kind sehen zu können. Sie überstand alle Komplikationen mit dem festen Willen, bei ihrem geliebten Mann und bei ihrem Kind zu bleiben. Die Ärzte sprachen von einem Wunder und verboten ihr jede weitere Schwangerschaft.

»Ich wollte damals auf keinen Fall, daß Ronald als Einzelkind aufwächst«, sagte Fürstin Vera unvermittelt. Erst verstand Rainer nicht gleich, was sie meinte, aber dann fand er sich in ihre Gedanken.

»Du warst wunderbar tapfer«, bestätigte er ihr. »Wie habe ich dich für deinen Leichtsinn verurteilt!«

»Glaub mir, Rainer, wenngleich die Ärzte schwarz in schwarz die Gefahren ausmalten, wußte ich genau, daß ich einmal für meine Kinder nicht sterben, sondern leben sollte!«

Fürst Rainer suchte tastend die Hand seiner Frau, zog sie an die Lippen und küßte zärtlich die Fingerspitzen, bis sie ihn verwies: »Das ist während der Fahrt verboten, mein Lieber. Sicherheit geht vor!«

Lächelnd gab er sie frei und widmete sich wieder ganz der Kunst, völlig risikofrei und rasch zu fahren. Eine Stunde später erreichten sie über eine gute ausgebaute Seitenstraße das Dorf Neu-Galling. An einen Hügel gebaut, lag, protzig und etwas zu groß, das Sanatorium von Professor Wernhoff. Weißgekieste Straßen und Wege führten durch den Park. Kaum hatte der Fürst den Wagen vor dem schloßartigen Gebäude gehalten, begann schon das freudige Rufen der Kinder: »Oma! Ich sehe sie! Oma sitzt auf einer rotgestrichenen Bank!«

Vergeblich mahnte der Fürst, man müsse hier besonders Ruhe bewahren, die Aufregung der Kinder war zu groß. Allerdings ließen sie sich beim Wagen noch ordentlich aufstellen, weil sie erst dann die Geschenke für die Jubilarin ausgehändigt bekamen. Nun aber stürmten sie los, der sechsjährige Ronni Blumen schwingend, die vierjährige Reni hinter ihm her, wobei sie eine große Bonboniere schleppte.

Es gelang Fürstin Thea von Vingenstein, dem Anprall der beiden Enkelkinder sitzend standzuhalten. Mit aufwallender Rührung drückte sie die Kleinen an sich, ließ sich zärtlich küssen und gab dann jedem auch einen Kuß auf die Stirn.

Mit großen, strahlenden Augen schaute sie dem Fürstenpaar entgegen.

»Mama, alles Gute zum Sechziger!« rief Vera, lief auf ihre Mutter zu und umarmte sie. Sie konnte die Tränen des Glücks nicht zurückhalten, denn Mama schaute prächtig erholt aus.

Wohl weil Fürst Rainer ähnliches feststellte, rügte er seine Frau: »Vera, du bist einfach ungalant! Liebste Mama, auch von mir die besten und herzlichsten Wünsche. Bleib auch die zweiten fünfzig Jahre gesund, glücklich und bei uns!«

Er küßte die Hand seiner Schwiegermutter, worauf sie ihn, zum Scherz rügend, ermahnte: »Du mußt nicht nur ganz junge Frauen küssen, mein lieber Rainer. Wenn du schon so galant bist, mich um zehn Jahre jünger zu schwindeln, so darfst du mich sogar auf den Mund küssen! Wir wollen Vera geradezu eifersüchtig machen!«

Fürstin Thea, Veras Mutter, war bester Laune, glücklich über das Kommen der Familie, und sie ahnte nicht, daß dieses Glück nur noch eine kurze Zeit währen sollte.

Vorerst lud sie ihre Gäste in das kleine Appartement, das sie hier in der Klinik bewohnte, und bestellte über das Haustelefon einige Erfrischungen.

