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Die beliebte Schauspielerin und Instagramerin Elena Uhlig wird 50! Zeit, sich mit den wirklich wichtigen Fragen des Lebens auseinanderzusetzen. Mit Witz und Herz erzählt sie ihre Geschichte, aber auch von Wechseljahrsymptomen, liebgewonnenen Lastern – und warum wir sie lieber noch ausbauen, anstatt reduzieren sollten. Um den 50. Geburtstag wird viel Wirbel gemacht – warum eigentlich? Als der große Tag bei Elena Uhlig näher rückt, beschließt sie, einfach so zu tun, als wäre nichts. Doch dann wird sie von der Realität eingeholt, als sie eines Nachts schweißgebadet aufwacht. War es das jetzt mit Lebensfreude und Unbeschwertheit? Elena Uhlig beschließt, sich die gute Laune nicht verderben zu lassen und stellt sich den großen und weniger großen Fragen des Lebens: - Warum hadern wir mit dem Älterwerden – obwohl wir es mit zunehmender Erfahrung viel leichter schaffen, uns so anzunehmen, wie wir sind? - Überhaupt: Warum genießen wir das Frausein nicht viel mehr – auch und gerade in der Lebensmitte? - Und: Was müssen wir uns nun endlich alles nicht mehr antun oder gefallen lassen? Die beliebte Schauspielerin und Bestsellerautorin nimmt ihre Leserinnen mit auf eine ebenso kuriose wie persönliche Tour de Force durch die zurückliegenden 50 Jahre und geht der Frage nach, wie sie zu der Person wurde, die sie heute ist. Eine ebenso unterhaltsame wie ermutigende Hommage an das Leben. Am Ende steht eins fest: Mit 50 ist es höchste Zeit, den Druck rauszunehmen, aber nicht das Tempo. Es sei denn, um die schönen Momente auszukosten und zu genießen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 257
Veröffentlichungsjahr: 2025
Elena Uhlig
mit Nicolle Hofmann
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
»Frau Uhlig, schreiben Sie doch ein lustiges Buch über die Wechseljahre!« Kurz verschlägt es Elena Uhlig die Sprache, doch dann kommt ihr eine Idee: Warum nicht den 50. Geburtstag zum Anlass nehmen, um das Leben zu feiern und mit Freude, Humor und Dankbarkeit zurückzublicken auf das, was war?
Und so erzählt die beliebte Schauspielerin und Instagramerin so persönlich wie nie von starken Frauen, die ihr Leben prägten, von Höhen und Tiefen im Film und im Leben und natürlich dem Suchen und Finden der Liebe. Am Ende steht die Erkenntnis: Mit 50 ist es höchste Zeit, sich stolz auf die Schulter zu klopfen, sich so manches nicht mehr anzutun oder gefallen zu lassen. Und vor allem: das Leben mit Vollgas und ohne Tempolimit zu genießen.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
Widmung
Eins vorweg
Der Anruf
Frau Uhlig denkt nach und telefoniert mit ihrer Freundin Frau Ü
Frau Uhlig fängt an zu schreiben (beziehungsweise bereitet sich darauf vor)
Es geht los: Frau Uhlig erinnert sich an ihre ersten 50 Jahre
1975
1976
1977
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1985
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2000
2001
2002
2003
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2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
2020
2021
2022
2023
2024
2025
Allgemeine Gesundheitsvorsorge für Frauen ab 50
Danksagung
Meine 50 Lebensjahre
Für meine Mutter
So, da sind Sie also. Darf ich fragen, warum?
Vielleicht klären wir erst mal die Frage: Wie kommt das Buch in Ihre Hand?
Möglichkeit A: Sie haben mein Buch geschenkt bekommen. Womöglich zum 50. Geburtstag (oder drum herum).
Möglichkeit B: Es liegt bei Freunden auf der Toilette, bei denen Sie zum Abendessen eingeladen und gerade einer Diskussion bei Tisch entflohen sind (eine Magenverstimmung vortäuschend, die natürlich nichts mit dem vorzüglichen Essen zu tun hat, das der Gastgeber kredenzt hat).
