Zwischen Gestern und Morgen - Rafaael Moretti - E-Book

Zwischen Gestern und Morgen E-Book

Rafaael Moretti

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Beschreibung

Zwischen Gestern und Morgen Nach dem Betrug ihres Mannes verlässt die erfolgreiche Anwältin Johanna Weber ihr Leben in München und fliegt spontan nach Santorini. Auf der griechischen Insel sucht sie Abstand und neue Perspektiven. In der atemberaubenden Kulisse der Ägäis trifft sie auf Elias, einen freien Geist und Künstler, der ihr hilft, sich selbst wiederzufinden. Zwischen Sonnenuntergängen und neuen Gefühlen entdeckt Johanna, dass wahres Glück nur dort entstehen kann, wo Mut und Herz zusammenfinden. "Zwischen Gestern und Morgen" ist ein gefühlvoller Roman über Selbstfindung, Loslassen und den Neuanfang. Ideal für alle, die emotionale Geschichten lieben und an zweite Chancen glauben

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Seitenzahl: 361

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Die Entdeckung

Ankunft auf Santorini

Die Begegnung

Das Atelier

Der Ausflug

Die Konfrontation mit der Vergangenheit

Das Atelier II

Die Party am Strand

Der Morgen danach

Die erste Nacht

Grenzen überschreiten

Der unerwartete Anruf

Die Konfrontation

Die Entscheidung

Die Konsequenzen

Die Dunkelheit

Die Rückkehr nach Deutschland

Das Wiedersehen

Die Eskalation

Der Zusammenbruch

Die Konfrontation mit sich selbst

Die Erkenntnis

Der Neuanfang

Die Freiheit

Personenverzeichnis

Nachwort

Die Entdeckung

Die ersten Sonnenstrahlen des Septembermorgens fielen durch die großen Panoramafenster des Penthauses und tauchten das minimalistische Schlafzimmer in warmes Licht. Johanna Weber öffnete langsam die Augen und tastete instinktiv nach der anderen Seite des Bettes. Leer. Wieder einmal. Sie seufzte leise und setzte sich auf, strich ihr dunkelblondes Haar zurück und warf einen Blick auf die elegante Designeruhr auf dem Nachttisch. Fünf Uhr zweiunddreißig. Zu früh zum Aufstehen, selbst für ihre Verhältnisse, aber zu spät, um noch einmal einzuschlafen.

Michael war offensichtlich gar nicht nach Hause gekommen. Wieder eine dieser "unvermeidlichen Nachtschichten", die sich in den letzten Monaten gehäuft hatten. Früher hätte sie sich Sorgen gemacht. Jetzt fühlte sie nur noch eine dumpfe Resignation.

Sie schwang ihre Beine aus dem Bett und schlüpfte in den seidenen Morgenmantel, der über dem Designer-Sessel hing. Das Heim, das sie mit Michael teilte, war ein Meisterwerk moderner Architektur – weitläufig, elegant, mit jedem erdenklichen Luxus ausgestattet und mit einem atemberaubenden Blick über München. Doch in letzter Zeit kam es ihr vor wie eine perfekt gestylte Kulisse für ein Leben, das unter der glänzenden Oberfläche langsam zerbröckelte.

In der Küche bereitete sie sich einen Espresso zu und lehnte sich gegen die kühle Marmorplatte der Kücheninsel. Fünfzehn Jahre. So lange waren sie und Michael schon verheiratet. Vom ehrgeizigen Referendar und der idealistischen Jurastudentin zum Vorzeigepaar der Münchner Rechtsszene. Die Kanzlei Weber & Weber gehörte zu den renommiertesten Adressen für Wirtschaftsrecht in Süddeutschland. Sie hatten alles erreicht, was sie sich vorgenommen hatten. Und doch...

Ihr Blick fiel auf Michaels Tablet, das er ungewöhnlicherweise auf der Kücheninsel zurückgelassen hatte. Er war normalerweise penibel darauf bedacht, seine elektronischen Geräte nie unbeaufsichtigt zu lassen. Fast wie ein Reflex streckte sie die Hand danach aus und entsperrte es. Es war keine bewusste Entscheidung, sein Privatleben auszuspionieren – sie wollte lediglich die Nachrichten überfliegen, während sie ihren Kaffee trank.

Die E-Mail-App war noch geöffnet, aber es war eine Benachrichtigung am oberen Bildschirmrand, die ihre Aufmerksamkeit erregte. Eine neue Nachricht in einer App, die sie nicht kannte. Als sie darauf tippte, öffnete sich ein verschlüsselter Messenger-Dienst. Die Nachrichten waren bereits geladen.

Vermisse dich jetzt schon. Letzte Nacht war unglaublich. L.

Johannas Hand erstarrte mitten in der Bewegung, die Kaffeetasse auf halbem Weg zu ihren Lippen. Die Nachricht war erst vor einer Stunde eingegangen. Sie starrte auf den Bildschirm, während die Implikationen langsam in ihr Bewusstsein sickerten. L. konnte nur Lisa sein, Michaels neue Assistentin, die er vor sechs Monaten eingestellt hatte. Attraktiv, ehrgeizig, zehn Jahre jünger als Johanna.

Sie scrollte durch die Unterhaltung, während sich ein dumpfes Gefühl in ihrer Magengegend ausbreitete. Die Nachrichten ließen keinen Zweifel an der Natur der Beziehung: intim, leidenschaftlich, heimlich. Dann stieß sie auf die Fotos.

Ein leises Keuchen entrang sich ihrer Kehle. Die Bilder zeigten Michael und Lisa in unmissverständlichen Situationen – in einem Hotelzimmer, das sie wiedererkannte. Es war das Luxushotel, in dem sie und Michael ihren letzten Hochzeitstag verbracht hatten, weil "es wichtig ist, die Tradition zu wahren", wie er gesagt hatte.

Mit zitternden Fingern legte Johanna das Tablet zurück, genau an die Stelle, wo sie es gefunden hatte. Sie ging zum Fenster und starrte auf die erwachende Stadt hinaus, während die Morgensonne die Glastürme in goldenes Licht tauchte. Die Welt da draußen sah noch genauso aus wie gestern, und doch war alles anders.

Die Anzeichen waren schon lange da gewesen. Die zunehmende emotionale Distanz zwischen ihnen. Die vermehrten Geschäftsreisen und Nachtschichten. Michaels plötzliches Interesse an Fitness und einer neuen Garderobe. Die oberflächlichen Gespräche, die nie mehr die Tiefe erreichten, die sie früher geteilt hatten. Und ihr eigenes stillschweigendes Akzeptieren all dessen, ihr Rückzug in die Arbeit, weil es einfacher war als die Konfrontation mit der schleichenden Entfremdung in ihrer Ehe.

Warum tut es trotzdem so weh?, fragte sie sich. Es war nicht einmal die Tatsache, dass er sie betrog, die am meisten schmerzte. Es war die Erkenntnis, dass sie es irgendwie erwartet hatte. Dass ein Teil von ihr seit langem darauf gewartet hatte, dass die Fassade endlich brach.

