39 Stufen - Werner Röschl - E-Book

39 Stufen E-Book

Werner Röschl

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Beschreibung

Viele Menschen möchten in den Himmel kommen. Manche von ihnen denken auch, dass es ganz einfach ist. Aber um ins Elysium zu gelangen, ist ein wenig mehr erforderlich, als nur einfach zu sterben ...

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Inhaltsverzeichnis

Die erste Stufe – Paradies

Die zweite Stufe – Fremdrassen

Die dritte Stufe – Suizid

Die vierte Stufe – Dimensionen

Die fünfte Stufe – Eigenschaften

Die sechste Stufe – Toleranz

Die siebente Stufe – Religion

Die achte Stufe – Klerus

Die neunte Stufe – Schmerz

Die zehnte Stufe – Furcht

Die elfte Stufe – Bedrohung

Die zwölfte Stufe – Entscheidung

Die 13. Stufe – Küchenphilosophie

Die 14. Stufe – Tugend

Die 15. Stufe – Beschäftigung

Die 16. Stufe – Beharrlichkeit

Die 17. Stufe – Einsicht

Die 18. Stufe – Ausdauer

Die 19. Stufe – Waffen

Die 20. Stufe – Wünsche

Die 21. Stufe – Telepathie

Die 22. Stufe – Ruhe und Stille

Die 23. Stufe – Genuss

Die 24. Stufe – Intelligenz

Die 25. Stufe – Reinheit

Die 26. Stufe – Gebet

Die 27. Stufe – Einsamkeit

Die 28. Stufe – Zuversicht

Die 29. Stufe – Zweifel

Die 30. Stufe – Umgebung

Die 31. Stufe – Kriterien

Die 32. Stufe – Engel und Teufel

Die 33. Stufe – Ehrlichkeit

Die 34. Stufe – Liebe

Die 35. Stufe – Tod

Die 36. Stufe – Prüfung

Die 37. Stufe – Interesse

Die 38. Stufe – Bewerbung

Die 39. Stufe – Aufnahme

Die erste Stufe – Paradies

Ich konnte die Person schräg vor mir kaum erkennen. Eigentlich erahnte ich lediglich, dass dort jemand war. Weder konnte ich ihre Gestalt erkennen, noch ob sie stand oder saß. Geschweige denn, ob es ein Mann oder eine Frau war. Genau genommen war ich mir nicht einmal sicher, ob es sich überhaupt um einen Menschen handelte.

„Wo möchten sie denn hin?“

Die Stimme war angenehm, vielleicht ein tiefer Bariton oder, falls es sich um eine Frau handelte, vielleicht ein hohes Alt. Falls … Vielleicht …

„Da ich keine Ahnung habe, wo ich mich befinde, fällt es mir schwer, ihnen eine sinnvolle Antwort zu geben! Können sie mir vorher vielleicht erklären, wo ich bin?“

„Im Prinzip nennen wir es den Raum des Erwachens.“

„Und wo befindet sich dieser >Raum des Erwachens<? In einem Krankenhaus? In einer Klinik?“

„Möglicherweise wäre der Begriff Klinik gar nicht so weit abseits. Aber dennoch: Wohin möchten sie?“

„Ich bin geneigt ihnen mit >Nach Hause< zu antworten. Jedoch scheint mir aus irgendeinem Grunde diese Möglichkeit verwehrt zu sein!“

„Da haben sie völlig Recht. Jedenfalls wenn sie diese drei Kammern in diesem Haus am Hang neben dieser Straße meinen. Andererseits: In einem ganz bestimmten Sinne sind sie auch hier zu Hause. Das hängt wohl vom Blickwinkel ab. Eventuell auch von der Sichtweise.“

„Woher wissen sie, wo ich wohne?“

„Ich weiß so manches. Aber lassen wir das vorläufig. Gibt es sonst noch einen Ort, an den sie gerne möchten?“

„Wie wäre es mit >Paradies<? Obwohl ich denke, dass diese Möglichkeit ebenso außerhalb meiner verfügbaren Möglichkeiten liegt!“