»Mama, du hast keinerlei Beschwerden mehr beim Gehen!« stellte Vera glücklich fest. »Die Kur hat Wunder bewirkt, du bist tatsächlich um wenigstens zehn Jahre jünger geworden!«

Vera freute sich darüber so sehr, daß wieder Tränen in ihre Augen tragen. Nur Fürstin Thea grollte ihr: »Vorhin hast du das gar nicht ausgesprochen. Nur Rainer gratulierte mir sogleich zum Fünfziger. Spaß beiseite: Ich fühle mich wie neugeboren. Kinder, ich wünsche mir auch noch einige Jahre, um euer Glück ein bißchen beobachten und mich daran mit erfreuen zu können. Ihr wißt ja nicht, wie froh ich über euer Kommen bin!«

So verging die Zeit sehr schnell. Alle waren glücklich über das Beisammensein. Die Fürstin von Vingenstein horchte deshalb erstaunt auf, als auf dem Korridor ein elektrischer Gong ertönte, und sie sagte: »Das Zeichen zum Mittagstisch. Allerdings denke ich nicht daran, mich an einem so wunderbaren Tag über Professor Wernhoffs Diätküche zu ärgern. Kinder, ich lade euch zu einem exquisiten Mittagsmahl in zweitausend Metern Höhe ein, ins Hotelrestaurant auf dem Klaiberstein!«

Die Einladung wurde mit größter Begeisterung aufgenommen, nur Klein-Reni vergewisserte sich erst: »Oma, gibt es dort oben auch Himbeereis?«

»Frisch vom Gletscher!« schwindelte Oma Thea, womit sie auch Renis Vorbehalte beseitigte.

Und so trieben die Ereignisse auf die Katastrophe zu.

*

Um diese Stunde war selbstverständlich die Hotelbar auf dem Klaiberstein längst geöffnet. Zwei gutaussehende, salopp gekleidete und bestens gelaunte Herren um die dreißig amüsierten sich köstlich in Gesellschaft zweier blutjunger, bildhübscher Mädchen.

»Tim, noch einmal dasselbe!« sagte einer der Herren zum Mixer, der sich beeilte, diesen Wunsch zu erfüllen. Das waren immerhin Gäste, die gewohnt waren, sich jeden Wunsch zu erfüllen, und die auch dafür nicht nach dem Preis fragten.

»Salute!« rief ein Herr.

»Ex!« befahl der zweite, und die Mädchen standen nicht zurück.

»Also gilt es? Start in zwei Minuten. Hinunter bis ins Dorf, dreimal rund um den Kirchenplatz, und dann zurück. Wer als erster wieder hier an der Bar sitzt, hat gewonnen. Aber nur paarweise! Ihr Schönen müßt mitlaufen!«

»Tim zählt bis drei, dann gilt der Start!« befahl einer der Kavaliere.

Der Mixer Tim hatte mitgehört und verstanden, worum es hier gehen sollte. Die beiden jungen Herren fuhren Sportwagen, Letztmodelle. Man wollte also Privatrennen austragen. Ausgerechnet auf der kurvigen Bergstraße über einen Höhenunterschied von beinahe tausendfünfhundert Metern! Auf dem Kirchenplatz würden bestimmt alte, nicht mehr so schnell reagierende Leute unterwegs sein; vielleicht auch Kinder. Tim, der erfolggewohnte Mixer in der Hotelbar, dachte insgeheim: Betrunken! Ihr seid Verbrecher! Was ihr tun wollt, ist geradezu kriminell! Dann sagte er, zuletzt ein beachtliches Trinkgeld erwartend: »Selbstverständlich, meine Herrschaften. Tim erfüllt jeden Wunsch! Mein Kommando gilt: eins, zwei und… drei!«

Beinahe wäre es nicht zu diesem Rennen gekommen, denn eines der Mädchen war so betrunken, daß es kaum noch gerade laufen konnte. Der Begleiter stand auch nicht ganz sicher auf den Beinen, aber nachdem er sich hinter das Lenkrad seines Sportwagens geklemmt hatte, mußte er gleich ordentlich ›auf die Tube drücken‹, weil sein Freund bereits mit radierenden Reifen in die erste Spitzkehre einfuhr. Kavaliersstart mit durchdrehenden Rädern. Lustig aufkreischend, klammerte sich seine reizvolle Begleiterin am Haltegriff fest, und schon stürzte ihr das Band der Straße entgegen.

»Immer die Ideallinie!« schrie ihr der Freund zu, schnitt die Kurve in perfektem Rennstil an, ließ den Wagen mit allen vier Rädern in der Kurve kommen, kurz Gas weg, und dann wieder draufgetreten. Er spürte, welch köstliches Prickeln ihm die Todesgefahr im längst nicht mehr nüchternen Gehirn verursachte. Köstlich! Das war noch lebenswertes Leben!