Das Geräusch eines Schlüssels in der Wohnungstür riss sie aus ihren Gedanken. Mit einer Selbstbeherrschung, die sie sich in jahrelanger Gerichtspraxis angeeignet hatte, wischte sie die einzelne Träne weg, die über ihre Wange gelaufen war, und nahm einen tiefen Atemzug. Ihr Gesicht im Fensterglas zeigte die kühle, kontrollierte Miene, die ihre Kollegen und Mandanten so gut kannten.

Michael betrat die Küche mit der selbstverständlichen Sicherheit eines Mannes, der gewohnt war, überall willkommen zu sein. Er sah gut aus in seinem maßgeschneiderten Anzug, das dunkle Haar leicht zerzaust, die ersten grauen Strähnen an den Schläfen verliehen ihm eine distinguierte Note. Seine Krawatte war gelockert, die obersten Knöpfe seines Hemdes geöffnet.

"Du bist schon wach," stellte er fest, während er seinen Anzug über einen Barhocker warf und sich selbst einen Espresso zubereitete. "Ich dachte, du würdest ausschlafen."

Johanna drehte sich langsam um und betrachtete ihn. Fünfzehn Jahre. Sie kannte jede Linie seines Gesichts, jede Geste, jeden Tonfall. Und doch hatte sie das Gefühl, einem Fremden gegenüberzustehen.

"Wo warst du?" Die Frage klang ruhiger, als sie sich fühlte.

Michael zuckte mit den Schultern, ohne sie anzusehen. "Die Carlson-Akte. Du weißt, wie komplex der Fall ist. Wir mussten die ganze Nacht durcharbeiten."

"Wir?"

"Lisa und ich." Er nippte an seinem Kaffee, sein Blick neutral, aber wachsam. "Sie hat ein bemerkenswertes Talent für die Details in solchen Fällen."

Johanna nickte langsam. Eine weitere Lüge zu den unzähligen kleinen Unwahrheiten, die sich in den letzten Monaten zwischen ihnen angesammelt hatten. Sie könnte ihn jetzt damit konfrontieren. Die Nachrichten und Bilder erwähnen. Eine Szene machen. Aber wozu? Ein Teil von ihr wusste, dass er leugnen würde. Oder sich entschuldigen. Versprechen machen. Und nichts davon würde etwas ändern an dem, was ihre Ehe geworden war.

Stattdessen traf sie eine Entscheidung.

"Ich nehme mir ein paar Tage frei," sagte sie, wieder mit dieser bemerkenswerten Ruhe, die nicht zu dem Sturm in ihrem Inneren passte.

Michael hob überrascht die Augenbrauen. "Frei? Mitten in der Carlson-Verhandlung?"

"Du kommst offensichtlich auch ohne mich zurecht." Sie stellte ihre Tasse in die Spülmaschine. "Ich habe gestern mit Larissa Sanchez gesprochen. Sie kann meine Termine übernehmen."

"Aber das ist doch nicht dein Ernst? Du kannst nicht einfach—"

"Zwei Wochen, Michael." Ihre Stimme wurde jetzt härter. "Ich brauche zwei Wochen für mich."

"Aber wohin willst du gehen?"

Sie hatte noch nicht darüber nachgedacht, aber die Antwort kam erstaunlich schnell. "Santorini. Ich werde heute Mittag fliegen."

"Santorini?" Verwirrung lag in seiner Stimme. "Wir wollten doch zusammen dorthin, wenn der Carlson-Fall abgeschlossen ist."

Ein bitteres Lächeln huschte über ihre Lippen. "Pläne ändern sich."

"Johanna." Er machte einen Schritt auf sie zu, sein Gesicht nun eine sorgfältig komponierte Maske der Besorgnis. "Ist alles in Ordnung? Du wirkst... anders."

Sie betrachtete ihn einen Moment lang. Der Mann, den sie geliebt hatte. Der Mann, dem sie vertraut hatte. Der Mann, der sie Stück für Stück verraten hatte, nicht nur durch seine Affäre, sondern durch die tausend kleinen Momente der Vernachlässigung und Gleichgültigkeit, die ihr vorausgegangen waren. "Nein, Michael," sagte sie schließlich leise. "Nichts ist in Ordnung. Aber das weißt du bereits, nicht wahr?"

Ohne seine Antwort abzuwarten, verließ sie die Küche und ging ins Schlafzimmer. Mit methodischer Präzision begann sie, Kleidung für zwei Wochen Santorini zusammenzustellen. Leichte Sommerkleider, Badeanzüge, ein paar elegantere Outfits für die Abende. Als sie beim Packen war, betrat Michael das Zimmer und lehnte sich gegen den Türrahmen.

"Johanna, was ist los? Wenn das wegen der vielen Arbeit in letzter Zeit ist—"

"Erspar mir das," unterbrach sie ihn ruhig, während sie weitermachte. "Wir beide wissen, dass es nicht nur um die Arbeit geht."

Michael versteifte sich kaum merklich. "Was soll das heißen?"

Sie hielt inne und sah ihn direkt an. "Dein Tablet lag in der Küche."

Die Farbe wich aus seinem Gesicht, aber er fing sich schnell wieder. "Und?"

"Der Messenger war offen. Mit Lisas Nachrichten."

Eine Sekunde lang sah sie etwas wie echte Reue in seinen Augen aufflackern, bevor sein Gesicht sich in eine defensive Maske verwandelte. "Johanna, es ist nicht das, wonach es aussieht—"

"Bitte." Sie hob eine Hand, um ihn zu stoppen. "Keine Lügen mehr. Ich habe die Fotos gesehen."

Michael schwieg einen Moment, dann seufzte er und fuhr sich mit der Hand durch sein Haar – eine Geste, die sie früher immer charmant gefunden hatte. "Es ist kompliziert. Lisa und ich... es ist nicht ernst. Es bedeutet nichts."

"Für mich schon." Johanna schloss den Koffer. "Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Über uns. Über mich. Über alles."

"Wir könnten darüber reden. Vielleicht eine Therapie—"

"Jetzt willst du reden?" Sie lachte kurz und humorlos auf. "Nach Monaten des Schweigens und der Ausflüchte?"

"Johanna, bitte. Fünfzehn Jahre wirft man nicht einfach weg."

Sie sah ihn an, plötzlich unendlich müde. "Das hättest du bedenken sollen, bevor du unsere Ehe weggeworfen hast."

Er trat auf sie zu, versuchte ihre Hand zu nehmen, aber sie wich zurück. "Es tut mir leid," sagte er leise. "Wirklich. Wir können das in Ordnung bringen. Lass mich mitkommen nach Santorini. Wir reden dort, fernab von allem."

Für einen kurzen Moment war sie versucht, nachzugeben. Es wäre so viel einfacher, die Augen zu verschließen, so zu tun, als könnte alles wieder gut werden. Weiter die perfekte Fassade aufrechtzuerhalten. Aber etwas in ihr hatte sich verändert in dem Moment, als sie die Nachrichten gelesen hatte. Ein Damm war gebrochen, und die Erkenntnis strömte unaufhaltsam herein: Sie verdiente mehr als das.

"Nein," sagte sie fest. "Ich fahre allein. Und wenn ich zurückkomme, werden wir entscheiden, wie es weitergeht."

