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Teheran 1979: Die Stadt liegt in einem schwer durchschaubaren Taumel, es ist der Vorabend der islamischen Revolution – des Aufstandes der Anhänger Ajatollah Khomeinis gegen den Schah und sein westliches Regime. Der Erzähler, ein junger deutscher Innenarchitekt, und sein hoch gebildeter, zynischer, gesundheitlich zerstörter Freund Christopher reisen zu der Musik von Devo und Blondie durch den Iran bis nach Teheran. Panzer stehen an den Straßenkreuzungen, doch die beiden Protagonisten sehen dies nicht. Sie unterhalten sich lieber über Herrensandalen und Bezüge von Sofakissen. Und deshalb kommen beide in die Hölle. In seinem Roman 1979 inszeniert der Autor in staubtrockenem Ton eine postmoderne Groteske, die seltsam verstörende Bilder hinterlässt. Vor allem aber ist es ein großartiges Stück deutschsprachiger Literatur, dessen Klang völlig eigenständig ist, bisher ungehört. In einer extrem disziplinierten, betörenden Sprache saugt Christian Kracht den Leser in eine Geschichte über das Ende der Zivilisation hinein. Es gibt kein Entkommen.
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Seitenzahl: 160
Veröffentlichungsjahr: 2020
Christian Kracht
Roman
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Titelseite
Über Christian Kracht
Über dieses Buch
Inhaltsverzeichnis
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Christian Kracht, 1966 in der Schweiz geboren, zählt zu den modernen deutschsprachigen Schriftstellern. Seine Romane »Faserland«, »1979«, »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« ,»Imperium« und »Die Toten« sind in 30 Sprachen übersetzt. 2012 erhielt Christian Kracht den Wilhelm-Raabe-Preis.
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Auf dem Weg nach Teheran sah ich aus dem Autofenster, mir wurde etwas übel und ich hielt mich an Christophers Knie fest. Sein Hosenbein war von den aufgeplatzten Blasen ganz naß. Wir fuhren an endlosen Reihen von Birken vorbei. Ich schlief.
Später hielten wir an, um uns zu erfrischen. Ich trank ein Glas Tee, Christopher eine Limonade. Es wurde sehr rasch Nacht.
Es gab einige Militärkontrollen, denn seit September herrschte Kriegsrecht, was ja eigentlich nichts zu bedeuten hatte in diesen Ländern, sagte Christopher. Wir wurden weitergewunken, einmal sah ich einen Arm, eine weiße Bandage darum und eine Taschenlampe, die uns ins Gesicht schien, dann ging es weiter.
Die Luft war staubig, ab und zu roch es im Wagen nach Mais. Wir hatten nur zwei Kassetten dabei; wir hörten erst Blondie, dann Devo, dann wieder Blondie. Es waren Christophers Kassetten.
Widmung
Hinweis zum Buch
Motto
Teil Eins: Iran, Anfang 1979
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Teil Zwei: China, Ende 1979
Acht
Neun
Zehn
Elf
Zwölf
Für Olaf Dante Marx
Alle hier beschriebenen Personen und alle Begebenheiten sind, von den gelegentlich erwähnten Personen des öffentlichen Lebens abgesehen, frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen oder tatsächlichen Ereignissen ist unbeabsichtigt.
History reproducing itself becomes farce
Farce reproducing itself becomes history
Jean Baudrillard
Auf dem Weg nach Teheran sah ich aus dem Autofenster, mir wurde etwas übel, und ich hielt mich an Christophers Knie fest. Sein Hosenbein war von den aufgeplatzten Blasen ganz naß. Wir fuhren an endlosen Reihen von Birken vorbei. Ich schlief.
Später hielten wir an, um uns zu erfrischen. Ich trank ein Glas Tee, Christopher eine Limonade. Es wurde sehr rasch Nacht.
Es gab einige Militärkontrollen, denn seit September herrschte Kriegsrecht, was ja eigentlich nichts zu bedeuten hatte in diesen Ländern, sagte Christopher. Wir wurden weitergewunken, einmal sah ich einen Arm, eine weiße Bandage darum und eine Taschenlampe, die uns ins Gesicht schien, dann ging es weiter.
