Zwischen Freiheit und Verantwortung - Katrin Frische - E-Book

Zwischen Freiheit und Verantwortung E-Book

Katrin Frische

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Beschreibung

Diese Biografie gewährt tiefe Einsichten in das erfüllte Leben des Fürsten Karl Friedrich von Hohenzollern. Dabei besticht es durch lebendige Anekdoten und detailreiche Erinnerungen: Der Fürst als leidenschaftlicher Musiker und Technikfan. Als verantwortungsbewusster Stammhalter. Als erfolgreiche Führungskraft eines der traditionsreichsten Familienunternehmen Deutschlands. Und nicht zuletzt als verlässlicher Freund, Vater und Partner. Ein inspirierendes Leseerlebnis, das Einblicke in die Entscheidungen und Überzeugungen des Fürsten gibt und die Herausforderungen seiner Rolle als Chef des Hauses Hohenzollern beleuchtet.

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Seitenzahl: 446

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Fürst Karl Friedrich von Hohenzollern

mit Katrin Frische

Zwischen Freiheit und Verantwortung

Die Autobiografie

Impressum

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2023 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 07575/2095-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2023

Lektorat/Redaktion: Anja Sandmann

Korrektorat: Isabell Michelberger

Layout, Satz, Umschlaggestaltung: Florian Gmeiner

E-Book:Mirjam Hecht

Umschlagabbildungen:

Vorne: Volker Dautzenberg Photography

Klappe oben: Erwin Schultheiss, Sigmaringen

Klappe unten: Christoph A. Hellhake

Abbildungen:

© Antje Debus: S. 138

© Alexandra Prinzessin von Hohenzollern: S. 139

© Klaus Schultes: S. 177, 189, 202, 204, 206, 212, 224

© Sascha Baumann: S. 184

© Klaus Schultes: S. 179, 191, 204, 206, 208, 214, 226

Alle sonstigen verwendeten Fotos stammen aus dem privaten Bestand des Fürsten Karl Friedrich von Hohenzollern.

Alle Seitenangaben in diesem Buch beziehen sich auf die Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe.

Druck: Florjančič tisk d.o.o., Maribor

Printed in Slovenia

ISBN 978-3-8392-7786-7

Zitat

Freiheit ist nicht, zu tun, was man tun will, sondern zu tun, was man tun muss.

Yehudi Menuhin

Inhalt

Impressum

Zitat

Inhalt

Vorwort

Warum meine Biografie?

Der rote Faden meines Lebens

Vorgeschichte/n

1952–1958 Kindheit • Sigmaringen

Erste Erinnerungen

Alltag im Schloss

Mutter und Vater

Meine Großeltern

Schlossbewohner

Umzugspläne

1958–1962 Grundschulzeit • Sigmaringen und Josefslust

Einschulung

Die Familie wird komplett

Besuche, Feste und Feiertage

Klosters

1962–1970 Gymnasialzeit • Josefslust und Sankt Blasien

Interessen und Hobbys

Ferienzeiten

Jesuitenkolleg Sankt Blasien (1966 / 67)

Gymnasium Sigmaringen II.

Ein Jahrzehnt des Aufbruchs

1970–1973 Hochschulreife • Sankt Gallen

Freizeit und soziales Leben

Eine wegweisende Entscheidung

Abitur

Zwischen Abitur und Bundeswehr

EXKURS: Die Zollern-Krise

1973–1975 Bundeswehr • Sigmaringen

Die Unteroffiziersausbildung

Reserveoffizierszeit

Reflexionen über die Wehrpflicht

1975–1980 Studium • Fribourg / Schweiz

Universitätsleben

Flirts und Liebeleien

Musik

Reisen

Die erste Liebe

Examen

Politisches Erwachen im Deutschen Herbst

Berufsorientierung

1980–1982 Traineezeit ∙ Stuttgart

Musik

1982–1984 Berufseinstieg • New York

Ankommen in Big Apple

Banking auf Amerikanisch

Alltag in New York

Musik

Begegnung mit meiner zukünftigen Frau

Abschied

1984–1989 Generalvollmacht und Familiengründung

Aller Anfang ist schwer – dieser im Besonderen

EXKURS: Betrugsfall in Kanada

Umstrukturierung bei Zollern

Hochzeit im Schloss Sigmaringen

Die Geburt unserer ersten beiden Kinder Alexander und Philippa

1992–1999 Höhen und Tiefen in Beruf und Familie • Krauchenwies

Ein neues Zuhause in Krauchenwies

Urlaubs- und Reiseerinnerungen mit der Familie

Engagement bei den Fürstlich Hohenzollernschen Hüttenwerken (FHH)

Prinz von Hohenzollern GmbH

Jazz – meine Lebenskonstante

Reisen ohne die Familie

Ein Jahr voller Trauer und Freude

Politisches Engagement und Lobbyarbeit

EXKURS: Der Große Arber (1.455,5 m) im Bayerischen Wald – modernes Skigebiet, Forstbetrieb und Naturschutzgebiet

Bauprojekte

2000–2010 Zeitenwende • Sigmaringen

Ehekrise, Trennung und Scheidung

Abgabe und Wiedererlangung der Generalvollmacht

Die große Forstreform 2004

Neue strategische Ausrichtung und zusätzliche Geschäftsfelder

Reise nach Brasilien

Besuch aus Rumänien

300-Jahr-Feier Zollern

Die »Hamburger Nächte«

Der Freitod Adolf Merckles

Bekanntschaft mit Katharina

Eine besondere Ehre – die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes

Der Heiratsantrag

Schlechter Gesundheitszustand meines Vaters

Hochzeitsfest

Hochzeitsreise I. – ein kurzes Vergnügen

Hochzeitsreise II. – ein schicksalhaftes Ende

Tod und Beerdigung meines Vaters

2010–2022 Chef des Hauses Hohenzollern • Josefslust

Die örtliche Zusammenlegung unserer Verwaltung

Von der Geschäftsfrau zur Fürstin

Ein neue Heimat für Katharina und mich

950-jähriges Bestehen des Fürstenhauses Hohenzollern

Die Narren sind los

Jubiläum in Huis Bergh

EXKURS: Flugzeuge und Flugscheine

Der 60. Geburtstag – Meine persönliche Jahrhundertparty

Abschied von Freunden

EXKURS: Musik in meinem Leben

Blühende Welten

Ferien in den Hamptons

Tod von Onkel Hansi

Katharinas 60. Geburtstag

EXKURS: Begegnungen mit großen Persönlichkeiten

Sorgen um die Nachfolge des Hauses Hohenzollern

Der versteckte Herzinfarkt – Ein Vorbote der eigenen Endlichkeit

Die Pandemie greift um sich

Die Hochzeit meiner Tochter Flaminia

Mein 70. Geburtstag

Auf den Spuren meiner Vorfahrin Amalie Zephyrine

Hohenzollern, quo vadis?

Nachwort

Anhang

Der Fürst im Spiegel dreier Zeitgenossen

River of Freedom

Fürst Friedrich Wilhelm feiert seinen 75. Geburtstag

Second Hand Blues

Karl Anton und sein Sigmaringen

Hai-Jo

Rede der Landrätin Stefanie Bürkle anlässlich des 70. Geburtstags des Fürsten

Das Narrenschiff

Herr, ich danke Dir

Legende der Familienmitglieder (auch angeheiratete)

Dank

Vorwort

Warum meine Biografie?

Die erste Anregung dazu, meine Lebensgeschichte zu verfassen, hatte mir mein Vater gegeben. Er war ein großer Erzähler vor dem Herren. Anlässlich seines 75. Geburtstags hielt ich eine Ansprache, in der ich mich an eine kurze Zusammenfassung seines Lebens wagte. Dabei wurde mir klar, wie viel Interessantes es hier zu erzählen gibt. Kleine Anekdoten und große Geschichten, die den Wesenskern meines Vaters erlebbar machen und die letztlich zum kulturellen Erbe unserer Familie gehören. Ich drängte meinen Vater daraufhin, all diese Geschichten noch zu erzählen und sie so für die Nachwelt zu erhalten. Aber trotz intensiver Bemühungen gelang es meinen Brüdern und mir nicht, ihn mit jemandem zusammenzubringen, dem er das alles erzählen konnte, um es anschließend zu Papier zu bringen. Erst gegen Ende seines Lebens, als sich schon die ersten Anzeichen von Gedächtnisverlust zeigten, konnten wir ihn überzeugen, sich mit einer Historikerin zusammenzusetzen und das von seinem Leben wiederzugeben, was ihm noch in Erinnerung geblieben war. Bedauerlicherweise war das nicht mehr viel, und so ließen sich nur noch Fragmente zu Tage fördern, mit denen nicht allzu viel anzufangen war.