"Du willst dich trennen?" Seine Stimme klang ungläubig.

"Ich weiß nicht, was ich will," antwortete sie ehrlich. "Das ist der Punkt. Ich muss herausfinden, was ich will – nicht was wir als Paar wollen, nicht was die Kanzlei braucht, nicht was von der erfolgreichen Anwältin Johanna Weber erwartet wird. Sondern was ich, als Person, als Frau, wirklich will."

Michael starrte sie an, als sähe er sie zum ersten Mal. Vielleicht tat er das auch. Vielleicht hatte er die Frau, die sie geworden war, die Frau jenseits der Rolle der perfekten Ehefrau und Karrierefrau, schon lange nicht mehr wirklich gesehen.

"Ich rufe ein Taxi zum Flughafen," sagte sie und nahm ihr Handy. "Ich melde mich, wenn ich angekommen bin."

Er nickte langsam, offensichtlich noch immer aus dem Gleichgewicht gebracht von dieser neuen, entschlossenen Version seiner Frau. "In Ordnung," sagte er schließlich. "Pass auf dich auf."

Drei Stunden später saß Johanna im Flugzeug nach Santorini, ihr Blick auf die Wolken unter ihr gerichtet. Als das Flugzeug über die Alpen flog, meldete sich ihr Handy mit einer Nachricht von Michael.

Es tut mir leid, dass du es so herausfinden musstest. Vielleicht ist dieser Abstand genau das, was wir beide brauchen.

Keine wirkliche Entschuldigung. Keine Erklärung. Keine Bitte um Vergebung. Nur die unterschwellige Andeutung, dass auch sie irgendwie Schuld trage an dem, was geschehen war.

Johanna schaltete ihr Handy aus und schloss die Augen. Der Schmerz war noch da, aber er hatte sich verändert. War klarer geworden. Und unter dem Schmerz spürte sie etwas anderes: eine seltsame, fast erschreckende Freiheit. Zum ersten Mal seit Jahren – vielleicht sogar zum ersten Mal überhaupt – gehörten die nächsten zwei Wochen ihres Lebens ganz allein ihr. Keine Erwartungen. Keine Verpflichtungen. Nur sie und die unbekannten Möglichkeiten, die vor ihr lagen.

Als das Flugzeug zur Landung ansetzte und die schroffe, vulkanische Landschaft Santorinis unter ihr auftauchte, umgeben vom tiefblauen Ägäischen Meer, fasste Johanna einen Entschluss: Sie würde diese Zeit nutzen, um sich selbst wiederzufinden. Die Frau, die sie einmal sein wollte, bevor das Leben, die Karriere und die Ehe sie in eine Form gepresst hatten, die nicht mehr zu ihr passte.

Was sie nicht ahnen konnte: Diese Reise würde sie weiterführen, als sie je zu träumen gewagt hätte.

Ankunft auf Santorini

Das kleine Flugzeug setzte sanft auf der Landebahn des Flughafens von Santorini auf. Johanna blinzelte, als die grelle Mittagssonne durch die Fenster flutete. Die Helligkeit stand in scharfem Kontrast zu der Düsterkeit ihrer Gedanken während des Fluges. Sie hatte fünf Stunden damit verbracht, zwischen Wut, Schmerz und einer seltsamen, unerwarteten Erleichterung zu pendeln. Mit jeder Flugmeile, die sie von München entfernte, hatte sich das Gewicht auf ihrer Brust ein wenig gelockert. Als hätte die physische Distanz auch eine emotionale Distanz geschaffen, die es ihr ermöglichte, klarer zu sehen.

Der Ausstieg aus dem Flugzeug traf sie mit einer Welle heißer, salziger Luft. Johanna atmete tief ein, ließ den Geruch des Meeres ihre Lungen füllen. Etwas daran war berauschend – vielleicht die Freiheit, vielleicht die Fremdheit, vielleicht beides.

Im kleinen, überfüllten Terminal erledigte sie die Formalitäten mit der mechanischen Effizienz, die ihr im Berufsleben so oft gedient hatte. Erst als sie im Taxi saß, das sie zu ihrer Unterkunft bringen sollte, erlaubte sie sich, die Umgebung wirklich wahrzunehmen.

Die Straße wand sich in Serpentinen an der Klippe entlang. Rechts das endlose Blau der Ägäis, so intensiv, dass es fast unwirklich erschien. Links die schroffe Vulkanlandschaft mit ihren schwarzen Felsen und den vereinzelten Büschen, die trotzig in der kargen Erde wuchsen. Dazwischen, wie Schneekappen auf einem dunklen Berg, die weißgetünchten Häuser und Kirchen mit ihren charakteristischen blauen Kuppeln.

"Erste Mal auf Santorini?" Der Taxifahrer, ein älterer Mann mit wettergegerbtem Gesicht, blickte sie durch den Rückspiegel an.

"Ja," antwortete Johanna. "Der erste Besuch."

"Alleine reisen?" Es war eine unschuldige Frage, aber sie traf einen wunden Punkt.

"Ja, alleine."

Der Mann nickte anerkennend. "Gut. Santorini am besten alleine erleben. Oder mit jemandem, den man wirklich liebt." Er lachte herzlich. "Zu viele Paare hier, die nicht mehr miteinander reden."

Seine unbeabsichtigte Scharfsicht ließ Johanna schwach lächeln. "Dann bin ich wohl besser dran als sie."

Das Taxi bog auf einen kleinen Privatweg ab und hielt vor einem schmiedeeisernen Tor. "Hier sind wir – Villa Aphrodite. Eine der schönsten Aussichten der Insel."

Johanna bezahlte die Fahrt und stand dann mit ihrem Koffer vor dem Eingang der Villa, die sie in einer spontanen, fast trotzigen Entscheidung gebucht hatte. Der Preis hatte ihre Kreditkarte an ihre Grenzen gebracht, aber in diesem Moment hatte sie das Gefühl gehabt, sich etwas schuldig zu sein. Etwas, das nur für sie war.

Eine freundliche Hausdame mittleren Alters empfing sie und führte sie durch das Anwesen. Die Villa war ein Traum aus weißem Marmor, natürlichem Holz und großen Fenstern, die das Licht und die Aussicht ins Innere holten. Das Herzstück war eine weitläufige Terrasse mit einem Infinity Pool, der nahtlos in das Blau des Meeres überzugehen schien.

"Sie haben Glück," sagte die Hausdame mit einem verschmitzten Lächeln. "Normalerweise ist diese Villa Monate im Voraus ausgebucht. Aber die Hochzeit des vorherigen Paares wurde abgesagt – eine dramatische Geschichte." Sie senkte die Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. "Er hat sie mit der Brautjungfer betrogen."

Johanna zuckte zusammen, und die Hausdame schlug sich beschämt die Hand vor den Mund. "Oh, Entschuldigung. Das war taktlos."

"Nein, schon gut." Johanna rang sich ein Lächeln ab. "Die Ironie des Schicksals, nehme ich an."