Die Luft war staubig, ab und zu roch es nach Mais. Wir hatten nur zwei Kassetten dabei; wir hörten erst Blondie, dann Devo, dann wieder Blondie. Es waren Christophers Kassetten.
Wir erreichten Teheran am frühen Abend und zogen uns im Hotel um. Es war ein eher einfaches Hotel. Christopher hatte gesagt, wir müßten dort ja nur schlafen, deshalb würde sich ein teures Hotel gar nicht lohnen. Er hatte natürlich recht.
Unser Zimmer lag im fünften Stock, es war mit grauem Teppich ausgelegt, der sich stellenweise häßlich wölbte. Die Wände waren mit einer gelblichen Tapete beklebt, über den kleinen Schreibtisch hatte jemand eine Stadtansicht Teherans gehängt, allerdings in einem unmöglich schiefen Winkel zum Tisch, so daß die Proportionen des Rahmens nicht zu stimmen schienen.
Christopher setzte sich auf den Rand des Bettes und verband sich mißmutig die Waden mit dünnen Gazestreifen. Vorhin hatte der Etagenkellner eine kühlende Salbe gebracht, auf einem weißen Plastiktablett, zusammen mit einem Fruchtkorb, der etwas dubios aussah. Ich hatte ihm einige Dollarscheine gegeben und die Zimmertür wieder hinter ihm zu gemacht.
Eine Stunde verging. Ich schälte mir einen Apfel, dann blätterte ich eine Weile im Koran, der auf dem Nachttisch lag, in der englischen Übersetzung von Mohammed Marmaduke Pickthall.
Ich hatte mir den Koran vor einigen Wochen in einer englischen Buchhandlung in Istanbul gekauft und, ehrlich gesagt, große Schwierigkeiten dabei, mich darauf zu konzentrieren. Ich las manche Sure dreimal, ohne sie wirklich zu lesen. Ich legte das Buch wieder weg, schaltete die große Neonröhre an, die über der Kommode hing, und ging zum Kleiderschrank.
Während ich mir ein Hemd aussuchte, rauchte Christopher eine Zigarette. Er hatte geduscht, sich ein Handtuch um die Hüften gewickelt, nun lag er auf dem Bett, die Hand hinter den Nacken geschoben, starrte an die Decke und wartete, daß er trocken wurde. Wir hatten seit Ghazvin kein Wort mehr miteinander gesprochen.
Er hatte sich dort in der Nähe die Festung von Alamut ansehen wollen, ich war mitgefahren, obwohl es mich nicht sonderlich interessiert hatte. Ich war Innenarchitekt, ich richtete Wohnungen ein. Christopher hatte mir den einen oder anderen Auftrag besorgt, manchmal war ein ganzes Haus dabei, öfters nicht. Die Architektur war mir zu kompliziert, das Einrichten war ja schon schwierig genug.
Christopher sagte dazu immer, ich sei etwas dämlich, womit er ja auch vielleicht recht hatte. Aus dem Flur kamen Staubsaugergeräusche. Wir schwiegen uns an. Langsam wurde es albern.
»Du mußt nicht mit auf die Party, wenn Du nicht willst.«
»Doch, doch, ich komme mit«, sagte er und beobachtete weiter den Rauch, der zur Decke stieg. Er sah für mein Gefühl etwas lächerlich aus, denn seine verbundenen Beine steckten in hellbraunen Halbschuhen, ohne Socken, seine beigefarbene Cordhose lag noch auf dem Koffer neben dem Bett. Die Beine hatten wieder angefangen zu nässen, durch die Verbände hindurch.
Seine hellbraunen Halbschuhe waren von Berluti, Christopher hatte mir einmal erzählt, es wären die besten Schuhe der Welt, es gäbe sogar einen Klub der Berluti-Schuhbesitzer, die sich in der Nähe des Place de Vendôme trafen, um ihre Berlutis mit Krug zu putzen.
Ich schaltete die Klimaanlage aus, er stand auf, schleppte sich zum Fenster und schaltete sie wieder an.