*

Fürstin Thea von Vingenstein ließ sich von ihrem Schwiegersohn zum Wagen führen. Selbstverständlich bot ihr ihre Tochter den Ehrenplatz an der Seite des Fahrers an, aber die alte Dame beschloß, lieber hinten bei den Kindern zu sitzen.

»Vera, bitte, nimm den Sicherheitsgurt«, ermahnte Rainer seine Frau. Für gewöhnlich tat sie das, ohne daß er sie erst dazu auffordern mußte.

Diesmal aber wendete sie ein: »Ausnahmsweise einmal nicht. Ich habe vorhin meine Bluse von einem Stubenmädchen aufbügeln lassen, denn sie war von dem Sicherheitsgurt während der Fahrt ganz kraus geworden. Rainer, ich kann unmöglich mit ganz krauser Bluse ins Restaurant gehen!«

Es entspann sich zwischen Vera und Rainer sogar ein etwas unwillig geführtes Gespräch; zuletzt gab der Fürst den Argumenten seiner Frau nach.

»Ich werde besonders langsam fahren«, täuschte er sich selbst darüber hinweg, daß er gegen seine Überzeugung handelte. Er fuhr also los. Manchmal schaute er in den Rückspiegel; dann begegneten seine Blicke denen seiner Schwiegermutter. Die Kinder jauchzten vor Vergnügen, weil niemand mit ihnen so lustig spielen konnte wie Oma, wozu auch beitrug, daß sie die alte Dame nun schon längere Zeit sehnsüchtig vermißt hatten.

»Eine wunderbar ausgebaute Straße«, stellte Vera fest. »Nach jeder Kehre bietet sich einem ein völlig anderer Ausblick. Imposant! Rainer, bist du lieb und fährst du einen Augenblick lang in diese Ausweiche?«

Selbstverständlich kam der Fürst dem Wunsch seiner Frau nach, und so ging der Tod haarscharf an ihnen vorüber. Als sie sich nämlich nachher wieder in die Fahrspur einordnen wollten, kam bergab ein roter Sportwagen um die völlig unübersichtliche Kurve gejagt. Es sah aus, als würde sich das Fahrzeug im nächsten Augenblick überschlagen und in die Tiefe stürzen.

»Ein Wahnsinniger!« schrie der Fürst in heller Empörung. Für den Bruchteil einer Sekunde sah er im offenen Sportwagen zwei junge Gesichter vorbeirasen, beide wie in ekstatischem Lachen verzerrt.

Von solcher geradezu selbstmörderischer Sorglosigkeit noch beeindruckt, lenkte Fürst Rainer den Wagen besonders vorsichtig vom Parkstreifen heraus auf die rechte Fahrbahn. Und dann geschah es im nächsten Augenblick. Binnen weniger Sekunden zerbarsten Leben, Gesundheit und das Glück einer bis dahin heilen Familie in einem unvorstellbar grauenhaften Aufprall.

Wieder jagte nämlich ein Sportwagen um die Kurve, schnitt sie in der Innenlinie an. Auch hier zwei blutjunge Gesichter, in Panik zu einer stummen Fratze verzerrt. Zwei zum lautlosen, gellenden Schrei aufgerissene Münder. Mit einem kaum mehr wahrnehmbaren Krachen prallten die beiden Wagen gegeneinander, vergruben sich Stahl in Stahl. Das Auto des Fürsten wurde gegen die Felswand geworfen, sprang davon zurück, stellte sich quer und wurde umgestürzt. Der talwärts fahrende Sportwagen stellte sich, langsam wie in Zeitlupe vorwärts auf die Stoßstange, balancierte auf den Scheinwerfern und überschlug sich zweimal, sprang auf wie ein Gummiball und jagte in die Tiefe. In der nächsten Sekunde ein markerschütternder Aufprall, gleich darauf knallende Detonationen.

