Zwischen dem Ein- und Ausatmen gibt es die Stille - Yogacharya Hamsananda - E-Book

Zwischen dem Ein- und Ausatmen gibt es die Stille E-Book

Yogacharya Hamsananda

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Beschreibung

Der Atem ist ein bedeutender Schlüssel zur Zeit und zum Raum, zur Inspiration und Gesundheit. Der Atem kann mehr als atmen, er bewegt und verändert. Dieses Praxisbuch beginnt mit dem Atem so, wie er gerade ist, und entwickelt die Reichweite und Tiefe stets weiter. Es gibt dem Atem die volle Aufmerksamkeit aus der Sicht des Yoga, erklärt von einem Yogalehrer mit über 40 Jahren persönlicher Erfahrung und Unterrichtspraxis. Das Buch wendet sich an diejenigen, die gerade erst anfangen und an die, die schon länger aus den Startlöchern sind, sowie Lehrende, die mehr über das, was sie sowieso unterrichten, wissen wollen.

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Seitenzahl: 86

Veröffentlichungsjahr: 2021

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INHALT

Der erste Atemzug

Wie das Wissen über die Kraft des Atems in unserer Sprache und Kultur vorhanden ist

Wie wir mit Energie umgehen

Du möchtest doch schwimmen – und nicht nur Wasser treten?

Der alltägliche Atem

Die Funktion des Atems

Die Mechanik des Atems

Das Verhältnis zwischen dir und dem Atem

Atme durch die Nase!

Einfache Übungen für den Anfang und Vorbereitung auf die Atemübungen

Der vollständige Atem oder der Yogi-Atem

Der Wellenatem

Wenn die Nase verstopft ist

Wie soll ich für die Atemübungen sitzen?

Schließe die Form des Körpers – die Haltung der Hände

Die Verschlüsse, die bei den Atemübungen verwendet werden

Wissen über die Atemübungen

Das Prana und die Nadis

Swara Yoga

Ein- & Ausatmen und Kumbhaka - das Atemanhalten

Warum den Atem anhalten?

Ausreichend Sauerstoff während des Anhaltens

Sollte ich die Atemübungen vor oder nach meinem Yogaprogramm praktizieren?

Eine kurze Übersicht über den Zusammenhang in dem die Atemübungen vorkommen

Pranayama - die Atemübungen des Yoga

Der Wechselatem Nadi Shodana – die Nadis reinigen

Der psychische Atem – Ujjayi Pranayama

Der Blasebalg - Bhastrika

Der kühlende Atem – Sheetali und Sheetkari

Das Gefühl zu strahlen – Kapalabhati

Der Sonnenatem – Surya Bheda

Die Hummel – Bhramari

Der schwebende Atem – Murchha

Der quadratische Atem

In welchem Verhältnis stehen die Atemübungen zueinander und wie kann ich die Pranayama kombinieren? Der Anfang und der Blick nach vorne.

Was rund um Pranayama zu beachten ist – die Guidelines

Next Level

Erweckung der Kundalini

Meditation und Atem

Der spontane Atem – die Meditation

Energie und Ruhe – Vishuddhi Shuddhi

Gibt es etwas, das du innerlich möchtest, dann nimm es dir. Mehr über Meditation.

Stichwortregister und Glossar

Quellen und Ressourcen

„Das Bewusstsein

der Geschöpfe

ist durch

das Atemholen

bedingt.“ 1

Zhuang Zi

TEIL 1

Der erste Atemzug

Der Berg ist ein Symbol für all das, was du im Leben erreichen kannst: Errungenschaften, Erfolge, Einsicht. Auf eine Wanderung in Richtung Berge kommen sie stets näher. Schritt für Schritt – Atemzug für Atemzug gelangst du an das verheißungsvolle Ziel, das noch vor einer Weile so weit entfernt schien. Wir sind alle auf diesem Pfad. Für einige mag dieses Ziel eine spirituelle Harmonie, für andere praktische Ambitionen im Leben oder beides sein. Manchen kommt es jedoch, trotz andauerndem Bemühen, so vor, als bliebe der Berg doch immer fern. Man marschiert und ackert und kommt scheinbar wenig von der Stelle.

Könnten uns die Schritte nicht etwas leichter fallen? Pranayama – die Atemübungen des Yoga – sind wie geschaffen dafür, dir einen längeren Atem zu geben. Die Pranayama geben dir Leichtigkeit in Bewegung und Denken, aber auch die Freiheit, nicht denken zu müssen.

