12 Stunden Frist - Mara Laue - E-Book

12 Stunden Frist E-Book

Mara Laue

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Beschreibung

12 Stunden bleiben Manfred Thaler, dann drohen die Entführer seine Tochter zu töten. Es sei denn, er gewinnt bis dahin das von seiner Firma vermarktete Computerspiel TRENIGMARIS. Nur eine Person kann ihm helfen: die Programmiererin des Spiels, Ricky Schäfer. Doch diese hat wenig Interesse daran, ihrem ehemaligen Chef, von dem sie sich im Streit getrennt hat, zu unterstützen. Die Suche nach dem Kind wird zur Verfolgungsjagd durch Berlin und zu einem Spiel gegen einen Gegner, dessen Pläne sehr viel weitreichender sind, als irgendjemand ahnt.

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Mara Laue

12 Stunden Frist

Thriller

Lektorat: Lisette BuchholzSatz & Gestaltung: Verena Kessel

ISBN TaschenbuchISBN E-Book EPUBISBN E-Book PDF

978-3-86476-048-8978-3-86476-626-8978-3-86476-627-5

Verlag Waldkirch KGSchützenstraße 1868259 MannheimTelefon 0621-79 70 65Fax 0621-79 50 25E-Mail: [email protected]

© Verlag Waldkirch Mannheim, 2014Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise,nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags.

Mara Laue

12StundenFrist

Thriller

Inhalt

Über dieses Buch

Vorbemerkung der Autorin

12 Stunden Frist

Sonnabend, 6. Juli – 11.07 Uhr

13.21 Uhr

13.56 Uhr

15.10 Uhr

15.36 Uhr

16.11 Uhr

Zur selben Zeit

16.40 Uhr

16.50 Uhr

17.40 Uhr

18.21 Uhr

18.33 Uhr

18.52 Uhr

19.48 Uhr

20.00 Uhr

20.31 Uhr

21.03 Uhr

21.20 Uhr

22.16 Uhr

22.55 Uhr

23.45 Uhr

Sonntag, 7. Juli – 1.12 Uhr

2.10 Uhr

2.10 Uhr

Operation Clavis

1 Dienstag, 4. Juni

2 Freitag, 7. Juni

3 Donnerstag, 13. Juni

4 Freitag, 21. Juni

5 Dienstag, 2. Juli

6 Sonnabend, 6. Juli

16. 15 Uhr

21. 20 Uhr

23. 45 Uhr

7

Ein Spiel für ein Leben

Nachwort

Danksagung

Die Autorin

Dieses Buch ist gewidmet

Kerstin Göbel,die den Anstoß gab,

und

J.S.,der die Idee zu diesem Roman lieferte.

Über dieses Buch

Dieser Roman entstand aufgrund einer Herausforderung des Online-Magazins „Zauberspiegel“, bei der Mara Laue unter Beweis stellen musste, dass es möglich ist, denselben Plot als Roman wie auch als Kurzroman und Story auszuarbeiten, ohne dass die beiden Letzteren nur Verkürzungen des Romantextes sind.

Entstanden ist ein Dreiergespann: Im Roman „12 Stunden Frist“ erleben die Leser die Handlung aus der Perspektive der Ermittler, im Kurzroman „Operation Clavis“ aus der Sicht der Verbrecher und in der Story „Ein Spiel für ein Leben“ aus der Perspektive von Ricky Schäfer als Ich-Erzählerin.

Lesen Sie alle drei Versionen in diesem Band.

Um die Spannung zu erhalten, wird empfohlen, die drei Teile in der vorliegenden Reihenfolge zu lesen.

Vorbemerkung der Autorin

Alle Handlungen und Personen dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen oder Ereignissen wären zufällig. Alle genannten Orte sind dagegen authentisch. Lediglich einige Adressen (Hausnummern) sind aus Rechtsgründen ebenfalls frei erfunden.

Obwohl ich die Polizeiarbeit so realitätsnah wie möglich dargestellt habe, musste ich mir ein paar dichterische Freiheiten für die Schilderung der Arbeit der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) des LKA Berlin erlauben, die für die Bearbeitung von Kindesentführungen zuständig ist. Ihre reale Vorgehensweise unterliegt aus verständlichen Gründen der Geheimhaltung.

12 Stunden Frist

Sonnabend, 6. Juli – 11.07 Uhr

„Oh Monfree, quelqu’un a enlevé Marie-Claire!“

Dem folgte ein Schwall weiterer französischer Worte, die Manfred Thaler nicht verstand. Er sprach ohnehin kaum Französisch. Wann immer seine Frau vor Aufregung in ihre Muttersprache verfiel, redete sie so schnell, dass er gar nichts mehr begriff.

„Monique, bitte beruhige dich. Was ist los? Was ist mit Marie-Claire?“

„Sie ’aben entführt mon petit bébé!“ Monique heulte los.

Manfred war für einige Augenblicke erstarrt und umklammerte den Telefonhörer, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Schlagartig überfiel ihn das Gefühl, einen Albtraum zu erleben, der mit der Angst begann, sein Kind nie wiederzusehen. Oh Gott, bitte, nur das nicht! Tausend Gedanken und Bilder schossen ihm durch den Kopf, eins schlimmer als das andere. Das schlimmste zeigte seine kleine Tochter tot in einer trostlosen Umgebung, weggeworfen wie eine zerbrochene Puppe. Er fühlte Panik in sich aufsteigen und kämpfte sie mit eisernem Willen nieder. Er musste einen klaren Kopf behalten. Unter allen Umständen, auch wenn ihm vor Angst und damit einhergehender Verzweiflung zum Schreien war. Und zum Heulen.