Ich schwor mir damals, es einmal anders zu machen und mit den Aufzeichnungen meiner Erinnerungen zu beginnen, bevor es zu spät sein würde. Damals war ich Mitte fünfzig und der Gedanke an eine Biografie lag in weiter Ferne. In den darauffolgenden Jahren blitzte der Gedanke an die Memoiren immer mal wieder auf, aber das Alltagsgeschäft nahm mich zu sehr in Beschlag. Eines Tages unterhielt ich mich mit einer alten Freundin über vergangene Zeiten und gab dabei einige Geschichten über meinen Vater zum Besten. Daraufhin redete sie auf mich ein: »Diese Geschichten musst du unbedingt einmal aufschreiben, denn nach Dir weiß sie keiner mehr!« Das war ein weiterer Mahnruf, und die Ermutigung zu einer Biografie war damit in die nächste Phase getreten. Im gleichen Jahr wurde ich vom Jazzverein Bad Saulgau, in dem ich seit vielen Jahren aktiv bin, gefragt, ob ich einen Beitrag für das Jubiläumsbuch zum 50-jährigen Jubiläum des Vereins schreiben könnte. Ich entschied mich, einen Beitrag über mein Leben als Musiker zu schreiben. Leben mit Jazz nannte ich den Artikel. Dabei stellte ich fest, dass ich mich an viele Details erstaunlich gut erinnern konnte.

Als ich anlässlich einer Konferenz der Stiftung Familienunternehmen und Politik mit Stefan Heidbreder ins Gespräch kam, empfahl er mir neben zwei weiteren Namen die Münchner Biografin Katrin Frische. Nach einem ersten Kennenlernen hatte ich das gute Gefühl, dass sie die richtige Ko-Autorin für mein Projekt sein könnte. Über mehr als zwei Jahre hinweg trafen wir uns regelmäßig zu Gesprächen. Dabei tauchten verlorene Erinnerungen wieder auf, festigten sich Bilder und wurden Sinnzusammenhänge für mich sichtbar. Bisweilen musste ich erfahren, dass Erinnerungen auch trügen können. Für sicher gehaltene Gegebenheiten entpuppten sich nach Recherche als verzerrt – eine interessante Erfahrung!

Insgesamt war die Reflexion über das Erlebte für mich ein wertvoller Prozess. Ich hoffe, dass auch meine Freunde und Familie sowie folgende Generationen das Buch gern in die Hand nehmen werden. An der Stelle sei mir der Hinweis erlaubt, dass die im Buch enthaltenen Schilderungen meine Wahrheit auf das Erlebte widerspiegeln. Andere mögen eine andere Sicht auf die Dinge haben, aber dies ist meine Wirklichkeit, die ich mit bestem Wissen und Gewissen vertrete.

Der rote Faden meines Lebens

Die Beschäftigung mit dem eigenen Leben hilft, dem roten Faden und damit dem Sinn des eigenen Lebens ein Stück auf die Spur zu kommen. Die beiden größten Triebfedern meines Handelns und Seins tauchen schon im Titel auf: Freiheit und Verantwortung. Obwohl es viele Abhandlungen über den Zusammenhang zwischen Freiheit und Verantwortung gibt, habe ich den Titel gewählt, da ich mich in meinem Leben immer in diesem Spannungsfeld bewegt habe. Als ältestes Kind war ich schon früh in einer gewissen verantwortlichen Position. Echte Verantwortung bekam ich dann als junger Offiziersanwärter bei der Bundeswehr übertragen. Auch wenn es damals für mich überraschend kam, fühlte ich mich in der Rolle als Vorgesetzter schnell wohl. Nicht aus Lust an der Macht. Vielmehr weil es sich für mich gut anfühlte, Verantwortung für Menschen und Dinge zu übernehmen und das mir geschenkte Vertrauen nicht zu enttäuschen. Das tut es bis auf den heutigen Tag. Natürlich ist ein Amt wie das Meinige auch eine Bürde. Tagtäglich werden einem Entscheidungen abverlangt, man muss den Erwartungen vieler Menschen standhalten, repräsentative Pflichten übernehmen und finanzielle sowie soziale Verantwortung tragen. »Eigentum verpflichtet« lautet eine Spruchweisheit. Gemäß unserem Grundgesetz wird das Recht auf Eigentum mit der sogenannten Sozialpflichtigkeit des Eigentums in dem Sinne eingeschränkt, als dass der Gebrauch des Eigentums dem Gemeinwohl zugutekommen soll. Schon als Kind bekam ich mit, wie sich unsere Familie sozial engagierte. Wir wurden beispielsweise zur Weihnachtsbescherung der Kinder des Hauses Nazareth in Sigmaringen mitgenommen, wo seit Generationen der Fürst und seine Familie Geschenke an Waisenkinder und Kinder aus sozial schwachen Familien verteilen, eine Tradition, die es heute noch gibt. Auch waren wir von klein auf beim Martinssingen dabei. Am 11. November, dem Tag des heiligen Martin, der bekanntlich seinen Mantel mit einem Bettler geteilt hatte, versammelten sich die Grundschulkinder zum Martinsumzug und zogen mit Laternen zunächst durch die Stadt und anschließend singend zum Sigmaringer Schloss, wo mein Großvater und später auch mein Vater Lebkuchen an die Kinder verteilten. Beim Einzug ins Schloss sangen sie stets dieses Lied:

»Hier wohnt ein reicher Mann, der uns vieles geben kann.Viel soll er geben,lange soll er leben, selig soll er sterben,das Himmelreich erwerben!«

Neben der sozialen hatte auch die ehrenamtliche Tätigkeit Tradition in unserer Familie. Bereits zu Zeiten meines Großvaters waren viele Mitglieder meiner Familie bei den Maltesern aktiv. Er selbst sowie einige seiner Söhne und heute auch meine Brüder waren und sind sowohl Mitglieder des Malteser-Ritterordens als auch beim Malteser-Hilfsdienst tätig. Ich selbst hatte die Berufung zur ehrenamtlichen Tätigkeit mehr im wirtschaftlichen und unternehmerischen Bereich gefunden. Noch heute bin ich in mehreren Verbänden und Organisationen aktiv. Auch im Bereich der Musik nehme ich noch heute verschiedene ehrenamtliche Aufgaben wahr.

Als mich mein Vater kurz vor dem Abitur gefragt hatte, ob ich seine Nachfolge antreten möchte, hielt ich zunächst mit einer Antwort zurück. Aber bald wurde mir klar, dass es mir Freude bereiten würde, die Verantwortung zu übernehmen. Es reizte mich die Vorstellung, Dinge auszuprobieren und voranzubringen und dadurch Sorge für Menschen und Dinge zu tragen. Und dieser Reiz ist bis heute nicht geschwunden. Es sind die Gestaltungsspielräume, die ich mit der Freiheit verbinde. Die Spielräume sind die wahren Triebfedern meines Wirkens. Die Möglichkeiten, sinnvolle Entwicklungen voranzutreiben und weniger sinnvolle zu beenden, Entscheidungsmöglichkeiten zu haben, kurz: Die Geschicke ein Stück zu lenken, nähren mein Gefühl von Freiheit und sie haben bis auf den heutigen Tag eine belebende Wirkung auf mich. Damit habe ich auch Phasen, in denen die Verantwortung besonders schwer wog, gut meistern können.

Auch jenseits der beruflichen Ebene ist Freiheit mir ein wichtiges Gut. Gesamtgesellschaftlich, aber auch privatissimo. Freiheit und Verantwortung sind essenzielle Aspekte des menschlichen Lebens. Diejenigen, die in einer freiheitlichen Gesellschaft leben, tragen Eigenverantwortung und Mitverantwortung, also Verantwortung für sich und für andere. Nur in totalitären Gesellschaften übergibt der Einzelne die Verantwortung an den Staat und gibt im gleichen Zug seine Freiheit auf. Anderen Verantwortung zu übertragen, ist ein erfolgreiches Führungsmodell, das in der Regel besser funktioniert als einsame Entscheidungen eines Einzelnen.

Auch im Privaten habe ich mir meine Freiräume ein Leben lang gesucht. Gefunden habe ich sie besonders in der Mobilität, angefangen beim Fahrradfahren bis zum Fliegen mit der eigenen Maschine. Das konstanteste Freiheitsgefühl habe ich aber immer in der Musik gefunden. Seit ich Schüler bin, stehe ich auf der Bühne. Die Auftritte geben mir, mehr als anderswo in der Öffentlichkeit, die Möglichkeit, mein wahres Ich zu zeigen, mich frei und lebendig zu fühlen.

