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»Unglaublich populär und schön geschrieben … Wenn Sie Musik lieben oder Leute kennen, die Musik lieben, werden Sie kein schöneres Weihnachtsgeschenk finden als dieses Buch.« Elke Heidenreich – Spiegel Online
Eine musikalische Entdeckungsreise ins Unbekannte und Unerhörte. Kaum ein Bereich der Gesellschaft und der Kunst hängt so am Althergebrachten wie die Welt der klassischen Musik. Auf den Bühnen der Konzert- und Opernhäuser dominieren Beethoven und Brahms, Mozart, Verdi und Wagner. Aber warum tauchen Komponistinnen bis heute kaum auf den Spielplänen auf? Arno Lücker beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Lebensläufen und der Musik von komponierenden Frauen. Die meisten von ihnen mussten sich den Raum ihrer kreativen Entfaltung gegen zahlreiche Widerstände erkämpfen. 250 Komponistinnen aus aller Welt und vielen Jahrhunderten versammelt er in diesem Buch. In funkelnden Kurzporträts lässt er uns in das Leben der Musikerinnen eintauchen. Dabei geht es immer auch darum: Wie klingt diese Musik, die wir noch nicht kennen? Arno Lücker öffnet uns Augen und Ohren für das Unerhörte.
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Seitenzahl: 881
Eine musikalische Entdeckungsreise ins Unbekannte und Unerhörte
Kaum ein Bereich der Gesellschaft und der Kunst hängt so am Althergebrachten wie die Welt der klassischen Musik. Auf den Bühnen der Konzert- und Opernhäuser dominieren Beethoven und Brahms, Mozart, Verdi und Wagner. Aber warum tauchen Komponistinnen bis heute kaum auf den Spielplänen auf? Arno Lücker beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Lebensläufen und der Musik von komponierenden Frauen. Die meisten von ihnen mussten sich den Raum ihrer kreativen Entfaltung gegen zahlreiche Widerstände erkämpfen. 250 Komponistinnen aus aller Welt und vielen Jahrhunderten versammelt er in diesem Buch. In funkelnden Kurzporträts lässt er uns in das Leben der Musikerinnen eintauchen. Dabei geht es immer auch darum: Wie klingt diese Musik, die wir noch nicht kennen? Arno Lücker öffnet uns Augen und Ohren für das Unerhörte.
»Was für ein Glück, dass an all diese schöpferischen Frauen endlich erinnert wird. Arno Lücker verdient Dank und Respekt für diese großartigen Ausgrabungen.« Elke Heidenreich
Arno Lücker, geboren 1979 in Braunschweig, studierte Musikwissenschaft und Philosophie und arbeitet als Musikwissenschaftler, Musikkritiker, Pianist und Komponist. Von 2008 bis 2010 arbeitete er vor und hinter dem Mikrophon beim Rundfunk Berlin-Brandenburg und von 2010 bis 2013 als Dramaturg am Konzerthaus Berlin (seitdem freischaffend). Außerdem unterrichtet er Musikwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. Für das »VAN Magazin« schreibt er seit 2019 die viel beachtete Artikelserie »250 Komponistinnen«.
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Arno Lücker
250 Komponistinnen
Frauen schreiben Musikgeschichte
Mit Illustrationen von Chiara Jacobs
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
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Vorwort
250 Komponistinnen – Vom Text zur Musik
1 Ein 104-jähriges Komponistinnenleben — Margaret Ruthven Lang (1867–1972)
2 Götterdämmerungsverzweiflungsmusik — Jeanne Beijerman-Walraven (1878–1969)
3 Die Reichen gehen leer aus — Chiara Margarita Cozzolani (1602–1676/78)
4 Revolutionärin, Feministin, Dichterin – und Komponistin — Johanna Kinkel (1810–1858)
5 Schorfiger Minimal-Grunge — Lene Grenager (*1969)
6 Die leichte Unerträglichkeit des Seins — Rosy Wertheim (1888–1949)
7 Märchen aus irgendeiner Zeit — Marcelle de Manziarly (1899–1989)
8 Tanz auf dem Vulkan — Johanna Müller-Hermann (1868–1941)
9 »Unerhört, dass ein Mädchen Violine spielte!« — Luise Adolpha Le Beau (1850–1927)
10 Geteiltes Leid ist doppeltes Leid — Maddalena Casulana Mezari (um 1544–?)
11 Neue Musik zum aufgeregten Zurücklehnen — Viera Janárčeková (1941–2023)
12 Fuga pastoralis — Helvi Leiviskä (1902–1982)
13 Symphonik gegen den Stumpfsinn — Elsa Barraine (1910–1999)
14 »Du glaubst, mich verstanden zu haben? Vergiss es!« — Vítězslava Kaprálová (1915–1940)
15 »Sie besitzt vollkommen die Musik.« — Marianne Auenbrugger (1759–1782)
16 Zwischen den Stilen — Mélanie Bonis (1858–1937)
17 »Zu aufregend für ein zartes Kind!« — Barbara Pentland (1912–2000)
18 Licht in der Nacht — Alma Mahler-Werfel (1879–1964)
19 Chor der Splatter-Amphibien — Beatriz Ferreyra (*1937)
20 »Ich bedauere es zutiefst, nicht alle ihre Werke zu besitzen.« — Isabella Leonarda (1620–1704)
21 Leidenschaftlich waldumwoben — Elisabeth von Herzogenberg (1847–1892)
22 Selbst im Lied kein Selbstmitleid — Lili Boulanger (1893–1918)
23 Im Orchesteraquarium — Tania León (*1943)
24 Tonangebende Breitentalente — Sophia Dussek (1775–ca. 1831)
25 Die Argumentationsgrenzen des Klaviers — Priaulx Rainier (1903–1986)
26 Im goldenen Rahmen — Dora Pejačević (1885–1923)
27 Ewige Widerworte — Shulamit Ran (*1949)
28 »Trügerische Seele, undankbares Herz!« — Antonia Bembo (ca. 1640–ca. 1720)
29 »Nieder mit Bertin!« — Louise Bertin (1805–1877)
30 Big in Bayreuth — Wilhelmine von Preußen/Brandenburg-Bayreuth (1709–1758)
31 Ein bisschen Mittelaltermarkt — Felicitas Kukuck (1914–2001)
32 Smoke On The Organ — Jeanne Demessieux (1921–1968)
33 Spaß und Rotwein ohne schlechtes Gewissen — Hanna Kulenty (*1961)
34 Norwegens erste Symphonikerin — Anne-Marie Ørbeck (1911–1996)
35 Dunkle Töne, todernste Ansage — Sara Lewina (1906–1976)
36 »Morgen sinnen, heute spinnen« — Pauline Viardot-García (1821–1910)
37 Glitschige Gefilde — Eva Schorr (1927–2016)
38 »Sehr fertige Finger« — Marianna von Martines (1744–1812)
39 Sanft säuselnde Schalmeien — Camilla de Rossi (ca. 1670–ca. 1710)
40 Von ihr hat Brahms geklaut — Amanda Röntgen-Maier (1853–1894)
41 Das dritte Ohr — Maryanne Amacher (1938–2009)
42 What a nun! — Lucrezia Orsina Vizzana (1590–1662)
43 Erste jüdische Liturgie-Komponistin — Miriam Gideon (1906–1996)
44 Schilder einer Trabantenstadt-Baustelle — Grażyna Bacewicz (1909–1969)
45 Verdünnisierende Klaviertöne — Erna Woll (1917–2005)
46 Von Versailles zu Georg III. — Maria Theresia von Paradis (1759–1824)
47 Ohne Ziel — Karólína Eiríksdóttir (*1951)
48 Fast schon romantische Ironie — Juliane Reichardt (1752–1783)
49 Perkussiver Exzess — Ivana Loudová (1941–2017)
50 Erste Symphonie-Komponistin der USA — Amy Beach (1867–1944)
51 »Trommelschall, Trompetenklang und 150 Schuss Salut« — Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel (1739–1807)
52 Die falsche Note — Teresa Carreño (1853–1917)
53 Hypnotische Gambenkreise — Leonora Duarte (1610–ca. 1678)
54 Die Extremistin — Augusta Holmès (1847–1903)
55 In der Forschungslücke — Helene Liebmann (1795–1869)
56 Schmelztiegel innerer Gefühlswelten — Elsa Respighi (1894–1996)
57 Die Augenbrauen des Clowns — Judith Weir (*1954)
58 Montags bis freitags in Aldeburgh — Imogen Holst (1907–1984)
59 Maria Callas fällt aus — Peggy Glanville-Hicks (1912–1990)
60 Krass komponierte Stimmungswechsel — Sophie-Carmen Eckhardt-Gramatté (1899–1974)
61 Drei Jahre Quarantäne — Francesca Caccini (1587–1640)
62 Wo bist du? — Marguerite Canal (1890–1978)
63 Alles auf dem gleichen Ton — Graciela Paraskevaídis (1940–2017)
64 Kanadisches Mosaik — Jean Coulthard (1908–2000)
65 Blechbläser-Störung — Nina Makarova (1908–1976)