„Was genau ist denn passiert?“ Hysterisches Schluchzen. „Monique? Rede mit mir!“

„Isch ’abe gelassen ma petite auf die Terrasse nur un moment, um zu gehen ins Bad. Als isch komme zurück, sie ist weg. Dafür liegt une lettre in ihre Laufstall.“

„Was für ein Brief?“

„Worin sie stellen ihre absurden revendications. Oh Mon-free, du musst kommen sofort nach ’ause!“

Er war schon aufgestanden und dabei, seinen Computer auszuschalten. „Hast du die Polizei gerufen?“

„Mais non! Das ’aben sie verboten! Wir rufen la police, und sie töten notre enfant! Monfree, komm schnell!“

„Ich bin unterwegs.“

Er unterbrach die Verbindung und stellte fest, dass er am ganzen Körper zitterte. Er erwog, die Polizei sofort anzurufen. Im Gegensatz zu Monique machte er sich keine Illusionen darüber, dass sie ihr Kind nur lebend wiedersehen würden, wenn sie der Polizei die Sache überließen. Zunächst musste er sich aber selbst ein Bild von der Sache machen. Monique neigte manchmal zu Übertreibungen. Und aus ihrer Schilderung wurde er sowie nicht ganz schlau. Was nicht nur an ihrem halb französischen Gestammel lag. Außerdem hoffte er, dass sich das Ganze als Irrtum oder böser Streich herausstellte.

Andererseits hatte er befürchtet, dass eines Tages so etwas passieren könnte. Niemand war so schnell so erfolgreich wie er, ohne sich ein paar Feinde zu machen und Neider auf den Plan zu rufen. Aber er hatte geglaubt, dass es ausreichte, seine Firma zu sichern, sie mit dem neuesten und besten Equipment überwachen zu lassen und an seinem Grundstück Alarmanlagen und Überwachungskameras anzubringen. Im Leben hätte er nicht damit gerechnet, dass jemand am hellichten Tag in einem dicht besiedelten Wohngebiet ein Kind von der Terrasse entführen könnte.

Und wenn er nicht jeden Sonnabend, manchmal bis in die Nacht, in seiner Firma arbeiten würde, sondern stattdessen zu Hause gewesen wäre, dann hätte Monique Marie-Claire nicht allein lassen müssen und seine Tochter wäre nicht entführt worden. Oder der oder die Entführer hätten sich das Kind mit Gewalt geholt, wobei irgendjemand möglicherweise schwer verletzt oder sogar tot auf der Strecke geblieben wäre.

Manfred schloss hastig sein Büro ab, aktivierte den Sicherheitscode der Tür und rannte zum Ausgang. Das ganze Gebäude war ausgestorben, weshalb seine Schritte geisterhaft hallten. Weil er der Einzige war, der sonnabends in der Firma arbeitete – nur dann hatte er die größtmögliche Ruhe –, musste er jede Zwischentür auf- und wieder zuschließen. Es schien ewig zu dauern, bis er endlich den Ausgang erreicht hatte und den Schließcode erst für die innere, dann für die äußere Tür eingegeben hatte, wobei er sich auch noch vertippte.

Er sprang in seinen Wagen, der vor dem Haupteingang stand, und parkte mit quietschenden Reifen so heftig aus, dass er beinahe mit einem der Blumenkübel kollidierte, die den Rand des Parkplatzes säumten. Er raste zum Tor und verfluchte den Umstand, dass er hier anhalten und aussteigen musste, um den Sicherheitscode einzutippen, der das Tor öffnete, und nach der Durchfahrt wieder anhalten und aussteigen musste, um es zu verriegeln. Er fuhr nach Hause, so schnell er konnte und es der Verkehr erlaubte, und hatte das Gefühl, dass die sechzehneinhalb Kilometer, die er vom Firmengelände auf der Grünauer Straße in Adlershof bis zu seinem Haus in der Koenigsallee in Grunewald brauchte, kein Ende nähmen. Er scherte sich den Teufel darum, dass er auf dem Weg mehrmals geblitzt wurde. Zum Glück waren Schulferien und die A 100 vergleichsweise leer, sodass er wenigstens hier schneller vorankam als gewöhnlich.

Während der Fahrt betete er unablässig, dass sich alles als harmlos herausstellen würde und nicht als Entführung. Marie-Claire war der Mittelpunkt seines Lebens, seit er sie unmittelbar nach ihrer Geburt vor zwei Jahren zum ersten Mal im Arm gehalten hatte. Allein der Gedanke, dass sie sich in fremden Händen befinden könnte, die unsanft mit ihr umgingen, und an die Angst, die sie ausstehen musste, drehte ihm den Magen um.

Als er endlich mit einer Vollbremsung vor seinem Haus ankam, erwartete Monique ihn bereits in Tränen aufgelöst an der Gartentür. Sie warf sich ihm in die Arme und weinte herzzerreißend. Er zog sie ins Haus. Die Nachbarn mussten nicht unbedingt mitbekommen, dass bei Thalers etwas nicht in Ordnung war. Zum Glück waren sowohl die Schmidts zur Rechten wie auch die Krampowskis zur Linken seit Tagen im Urlaub. Und Professor Faber von gegenüber spielte hingebungsvoll und bis auf die Straße hörbar ein Nocturne von Chopin auf seinem Flügel und bekam sowieso nichts mit, was draußen vor sich ging.

„Beruhige dich, Monique. Bitte. Wo ist der Brief?“

Sie brachte kein Wort heraus, sondern deutete zum Wohnzimmer. Manfred ging hin und zog sie mit sich, da sie sich an ihn klammerte, ihr Gesicht gegen seine Schulter presste und nicht bereit war, ihn loszulassen. Er musste sie energisch in einen Sessel drücken, ehe sie von ihm abließ. Auf dem Tisch lag ein aufgefalteter Zettel. Er nahm ihn und las die computergeschriebene Nachricht:

Manfred Thaler,

wir haben Ihre Tochter. Wenn Sie sie unversehrt wiedersehen wollen, spielen Sie TRENIGMARIS in Ihrem Haus. Wir überwachen das Spiel mit der Webcam.

UNSERE BEDINGUNGEN:

1. Verlassen Sie während des Spiels nicht das Haus. Verlassen Sie es oder geben Sie Ihren Laptop in fremde Hände, stirbt Ihre Tochter.