»Ich schlief und träumte, das Leben sei Freude. Ich erwachte und sah, das Leben war Pflicht. Ich handelte, und siehe, die Pflicht war Freude.«

Rabindranath Tagore

Diesen Spruch zitierte ich einmal in einer Ansprache anlässlich eines runden Geburtstags meines Vaters und sah, wie dabei ein kleines Lächeln über sein sonst ernstes Gesicht huschte. Auch für mich ist der Sinnspruch zu einer klaren Handlungsmaxime geworden. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass wir unser Leben durch unsere Einstellung und Handlungen beeinflussen können und dass wir das Beste aus unserer Situation machen können, indem wir uns auf das Positive konzentrieren und uns bemühen, unsere Pflichten als Teil unserer Lebensfreude zu sehen.

In den vielen Interviews, die ich im Laufe der Zeit gab, wurde ich des Öfteren gefragt, was mich in meinem Leben maßgeblich angetrieben habe. Neben dem ausgeführten Spannungsfeld von Freiheit und Verantwortung habe ich hier immer Interesse und Neugier angegeben. Schon als Kind wollte ich wissen, wie Dinge funktionieren, warum sie so sind, wie sie sind, und was dahinter steckt. Ich las Bücher über Erfinder und ihre Erfindungen, über Entdecker und ihre Entdeckungen und über Konstrukteure und ihre Konstruktionen. Ich beschäftigte mich mit Modellbau und Elektrotechnik, immer mit dem Ziel, herauszufinden, wie und warum etwas funktioniert.

Immer wieder fragte ich mich, wie jemand es schafft, etwas zu erfinden, eine bahnbrechende Entdeckung zu machen oder eine Symphonie zu komponieren. Interesse und Neugier haben mich auch später im Leben weiter angetrieben. Bis heute reizt es mich, in unbekannte Gefilde einzutauchen, neue Erfahrungen zu sammeln und meinen Horizont stets ein wenig zu erweitern.

Vorgeschichte/n

In eine so alte und geschichtsträchtige Familie wie das Haus Hohenzollern hineingeboren zu sein, kann man Glück nennen, vielleicht auch Schicksal oder Bestimmung. Ich habe dieses Glück, als ältester Sohn meines Vaters in einer langen Reihe nach meinen Vorfahren zu stehen, denen es gelang, mit Glück, aber auch politischem und wirtschaftlichem Geschick den Besitz der schwäbischen Hohenzollern über Generationen zu erhalten und teilweise zu vermehren.

Bereits im 13. Jahrhundert teilten sich die Hohenzollern in die fränkische Linie, aus der später die brandenburg-preußische Linie hervorging, sowie in die schwäbische Linie auf. Im Jahr 1576 entstanden die beiden Grafschaften Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen, aus denen sich 1623 die beiden Fürstentümer gleichen Namens bildeten. In der Gegenwart existiert nur noch die Linie Hohenzollern-Sigmaringen, weshalb die Mitglieder der Familie den Namen ohne den Zusatz »Sigmaringen« führen.

Glück sowie politisches und wirtschaftliches Geschick hatte das schwäbische Haus Hohenzollern in den vergangenen Jahrhunderten in mehrfacher Hinsicht:

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts konnte Fürstin Amalie Zephyrine von Hohenzollern-Sigmaringen* eine Mediatisierung durch Napoleon verhindern, da sie in Paris lebte und mit dessen Gemahlin Kaiserin Josephine befreundet war. Auf diese Weise gelang es den beiden hohenzollerischen Fürstenhäusern Sigmaringen und Hechingen, ihre Souveränität zu erhalten. So behielten die beiden Fürsten von Hohenzollern als Einzige ihrer schwäbischen Standesgenossen die Staatshoheit über ihre Gebiete.

Als Folge der Märzrevolution 1848 dankten die Fürsten von Sigmaringen und Hechingen 1849 zugunsten des Königs von Preußen ab, ihre Fürstentümer gingen als »Hohenzollernsche Lande« im preußischen Staat auf. Mein Vorfahre, der Sigmaringer Fürst Karl Anton*, wurde nach dem Tod des letzten Fürsten von Hohenzollern-Hechingen im Jahre 1869 Fürst des gesamten fürstlichen Hauses Hohenzollern und war zwischen 1858 und 1862 preußischer Ministerpräsident.

Die Sigmaringer Linie spielte auch nach der Übernahme Preußens eine bedeutende Rolle. Fürst Karl Antons ältestem Sohn Leopold wurde 1870 die Übernahme des spanischen Throns angeboten, was den Deutsch-Französischen Krieg auslöste. Sein Bruder Karl wurde als Carol I.* König von Rumänien, seine Schwester Stephanie wurde Königin von Portugal. Nach dem Tod König Carols 1914 wurde sein Neffe Ferdinand I.*, der Bruder meines Urgroßvaters Wilhelm*, sein Nachfolger auf dem rumänischen Thron. König Carol hatte im Jahr 1900 das Schloss Umkirch mit Stammgut von seiner Mutter Josephine geerbt. Nachdem er 1914 kinderlos gestorben war, ging es an meinen Großvater Fürst Friedrich Viktor, der es als Sommerresidenz nutzte. Neben meinem Vater Friedrich Wilhelm wurde auch sein jüngster Bruder Ferfried* in Umkirch geboren. Mein Vater verbrachte fast seine gesamte Schulzeit sowie sein Studium in Umkirch und Freiburg.

Im Gegensatz zu nahezu allen seinen Vorfahren diente mein Vater nicht in der Wehrmacht und wurde deshalb glücklicherweise auf Grund des sogenannten Prinzenerlasses auch nicht im Zweiten Weltkrieg eingezogen. Adolf Hitler untersagte 1940 allen der Wehrmacht angehörenden Angehörigen der bis 1918 regierenden Königs- und Fürstenhäuser die Teilnahme an Kampfhandlungen im Zweiten Weltkrieg. 1943 wurden sämtliche Angehörige ehemals regierender Fürstenhäuser von Hitler aus der Wehrmacht ausgeschlossen. Stattdessen wurde mein Vater zum Reichsarbeitsdienst abkommandiert.

Wie mein Großvater, so stand auch mein Vater dem Hitler-Regime kritisch gegenüber. Diese kritische Haltung wäre meinem Vater beinah zu einem üblen Verhängnis geworden: In einem Briefwechsel zwischen meinem Vater und einem seiner Vettern hatte sich mein Vater kritisch gegenüber den Nazis geäußert. Dieser Brief war von den Nazis aufgespürt worden, woraufhin mein Vater auf die Polizeistation geladen worden war und die Familie das Schlimmste befürchtete. Aber das Glück war auf der Seite unserer Familie: Noch bevor es zu dem Termin kam, brannte das Polizeipräsidium ab und damit war alles vermeintliche Beweismaterial vernichtet worden. Der größte persönliche Groll jedoch rührt aus der Zeit der Verdrängung aus dem Schloss durch die Vichy-Regierung. Obwohl mein Vater sich willens gezeigt hatte, die französischen Kollaborateure als Gäste zu empfangen, wurde die Familie aus dem Schloss verbannt. Dieses Ereignis hatte tiefe Spuren der Demütigung bei meinem Vater hinterlassen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann mein Vater, der Volkswirtschaft studiert und anschließend einige Zeit in Genf bei einer Bank gearbeitet hatte, 1949 seine Tätigkeit in der Verwaltung unseres Hauses, die damals noch Fürstlich Hohenzollernsche Hofkammer hieß. Auch die fünfziger Jahre waren nicht einfach für unsere Familie. Obwohl glücklicherweise noch große Teile des Vermögens vorhanden waren, belasteten die Folgen des Zweiten Weltkrieges wie beispielsweise die sogenannten »Franzosenhiebe« unser Haus. Die Reparationsforderungen in den von Frankreich besetzten Gebieten wurden in den strukturschwachen ländlichen Gebieten durch Holz beglichen. Dennoch wurde in dieser Zeit unter meinem Vater und meinem Großvater vieles bewegt. Von der Arbersesselbahn bis zur Entwicklung der Fürstlich Hohenzollernschen Hüttenwerke in der Zeit des Wirtschaftswunders, all das hat mein Vater maßgeblich mit beeinflusst. Zu Lebzeiten meines Großvaters als Erbprinz und später als Fürst hatte er immer den Vermögenserhalt als oberstes Ziel im Blick. Sein unbedingter Wille zu Pflichterfüllung und Verantwortung blieb ihm zeitlebens erhalten.

Weil es im folgenden autobiografischen Abriss im Wesentlichen um mich und meine Zeitgenossen gehen soll, möchte ich an dieser Stelle noch einige Anekdoten über meine Vorfahren, die in meiner Familie kursierten, niederschreiben, auf dass sie nicht der Vergessenheit anheimfallen.