66 Bombenhagel im Hintergrund — Lūcija Garūta (1902–1977)
67 A Classic Guide To No (Wo)Man’s Land — Lindsay Cooper (1951–2013)
68 In c — Grete von Zieritz (1899–2001)
69 Innere Action — Radie Britain (1899–1994)
70 Macht Platz! — Chiquinha Gonzaga (1847–1935)
71 Vom Erdboden verschluckt — Anna Bon di Venezia (1738–ca. 1767)
72 Die Tränen trocknen — Teresa del Riego (1876–1963)
73 Erste französische Opernkomponistin — Élisabeth Jacquet de La Guerre (1665–1729)
74 Das Klavierkonzert als Predigt — Florence Price (1887–1953)
75 Liebe: besungen — Josephine Lang (1815–1880)
76 Im Gras der Unzufriedenheit — Elizabeth Maconchy (1907–1994)
77 Nach Eheschließung der Bankrott — Maria Malibran (1808–1837)
78 Wisper-Momente, kleine Räusche — Mercè Capdevila (*1946)
79 Galionsfigur der schwedischen Frauenbewegung — Elfrida Andrée (1841–1929)
80 Lange nachhallende Zeitlosigkeit — Clara Faisst (1872–1948)
81 Keine Lust auf Weltliches — Vittoria Raffaella Aleotti (1575–nach 1646)
82 Für zwei Jahrzehnte verstummt — Ruth Crawford Seeger (1901–1953)
83 Inseln zum Hören — Mary Dickenson-Auner (1880–1965)
84 Raum für eigene Notizen — Josefina Benedetti (*1953)
85 Passagen aus Schnee — Kerstin Thieme (1909–2001)
86 Es geht ums Eingemachte — Ruth Zechlin (1926–2007)
87 Keine »harmlose Salonkomposition« — Cécile Chaminade (1857–1944)
88 Auf der Schwelle zur Klassik — Elisabetta de Gambarini (1730–1765)
89 Sie liebte die Improvisation — Mary Jeanne van Appledorn (1927–2014)
90 Das kann niemand erklären — Els Aarne (1917–1995)
91 Als ich die Brücke der Träume überquerte — Anne Boyd (*1946)
92 Hält, was sie verspricht — Clémence de Grandval (1828–1907)
93 Warum in aller Welt willst du nicht »Rosenblatt« heißen? — Ann Ronell (1906/08–1993)
94 Gnadenlos introvertiert — Nancy Dalberg (1881–1949)
95 »Ich liebe dich, leider!« — Sophie Gail (1775–1819)
96 Neue Leichtigkeit — Cathy Berberian (1925–1983)
97 Ineinandernuschelnde Marimbas — Unsuk Chin (*1961)
98 Spätromantik trifft Minimal Music — Maria Bach (1896–1978)
99 Music of Today — Norma Beecroft (*1934)
100 Süßes Brot vom Himmel — Caterina Assandra (um 1590–nach 1618)
101 Die Ragtime-Pionierin — May Aufderheide (1888–1972)
102 Geborene Rebellin — Ruth Gipps (1921–1999)
103 »Stets sei es Frühling um dich!« — Emilie Zumsteeg (1796–1857)
104 400 Lieder zum Entdecken — Pauline Duchambge (1776–1858)
105 »Weit populärer als ihr Mann« — Margarethe Danzi (1768–1800)
106 Nun kann die Geschichte beginnen — Louise Farrenc (1804–1875)
107 38 Jahre gemeinsam im Opernhaus — Thea Musgrave (*1928)
108 Berlins erste Berufs-Komponistin — Emilie Mayer (1812–1883)
109 Horch! — Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848)
110 Quasi-Schwester von Charles Ives — Vally Weigl (1888–1944)
111 Wo bekomme ich 111 Luftballons her? — Cecilia Seghizzi (1908–2019)
112 Stradivari zu verkaufen — Rebecca Clarke (1886–1979)
113 »Diese verfluchte Musik!« — Caroline Boissier-Butini (1786–1836)
114 Wird sichtbar am Horizont — Sophie Menter (1846–1918)
115 Sonate für Saxophon — Jeanine Rueff (1922–1999)
116 Abgelehnte Ehrentitel — Grace Williams (1906–1977)
117 Wie Bernstein, nur früher — Henriëtte Bosmans (1895–1952)
118 Zerstören, sagt sie — Iris ter Schiphorst (*1956)
119 25 Jahre in der Landwirtschaft — Chaya Arbel (1921–2007)
120 Absolut freiwillig komisch — Svitlana Azarova (*1976)
121 Willkommenes Leben — Lesia Dychko (*1939)
122 Nordische Klangzauberinseln — Laura Valborg Aulin (1860–1928)
123 Kulturschaffende Frauen unter sich — Ika Peyron (1845–1922)
124 Wie in einem David-Lynch-Film — Johanna Beyer (1888–1944)
125 Umschlingend, verdrehend — Marion Bauer (1882–1955)
126 Gezacktes Klavier — Alicia Urreta (1930–1986)
127 Gespür für Drama, Spannung und Humor — Maria Rosa Coccia (1759–1833)
128 »Mama sollte eine Warnung sein« — Amy Horrocks (1867–1919)
129 Märchensplitter — Marie Jaëll (1846–1925)
130 Es zappelt — Joan Trimble (1915–2000)
131 Sie spielte Beethoven Beethoven vor — Marie Bigot (1786–1820)
132 Die einzige Frau in der Groupe des Six — Germaine Tailleferre (1892–1983)
133 Brennendes Klavier — Annea Lockwood (*1939)
134 Ein rätselhafter Tod — Franziska Lebrun (1756–1791)
135 Troubled Water — Margaret Bonds (1913–1972)
136 Wütende Ausraster — Minna Keal (1909–1999)
137 Neo-Neoklassizismus aus Neapel — Matilde Capuis (1913–2017)
138 Blutgrätsche des Orchesters — Leni Alexander (1924–2005)
139 Maikäfer, flieg — Liza Lehmann (1862–1918)
140 Ohne Worte — Fanny Hensel (1805–1847)
141 Erfinderin des Komponistinnen-Lexikons — Mary Wurm (1860–1938)
142 Symphonie Nr. 9 — Liana Alexandra (1947–2011)
143 Split Screen — Franghiz Ali-Zadeh (*1947)
144 Ins Wort fallen — Anna Teichmüller (1861–1940)
145 Barock-Begeisterung — Agnes Zimmermann (1847–1925)
146 Angenehm, wahnsinnig — Natalie Janotha (1856–1932)
147 Meisterin des expressiv Galanten — Maria Teresa Agnesi Pinottini (1720–1795)
148 Das Klavier zum Chor machen — Modesta Bor (1926–1998)
149 Stress komponieren — Lucia Dlugoszewski (1925–2000)
150 Zeitempfinden, das sich ausgeht — Adriana Hölszky (*1953)
151 Before I’d be a Slave — Undine Smith Moore (1904–1989)
152 US-Brass-Momente — Chen Yi (*1953)
153 Händel war ihr Abonnent — Elizabeth Turner (ca. 1700–1756)
154 Das Lied von der Gedankendurchwirbelung — Marta Valdés (*1934)
155 Komponierende Hosenrollen-Sängerin — Ida d’Fonseca (1806–1858)
156 Minimal-Anklänge aus Kasachstan — Gasisa Schubanowa (1927–1993)
157 Jenseits der Kinderlieder — Alice Tegnér (1864–1943)
158 Von H-Dur wunderbar umgeben — Elisabeth Kuyper (1877–1953)
159 Die Einsamkeit der Symphonie-Komponistin — Gloria Coates (1938–2023)
160 »Ba-Dum-Tss!« — Julia Perry (1924–1979)
161 Spieldosentrance — Angélica Negrón (*1981)
162 Ein Alberti-Bass rödelt kindgerecht vor sich hin — Philippa Schuyler (1931–1967)
163 Symphonie c-Moll — Alice Mary Smith (1839–1884)
164 Die große Irin — Ina Boyle (1889–1967)
165 Ruhe in der Bewegung — Fernande Decruck (1896–1954)
166 Symphonie mit Street Credibility — Joanna Bailie (*1973)
167 Unbekannte Cellosonate — Laura Netzel (1839–1927)
168 Die wohltemperierte Marimba — Catherine Christer Hennix (*1948)
169 »The Godfather« als Trompetenkonzert — Alexandra Pachmutowa (*1929)
170 Jetzt, wo das Kind schläft — Nadia Boulanger (1887–1979)
171 Entdeckerin des »Deep Listening« — Pauline Oliveros (1932–2016)
172 Gute Kälte — Sara Glojnarič (*1991)
173 Gefüllte Lücken — Claudia Jane Scroccaro (*1984)
174 Origineller als Mozart und Beethoven — Josepha Auernhammer (1758–1820)
175 Früheste Komponistin des Abendlandes — Kassia (ca. 810–ca. 865)
176 Trauer ohne Weinen — Agnes Tyrrell (1846–1883)
177 Komponieren für die Piaf — Marguerite Monnot (1903–1961)
178 Eine Cellosonate aus Buenos Aires — Elsa Calcagno (1910–1978)
179 Chor und Glockenspiel — Maija Einfelde (*1939)
180 Üben, jeden Tag! — Katherine Balch (*1991)
181 Entführung aus Wales — Morfydd Owen (1891–1918)
182 Wintersonne, Sommerregen — Hilary Tann (1947–2023)
183 Unpässliche Eltern — Phyllis Tate (1911–1987)
184 Königin der Amazonen — Maria Antonia von Bayern (1724–1780)
185 Folkloregefühl — Gajane Tschebotarjan (1918–1998)
186 Sängerin, Pianistin, Komponistin, Pflegekraft — Rosalind Ellicott (1857–1924)
187 Bitte tanzen! — Meredith Monk (*1942)
188 Gebete in vielfacher Besetzung — Galina Grigorjeva (*1962)