»Klimaanlagen sind ein Ausdruck der Zivilisation«, sagte er. »Außerdem ist mir schrecklich warm. Ich brauche das.«
»Ja, ich weiß. Bleib doch bitte einfach hier im Hotelzimmer.«
»Nein, auf keinen Fall.«
»Ich komme schon allein deshalb mit, weil ich einen Drink brauche«, sagte er und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. »In diesem Land gibt es ja nicht ein einziges ordentliches Getränk.«
»Soll ich Dir in die Hose helfen?«
»Nein, danke.«
Er setzte sich auf, schob sich die Haare aus der Stirn, nahm die Hose, die er auf den Kofferdeckel gelegt hatte, und schlüpfte vorsichtig hinein, ohne dabei die Schuhe auszuziehen. Er machte ein Gesicht, als ob er große Schmerzen hätte. Dabei war die Cordhose unten weit ausgestellt, seine Beine paßten gut durch, es war eine ziemliche Schlaghose.
Meine eigenen Hosen machte ich unten mit Sicherheitsnadeln enger, ich konnte Schlaghosen nicht mehr ertragen, Christopher sagte dazu, das mit den Sicherheitsnadeln sehe verboten aus, aber bitte.
Er hatte sich seit mehr als einer Woche nicht mehr rasiert. Seine Gesichtshaut schien gelb geworden zu sein, trotz des Sonnenbrands auf der Stirn. Seine Wangenknochen und sein Adamsapfel waren noch stärker hervorgetreten als sonst.
»Willst Du nicht doch hierbleiben? Ich komme in einer Stunde zurück, und Du kannst Dich solange etwas ausruhen.«
»Nein, nein.«
Er hielt sich den Arm an die Stirn, um zu prüfen, ob und wieviel Fieber er hatte. Er sah dabei sehr charming aus. Er hatte ja so schöne Haare, sie gingen ihm bis zu der Stelle, an der sein Kiefer den Hals traf.
»Es wird schon gehen, bei diesem Gastgeber. Er ist ja unglaublich amüsant, auch wenn er verwirrende Dinge von einem fordert, zumindest für Dich verwirrend«, sagte er. »Außerdem wird die große Googoosh dort sein.«
Googoosh war eine persische Schlagersängerin, Christopher liebte sie über alles, er besaß alle ihre Platten, ich fand, sie klang wie eine bessere Daliah Lavi.
»Laß nur, es geht schon«, sagte er nochmals. Dann wählte er ein hellblaues Pierre-Cardin-Hemd, er hatte zwölf genau gleiche dabei, und band sich einen breiten, abgewetzten Ledergürtel um seine viel zu schmalen Hüften.
Ich zog ein paar Sandalen an, ging ins Bad, wusch mir das Gesicht, prüfte mein Aussehen im Spiegel und korrigierte dann mit einer Nagelschere die zu lang gewachsenen Spitzen meines Schnauzbartes. Ich mochte es nicht, wenn mir die Enden des Schnauzbartes in die Mundwinkel hingen. Ein oder zwei Nasenhaare, die aus meinem rechten Nasenloch ragten, schnitt ich ebenfalls ab.
Dann nahm ich mein seidenes Paisley-Einstecktuch, faltete es und schob es mir in die Hosentasche, zusammen mit dem Zigarettenetui aus Schildpatt. Ich rauchte nicht viel, nur wenn ich trank oder mich aufregte, oder nach dem Essen. Durch das Badezimmerfenster waren Nachtgeräusche zu hören; eine Polizeisirene, ein anfahrendes Auto.
»Komm, laß uns gehen. Hast Du alles?«
»Ja natürlich«, sagte er. »Zimmerschlüssel, Geld, Ausweis. Ich habe immer alles.« Er sah an mir herunter und verzog den rechten Mundwinkel, bis das berühmte Christopher-Grübchen zu sehen war.
»Mußt Du diese Sandalen unbedingt tragen? Sie sehen zum Schämen aus«, sagte er.
»Sandalen zu tragen, dear, ist, der Bourgeoisie einen Fußtritt ins Gesicht zu geben.«
»Fotze«, sagte Christopher.