2. Gewinnen Sie alle Levels der Reihe nach von Level 1 bis Level 7 in zwölf Stunden.

3. Verlieren Sie oder benötigen Sie länger als zwölf Stunden, stirbt Ihre Tochter.

4. Haben Sie das Spiel nicht bis 14 Uhr begonnen, stirbt Ihre Tochter. Sobald Sie begonnen haben, bekommen Sie für jeden Level 1 Stunde und 42 Minuten Zeit. Überschreiten Sie bei nur einem Level diese Zeit, haben Sie das Spiel verloren und Ihre Tochter stirbt. Je eher Sie beginnen und je schneller Sie die einzelnen Levels schaffen, desto mehr Zeit haben Sie für die folgenden Levels.

5. Sie erhalten während des Spiels verschiedene Hinweise. Alle Hinweise zusammen führen zum Aufenthaltsort Ihrer Tochter. Level 7 zu gewinnen ist also die einzige Möglichkeit für Sie, sie lebend wiederzusehen.

6. Halten Sie sich akribisch an unsere Anweisungen, sonst stirbt Ihre Tochter.

7. KEINE POLIZEI! Sonst stirbt Ihre Tochter.

Der Countdown läuft.

Jetzt wusste er, was Monique mit „absurden Bedingungen“ gemeint hatte. Die erste Absurdität war, dass die Erpresser kein Lösegeld verlangten. Stattdessen sollte er ein verdammtes Computerspiel spielen. Das war doch Irrsinn. Besonders im Hinblick darauf, dass seine Firma TRENIGMARIS zwar vermarktete, er selbst es aber gar nicht spielen konnte. Er war Geschäftsmann, kein Nerd, der seine Zeit mit PC-Spielen verbrachte.

Und die wiederholte Drohung, dass Marie-Claire sterben sollte, wenn er nicht tat, was diese Wahnsinnigen verlangten, machte ihn wütend und versetzte ihn in Panik. Bis zu Maries Geburt hatte er sich nicht vorstellen können, dass man ein Kind so sehr lieben könnte – dass er jemals ein Kind so sehr lieben könnte. Doch er liebte seine Tochter nicht nur – sogar mehr als Monique, wenn er ehrlich war –, er hätte buchstäblich sein Leben für sie gegeben.

Dass er nicht da gewesen war, als sie entführt wurde, dass er nicht in der Lage war, sie zu beschützen und keine Möglichkeit hatte, sie zu befreien, ließ ihn sich schwach und hilflos fühlen. Ein widerliches Gefühl, das in ihm den brennenden Wunsch weckte, die Entführer zu töten; sie langsam und qualvoll zu Tode zu foltern, damit sie am eigenen Leib seine Hilflosigkeit erfuhren und jeden Schmerz, den sie Marie-Claire vielleicht zugefügt hatten. Er durfte gar nicht daran denken, was die Kerle mit ihr taten. Oder schon getan hatten.

Er sah auf die Uhr. Elf Uhr zweiundvierzig. Ihm blieben noch zwei Stunden und achtzehn Minuten, um mit dem Spiel zu beginnen – einem Spiel, bei dem er wahrscheinlich schon den ersten Zug auf Level 1 verlor. Oh Gott! Wer tat ihm so etwas an?

„Monfree, je t’en prie, commence! Bitte, fang an.“

Er zuckte beim Klang von Moniques Stimme zusammen. Zum ersten Mal empfand er es als unangenehm, dass sie seinen Namen auf französische Weise aussprach. Bisher hatte er das charmant gefunden; jetzt gab es ihm das Gefühl, dass sie einen Fremden meinte, nicht ihn.

Verdammt, was sollte er tun? Er konnte TRENIGMARIS nicht spielen und erst recht nicht gewinnen. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, Marie-Claire zu retten: Sie mussten die Polizei einschalten, auch wenn die Entführer das verboten hatten. Aber wenn die das mitbekamen ... Oh Gott! Er stöhnte und verbarg das Gesicht in den Händen.

Monique zerrte an seinem Arm in Richtung Arbeitszimmer, wo er seinen Laptop stehen hatte. „Monfree, commence!“

Wahnsinn! Das Ganze war der schiere Wahnsinn. Ihm wurde übel. Wenn er versuchte, TRENIGMARIS zu spielen, würde er verlieren und Marie sterben. Wenn er die Polizei einschaltete und die Entführer das bemerkten, würden sie Marie ebenfalls umbringen. So oder so, er, vielmehr Marie verlor in jedem Fall.

Er rannte zum Fenster und schaute auf die Straße. Weit und breit war nichts Auffälliges oder Ungewöhnliches zu sehen. Alle Autos, die in Sichtweite parkten, gehörten Anwohnern. Die Fenster der gegenüberliegenden Häuser waren teilweise mit geschlossenen Jalousien oder Rollos gegen die einfallende Sommersonne geschützt. Nirgends konnte er ein fremdes oder überhaupt ein Gesicht hinter einer Scheibe sehen. Und da alle Häuser Ein- oder Zweifamilienhäuser waren ohne wechselndes Mietpublikum, war es unwahrscheinlich, dass dort einer der Entführer lauerte und Manfreds Haus beobachtete.

Aber wenn doch? Er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie so hilflos gefühlt wie in diesem Moment der Wahl zwischen Teufel und Beelzebub. Er entschied sich für das kleinere Übel und griff zum Smartphone. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und die Übelkeit verstärkte sich.

Monique fiel ihm in den Arm. „Mon Dieu, was tust du?“

„Ich rufe die Polizei.“

„Non!“

Der Ausruf schrillte unangenehm in seinen Ohren. Den Rest ihrer Tirade verstand er nicht und hätte ihn wohl auch kaum verstanden, wenn sie Deutsch gesprochen hätte. Dass sie mit den Fäusten ziemlich kräftig gegen seine Brust trommelte, verstand er dagegen sehr gut. Er packte sie an den Handgelenken und hielt sie fest.