„Hier irren sie. Obgleich sie noch einen weiten Weg vor sich haben!“

Jetzt erst merkte ich, dass die Person, die mit mir sprach, bereits sehr nahe war. Dabei hatte ich den Eindruck gehabt, dass wir uns beide nicht vom Fleck bewegt hatten. Nun konnte ich die Person auch etwas genauer sehen. Wiewohl >sehen< ganz gewiss die falsche Bezeichnung für meine Wahrnehmung war. Insgesamt hatte ich vielmehr den Eindruck, diese Person zu …, zu …. >erkennen<. Nein, nicht so, wie man einen alten Bekannten erkennt, sondern eher so, wie man sich eine Erinnerung ins Gedächtnis ruft.

„Welchen Weg?“

„Den Weg der neununddreißig Stufen. Aber das bedeutet nicht, dass sie hier eine Treppe vorfinden, welche sie bloß hochzusteigen hätten. Nein, so funktioniert das nicht. Sie müssen bei jeder Stufe Rechenschaft ablegen. Was wiederum nicht heißt, dass alle möglichen ihrer gewiss vorhandenen Verfehlungen beurteilt werden. Diese wurden bereits beurteilt. Genauso wie ihre ebenso vorhandenen tugendhaften Taten. Rechenschaft heißt in unserem Fall: Wie stellen sie sich ihr neues Leben vor? Wovon denken sie, dass es abhängt? Welche Vorstellungen haben sie vom Paradies, oder wie immer sie diesen Zustand oder diesen Ort zu bezeichnen wünschen. Und ähnliches mehr.“

„Das hier ist also so etwas wie eine Prüfung?“

„Wenn sie es so sehen wollen: Ja.“

„Und was hat mich dafür qualifiziert?“

„Ihr Ableben.“

„Ich bin also tot?“

„So gewiss wie sie hier vor mir stehen!“

Irgendwie hatte ich das nicht erwartet und andererseits auch wieder doch. Mir war ein wenig schwindelig und einen kurzen Moment konnte ich nicht klar denken. Nach diesem kurzen Moment konnte ich plötzlich alles ganz klar sehen. Und jetzt meine ich wirklich sehen. Der Mann vor mir – oder war es doch eine Frau? – war in einen sehr hellen kaftanähnlichen Mantel gehüllt und saß auf einer Art Schreibtisch. Auf diesem befand sich sichtlich sonst nichts.

Er oder sie war relativ groß, so etwa einen Meter neunzig, hatte blondes, leicht rötliches Haar und war mit einem, wenigstens für meine Begriffe, sehr ebenmäßigem Gesicht ausgestattet, welches mir freundlich zulächelte. Seine Hautfarbe jedoch war mir ein Rätsel: Sehr, sehr hell, fast weiß, aber nicht kalkweiß, sondern so als hätte es nie die Sonne gesehen. Jedenfalls heller als >noblesse oblige<.

„Wie ich sehe, sind sie eben angekommen! Bis vor ein paar Augenblicken war nämlich noch nicht klar, ob sie es hierher schaffen oder nicht!“

„Heißt das, dass ich davor noch gar nicht richtig tot war?“

„So ist es. Ein Arzt hätte es fast geschafft, ihrem Herzinfarkt ein Schnippchen zu schlagen. Aber nun sind sie ja glücklicherweise hier.“

„Wieso glücklicherweise? Wäre mein Weiterleben so furchtbar verlaufen?“

„Nicht gerade furchtbar, aber doch mit erheblichen Einschränkungen.“

„Nun, mir soll es recht sein. So wie es ist, ist es. Das war immer meine Devise: Mach aus jeder Situation soweit es geht das Beste!“

„Eine kluge Entscheidung! Sie dürfen die erste Stufe als absolviert betrachten!“

Damit verschwand diese Person und mit ihm auch der Schreibtisch, auf welchem er gesessen hatte. Nun konnte ich meiner Umgebung etwas mehr Aufmerksamkeit widmen als zuvor. Allerdings erbrachte diese erhöhte Aufmerksamkeit meiner gesamten Umgebung gegenüber nichts als mehr oder weniger nichtssagendes Weiß, vielleicht eine Spur heller als das Gesicht der eben verschwundenen Person.