189 Queen Elizabeth II. stand ihr im Weg — Doreen Carwithen (1922–2003)
190 Perfekte Rhapsody-in-Blue-Alternative — Teresa Procaccini (*1934)
191 Reise zur eigenen Stimme — Gabriela Lena Frank (*1972)
192 Komponieren für Sibelius — Laila Arafah (*2004)
193 Im heißen Wüstensand — Mary Howe (1882–1964)
194 Ein orchestrales Wimmelbild — Vivian Fung (*1975)
195 Gewisse Schwärmereien — Maria Frederica Stedingk (1799–1868)
196 Weihnachtsliedalternative — Jane Savage (1752–1824)
197 Dur-ummantelt — Marie Franz (1828–1891)
198 Polka aus Bolivien — Modesta Sanginés Uriarte (1832–1887)
199 Im schönen Hastings — Florence Aylward (1862–1950)
200 »O liebliche Laubblätter« — Rosa Giacinta Badalla (ca. 1660–ca. 1710)
201 Souvenir aus Odessa — Esmeralda Athanasiu-Gardeev (1834–1917)
202 Das schönste Lied der Welt — Alicia Ann Spottiswoode (1810–1900)
203 Ballettmusik aus Australien — Esther Rofe (1904–2000)
204 Amerika ist nicht zu hören — Ursula Mamlok (1923–2016)
205 Krank vor Liebe (im Kloster) — Alba Trissina (*ca. 1590)
206 Kirchenmusikverortung — Helen Eugenia Hagan (1891–1964)
207 Stille und Gefühl Anno 1629 — Francesca Campana (ca. 1615–1665)
208 Blubbern beim Einsingen — Alice Shields (*1943)
209 Die große Unbekannte — Mrs Philarmonica (ca. 1715)
210 Tochter der Sonne — Aftab Darvishi (*1987)
211 Gefrorene Landschaft — Ludmila Yurina (*1962)
212 Ein fester Platz im Harfenrepertoire — Henriette Renié (1875–1956)
213 Spiegel schönen Lebens — Sophia Maria Westenholz (1759–1838)
214 Differenzierte Liebesschwüre — Clara Schumann (1819–1896)
215 Äußerst süffig — Mirrie Hill (1889–1986)
216 Klaviermusik aus dem Irak — Beatrice Ohanessian (1927–2008)
217 Süßer Schmerz — Delphine von Schauroth (1813–1887)
218 Lockerungen im heftigen Dickicht — Meri Dawtaschwili (1907–1975)
219 Zündender Funke im Klavier — Martha von Sabinin (1831–1892)
220 Große Gönnerin — Mathilde von Rothschild (1832–1924)
221 Jazz und Kontrapunkt — Dana Suesse (1911–1987)
222 Ein Vogel sucht seine Ruh — Maria Arndts (1823–1882)
223 Ungehört und modern — Julia Smith (1905–1989)
224 Bemerkenswerter Erlkönig — Ann Mounsey (1811–1891)
225 The March of the Women — Ethel Smyth (1858–1944)
226 Die bekannteste Melodie einer Komponistin? — Kay Swift (1897–1993)
227 Gegen das Verdrängen — Nina Simone (1933–2003)
228 Erste Monodie-Komponistin — Lucia Quinciani (*ca. 1566)
229 »Keine Aufnahme verfügbar« — Maria Frances Parke (1772–1822)
230 Religioso — Fredrikke Egeberg (1815–1861)
231 Pfeffernde Stretta — Marguerite Casalonga (1865–1935)
232 Extrem losgelassene Musik — Guadalupe Olmedo (1853–1889)
233 Für acht Gitarren — Cecilia Pereyra (*1977)
234 Wal-Freiheit — Ludmila Ulehla (1923–2009)
235 Bitte verfilmen — Maddalena Laura Sirmen (1745–1818)
236 Die Batman-Komponistin — Shirley Walker (1945–2006)
237 Der Gesang einer einzigen Nonne — Claudia Sessa (ca. 1570–ca. 1617/19)
238 Kein stehendes Konzept — Halina Krzyżanowska (1867–1937)
239 God is Love — Fanny Arthur Robinson (1831–1879)
240 Glasklar und uneitel — Kaija Saariaho (1952–2023)
241 Kontrabasssonate — Sofia Gubaidulina (*1931)
242 Völlig unvorhersehbar — Mary Carr Moore (1873–1957)
243 Das auskomponierte Stoppen der Uhr — Olga Neuwirth (*1968)
244 Frau am Ruder — Rosanna Scalfi Marcello (1704/05–nach 1742)
245 Glückliche Reise — Kate Loder (1825–1904)
246 Raus aus Schweden — Emilie Holmberg (1821–1854)
247 Zahnräder, ineinander verkeilt — Chaya Czernowin (*1957)
248 Ich schmelze dahin — María Teresa Prieto (1896–1982)
249 Was können wir tun? — Barbara Strozzi (1619–1677)
250 Kraft der Weisheit — Hildegard von Bingen (1098–1179)
Anmerkungen
Personenregister
Impressum
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Auf keinem Spielplatz der Kunst stellen sich so schnell und nachhaltig Rituale ein wie beim Hören von Musik. »Hörst du, Schatz? Sie spielen unser Lied!« Problem nur: »Sie« spielen es immer und immer wieder …
Will man aus dem sich ewig gleich drehenden Hamsterrad des Musikkonsums aussteigen: Es könnte einem ja schwindelig werden. Denn Musik zu hören, die man noch nie zuvor gehört hat, ist eine Herausforderung. Und zwar die schönste Herausforderung überhaupt.
Aufgrund vieler Jahrhunderter Ignorierens, Verhinderns, Umgehens und Beschimpfens von Musik, die von Frauen zu Papier gebracht wurde, bietet das Vorhaben »Ich höre von heute an regelmäßig Werke von Komponistinnen!« – dem Sie sich ja vielleicht anschließen – schlichtweg die Möglichkeit, unbekannte Musik kennenzulernen. Wer also Musik von Komponistinnen hört, hat die Chance, auf Musik zu treffen, der sich man zuvor noch nie hingegeben hat. Dies war der einzige Grund für die Serie »250 Komponistinnen« im VAN Magazin. Und nun ist daraus ein Buch entstanden.
Die Zahl »250« kam einfach aus dem Bauch heraus. Ich wollte meine eigene Suche schon etwas epischer gestalten, in die Musik von Komponistinnen wirklich ganzheitlich eintauchen – und mich nicht mit Porträts über die mir bereits bekannten Künstlerinnen, darunter natürlich Clara Schumann, Fanny Hensel, Adriana Hölszky und viele mehr, zufriedengeben. Und nach dem Schreiben von einigen Folgen – das ist der Vorteil von derlei Großprojekten – ließen sich die Umstände des Schaffens von Komponistinnen auch viel besser geschichtlich einordnen. Für einen klassischen historischen Musikwissenschaftler natürlich eine wahre Freude.
Wann komponierten Frauen also überhaupt – und unter welchen Umständen? Müsste man rückschauend die Geschichte des musikalischen Werkeniederschreibens von Frauen im Lichte der jeweiligen individuell sozialen, gesellschaftlichen und institutionellen Vorzeichen kompakt betrachten, stellt sich die Erkenntnis ein: Wenn, dann waren es zumeist privilegierte Frauen des »Abendlandes«, denen Komponieren überhaupt erlaubt wurde, ohne dass die Betreffenden, wie nicht selten, ein männliches Pseudonym für die Veröffentlichung von Partituren verwenden mussten. Im Rahmen dieser unglaublich engen schaffensmäßigen Möglichkeitsräume waren es ungefähr bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts vor allem Nonnen, Ordensfrauen, die uns heute als Schöpferinnen von Musik noch bekannt sind und die sich selbst im Kloster gegen wütende, ängstliche Männer – in diesen Fällen beispielsweise konservative Kardinäle – durchsetzten. In diesem Buch sind eine ganze Reihe von komponierenden Nonnen vertreten: Kassia, Hildegard von Bingen, Claudia Sessa und viele mehr. Gerade die Musik dieser Komponistinnen hat mich besonders begeistert. Die nicht zu unterschätzende (dialektische) Freiheit des »Komponierens hinter Klostermauern« führte im Falle der genannten Komponistinnen offenbar häufig zu einer Musik, die nicht nur als »auf dem Stand ihrer Zeit«, sondern als qualitativ darüber hinaus transzendierend zu beschreiben ist.
Ungefähr mit Beginn des 18. Jahrhunderts traten Komponistinnen deswegen an das Licht der Öffentlichkeit, weil sie mit einem adeligen Hintergrund und/oder größerer Prominenz als Interpretin gesegnet waren. Viele Komponistinnen des 18. und auch noch des 19. Jahrhunderts waren Sängerinnen und/oder Pianistinnen. Und nur ein gewisser Erfolg als Interpretin erlaubte den Betreffenden, das ein oder andere Mal eigene Kompositionen auf die Programme von Salonkonzerten und Recitals – und damit schlichtweg eigene Noten aufs Pult – zu setzen.