Ich schloß die Zimmertür ab, und wir liefen den Gang des Hotels hinunter. Christopher humpelte. Zwei Zimmerfrauen, die, an einen Handtuchwagen gelehnt, miteinander gesprochen hatten, verstummten, als wir vorbeigingen. Beide trugen von Kopf bis Fuß schwarze Umhänge. Nur ihre etwas fülligen Gesichter waren zu sehen. Sie wendeten sich ab und blickten zu Boden.
»Aasgeier«, sagte Christopher im Vorbeigehen.
»Hör auf.«
»Na, es ist doch so.«
»Christopher«. Es klang sanfter, als es klingen sollte. »Es sind nur Putzfrauen.«
»Das ist mir, ehrlich gesagt, egal«, sagte er und drückte auf den Fahrstuhlknopf. »Sie sind fett, häßlich, und sie können nicht mal bis zehn zählen, so dumm sind sie. Sie fressen Aas. Sie werden unsere Koffer durchwühlen, wenn wir weg sind. Du wirst es sehen.«
Er zog an seiner Zigarette und schnippte sie gegen den Aschenbecher neben der Fahrstuhltür, so daß die Funken von der Wand aufstoben und die Kippe auf den Teppich fiel. Die Frauen sahen zu uns herüber, diesmal wirklich feindselig, und als sich die Fahrstuhltür öffnete, rief eine von ihnen ziemlich laut Marg Bar Amerika! hinter uns her, und ich konnte sehen, daß die beiden Frauen jetzt wirklich wütend waren, nicht nur eingebildet; so etwas machte Christopher immer absichtlich: so lange seine Einbildung in die Wirklichkeit übertragen, bis sie tatsächlich existierte.
Im Fahrstuhl sahen wir beide auf die erleuchteten Ziffern über der Tür, die nach unten zählten. Ich drehte den Zimmerschlüssel in meiner Hand hin und her. Wir wußten beide nicht, wo wir hinsehen sollten. Christopher wischte sich mit einem Taschentuch den Mund und die Stirn ab. Er schwitzte, obwohl er ja kein Fieber hatte.
»Ich habe wirklich ganz grausam schrecklichen Durst«, sagte er. Ich sagte nichts.
Die Fahrstuhltür ging endlich auf. Die Lobby war menschenleer, außer einem Kellner, der schnell verschwand, als er uns aus dem Fahrstuhl kommen sah.
Draußen war es kühl. Ich war froh, vorhin einen Pullover unter dem Jackett angezogen zu haben. Diesen Pulli mochte ich besonders gern, er war ein Mittelding aus dünnem Norweger und Cecil Beatons Abendpullover; angedeutete, abstrakte Rentiere waren darauf abgebildet.
Der Fahrer trug immer noch seine Sonnenbrille, obwohl es bereits acht Uhr abends war und dunkel. Er hielt uns die Tür des neuen, beigefarbenen Cadillac Coupé de Ville auf, und Christopher stieg umständlich hinten ein, und in diesem Moment haßte ich ihn sehr.
Und dann, sofort danach, schämte ich mich für dieses Gefühl, ich dachte an seine nässenden Beine, an seine gespielte Hilflosigkeit, die so niedlich war, und an seine eigentlich unbezwingbare Selbstsicherheit, und so schämte ich mich also und sah aus dem Wagenfenster.
Wir fuhren breite Alleen hinauf. Teheran war an einen Berghang gebaut worden, so daß es immer aufwärts ging. Kleine Bäche säumten die Straßen, junge Ahornbäume kühlten ihre Wurzeln in den ewig bergab fließenden Wassern. Familien spazierten an eleganten, hell erleuchteten Geschäften vorbei. An vielen Straßenkreuzungen standen Wagen der Militärpolizei und kontrollierten die Fahrzeuge, wir wurden immer durchgewunken.
Es war ein klarer, kühler Abend, ich drehte das Fenster herunter und ließ meinen linken Arm heraushängen, und der angenehme Fahrtwind kühlte meinen Handschweiß. Christopher saß unbeweglich neben mir und sah aus dem anderen Fenster. Ich wollte seine Hand in meine nehmen, deshalb hatte ich mir die Hand ja auch abgekühlt, ließ es dann aber sein.