Einen Moment lang fragte ich mich, wie es wohl weitergehen mochte, dann aber gab ich mich mehr meiner Neugier hin und überlegte, was wohl die Rechtfertigung der ersten Stufe bewirkt hatte.

Die zweite Stufe – Fremdrassen

Ich hatte mich eben dazu durchgerungen, die Antwort >Mach das Beste aus jeder Situation< als gelungene Rechtfertigung zu betrachten, als mir auffiel, dass ich nicht mehr alleine war. Sofort wandte ich meine gesamte Aufmerksamkeit dieser neu erschienenen Person zu.

Sie hätte ein vollkommenes Ebenbild der vorherigen Person sein können. Hätte. Denn sie unterschied sich in zwei ganz wesentlichen Punkten. Erstens: Es handelte sich diesmal ganz eindeutig um eine Frau und zweitens: Sie hatte nicht das glatte und kurze Haar ihres Vorgängers, sondern leicht gewelltes, in etwa schulterlanges Haar.

Wenn ich sage >eindeutig eine Frau<, dann meine ich damit, dass ihre gesamte Ausstrahlung ganz entschieden weiblich war! Und dennoch irrte ich mich offenbar, denn sie sprach mich mit einem so tiefen Bass an, wie ich ihn noch nie vorher vernommen hatte.

„Wieso möchten sie ins Paradies?“

Das war nun nicht gerade die Frage, die ich erwartet hatte. Aber welche Art von Frage hatte ich eigentlich erwartet? Ich sollte mich wohl besser damit abfinden, dass es für mich sicherlich unvorhersehbar blieb, was mich als nächstes erwartete.

„Ist das letztendlich nicht das Ziel aller denkenden Wesen?“

„Nicht unbedingt. Damit meine ich nicht andere Bezeichnungen wie Garten Eden oder Walhalla. Es gibt jedoch eine ganze Menge denkender Wesen, welche sich nach ihrem Tod nichts weiter erwarten als das Nichts!“

„Ist das für denkende Wesen nicht ungewöhnlich? Sollte ein klarer Verstand nicht ganz von selbst auf die Idee eines >Nächsten Lebens< kommen?“

„Es gibt viele Arten zu denken und nicht alle sind in ihrem Sinne logisch. Oder genauer gesagt, es gibt viele Arten von Logik.“

„Ist es denn nicht traurig, dass sich ein denkendes Wesen damit abfindet, dass es nichts weiter als das eine Leben gibt?“

„Für dieses Wesen muss das nicht notwendigerweise traurig sein. Vielleicht sieht es in dem, wodurch sein Dasein lebenswert wird, auch schon die erstrebenswerte Erfüllung!“

„Was empfinden diese Wesen dann, wenn sie feststellen, dass dieses eine Leben noch nicht alles war?“

„Am besten sie fragen eines.“

Was ich nach dieser Eröffnung erleben musste, war eher skurril denn außergewöhnlich. Ich hatte zwar nicht unbedingt einen Agnostiker erwartet, aber zum mindesten einen Menschen – und keineswegs einen Strauch! Was, bitte, sollte ich mit einem Strauch?

Okay, es war natürlich kein Strauch, wie sie ihn sich vielleicht gerade vorstellen. Ich wählte diesen Begriff lediglich deshalb, weil ich mir bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Gedanken darüber gemacht hatte, wer oder was alles denkende Wesen sein könnten. Und selbstverständlich auch deshalb, weil er neben einem >Stamm< ungefähr zehn tentakelartige Füße besaß, welche am Stamm relativ dick, dem Boden zu jedoch immer schlanker wurden, bis sie in kleinen krallenartigen Spitzen endeten.

Weiter besaß das Wesen eine Art Krone aus einem Geflecht von hunderten fingerdicken aber nichtsdestotrotz haarähnlichen Auswüchsen. Das obere Ende des etwa oberschenkelstarken Stammes wurde durch einen zirka melonenartigen >Kopf< abgeschlossen, dem dieses Geflecht von Haaren entwuchs.