Im Zuge des 20. Jahrhunderts und der sich bahnbrechenden Frauenbewegung traten immer mehr Komponistinnen in Erscheinung, die sich – mehr oder wenig unabhängig – schöpferisch frei ausleben konnten. Und jetzt, im 21. Jahrhundert? Allein die Wucht der Schwierigkeiten individueller Freiheitskämpfe brachte es mit sich, dass Komponistinnen mehrheitlich »Überzeugungstäterinnen« waren – und sind. Bestrebungen, den »Beruf Komponistin« zu ergreifen, waren (und sind) für Frauen von derartig existenzieller Natur, dass wir uns sicher sein können: Es gibt kaum eine Künstlerin, die aus Verlegenheit Komponistin geworden ist; zu groß die Macht der Entscheidung, zu komplex möglicherweise die Befürchtungen im Zuge eines eingeforderten Sich-Auslieferns an einen geifernden »Markt«. Hinzu kam eine Hör-Beobachtung, die man eventuell auch mit der Besonderheit der Entscheidung, Komponistin zu werden, in Verbindung bringen kann; etwas, das sich dann doch aber einer genauen Erklärung eigentlich entzieht, vermutlich aber einfach etwas damit zu tun hat, dass Frauen einerseits aus einer viel größeren existenziellen Geworfenheit heraus komponieren und zugleich wohl – quasi daraus folgend – auch mit größerem Talent, das entsprechend künstlerischen »Schaffensdruck« nach sich zieht: Komponistinnen geben auf kompositionsästhetische »Standards«, so schien es mir, oft weniger als Männer. In vielen Werken von Komponistinnen habe ich eine ganz andere Art der Dramaturgie herausgehört, ganz andere Mutigkeiten, Radikalitäten, Überraschungswagnisse gespürt.
Mittels dieses Buches werden Sie folglich mitunter Musik hören, die gewissermaßen kaum einen Moment stillsteht, die sich nicht für zehn Sekunden einem »Durchdeklinieren« von Motiven und Themen à la Bruckner (den wir lieben) hingibt. Wir haben es hier teilweise mit einer Komponistinnenmusik zu tun, die sich schockierend janusköpfig gibt, die – allein, was die Instrumentation angeht – in jedem genialen Moment unerhört virtuos ins Ohr dringt.
Man muss sich eben nur die Musik von Komponistinnen auch anhören – und das blieb bisher, trotz wohlmeinend vorausgeschickter Worte hier und da, meist aus. Nicht so in diesem Buch. Mit diesem Buch sollen Sie verführt werden, der Musik von Komponistinnen zu lauschen. Auf Seite 19 findet sich ein QR-Code, der Sie zu einer Webseite bringt, auf der alle Links zu den hier meist kurz und emotional charakterisierten Komponistinnenwerken aufgelistet sind.
Natürlich bilden die in diesem Buch porträtierten 250 Komponistinnen nur einen kleinen Ausschnitt aus einem reichhaltigen, inhaltlich höchst spannenden und weitestgehend unentdeckten Pool der Musikgeschichte. Aber selbst über viele dieser 250 »Auserwählten« ist teilweise erstaunlich wenig bekannt. Häufig musste ich über Motivationen, Herkünfte und stilistische Einflüsse etwas spekulieren, wobei mir die Begriffe »möglicherweise«, »vielleicht« und »wohl« einen wertvollen Dienst leisteten.
Meine berufsbedingte Nähe zu europäischer Kunstmusik bedingte, dass es sich bei den hier Porträtierten zumeist um Vertreterinnen der »Ernsten Musik« handelt. Es finden sich aber auch Künstlerinnen aus anderen Genres, aus Jazz, Folk, Aktionskunst und Filmmusik. Die 250 Folgen erscheinen in der Reihenfolge der Veröffentlichung im VAN Magazin. So gesehen lässt sich das Ganze gewissermaßen wie ein »Roman« von vorne bis hinten lesen. Die Beiträge wurden für die Buchveröffentlichung überarbeitet und aktualisiert. Jeder Artikel besteht aus einem etwas längeren biographischen Teil, in dem ich jeweils versucht habe, zumindest »gefühlsmäßig« mich kurz in das Leben, in die Zeit der jeweils Porträtierten hineinzudenken. Häufig interessierten mich dabei Fragen wie: Aus was für einem Elternhaus kommt die Komponistin? Wo hat sie studiert? Wie bekannt sind ihre Lehrerinnen und Lehrer? Was für Werke hat die Komponistin geschrieben? Erinnert mich die mir bislang unbekannte Musik an mögliche »Vorbilder« in der Musikgeschichte? Und letztlich: Was für eine Art »Geschichte« erzählt mir diese Musik?
Ich danke Merle Krafeld und Hartmut Welscher vom VAN Magazin für die äußerst angenehme Zusammenarbeit über all die Jahre hinweg, auch während des Lektorats. Ich will all den Komponistinnen im Buch danken, die wohlwollend und liebevoll auf meine Artikel über sie reagiert und mir geholfen haben, alles korrekt in Worte zu fassen. Ich danke Julia Franck und Rainer Wieland, Herausgeberin und Herausgeber der Anderen Bibliothek, Burkard Miltenberger für das Lektorat. Ich bin den Kolleginnen und Kollegen vom Projekt Musik und Gender im Internet der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und dem Sophie-Drinker-Institut sehr dankbar. Denn ohne die Vorarbeit von deren Seite würde dieses Buch nicht existieren. Außerdem gilt mein Dank Lilli Iliev – für die vielen Abende voller Gespräche »außerhalb der Klassik-Bubble«. Ich danke außerdem der Musikwissenschaftlerin Susanne Wosnitzka für ihre wichtigen Gedanken und den Austausch mit ihr. Und zuletzt danke ich meinem Lebensmenschen Susanne Westenfelder, der ich in ganzen Nächten die Musik »meiner« neuesten Komponistinnen-Entdeckungen vorspielen durfte.
Arno Lücker
https://van-magazin.de/250-Komponistinnen
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Und jetzt ist es nur noch ein Klick bis zur Hörlektüre!
Margaret Ruthven Lang (1867–1972)
Wer als Kind der 1970er oder 1980er Jahre jene Kassetten oder Platten (Mozart für Kinder und so weiter) hörte, auf denen Karlheinz Böhm das Siechtum diverser Komponisten ausführlich schilderte, der hat sich damals vielleicht gemerkt: »Werde lieber nicht Komponist! Als Komponist stirbt man früh, arm und unglücklich!« Und tatsächlich, die niederschmetternden Beispiele früher Komponistentode sind bemerkenswert: Wolfgang Amadeus Mozart wurde nur 35, Franz Schubert 31 und Frédéric Chopin lediglich 39 Jahre alt.
Ähnliche Beispiele finden sich naturgemäß auch bei Komponistinnen. Doch da sind ganz besondere Ausnahmen! Stolze 104 Jahre alt wurde die 1867 in Boston geborene und 1972 dort gestorbene Margaret Ruthven Lang. Ihr Vater Benjamin Johnson Lang war ein musikalisches Multitalent und als Pianist, wie »gefühlt« jede Klaviervirtuosin und jeder Klaviervirtuose des schwarzweißbetasteten 19. Jahrhunderts, Schüler von Franz Liszt.
Margaret Ruthven Lang studierte Violine und Komposition in München und in ihrer Heimatstadt Boston; bei eher weniger bekannten Lehrern, denn für ein Studium bei der wohl wichtigsten Kompositionspädagoginnen-Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts – Nadia Boulanger (Folge 170) – war Lang schon »zu alt« und Boulanger, die erst ab 1921 in Paris unterrichtete, zu jung.
Mit 26 Jahren kam Lang, die über 200 Lieder komponierte, zu der Ehre, die erste Frau zu sein, von der ein symphonisches Werk von einem der großen US-amerikanischen Orchester uraufgeführt wurde: 1893 erklang ihre Dramatic Overture mit dem Boston Symphony Orchestra unter der Leitung von Arthur Nikisch. Bedauerlich, dass bis heute keine einzige Aufnahme dieses Werkes existiert. Immerhin widmet sich eine Webseite dem Phänomen Margaret Ruthven Lang.1
Revery op. 31 (1899) Lang gab aus familiären Gründen 1919 ihre Kompositionstätigkeit auf. Doch kein Grund zur Traurigkeit. Es spricht alles dafür, in die Klangwelt Langs einzutauchen. Zum Beispiel mit Langs Revery op. 31für Klavier solo. Eine Träumerei, komponiert 1899. Wir denken vielleicht beim Lesen des Titels an die berühmte F-Dur-Träumerei aus dem Album für die Jugend op. 68 (1848) von Robert Schumann. Auch im Französischen heißen zahlreiche Klavierstücke des 19. Jahrhunderts, in das Langs Opus 31 gerade noch so »hineinpasst«, Revery – oder zumindest ähnlich. Eine typische programmatische Überschrift, an der auch Claude Debussy gewissermaßen nicht vorbeikonnte (Rêverie für Klavier, 1890). Während sich Debussy allerdings 1890, natürlich ebenfalls auf höchstem Niveau, noch irgendwo zwischen Neoklassizismus, Neobarock und frankophil »eingenebelter« Liszt-Nachfolge-Spätromantik bewegte, pegelt sich Langs Stück bereits – schön schaukelnd – auf dem reichhaltigen Exotismus-Niveau von späteren Debussy-Kompositionen ein (Estampes, 1903; Images, 1904/07).