C: Mein Buch flog auf dem Schreibtisch Ihrer Arbeitskollegin herum.
D: Es lag abgekrabbelt in einem öffentlich zugänglichen Büchertauschregal.
Oder (Möglichkeit E): in einer »Zu verschenken«-Kiste auf dem Weg zur Arbeit vor irgendeiner Haustür (und Sie nahmen es natürlich nur mit, weil es anfing zu regnen und das arme Buch Ihnen so leidtat – schließlich hat sich da mal jemand hingesetzt und mit großer Kraftanstrengung 200 Seiten verfasst).
Vielleicht war es auch Möglichkeit F: Sie entdeckten es auf einer Zugfahrt zwischen den Sitzen.
Oder G: Mein Buch stand unverhofft in der Ferienwohnung (zwischen weiteren Schundromanen).
H: Es blitzte aus der Papiermülltonne hervor (und das war ein solch trauriger Anblick, dass Sie sich seiner erbarmten und es herausfischten).
Oder:
Sie haben sich mein Buch tatsächlich selbst gekauft.
Warum?
A: Es wurde Ihnen per Werbung auf Social Media ausgespielt.
B: Vom Online-Riesen vorgeschlagen (wo der Verlag die Werbung bezahlt hat).
C: Mein Buch lag in der Großbuchhandlung auf einem vom Verlag gekauften vorderen Platz im Laden (damit man es auch sieht) und weckte Ihre Neugier.
D: Es wurde Ihnen von einer Freundin überreicht (warum auch immer).
E: Der Partner schenkte es Ihnen (weil er den Titel mit dem Schild so mochte).
Auf jeden Fall halten Sie mein Buch jetzt in der Hand.
Vielleicht schauen Sie gerade noch mal auf das Cover, und ja, Sie haben recht, es geht um die 50. Und ja, ich bin vor Kurzem 50 Jahre alt geworden. Aber keine Sorge: Es wird in diesem Buch nicht darum gehen, dass Sie 50 Jahre falsch gelebt haben und ich Ihnen jetzt erkläre, wie es richtig funktioniert.
Ich werde auch nicht darüber schreiben, dass die Wechseljahre wunderbar sind. Oder dass die Wechseljahre grauenhaft sind.
Und ich werde Ihnen auch nicht weismachen, dass Sie eigentlich 30 sind und die 50 nur eine Zahl ist, nach dem Motto: Man ist so alt, wie man sich fühlt. Gefangen im Körper einer 50-Jährigen sind Sie eigentlich noch immer 30, und wenn Sie nur noch Eiweiß essen, werden Sie auch in 50 Jahren noch immer so aussehen wie jetzt, mit dem richtigen Mindset ein ewiger Springinsfeld bleiben bis zum 127. Geburtstag, frei nach der Devise: Der innere Teenager muss Freiheit finden …
Nein, von all dem hab ich selbst keine Ahnung. Fakt ist aber: Ich habe mich tatsächlich mit der 50 befasst. Ziemlich ausführlich sogar. Trotzdem: Dieses Buch ist kein Ratgeber! Sondern vielmehr so etwas wie eine Festschrift! Eine Hommage an das Leben! Eine Würdigung der letzten 50 Jahre! Eine Auseinandersetzung damit, was Frausein für mich bedeutet!
Eine Spurensuche, wie ich zu der wurde, die ich heute bin! Natürlich wird dabei auch eine Rolle spielen, wie ich mit meinem Körper umgehe – bis hin zu den Füßen, die mich durchs Leben tragen (was man ja oft vergisst, weil man sich nur mit dem beschäftigt, was sich darüber befindet, wie zum Beispiel die Leibesfülle). Und auch, wie ich bei all dem Brimborium letztlich doch versuche, die 50 einfach als eine Zahl zu nehmen, die es nun mal gibt im Zahlensystem. Und dazu schmettere ich dann gern und mit meiner gesamten Leibesfülle Vicky Leandros’ Hymne Ich liebe das Leben!