Ein semiprofessioneller Tennisspieler nahm bei mir an einem Wochenendkurs teil. Später buchte er eine Einzelstunde, er wollte zwei Atemübungen auffrischen, den Wechselatem und den Blasebalg (S. → ff.). Bei dieser Gelegenheit erzählte er, dass sich seine Ausdauer durch diese beiden Atemübungen verbessert habe und er es leichter fand, einen klaren Kopf zu behalten bzw. seine Strategie durchzusetzen. Er sagte: „Ich habe das Gefühl, Fitnesstraining im Sitzen zu machen“.

Während einer Schwangerschaft bekommt der Atem, u. a. wegen des immer größer werdenden Bauches und der daraus resultierenden Beeinträchtigung des Zwerchfells, große Bedeutung für die werdende Mutter. Es geht u. a. um die Sauerstoffaufnahme, aber auch darum, entspannt neuen Zeiten entgegenzugehen. Atemübungen können viel bewirken und das Wohlbefinden der schwangeren Frau verbessern – und damit auch das Wohl des ungeborenen Kindes. Bei der Entbindung kann die Frau ebenfalls bewusstes Atmen aktiv einsetzen, um den Ablauf zu begünstigen und zu erleichtern.

Und die neugeborenen Kinder? Als meine Tochter noch ganz klein war, habe ich – wenn sie müde war und weinte – sie sitzend auf den Arm genommen und den Ujjayi-Atem (S. →) gemacht. Das veränderte die Lage komplett, denn sie wurde schnell ruhig und schlief ein.

Eine Kursteilnehmerin von mir hatte nach einer Augen-OP länger andauernde Komplikationen. Nicht nur diese wurden Teil ihres Alltages, sondern auch die Angst, dass das Sehvermögen für immer vermindert sein würde. Spontan fing sie an, täglich über eine längere Zeit den Ujjayi-Atem (S. → f.) zu praktizieren. So kam nicht nur die Regeneration viel rascher, sie wurde auch ruhiger und hatte weniger Angst.

Was mich selbst angeht: Ich erinnere mich, wie ich, als ich noch klein war, an Sommertagen aus dem dunklen Vordereingang des Hauses meiner Familie in den Garten herauskam. Es war eine vieldimensionale Welt mit Vogelzwitschern, Lichtspiel der Sonne, den Schatten unter den Sträuchern, dem warmen Sommerwind auf der Haut, dem Himmelblau und den Wolken, die sich wie fliegende, immer veränderliche Schlösser über den Himmel bewegten. Meine Sinne waren allgegenwärtig, die Antennen in alle Richtungen gerichtet. Und doch tat ich nichts. Ich glaube, es waren solche Momente, die mich später im Leben in die Arme des Yoga warfen, auf der Suche nach der in jedem Augenblick ruhenden Omnipräsenz.

Aus der Fülle der Yogatradition wurden die Atemübungen für mich zu einem wichtigen Bestandteil meiner Praxis und öffneten mich weiter für die Welt. Es entstand eine Schönheit, in der alles den richtigen Platz einnahm.

Wie das Wissen über die Kraft des Atems in unserer Sprache und Kultur vorhanden ist

In vielen alten Kulturen glaubte man, dass die Geisteskraft eines Menschen oder Gottes durch die Atmung kam. Als die alten Götter auf den Osterinseln ausgedient hatten, wurden die Nasen einiger der riesigen, in Stein gemeißelten Gottesfiguren abgeschlagen – als Symbol dafür, dass die alten Götter keine Kraft mehr hatten.

Vergleichbar wurden im antiken Ägypten Statuen, die bedeutsame Vorbilder wie Pharaonen und Götter personifizierten, oft mit absichtlich abgeschlagener Nase vorgefunden. Als sie im Laufe der Geschichte durch andere ersetzt wurden, wurde ihnen so ihre Lebenskraft, die mit der Nase und dem Atem zusammenhing, entnommen.

Bei den ursprünglichen Einwohnern auf Hawaii wird die Atmung als Quelle zur Gesundheit betrachtet, sie glauben, dass die Menschen durch den Atem spirituelle Kraft, Mana, bekommen. Einen ähnlichen Ansatz finden wir bei den Maori auf Neuseeland.

In der traditionellen chinesischen Medizin spielt der Begriff Qi eine lebenserhaltende Rolle. Er bedeutet sowohl Atem als auch Lebensenergie. Qi stellt ebenso die Verbindung zu den Emotionen des Menschen her.

Prana bedeutet in der Yogatradition ebenfalls Atem und Lebensenergie. Auch deshalb heißen die Atemtechniken Pranayama - die eigene Energie meistern.

Im Deutschen bezeichnet man einen Menschen, der Ausdauer, Beständigkeit und Hingabe besitzt, als jemanden, der einen langen Atem hat.