Erbschaftsstreit zwischen meinem Großvater und seinem Zwillingsbruder Mein Großvater hatte einen Zwillingsbruder, Franz Joseph*, der wie alle Nachgeborenen beim Tod meines Urgroßvaters eine große Erbschaft angetreten ist und apanagiert wurde. Franz Joseph, genannt Onkel Joschi, hatte es geschafft, bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs sein ganzes ererbtes Vermögen zu verschleudern, indem er eine Reihe unglücklicher Fehlinvestitionen betrieben hatte. Mein Großvater liebte seinen Bruder, aber um das familiäre Erbe zu schützen, konnte er das nicht zulassen. Da keiner der beiden Brüder gegeneinander klagen wollte, schickten sie ihre Kinder vor. So leitete der älteste Sohn von Onkel Joschi einen Prozess gegen meinen Großvater ein. Woraufhin mein Großvater meinen Vater vorschickte. So setzten sich mein Vater und mein Vetter vor Gericht auseinander, was für alle Beteiligten sehr unangenehm war. Der Prozess endete in den fünfziger Jahren in drei Instanzen mit einer Ablehnung. Mein Vater erzählte mir das erst viel später, weil er vermeiden wollte, dass wir Kinder ein schiefes Bild unserer Verwandten bekamen.

Besuch meiner Großmutter beim Aufmarsch Adolf Hitlers In unserer Familie kursierte die Geschichte, dass sich meine Großmutter eines Tages kurz nach der Machtübernahme auf den Weg zu einer Großkundgebung Adolf Hitlers in Freiburg machte. Auf die Frage meines Großvaters, warum sie sich das antue, hätte sie geantwortet: »Ich muss wissen, mit wem wir es eines Tages zu tun bekommen werden!« Als sie dann zurückkam, befragte mein Großvater sie nach ihrem Eindruck. Daraufhin brach es aus meiner Großmutter heraus: »Er ist ein durch und durch kleingeistiger Mann!« Damit war für uns alles bezüglich des Verhältnisses meiner Großeltern gegenüber Hitler gesagt.

Der Streit um die Namensgebung Baden-Württembergs Meinem Großvater wird eine äußerst konservative Geisteshaltung nachgesagt. Dies versinnbildlicht eine Anekdote, die sich im Jahr meiner Geburt zutrug und die später in der Familie die Runde machte: Als Baden-Württemberg im Jahr 1952 gegründet werden sollte, debattierte man, welchen Namen man dem aus den drei Bereichen Hohenzollern, Baden und Württemberg bestehenden neuen Bundesland geben sollte. Im Spiel waren unter anderem die Namen »Hohenzollern« und »BaWüHo«, aber schließlich entschied man auf politischer Ebene, den Namen »Hohenzollern« unter den Tisch fallen zu lassen. Als mein Großvater davon hörte, beschloss er, persönlich zum Regierungspräsidium nach Tübingen zu fahren. Er beschwor Carlo Schmid, der zu dieser Zeit SPD-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg war, die Hohenzollern nicht einfach unter den Tisch zu kehren. Mit dem Kompromiss, der Region den Namen »Südwürttemberg-Hohenzollern« zu geben, konnte sich mein Großvater zeit seines Lebens nicht zufriedengeben. Er, der im Ersten Weltkrieg an verschiedenen Fronten gekämpft hatte und zeitlebens ein eifriger Anhänger des Militärs geblieben war, empfand die Haltung meines Vaters in mancher Hinsicht als zu lax und legte ihm diese bisweilen als Schwäche aus. Aber neben all seiner Strenge war mein Großvater auch gütig, hilfsbereit und lustig. So viel Respekt ich vor ihm hatte, so sehr fühlte ich mich zu ihm hingezogen. Ich mochte es, wenn er mir seine Sicht auf die Dinge erklärte, nicht selten mit einem Scherz auf den Lippen.

Nächtliches Schlachten im Zweiten Weltkrieg Während des Krieges war es nicht erlaubt, private Schlachtungen durchzuführen und das Fleisch zu eigenen Zwecken zu nutzen. Um die Versorgung der Bevölkerung aufrecht zu halten, wurden offizielle Schlachttermine vorgegeben und das Fleisch war abzugeben. Das hatte zur Folge, dass »Schwarzschlachtungen« en masse durchgeführt wurden. Mein Vater erzählte, wie man den Säuen des Nachts das Maul zugehalten hat, um die Tiere am Schreien zu hindern.

Die französischen Besetzer im Schloss Sigmaringen Mein Großvater war den Franzosen sehr zugeneigt. Von Ressentiments war wenig zu spüren, was wohl vor allem auf das gute Verhältnis zu Frankreich in den Jahrhunderten zuvor zurückzuführen war. Auch parlierte er ganz nonchalant Französisch. Eines Tages lud er einen französischen General ins Schloss Umkirch ein. In diesen harten Zeiten verschwammen die Grenzen zwischen legal und illegal bisweilen. So war es laut Erzählung meines Vaters gang und gäbe, den Franzosen Benzinkanister aus den parkenden Jeeps zu stibitzen. Als der General nun mit seinem Auto ins Schloss kam und mit meinem Großvater im Gespräch vertieft war, nutzte mein Vater die gute Gelegenheit und zapfte das Benzin aus dem Franzosenauto ab, um es dann in seinen eigenen Wagen zu füllen. Als jener den Heimweg antrat, kam er mit seinem Auto gerade noch bis zum Ortsrand, bevor ihm das Benzin ausging. Daraufhin kam der Fahrer des Generals zu meinem Vater gelaufen und schilderte seine Misere. Mein Vater verkaufte ihm sodann das gerade geklaute Benzin und erhielt dafür nicht nur Geld, sondern noch ein herzliches Dankeschön des verzweifelten Generals.

1952–1958 Kindheit • Sigmaringen

Was wir spielen, ist das Leben. Louis Armstrong

Am 20. April 1952 kam ich im Schloss Sigmaringen zur Welt. Meine Eltern, Erbprinz Friedrich Wilhelm von Hohenzollern* und Prinzessin Margarita zu Leiningen*, hatten sich knappe zwei Jahre zuvor bei einer Reise in die Ewige Stadt Rom getroffen, ineinander verliebt und im Januar 1951 geheiratet. Dass ihr erstgeborenes Kind ein Junge war, wird die ganze Familie erfreut haben, denn damit schien die Kontinuität der schwäbischen Hohenzollern-Dynastie gesichert.

Die Geburt wurde von einer erfahrenen Hebamme aus München begleitet. Ihre Unterstützung hat meiner Mutter sicher gut getan, denn sie war eine kränkliche, zaghafte Frau. Der Krieg hatte ihr und ihrer Familie sehr zugesetzt. Seit ich denken kann, litt sie unter den verschiedensten körperlichen und seelischen Krankheiten.

Für meinen Vater war meine Geburt zweifelsohne eine besondere Freude. Er war damals 28 Jahre alt und zwei Jahre zuvor als ältester Spross von insgesamt sieben Geschwistern von seinem Vater zum Generalbevollmächtigten über die Hofkammer, die Verwaltung der gesamten Besitzungen der Sigmaringer Hohenzollern, bestellt worden. Dass ihm nun ein Erbprinz geschenkt wurde, wird er als großes Geschenk betrachtet haben.

Erste Erinnerungen

An meine ersten Lebensjahre habe ich naturgemäß keine konkreten Erinnerungen, aber verschiedene Bilder entstehen in meinem Kopf, wenn ich an meine frühe Kindheit denke: Da ist das Schloss mit seinen knarzenden Türen und langen, dunklen Gängen, in denen es sich herrlich spielen ließ. Da sind die Spaziergänge durch den Schlosspark mit seinen streng riechenden Schierlingspflanzen und der viel besuchten Sandkiste. Und da ist vor allem die Musik, mit der ich mich seit meiner frühsten Kindheit sehr verbunden fühle. Aus dieser Zeit trage ich vor allem die Lieder in mir, die meine Eltern auf dem Plattenspieler hörten: amerikanische Schlager, Swing und Jazz, aber auch die Orgelmusik meiner Großmutter und die Marschmusik meines Großvaters sowie die Melodien, die meine Mutter und unser Kindermädchen mit uns sangen.

Mein Großvater Fürst Friedrich Viktor, mein Vater Erbprinz Friedrich Wilhelm und ich, Weihnachten 1952

Meine ersten konkreten Erinnerungen setzen mit etwa drei Jahren ein. Und sie sind eigentlich alle mit unserem Kindermädchen Hiltrud Dopfer verbunden. Hiltrud, die von uns Dedda genannt wurde, war die Tochter eines Arztes aus Sigmaringen. Sie kam zu uns, als ich ein Jahr alt war, und sollte bleiben, bis mein jüngster Bruder Ferdinand* das Haus verließ. Dedda war uns eine zentrale Bezugsperson, gerade weil unsere Mutter durch ihre Krankheit immer wieder nicht oder nur eingeschränkt für uns verfügbar war. Aber darauf werde ich später noch zu sprechen kommen. An die Geburt meines Bruders Albrecht* habe ich keine Erinnerungen. Seit ich denken kann, gehört er zu uns, und bis heute ist er mir mein wichtigster Weggefährte geblieben.

