Einsam und ein Herz voller Sehnsucht - Melanie Rhoden - E-Book

Einsam und ein Herz voller Sehnsucht E-Book

Melanie Rhoden

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Beschreibung

Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Fürstenkrone Classic In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. Der Fahrtwind warf der Baroneß immer wieder eine Locke ins Gesicht. Im Sonnenlicht glänzte ihr Haar wie rotflüssiges Gold. Vergeblich bemühte sie sich, die Frisur einigermaßen in Ordnung zu halten. Also zog sie das Fenster im schnell fahrenden Eisenwahnwagen höher. »Darf ich ihnen helfen?« hörte sie neben sich eine dunkle, volle Stimme fragen. Schon wollte sie dankend ablehnen, weil sie es gewohnt war, daß Männer beinahe jede Chance nutzten, um ihre Bekanntschaft zu machen. Als sie jedoch in das lächelnde Gesicht eines weißhaarigen älteren Herrn blickte, nahm sie dankend an. Er schob also das Fenster mit einem kräftigen Ruck zu. »Danke«, sagte Baroneß Carola von Zellenau. Der Blick aus ihren hellgrünen Augen verwirrte sogar den Weißhaarigen, was sie bestimmt nicht beabsichtigt hatte. Sie tat nichts dazu, aber ihre schlichte, fast klassige Schönheit und der Charme ihres freundlichen Wesens wirkten zauberhaft. Rasch fragte sie noch: »Bis Rosenberg sind es noch drei Stationen?« »Die nächste mitgerechnet«, antwortete der Herr in dem dezenten dunkelgrauen Anzug ganz präzise. Die Baroneß bedankte sich. Beinahe wäre dieses kleine Gespräch wieder versandet, aber unvermittelt erkundigte sich der Weißhaarige: »Darf ich fragen, ob Sie in Rosenberg aussteigen werden? Ein etwas voreiliger Sommergast?« Baroneß Carola antwortete mit einem kleinen Lachen.

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Fürstenkrone Classic – 35 –

Einsam und ein Herz voller Sehnsucht

Was Carola auf Schloss Rosenberg erlebte ...

Melanie Rhoden

Der Fahrtwind warf der Baroneß immer wieder eine Locke ins Gesicht. Im Sonnenlicht glänzte ihr Haar wie rotflüssiges Gold. Vergeblich bemühte sie sich, die Frisur einigermaßen in Ordnung zu halten. Also zog sie das Fenster im schnell fahrenden Eisenwahnwagen höher.

»Darf ich ihnen helfen?« hörte sie neben sich eine dunkle, volle Stimme fragen. Schon wollte sie dankend ablehnen, weil sie es gewohnt war, daß Männer beinahe jede Chance nutzten, um ihre Bekanntschaft zu machen. Als sie jedoch in das lächelnde Gesicht eines weißhaarigen älteren Herrn blickte, nahm sie dankend an. Er schob also das Fenster mit einem kräftigen Ruck zu.

»Danke«, sagte Baroneß Carola von Zellenau. Der Blick aus ihren hellgrünen Augen verwirrte sogar den Weißhaarigen, was sie bestimmt nicht beabsichtigt hatte. Sie tat nichts dazu, aber ihre schlichte, fast klassige Schönheit und der Charme ihres freundlichen Wesens wirkten zauberhaft. Rasch fragte sie noch: »Bis Rosenberg sind es noch drei Stationen?«

»Die nächste mitgerechnet«, antwortete der Herr in dem dezenten dunkelgrauen Anzug ganz präzise. Die Baroneß bedankte sich. Beinahe wäre dieses kleine Gespräch wieder versandet, aber unvermittelt erkundigte sich der Weißhaarige: »Darf ich fragen, ob Sie in Rosenberg aussteigen werden? Ein etwas voreiliger Sommergast?«

Baroneß Carola antwortete mit einem kleinen Lachen. Der Zug fuhr einen Fluß entlang, an dem silbriggrau blühende Weidenbüsche standen. Ein wunderschönes Frühlingsbild, auch wenn in diesem Jahr der Frühling etwas zu lange auf sich hatte warten lassen. Die junge Baroneß zögerte ein wenig, einem Fremden Auskunft zu erteilen, dann sagte sie doch: »Ich trete eine Stellung an. Am Montag!«

Damit erweckte sie ganz offensichtlich das besondere Interesse ihres Gegenübers.