Wir näherten uns einer Autobahnbrücke, an deren Geländer ein breites schwarzes Stofftuch befestigt war. Darauf stand in roten Buchstaben Death to America – Death to Israel – Death to the Shah. Ein paar Soldaten waren damit beschäftigt, das Stofftuch abzureißen. Ein Offizier, der eine Sonnenbrille trug, stand daneben und gab Anweisungen, unser Wagen fuhr unter der Brücke durch, und der Offizier drehte sich um und sah uns nach – ich konnte ihn und seine verspiegelte Sonnenbrille im Schein der Straßenbeleuchtung genau sehen.
Ich mochte unseren Fahrer gerne. Er nahm die Sonnenbrille ab, sah in den Rückspiegel, ich sah auch hinein, und unsere Blicke trafen sich kurz. Er hieß Hasan und wußte viel über dies und jenes. Er hatte uns vorgestern in der Nähe von Ghazvin zu sich nach Hause eingeladen, und ich war froh über die Konversation gewesen, da Christopher und ich uns leider seit über einem Jahr nicht mehr viel zu sagen hatten, das heißt, es war schwierig geworden in letzter Zeit, mit ihm zu reden, weil alles so gleichförmig schien, es war nur noch ein Austauschen von Formeln, es war alles wie eines dieser schrecklichen Küchenrituale geworden; als ob da jemand kocht und abschmeckt und dies, und dann steht da niemand, der einen dabei beobachtet und sich darüber freut.
Hasan wohnte in einer Apfelplantage, sein Haus war ein einfaches Steinhaus, dessen hellbraune Wände mit einer ansprechenden Wischtechnik gearbeitet waren. Wir hatten über die Apfelernte gesprochen – er erntete auch Tomaten – und heißen Tee getrunken, den uns seine schüchterne Frau sofort nachschenkte, wenn die Gläser leer waren.
Nach einer Weile schickte er seine Frau aus dem Zimmer; stand auf und holte etwas aus der Schublade einer Kommode. Er wickelte es aus, sehr vorsichtig, als wäre es zerbrechlich. Es war ein gerahmtes Foto von Farah Diba, der Frau des Schahs.
»Ist sie nicht wunderschön? Sie ist so voll von Oral. Wie sagt man? Oral?«
»Oralsex?«
»Ja. Von der Versprechung einer besseren Welt«, sagte Hasan. Christopher war inzwischen schulterzuckend nach draußen gegangen, spazieren, wie er sagte.
Hasan pustete den Staub von der Fotografie und wischte mit seinem Ärmel darüber. Er stand auf, stellte das Foto wieder auf die Kommode, legte eine Kassette in den Rekorder, und wir hörten die Ink Spots.
My prayer
is to linger with you
at the end of the day
in a dream that’s divine.
My prayer
is a rapture
in blue …
»Die Ink Spots«, sagte Hasan.
»Hmmm, ja, die Ink Spots.«
»Es ist sehr schöne Musik, obwohl sie aus Amerika kommt. Hören Sie?«
»Oh, ja, doch. Es klingt sehr schön.« Ich dachte daran, daß Hasan ja eigentlich unser Fahrer war, aber es war mir plötzlich egal.
My prayer – is a rapture in blue, klang es aus den Lautsprechern.
»Die Musik, sie wird von Sklaven gesungen. Deshalb ist sie so traurig.«
»Aber es gibt in Amerika keine Sklaven mehr.«
»Doch, doch, in den Südstaaten. Schwarze Sklaven. Ich habe es gelesen.«
»Hasan, ich garantiere Ihnen, daß es in den Südstaaten keine Sklaven mehr gibt. Das ist nur Propaganda, was Sie da gehört haben.«
»Sie sind nicht sehr Moslem.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Nein, das kann man nicht gerade sagen.«
»Schade. Dann tanzen Sie wenigstens mit mir«, sagte Hasan.
Ich stand auf, und wir tanzten eine Weile zusammen zu den Ink Spots, jeder für sich, jeder auf einer gegenüberliegenden Ecke des großen Teppichs aus Bukhara, der Hasans ganzer Reichtum war, während Farah Diba von der Kommode aus zusah.