Ich bin der Prinz! Eines der ersten Ereignisse, an das ich mich erinnere, ist eine Szene, die sich im Park des Sigmaringer Schlosses abspielte. Es war auf einem der Spaziergänge, die Dedda mit mir machte. »Frische Luft hält gesund!«, pflegte Dedda bei unseren täglichen Gängen zu sagen und zog mich bei Wind und Wetter nach draußen, ob es mir gefiel oder eben nicht. Ich muss vier Jahre gewesen sein, als wir an einem Herbsttag durch den Prinzenpark spazierten, vorbei an den blätterlassenden Linden und den gelb-braunen Buchenhecken. Als wir den Hügel hinaufliefen und auf den Weg Richtung Sandkiste einbogen, kam eine Frau auf uns zu. Nach einer kurzen, freundlichen Begrüßung musterte sie mich und fragte schließlich: »Du bist also der kleine Prinz?« Statt einer Antwort verbarg ich mein Gesicht hinter Deddas Mantelarm. Als die Frau weitergezogen war, sah ich Dedda fragend an: »Bin ich ein Prinz?« Dedda erwiderte lächelnd: »Ja, das bist Du!« Ein nicht gekanntes Gefühl übermannte mich. Eine Mischung aus Erstaunen, Selbstgewissheit und Stolz. Ich war der Prinz …!

Meine Mutter, Erbprinzessin Margarita | Portrait, 1953

Allein im Krankenhaus Eine weitere frühe Erinnerung ist eine Mandeloperation im Jahr 1956. Seit meiner Geburt litt ich unter einer bakteriellen Infektion, die eine chronische Entzündung meines Halses verursachte. Während die Medizin heute sicherlich gute Möglichkeiten hätte, eine solche Erkrankung in den Griff zu bekommen, waren die Ärzte damals rat- und machtlos. Medikamente gegen die chronische Entzündung gab es nicht oder waren wirkungslos, aber als ich vier war, wurde meinen Eltern eine Operation vorgeschlagen. So wurde ich eines Tages von meinem Vater und der Kinderschwester in dem dunkelblauen Mercedes 220 meines Vaters ins Augsburger Krankenhaus gebracht. Neben dem süßlich stechenden Geruch der Äthermaske, die man mir vor der Operation verabreichte, erinnere ich mich besonders an den Moment, an dem mich mein Vater nach überstandener OP am Krankenbett besuchte. Er stand mit einem Stapel Auto-Prospekte vor mir, die er von einem Mercedes-Händler für mich organisiert hatte. Eine größere Freude hätte er mir wohl kaum bereiten können, denn schon seit ich denken kann, bin ich ein begeisterter Autofan. Ich schaute mir die Prospekte rauf und runter an und tat dabei so, als ob ich den Wortlaut entziffern könnte. Und tatsächlich lernte ich in meinem brennenden Eifer auch, das Wort »Auto« zu schreiben. Kaum zu glauben, aber diese einfachen Prospekte versüßten mir den unschönen Aufenthalt im Krankenhaus nachhaltig. Glücklicherweise war die Operation auch darüber hinaus ein voller Erfolg. Die ständigen Schmerzen waren verschwunden und ich kam schnell zu Kräften.

Weihnachten, 1953

Sigmaringer Fastnachtstreiben So hielt man mich wohl nun auch für stabil genug, um der Fastnacht beizuwohnen. Dahin führt eine weitere Erinnerung: Dedda nahm uns am Fasnetsdienstag mit zum »Bräuteln«, einem schwäbisch-alemannischen Brauch, der auf den Dreißigjährigen Krieg zurückgehen soll. In einem eigens für mich angefertigten Orient-Kostüm marschierte ich an der Hand von Dedda los, stolz und aufgeregt zugleich. Das bunte Treiben am Rathausbrunnen faszinierte mich außerordentlich. Ich konnte mich gar nicht an der Szenerie sattsehen. Als die Frisch-Vermählten dann anfingen, Brezeln und Süßigkeiten aus ihren Körben zu werfen, beobachtete ich das Geschehen zunächst an Deddas Hand, aber nachdem sie mich ermuntert hatte, die Schätze wie die anderen Kinder aufzusammeln, tat ich das mit wachsender Begeisterung. Emsig deponierte ich die Beute in einem Körbchen, das Dedda in weiser Voraussicht mitgenommen hatte. Der Ausflug sollte der Beginn einer bei uns Kindern beliebten Tradition werden, die Dedda, meine Brüder und ich nur im Krankheitsfall aussetzten.

Die erste Auslandsreise Schließlich erinnere ich noch gut meine erste Fahrt in den Süden. Es muss im Jahr 1957 gewesen sein, ich war ein kleiner Bub von 5 Jahren, da fuhren wir das erste Mal so richtig in die Ferien. Unser Ziel war die italienische Adriaküste, genauer Lignano Sabbiadoro, wo mein Onkel Emich* eine Villa besaß. Um dorthin zu gelangen, bildeten wir einen kleinen Konvoi: Meine Mutter fuhr mit Albrecht und mir in ihrem VW, gefolgt von Dedda und unserem Hausdiener, die das Gepäck in unserem Opel Caravan mitnahmen. Einige Tage später erreichte dann mein Vater mit seinem BMW das Ziel. Dieser Italienaufenthalt war für mich ein wunderbares Erlebnis. Meine erste Übernachtung im Hotel, der Strand, das Licht, nicht zu vergessen meine ersten Spaghetti, all das genoss ich in vollen Zügen. Noch heute gehört Italien zu meinen favorisierten Reisezielen und die italienische Küche ist eine meiner Lieblingsküchen. Wenn nichts mehr geht – Spaghetti gehen immer!

Mit Albrecht kurz nach seiner Geburt, 1954 | Als Harlekins im Schlosspark auf dem Weg zum Bräuteln, 1956

Alltag im Schloss

Morgens nach dem Aufstehen waren mein Bruder Albrecht und Dedda in der Regel die ersten Menschen, denen ich begegnete. Mit Albrecht, der nur gut zwei Jahre jünger ist als ich, teilte ich mir ein Zimmer und nicht selten spielten wir direkt nach dem Aufstehen miteinander oder ich vertiefte mich in eins meiner Bücher. Im Anschluss aßen wir dann mit unserer Kinderschwester in der Küche, während meine Eltern in der Regel erst später frühstückten.

Nur zu besonderen Gelegenheiten durften wir sie morgens in ihrem Schlafzimmer besuchen. So zum Beispiel an Geburtstagen. An diesen Tagen rollten wir mit einem roten Leiterwagen über den langen Schlossflur ins elterliche Schlafzimmer, das Geburtstagskind, vom Bruder gezogen auf dem Wagen sitzend. Ansonsten traf man die Eltern meist erst zum gemeinsamen Mittagessen und dann am Abend wieder.

Der Vormittag verlief oft mit einem Gang an die frische Luft. Besonders vor meiner Operation achtete Dedda tunlichst darauf, dass ich regelmäßig nach draußen kam, denn mein Immunsystem war durch die chronische Angina geschwächt. Meist gingen wir im Prinzenpark spazieren. Dieses Ritual gehörte nicht gerade zu meinen Lieblingsprogrammpunkten, aber ködern konnte mich Dedda mit dem Ausblick auf die Sandkiste oder einem Gang in Richtung Bahnhof.

Faszination Bahnhof Seit ich mich erinnern kann, übte der Bahnhof eine große Faszination auf mich aus. Schon aus dem Park heraus wehte mir bisweilen der Geruch der Dampflokomotiven, die im Bahnhof ein- und ausfuhren, in die Nase. Überhaupt faszinierten mich die großen Dampfloks. Es war immer ein besonderes Erlebnis, wenn wir jemanden am Bahnhof abholten und ich auf dem Bahnsteig diese schnaubenden Ungetüme aus nächster Nähe erleben konnte. Genauso begeisterte mich das Taxi, das seinen festen Platz vorm Bahnhofsgebäude hatte, stets in Wartebereitschaft auf kommende Gäste. Wenn der Motor des Mercedes 260, des ersten in Serie gefertigten PKW mit Dieselmotor startete, ließ ich Deddas Hand los und blieb gebannt auf der Stelle stehen. Ich bestaunte das tiefe Brummen des Motors und sog den Ölgeruch auf, der sich rauchwolkenartig auf dem Bahnhofsgelände verteilte. Erst als der Wagen längst von den Häuserfronten verschluckt worden war, konnte Dedda mich zum Weitergehen bewegen.

Die Nachmittage verbrachten wir oft spielend. Gern vertiefte ich mich auch in ein Buch. Solange ich noch nicht lesen konnte, schaute ich mir die Bilder an oder Dedda las mir daraus vor.