»Entschuldigen Sie meine Neugierde«, sagte er. »Ich bin Doktor Seling, Arzt in Rosenberg. Vielleicht kann ich Ihnen ein wenig behilflich sein? Am Anfang findet man sich nicht leicht zurecht. Die Bürger unseres Städtchens sind zwar meistens seelengut, aber gegen Fremde etwas mißtrauisch.«

Carola von Zellenau verstand sich selbst nicht, warum sie sich einem Fremden so weit anvertraute. Aber in seinen Augen lag ein freundlicher, beinahe väterlich freundschaftlicher Schimmer. In ihr erwachte die Hoffnung, sogar schon vor Eintreffen in dem Städtchen einen ersten Freund gewonnen zu haben. Die leise Angst vor dem Unbekannten ihrer nächsten Zukunft löste sich. Wohl deshalb erklärte sie bereitwillig: »Ich werde nicht in der Stadt bleiben, sondern auf Schloß Rosenberg eine Stellung als Gesellschafterin der Fürstin antreten.«

»Ach, auf dem Schloß«, wiederholte Dr. Werner Seling und schien nun etwas reservierter zu sein.

»Als Gesellschafterin der Fürstin Sallern…«, nahm Carola von Zellenau das Gespräch wieder auf, weil ihr die entstandene Pause etwas peinlich erschien.

Sogleich unterbrach sie der Arzt ziemlich heftig und unwillig: »Sie meinen vermutlich Fürstin Olga von Sandhorst.«

Dieser Einwand verwirrte Carola. Sie erforschte ihr Gedächtnis, beharrte aber dann auf ihrer Aussage: »Ich habe mit Fürst Georg von Sallern korrespondiert und wurde von ihm vertraglich verpflichtet.«

»Zur Fürstin von Sandhorst!« betonte Dr. Seling, und es klang beinahe wie beschwörend.

Die Baroneß ahnte nicht im geringsten, in welch dramatische, ihr Leben umformende Schicksalsverwicklungen sie auf dem Schloß geraten würde. Dennoch fühlte sie plötzlich einen ersten Schatten auf ihre fröhliche Seele fallen. Mit dreiundzwanzig Jahren trat sie eine durchaus standesgemäße Stellung an, die sie nicht nur finanzieller Sorgen entheben, sondern sie auch in sehr prominente Gesellschaftskreise führen würde. Ein geradezu unfaßbarer glücklicher Zufall für eine verarmte Adelige.

Inzwischen hatte der Zug schon zweimal gehalten. Auf eine seltsame Weise befangen, erklärte die Baronin: »Ich muß mich jetzt um mein Gepäck kümmern.«

Der weißhaarige Arzt aus Rosenberg betrachtete sie nachdenklich, halb teilnahmsvoll. Einen Augenblick lang zögerte er und blickte um sich, als fürchtete er, sich vor jemandem bloßzustellen. Dann sagte er unvermittelt zu: »Weil ich kein Gepäck habe, helfe ich Ihnen bei Ihrem.«

»Sehr freundlich. Danke.« Baroneß Zellenau hatte sich schon ein wenig gesorgt, wie sie mit immerhin drei Gepäckstücken fertig werden sollte, weshalb ihr nun die unerwartete Hilfsbereitschaft sehr willkommen war. Sie holten den Koffer aus dem Gepäcknetz, wobei auch Carola mithalf. Leichter zu bewältigen waren zwei große Reisetaschen.