Dieses einzigartige unvergleichliche Leben mit all seinen Facetten, Abgründen, Höhenflügen, mit 65 Kilo genauso wie mit 95, mit langen Haaren oder fescher Kurzhaarfrisur, durchtrainiert ebenso wie mit Hängehintern und Winkearmen – und ja, wenn es mal wieder so richtig schlecht läuft, denke ich daran (und bitte Sie, dasselbe zu tun): Das Karussell, das wird sich weiterdreeeeeeeeehn!
Und somit setzen wir uns doch auf ein Pferdchen beziehungsweise begeben uns auf die Reise – zu uns selbst, zu denen, die wir wirklich sind, und feiern wir uns dafür, was wir schon alles geschafft haben. Danach können wir uns gern die Frage stellen: War’s das jetzt? Natürlich nicht, sondern vielmehr: Wo wollen wir eigentlich noch hin? Aber vielleicht essen wir dann erst mal ’ne schöne Currywurst.
Anstatt nun aber gleich das Ende einzuläuten, bevor ich überhaupt begonnen habe, fange ich doch lieber erst mal an …
Hasta la vista! Los geht’s! Glückauf und Halali!
PS: Damit alles gut lesbar ist, habe ich uns eine extra große Schrift spendiert. Da kann man dann auch mal vergessen, dass die Lesebrille bereits auf dem Kopf sitzt …
PPS: Und damit Sie nicht vergessen, auf welcher Seite Sie die Lektüre beendet haben, finden Sie in der Umschlagklappe ein Lesezeichen. Einfach heraustrennen, einlegen und Buch zuklappen.
1
Das Telefon klingelt. Ich sehe eine Münchener Nummer. O Gott, denke ich. Das sind die Anrufe, vor denen ich Angst habe. Anrufe, die mit einem Schlag alles verändern können.
Die Angst übermannt mich. Wahrscheinlich ist es die Schule. Das Kind ist nicht erschienen. Oder das Kind hat sich schwer verletzt. Die Polizei, die sagt, es gab einen Unfall. Vielleicht ist es auch das Finanzamt. Ich habe meine Steuern nicht bezahlt und lande im Gefängnis.
Zitternd nehme ich den Hörer in die Hand. »Uhlig«, hauche ich angstvoll ins Telefon. »Frau H hier. Schönen guten Tag, Frau Uhlig.« In meinem Kopf arbeitet es auf Hochtouren. Frau H? Was für eine Frau H? Ist das nicht der Name der Schulsekretärin? »Entschuldigung, Frau H, aber ich kann Sie gerade nicht zuordnen. Wer sind Sie denn?«
»Aber Frau Uhlig, Sie kennen mich doch. Ich bin doch die Frau H von Droemer Knaur.«
»Ach so«, rufe ich, erleichtert, geradezu euphorisch. »Aber warum wurde mir denn dann Ihr Name nicht angezeigt?« »Entschuldigen Sie, Frau Uhlig, aber wir haben gerade eine Computerumstellung.« »Ach so!« Eine Computer- beziehungsweise Telefonumstellung im Verlagshaus von Droemer Knaur ist mir natürlich vollkommen piepschnurzegal, deshalb verzichte ich auf diesbezügliche Nachfragen und rufe noch immer sehr laut und voller Begeisterung: »Wie schön, Frau H, mal wieder von Ihnen zu hören! Wie lang haben wir uns denn nicht gesprochen?«
Frau H beantwortet meine Frage (zuletzt sprachen wir ihrer Meinung nach im Zuge der Gilhu-Ergüsse miteinander, also 2022). Wir verfangen uns daraufhin im fröhlichen Geplauder (auch über Frau Gilhu, die schon lange nicht mehr auf meinem Instagram-Kanal erschienen ist, und wie schade das doch ist), ja, und irgendwann wird Frau H kurz still und sagt dann plötzlich: »Wir haben Interesse an einem Buch mit Ihnen!«