Zudem war dieser Kopf sichtbar mit offensichtlich sehfähigen, aber jedenfalls lichtempfindlichen >Augen< samt den wahrscheinlich dafür unerlässlichen Lidern ausgestattet. Ebenso war er mit einer ungefähr kaffeetassengroßen verschließbaren Öffnung versehen, welche nicht weiter erkennbaren Zwecken dienen mochte, die jedoch jedenfalls auch zum >Sprechen< genutzt werden konnte.

Diesem Wesen sah ich mich also gegenüber und musste vorerst einmal zweimal schlucken, bevor ich begriff, dass ich mich tatsächlich mit ihm verständigen sollte. Da meine Prüferin davon gesprochen hatte, dass nicht alle denkenden Wesen ein >Leben danach< als möglich erachteten, hatte ich es wohl mit einem solchen zu tun.

Da ich nicht wusste, ob oder wie mich dieses Geschöpf wahrnahm, entschied ich mich einmal dafür es freundlich anzusprechen.

„Ich wünsche ihnen einen angenehmen Tag!“

„Was soll am Tag meines Dahinscheidens angenehm sein?“

Erwiderte das Wesen.

„Woher wollen sie wissen, dass sie heute sterben werden?“

Ich war vor allem darüber erstaunt, dass diesem Geschöpf diese Tatsache offensichtlich nicht nur bekannt war, sondern auch, dass es ebenso offensichtlich nicht zu vermeiden war.

„Sehen sie nicht, dass ich bereits jeden Kontakt zu meiner Nahrung verloren habe? Es muss ihnen doch bekannt sein, dass ich an dem Tag, an welchem ich keinerlei Nahrung und vor allem auch keine Flüssigkeit mehr aufnehmen kann, unvermeidlich verdorre!“

Wurde mir mit Verwunderung ob meiner Unwissenheit entgegnet.

„Aber sie haben doch noch Kontakt! Oder was übersehe ich?“

„Soll ich vielleicht mit diesen kleinen kaum noch beweglichen Fingern ...“ – diese krallenartigen Enden waren also Finger! – „... nach Flüssigkeit graben? Und dazu noch in meinem Alter! Nein, das ist völlig unmöglich!“

„Gibt es denn niemanden, der ihnen dabei behilflich sein könnte?“

„Oh! Da kennen sie meine Familie aber schlecht! Die sind heilfroh, dass sie mich aus diesem Revier, das sowieso nicht mehr viel hergibt, loswerden!“ Seltsamerweise sprach aus seiner Stimme keine Verzweiflung sondern eher so etwas wie Schicksalsergebenheit.

„Gibt es bei ihnen keine Werkzeuge, welche ihnen die erforderlichen Tätigkeiten abnehmen können?“

„Und wie sollen mir diese Werkzeuge danach die Nährstoffe zuführen? Sie scheinen mir reichlich weltfremd zu sein, wenn sie nicht einmal wissen, dass ich meine Nahrung nur durch die Fingerkapillaren aufnehmen kann!“

„Also gut. Sie mögen verdorren. Das mag ein sehr schmerzlicher und womöglich auch langwieriger Vorgang sein, den ich sehr bedauere, aber das ist nicht das Ende der Welt! In ihrem nächsten Dasein werden sie danach sicherlich wieder Lebensfreude gewinnen!“

„Welches nächste Dasein? Jeder weiß und kann doch auch sehen, dass nach dem Verdorren nur noch rasch verdorrendes Gewebe übrig bleibt, das lediglich noch den Insekten als Nahrung dienen kann. Wie sollte da eine weitere Existenz möglich sein?“

Während des bisherigen Gespräches hatte ich festgestellt, dass ich auf dieses Wesen ganz normal wirkte und hatte mich selbstverständlich gefragt, woran das liegen mochte. Nun stellte ich fest, dass mein Äußeres diesem Geschöpf in jeder beliebigen Weise glich! Ich hatte zwar keine individuellen Empfindungen bezüglich meiner Extremitäten, jedoch so ein allgemeines Gefühl von ungewohnter Beweglichkeit! Daher hatte ich auch keinen gar zu fremden Eindruck erweckt.