„Verdammt, Monique, reiß dich zusammen! Ich kann dieses Scheißspiel nicht spielen! Die Polizei ist die Einzige, die Marie-Claire retten kann. Und darum rufe ich die jetzt an.“

Er war sich jedoch keineswegs sicher, ob er damit wirklich das Richtige tat.

13.21 Uhr

Hauptkommissar Aktan Sunay schüttelte den Kopf und reichte den Erpresserbrief Staatsanwältin Paulus, die ihn überflog und an Vera Kalinina vom Erkennungsdienst weitergab, die sofort begann, ihn mit ihrem mobilen Equipment zu untersuchen.

„Das ist die ungewöhnlichste Erpressung, von der ich je gehört habe“, stellte Aktan fest. Er blickte Manfred Thaler und seine Frau an, die auf der Couch saßen, einander im Arm hielten und hofften, dass Aktan und sein Team ihr Kind retteten und die Zuständigkeit der Mordkommission auch für Entführungsfälle kein böses Vorzeichen war. „Und Sie haben wirklich keinen Schimmer, von wem das ist?“

Thaler schüttelte den Kopf.

„Oder wissen Sie, was das soll, Frau Thaler?“

„Non! Je ne sais rien!“ Sie brach in Tränen aus. Zum vierten Mal seit der Ankunft von Aktans Team.

„Herr Thaler?“

Der Mann schüttelte mit verkniffenem Gesicht erneut den Kopf. Aktan war sich nicht sicher, ob die Verkniffenheit der Situation oder dem hysterischen Geheul seiner Frau geschuldet war, das ihnen allen auf die Nerven ging. Ben Eggers, der angeforderte Notfallpsychologe, war noch nicht eingetroffen.

„Nein“, beantwortete Thaler Aktans Frage und sah auf seine Armbanduhr. „Das heißt ...“ Er schüttelte zum dritten Mal den Kopf.

„Was? Wissen Sie etwas oder nicht?“

„Nein, ich weiß nichts. Jedenfalls nichts Konkretes. Der Einzige, dem ich so eine Aktion zutrauen würde, ist mein ehemaliger Geschäftspartner. Aber erstens hat der mich schon vor vier Jahren beinahe fertiggemacht, und zweitens würde er Geld verlangen und nicht so eine hirnrissige Forderung stellen.“ Er machte eine ungeduldige Handbewegung. „Sollte ich nicht langsam mit dem Spiel anfangen?“

„Nun bleiben Sie mal ganz ruhig.“ Michael Kohler, der die Fangschaltung an Thalers Laptop und der PC-Station installierte, war die Ruhe selbst und strahlte das auch aus. „Bevor ich hier nicht fertig bin, können Sie sowie nicht anfangen. Keine Sorge, das schaffen wir schon bis zwei Uhr.“ Michael lächelte ihm beruhigend zu. „Wir machen das schon.“

„Hoffentlich.“ Thaler blickte Aktan an. „Sie haben doch Erfahrung mit so was?“

„Haben wir. Wie ist das nun mit Ihrem Partner?“

Aktan wartete auf eine Erklärung, doch Thaler schwieg und tätschelte die Schulter seiner Frau in dem vergeblichen Versuch, sie zu beruhigen. Sein Hemd hatte an der Schulter bereits einen großen nassen Fleck von ihren Tränen.

„Gehen wir das Ganze mal der Reihe nach an. Wie heißt Ihr Partner?“

„Expartner. Takumi Saito.“

„Ein Japaner?“

„Ja. Eigentlich ...“ Thaler schüttelte den Kopf. „Verdammt, wir müssen doch irgendwas tun!“ Er blickte sich gehetzt um.

„Wir sind doch schon dabei, Herr Thaler. Dazu müssen wir jedes Detail wissen, auch Dinge, die Ihnen vielleicht unwichtig vorkommen. Blinder Aktionismus hilft Ihrer Tochter nicht.“

Thaler nickte. „Sie haben recht. Entschuldigung.“ Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Ja, also die Sache mit Takumi. Ursprünglich waren wir Freunde. Das dachte ich zumindest. Ich habe in Mannheim studiert. Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Marketing.“ Er wischte sich wieder über das Gesicht.

„Ach, das ist aber ein Zufall“, sagte Aktan. „Ich stamme auch aus Mannheim. Stadtteil Jungbusch. Meine Familie wohnt immer noch dort.“

Das erwähnte Aktan nicht, um sinnlos zu plaudern, sondern um Thaler ein bisschen zu beruhigen und in ihm ein Gefühl von Gemeinsamkeit zu erwecken, damit er zumindest in Aktan einen Verbündeten sah und sich nicht von lauter „Fremden“ umzingelt fühlte. Aktan war seiner Frau zuliebe nach Berlin gezogen. Naila war das einzige Kind ihrer Eltern. Denen hätte es das Herz gebrochen, wenn sie nach Mannheim gezogen wäre. Also hatte Aktan sich nach Berlin versetzen lassen. Aber er vermisste Mannheim manchmal immer noch.

„Ihr Partner hat auch in Mannheim studiert?“, nahm er den Faden wieder auf.

Thaler nickte. „Informatik an derselben Uni. Wir haben beide ein Faible für Mangas; dadurch haben wir uns kennengelernt und irgendwann mit dem Gedanken gespielt, nach dem Studium damit was Zündendes zu machen. Daraus wurde aber zunächst nichts, denn nach dem Abschluss haben sich unsere Wege getrennt, weil ich nach Berlin gezogen bin. Ich hatte hier ein lukratives Jobangebot. Vor gut vier Jahren stand Takumi plötzlich vor meiner Tür. Er hatte eine tolle Idee für ein Manga-basiertes Computerspiel. Aber um es zu realisieren und zu vermarkten, brauchte er Geld. Ich verstehe zwar nicht viel von Computerspielen, aber von Marketing. Die Idee war fantastisch, nach meiner Marktanalyse absolut einwandfrei und vor allem sehr gewinnträchtig. Also haben Takumi und ich unsere Zwei-Mann-Firma gegründet: Thaler-Rengo. Rengo ist das japanische Wort für Union. Ich klapperte mit unserem Konzept die Banken ab, sorgte für Kredite und das Vorabmarketing und holte Sponsoren ins Boot. Takumi entwickelte das Spiel.“