All das hörte und sah Fürst Rainer von Wildberg-Kallau, als gehörte er nicht mehr dazu. Er fühlte sich von einer unsichtbaren Faust vorgerissen, hing schmerzhaft in den Sicherheitsgurten; dann bekam er einen mächtigen Faustschlag ins Genick, einen in die Magengrube. Wenn nur die Kinder nicht so gellend geschrien hätten! Fürstin Thea, soeben sechzig geworden, stieß ein Röcheln aus, das in Ohnmacht erstickte. Und durch die zerschmetterte Windschutzscheibe trug eine unsichtbare Kraft Fürstin Vera davon, warf ihren Körper gegen den Felsen, den Kopf voran. Seltsam verkrümmt blieb die junge Frau auf einer Felszacke hängen. All das geschah in wenigen Sekunden! Der Fürst hing hilflos in den Gurten. Seltsamerweise dachte er noch immer völlig logisch! Er sah ganz bewußt seine geliebte Frau gegen den Fels prallen und wußte, daß sie nun tot war. Schon weit, weit fort von ihm! Das unentwegte Entsetzensgeschrei seiner Kinder machte ihn glücklich. Sie lebten! Wenn nur Fürstin Thea nicht so qualvoll geröchelt hätte…

Die Kinder weinten immer noch. Sie weinten auch noch, als ihr Vater schon das Bewußtsein verloren hatte.

Fremde Menschen versuchten, die Wagentüren aufzureißen, aber sie klemmten. Also schlugen die Retter die sonderbarerweise heil gebliebenen Seitenscheiben ein.

»Nein!« schrie Klein-Reni und streckte die Händchen nach dem regungslos liegenden Körper ihrer Mutter aus.

Ronni klammerte sich verzweifelt an dem fremden Mann fest, der ihn forttrug und in ein anderes Auto setzte. Erst als dieses Auto mit ihm davonfuhr, begann auch der Junge in fassungslosem Entsetzen zu schreien.

*

Etwa eine Stunde später erwachte Rainer Fürst von Wildberg-Kallau langsam aus seiner Benommenheit. Je klarer er wieder denken konnte, desto entsetzter merkte er, in welche Hölle aus Verzweiflung und Trostlosigkeit er zurückkehrte.

Der Sportwagen an der Kurve! Die lautlos schreienden Münder der jungen Menschen in den Sekunden vor ihrem Tod… und Vera! Vera, die wie ein Stein durch die zerborstene Windschutzscheibe fiel, gegen die Felswand prallte.

»Vera!« Der Schrei des Fürsten gellte erschütternd durch die Räume der Klinik. Es war der Verzweiflungsschrei eines Menschen, der nun schlagartig erkannte, daß für ihn das Glück zerborsten war. Im Bruchteil einer Sekunde! Vera… »Vera!«

Eine wachhabende Krankenschwester stürzte an sein Bett, betätigte den Alarmknopf, aber diesen geradezu unmenschlichen Schrei hatten ohnehin auch die Ärzte gehört. Gleich darauf wurde die Tür aufgerissen, zwei Ärzte und einige Schwestern rannten herein. Sie warfen sich über den Fürsten, der mit den übermenschlichen Kräften eines Verzweifelten versuchte, sich freizukämpfen. Dabei spürte er keine Schmerzen.

»Fürst!« schrie ihn ein junger Arzt an. »Ihre Kinder sind unverletzt! Völlig unverletzt!«

»Vera!« röchelte Rainer von Wildberg-Kallau mit letzter Kraft.

Die beiden Ärzte warfen einander vielsagende Blicke zu. Einer streckte die Hand aus, und eine Krankenschwester reichte ihm die vorbereitete Injektionsspritze. Noch einmal bäumte sich der Verzweifelte auf. Die Nadel fuhr ihm in die Vene. Schon einige Sekunden später entkrampfte sich der Körper.

»Sie war sofort tot«, sagte der eine Arzt, als beide wieder im Flur standen.

Und der andere: »Ach ja, keine Sicherheitsgurte genommen. Und wie geht es der alten Dame?«

»Der Chef operiert. Meiner Überzeugung nach: aussichtslos.«

*

Nach drei Stunden war das Schicksal der Fürstin Thea von Vingenstein entschieden. Um etwa dieselbe Zeit erwachte auch Fürst Rainer aus seinem todesähnlichen Schlaf. Wieder mußte er die grauenvollen Stufen zwischen Ahnungslosigkeit und dem Erkennen der tragischen Wirklichkeit durchschreiten. Allerdings half ihm diesmal die dämpfende Wirkung der Medikamente, das Schwerste zu ertragen.

»Professor«, bat er und suchte tastend nach der Hand des weißhaarigen Arztes. »Sagen Sie mir die Wahrheit, ich flehe Sie an! Keine fromme Lüge kann mir helfen. Ich weiß, daß für mich die Welt zusammengestürzt ist, aber ich muß sehen, was mir noch geblieben ist. Die Wahrheit, Professor, auch wenn sie noch so hart ist!«

Professor Wernhoff nahm die Hand des Fürsten in seine. Kein Fieber, und der wild jagende Puls kam von der Aufregung, den Ängsten und den Seelenqualen.