Woraufhin ich kurz erstarre. Ein Buch? Schreiben? Wie soll das denn gehen? »Entschuldigung, Frau Uhlig, ich wollte Sie jetzt nicht überrumpeln. Aber vielleicht treffen wir uns einfach zum Essen, und dann erzähle ich Ihnen, was uns vorschwebt.«
Zu einem guten Essen sag ich natürlich nicht Nein, ich lasse mich genauso gern bekochen wie umsonst verköstigen, und außerdem verbindet mich mit dem Verlag ja nun auch schon eine lange Geschichte. Davon abgesehen ist das Schreiben eines Buches aber gerade das Allerletzte, was mir in den Kram passt. Sauviel Arbeit, wenig Geld, kaputte Nerven, Zerwürfnisse mit der Familie, kurzum: überhaupt nicht lukrativ. Und in meinem jetzigen Lebensmodell auch überhaupt nicht unterzubringen. Zugleich ist mein Ego natürlich gebauchpinselt, und ja, ich gebe zu, ich verliere mich sogar kurzzeitig in Tagträumereien: ich, als Literatin auf der Frankfurter Buchmesse mit dem Überraschungserfolg des Jahres, die auch gleich noch den Deutschen Buchpreis abräumt. Mein Buch alsdann ein Longseller auf der SPIEGEL-Bestsellerliste, vergleichbar nur noch mit Granden wie Ildiko von Kürthy. (Die Wahrheit kurz mal ausgeblendet: dass nämlich an die 70000 Bücher im Jahr erscheinen, von denen die wenigsten überhaupt etwas zum Lebensunterhalt des Autors beitragen können, geschweige denn irgendeine Beachtung finden.) Ja, oder ich als neue Sachbuchqueen mit meinem gesammelten Wissen über Kindererziehung oder Hundeführung. Oder auch als Expertin für folgende Fragen: Wie gebe ich mein Geld am besten aus? Wie werde ich niemals wieder schlank beziehungsweise so schwer, wie ich noch nie war? Wie schaffe ich es, mich nur noch fünfmal am Tag zu streiten? Wie werde ich die nervigste Influencerin der Welt?
Ja, und während ich noch sinniere beziehungsweise träume, höre ich Frau H sagen: »Wunderbar, Frau Uhlig, dann treffen wir uns also am nächsten Dienstag!«
Hungrig gehe ich am nächsten Dienstag ins Hofbräuhaus. Ja, vermutlich treffen sich andere Autorinnen in den gastronomischen Einrichtungen von Literaturhäusern oder sonstigen Lokalen (in denen es so etwas wie Bowls gibt, vegane Kuchen oder Granola), ich weiß ja auch nicht, was mich ritt, das Hofbräuhaus vorzuschlagen (zumal ich da noch nie gewesen bin), aber vielleicht wollte ich auch nur abwenden, als Autorin allzu ernst genommen zu werden, denn bei einer Schweinshaxe, so dachte ich vielleicht, käme ich gar nicht in die Versuchung, über verwinkelte literarische Schachzüge diskutieren zu müssen. Den Traum vom Buchpreis hatte ich ja vernünftigerweise während der letzten Nächte auch schon wieder ad acta gelegt. Mich auf die viel wichtigere Aufgabe besonnen, meine Rolle als Intendantin meines Instagram-Kanals in Zukunft noch ernster zu nehmen. Und vor allem den gelegentlichen Stargast meines kleinen Senders bei Laune zu halten. Den Mann, der am Anfang immer nur geschwiegen hat, jetzt aber immer wortreicher in Erscheinung tritt (und nebenbei auch noch den gleichen Ring am Finger trägt wie ich).