Nach einer kurzen Führung durch die Villa und einigen praktischen Informationen über die Insel ließ die Hausdame sie allein. Johanna trat auf die Terrasse hinaus und ließ ihren Blick über das Panorama schweifen. Die Villa lag in Imerovigli, einem der malerischsten Dörfer der Insel, hoch auf den Klippen mit einem direkten Blick auf die Caldera – den gewaltigen, wassergefüllten Vulkankrater, der dem Ausbruch vor Jahrtausenden seine Entstehung verdankte.

Die Sonne stand hoch am Himmel, und das Licht reflektierte auf dem Wasser in Millionen kleiner Diamanten. Es war ein Anblick, der einen sprachlos machen konnte, der eine körperliche Reaktion hervorrief – ein Ziehen in der Brust, als wolle das Herz sich ausdehnen, um all diese Schönheit zu fassen.

Sie hatte sich diese Reise so oft mit Michael vorgestellt. Sie hatten darüber gesprochen, irgendwann herzukommen, wenn sie beide Zeit hätten, wenn der richtige Fall abgeschlossen wäre, wenn die Kanzlei es zuließ. Immer "wenn". Nie "jetzt". Und nun war sie hier, allein. Die Ironie war nicht zu übersehen.

Mit einem Seufzen ging sie ins Schlafzimmer zurück und begann, ihren Koffer auszupacken. Dabei fiel ihr Blick auf ihr Handy, das sie seit der Landung ignoriert hatte. Sie nahm es zur Hand und schaltete es ein. Sofort meldeten sich mehrere Nachrichten.

Drei waren von Michael. Die erste fragte, ob sie gut angekommen sei. Die zweite klang schon besorgter. Die dritte enthielt eine Mischung aus Besorgnis und subtilen Vorwürfen.

Johanna, bitte melde dich. Ich verstehe, dass du wütend bist, aber dieses Schweigen ist kindisch.

Sie starrte auf den Bildschirm, las die Nachricht ein zweites Mal. Kindisch. Nach fünfzehn Jahren Ehe, nach seinem Betrug, wagte er es, ihr Verhalten als "kindisch" zu bezeichnen? Eine Welle von Wut stieg in ihr auf, heiß und überwältigend.

Mit zitternden Fingern tippte sie eine Antwort.

Bin gut angekommen. Brauche Zeit für mich. Bitte respektiere das.

Sie schickte die Nachricht ab und legte das Handy beiseite, bevor sie etwas schrieb, das sie später bereuen würde. Die restlichen Nachrichten – einige von besorgten Kollegen, eine von ihrer Schwester – würde sie später beantworten.

Johanna beendete das Auspacken, wusch sich das Gesicht und beschloss, die Insel zu erkunden. Sie zog ein leichtes Sommerkleid an, das ihre gebräunten Beine betonte, und streifte Sandalen über. Vor dem Spiegel betrachtete sie ihr Spiegelbild. Die Frau, die zurückblickte, sah seltsam fremd aus. Dieselben dunkelblonden Haare, die gleichen graugrünen Augen, die markanten Wangenknochen – und doch war da etwas anderes, etwas Verletzliches und gleichzeitig Entschlossenes in ihrem Blick. Als sie die Villa verließ, hatte die Intensität der Mittagshitze bereits etwas nachgelassen. Johanna folgte dem gewundenen Pfad, der vom Privatgrundstück hinunter ins Dorf führte. Imerovigli war ein Labyrinth aus engen Gassen, weißen Häusern und blauen Kuppeln, verbunden durch steile Treppen, die sich an die Klippen schmiegten. Überall blühten Bougainvilleas in leuchtenden Pink- und Lilatönen.

Sie ließ sich treiben, ohne Ziel, ohne Plan – etwas, das sie sonst nie tat. Johanna Weber hatte immer einen Plan. Bei der Arbeit, im Leben, selbst im Urlaub. Alles war durchdacht, strukturiert, effizient. Diese ziellose Wanderung war ein kleiner Akt der Rebellion gegen ihre übliche Natur. Und es fühlte sich... befreiend an.

Nach einer Weile führte der Weg sie zu einer kleinen Taverne, die auf einer Terrasse mit atemberaubendem Blick auf die Caldera thronte. Holztische mit blauen Stühlen standen im Schatten einer Pergola, von der Weinreben herabhingen. Ein perfekter Ort für einen späten Mittagsimbiss.

Johanna setzte sich an einen Tisch am Rand und bestellte einen griechischen Salat und ein Glas Weißwein. Während sie wartete, ließ sie ihren Blick über die anderen Gäste schweifen. Hauptsächlich Paare. Junge Verliebte, die Händchen hielten und sich verträumt in die Augen sahen. Ältere Paare, die in komfortabler Stille nebeneinandersaßen. Und dazwischen einige, die schweigend ihr Essen teilten, mit gelangweilten oder angespannten Gesichtern – die Paare, von denen der Taxifahrer gesprochen hatte.

Ihr Essen kam, und Johanna wandte ihre Aufmerksamkeit dem erfrischenden Salat zu. Die Tomaten waren süßer als alles, was sie in Deutschland gekostet hatte, der Feta cremig und würzig, die Oliven vollmundig und salzig. Sie genoss jeden Bissen, überrascht von ihrer eigenen Fähigkeit, trotz der emotionalen Turbulenzen Freude an etwas so Einfachem wie Essen zu finden.

Als sie gerade ihr Weinglas hob, vibrierte ihr Handy in ihrer Tasche. Sie ignorierte es. Dann noch einmal. Und noch einmal. Mit einem Seufzen zog sie es heraus.

Michael rief an.

Ihr erster Impuls war, den Anruf anzunehmen. Es war eine tief verwurzelte Gewohnheit – immer erreichbar zu sein, immer zu reagieren, immer funktionieren zu müssen. Aber dann erinnerte sie sich an den Grund, warum sie hier war. An die Nachrichten. An die Fotos. An seine "kindischen" Vorwürfe.

Sie ließ das Handy klingeln, bis es verstummte. Dann schaltete sie es ganz aus.

Der Kellner, ein junger Mann mit einem freundlichen Lächeln, kam vorbei, um nachzusehen, ob alles in Ordnung war. "Ist das Essen gut?"

"Sehr gut, danke." Sie erwiderte sein Lächeln.

"Sie sehen aus, als könnten Sie ein zweites Glas Wein gebrauchen," bemerkte er mit einem Augenzwinkern.

Johanna lachte leise. "Ist das so offensichtlich?"

"Nur für jemanden, der täglich Hunderte von Touristen sieht. Die meisten kommen hierher, um zu vergessen oder um zu feiern. Sie scheinen zur ersten Gruppe zu gehören."

"Da haben Sie recht." Sie neigte ihr Glas in seine Richtung. "Dann nehme ich gerne noch eines."

Als er das zweite Glas brachte, blieb er einen Moment länger stehen als nötig. "Wenn Sie einen Tipp möchten – der beste Ort, um etwas zu vergessen, ist der Strand von Kamari nach Sonnenuntergang. Schwarzer Sand, warmes Wasser, und kaum Menschen, wenn die Tagestouristen weg sind."

"Danke für den Tipp," sagte Johanna. "Vielleicht versuche ich das heute Abend."