Also begann Wernhoff: »Sie sind unverletzt geblieben, Durchlaucht. Die Sicherheitsgurte haben wieder einmal einem Menschen das Leben gerettet. Ihre Schmerzen stammen nur von der Prellwirkung. Auch die Schockwirkung…«

»Meine Frau ist tot?« unterbrach Fürst von Wildberg-Kallau den Professor. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Fürst Rainer schloß, von Grauen geschüttelt, die Augen, aber das schreckliche Bild blieb; und ihm war, als hörte er noch immer, und immer wieder, das dumpfe Aufprallen des Körpers am Felsen.

»Tot«, bestätigte der Professor. Seiner Überzeugung nach würde der Patient jetzt sogar den Schock der tragischen Wahrheit eher verarbeiten können als später, wenn er aus der ersten Benommenheit voll erwacht wäre. Außerdem hatten die Krankenschwestern strengsten Auftrag, den Fürsten in keiner Minute unüberwacht zu lassen. Selbstmordgefahr!

»Wo sind die Kinder?« fragte der Fürst beängstigend ruhig. »Sie haben einen Schock erlitten, der sie ihr ganzes Leben lang quälen wird.«

Professor Wernhoff widersprach: »Junge Seelen überwinden das Schwere leichter. Wunden heilen und vernarben mit der Zeit. Im Augenblick begreifen Ihre Kinder die Unabänderlichkeit des Schicksals gar nicht in der letzten Konsequenz, und später verblaßt auch die schrecklichste Erinnerung. Es wird Ihre Aufgabe sein, Fürst von Wildberg-Kallau, Ihren Kindern die Seele für alles Schöne zu öffnen. Denn das Leben ist wunderschön, immer und überall. Auch jetzt noch und für Sie, Durchlaucht!«

»Wo sind die Kinder jetzt?« wiederholte der Fürst seine Frage, die noch immer nicht beantwortet worden war.

Der Chirurg strich mit einer müden Handbewegung über seine Stirn. Er hatte einen schweren Tag hinter sich. »Es wäre wichtig, die Kinder möglichst schnell aus der Atmosphäre der Klinik zu bringen. Deshalb bitte ich Sie, eine Vertrauensperson und Vertraute der Kinder unverzüglich von Ihrem Schloß kommen und die Kleinen abholen zu lassen. Am besten wäre eine Heimfahrt in der Nacht. Wenn die Kinder am nächsten Morgen aufwachen, werden sie die Wahrheit nur noch wie einen bösen Traum einschätzen.«

Fürst Rainer von Wildberg-Kallau nannte den Namen des Kindermädchens, und eine Krankenschwester notierte sofort die Telefonnummer.

Fürst Rainer bat mit leiser, gepreßt klingender Stimme: »Ich würde aber die Kinder vorher noch gern sprechen und…« Er verstummte, weil der Professor durch ein Kopfnicken ohnehin sogleich seine Zustimmung gegeben hatte. Der Fürst quälte sich, um seine Gedanken einigermaßen klar zu sammeln. »Die Fürstin von Vingenstein? Professor, sie lebt?«

Die Züge im hageren Gesicht des Chirurgen zeichneten sich noch schärfer ab. Selbst nach so vielen Jahren der ärztlichen Pflichterfüllung deprimierte es ihn noch immer nachhaltig, wenn er erkennen mußte, wie ohnmächtig der Mensch nur zu oft dem übermächtigen Gegner, dem Tod, gegenüberstand. Er sagte seltsam hastig: »Habe ich selbst heute nachmittag operiert. Nun müssen wir abwarten.«

»Die Wahrheit!« verlangte der Fürst herrisch, mit harter Stimme. »Herr Professor, ich halte Inventur. Sagen Sie mir doch ehrlich, wieviel mir noch geblieben ist! Fürstin Thea, die Mutter meiner Frau, liebe ich nicht weniger, als wäre sie meine eigene Mutter. Wie groß sind ihre Chancen?«

Leise gestand Professor Wernhoff: »Keine Chancen, wieder gesund zu werden, Durchlaucht. Die Fürstin lebt und wird vielleicht noch drei, vier Monate… Die Fürstin bleibt querschnittgelähmt…«