Da sitzen wir nun aber, an einem goldenen Herbsttag im Oktober 2024, die liebe Frau H und ich, und während ich längst entschieden habe, was ich essen will, studiert die liebe Frau H (konfektionsgrößentechnisch deutlich niedriger angesiedelt als ich) recht lang die Speisekarte und entscheidet sich dann nach reiflicher Überlegung für einen kleinen Salat. »Mittags kann ich noch nicht so viel essen, Frau Uhlig. Das liegt mir dann immer so schwer im Magen. Verstehen Sie?«
»Durchaus!« Es ist ja nicht so, dass die Schweinshaxe, die kurze Zeit später vor mir steht, durch mich hindurchflutschen wird wie eine Portion Porridge oder ein Lauchsüppchen, nein, auch mein Magen-Darm-Trakt beschwert sich, wenn ich ihm Deftiges kredenze. Warum ich es aber trotzdem tue (und wie oft), erzähle ich an späterer Stelle noch ausführlicher, nun bleiben wir vorerst bei der Schweinshaxe beziehungsweise meinem Gespräch mit der reizenden Frau H.
»Sie können sich sicher denken, welches Thema uns vorschwebt«, sagt sie, während sie ihr Salatblättchen fein säuberlich zerschneidet und ich mich parallel dazu mit der Soße der Schweinshaxe bekleckere. Woraufhin ich Frau H meinen Lieblingswitz erzähle: »Mann und Frau sitzen beim Essen. Er bekleckert sich und sagt: ›Ich sehe aus wie ein Schwein.‹ Daraufhin sie: ›Und gekleckert hast du auch noch!‹«
Ich lache schallend, Frau H kichert und sagt: »Den kannte ich schon, Frau Uhlig, den hat ja schon Frau Gilhu in Ihrem letzten Buch erzählt.« »Ach was!« Ich lache noch ein wenig und wundere mich (einmal mehr) über meine Vergesslichkeit.
Frau H zerschneidet derweil das nächste Salatblättchen und wiederholt dann den Satz: »Sie können sich sicher denken, welches Thema uns vorschwebt.« »Entschuldigung«, sage ich. »Aber wovon reden Sie denn gerade, Frau H?«
»Von Ihrem nächsten Buch, Frau Uhlig, und dem Thema, das im Verlag großen Anklang gefunden hat. Es gibt da ja im nächsten Jahr ein besonderes Ereignis.«
»Ach ja?« Tatsächlich habe ich keine Ahnung, wovon Frau H gerade spricht. Was meint sie denn? Welches Ereignis denn bitte? Die EM hat bereits in diesem Jahr stattgefunden, die Olympischen Spiele ebenfalls, ich erwarte auch nicht (soweit ich das beurteilen kann) mein fünftes Kind, verheiratet bin ich bereits (wenn auch erst seit einem Jahr) – wovon also spricht Frau H??
»Sie werden, wenn wir richtig gerechnet haben, im nächsten Sommer fünfzig Jahre alt!«
Frau H strahlt. Und ich schlucke (den Brocken der Schweinshaxe hinunter, den ich gerade noch, weil man das ja so machen soll, ordentlich in meinem Mund zerkauen wollte).
»Das wissen Sie doch, Frau Uhlig, oder?« Frau H betrachtet mich nun ein wenig irritiert.
»Selbstverständlich weiß ich das.« Ich bemühe mich, die Fassung wiederzugewinnen und Frau H nicht das ganze Drama zu offenbaren, das sich gerade in meinem Gehirn abspielt.
Warum weiß der Verlag, wann ich Geburtstag habe? Weiß das also die ganze Welt? Und warum habe ich nicht vorgesorgt, wie andere Kolleginnen, und aus meinem Alter einen Hehl gemacht? Bei Wikipedia veranlasst, dass da gar keine Zahl steht und wenn doch, eine andere?? Sehe ich denn tatsächlich schon so alt aus? Habe ich nicht gerade erst geheiratet? Und trage ich nicht die gleichen Sneaker wie meine Söhne? Liebe dieselben Kuscheltiere wie meine Töchter?