Der Nachmittag verging in einer seltsamen, traumähnlichen Qualität. Nach dem Essen schlenderte Johanna weiter durch die verschlungenen Gassen, besichtigte kleine Boutiquen und Kunstgalerien, hielt immer wieder an, um die Aussicht zu bewundern. Sie kaufte ein lokales Kunstwerk – eine kleine Keramik in Form eines Fisches in leuchtenden Blautönen. Es war ein impulsiver Kauf, nicht durchdacht, nicht nützlich – einfach etwas, das ihr gefiel. Ein weiterer kleiner Akt der Rebellion.

Als die Sonne sich dem Horizont näherte, kehrte sie zur Villa zurück. Die Hausdame hatte einige lokale Spezialitäten für das Abendessen vorbereitet und im Kühlschrank hinterlassen, zusammen mit einer Flasche Wein. Johanna nahm beides mit auf die Terrasse und ließ sich in einen der bequemen Loungesessel fallen.

Die Sonne versank langsam im Meer, verwandelte den Himmel in ein spektakuläres Schauspiel aus Orange, Pink und Gold. Es war einer jener Momente, in denen die Schönheit der Welt fast schmerzhaft intensiv war.

Plötzlich, mitten in diesem atemberaubenden Sonnenuntergang, überkam Johanna eine Welle von Traurigkeit, so heftig, dass ihr die Luft wegblieb. Nicht wegen Michael, nicht wegen des Betrugs – sondern wegen all der verpassten Momente wie diesen. Wie viele Sonnenuntergänge hatte sie nicht gesehen, weil sie zu beschäftigt war, zu müde, zu abgelenkt? Wie viele Augenblicke purer Schönheit hatte sie versäumt, während sie im Büro saß, Akten durcharbeitete, Erfolg und Anerkennung jagte?

Sie umklammerte ihr Weinglas fester, als eine einzelne Träne über ihre Wange lief. Diese Erkenntnis war vielleicht schmerzhafter als die Entdeckung von Michaels Untreue: dass sie nicht nur von ihm betrogen worden war, sondern auch von sich selbst. Sie hatte ihr eigenes Leben verraten, ihre eigenen Träume, ihre eigene Freude – alles für eine Karriere, eine Ehe, ein Image, das nun wie ein Kartenhaus zusammenbrach.

Als die letzten Sonnenstrahlen verschwanden und der Himmel in ein tiefes Indigoblau überging, traf Johanna eine Entscheidung. Sie würde diese zwei Wochen nicht damit verbringen, über Michael oder die Zukunft ihrer Ehe nachzudenken. Stattdessen würde sie sich auf sich selbst konzentrieren. Auf die Frau, die sie einmal gewesen war, bevor das Leben sie in eine Form gepresst hatte, die nicht ihre eigene war. Auf die Frau, die sie vielleicht noch werden könnte.

Sie nahm ihr Handy und schaltete es wieder ein, nur um eine kurze Nachricht an ihre Schwester zu senden.

Mir geht es gut. Brauche etwas Zeit für mich. Melde mich, wenn ich zurück bin.

Dann schaltete sie es wieder aus und legte es beiseite.

Der Tipp des Kellners fiel ihr wieder ein. Der Strand von Kamari. Warum nicht? Sie hatte die ganze Nacht vor sich, und die Vorstellung, allein am Meer zu sein, unter dem Sternenhimmel, war verlockend.

Sie zog ihr Kleid aus und schlüpfte in einen Badeanzug, warf sich ein leichtes Tuch über die Schultern und nahm die Schlüssel zur Villa. Die Hausdame hatte ihr erklärt, wie sie einen Mietwagen bestellen konnte, aber für heute Abend entschied sie sich für ein Taxi.

Zwanzig Minuten später stieg sie am Strand von Kamari aus. Der Fahrer bot an, auf sie zu warten, aber sie lehnte ab. "Ich rufe an, wenn ich zurückwill."

Der Strand war, wie der Kellner versprochen hatte, fast menschenleer. Der schwarze Vulkansand fühlte sich warm unter ihren Füßen an, absorierte die Hitze des Tages und gab sie nun langsam wieder ab. Das Meer rauschte sanft, die Wellen glitzerten im schwachen Licht der Strandbars, die in der Ferne wie bunte Lichterketten aussahen.

Johanna breitete ihr Tuch auf dem Sand aus und setzte sich. Der Moment erinnerte sie an ihre Studentenzeit, als sie manchmal nachts zum See gefahren war, allein, um nachzudenken oder einfach nur, um dem Druck des Studiums zu entfliehen. Damals hatte sie solche Momente geliebt – diese stille Gemeinschaft mit sich selbst und der Natur. Wann hatte sie aufgehört, solche Dinge zu tun?

Sie schlüpfte aus ihren Sandalen und ging zum Wasser. Die ersten Wellen, die über ihre Füße schwappten, waren überraschend warm. Ohne weiter nachzudenken, ging sie tiefer hinein, bis das Wasser ihre Knie umspülte, dann ihre Hüften. Mit einem tiefen Atemzug tauchte sie ganz ein.

Das Wasser umhüllte sie wie eine zweite Haut, warm und salzig. Sie schwamm einige Züge hinaus, dann drehte sie sich auf den Rücken und ließ sich treiben, den Blick auf den Sternenhimmel gerichtet. Hier, weit weg von den Lichtern der Stadt, waren die Sterne so klar und zahlreich, dass es den Atem raubte.

Johanna spürte, wie sich etwas in ihr löste – ein Knoten der Anspannung, den sie so lange mit sich herumgetragen hatte, dass sie ihn kaum noch bemerkte. In diesem Moment schwebend zwischen Himmel und Meer, fühlte sie sich seltsam zeitlos. Nicht mehr die erfolgreiche Anwältin, nicht mehr die betrogene Ehefrau – einfach nur ein Mensch unter dem unendlichen Sternenzelt.

Als sie schließlich aus dem Wasser stieg, tropfnass und mit salzverkrusteter Haut, fühlte sie sich leichter. Es war, als hätte das Meer einen Teil ihrer Sorgen weggewaschen, zumindest vorübergehend.

Sie wickelte sich in ihr Tuch und setzte sich wieder auf den Sand. Von einer der entfernten Strandbars wehte leise Musik herüber, die melancholischen Klänge einer Bouzouki vermischten sich mit dem Rauschen der Wellen.

Johanna Weber, die immer einen Plan hatte, die immer wusste, was als Nächstes zu tun war, gab sich dem Moment hin. Morgen würde sie anfangen, wirklich nachzudenken, zu planen, zu entscheiden. Aber heute Nacht erlaubte sie sich einfach nur, zu sein.

Als sie einige Stunden später zur Villa zurückkehrte, fiel sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf – den ersten seit der Entdeckung von Michaels Betrug. Ihr letzter Gedanke, bevor der Schlaf sie übermannte, war überraschend klar:

Dies war nicht das Ende, sondern vielleicht erst der wahre Anfang.

Die Begegnung

Der nächste Morgen begrüßte Johanna mit strahlend blauem Himmel und Sonnenlicht, das durch die halb geöffneten Vorhänge fiel. Sie hatte tiefer geschlafen als in den Wochen zuvor, ein traumloser Schlaf, aus dem sie erfrischt erwachte. Ihr erster Gedanke galt nicht Michael oder der Kanzlei – eine willkommene Abwechslung.