Auch die Technik war von frühester Kindheit an mein Steckenpferd. Alles, was eine Mechanik in sich hatte, inspizierte ich eingehend und ließ erst davon ab, wenn ich verstand, wie es funktionierte.

Ab und zu spielten Albrecht und ich mit unserem Hausdiener im langen Schlossflur Fußball, das war immer ein besonderer Spaß. Bisweilen ging im ausgelassenen Spiel etwas zu Bruch. So fiel eines Tages eines der im Flur aufgehängten Hirschgeweihe unserem Spiel zum Opfer. Mein Bruder oder ich kickten es von der Wand, es zerbrach und wurde anschließend vom Hausdiener unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit wieder geklebt.

An Sonntagen gingen wir immer in die Kirche, meistens bei uns hier in Sigmaringen. Vom Schloss aus spazierten wir hinüber und setzten uns in unsere Loge, von der aus man einen schönen Blick ins Kirchenschiff hat. Am Nachmittag unternahmen wir meist einen größeren Spaziergang zusammen. Mein Vater, meine Mutter mit ihren Hunden, Albrecht und ich fuhren gemeinsam an eine schöne Stelle im Wald und drehten dort eine Runde. Ich mochte den Duft des frischen Holzes, der besonders an warmen Sommertagen zur Geltung kam. Im Sommer fuhren wir manchmal auch zum Baden an den nahe gelegenen Lausheimer Weiher. Wenn sich der Tag neigte, bereitete uns Schwester Hiltrud das Abendessen vor. Derweil oblag es mir, Ordnung im Zimmer zu schaffen, und manchmal auch, auf meinen Bruder Albrecht aufzupassen. Dedda war es sehr wichtig, dass ich nach meinen Kräften und entsprechend meines Alters Verantwortung übernahm. Auch wenn ich dies, wie es dem kindlichen Naturell entspricht, öfter als lästig empfunden habe und dann und wann über die Aufgaben stöhnte, bin ich Dedda heute dankbar dafür, dass sie mich auf diese Weise in die Pflicht genommen hat, denn es hat mich schon früh Verantwortung gelehrt. Nach dem Aufräumen und Baden aßen wir gemeinsam zu Abend und im Anschluss durften wir zu meinen Eltern gehen.

Frühe Liebe zur Musik Oft saß mein Vater zu dieser Stunde in seinem Sessel und hörte Musik. Ich liebte es, mit ihm gemeinsam der Musik zu lauschen. Gern auch inspizierte ich seine Plattensammlungen. Immer und immer wieder betrachtete ich die einzelnen Schallplattencover. Wenn die Platte zu Ende war, fragte mich mein Vater bisweilen: »Welche Platte sollen wir jetzt auflegen?« Dann durfte ich aus seiner großen Sammlung eine Scheibe aussuchen. Mein Vater liebte Jazz und ganz besonders den Swing. Harry Belafonte, The Blue Diamonds, Hazy Osterwald, Trini Lopez, Bill Ramsey und Caterina Valente standen bei mir besonders hoch im Kurs, aber meistens fiel meine Wahl auf Louis Armstrong, den ich so verehrte, dass der Wunsch in mir wuchs, selbst Trompete zu erlernen. Auf meine musikalischen Aktivitäten werde ich zu einem späteren Zeitpunkt noch zu sprechen kommen.

Wenn es Zeit war, ins Bett zu gehen, gab Dedda uns ein Signal und wir verabschiedeten uns bei meinen Eltern mit einem Gute-Nacht-Kuss. Gab es einmal Unfrieden, war es meinen Eltern ein wichtiges Anliegen, die Dinge noch vor dem Schlafengehen zu klären. Besonders mein Vater pochte darauf: »Sorgen nimmt man nicht mit ins Bett!« war seine Maxime, die mir bis heute lieb und teuer ist. Schwester Hiltrud brachte uns dann in unser Zimmer und blieb immer noch ein bisschen am Bettrand sitzen. So hatte ich Gelegenheit, die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, mit ihr zu teilen: »Warum beten wir eigentlich?«, »Woher kommt der liebe Gott?«, »Was hält die Welt zusammen?« Kindlich naive Fragen dieser Art stellte ich Dedda und bekam von ihr darauf meist Antworten, die mich zufriedenstellten. Zum Abschluss des Tages betete sie mit uns: »Müde bin ich, geh zur Ruh«, dieses einfache Gebet, das doch so viel aussagt. Und darauf sang sie mit uns noch ein Abendlied: Der Mond ist aufgegangen, Guten Abend, gute Nacht und Weißt Du, wieviel Sternlein stehen, Lieder, die sich tief in mir einbrannten und die ich später unzählige Male mit meinen eigenen Kindern singen sollte.

Albrecht und ich, 1958

Die in meiner Familie praktizierten und gelebten Rituale sowie der Gottesglaube meiner Eltern und Erziehungsberechtigten haben mir, so bin ich überzeugt, ein tiefes Urvertrauen geschenkt, das mir einen festen Halt und Sicherheit für mein ganzes Leben gibt.

Mutter und Vater

Seit ich denken kann, war meine Mutter von labiler Konstitution. Ebenso wie ich litt sie unter einer chronischen Angina, die sie mir, so sagte man, über den Geburtsweg übertragen habe. Ihre gesundheitliche Schwäche zog sich wie ein roter Faden durch ihr und unser aller Leben. Sie führte dazu, dass meine Mutter sich und uns von allem abschirmen wollte, was uns schaden könnte. Wenn wir Kinder selbst krank waren, näherte sie sich uns nur aus der Ferne. Sie öffnete dann die Tür zu unserem Zimmer nur einen Spalt weit und erkundigte sich in sicherem Abstand nach unserem Wohlbefinden. War meine Mutter aber bei guter Verfassung, dann war sie für uns da. Zwar blieb sie körperlich immer etwas auf Distanz, aber geistig war sie dann ganz bei uns. Von uns Brüdern hatte ich, so meine ich, den direktesten Draht zu ihr. Zwischen uns brauchte es meist keiner großen Worte, denn wir hatten in vielerlei Sicht eine ähnliche Art zu denken und zu fühlen. Ich mochte ihren Esprit und ihren Wortwitz. Manchmal warfen wir uns die Bälle verbal nur so zu und dann lachten wir miteinander. In diesen Momenten fühlte ich mich meiner Mutter besonders nahe. Auch den Gefallen an guter Lektüre übertrug sie auf mich. So wie ich las sie gerne gute Bücher.

Meine Mutter lebte zeit ihres Lebens klar nach ihren Werten, die sie auch an uns Kinder weitergab. Als sozial eingestellter Mensch war sie darauf bedacht, dass wir nichts machten, womit wir anderen Leuten Schaden zufügen könnten. »Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu!«, das war eines der Sprichwörter, die sie uns Kindern mit auf den Weg gab. Auch wenn das Bonmot heute abgedroschen klingen mag, nahm ich es mir damals zu Herzen.

Im Alltag verbrachten wir weniger Zeit mit meiner Mutter als mit Dedda, aber bisweilen unternahmen wir auch mit unserer Mutter schöne Dinge. Im Sommer zum Beispiel machte sie mit uns zusammen kleinere Ausflüge in die Umgebung. Albrecht und ich liebten es, mit ihr in ihrem offenen Käfer Cabriolet herumzufahren. Ausgestattet mit einem kleinen Picknick und ein paar Spielsachen fuhren wir an einen der umliegenden Seen, meist an den Lausheimer Weiher in der Nähe von Krauchenwies. Dort verbrachten wir ausgelassene Nachmittage. Ich sehe mich ausstaffiert mit meinem weiß gestrichenen Korkreifen im kühlen Wasser planschen.

Mehr noch als mit meiner Mutter unternahmen wir mit unserem Vater. Von ihm lernte ich besonders die Dinge, die mit Bewegung zu tun haben, so zum Beispiel das Radfahren. Ich sehe mich auf dem roten Staigerrad meiner Mutter in die Pedale treten, neben mir läuft mein Vater, seine stützende Hand in meinem Rücken. Und dann der große Moment des Loslassens! Genau erinnere ich mich an diesen Augenblick, ohne fremde Hilfe auf zwei Rädern, die Hände, die den Kurs frei bestimmten, der Wind um die Nase.

Als ich etwas größer war, brachte mein Vater mir das Schwimmen bei. Im Gegensatz zu meiner Mutter scheute mein Vater die körperliche Nähe zu uns Kindern nicht. Nicht selten zog er mich wie auch meine Brüder zärtlich an sich. Dabei nahm ich den warmen Lavendel-Duft seines Rasierwassers in mich auf, den ich noch heute mit meinem Vater verbinde.

Manchmal nannte er mich, der ich gerne Süßigkeiten aß, liebevoll und ein bisschen neckend zugleich, den »Zuckerhasen«.