Das Wort Inspiration ist Synonym für den Einatem, und atemberaubend heißt doch... den Atem anhalten! Umgekehrt gilt natürlich dasselbe. Respiration stammt aus dem lateinischen Spira und bedeutet zu pusten, dies ist gleichzeitig dieselbe Wurzel wie Spiritus, Lebensgeist.

Erinnern wir uns an den Zusammenhang zwischen Atmen und Atman. Atman steht in Indien und der Sanskrit-Sprache für das kosmische weltschöpferische Prinzip und heißt zugleich Atem, Seele oder Hauch. Odem (aus der nordischen Mythologie, ein Wort für Atem) fließt durch alle Wesen und hält die Welt im Gange. In Skandinavien sagt man: „Er/sie atmet Stille aus“, wenn ein Mensch stirbt – als Metapher für das Loslassen.

Im 1. Buch Moses heißt es: „Und Gott der Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und er blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele.“ (1 Mose 2,7)

Das Wissen über die Kraft des Atems war schon vor langer Zeit lebendig – und ist heute noch in der Sprache gegenwärtig. Die genauen Praktiken, das Wissen und die Weisheit, wurden in Indien in der Yogatradition bewahrt und sind in diesem Buch festgehalten.

Wie wir mit Energie umgehen

Seit ein paar Jahrzehnten nutzen wir Menschen Mobil-Technologie. Wir haben dabei im großen Stil (weil es uns ja fast alle betrifft) entdeckt, dass es nun nicht mehr nur darum geht, Strom zu nutzen, sondern auch Strom sparen zu müssen und zu lernen, mit dem vorhandenen Strom zu haushalten. Ansonsten würde der Akku zu schnell seine Spannung verlieren. Ein bisschen haben wir womöglich für die zweite Stufe des Sparens trainiert, das elektrische Fahren. Hier kommt es eben noch stärker darauf an – eine neue Stufe im Umgang mit Energie.

Wer weiß, womöglich beginnen wir dadurch unsere eigene Energie besser zu verstehen, besser mit ihr umzugehen, die Abhängigkeit von äußeren Energiequellen zu reduzieren und dafür die eigene Energiequelle stärker zu entdecken und zu entwickeln?

Das ist ein Anfang der Geschichte von Pranayama, ein Aspekt dieser wunderbaren Methoden. Andere sind Ruhe, Konzentration, die Erforschung des Bewusstseins und größere Aufmerksamkeit, mehr Raum zu bekommen und besser, komplexe Vorgänge zu verstehen.

Die gesundheitlichen Vorteile sind erheblich, denn die Atemübungen stärken das Immunsystem, regulieren und harmonisieren all das, was bislang mehr oder weniger unerreichbar war: das autonome Nervensystem und dessen Funktionen wie Atem, Herz, Verdauung etc.

Nicht nur die Yogaübenden bestätigen dies, wissenschaftliche Untersuchungen belegen viele dieser wohltuenden Aspekte. Solche Studien sind in dem Sinne wichtig, weil sie nicht nur mit einer bestimmten Community kommunizieren, sondern mit allen Bereichen der Gesellschaft: Die Wirkung des Yoga wird jetzt in Kurven, Tabellen und konkreten Zahlen dargestellt. Selbst habe ich an mehreren Studien mit überraschenden Ergebnissen teilgenommen, als Lehrer, Proband und/oder Ratgeber. Relevante Studien werde ich im weiteren Verlauf dieses Buches im entsprechenden Kontext vorstellen.

Yogi/Yogini bei Pranayama. Miniatur ca. 1850, Gouache auf Papier. Jodpur Museum, Indien

„Wenn du atmest, dann lebst du. Der Atem ist die größte vitale Einheit im Menschen. Bist du unter Druck, wird dein Atem kurz und oberflächlich, während der Atem tief ist, wenn du Freude und Ruhe erlebst. Deshalb ist der Atem mit deinem Befinden verbunden. Wenn du ihn regelmäßig trainierst, wird er zunehmend tief und harmonisch. Er gibt dir Überblick und Einsicht auch in stressigen Situationen.“ 2

Ananda Murti

Du möchtest doch schwimmen - und nicht nur Wasser treten?

Beim Praktizieren von Yoga gehören die Pranayama dazu, sie schließen jedes Yogaprogramm ab und schaffen die Grundlage für tiefe Meditation. Wenn du eine Zeit lang Yoga gemacht hast, die Stellungen und Übungen dir vertraut sind und die entspannende Wirkung für dich eine Selbstverständlichkeit geworden ist, spätestens dann ist es Zeit, deinen Fokus etwas von den Yogastellungen (Asanas) hin zu den Atemübungen und der Meditation zu verlagern.