»Ja, sehen Sie, liebe Frau Uhlig, und das wäre doch ein wunderbarer Anlass, darüber ein Buch zu schreiben!« Frau H hat zurückgefunden zu ihrem freundlichen Gesichtsausdruck. »Über meinen fünfzigsten Geburtstag?«
»Das würde ja vielleicht kein ganzes Buch füllen.« Frau H kichert. (Ich mag ihren Humor. Der hat uns schon bei Frau Gilhus Ergüssen verbunden. Gerade ist mir aber nicht zum Lachen zumute.) »Aber Sie könnten darüber schreiben, wie Sie damit umgehen. Mit dem Älterwerden!«
So weit sind wir also gekommen. Man erwartet von mir keinen feinsinnigen Roman oder einen richtungsweisenden Ratgeber, nein, ich soll über mein Alter schreiben beziehungsweise darüber, dass ich immer älter werde und wie ich umgehe mit Hängebacken, Besenreisern, Winkearmen und dem Verlust der Fruchtbarkeit.
»Uns schwebt da etwas vor wie bei Ihrem ersten Buch, liebe Frau Uhlig. Also da ging es ja um Ihr Gewicht, und wie Sie sich nicht den gängigen Schönheits- beziehungsweise Schlankheitsnormen unterwerfen wollten. Und genauso gehen Sie doch jetzt sicherlich auch mit dem Älterwerden um. Oder nicht?« Frau H betrachtet mich freundlich.
Und ich betrachte ihre klaren blauen Augen, ihre faltenfreie Stirn, ihr jugendliches Dekolleté. Wie alt ist sie eigentlich? Hat sie überhaupt schon die 40 erreicht? Und was weiß sie darüber, wie es sich anfühlt, wenn nicht nur die Haut am Hals, sondern auch das Haupthaar immer dünner wird, die Oberarme, der Hintern, der Bauch, die Beine hingegen immer dicker werden?
»Es gibt ja mittlerweile so viele Bücher, Podcasts und Sendungen über die Mitte des Lebens und entsprechende Ratgeber, aber wissen Sie, was fehlt, Frau Uhlig?«
»Der Humor?«
»Ganz genau! Es fehlt der Humor! Und die Leichtigkeit! Und genau da kommen Sie ins Spiel.«
»Mit meinem Humor und mit meiner Leichtigkeit?« (Beides ist momentan in keiner Weise vorhanden.)
»Absolut! Jetzt verstehen Sie, was ich meine! Da wollen wir hin! Mit Ihnen, liebe Frau Uhlig! Sie sind doch so lustig!«
»Ach was!« Ich trinke einen großen Schluck der Cola (mit echtem Zucker) und hoffe, dass sie dabei helfen wird, die Schweinshaxe, die mir mittlerweile schwer wie ein Wackerstein im Magen liegt, zu zersetzen. Vielleicht auch dabei, zurückzufinden zu meinem HUMOR! Und meiner Fähigkeit, den Widrigkeiten des Lebens mit einem kräftigen NICHT! MIT! MIR! entgegenzutreten. »Na gut«, sage ich und unterdrückte einen Rülpser. »Dann werde ich darüber nachdenken!«
2
In. Ruhe. Nachdenken. Und. Erst. Dann. Eine. Entscheidung. Treffen.
Oder soll ich sie gleich anrufen?
Meine liebe Freundin Frau Ü.
Bei fast allem, was ich in meinem Leben zu Papier gebracht habe, angefangen von der Diplomarbeit bis hin zu Anele Gilhus Glücksratgeber (manche Leserinnen erinnern sich vielleicht?), hat sie mir stets treu zur Seite gestanden und mich beim Schreiben unterstützt. Sie war quasi meine rechte Hand, um nicht zu sagen: die Spitze meiner Feder, die zweite Hand am Klavier, der Bogen meiner Geige, die Saiten meiner Gitarre, die fehlende Stufe an der Leiter, der Nagel, ohne den das Bild nicht hängt, der Deckel meiner Flasche, der Unterteller meiner Tasse, die Gabel zu meinem Messer, der Ring zu meiner Serviette, das A in meiner Tonleiter …
»Was wollen Sie, Frau Uhlig?«
Oh, wie von Geisterhand habe ich wohl die Nummer eingetippt.