»Ich nehme den Koffer«, entschied Dr. Seling. Er spielte auf das Gewicht an. »Da bringen Sie wohl der Fürstin von Sandhorst gleich eine ganze Bibliothek zu Vorlesen mit?«

Der Zug hielt. Erst stieg der Arzt aus und nahm den Koffer entgegen, dann folgte ihm die Baroneß mit den beiden anderen Gepäckstücken. Dr. Werner Seling blickte sich um und stellte fest: »Sollten Sie nicht abgeholt werden? Bis zum Schloß hinauf sind es immerhin fünf Kilometer.« Dann kniff er plötzlich die Augen zusammen. »Da sehe ich schon den Chauffeur auf den Bahnsteig kommen.«

Baroneß Carola atmete erleichtert auf. Um dem Arzt für seine freundliche Hilfe zu danken, nannte sie ihren Namen. Dr. Seling schien ihr kaum zuzuhören. Er stellte den Koffer nieder und sagte rasch: »Der Chauffeur hat uns noch nicht entdeckt. Ich überlasse Sie Ihrem Schicksal. Auf Wiedersehen, Baroneß! Nur noch einen guten Rat gebe ich Ihnen: Wenn wir einander auf dem Schloß wiedersehen werden, tun Sie ruhig so, als wären wir einander noch nie begegnet. Es ist besser für Sie!«

Er nickte ihr noch flüchtig zu. Im nächsten Augenblick schon drängte er sich zwischen den anderen Fahrgästen durch und verschwand in der Menge.

»Sonderbar«, sagte Carola überrascht vor sich hin. Plötzlich kam sie sich ziemlich verlassen vor, als ob Dr. Werner Seling schon zu ihrem Bekanntenkreis gehört hätte. Allerdings enttäuschte sie sein unerklärliches Verhalten, weil sie meinte, er hätte doch nicht so übereilt davonlaufen müssen.

Sie sah nun jenen Mann auf sich zukommen, den der Arzt als Chauffeur des Schlosses bezeichnet hatte.

*

»Baroneß von Zellenau?« fragte der Chauffeur und betrachtete sie neugierig.

Sie sagte: »Ja. Sie kommen vom Schloß?«

Das bejahte ein kleiner, untersetzt wirkender Mann, reichte Carola kaum bis an die Schultern und mußte doch über beachtliche Kräfte verfügen, denn er schien den schweren Koffer mühelos zu tragen. Dabei ging er so rasch, daß ihm die Baroneß kaum folgen konnte. Erst als sie schon in dem eleganten Wagen saßen, sagte der Chauffeur: »Nur ein paar Minuten.« Und dann fügte er etwas hinzu, was Carola überaus peinlich berührte, nämlich: »Es geht mich nichts an, Baroneß, aber Sie sind bei uns fremd. Darum rate ich Ihnen: Reden Sie lieber nicht mit jedermann. Ich habe nichts gesehen.«

Der selbstherrliche Unterton in seiner Stimme ärgerte sie. Da war auch die Überheblichkeit des Längerdienenden der Neuangekommennen gegenüber herauszuhören. Nur weil Baroneß von Zellenau nicht gleich Unfrieden wollte, entschuldigte sie sich: »Doktor Seling wird doch auch aufs Schloß kommen! Ich habe nur mit ihm…«

Scharf schnarrte der Chauffeur: »Gerade weil… Also, mit ihm sollten Sie am wenigsten sprechen, wenn ich Ihnen einen Rat geben darf. Keine Angst, ich sagte schon: Ich habe nichts gesehen.«

Baroneß Carola saß im Fond des Autos und verstummte. Eine zarte Röte aus Ärger und Befangenheit legte sich über ihr Gesicht. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich über den Chauffeur seiner Einmischung wegen ärgern oder ihm für den Rat dankbar sein sollte. Nach einer Weile fragte sie: »Ist Schloß Rosenberg ein Gefängnis?«

Darauf gab ihr der Chauffeur keine Antwort.