Bei Lang glitzert es sogleich los. In die pagodenklangartigen – aber nie glatten, geglätteten, sondern aufgefächert interessanten! – Himmelsharfen gelangt eine wunderschöne Melodie hinein. Dieser »Reigen« kennt aber nicht nur Fröhlichkeiten. Ein Phrasenende wird rudimentär wiederholt, wie es Johannes Brahms liebte: Der Schluss oder ein Ausschnitt einer musikalischen Bewegung kehrt wieder, aber es »fehlen« (absichtlich) ein paar Töne. Diese Ausdünnungen, die höchst nachdenklich, existenziell auf das (glückliche?) »Davor« verweisen, sie feiern immer auch ein bisschen, wie der Historismus in der Architektur, die eigens neu errichtete Ruine; die Ruine, die als solche verherrlicht und eben nicht ersetzt oder saniert wird. Man muss es aber gar nicht so ernst ausdrücken. »Musikalische Rudimente« können auch einfach etwas sehr Praktisch-Dramatisches sein, etwas, das Spaß macht. John Williams feiert in seiner phantastischen Musik zum ersten Harry-Potter-Film (Harry Potter und der Stein der Weisen, 2001) an vielen Stellen das »Resteessen« in Sachen Motive und Themen. So beruht die Charakteristik der Melodie, die wir beim magisch-feierlichen und doch durch Verwegenheit vieler Details grandios »verhexten« ersten Gang in den großen Speisesaal von Hogwarts hören, vor allem auf einer rhythmisierten abfallenden Quinte, also einem »mittelgroßen« Tonsprung, den man sich aber gut merken kann. Haben die neuen Schülerinnen und Schüler das hintere Ende des Saals vor der Kollegiumstafel mit Professor Dumbledore und Co. erreicht, vernehmen wir nur noch die ersten drei (markanten!) Töne des Motivs. Der große Eindruck der herrlich durch Kerzen- und Feuerschein beleuchteten Hogwarts-Halle erscheint dadurch nicht etwa »geschrumpft«. Nein, vom großen Eindruck des Ganzen aus stellt der Komponist den Zoom auf »Detail« ein; von der im wahrsten Sinne des Wortes von Sprachlosigkeit gezeichneten Inaugenscheinnahme der Architektur des vollen Saals hin zu dem, was die lehrenden Menschen den Neuankömmlingen zu sagen haben. Dazu muss es schlichtweg stiller sein!
Williams hatte in dieser Hinsicht natürlich eher vom besagten Brahms, von Wagner und früheren Opernkomponisten sowie Bruckner gelernt. Bei Lang lugt eher Liszt lodernd hervor: Ihre bald folgenden Träumerei-Girlanden-Einschübe rufen möglicherweise Liszts transzendentale Etüde Harmonies du soir aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ins Gedächtnis. Vor allem aber das interessante Nebeneinander von konsonanten und beispielsweise übermäßigen Akkorden, die einerseits auf den »modernen« Liszt, andererseits auf die musikalische Moderne an sich verweisen, ergibt einen profunden Klavierstück-Mix. Am Ende (Un poco meno mosso) erscheinen beide »Hauptbestandteile« der Musik hymnisch übereinander, also die »Harfen-Akkorde« (16tel) und die ernst-erhabene Es-Dur-Melodie (Viertel und Achtel). Ein eindrucksvolles Stück Klaviermusik.
Jeanne Beijerman-Walraven (1878–1969)
Die Niederländerin Jeanne Beijerman-Walraven wurde 1878 in Indonesien – damals eine niederländische Kolonie – geboren und erhielt von ihrer Mutter erste Unterweisungen am Klavier. Später studierte sie bei ihrem Landsmann Frits Koeberg Komposition in Den Haag. Viel mehr als ihre Lebensdaten – sie starb mit 91 Jahren am 20. September 1969 in Arnheim – ist nicht bekannt. Hier und da lesen wir im Netz Statements über ihre kompositionsstilistische Entwicklung, häufig mit dem latenten Vorwurf einer ästhetisch epigonalen Anbiederung versehen, sie habe sich stilistisch von der Spätromantik zur Atonalität hin entwickelt und sei von der Musik Arnold Schönbergs beeinflusst worden.1 Informationen, die uns nicht unbedingt weiterbringen. Hören wir in die Concert-Overture aus dem Jahr 1910 hinein.
Concert-Overture (1910) Zunächst ist die Bruckner- und Wagner-Begeisterung Beijerman-Walravens unüberhörbar. Doch hat die zum Zeitpunkt der Niederschrift 32-jährige Komponistin hier lediglich eine als respektable Stilkopie zu vernachlässigende Epigonalmusik zu Papier gebracht?
Tiefe Bläser lungern aus der Lavaasche spätromantischer Götterdämmerungsverzweiflungsmusiken heraus. Im Gegensatz zu Bruckners neunter Symphonie (1903 uraufgeführt) ruht das d-Moll-Grundbett dieses symphonischen Werkes von Beijerman-Walraven jedoch nicht (selbstzufrieden-schicksalsgläubig?) in sich, als wollte es sagen: »Lasst uns erstmal beginnen! Dann schauen wir weiter.« Das instrumental-motivische Gefüge drängt bereits aus sich selbst heraus. Von Selbstzufriedenheit keine Spur. Kein Epigoninnentum, sondern eine deutlich vernehmbare eigene Sprache, die auf Drastik, auf Höraufmerksamkeit, auf Ausdruck hin ihre Strukturen frei in den Raum fließen lässt.
Etwa eine Minute später versammeln sich dräuend-erdenschwere Blechbläser zu einem völlig überraschenden Quasi-Choral-Augenblick. Nichts ging dem – wie spannend! – voraus! Sicher kennt diese Musik Bruckners Vierte und dessen Siebte – und auch der Wagnersche Siegfried-Trauermarsch mag sich in die Concert-Overture Beijerman-Walravens als Hörerinnerung miteingeschlichen haben. Von Stilimitation ist dieses Werk trotzdem meilenweit entfernt.
Nach etwa 30 weiteren Sekunden: die glühend-packende Dur-Erleuchtung, die über das spröde Moll kommt wie eine hochwillkommene Epiphanie, wie die flehentlich erbetene Wirkung eines adäquaten Medikaments. Noch einmal der kurze Ausbruch. Jederzeit ist man beim Anhören der Gefahr ausgesetzt, dramatisch aufge- oder gleichsam auferweckt zu werden. Hier schon die nächste Bündelung orchestraler Dramen. Und dort entwickeln sich Themenränder im leisen Miteinander, doch verschwimmen diese nie zu einem Brucknerschen Teppich des Gleichmuts, des Übergangs mit Zaunpfählen. Es gibt keine Gewissheit! Gott ist tot. Oder so.
Fortwährend scheint Beijerman-Walraven weiterzuentwickeln; kein Motiv pendelt sich dabei in demütiger Zurückgenommenheit allzu symphonisch-gesetzt ein; stets lauert der nächst Ausbruch! Herrlichste Choral-Eroberungen dröhnen in den Saal. Das ist großartig! Auf gute Weise nimmt Beijerman-Walraven uns motivisch-thematisch an die Hand. Da ist es durchaus mal nur eine kleine Terz, die uns nach vermeintlichem Abschluss einer Phrase weiter entgegenschwingt. Instrumentatorisch raffiniert: Den Trompeten platzt fast der Kragen; darunter liegen Irritationen der Kontrabässe im Verbund mit der Tuba. Ausbrüche über Ausbrüche.
In herrlichster Sprödigkeit finden sich dann tiefe »Brumm-Instrumente« wie die Bratschen in einer bräunlich-grauen Sappschigkeit zusammen und melden nun endlich expressive Zweifel an der ganzen Herrlichkeit an. Doch da fährt eine völlig unvorhergesehene Pauke erneut in die Parade, gefolgt von einem metallischen Tamtam-Schlag allererster Güte.
Das Schlechteste, was man über Beijerman-Walraven sagen könnte, wäre, dass sie hier – perfekt, elektrisierend – die Symphonik von Mahler und Bruckner in Vereinbarung bringt. Und wer, bitte, würde nicht genau das sofort hören wollen?
Jeanne Beijerman-Walraven
Chiara Margarita Cozzolani (1602–1676/78)
Die am 27. November 1602 zur Welt gekommene Chiara Margarita Cozzolani war die jüngste Tochter einer reichen Mailänder Kaufmannsfamilie. Chiaras Geburt in Mailand fiel in die Zeit der Herrschaft der spanischen Habsburger-Dynastie (seit 1556). Vermutlich genoss Chiara eine musikalische Ausbildung, jedenfalls könnte sie früh musikalisch positiv auffällig geworden sein. Sehr wahrscheinlich in Kirchenkontexten. Auch ein berühmter Violinist wohnte nebenan – und so ist nicht auszuschließen, dass Cozzolani früh Geigenstunden bekam.