Ja, genau, ich tippte Frau Üs Nummer, denn Frau Üs Nummer gehört zu den wenigen, die sich in meinem Kopf befinden. Ist sie doch genauso gleichnummrig geblieben wie ich, seit wir uns 1998 bei E-Plus in der Berliner Friedrichstraße unsere allerersten Handys zugelegt haben. Ja, und bevor ich nach diesem neuen Nachnamen suchte, den Frau Ü nun auch schon seit sechzehn Jahren trägt, tippe ich doch lieber gleich die Nummer, die meiner eigenen gleicht und mir ähnlich vertraut ist wie die von meiner Mutter.
»Ich habe keine Zeit, Frau Uhlig.«
»Schön guten Tag auch, meine Liebe, ich weiß, dass ich störe, aber vielleicht könnten Sie einen kurzen Moment einmal zuhören. Es ist nämlich wichtig.«
Wir siezen uns, Frau Ü und ich, nicht durchgängig, aber relativ oft.
»Frau Uhlig«, ruft sie nun. »Es passt mir wirklich nicht.«
»Was machst du denn?«
»Ich meditiere.«
Und warum geht sie dann ans Telefon? Wer meditiert, meditiert und wer telefoniert, telefoniert.
»Seit wann machst du das denn?«
»Seit zehn Minuten.«
»Ich meine, seit wann meditierst du?«
»Seit zehn Minuten! Das sagte ich doch bereits!« Auch wenn sie der Schauspielerei abgeschworen hat, besitzt Frau Ü noch immer ein durchaus durchdringendes Sprechorgan. Wovon ich mich aber nicht einschüchtern lasse. Im Gegenteil!
»Ich meine, wann hast du damit angefangen –«
»Verdammte Axt«, bellt Frau Ü nun, aber ich lasse sie nicht gewähren, sondern erhebe ebenfalls meine Stimme: »Wann hat das angefangen, das hast du doch früher nicht gemacht?«
»Was?«
»Das Meditieren!«
»Ich habe schon immer meditiert.«
»Das stimmt doch überhaupt nicht, meine Liebe. Als wir noch zusammenwohnten, haben Sie kein einziges Mal meditiert.«
»Das können Sie doch überhaupt nicht wissen. So oft, wie Sie weg waren!«
»Dann haben Sie also schon in der Samariterstraße meditiert?«
»Nun«, hebt Frau Ü an und gibt erst mal eine beträchtliche Menge Luft von sich. »Ich habe vielleicht damals nicht regelmäßig meditiert, aber ich schließe nicht aus, dass ich es auch in der Samariterstraße das eine oder andere Mal getan habe. Im Grunde genommen, meditiere ich schon mein ganzes Leben.«
»Tatsächlich? So lang gibt’s das doch noch gar nicht.«
»Was reden Sie denn da? Meditation ist eine jahrhundertealte, um nicht zu sagen, jahrtausendealte Praxis, um zur Besinnung zu kommen. Und außerdem haben wir auch schon in Ulm zusammen meditiert.«
»Ja, und das war grauenhaft!«
»Weil Sie sich dem widersetzt haben. Gesträubt haben Sie sich. Und dabei hätte es gerade Ihnen so gutgetan!«
»Sie haben sich doch selbst gesträubt! Und lieber mit mir zusammen Butterbrezeln verdrückt!«
»Das stimmt so ja nun auch nicht.«
»Aber Sie geben zu, dass wir beide in Ulm etwa zehn Kilo zugenommen haben. Und das lag ja wohl nicht am Meditieren! Sondern an den Brezeln!«
»Und den Donauwellen!«
»Und den Fleischkäsesemmeln!«
»Das haben wir damals tatsächlich gegessen? Fleischkäse? Wie fies!« Ich höre durchs Telefon, wie Frau Ü sich schüttelt.