Auch wenn ich meiner Mutter geistig näherstand, hatte ich meine Kindheit hindurch im Großen und Ganzen ein sehr gutes Verhältnis zu meinem Vater. Viele seiner Grundsätze und Maximen habe ich in mein Leben integriert. Ein wertvoller Rat, den mir mein Vater mitgab, war: »Wenn du nicht mehr weiterweißt, dann bete, das hilft!« Besonders in den Phasen, in denen es meiner Mutter schlecht ging, aber auch wenn ich Probleme in der Schule hatte, half mir das, über schwierige Phasen hinwegzukommen.

Mit meinem Vater konnte ich mich gut zu den verschiedensten Themen austauschen. Besonders von seinem geschichtlichen Interesse profitierte ich später stark. Immer wieder redeten wir über historische Ereignisse und ihre Bedeutung, und wenn etwas in der Welt passierte, wie der Mauerbau, die Ermordung der Brüder Kennedy oder Anwar as-Sadats in Kairo, nahm er sich Zeit und erklärte mir Ursachen und Hintergründe in kindgerechter Weise. Auf seine unnachahmliche Art imitierte er Politiker oder andere Personen des öffentlichen Lebens: »Niemond hat die Obsicht, eine Mauer zu errichten!«, ahmte er in bestem sächsischem Dialekt den Staats- und Parteichef Walter Ulbricht nach, indem er den Unterkiefer gekonnt verzog.

Mein Vater hatte eine sehr klare Haltung zu den Dingen. Von seinen Prinzipien wich er, soweit ich das mitbekommen habe, nie ab. So bestrafte er uns konsequent, wenn wir nicht bei der Wahrheit geblieben waren oder Dinge vertuschten. Kam das ans Licht, erhielten wir nicht nur eine Standpauke, sondern auch eine saftige Strafe dafür. »Das hätte alles nicht sein müssen«, erklärte uns Vater, wenn wir dann lange Gesichter zogen. »Hättet ihr eure Schandtaten nicht vertuscht, wäre alles weit weniger schlimm gewesen!« Früher waren wir darüber wütend, aber inzwischen habe ich Verständnis für seine Prinzipientreue, die ich mir im Laufe der Jahre selbst ein Stück weit zu eigen machte. Aber dafür musste ich einige Jahrzehnte älter und vielleicht auch reifer werden.

Meine Großeltern

An meine Großeltern mütterlicherseits habe ich keine direkten Erinnerungen. Mein Großvater, Fürst Karl zu Leiningen*, war in Russland im Krieg geblieben. Entsprechend hatte sich meine Großmutter Maria Kyrillowna* von Russland mit sieben Kindern allein durchschlagen müssen. Den Erzählungen nach hatte sie eine bestimmende, harsche Art, unter der meine Mutter ihre Kindheit und Jugend über offenbar gelitten hatte. Diese wird sie besonders zu spüren bekommen haben, als die Amerikaner ihr Palais in Amorbach nach dem Krieg besetzt und die ganze Familie in den Keller vertrieben hatten. Da war meine Mutter gerade 14 Jahre alt. Die Familie hatte erdulden müssen, wie die Amerikaner über ihnen wüteten, während sie selbst in zwei Zimmern im Keller hauste. Nicht auszuschließen, dass es Übergriffe der Soldaten auf die Frauen der Familie gegeben hat. Meine Großmutter starb 1954 mit gerade mal 44 Jahren. Ich war damals zwei Jahre alt.

Meine Großeltern, Fürst Friedrich Viktor und Fürstin Margarete

Umso inniger war das Verhältnis zu meinen Großeltern väterlicherseits, Fürstin Margarete* und Fürst Friedrich Viktor*, von uns liebevoll Omami und Opapi genannt.

Konservatives Selbstverständnis meines Großvaters Mein Großvater war ein tieffrommer Mann, und dies war auch der Grund, warum er bei allen seinen Enkeln zum Taufpaten ernannt werden wollte. Im Gegensatz zu meinem durch und durch demokratisch gesinnten Vater hing mein Großvater stark an adeligen Privilegien. Auch wenn ich das als Kind noch nicht so einordnen konnte, spürte ich den Unterschied in der Haltung der Generationen. Mein Großvater gebärdete sich – fast 100 Jahre nach der Beendigung der Herrschaft der Hohenzollern im Fürstentum – immer noch als regierender Fürst mit alten Moral- und Wertvorstellungen. 1918 war er mit dem Dienstgrad des Hauptmanns aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt. Zeit seines Lebens litt er darunter, dass er es vom militärischen Dienstgrad her nicht so weit gebracht hatte wie seine direkten Vorfahren, allesamt preußische Generäle. Aber über seinen Onkel, König Ferdinand von Rumänien*, war er später dann doch noch ehrenhalber mit dem Obristen-Titel versehen worden und hatte es sich daraufhin nicht nehmen lassen, sich eine rumänische Uniform mit dem entsprechenden Dienstgrad zu organisieren. Diese trug er zu den unterschiedlichsten Anlässen. In der Familie machte die Geschichte die Runde, wie er eines Tages mit dieser Uniform zu einer Manöver-Übung am Heuberg erschienen war. Kurz nach seinem Erscheinen, so erzählte unser Vater immer mal wieder leicht peinlich berührt, habe ihn der General zur Seite genommen und ins Ohr geraunt: »Eure Hoheit, Sie fahren jetzt bitte sofort nach Hause und ziehen sich um!« Auch ich erlebte Großvater sehr oft in seiner Uniform, und wenn er die nicht trug, hing er seine Orden gern einmal an zivile Kleidungsstücke. So sehe ich ihn zu feierlichen Anlässen mit einem ordenbehängten Cutaway herumlaufen.

Meine Großmutter | Mein Großvater

Meine Großmutter Margarete strahlte Wärme und Geselligkeit aus. Je mehr Menschen um sie herum waren, umso besser schien es ihr zu gehen. Ihr war eine ausgeprägte künstlerische Ader zu eigen. Oft saß sie an ihrem Cembalo oder am Klavier und spielte die sakralen Werke von Johann Sebastian Bach. Nach der Heirat hatte sie noch ein Orgelstudium aufgenommen, was für die damalige Zeit eine echte Besonderheit war.

Schlossbewohner

Der Zweite Weltkrieg war nach meiner Geburt noch nicht lange Geschichte. Das offenbarte sich mir an den Bewohnern, die mit uns im Schloss lebten. Mein Großvater hatte vielen Menschen, die im Krieg ihre Heimat verloren hatten oder anderweitig bedürftig geworden waren, im Schloss Schutz und Schirm gewährt. Das waren nahe und entfernte Verwandte, teilweise auch Großvaters Kameraden. Um ihnen ein Auskommen zu ermöglichen, hatte mein Großvater ihnen Positionen verliehen, auf die man wohl auch schon in der damaligen Zeit hätte verzichten können. Aber damit bekamen sie eine Aufgabe, aus der sie neues Selbstwertgefühl schöpfen konnten. Einer von ihnen war Franz Freiherr von Hallberg, den Großvater zum Kabinettchef berufen hatte. Ein anderer Hans-Harry von Selchow, der zum Protokollchef ernannt worden war. Sie kümmerten sich um Großvaters private und öffentliche Belange. Ein anderer war Martin Hauffe, ein ehemaliger Offizier, den meine Großmutter aus Sachsen kannte. Er bekam die Position des Verwaltungsleiters. Sie bildeten einen kleinen Hofstaat, der teils in Umkirch, teils bei uns im Schloss oder in Krauchenwies untergebracht war und meine Großeltern mit »Königliche Hoheit« ansprach.

Zugleich standen sie in freundschaftlicher Verbundenheit zu unserer Familie. Oft begleiteten sie meinen Großvater und meinen Vater auf die Jagd. Meine Großmutter hatte ihre ehemalige Hofdame am sächsischen Hof, Carola Bienert, geborene Gräfin von Mallorti, bei sich aufgenommen, nachdem diese aus dem russischen Besatzungsgebiet geflohen war. Carola Bienert war meiner Großmutter im Laufe der Zeit zur Freundin geworden und lebte nach dem Tod ihres Mannes noch lange in Krauchenwies in engem Verhältnis zu unserer Familie.

Für mich gehörten diese Schlossbewohner zur Normalität und ich mochte sie in der Regel gern. Am nächsten stand mir zweifellos Irene*. Sie war die Tochter meines Onkels Georg Herzog zu Mecklenburg*, genannt Georgie, und Tante Ilona Herzogin zu Mecklenburg*, Ilka genannt. Irene, die bei uns Reni hieß, war fast auf den Tag so alt wie ich und sie wurde mir im Laufe meiner frühen Kindheit so etwas wie eine Schwester, mit der ich viele schöne Erinnerungen teile. Von diesen wird später noch die Rede sein.