Direkt gegenüber dem Mailänder Dom steht bis heute das im 7. Jahrhundert erbaute Monastero di Santa Radegonda; in dieses Benediktinerinnenkloster trat die 17-jährige Cozzolani 1620 ein und nahm den Ordensnamen Chiara an. Es gab mehrere gewichtige Gründe dafür, ein Kind zu dieser Zeit ins Kloster zu schicken. Eher selten ging es darum, aus »Spargründen« ein Stück Familie an die Kirche »loszuwerden«; zumal es den Cozzolanis bisher wirtschaftlich offenbar ganz hervorragend ergangen war. Vielmehr konnte die Abgabe eines Kindes ans Kloster den politischen Seilschaften des Vaters und dem grundsätzlichen Ruf einer Familie dienlich sein. Auch einer reichen Familie stand es gut zu Gesicht, eine Tochter oder einen Sohn hinter sicheren Klerusmauern zu wissen. Zudem gehörten zwei Tanten Chiaras bereits dem hiesigen Benediktinerinnenkloster an. Und tatsächlich ist überliefert, dass Chiara und ihre Schwester Clara zur Freude ihrer Brüder unter Verzicht auf Erbansprüche ins Kloster abgeschoben wurden.
Auf der hervorragenden Seite Musik und Gender im Internet (MUGI)1 wird der weitere, keineswegs erwartbar geradlinige Lebensverlauf der Nonne beschrieben: So wollte der erzkonservative Erzbischof Alfonso Litta die Kirchenmusik in seinem Erzbistum künstlerisch kleinhalten. Damit war er nicht allein; wie viele fatale, ängstliche und unmusikalische Kirchenmänner schickte er sich kirchenpolitisch an, »polyphone Auswüchse« zu unterbinden, was schon im Konzil von Trient (1545–1563) zu dem größten musikgeschichtlichen Schaden aller Zeiten geführt hatte. (Kurz gesagt: Man verbot und verbrannte Melodien. Oder Melodieauswüchse. Tausende!) Auf spektakuläre Weise legte sich Erzbischof Litta – später Kardinal – mit den äußerst musikalischen Nonnen von Santa Radegonda an. Cozzolani musste sich in mehreren Gerichtsverhandlungen zur Musikausübung in ihrem Kloster erklären. Dahinter steckte noch mehr als das skeptische Beäugen Littas, befanden sich doch zwei Chöre des besagten Konvents – also innerhalb derselben (dicken) Wände des Klosters – in einem Streit um die besten Sängerinnen Mailands, warben sich diese gegenseitig ab, um bei prominentem Besuch, den anderen Chor ausstechend, auftreten zu können. Nun fehlt nur noch die passende Verfilmung, Titelvorschlag: War of Choirs.
O quam suavis est Domine spiritus tuus (aus: Concerti sacri) (1642) Gleich mehrere ihrer Werkzyklen wurden zu Cozzolanis Lebzeiten prominent im Druck publiziert. Darunter ihre 1642 erschienenen Geistlichen Konzerte (Concerti sacri). In dem Geistlichen Konzert – einer kürzeren, aufregenden Vorform der Kantate – mit dem Titel O quam suavis est Domine spiritus tuus entfaltet Cozzolani ihr ganzes Können in Sachen Ausdrucksreichtum. Sie gestaltet Momente höchst erquicklicher Abwechslung. Nur selten – witzigerweise am Ende des Melismas beim Worte »demonstrares« – demonstriert (!) die Lombardin Cozzolani ihre Herkunft mittels des berühmten »lombardischen Rhythmus«, bei dem eine »normale« (lang – kurz) Punktierungssituation zweier Nachbartöne nicht-auftaktig, sondern auf die »Eins« quasi »umgekehrt« wird. Noch Antonio Vivaldi und Carl Philipp Emanuel Bach waren ganz vernarrt in das Spiel mit dem lombardischen Rhythmus.
Rhythmen changieren, Rhythmusmodelle wechseln, Emotionen werden musikalisch schillernd dargebracht. Die Liebe zu Gott erscheint fast erotisch aufgeladen – wozu auch die erforderliche Tonhöhe (es geht hinauf bis zum dreigestrichenen c) beiträgt. In diesem ersten Part gebietet jedoch die Rückkehr zur religiös-demütigen Schlichtheit kreativ Einhalt. Die nachfolgenden Teile der reichhaltigen Komposition spielen sich dann fünfstimmig ab: mal in hymnisch-homophoner Gestalt, mal polyphon-expressiv aufgesplittet; vor allem die Unterschiede in den Notenlängen sind äußerst variantenreich. Hier geht eine Nonne ganz aus sich heraus.
Ein Zeitzeuge um 1670 gab über Cozzolani zu Protokoll: »Die Schwestern von Santa Radegonda in Mailand sind mit solch seltenen und ausgezeichneten musikalischen Fähigkeiten ausgestattet, dass sie als die besten Sängerinnen Italiens angesehen werden. Sie tragen die dunklen Gewänder des Heiligen Benedikts, aber dem Hörer erscheinen sie eher als weiße, melodiöse Schwäne, die die Herzen mit Wundern erfüllen und die Zungen mit Entzücken, um ihre Kunst zu preisen. Unter diesen Schwestern verdient Chiara Margarita das höchste Lob für die außergewöhnliche und hervorragende Würde ihrer musikalischen Erfindungen.«2
Sogar Humor ist diesem geistlichen Werk nicht fremd. Cozzolanis 1577 geborener Kollege Antonio Brunelli verwendet – das Wort »Reichtum« anvisierend – bei der musikalischen Ausdeutung der gleichen Textzeile »der du die Hungrigen mit Gütern versorgest, und die Reichen leer ausgehen lässt« sage und höre über fünfzig (!) Melismentöne, also schmückende Tonfolgen auf dem dreisilbigen Wort »inanes« (auch: »leerer Raum«). Cozzolani bedient sich der denkbar schlichtesten Wendung. Für sie als Nonne ist aller Reichtum eben nichts als hohl und leer. Darum, so könnte man sagen, platziert Cozzolani hier eine »leere« Schlusswendung, die sie – auch darin liegt viel Hintersinn – viermal bringt. Eben ausdrücklich nicht göttlich dreifach, sondern »überreich« und schnöde viermal! Während Brunelli dem Wort »Reichtum« sozusagen »naheliegend« auf den Leim geht, bringt uns die mit Gott verheiratete Chiara Cozzolani »leeren Reichtum« in Form von vier Quintfall-Schlusswendungen dar, die mit Ansage »absichtlich langweilig« gesetzt sind.
Johanna Kinkel (1810–1858)
Johanna Mockel kam am 8. Juli 1810 in Bonn zur Welt. Nach ihrer zweiten Ehe – mit dem Theologen Gottfried Kinkel (1815–1882)1 – hieß sie ab 1843 Johanna Kinkel.
Einen prominenten Lehrer fand sie in ihrem ersten musikalischen Mentor Franz Anton Ries, der als Geiger und Dirigent einst die kurfürstliche Hofkapelle in Bonn geleitet und nach ihrer Auflösung 1794 dort jahrelang fortgesetzt Konzertreihen organisiert hatte. Ries unterrichtete in den Jahren 1785 und 1786 den jungen Ludwig van Beethoven im Violinspiel. Kinkel dagegen betrieb bei Ries Studien am Klavier.
Als Dirigentin leitete Kinkel das von ihr gegründete »Singkränzchen«. Vielleicht wurden ihrem ersten Mann – dem Musikalienhändler Johann Paul Mathieux – diese gesellschaftlichen und künstlerischen »Umtriebe« zu viel. Die Ehe scheiterte und Kinkel zog auf Anraten Felix Mendelssohn Bartholdys nach Berlin. Hier knüpfte sie schnell Kontakt zu dessen Schwester Fanny Hensel und wohnte im Hause Bettina von Arnims, studierte Klavier und Komposition und finanzierte ihr Leben durch das Schreiben und Veröffentlichen von Liedern.
Im Zuge ihrer Scheidung lernte sie Gottfried Kinkel kennen und gründete den Dichterkreis »Maikäferbund«, der das Wochenblatt Der Maikäfer. Eine Zeitschrift für Nicht-Philister herausgab, von dem jeweils nur ein einziges Exemplar existierte, das nach der Lektüre ehrfürchtig weitergegeben wurde. Johanna Kinkel wurde zur wichtigsten Vertreterin der Dichtung in Bonner Mundart – und ist bis heute ein nicht vergessener Teil der dortigen Stadtgeschichte.