„Dieses TRENIGMARIS.“

Thaler schüttelte den Kopf. „Ein anderes. Wir hatten ihm noch keinen Namen gegeben. Im Nachhinein weiß ich auch, warum er darauf bestanden hat, denn ein halbes Jahr vor dem Launch“, Thaler ballte die Faust und biss die Zähne so stark zusammen, dass Aktan sie knirschen hörte, „ist er mit dem Spiel verschwunden, hat sämtliche Entwicklungsdateien von unseren Servern gelöscht und mich mit einem Riesenberg Schulden sitzen lassen, für den ich als persönlich haftender Gesellschafter geradezustehen hatte.“

„Ich nehme an, Sie haben ihn verklagt?“

Thaler nickte. „Das hätte ich getan, wenn er auffindbar gewesen wäre. Takumi ist untergetaucht. Drei Monate später brachte eine japanische Firma ein Computerspiel auf den Markt, das mit dem identisch ist, das er entwickelt hat. Da ich dank seiner Hinterlist, sämtliche Dateien zu löschen, nicht beweisen kann, dass er das Spiel für Thaler-Rengo entwickelt hat, konnte ich nichts dagegen tun. Natürlich habe ich einen Anwalt konsultiert, aber der sagte, dass ich keine Chance hätte, einen solchen Prozess zu gewinnen. Einmal mangels Beweisen, dass das Spiel ursprünglich für Thaler-Rengo gedacht war, zum anderen weil Takumi japanischer Staatsbürger ist und außerdem unauffindbar. Offenbar hat er keinen festen Wohnsitz. Zumindest nicht unter seinem Namen.“ Wieder ballte er die Faust. „Der Kerl hat doppelt abkassiert. Von mir das Geld, mit dessen Hilfe er das Spiel überhaupt entwickeln konnte, dann das Geld, das er von der japanischen Firma dafür bekommen hat. Und bestimmt ist er auch noch am Gewinn beteiligt.“

„Und was hat es mit diesem Spiel auf sich – TRENIGMARIS?“

Thaler warf wieder einen Blick auf die Uhr. „Das ist doch jetzt vollkommen unwichtig, Herr Sunay. Finden Sie meine Tochter, bevor die Zeit abläuft!“

Das dürfte unmöglich sein, da es bis jetzt keinen Anhaltspunkt dafür gab, wo man nach dem Kind suchen sollte. Aktan musste Thaler überzeugen, dass sie ohne seine Auskünfte auch kaum einen finden würden. Er blickte Michael Kohler an, der sich immer noch an Thalers Laptop zu schaffen machte.

Michael nickte ihm zu. „Schaltung steht. Sobald sich die Entführer über den Laptop oder das Telefon melden, fangen wir sie.“ Mit dem Telefon hatte sich ein zweites Team beschäftigt und eine Fangschaltung eingerichtet.

Thaler sprang auf. „Worauf warten wir dann noch?“

Aktan machte eine beschwichtigende Handbewegung. Bevor er etwas sagen konnte, kam Michaels Kollege Lukas Jung und stellte einen Laptop auf den Tisch vor die Staatsanwältin. Sigrid Paulus war die oberste Instanz bei den Ermittlungen und hatte wie Aktan und sein Team Bereitschaft gehabt, weshalb sie für diesen Fall zuständig war. Aktan stellte sich neben sie und sah ihr über die Schulter.

„Die Aufzeichnungen der Überwachungskameras von der Terrasse. Die Typen sind mit einem Motorboot vom See gekommen.“ Lukas drückte die Entertaste. Die Aufzeichnung wurde abgespielt und gleichzeitig an Hauptkommissarin Rebecca Goldberg und die Kollegen in der sofort eingerichteten Einsatzzentrale im Präsidium am Platz an der Luftbrücke übertragen. Goldberg hatte die Einsatzleitung der BAO, der besonderen Aufbauorganisation, die bei Kindesentführungen sofort gebildet wurde.

Das Grundstück der Thalers lag am Halensee und hatte hinter dem Haus einen Zugang zum Wasser. Aktan bat Thaler und seine Frau, sich die Aufzeichnungen anzusehen. Haus und Grundstück waren so mit Überwachungskameras bestückt, dass jeder Winkel erfasst wurde. Vorbildlich, aber es hatte die Entführung nicht verhindern können.

Eine Kamera zeigte Monique Thaler, wie sie auf der Terrasse mit ihrer Tochter spielte. Nach einer Weile setzte sie das Mädchen in den Laufstall und ging ins Haus. Keine Minute später kam das Boot in Sicht, das mit drei Leuten besetzt war. Sie trugen dunkelblaue Overalls und hatten sich Sturmhauben aufgesetzt. Zwei Personen sprangen an Land. Einer rannte auf die Terrasse, während der andere mit einer Maschinenpistole in der Hand die Aktion sicherte. Der Dritte blieb im Boot. Der Mann, der auf die Terrasse zulief, warf einen Briefumschlag in den Laufstall, ehe er dem Kind die Hand auf den Mund presste – Monique Thaler wimmerte, als sie das sah –, es aus dem Laufstall hob und mit ihm zurück zum Boot rannte. Mit aufheulendem Motor drehte es vom Ufer ab und verschwand Sekunden später aus dem Erfassungsbereich der Kameras. Das Ganze hatte keine zwei Minuten gedauert.

Offenbar hatten die Entführer die ganze Aktion nicht nur von langer Hand geplant, sondern auch das Haus schon eine Zeit lang beobachtet, sonst hätten sie nicht den perfekten Moment abpassen können.

„Eindeutig Profis“, stellte Sigrid Paulus fest.