Nach einer erfrischenden Dusche und einem leichten Frühstück auf der Terrasse beschloss sie, sich einen Mietwagen zu besorgen. Sie wollte die Insel erkunden, abseits der üblichen Touristenpfade. Die Hausdame hatte einen kleinen Jeep für sie organisiert – perfekt für die schmalen, gewundenen Straßen Santorinis.

Johanna trug ein luftiges weißes Kleid, das im leichten Meereswind um ihre Beine wehte, und eine große Sonnenbrille. Ihre Haare hatte sie zu einem losen Knoten hochgesteckt. Das Spiegelbild in der Fensterscheibe zeigte eine Frau, die sie kaum wiedererkannte – entspannter, jünger wirkend, fast sorglos.

Sie fuhr langsam die Küstenstraße entlang, hielt immer wieder an, um die atemberaubenden Ausblicke zu genießen. Um die Mittagszeit erreichte sie Oia, das malerischste Dorf der Insel. Weiße Häuser und blaue Kuppeln schmiegten sich an die Klippen, ein Postkartenmotiv, das in der Realität noch beeindruckender wirkte.

Die engen Gassen waren überfüllt mit Touristen, also beschloss Johanna, ein ruhigeres Plätzchen zu suchen. Sie fand ein kleines Café abseits der Hauptstraße, mit einer Terrasse, die einen spektakulären Blick über die Caldera bot.

„Eine perfekter Aussichtspunkt zum Zeichnen," bemerkte eine männliche Stimme neben ihr, als sie gerade ihren Cappuccino bestellte.

Johanna drehte sich um und blickte in die intensivsten blauen Augen, denen sie je begegnet war. Der Mann war etwa in ihrem Alter, vielleicht etwas jünger, mit sonnengebräunter Haut und dunklen, leicht zerzausten Haaren. Er trug ein einfaches weißes Leinenhemd und ausgewaschene Jeans, beide mit feinen Farbspuren bedeckt. In seiner Hand hielt er ein abgenutztes Skizzenbuch.

„Zeichnen Sie?" fragte sie, überrascht von ihrer eigenen Offenheit gegenüber einem Fremden.

Er lachte, ein warmes, einladendes Geräusch. „Das würde meine Galeristin sicherlich behaupten. Ich nenne es eher 'verzweifelter Versuch, das Licht einzufangen'." Er deutete auf den freien Stuhl an ihrem Tisch. „Darf ich? Die Plätze hier sind rar, und diese Perspektive ist besonders gut."

Johanna zögerte nur einen Moment. In München hätte sie höflich abgelehnt. Johanna Weber, die sie dort war, hielt Fremde auf Distanz, pflegte eine professionelle Fassade. Aber hier, auf dieser Insel, in dieser merkwürdigen Zwischenzeit ihres Lebens, schienen andere Regeln zu gelten.

„Gerne," sagte sie und deutete auf den Stuhl.

„Elias Stavros," stellte er sich vor und reichte ihr die Hand.

„Johanna Weber," erwiderte sie und spürte eine ungewohnte Wärme bei der Berührung seiner Hand.

Er bestellte einen griechischen Kaffee und öffnete sein Skizzenbuch. „Urlauberin oder auf der Flucht?" Sie verschluckte sich fast an ihrem Cappuccino. „Wie bitte?"

Elias lächelte entschuldigend. „Tut mir leid, das war zu direkt. Berufskrankheit – ich beobachte Menschen. Und Sie sehen nicht aus wie die typische Touristin, die Selfies vor Sonnenuntergängen macht."

Johanna betrachtete ihn einen Moment, abwägend. Es gab etwas an ihm, das Vertrauen erweckte – vielleicht die Offenheit seines Blicks, vielleicht die entspannte Art, mit der er dasaß, als gehöre er vollkommen hierher.

„Beides, vielleicht," antwortete sie schließlich. „Urlaub und... eine Art Flucht."

Er nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. „Diese Insel zieht Menschen an, die etwas suchen oder vor etwas davonlaufen. Manchmal beides gleichzeitig." Seine Hände begannen, fast automatisch über das Papier zu gleiten, skizzierten mit wenigen, sicheren Strichen die Linien der Caldera vor ihnen.

„Und was ist mit Ihnen?" fragte Johanna, fasziniert von der Leichtigkeit, mit der er zeichnete. „Einheimischer oder Aussteiger?"

Er lachte wieder. „Beides. Mein Vater war Grieche, meine Mutter Deutsche. Ich bin hier aufgewachsen, ging dann nach Berlin zum Studium und kehrte vor etwa fünf Jahren zurück. Also ein Einheimischer mit Aussteiger-Tendenzen."

„Sie haben in Berlin studiert?"

„Kunst an der UdK. Ein Kulturschock nach dem Inselleben, aber genau das brauchte ich damals." Er blickte kurz von seiner Zeichnung auf. „Und Sie? Was machen Sie, wenn Sie nicht gerade vor etwas davonlaufen?"

„Ich bin Anwältin," antwortete sie. „Wirtschaftsrecht, in München."

Elias pfiff anerkennend. „Beeindruckend. Und anstrengend, nehme ich an."

„Es kann... vereinnahmend sein," gab sie zu.

„Das erklärt die Spannung in Ihren Schultern," bemerkte er beiläufig, während er weiterzeichnete. „Sie tragen das Gewicht der Welt da oben."

Johanna spürte, wie sie errötete. Es war lange her, dass jemand sie so direkt angesprochen hatte, so ohne den respektvollen Abstand, den ihr beruflicher Status normalerweise schuf. Es war irritierend und seltsam erfrischend zugleich.

„Ist das Teil Ihrer Künstlerausbildung? Menschen ungefragt zu analysieren?" Der Sarkasmus in ihrer Stimme war milder, als sie beabsichtigt hatte.

Elias blickte auf, seine Augen trafen ihre mit einer Intensität, die ihr den Atem raubte. „Entschuldigung. Manchmal vergesse ich die Grenzen. Eine weitere Berufskrankheit." Er drehte sein Skizzenbuch zu ihr. „Friedensangebot?"

Die Zeichnung war verblüffend – mit wenigen präzisen Linien hatte er die Landschaft vor ihnen eingefangen, das Spiel von Licht und Schatten, die majestätische Kurve der Caldera. Aber was Johanna wirklich überraschte: Am Rand hatte er sie skizziert, ihr Profil gegen den Himmel, eine nachdenkliche Frau mit einer seltsamen Mischung aus Stärke und Verletzlichkeit in ihrer Haltung.

„Sie haben mich gezeichnet," stellte sie fest, unsicher, ob sie geschmeichelt oder verärgert sein sollte.

„Nur am Rande," erwiderte er mit einem schiefen Lächeln. „Sie passen perfekt in die Landschaft. Diese Insel steht Ihnen."

Ihre Augen begegneten sich über dem Tisch, und für einen kurzen Moment spürte Johanna etwas, das sie lange nicht mehr gefühlt hatte – ein Flattern in der Magengrube, eine leichte Hitze, die über ihre Haut kroch. Es war beunruhigend und aufregend zugleich.