Die Revolution 1848 verschlug die vierfache Mutter samt ihrer Familie ins Londoner Exil. Johanna Kinkels Gedichte glichen zu dieser Zeit zuweilen politischen Appellen. Der Text zu ihrem im Dezember 1848 komponierten Demokratenlied stammt sehr wahrscheinlich von Kinkel selbst. Hier heißt es in der zweiten Strophe: »Wer trägt des Blutes Zeichen am Gewande? / Wem sprüht der Bürgerhass aus giftgem Blick? / Wer küsst den Staub von eines Thrones Rande / Und zittert vor dem Namen Republik?«
Johannas Mann war an prominenter Stelle in die Ereignisse der Märzrevolution involviert. Während einer Reise Gottfrieds 1851/52 durch die Vereinigten Staaten war es Johanna, die in London den Lebensunterhalt ihrer Familie durch Klavierunterricht erwirtschaften musste. Diese Position, die Mitbestimmung, die Mitfinanzierung ihrer Familie, das Mitspracherecht, die Beteiligung an allen – auch politischen – Geschehnissen brachte Johanna Kinkel dazu, einen Roman zu schreiben, der 1860 – posthum – erschien: Hans Ibeles in London: ein Roman aus dem Flüchtlingsleben. Damit wurde Kinkel im Rückblick zu einer frühen Vertreterin der Frauenrechtsbewegung.
Wichtige Essays – wie ihr umfangreicher Aufsatz Friedrich [sic] Chopin als Componist – und ihr politisches Vermächtnis durch den besagten Roman lassen Kinkel heute als ein schillerndes Multitalent aufleuchten: unheimlich begabt, umtriebig – und mit vielen bedeutenden schreibenden, komponierenden, denkenden Menschen ihrer Zeit befreundet und in regem Austausch.
Nach einem Herzinfarkt mit 46 Jahren, von dem sie sich vorübergehend erholte, verschlechterte sich Kinkels Zustand – sie litt an schweren Depressionen – abermals. Am 15. November 1858 nahm sich Kinkel mit einem Sprung aus dem Fenster das Leben. Sie wurde 48 Jahre alt.
Die Lorelei op. 7 Nr. 4 (1838) Das 1838 komponierte Lied Die Lorelei nach dem berühmten Text Heinrich Heines steht bei Kinkel in e-Moll, einer oft als elegisch beschriebenen Tonart. In diesem Sinne bewegt sich Kinkel auf musikgeschichtlich traditionell-sicherstem Terrain – und liefert eine profunde, emotionale und mehr als nur handwerklich lobenswerte Vertonung ab.
Im Gegensatz zu Franz Liszt, der drei Jahre später (1841) in seiner Lorelei-Tonschöpfung den Text kreativ zerpflückte und eine oratorische Quasi-Mini-Oper mit Arien- und Rezitativ-Teilen daraus machte, gibt sich Kinkel ganz dem Heine-Rhythmus, dem typisch romantisch-süffigen Sound des Gedichtes hin. Die vermeintliche Heine-Ironie, die sich hier wie archetypisch aus explizit-poetischer Benennung allmöglichen Wortinterieurs der Sehnsuchtsmelancholietrauersuizidromantik im Zusammenwirken mit an die Grenzen getriebener – bald negierter – Ernsthaftigkeit ergibt, wird durch die Schlichtheit der Kinkelschen Vertonung erstaunlicherweise besonders deutlich herausgeschält.
Farbenfroh lässt Kinkel bereits das – rhythmisch wie von Fanny und Felix Mendelssohn beseelte – Klaviervorspiel zwischen Dur und Moll schwanken. Bei dem Wort »Abendsonnenschein« löst sich das Dur-Moll-Wechsel-»Versprechen« schließlich im Zusammenklang mit der Gesangsstimme subtil ein. Der »Sonnenschein« ist noch retrospektiv auf das E-Dur zu beziehen, während der Gesamtkontext – »Abendsonnenschein« – in e-Moll das Licht ausknipst. Kinkel legt die Komposition dabei als Strophenlied an. Statt das Stück dafür als »konservativ« abzukanzeln, bietet das Werk freundlich an, sich der völlig überzeugenden Grundstimmung in e-Moll (und E-Dur) hinzugeben. Denn Kinkels Lorelei ermöglicht auf klassisch-tiefgründige Weise einen luziden Einstieg in das Verständnis des Heineschen Gedichts. Die Strophenliedstruktur wirkt eben nicht repetitiv, da sich die Dichterin und Komponistin Kinkel dem Gedicht mit jeder neuen Zeile neu zu widmen scheint. Die Verse erfahren für und für eine jeweils ganz eigene musikalische Umsetzung. In dieser emphatischen Vertonung kommt der Heine-Text ganz zu sich selbst – und jede Zeile zu ihrem Recht. Dies geschieht wiederum nicht aber im Zuge einer kleinteiligen, kurzatmigen Kleinmeisterei, die sich in Form eines anheimelnden Stückes Musik selbstzufrieden in biedermeierlicher 19. Jahrhundert-Behausung zurecht- und eingezimmert hätte.
Lene Grenager (*1969)
1969 geboren, studierte die Norwegerin Lene Grenager Cello, Komposition und Dirigieren in Oslo. Mit drei Kolleginnen gründete sie Mitte der 90er das Ensemble SPUNK und trat mit der Formation auch bei den bekannten Avantgarde-Festivals in Donaueschingen, Oslo und Huddersfield auf. Über sich selbst schreibt Grenager, ihr Interesse bestünde darin, Musik zu notieren, um zu beobachten, zu erfahren und auszuloten, wie die musikalische Notation das Klangresultat und die Art der Realisation beeinflusst. Sie arbeite mit Menschen aus ganz verschiedenen Genres zusammen – doch sei immer die präzise Bannung der Noten in eine Partitur ihr letztendlich angestrebtes Ziel: die Vereinbarung von Improvisation, von rein im Moment Geschehenem mit der langen Tradition der abendländischen Notationsgeschichte.1
Aus der Mitte der 90er Jahre stammen die ersten Werke Grenagers, die sie offenbar für sich als »offiziell« einstuft und entsprechend auflistet, darunter zwei frühe Stücke für Kammerorchester (Orlando sinfonietta von 1995 und Pendulum sinfonietta, 1995–1996). Grenager scheint eine Künstlerin zu sein, die die Gemeinsamkeiten in der Ausübung von Musik sucht, die rein solistische Besetzungen eher umgeht, um in immer wieder ganz unterschiedlichen Kammermusikformationen Neuansätze zu wagen. Ihr Werkkatalog reiht eine höchst erstaunliche Vielzahl von extrem wandelbaren Kammermusiken auf, die gelegentlich um elektronische Komponenten ergänzt werden.2
Mit SPUNK veröffentlichte Grenager eine Reihe von Studioaufnahmen und tritt in diversen Konstellationen als Interpretin ihrer und anderer Musik international auf. Dabei ist sie selbst auch praktizierender Teil von Jazzorchestern und genreerweiternden Ensembles sowie immer wieder als Dirigentin aktiv.
Systema Naturae (2007) Grenagers Systema Naturae für Violine, Violoncello und Klavier wurde im Oktober 2007 uraufgeführt und 2013 mit der Nominierung für zwei Spellemanprisen, den »norwegischen Grammys«, bedacht. Der Titel bezieht sich auf die gleichnamigen und ab 1735 erschienenen Bände des berühmten Botanikers Carl von Linné, in denen der Autor den ganzen Kosmos der Natur – Zoologie, Botanik, Geologie – großflächig beschrieb und nach Gattung, Art und so weiter klassifizierte. Sein damals schon in mehrere Sprachen übersetztes Werk ist nicht nur von historischer Bedeutung. Die bis heute immer noch gültige, in der Grundstruktur zwei-geteilte lateinische Schreibweise jeglicher bereits entdeckter Spezies geht auf Linné zurück. Aus unendlich langen und komplizierten Namen wie »Physalis amno ramosissime ramis angulosis glabris foliis dentoserratis« wurde beispielsweise – übersichtlicher, weil eben binär gegliedert – »Physalis angulata«.
Wie »funktioniert« nun das Systema Naturae – in Musik gesetzt von Lene Grenager? Mit einer kratzigen Geste im Cello und im Klavier grätscht das Werk gewaltvoll los. Im Klavier zirpt es dazu rhythmisch irritierend eingängig in allerhöchsten Höhen. Aus diesem zunächst fast als Hör-Chaos wahrgenommenen Beginn erwächst schnell ein pulsierendes Geflecht, das jede Sekunde neue Überraschungen offenbart. Einmal geht es für Millisekunden in Richtung Minimal Music, dann fährt es uns ein anderes Mal plötzlich mit ein paar Cellotönen knochig in die Parade. Die ganze Vielfalt der Natur, in ihrer unfassbaren Lebendigkeit und Vielgestaltigkeit – noch ungeordnet, also vor Linné? Eine komponierte Ursuppe, in deren Substanz langsam eine Entität wie Gott sich selbst gebiert – und vorstrukturiert, erste unterbewusste Gedanken der Ordnung hegt?
Statt nun aus dem bereitliegenden, mannigfaltigen Material möglichst schnell und möglichst brav ein anbiederndes Stück zum Mitwippen der heimlichen Rock-Fans im Neue-Musik-Publikum zu konstruieren, bleibt die Struktur zunächst für dreieinhalb Minuten so eng gefügt wie zu Beginn. Ein atemloser Einstieg, der zwingt, der anspringt, der nicht loslässt – der aber auch nicht einfach nur schockieren oder uns stundenlang mit allerlei Metallmüll bewerfen will. Die ersten Strecken des Werkes sind so dicht gearbeitet und trotzdem geradezu lustvoll-perlend durchhörbar, dass man sich in einer Rezeptionshaltung der exakten – und dabei ganz und gar nicht lehrerhaft »vermittelnden« – Mitte von gehörig aufgerauter, schorfiger Minimal-Grunge-Music, Impro-Performance, experimentellem Rockkonzert und Instrumentenzerstörungsavantgarde wiederfindet.