Sie trat auf die Terrasse hinaus. Aktan folgte ihr. Ein Teil von Vera Kalininas Team war damit beschäftigt, den Laufstall zu untersuchen, ob es daran Fingerabdrücke oder Faserspuren gab, die nicht von den Eltern des Kindes stammten. Weitere Mitarbeiter untersuchten akribisch den Boden vor der Terrasse.

Sigrid Paulus beschattete die Augen und blickte zum See. „Die haben sich wahrscheinlich bei der Insel versteckt und gewartet, bis der Zeitpunkt günstig war.“ Sie deutete auf die gegenüberliegende Seite des Sees.

Dem Grundstück der Thalers direkt gegenüber befand sich eine kleine Insel, kaum fünfzig Meter lang und höchstens halb so breit. Im Schatten der dort bis ans Ufer wachsenden Bäume, deren Zweige teilweise so tief hingen, dass sie beinahe das Wasser berührten, hatte sich das dunkle Motorboot problemlos verstecken können. Von dort konnte man die Terrasse bequem einsehen, besonders wenn man ein Fernglas nahm.

„Die Route, die sie genommen haben, ist auch klar“, meinte Aktan. „Hinter dem See ist die Trabener Straße.“ Er deutete nach rechts. „Die sind bestimmt schräg übern See Richtung Friedenthalpark. Ungefähr hundert Meter hinter dem letzten Haus geht der Weg zum Park bis fast ans Wasser. Ich wette, die haben da mit dem Auto gewartet und über die Trabener Straße die Fliege gemacht. Auf dieser Seite ist zu viel Trubel, beim Ristorante und dem Hallenbad. Und um zur Halenseestraße zu kommen, müssten sie am Park vorbei. Da sind bei diesem Wetter zu viele Leute, die sie hätten sehen können.“

„Ich lasse das überprüfen.“ Sigrid Paulus griff zum Handy und rief in der Zentrale an. „Frau Goldberg, wir brauchen ein Team Trabener Straße und Friedenthalpark. Das Kind wurde mit einem Motorboot über den See entführt und wahrscheinlich dort in einem Wagen abtransportiert. Lassen Sie die Anwohner befragen, ob denen was aufgefallen ist.“

Aktan wusste, dass das nicht viel bringen würde. Es war mitten in den Sommerferien, herrliches Wetter, und der Zeitpunkt der Entführung war gegen elf Uhr gewesen. Die Hälfte der Leute, die am See wohnten, war verreist, die andere Hälfte tummelte sich im Halensee-Freibad, im Park oder anderswo im Freien, und die Ehefrauen und Mütter waren mit Kochen beschäftigt, sofern sie nicht ebenfalls auf einem Ausflug waren. Wenn die Entführer klug waren – wovon Aktan ausging –, hatten sie, wahrscheinlich noch bevor sie das andere Ufer erreicht hatten, die Sturmhauben abgenommen, die Overalls ausgezogen und die Waffen verborgen, sodass sie, falls man sie gesehen hatte, nur drei Männer mit einem Kind gewesen waren.

Aber selbst wenn sie aufgefallen waren, würde es dauern, bis die Kollegen jemanden gefunden hätten, der sie gesehen hatte und beschreiben konnte. Aktan kehrte mit der Staatsanwältin ins Haus zurück und wandte sich an die Thalers.

„Herr Thaler, Frau Thaler, ist Ihnen einer der Entführer auf dem Video bekannt vorgekommen?“

„Wie denn?“, fauchte Thaler und deutete auf den Bildschirm, auf dem der leere Laufstall im Standby zu sehen war. „Die Typen haben Masken getragen, falls es Ihnen entgangen sein sollte.“

Aktan blieb vollkommen ruhig. Dies war nicht der erste Entführungsfall, den er vor Ort betreute. Die Angehörigen waren immer außer sich und reagierten abwechselnd verzweifelt, aggressiv, niedergeschlagen oder völlig irrational. Und oft genug alles zusammen. Er hatte sogar einmal erlebt, dass die Mutter eines von seinem Vater entführten Jungen mit den Fäusten auf ihn eingeschlagen hatte, weil er ihrer Meinung nach nicht schnell genug arbeitete.

„Vielleicht kommt Ihnen etwas an der Art bekannt vor, wie sich einer von ihnen bewegt hat? Auch daran kann man Menschen zuverlässig erkennen.“

Thaler schüttelte den Kopf. Seine Frau ebenfalls. Sie schluchzte und drückte ihr Gesicht gegen die Schulter ihres Mannes. Er streichelte mechanisch ihren Rücken.

„Bitte, Herr Sunay, ich muss dieses Spiel beginnen. Denn ich glaube kaum, dass Sie meine Tochter in der verbliebenen Viertelstunde bis zwei Uhr finden können. Sie haben doch gesagt, dass Ihre Leute die Entführer aufspüren können, sobald die sich in das Spiel einklinken.“

„Nur den, der mit Ihnen spielt, Herr Thaler“, korrigierte Aktan. „Ich will Ihnen nichts vormachen. Es gibt keine Garantie dafür, dass der sich am selben Ort befindet wie Ihre Tochter. Besonders im Hinblick darauf, dass es sich bei den Entführern um eine gut organisierte Gruppe zu handeln scheint, die aus mindestens drei Leuten, wahrscheinlich aber mehr besteht.“

„Oh Gott!“ Thaler warf einen Blick an die Decke und schluckte. Die Angst um sein Kind stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er fuhr sich mit der Hand zum wiederholten Mal darüber.