Etwas später durchfuhren sie einen Wald. Baroneß Carola stieß einen kleinen Schrei der Überraschung aus. Zwischen den Fichten schimmerte dunkelgrün bis silbrig ein See durch. Unwillkürlich sagte Carola von Zellenau leise vor sich hin: »Wie wunderschön, fast wie verzaubert.«

Der Chauffeur Karl tat, als hätte er sie nicht gehört. Korrekt und stocksteif saß er hinter dem Lenkrad. Erst jetzt fiel es Carola auf, daß er eine graue Uniform trug. Die Schirmkappe nahm er auch während der Fahrt nicht ab. Sein breiter, muskulöser Nacken erinnerte die Baroneß daran, welche Kraft er vorhin beim Tragen ihres Gepäcks bewiesen hatte. Ein beklemmendes Gefühl beschlich sie. Wäre es noch möglich gewesen, hätte sie sich anders entschieden und auf die Anstellung im Schloß verzichtet. Die Beklommenheit in ihrer Seele wuchs zur nackten Angst, ohne daß sie hätte erklären können, warum sie sich in dieser wunderschönen Landschaft, in einem eleganten Auto und vor Antritt einer Traumstellung vor der nächsten Zukunft fürchtete.

In diesen Augenblicken durchfuhr Karl mit dem Wagen ein offenstehendes mächtiges schmiedeeisernes Tor, in dessen Flügel das vergoldete Familienwappen der Fürsten von Sallern eingebaut war. Ein einarmiger Torwächter kam aus dem ebenerdigen Pförtnerhaus, salutierte mit der linken Hand, was aber Karl unbeachtet ließ. Er lenkte das schwarze Auto bereits über eine weißgekieste Parkstraße auf Schloß Rosenberg zu. Hatte die Baroneß beim Gittertor noch die Gedankenverbindung zu einem Gefängnis gefunden, so fühlte sie sich beim Anblick des Schlosses entzückt: ein breiter, repräsentativer Brau, dreigeschossig, in neuklassigem Stil. Weite Teile des Mauerwerks waren mit rankenden Pflanzen bedeckt, wahrscheinlich mit Rosen, die aber zu dieser Jahreszeit noch nicht blühten.

Das Auto hielt unmittelbar vor der breiten Freitreppe. Mit Behendigkeit sprang Karl heraus, öffnete vor der Baroneß die Tür, wobei er seine graue Schirmkappe vor die Brust hielt. Dennoch vollzog sich die Begrüßung auf dem Schloß anders, als Carola von Zellenau dies in ihren romantischen Mädchenträumen erdacht hatte. Ein älterer Herr in schwarzem Anzug trat aus dem Tor und stellte sich als Andreas, der Butler, vor. Karl würde das Gepäck nachbringen; die Baroneß sollte ihm gütigst folgen.

Carola bewunderte mit einem raschen, diskreten Blick die weite Vorhalle, in der es viel Marmor, einige Statuen und schwere Vorhänge gab; aber die Winterkälte hatte sich hier noch festgesetzt. Butler Andreas führte die Fremde vorerst in den Ostflügel, wobei sie erklärte: »Sie werden drei Räume bewohnen, Baroneß. Unmittelbar neben den Gemächern Ihrer Durchlaucht. Auf diese Weise sind Sie auch nachts verfügbar, wenn Fürstin Olga von Sandhorst nach Ihnen verlangt…«

Carola vergaß wieder einmal den guten Rat, nichts zu fragen, und fragte: »Leidet Durchlaucht an Schlaflosigkeit? Werde ich auch nachts vorlesen und…«

Nun schnitt ihr der Butler unwillig das Wort ab. »Nur während heftiger Gewitter. Keine Angst, Schwester Martha, die Pflegerin, wird ständig in der Nähe sein. Kommen Sie!«

Diese letzte Aufforderung klang nicht nur wenig ehrerbietig, sondern beinahe überlegen befehlend. Das brachte der Baroneß in Erinnerung, daß sie nicht als Gast, sondern als bezahlte Angestellte nach Schloß Rosenberg gekommen war. Deshalb war sie auch seelisch darauf vorbereitet, als der Herr des Schlosses sie eine halbe Stunde später nicht zu sich bitten ließ, sondern ihr einfach durch einen Diener mitteilte, er erwarte sie in seinem Arbeitszimmer.

*

Als Baroneß Carola von Zellenau das Arbeitszimmer des Fürsten Sallern betrat, klopfte ihr das Herz bis an den Hals. Sie erwartete einen älteren despotischen Herrn, denn immerhin schienen sie sich allesamt vor seinem Wort zu fürchten: der Chauffeur, der Butler, sogar noch Dr. Werner Seling, der doch seine Praxis in der Stadt unterhielt.