Sie räusperte sich und blickte weg. „Sie sind gut. In Ihrem Beruf, meine ich."

„Danke." Er nahm das Skizzenbuch zurück, betrachtete das Bild kritisch. „Aber es fängt nicht alles ein. Das Licht hier ist besonders herausfordernd – es verändert sich ständig, je nach Tageszeit. Um es wirklich zu verstehen, müsste man es zu verschiedenen Zeiten sehen."

„Ist das eine Einladung?" Die Worte waren heraus, bevor Johanna sie zurückhalten konnte.

Elias blickte auf, überrascht, dann lächelte er langsam. „Wäre es so schlimm, wenn es eine wäre?"

Johanna fühlte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte. Was tat sie hier? Flirtete sie mit einem Fremden, kaum zwei Tage nachdem sie entdeckt hatte, dass ihr Mann sie betrog? Andererseits – was hatte sie zu verlieren?

„Nein," sagte sie schließlich. „Es wäre nicht schlimm."

„Gut." Sein Lächeln vertiefte sich. „Dann lade ich Sie ein, heute Abend mit mir den Sonnenuntergang anzusehen. Nicht hier – zu viele Touristen. Ich kenne einen Ort, den die meisten Besucher nie entdecken."

Die alte Johanna hätte abgelehnt. Zu riskant, zu impulsiv, zu unvernünftig. Aber die Frau, die sie hier auf Santorini zu werden begann, nickte.

„Gerne."

Der Rest des Mittagessens verging in überraschend angeregter Unterhaltung. Elias erzählte von seinem Leben als Künstler, von den Herausforderungen, seine deutsche Präzision mit der griechischen Gelassenheit zu vereinbaren, von seinen Reisen. Johanna berichtete von ihrer Arbeit, allerdings in einer Weise, wie sie es selten tat – nicht die glanzvolle Erfolgsgeschichte, die sie normalerweise präsentierte, sondern ehrlicher, mit den Schattenseiten, den Zweifeln.

Als sie schließlich aufbrachen, tauschten sie Nummern aus.

„Ich hole Sie gegen sechs Uhr ab," sagte Elias. „Tragen Sie bequeme Schuhe – der Weg ist etwas anspruchsvoll."

„Soll ich etwas mitbringen?"

„Nur sich selbst." Er hielt einen Moment inne. „Und vielleicht die Bereitschaft, die Dinge anders zu sehen."

Mit diesen rätselhaften Worten verabschiedete er sich, ließ Johanna mit einem seltsamen Gefühl der Vorfreude zurück, das sie seit langem nicht mehr gespürt hatte.

Sie verbrachte den Nachmittag damit, die Boutiquen und Galerien von Oia zu erkunden, doch ihre Gedanken kehrten immer wieder zu den intensiven blauen Augen und dem überraschend tiefgründigen Gespräch zurück. Es war lange her, dass sie sich so mühelos mit jemandem unterhalten hatte – ohne die ständige Selbstzensur, die ihre beruflichen und gesellschaftlichen Kontakte prägten.

Gegen fünf Uhr kehrte sie zur Villa zurück, um sich frisch zu machen. Sie duschte, wusch sich die Hitze und den Staub des Tages ab und stand dann unschlüssig vor ihrem offenen Koffer. Was trug man zu einem privaten Sonnenuntergang mit einem attraktiven Fremden?

Schließlich entschied sie sich für eine schlichte schwarze Leinenhose und eine cremefarbene Bluse aus leichter Seide, dazu flache, aber robuste Sandalen. Sie trug nur minimales Make-up auf und ließ ihr Haar offen über ihre Schultern fallen. Der Spiegel zeigte eine Frau, die gleichzeitig vertraut und fremd wirkte – ihre Züge waren dieselben, aber etwas in ihren Augen hatte sich verändert.

Pünktlich um sechs Uhr klingelte es an der Tür der Villa. Elias stand davor, in Khakihosen und einem dunkelblauen Hemd, dessen Farbe seine Augen noch intensiver erscheinen ließ. Er hielt einen kleinen Korb in der Hand.

„Bereit für ein Abenteuer?" fragte er mit einem Lächeln, das ihre Knie seltsam weich werden ließ.

„Das kommt darauf an, was du unter Abenteuer verstehst," erwiderte sie, bewusst zum Du übergehend.

Sein Lächeln vertiefte sich. „Nichts Gefährliches. Nur ein Ort, der dir vielleicht eine neue Perspektive geben könnte."

Sie folgte ihm zu einem alten Jeep, der deutlich mehr Charakter als Komfort besaß. Die Fahrt führte sie weg von den touristischen Zentren, über schmale, gewundene Straßen, die sich durch Weinberge und karge Landschaften schlängelten. Nach etwa zwanzig Minuten hielt Elias an einer unscheinbaren Stelle am Straßenrand.

„Von hier aus müssen wir zu Fuß weiter," erklärte er und nahm den Korb vom Rücksitz.

Ein schmaler Pfad führte vom Straßenrand weg, zuerst durch niedriges Buschwerk, dann über felsigen Grund. Elias bot ihr seine Hand an, als der Weg steiler und unebener wurde, und Johanna nahm sie ohne zu zögern. Seine Finger waren warm und stark, und sie spürte eine unerwartete Vertrautheit in dieser einfachen Berührung.

Nach etwa zehn Minuten Fußmarsch erreichten sie eine kleine, natürliche Plattform an der Klippe, abseits aller Wege. Der Ausblick war atemberaubend – die gesamte Caldera lag vor ihnen, das tiefblaue Meer glitzerte im Licht der sinkenden Sonne, und in der Ferne waren die weißen Häuser von Thira und Oia zu sehen.

„Das ist..." Johanna fehlten die Worte.

„Ich weiß," sagte Elias einfach. Er breitete eine Decke auf dem Boden aus und begann, den Inhalt des Korbs auszupacken – eine Flasche Wein, etwas Brot, lokalen Käse, Oliven und frische Feigen. „Nicht so elegant, wie du es vielleicht gewohnt bist, aber authentisch."

„Es ist perfekt," sagte sie aufrichtig und ließ sich auf der Decke nieder.

Elias öffnete den Wein und reichte ihr ein Glas. „Auf neue Perspektiven."

Sie stießen an und Johanna nahm einen Schluck. Der Wein war überraschend gut, trocken und fruchtig.

„Von der Insel," erklärte Elias. „Die Vulkanerde gibt ihm einen besonderen Charakter."

Sie saßen Seite an Seite, genossen den Wein und die kleinen Köstlichkeiten, während die Sonne langsam Richtung Horizont sank. Das Gespräch floss mühelos, abwechselnd tiefgründig und leicht. Elias erzählte von seiner Kunst, von der Herausforderung, das Licht einzufangen, das Wesen eines Moments festzuhalten.

„Das ist es, was mich fasziniert," sagte er, während sein Blick über die Landschaft schweifte. „Nicht die Dinge selbst, sondern wie das Licht sie verändert, wie es ihnen Leben einhaucht."

„Ich glaube, ich verstehe das," erwiderte Johanna. „In meinem Beruf geht es auch um Perspektiven – darum, Fakten in das richtige Licht zu rücken."