Auch mein Onkel Franz Joseph*, kurz Onkel Franz, lebte mit uns im Schloss. Er war Bruder meines Vaters und ein freundlicher Genosse. Leider hatte er in Sachen Familiengründung kein glückliches Händchen. Zunächst hatte er Prinzessin Fernanda von Thurn und Taxis* geheiratet. Diese Ehe wurde dann allerdings nach zwei Jahren annulliert. Ein paar Jahre später heiratete mein Onkel wieder, dieses Mal Prinzessin Diane von Bourbon-Parma*. Das Paar lebte in der Wohnung über uns. Zwei Jahre nach der Eheschließung kam Alexander zur Welt. Ich war damals fünf Jahre alt und freute mich über den Nachwuchs im Schloss. Später, als wir schon in Josefslust lebten, kam mein Vater eines Tages mit ernstem Gesicht auf uns zu: »Ich muss euch etwas erzählen!«, sagte er und bat mich und meine Brüder, uns zu setzen. »Tante Diane ist mit Alexander aus Sigmaringen verschwunden!« Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Sachverhalt damals schon in seiner Tragweite verstand. Auf jeden Fall stellte sich heraus, dass Diane mit dem Sekretär und Juristen meines Vaters, Hans-Joachim Oehmichen, durchgebrannt war und dass dieser – und eben nicht Onkel Franz der leibliche Vater von Alexander war. Das tat mir sehr leid für Onkel Franz, den meine Brüder und ich sehr mochte, nicht zuletzt, weil er immer sehr um uns Kinder bemüht gewesen war.

Hausbau Josefslust, 1956

Umzugspläne

Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, entschieden sich meine Eltern, ein Haus zu bauen. Für meine Mutter war das die Möglichkeit, sich das erste Mal in ihrem Leben ein eigenes Reich zu erschaffen. Als sie, gerade 19-jährig, meinen Vater geheiratet hatte, war das junge Paar direkt in den sogenannten Wilhelmsbau des Schlosses in Sigmaringen gezogen. Spielräume für die Verwirklichung eigener Ideen und Wünsche hatte es in der komplett ausstaffierten Wohnung nicht gegeben. Für meinen Vater war der Wunsch nach eigenen Gestaltungsräumen vielleicht weniger dringlich. Aber es hatte ihn, leidenschaftlicher Jäger, der er war, schon länger nach draußen gezogen, und so bot sich der Wildpark als Ort für einen neuen Familiensitz an. Hier stand bis zu diesem Zeitpunkt lediglich das Jagdschlösschen, das vom Förster sowie zwei Waldarbeitern bewohnt war. Aber Platz gab es natürlich reichlich und weil mit dem Schlösschen bereits die Grundlage für die Infrastruktur vorhanden war, erschien es als aussichtsreich, die Genehmigung für ein weiteres Wohnhaus zu bekommen. So unterstützten meine Großeltern die Pläne meines Vaters, in Josefslust ein Haus zu bauen, und stellten den Kontakt zu Paul Schmitthenner her, ein damals renommierter Architekt aus dem Elsass, der zunächst als Baumeister des NS-Staates in Erscheinung getreten war, sich später aber von der Partei abwandte. Schmitthenner nahm den Auftrag freudig an und so tauchte er immer mal wieder bei uns auf, um mit meinen Eltern über die Pläne zu sprechen. Wir Kinder mochten es, wenn der Architekt, stets gut gelaunt und adrett gekleidet mit Jackett und Einstecktuch, zu Besuch kam. Bisweilen beugte er sich zu uns herunter, zückte sein Einstecktuch aus seiner Tasche und formte es vor unseren Augen zu einer Maus, die er dann zu unserer großen Freude aus seiner Hand springen ließ. Von den Planungen selbst bekam ich als Kind nicht viel mit. Nur als der Architekt meinem Vater und meinem Großvater eines Tages seinen Vorentwurf und den dazugehörigen Kostenvoranschlag auf den Tisch legte, sorgte das für Wirbel, der zu uns Kindern durchdrang. Der Architekt hatte wohl gedacht, dass er sich hier mit einem großen Palast verewigen könnte, was die Vorstellungen meines Großvaters aber bei Weitem überstieg. Sowohl der Garten als auch das Haus wurden größenmäßig somit deutlich reduziert.

Immer wieder nahm mein Vater mich und meinen Bruder Albrecht mit zur Baustelle. Schon als nur eine große Baugrube zu sehen war, sagte er stolz: »Hier werden wir bald zu Hause sein!« Zwar fiel es mir schwer mir vorzustellen, wie man in so einer Grube mal wohnen können würde, aber ich spürte, was für eine Bedeutung diese Baustelle für meinen Vater hatte. Mit den wachsenden Mauern, dem Einbau von Fenstern und Fußböden wurde das Unternehmen auch für mich immer greifbarer und die Vorfreude auf den Umzug steigerte sich, je mehr das Haus Gestalt annahm.

1958–1962 Grundschulzeit • Sigmaringen und Josefslust

Wir erfinden unseren Auftrag in dieser Welt nicht, sondern wir entdecken ihn. Er liegt in uns und wartet darauf, verwirklicht zu werden. Viktor Frankl

Zum Jahreswechsel 1957/58 war es dann so weit. Als unsere Eltern Al-brecht und mich in unser neues Haus führten, waren wir überwältigt. Alles war so ganz anders als in Sigmaringen: lichte, große Räume, helle Farben, fast alle Möbel waren neu. Wir Kinder hatten einen eigenen Bereich mit verschiedenen Zimmern für uns. Im Eingangsbereich stand, für alle eintretenden Gäste gut sichtbar, ein Tisch, unter dessen Glasplatte meine Mutter einen Spruch von Romano Guardini gelegt hatte: »Das ist aller Gastfreundschaft tiefster Sinn, dass einer dem anderen Rast gebe auf dem Weg nach der ewigen Heimat«, Ausdruck der Gastfreundschaft, die in Josefslust herrschen sollte. Überhaupt machte sich eine Art Aufbruchsstimmung in unserem neuen Zuhause breit. Zunächst fühlte sich all das Neue für mich ein bisschen fremd an, aber dieses Fremdeln wich bald einem echten Glücksgefühl. Die lichtdurchfluteten Räume wirkten nach den Jahren im dunklen Schloss wie Balsam auf die Seele unserer Familie. Meine Mutter erfreute sich ganz offenkundig daran, das neue Zuhause nach ihren Vorstellungen und Wünschen zu gestalten und sie blühte dabei für uns alle spürbar auf. Für meinen Vater war es ein großer Gewinn, nun mehr Distanz zu seiner Wirkstätte und das Jagdrevier vor der Tür zu haben. Und wir Kinder genossen neben den lichten, modernen Räumen und dem Schwimmbad im eigenen Garten vor allem die Möglichkeit, zum Spielen direkt vor die Haustür treten zu können, was wir ausgiebig auskosteten.

Einweihungsfeier in Josefslust Wenige Wochen nach dem Einzug wurde eine große Housewarming-Party für Freunde und Familie veranstaltet und damit auch die Bar in unserem Keller eingeweiht. Albrecht und ich freuten uns über die vielen Gäste in unserem neuen Zuhause. Aufgeregt liefen wir zwischen den Besuchern hin und her. In der Bar spielte eine Band auf, die die Gäste mit ihren eingängigen Schlagern zum Tanzen brachte, und auch als wir zu unserem Leidwesen zu vergleichsweise früher Stunde von Dedda ins Bett gesteckt wurden, klang uns die beschwingende Musik noch in den Ohren.

Josefslust

Insgesamt waren die ersten Jahre in Josefslust eine schöne und unbeschwerte Zeit. Das Familienleben verlief im Großen und Ganzen in ruhigen Bahnen.

Albrecht und ich verbrachten viel Zeit draußen im Park. Stück für Stück kundschafteten wir den weitläufigen Wildpark aus. Immer wieder entdeckten wir neue Stellen. Besonders an zwei Orte zog es uns immer wieder hin: Einen nannten wir »das Loch«. An dieser Stelle, an der wohl früher einmal Erz geschürft worden war, war der Boden trichterförmig abgesackt. Im Winter rutschten wir mit dem Schlitten in dieses Erdloch hinein, bis wir das schaurig-schöne Gefühl hatten, vom Erdboden verschluckt worden zu sein. Diesen Spaß wiederholten wir wieder und wieder. Eine andere Lieblingsstelle im Wildpark wurde uns der Weiher, an dem wir endlose Stunden mit Spielen verbrachten. Das Wasser übte eine große Faszination auf uns aus. »Wenn wir mal schwimmen können, dann schwimmen wir im Weiher!«, versprachen wir uns damals. Aber als es dann so weit war, zog ich mir beim ersten Badeversuch einen Blutegel ans Bein und damit war das Thema Weiherbaden für mich erledigt.