»Durchlaucht!« sagte Carola und deutete eine Verneigung an. Sie konnte das Gesicht des Fürsten nicht gleich erkennen, weil sie vom hellen Sonnenlicht geblendet wurde.

»Von Sallern«, sagte er knapp und unzeremoniell. Er erhob sich hinter seinem mächtigen Schreibtisch, kam heran und trat auf sie zu. Erst jetzt wagte sie es, ihm voll ins Gesicht zu sehen. Beinahe hätte sie sich ihre Überraschung anmerken lassen; denn der Fürst Georg von Sallern zeigte alle Merkmale von männlicher Schönheit, ohne das eines Schönlings zu sein. Es war klar und edel geschnitten. Das dunkelblonde Haar lag korrekt gekämmt und fiel in weichen Wellen um die hohe Stirn. Dunkle Augen strahlten Ruhe und Sicherheit aus, wirkten aber auch zugleich ernst, beinahe traurig. Eine schmale, etwas scharfe Nase verriet den Entschlußmenschen, zu dem allerdings der weiche, schöne Mund nicht paßte. Der Fürst überragte Carola von Zellenau beinahe um einen Kopf, und sie bedauerte, aus Bescheidenheit Schuhe mit ziemlich flachen Absätzen genommen zu haben. Seine Stimme klang dunkel, melodisch, keinesfalls hart: »Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise. Bitte, nehmen Sie Platz!«

Zwar reichte er ihr die Hand, aber dabei glitt sein Blick wieder desinteressiert an ihr vorbei, als hätte er sich sein Urteil schon über sie gebildet. Er wies mit der Hand auf eine Sitzgruppe. Nachdem sie sich gesetzt hatte, nahm er ihr gegenüber Platz. Die Frage, ob er sie bewirten könnte, klang so kühl, daß sie sofort dankend ablehnte. Ein Gefühl sagte ihr, daß Fürst Georg von Sallern nur eine Kavalierspflicht erfüllte und tatsächlich keinerlei Interesse daran hatte, sie wirklich kennenzulernen. Also bewies auch sie ihren Stolz und deutete an, daß sie gerne wieder sein Arbeitszimmer verlassen würde. Keines dieser Worte wurde ausgesprochen; Blicke und kleine Pausen zwischen den Sätzen besagten mehr.

»Ihre Aufgabe wird es sein, Baroneß, die Fürstin durch Ihre Gesellschaft zu zerstreuen, zu unterhalten. Ich denke an Vorlesen, kleine Gespräche. Fürstin Olga von Sandhorst ist leider… nicht ganz gesund. Wir machen uns deshalb Sorgen. Keine Aufregungen, das ist ein wichtiges Grundgebot. Ein Nervenschock…« Die Stimme des jungen Fürsten wurde auffallend weich, zärtlich, liebevolle. »Ein Nervenschock hat sie gelähmt. Sie sitzt im Rollstuhl. Sie ist darauf angewiesen, aus freundlicher Gesellschaft zu gewinnen, was sie selbst nicht mehr… Baroneß, ich sage das nur, damit Sie Ihre Aufgaben erkennen. Sie sind nicht einfach eine Vorleserin, auch keine Gesellschaftsdame im herkömmlichen Sinn. Ich erwarte von Ihnen sehr viel Einfühlungsvermögen, Taktgefühl und Diskretion. Ich liebe die Fürstin und bin bereit, jedes Opfer zu bringen und zu bezahlen, was…«

Er verstummte. Um Antwort auf eine offene Frage zu erhalten, vergewisserte sich die Baroneß: »Durchlaucht, Fürstin von Sandhorst?«

Fürst Georg von Sallern schien zusammenzuzucken, strich sich nervös über die Stirn und entzündete sich eine Zigarette. Völlig von Gedanken erschüttert, beinahe verstört, vergaß er, der Baroneß die goldene Tabatiere anzubieten. Carola rauchte nicht, aber sie registrierte, daß ein Mann wie Fürst Georg von Sallern eine Höflichkeitsregel verletzt hatte. Bestimmt nicht ohne wirklich zwingenden Grund, ohne ein Motiv!