Dann der totale Bruch: Geige und Cello ergehen sich in gehechelt-gesäuselten Ton(un)schönheiten, die in ihrer konkreten Sprachähnlichkeit frappieren. Ein fast zärtlicher Dialog zweier Menschen, die sich gerade zuvor noch fast die Fresse eingeschlagen haben – und sich jetzt mit blutigen Lippen küssen. Der Geschmack von Eisen auf der Zunge. Dann der Versuch der zusätzlichen Klavierbefriedung. Eine Vermittlerin betritt den Raum. Mit eigentümlichen »Choralakkorden«, die keine sind, keine sein wollen. Kluge, vielgestaltige, blubbernd ideenreiche Musik, die live gespielt von noch größerer Wirkung sein dürfte.
Rosy Wertheim (1888–1949)
Die Kindheit von Rosy Wertheim, geboren am 19. Februar 1888 in Amsterdam war geprägt von Harmonie, Familienzusammenhalt und finanzieller Sicherheit. Rosys Vater: Oberhaupt einer großbürgerlichen, jüdischen Händlerfamilie, Direktor eines Aktienunternehmens in zweiter Generation. Die Möglichkeiten von (musikalischer) Bildung im Hause Wertheim: völlig selbstverständlich. Rosy erhielt früh Klavier-, später auch Kompositionsstunden.
In Amsterdam studierte Wertheim zunächst Klavier – und anschließend Komposition bei Sem Dresden, einem Schüler des Antisemiten Hans Pfitzner. Damit war sie eine der ersten Frauen mit Kompositionsdiplom in den Niederlanden überhaupt. Anschließend unterrichtete sie elementare Musiklehre und Klavier an einem Gymnasium und leitete einen Chor für Kinder aus den ärmsten Vierteln Amsterdams. Wertheim war auch sonst sozial stark engagiert, unterstützte Familien mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und gab benachteiligten Kindern kostenlosen Klavierunterricht.
1929 zog Wertheim nach Paris. Bald schon trafen sich illustre Komponistinnen und Komponisten regelmäßig zum gesellig-intellektuellen Austausch in ihrem Pariser Wohnsitz, darunter Elsa Barraine (Folge 13), Olivier Messiaen und Darius Milhaud. 1935 ging es weiter nach Wien, wo sie bei Karl Weigl weiterführende Studien betrieb.
Für die Jüdin Wertheim war das Leben in diesen Jahren schwer geworden. 1937 kehrte sie nach Amsterdam zurück, wo Wertheim, die mittlerweile knapp 100 Werke fast aller Couleurs vorgelegt hatte, von den Nationalsozialisten Verfolgte in ihrem Keller versteckte und für die Geflüchteten Geheimkonzerte veranstaltete. 1943 ging Wertheim selbst in den Untergrund und versteckte sich in dem nordholländischen Ort Laren, wo sie bis nach dem Krieg blieb – und sich, von den Nazis um ihr gesamtes Hab und Gut gebracht, an der regionalen Musikschule als Klavierlehrerin verdingen musste. Das Ringen um das wirtschaftliche Überleben wurde zu allem Unglück noch durch den Kampf um die eigene Gesundheit in den Schatten gestellt. Wertheim starb nach zweijähriger Krebserkrankung im Alter von 61 Jahren am 27. Mai 1949 in Laren.1
Sonate für Violine und Klavier (1931) Wertheims Sonate für Violine und Klavier As-Dur entstand 1931. Mit französischer »Egalheit« hebt der erste Satz (Allegro con brio) an: Das Klavier reiht schnelle »hohle Klänge« (Quarten und Quinten) perlend-lässig aneinander, mal tändelnd-lallend im »rappelnden« Verhältnis 3:2, mal rhythmisch unisono. Man denkt vielleicht an die kühle Kammermusik eines Paul Hindemith, doch da steigt auch schon die Geige mit einem verhalten-warmen Gesang ein; leicht synkopiert wirkt das Ganze wie »mal eben dahingesungen«, ähnlich der Quasi-Improvisato-Thematik der Violinsonate Claude Debussys von 1917; große Kunst! Nun folgt eine kurze Steigerung, aber ein kleiner Solo-Einschub des Klaviers erinnert an die Härte des Lebens: aufsteigende Quarten, leer, etwas traurig – mit kühlem Blick. Doch Wertheim bringt mittels temporärer Harmonie-Inseln ungleich mehr Wärme ins Spiel als Hindemith. »Es ist, wie es ist, aber es könnte schlimmer sein«.
Dann tönen interessant schimmernde Farbakkordkonstellationen empor. Wertheims Zeit in Paris wird hier Musik: Eine expressive Steigerung mit durchaus virtuosen Gipfeln im Klavier feiert die glückliche Allianz von Impressionismus und Expressionismus – immer mit dem Charme einer Persönlichkeit dargeboten, die sich die »Neue Sachlichkeit« der Jahre zuvor freundlich und dankbar schöndenkt. Nichts ist hier banal, nichts wird stumpf abgespult, nichts epigonal einfach nur als Pflichterfüllungsübung dahingesetzt.
Die Erwartung eines nun noch wärmer eingefärbten zweiten Satzes (Andante non troppo lento) löst sich – im positiv-schöpferischen Sinne – nicht ein; stattdessen erklingen wieder spröde Quarten, in einem kontrapunktisch ähnlichen Mit- und Gegeneinander der rechten und der linken Hand wie zu Beginn des ersten Satzes: mal rhythmisch leicht different, mal im Einklang. Doch bei den »hohlen« Quarten im Klavier bleibt es nicht; nach ein paar Augenblicken werden die jeweils »fehlenden« Terzen »ergänzt« und bilden Dur- und Moll-Akkorde im freitonalen Spiel flachsblonder Tiefenemotionen. In ähnlicher Weise begibt sich schließlich die Geige in dieses musikantische Geschehen hinein – und wieder klingt angenehm die Kammermusik französischer Kolleginnen und Kollegen dieser Zeit mit.
Statt mit parallelen Quarten startet der markante dritte Satz (Allegro con moto) in Unisono-Oktaven. Interessant, ja fast schockierend konsequent, dass auch hier das Klavier zunächst ganz alleine das »Wort« ergreift – wie in den zwei Sätzen zuvor. »Die Violine kommt heute mal wieder später.« Als Farbe, als Themen weiterentwickelnde Partnerin. Nun entstehen viele kleine scherzoartig-getupfte Momente und verbinden sich zu einem rhapsodischen Ideen- und Intensitätsbogen. Rhythmisch geht es äußerst vielfältig zu. Ein meisterinnenhaft gearbeitetes Stück Musik einer Komponistin, deren Leben voller unerträglicher Erfahrungen war; doch wie es heißt, brachte Wertheim durch spontane Ideen zu leichtfüßigen Ausflügen noch auf der Flucht vor den Nationalsozialisten sich und andere Menschen in Gefahr. Wer kann es einem Menschen verdenken? Der Wunsch nach Leichtigkeit, die Möglichkeit kleiner innerer Gedankeninseln voller Freiheit. In Wertheims Musik verbindet sich das Sehnen nach Leichtigkeit mit Tiefe, Ernst und Menschlichkeit. Wie traurig, dass wir diese Musik verdrängt haben. Bis heute!
Marcelle de Manziarly (1899–1989)
Die hierzulande völlig unbekannte Komponistin und Pianistin Marcelle de Manziarly wurde am 13. Oktober 1899 im heute ukrainischen Charkiw geboren.1 Nach der Übersiedlung ihrer sechsköpfigen Familie nach Paris 1905 begann Manziarly, die als Zwölfjährige erste Stücke notiert hatte, ihr Kompositionsstudium bei der legendären Nadia Boulanger (Folge 170), die – ungeachtet aller männlichen Kollegen zu dieser Zeit – als damals einflussreichste Kompositionspädagogik-Persönlichkeit überhaupt gelten kann; Boulanger unterrichtete später extrem konträre Persönlichkeiten wie Aaron Copland, Astor Piazzolla, Philip Glass, Marc Blitzstein – und eben Manziarly.
Im Gegensatz zu einigen der genannten Komponisten brach Manziarlys Kontakt zu Boulanger ein Leben lang nicht ab2, es entwickelte sich vielmehr eine enge Freundschaft. Vielleicht war die Bindung zwischen beiden deshalb so tief, weil Manziarly eine der ersten Schülerinnern Boulangers an der Pariser École Normale de Musique gewesen war? Zugleich wird Manziarlys innerstes Bedürfnis einer ernsthaften künstlerischen Entwicklung im Zusammenwirken mit dem Wunsch nach menschlichem Anschluss in der Stadt zu dem familiären Freundschaftsbund beigetragen haben. Möglicherweise kam es durch Boulangers Zutun auch zu dem Kontakt zwischen Manziarly und Copland, der ebenfalls zum »Inner Circle« der Künstlerin gehörte; so widmete Copland ihr sein Lied Heart, We Will Forget Him; darüber hinaus ist eine Postkarte warmherzigen Inhalts von Coplands an Manziarly erhalten geblieben.3