Ich musste meine Fragen also anders stellen.

„Warum denken sie, dass zu einem weiteren Leben unbedingt ihr jetziger Körper von Nöten ist?“

„Wie sonst sollte das gehen? Wie ihnen ganz gewiss bekannt sein wird, befindet sich unser gesamtes Denken und Fühlen im Gehirn. Und womit, bitte, sollte ich ‚danach’ denken und fühlen, wenn das Gehirn nicht weiter existiert?“

„Woher nehmen sie die Gewissheit, dass sie ohne Gehirn nicht denken und fühlen können? Sind das nicht eher energetische Vorgänge, welche auch ohne diese physischen Trägerelemente funktionieren könnten?“

„Ach, setzen sie mir bloß keine Flausen in den Kopf! Ich habe mich mit der Tatsache des endgültigen Dahinscheidens abgefunden und basta. Darüber hinaus bin ich mit meinem Leben sehr zufrieden. Schließlich war ich der Erste, der den Ozean der Tränen lebend überquert hat! Darauf alleine könnte ich schon stolz sein!“

„Den Ozean der Tränen?“

„Ja. Ich hatte die Idee ein großes gut durchwachsenes Stück Boden auf eine schwimmfähige Plattform zu legen und mit der Hilfe von dreißig kräftigen Ruderern, deren einer ich selbst war, das andere Ufer des Ozeans zu erreichen. Zweimal schien der Versuch schon zu scheitern, aber letztlich haben wir es doch geschafft!“

„Wenn ich ihnen aber sage, dass sie sich bezüglich des Weiterlebens aber irren? Wenn ich ihnen sage, dass ich selbst schon in einem dieser weiteren Leben existiere?“

„Dann würde ich sie einen Lügner und Scharlatan nennen und wollte mit ihnen nichts mehr zu tun haben!“

Damit verschwand er, oder wahrscheinlich eher ich, denn ich fand mich augenblicklich wieder meiner Prüferin gegenüber.

„Nun? Haben sie genug begriffen?“

„Ja, aber noch weilt er ja in seiner alten Gestalt!“

„Nicht mehr lange. Er wird sehr bald hier auftauchen.“

Danach war ich wieder alleine im Raum des Erwachens. Oder war dies ein anderer? Ich hatte keine Ahnung und es war mir auch egal. Ich war lediglich neugierig, was mein letzter Gesprächspartner wohl sagen würde, wenn er hier ankam. Jedenfalls hoffte ich, dass ich diesem Geschöpf noch einmal begegnen würde.

Ich hatte keine Ahnung wie viel Zeit verstrichen war, und dass der Begriff Zeit hier wahrscheinlich sowieso völlig anders zu interpretieren war schien ebenso klar zu sein, als er plötzlich wieder vor mir stand. Und obwohl er jetzt natürlich gänzlich anders aussah – Nein, nicht etwa wie ein Mensch! Er war noch immer ein Strauch, aber er war sichtlich sehr viel jünger und kräftiger und sein Gehirn war noch nicht so ein wirres Geflecht – erkannte ich ihn sofort wieder. Und auch er mich.

„Wie bin ich hierhergekommen? Eben dachte ich noch, dass ich diese Qual nicht mehr länger ertragen kann, als sie auch schon zu Ende war.“

„Sie kamen her, wie alle anderen Lebewesen, die in ihre neue Existenz wechseln.“

„Aber es gibt doch kein Leben danach! Das weiß doch jeder, es ist doch auch völlig unmöglich!“

„Wie sie offensichtlich selbst sehen können: All diese >Jeder< irren!“

„Aber das müsste doch bekannt gemacht werden! Wie viel Leid könnte dadurch vermieden werden, und wie viel Trauer! Man könnte die endlosen Qualen verkürzen und freiwillig aus dem Leben scheiden!“

„Dann würden sie jedoch vielleicht nicht hier, sondern in einem weitaus unangenehmeren weiteren Leben landen! Sie sind nur deshalb hier, weil sie eben nicht freiwillig gegangen sind!“