»Noch eine Frage!« Er schaute sie so ablehnend an, daß sie erkannte, es war viel besser, keine weitere Frage mehr zu stellen. Nicht vergeblich hatte ihr bisher jeder, dem sie auf dem Weg ins Schloß begegnet war, dies geraten. Darum, und wirklich nur darum, sagte sie jetzt: »Da wäre keine Frage mehr offen. Durchlaucht, wann darf ich mich der Fürstin vorstellen?«

Fürst Georg schien über ein Problem nachzugrübeln und die Baroneß überhaupt nicht mehr wahrzunehmen. Erst einige Sekunden zu spät fand er wieder zur Gegenwart zurück. Beinahe erstaunt nahm er das äußere Erscheinungsbild Carolas in sich auf. Dann verdrängte er auch die Gedanken an und über sie. Er entschied: »Die Fürstin wird nach Ihnen schicken. Ich werde selbst vorher noch mit ihr sprechen und sie auf Ihr Kommen vorbereiten. Sie verstehen, Baroneß: Fürstin Olga von Sandhorst darf keine Aufregungen erleben, weder besonders freudige noch tragische: Um es klarzustellen: Die Fürstin ist… ist meine… meine Schwiegermutter.«

Unwillkürlich schreckte die Baroneß etwas zusammen, denn er hatte dieses letzte Wort mit einer ganz seltsamen Betonung gesprochen. Es war beinahe wie gequält aus ihm hervorgebrochen, und eben das konnte sich Carola von Zellenau nicht erklären. Es mußte Zusammenhänge geben, die man ihr gegenüber genausowenig erwähnt hatte wie die Tatsache, daß Fürst von Sallern verheiratet war. Oder verwitwet. Oder geschieden. Carola sagte sich zornig, daß dies etwas war, das sie überhaupt nichts anging. Sie war als Gesellschafterin zur Fürstin Olga von Sandhorst verpflichtet, und nun erfuhr sie, daß die alte Dame von einem Nervenleiden heimgesucht war!

Ein Blick des Fürsten sagte ihr, daß die erste Besprechung abgeschlossen war. Also erhob sich Baroneß Carola von Zellenau. Fürst Georg deutete eine knappe Verbeugung an, die sie wortlos erwiderte. Mit raschen Schritten erreichte er die Tür, die er galant vor ihr öffnete. Nun traf sie wieder ein herzlicher, freundlicher Blick. Die Baroneß ahnte die Wahrheit: In Gedanken war Fürst Georg von Sallern offensichtlich schon bei Fürstin Olga, von der er gesagt hatte, daß er sie über alles schätzte. Sogar liebte, als wäre sie seine Mutter.

*

Baroneß Carola trug ein schlichtes, hellgraues Kostüm, das ihre mädchenhafte Schlankheit besonders gut zur Geltung brachte. Dazu bildete das rotgoldene, schulterlang in Naturwillen fallende Haar einen reizvollen Kontrast. Aus dem Spiegel blickten ihr die grünen Augen unergründlich und durchaus anziehend entgegen. Carola von Zellenau war mit ihrem Äußeren zufrieden und beschloß, nur ein sehr diskretes Makeup zu nehmen. In ihrem Zimmer wartete sie, bis ein Diener sie holen würde. Eine Viertelstunde verging, eine halbe.

Es klopfte an die Tür. Auf Carolas Einladung, einzutreten, schob sich eine kräftige, etwas untersetzte Krankenpflegerin in den Raum. Sie wirkte ernst, beinahe mürrisch und humorlos. Ihr rötlichblondes Haar war eng an den Kopf gekämmt. In den großen Augen stand kein Lächeln, und der schmale Mund zeigte harte Linien. Sie sagte: »Ich bin Martha, die Pflegerin Ihrer Durchlaucht. Sie ist jetzt bereit, Sie zu empfangen.«