„Und deshalb“, sagte Aktan eindringlich, „brauchen wir vorab so viele Informationen von Ihnen wie möglich. Kurz vor zwei werden Sie mit dem Spiel beginnen. Dann sehen wir weiter.“

Thaler ballte die Fäuste. „Aber ich kann dieses verfluchte Spiel nicht spielen! Schon gar nicht Level 7 gewinnen. Keiner kann das!“

Aktan sah ihn an. „Wie soll ich das verstehen?“

Thaler machte eine fahrige Handbewegung. „Als das Spiel in den Verkauf kam und innerhalb eines halben Jahres zu einem Renner wurde, hat meine Firma ein weltweites Preisausschreiben lanciert. Level 7 ist der höchste Schwierigkeitsgrad. Wer es als Erster schafft, diesen Level online zu knacken, erhält hunderttausend Euro. Das war vor über zwei Jahren. Nachdem sich niemand gemeldet hat, um den Preis zu kassieren, haben wir die Aktion im letzten Dezember eingestellt. Aber glauben Sie mir, wenn das jemandem inzwischen gelungen wäre, hätte sich derjenige gemeldet, allein schon wegen des damit verbundenen Prestiges.“

Aktan schüttelte den Kopf. Die Forderung der Entführer ergab immer weniger Sinn. Falls Thalers Behauptung stimmte, dass niemand das Spiel gewinnen konnte, war sein Versagen programmiert und damit auch der Tod seines Kindes. Ihm kam der Verdacht, dass es den Entführern gar nicht um das Spiel ging, sondern nur darum, Thaler zu quälen. In dem Fall war das Kind möglicherweise schon tot. Ein entsetzlicher Gedanke. Den offenbar auch Sigrid Paulus hatte, wie er an ihrem Gesichtsausdruck erkannte.

„Herr Thaler, Ihr Expartner Takumi Saito. Könnte er dahinterstecken?“, fragte sie.

Thaler schüttelte den Kopf. „Die Möglichkeit besteht natürlich, aber welchen Grund sollte er haben? Er hat doch mit seinem Spiel auf der anderen Seite der Welt mehr Erfolg, als er sich je hat träumen lassen.“

„Er könnte neidisch auf Ihren Erfolg sein. Wie ging das damals weiter, nachdem er Sie im Stich gelassen hat? Sie sagten, Sie hätten auf einem riesigen Schuldenberg gesessen.“

Thaler nickte. „Nicht nur das. Ein paar Leute hatten in das Spiel und seine Vermarktung bereits investiert. Das Geld hat Takumi auch abgeräumt. Er hatte schließlich als mein Teilhaber Zugang zum Firmenkonto. Ich musste ein Spiel präsentieren oder den Leuten ihr Geld zurückzahlen, das nicht mehr da war. Also habe ich eine Top-Programmiererin beauftragt, ein Spiel zu entwickeln, das den Vorankündigungen entsprach.“ Er zuckte mit den Schultern. „In diesem Punkt war es ein Glück, dass Takumi darauf bestanden hatte, die Vorankündigungen relativ vage zu halten und dem Spiel noch keinen Namen zu geben. Das hatte er natürlich getan, damit er behaupten konnte, dass sein Spiel nicht das ist, das er für Thaler-Rengo entwickelt hat.“

„Wie habe ich mir das vorzustellen?“

Thaler machte eine ungeduldige Handbewegung und sah zum zigsten Mal auf die Uhr. „Das waren nur so Appetizer wie: Sie suchen das ultimative Computerspiel? Sie suchen eine Herausforderung? In so und so viel Tagen ist es so weit. Und so weiter. Mit noch ein paar Hooks, die die Zielgruppe neugierig machen sollten. Dazu hatten wir ein Logo und ein paar interessante Manga-Figuren entworfen, die Takumi natürlich nicht für sich verwendet hat, um untermauern zu können, dass er für uns ein ganz anderes Spiel entwickelt hatte. Auf der Basis dieses Materials hat die Programmiererin das Wunder fertiggebracht, in nur vier Monaten TRENIGMARIS zu entwickeln. Das Spiel ist auf dem Markt eingeschlagen wie eine Bombe. Es hat auf Anhieb beim Deutschen Entwicklungspreis für Computerspiele den Newcomer Award gewonnen. Und ich gebe zu, es hat mich mit Genugtuung erfüllt, dass es erfolgreicher ist als Takumis Spiel.“

Für Aktan klang das nach einem verdammt guten Motiv für den ehemaligen Partner, Thaler eins auszuwischen. Zumindest passte die Forderung mit dem Spiel dazu.

Der Meinung war auch Sigrid Paulus. „Wir überprüfen diesen Takumi Saito.“ Sie griff wieder zum Handy und wies Rebecca an, über Saito alles herauszufinden, was möglich war.

„Herr Thaler, gibt es noch jemand, der ein Motiv haben könnte?“, fragte Aktan.

Der zögerte, ehe er den Kopf schüttelte. „Da fällt mir niemand ein.“

Aktan hatte das Gefühl, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Thaler konnte ihm nicht in die Augen sehen, was meistens ein Zeichen war, dass jemand etwas zu verbergen hatte.

„Und ganz ehrlich, Herr Sunay, ich traue das nicht mal Takumi zu. Er ist zwar ein geldgieriger Mistkerl, aber gerade deshalb würde er, wie ich schon sagte, von mir Geld erpressen und nicht so eine idiotische Forderung stellen. Besonders da er genau weiß, dass ich mit solchen Computerspielen nichts am Hut habe. Ich meine, was soll denn das Ganze? Wieso soll ich unbedingt hier im Haus am Laptop spielen? Wieso soll ich das Spiel gewinnen? Und wieso diese Frist von zwölf Stunden?“ Thaler blickte verzweifelt von ihm zur Staatsanwältin und wieder zurück.