„Was könnte das schon für einen Unterschied machen?“

„Zum Beispiel könnten sie nicht so jugendlich wie jetzt sein. Sie könnten ihren alten Körper mit all seiner Qual beibehalten haben und müssten womöglich sehr lange diese Qualen erdulden, bevor sie hierher kämen!“

„Das wäre ja furchtbar! Ich darf gar nicht an meine Urgroßmutter denken, diese hat sich aus Gram über den frühen Tod ihres Lieblingssohnes in den Ozean gestürzt und ertrank.“

„Nennen sie ihn deshalb den Ozean der Tränen?“

„Ja, unter anderem. Jedenfalls hoffe ich für sie, dass sie nicht allzu lange Qualen erdulden muss. Immer vorausgesetzt, dass das was sie sagten auch richtig ist.“

„Ich weiß nicht ob es richtig ist, aber ich weiß, dass ein freiwilliges aus dem Leben scheiden falsch ist!“

Ansatzlos wurde mein Gesprächspartner durch meine Prüferin ersetzt.

„Betrachten sie die zweite Stufe als absolviert.“

Sagte sie nur und war ebenso rasch verschwunden wie alles übrige auch.

Die dritte Stufe – Suizid

Ich überlegte, was diese neuerliche Rechenschaftsbeurteilung wohl verursacht haben könnte. Meine Reaktion auf die Fremdartigkeit? Wohl kaum. Hatte ich doch selbst in ganz ähnlicher Gestalt vor und mit diesem Wesen gesprochen.

Allerdings: Meine eigene ‚Fremdartigkeit’ war mir ja erst später während des Gespräches bewusst geworden. Meine Vermutung über die veränderten Bedingungen bezüglich Suizide? War doch nur ein Schuss ins Blaue. Oder steckte doch mehr dahinter? Keine Ahnung.

Also kam ich mit mir selbst überein, diese Dinge gar nicht erst zu hinterfragen. So groß war meine Neugier nun auch wieder nicht. Ich wollte mich ganz einfach auf die jeweilige Situation vorurteilslos einstellen und danach sehen, was passierte.

Auch wollte ich dem jeweiligen Prüfer beziehungsweise der jeweiligen Prüferin genauso vorurteilslos gegenübertreten, wie allen allfälligen Wesen von für mich fremder Herkunft. Sei es wie es sei, ich wollte das eigentliche Ziel, die Absolvierung der 39 Stufen, nicht aufgrund mehr oder weniger haltloser Spekulationen aus den Augen verlieren.

Wie ich bei dem Gespräch mit dem ‚Strauch’ erfahren durfte, war selbst meine eigene Gestalt hier offensichtlich nicht formstabil sondern amorph. Daraus konnte ich zweifelsfrei den Schluss ziehen, dass dies für die Prüfer wohl ebenso galt. Ob das nun ihrem eigenen Wunsch entsprach oder nicht, war eigentlich bedeutungslos.

Und so war ich weder erstaunt noch verunsichert, als mir als nächstes ein Kind gegenüber stand. ‚Stehen’ war übrigens wahrscheinlich ebenso falsch wie ‚Kind’. Warum? Der Untergrund auf welchem wir uns bewegten war genauso amorph, wie wir selbst. Zwar schien er unnachgiebig zu sein, aber irgendwie schien es auch, als würden wir etwas in den Boden eingesunken ‚stehen’.

Und dann: ‚Kind’. Es hatte dermaßen alte und wissende Augen, welche eher zu einem Greis gepasst hätten, als zu dem dargestellten kindlichen Wesen. Auch die Frage, die mir das Kind stellte bezeugte diese Art Wissen.

„Warum haben sie, gegenüber diesem Geschöpf mit dem sie sprachen, den Suizid ins Spiel gebracht?“

„Er schien den Selbstmord als Lösung seiner und der Probleme Anderer anzusehen.“

„Und sie finden das nicht?“

„Nein. Ich empfinde es als Flucht. Meiner Meinung nach gibt es so gut wie immer einen Ausweg.“

„Auch bei extremen körperlichen Schmerzen oder bei angedrohten physischer Vergeltung?“