Carola von Zellenau fand die Sprechweise der Krankenpflegerin nicht ganz korrekt, aber in den Augen dieser Frau las sie eine kraftvolle Ehrlichkeit, und das gefiel ihr sofort. Während sie nebeneinander den Korridor zu der von Fürstin Olga bewohnten Zimmerflucht gingen, mahnte Schwester Martha noch: »Reden Sie anfangs lieber weniger als zuviel!«

Später verstand sich die Baroneß nicht mehr, warum sie darauf so heftig reagiert hatte, aber nun blieb sie unvermittelt stehen. Sie konnte ihren Zorn nicht beherrschen und rief: »Warum verlangt jeder von mir – seit meiner Ankunft auf dem Bahnhof – Schweigen? Es ist nicht meine Art, Klatsch weiterzutragen, aber hier scheint man sich überhaupt vor offenen Worten zu fürchten.«

Auch Schwester Martha war stehengeblieben. Sie wartete geduldig, beinahe nachsichtig, auf die Baroneß. Zwar nannte auch sie kein Motiv für ihren Ratschlag, aber sie wiederholte: »Wie Ihnen schon jeder sagt: Es liegt in Ihrem Interesse, als Fremde besonders vorsichtig zu sein. Unter uns: Der Fürst von Sallern zahlt für gute Dienste großzügig. Da sollten Sie den prächtigen Posten niemals leichtfertig aufs Spiel setzen. Immerhin sind Sie in diesem Jahr schon die dritte Gesellschafterin der Fürstin, und ich wäre froh, wenn Sie sich eine Weile halten könnten.«

Die Pflegerin setzte ihren Weg fort. Deshalb blieb Baroneß Carola keine andere Möglichkeit, als ihr zu folgen. Sie versuchte sogar eine Versöhnung, indem sie sagte: »Danke, Schwester Martha, daß Ihnen an meinem Bleiben liegt.«

Martha bereitete ihr allerdings eine herbe Enttäuschung, denn sie erklärte offen: »Um Sie geht es mir dabei weniger. Aber wie kommt die arme Fürstin Sandhorst dazu, sich alle paar Wochen an ein neues Gesicht gewöhnen zu müssen? Denn eines sollten Sie wissen: Die Fürstin ist ein wunderbarer Mensch. Gegen die gibt es überhaupt nichts zu sagen: Die mögen wir alle gern. Sogar der Fürst hing an seiner Schwiegermutter.«

Nun nickte die Baroneß, als wäre sie mit den Ausführungen der Pflegerin zufrieden. Aber einige Sekunden später, als die Schwester schon zur Türklinke griff, flüsterte Carola rasch: »Kinder? Hat der Fürst keine Kinder? Und die Dame des Hauses?«

Im nächsten Augenblick erschrak Carola von Zellenau vor dem geradezu drohenden, zornigen Blick Marthas. Da hatte in den großen, schwarzen Augen etwas wie Haß aufgefunkelt. Eine letzte Warnung, die ›Neue‹ sollte künftig keine Fragen mehr stellen. Auf das Klopfzeichen bat eine freundliche, leise Frauenstimme, man möge eintreten.

Carola sah vorerst nur ein erdrückend überladen eingerichtetes Damengemach im Stil der Jahrhundertwende. Schwere Vorhänge, Draperien, an den Wänden viele kleine Bilder, Fotos, Stiche, Miniaturen.

Am Fenster erkannte die Baroneß einen Rollstuhl, dessen Lehne ein bläulichweißer Kopf überragte. Noch ehe sie etwas sagen konnte, drehte sich der Stuhl rasch, beinahe heftig.

»Durchlaucht!« grüßte Carola. Unwillkürlich deutete sie einen Knicks an, wie sie das als junges Mädchen älteren Damen gegenüber tun mußte. Große, hellblaue Augen betrachteten sie prüfend. Nur einige Sekunden lang. Dann hob Fürstin Olga von Sandhorst die Arme.

»Kommen Sie näher, mein Kind«, forderte die Fürstin ihre neue Gesellschafterin auf. In ihre blauen Augensterne war ein freundliches Leuchten getreten. »Kommen Sie, lassen Sie sich betrachten!«