Als Christopher von seinem Spaziergang zurück ins Haus kam, war die Kassette zu Ende. Hasan nahm sie aus dem Kassettenrekorder und drückte sie mir in die Hand.
»Für Sie«, sagte er. »Ein Geschenk.«
Ich schob die Kassette in meine Hosentasche und gab Hasan die Hand, obwohl ich die Kassette gar nicht haben wollte.
»Danke.«
»Heben Sie sie bitte gut auf!«
Die Tür zur Wohnstube ging auf, und Christopher stand dort und schaute uns an. Er sah gar nicht gut aus. Seine Haare klebten ihm in der Stirn, sein hellblaues Hemd war vorne naßgeschwitzt, und die Cordhose war unten am Schlag schmutzig und mit braunem Dreck verkrustet. Er lehnte im Türrahmen, sah Hasan an und dann mich, und selbst durch seine Mattigkeit, durch seine Krankheit und weit darüber hinaus war ihm die Verachtung anzusehen, darüber, daß Hasan und ich uns gut verstanden, zutiefst empfundene Verachtung.
Ich sah nicht mehr in den Rückspiegel. Wir fuhren noch zehn Minuten bergauf und hielten vor einer Villa im Norden Teherans. Das Haus war am Hang gebaut, die Aussicht über die Stadt war famos von hier oben. Teheran war in braunen Dunst gehüllt, der in den höheren Luftschichten gelblich wurde und erst dann dunkel. Tausende und Millionen von Lichtern glitzerten in der Ebene unter uns. Christopher und ich stiegen aus und klingelten an der Tür. Hasan parkte den Cadillac in einer Seitenstraße. Ich sah, wie er sich eine Zigarette anzündete, eine Zeitung aufschlug und begann, es sich im Auto gemütlich zu machen.
Ich schaute die Allee hinunter, die Reihen von Ahornbäumen entlang, die sich bergab im Dunst verloren. Der Mond war inzwischen orangerot aufgegangen, ein paar Glühwürmchen schwirrten um uns herum, sie wohnten in den Ginsterbüschen, die an einem Abhang neben der Straße wuchsen. Christopher schlug nach den Glühwürmchen, aber er erwischte keine.
»Laß sie doch.«
»Hast Du eigentlich auch noch etwas zu sagen, das in irgendeiner Weise interessant sein könnte?«
Er drehte sein Gesicht zu mir hin. Sein Mund war nicht schön anzusehen; es schien, als habe er über Nacht viel mehr Falten bekommen. Seine Augen waren fiebrig, heute denke ich, er war damals schon sehr lange krank gewesen, viel länger, als ich gedacht hatte. Ich drehte mich etwas zur Seite, so daß ich ihm meinen Hals als Angriffsfläche hingab. Dies war eine Geste, die ich oft benutzte, um ihn zu besänftigen, ohne daß er die Geste als solche erkannte.
»Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie sehr Du mich anödest«, sagte er.
»Die Liebe, die einst so einfach schien, ist in Schwierigkeiten. Das ist von … von … warte, es ist von Hafez Shirazi. Rather fitting, findest Du nicht?«
»Weißt Du was? Du bist mongoloid«, antwortete Christopher.
Er gähnte und zündete sich dann umständlich eine Zigarette an, so daß der Vorgang des Anzündens extra lange dauerte. Ich starrte auf die Haustür der Villa.
Ich hatte einen metallischen Geschmack im Mund. Mir war, als kaute ich auf Aluminiumfolie, als habe sich eine Plombe in meinen Zähnen gelöst. Wir sahen uns nicht an. Ich konnte Christopher nicht ansehen.
Die Glühwürmchen schwirrten weiter um uns herum. Nach einer Weile kam jemand, um die Tür zu öffnen. Wir traten über die Schwelle in den Schein gelben und warmen Lichts.
Ein Hausangestellter in cremefarbenen Handschuhen führte uns durch einen großen Salon, an schwedischen Fayencetischen vorbei, auf denen etwas zu perfekte Lilienarrangements in chinesischen Vasen steckten. Ich zog im Vorbeigehen mit dem Finger an einem Tisch entlang und wischte ihn dann an meiner hellen Hose ab. Es gab keinen Staub.