„Wir müssen alles über Ihren gewöhnlichen Tagesablauf erfahren, Herr Thaler“, sagte Sigrid Paulus. „Aber jetzt müssen Sie erst mal das Spiel beginnen, sobald Herr Kohler fertig ist.“

„Fertig“, sagte Michael aufs Stichwort. „So, Herr Thaler. Das läuft jetzt wie folgt. Sie schalten den Laptop ein, einschließlich der Webcam. Ich habe das Mikro deaktiviert. Das heißt, dass die Entführer Sie zwar sehen, aber nicht hören können und entsprechend auch nicht hören, was Sie sagen beziehungsweise was um Sie herum gesprochen wird. Da die Typen verlangt haben, dass Sie auf keinen Fall die Polizei rufen, haben Sie das angeblich auch nicht getan. Das heißt“, er sah Thaler eindringlich in die Augen, „dass Sie nach Möglichkeit keinen von uns ansehen.“ Er lächelte. „Da man aber reflexartig denjenigen ansieht, mit dem man spricht, dürfen Sie dann immer nur einen von uns ansehen, niemals aber von einem zum anderen schauen. Da die Typen wissen, dass Ihre Frau im Haus ist, werden sie glauben, dass Sie mit ihr reden. So weit verstanden?“

Thaler nickte. Aktan bezweifelte, dass das mit dem Nichtansehen tatsächlich klappte. Reflexe ließen sich nur schwer unterdrücken. Thaler war äußerst gestresst und vor Sorge um seine Tochter einer Panik nahe. Es war nahezu sicher, dass er den Fehler beging, vor dem Michael ihn gewarnt hatte. Man konnte nur hoffen, dass das den Entführern nicht auffiel. Andernfalls ...

„Gut. Alles, was Sie auf Ihrem Bildschirm sehen, wird auch auf meinen Laptop übertragen.“ Michael deutete auf ein Gerät, das er auf den Wohnzimmertisch gestellt hatte. „Ich kann also alles sehen, was Sie und Ihr Spielgegner tun. Sobald Ihr Gegner online ist, verfolgen wir sein Signal. Mit etwas Glück schnappen wir ihn in der nächsten halben Stunde. Schließlich haben wir das SEK in Bereitschaft.“

Man sah es Thaler an, dass ihn das in keiner Weise beruhigte. Seine Frau ebenfalls nicht, die wieder anfing zu weinen, nachdem sie die letzten Minuten still und beinahe katatonisch vor sich hin gestarrt hatte. Verdammt, wo blieb Ben Eggers?

„Was ist, wenn das nicht klappt?“

„Für den Fall spielen Sie das Spiel, Herr Thaler.“ Michael drückte beruhigend seinen Arm. „Ich coache Sie. Zumindest bis Level 3 kriege ich das problemlos hin.“

„Sollte es so weit kommen, dass Sie über die ersten Züge hinaus spielen müssen“, fügte Aktan hinzu, „werden Sie Ihre Spielzüge unter dem Vorwand, sie vorher genau zu durchdenken, so lange es geht verzögern. Das gibt uns die Zeit, die Entführer zu finden.“ Er sah ihn eindringlich an. „Sind Sie bereit?“

„Nein.“ Thaler schüttelte heftig den Kopf. „Weil ich ein ganz mieses Gefühl dabei habe. Aber“, er tat einen tiefen Atemzug, „was sein muss, muss sein. Also beginnen wir.“

Das Klingeln eines Handys, das lautstark die Marseillaise spielte, ließ alle zusammenfahren. Monique Thaler schnappte sich das Gerät, das auf dem Beistelltisch neben der Couch lag, und hatte die Empfangstaste gedrückt, bevor jemand sie daran hindern konnte.

„Allô! – Ah, Drini! Quelqu'un a enlevé notre enfant!“ Sie heulte los.

Aktan riss ihr das Handy aus der Hand und unterbrach die Verbindung. So weit reichte sein Schulfranzösisch, dass er verstanden hatte, dass die Frau jemandem von der Entführung erzählt hatte. „Frau Thaler, Sie dürfen mit niemandem über die Entführung sprechen. Das könnte Ihr Kind gefährden. Wer war das?“

„C’est Drini, ma sœur.“ Sie versuchte, Aktan das Handy wegzunehmen, das erneut die Marseillaise erklingen ließ.

„Oh bitte, Herr Sunay, lassen Sie meine Frau mit ihrer Schwester telefonieren. Drini steht ihr sehr nahe. Mit ihr zu sprechen könnte einen beruhigenden Einfluss haben.“

Aktan hörte sehr wohl das eindringliche Flehen in Thalers Äußerung. Dennoch zögerte er.

„Lassen wir Frau Thaler mit ihrer Schwester telefonieren, Herr Sunay“, wies Sigrid Paulus ihn an. „Sie braucht jetzt jeden Trost, den sie bekommen kann.“

Aktan hörte an ihrem Unterton, dass sie hoffte, dass Monique Thaler ihnen nicht im Weg sein und sich hoffentlich auch weniger hysterisch benehmen würde, solange sie damit beschäftigt war, mit ihrer Schwester zu reden.

„Wir werden die Schwester natürlich überprüfen.“ Sie wandte sich an Monique Thaler. „Wie heißt Ihre Schwester?“

„Drini Leclerc.“

Aktan reichte ihr das Handy, denn die Marseillaise wurde immer lauter. Monique Thaler flüchtete in einen Sessel im Wohnzimmer, zog die Beine hoch, schlang einen Arm darum und berichtete ihrer Schwester unter einem Schwall von Tränen, was sich zugetragen hatte. Aktan verstand, dass die Schwester anbot, sofort nach Berlin zu kommen, denn Monique lehnte ab mit den Worten, dass der Weg von Paris nach Berlin zu weit wäre und die Polizei ihr Kind bestimmt schnell finden würde. Die darauf folgende Tränenflut strafte ihre zur Schau gestellte Zuversicht jedoch Lügen.

Aktan wandte sich an Thaler. „Fangen wir an.“

13.56 Uhr

Thaler nahm am Schreibtisch seines Arbeitszimmers Platz und klappte den Laptop auf. Aktan konnte vom Wohnzimmer aus durch die offene Tür sehen, dass seine Hände zitterten. Er setzte sich neben Michael und blickte zusammen mit ihm gebannt auf den Bildschirm des Laptops, hielt aber weit genug Abstand, dass Michael ungestört arbeiten konnte. Sigrid Paulus sprach mit Rebecca Goldberg und wies sie an, eine Französin namens Drini Leclerc in Paris zu überprüfen und zu dem Zweck notfalls die Hilfe des BKA in Anspruch zu nehmen.

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