„Mit dem Unterschied, dass du versuchst zu überzeugen, während ich versuche zu enthüllen," bemerkte er mit einem Schmunzeln.

Sie lachte. „Touché. Obwohl ich hoffe, dass ich auch manchmal die Wahrheit enthülle."

„Was hat dich zur Juristerei gebracht?" fragte er, während er ihr Glas nachfüllte.

Johanna schaute einen Moment aufs Meer hinaus. „Der Wunsch nach Klarheit, nach Regeln, die Sinn ergeben. Nach Gerechtigkeit, so naiv das klingen mag." Sie lächelte selbstironisch. „Die Realität ist natürlich komplizierter."

„Das ist sie immer," stimmte er zu. „Aber der ursprüngliche Impuls bleibt wichtig. Er ist wie der Nordstern – selbst wenn man den Kurs ändern muss, gibt er Orientierung."

Die Sonne berührte nun den Horizont, tauchte alles in goldenes Licht. Elias hatte recht gehabt – es war magisch. Die Farben intensivierten sich, als würde die Landschaft in Flammen stehen, das Meer verwandelte sich in flüssiges Gold.

„Da," sagte Elias leise und deutete auf den Horizont. „Siehst du, wie sich alles verändert? Wie dasselbe Objekt völlig anders erscheint, nur weil das Licht wechselt?"

Johanna nickte, sprachlos angesichts der Schönheit um sie herum. In diesem Moment vergaß sie Michael, vergaß den Betrug, vergaß die Kanzlei und alle Verpflichtungen. Es gab nur diesen Augenblick, dieses Licht, diesen Mann neben ihr, dessen Arm jetzt leicht den ihren berührte.

Sie drehte den Kopf und fand seine Augen auf sich gerichtet, intensiv und fragend. Ohne nachzudenken neigte sie sich zu ihm, und er kam ihr entgegen. Der Kuss war sanft, fast zögernd, eine Frage mehr als eine Forderung. Sie spürte seine Hand an ihrer Wange, warm und behutsam, und lehnte sich instinktiv in die Berührung.

Als sie sich lösten, sah sie in seinen Augen die gleiche Überraschung, die sie selbst fühlte. Es war nicht geplant gewesen, nicht bewusst herbeigeführt – es war einfach geschehen, natürlich wie der Sonnenuntergang vor ihnen.

„Das war unerwartet," sagte er mit einem leichten Lächeln.

„Ja," stimmte sie zu, etwas atemlos. „Aber nicht unwillkommen."

Sein Lächeln vertiefte sich. „Definitiv nicht unwillkommen."

Er legte seinen Arm um sie, und sie lehnte sich gegen seine Schulter, während sie gemeinsam beobachteten, wie die letzten Sonnenstrahlen hinter dem Horizont verschwanden. Die Dämmerung brach herein, kühl und blau, und die ersten Sterne erschienen am Himmel.

„Wir sollten zurückgehen, bevor es zu dunkel wird," sagte Elias schließlich, obwohl er keine Anstalten machte, sich zu bewegen.

Johanna nickte, ebenso unwillig, den Moment zu beenden. „Ja, sollten wir."

Stattdessen drehte sie sich zu ihm, ihre Hand fand seine Wange, und diesmal war der Kuss tiefer, fordernder. Seine Arme schlossen sich um sie, zogen sie näher, und sie spürte die Wärme seines Körpers durch den dünnen Stoff ihrer Bluse. Seine Hände strichen über ihren Rücken, tangierten ihre Seiten, respektvoll und doch voller unterdrückter Leidenschaft.

Johanna fühlte, wie etwas in ihr erwachte, das lange geschlafen hatte – ein Hunger, ein Verlangen, das nichts mit körperlicher Sehnsucht zu tun hatte und doch alles damit zu tun hatte. Es war das Verlangen nach Leben, nach Authentizität, nach einer Verbindung, die über das Alltägliche hinausging.

Als sie sich schließlich voneinander lösten, waren beide atemlos. Elias' Augen glänzten im schwachen Sternenlicht, und seine Stimme war rau, als er sprach.

„Wir sollten wirklich zurückgehen."

Diesmal stand er auf und bot ihr seine Hand an. Der Rückweg verlief größtenteils schweigend, aber es war keine unangenehme Stille. Ihre Hände blieben verschränkt, selbst als der Pfad breiter und einfacher wurde, und gelegentliche Blicke und Lächeln sprachen für sich.

Im Auto legte Elias seine Hand kurz auf ihre. „Ich würde dich gerne wiedersehen. Morgen vielleicht?"

Johanna zögerte nur einen Moment. Was auch immer hier geschah, es fühlte sich richtig an – richtiger als vieles, was sie in den letzten Jahren getan hatte. „Ich würde mich freuen," antwortete sie.

„Gut." Er startete den Motor. „Ich zeige dir mein Atelier. Es liegt nicht weit von deiner Villa. Sagen wir, gegen elf?"

Als er sie vor der Villa absetzte, gab es einen weiteren Kuss, diesmal kurz, aber voller Versprechen. Johanna schaute dem davonfahrenden Jeep nach, ihre Finger berührten unbewusst ihre Lippen.

In der Villa ließ sie sich auf das Bett fallen, ihr Körper vibrierend vor unerwarteter Energie. Ihr Handy lag auf dem Nachttisch, und instinktiv griff sie danach. Fünf verpasste Anrufe von Michael. Eine Textnachricht: Wir müssen reden. Bitte melde dich.

Vor zwei Tagen hätte diese Nachricht sie aus der Bahn geworfen. Jetzt fühlte sie kaum mehr als eine leichte Irritation, dass er es wagte, ihre Zeit hier zu stören.

Sie legte das Handy weg, ohne zu antworten, und trat stattdessen auf die Terrasse hinaus. Die Nacht war klar, die Sterne funkelten über der dunklen Silhouette der Caldera. Das Rauschen des Meeres drang leise zu ihr herauf.

Ein Teil von ihr fragte sich, ob sie impulsiv handelte, ob der Kuss mit Elias nur eine Reaktion auf Michaels Betrug war, eine Art emotionaler Rache. Aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es mehr war. Es war ein Schritt in Richtung der Frau, die sie sein wollte – mutig, authentisch, lebendig.

Morgen würde sie sein Atelier besuchen. Wohin das führen würde, wusste sie nicht. Aber zum ersten Mal seit langem war sie bereit, es herauszufinden.

Das Atelier

Johanna erwachte mit einem Gefühl, das ihr lange fremd gewesen war – Vorfreude. Die Erinnerungen an den Vorabend waren wie ein warmes Glühen in ihrem Inneren. Elias' Lächeln, seine Berührung, der Kuss unter dem Sternenhimmel... Wie lange war es her, dass sie sich so lebendig gefühlt hatte?

Sie räkelte sich im Bett, beobachtete, wie die Morgensonne durch die Vorhänge fiel und Muster auf die weiße Wand warf. Normalerweise wäre sie schon längst aufgestanden, hätte E-Mails gecheckt, den Tag durchgeplant. Aber hier, in diesem zeitlosen Raum, den Santorini für sie geschaffen hatte, erlaubte sie sich den Luxus des Verweilens.