»Aber hallo! Damals war Ihre Galle ja auch noch intakt!«
»Vermutlich habe ich sie mir dort erst so richtig verdorben.«
»Das war doch alles Einbildung, mit Ihrer Galle!«
»Von wegen!« Frau Ü wird nun wieder laut. »Das hast du immer behauptet. Und mir dann heimlich ein ganzes Pfund Butter ins Kartoffelpüree gehauen. Wie fies war das denn?«
»Beruhigen Sie sich meine Liebe, beruhigen Sie sich!«
»Ich beruhige mich überhaupt nicht! Das wird mir jetzt erst so richtig bewusst, wie hinterhältig das war.«
»Aber es hat Ihnen doch geschmeckt!«
»Ja, aber nur, weil ich jede Menge Rotwein dazu getrunken habe.«
»Das war ja schon immer Ihr Problem!«
»Was?«
»Der Alkohol!«
»Da mögen Sie recht haben, meine Liebe. Ich habe in dieser Zeit, ich möchte sagen, in dieser fragilen Lebensphase, sicher zu viel Alkohol getrunken, das gebe ich zu, möglicherweise war auch das nicht förderlich für meine Galle, das gebe ich auch zu, aber ich darf Sie beruhigen: Ich habe kein Problem mehr mit dem Alkohol!«
»Ach was!«
»Ja, ich verzichte nämlich auf ihn. Genauso wie auf Zucker und wie auf Fleisch.«
»Warum denn das?«
»Weil es gesünder ist.«
»Und seit wann sind Sie so ein Gesundheitsapostel?«
»Meine Liebe, ich bin, wenn ich Sie daran erinnern darf, zweiundfünfzig Jahre alt und ich befinde mich in der Perimenopause!«
»Aber Sie menstruieren doch noch?«
»In der Tat!« Höre ich richtig, und es klingt ein gewisser Stolz aus Frau Üs Stimme? Das spielt mir natürlich in die Karten. Bessert sich Frau Üs Laune, wird es mir vielleicht gelingen, sie ins Boot zu holen. Spürbar ist doch schon jetzt, dass es sich lohnt, mit Frau Ü zusammenzuarbeiten. Allein ein solcher Dialog! Eins zu eins ließe sich der abdrucken und, schwups, wären schon mal zehn Seiten gefüllt!
»Die Perimenopause ist ja die Phase vor der Menopause«, doziert Frau Ü nun. »Also die Perimenopause ist die Zeit vor dem Ausbleiben der Periode, in der der Östrogenspiegel genau wie der Progesteronspiegel sinken und eben all diese Probleme bereiten.«
»Welche Probleme?«
»Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, Stimmungsschwankungen. Herzrasen. Scheidentrockenheit …«
»Ach was.«
»Ja, meine Liebe, das sind alles Symptome der Perimenopause. Und da können Sie noch sosehr menstruieren, die Symptome sind trotzdem da!«
»Ich weiß ja nicht.«
»Dann sollten Sie sich vielleicht mal informieren. Es gibt viele gute Bücher zu diesem Thema. Sheila de Liz zum Beispiel …«
»Ja, ja, meine Liebe, ich weiß. Aber wissen Sie was? Und nun kommen wir endlich zum Punkt: Ich soll selbst ein Buch darüber schreiben.«
»Über was?«
»Über die Wechseljahre!«
»Da wird ja der Bock zum Gärtner gemacht!«
»Ich wusste, dass Sie das sagen würden, aber darüber rege ich mich jetzt nicht auf, meine Liebe, vielmehr möchte ich Sie fragen: Würden Sie mir zur Seite stehen, also würden Sie mir helfen, dieses Buch zu schreiben?«
»Ich soll Ihnen das Buch schreiben?«
»Nein, nein, meine Liebe. Diejenige, die das Buch schreibt, bin ich. Sie würden mich dabei unterstützen. Ich sage Ihnen, das wird gut bezahlt!«
Frau Ü schweigt. Das betrachte ich erst mal als ein gutes Zeichen. Wäre sie völlig abgeneigt, hätte sie sicher sofort abgesagt.
»Oder arbeitest du gerade an einem anderen Projekt?«
»Ich arbeite immer an irgendeinem Projekt.« Frau Ü schreibt seit einigen Jahren Romane. Das Licht der Öffentlichkeit hat allerdings nur ein einziger erblickt. Und dann auch noch unter Pseudonym, aus Rücksicht auf Frau Üs Familie.
»Du hättest also theoretisch Zeit?«
»Zeit habe ich eigentlich nicht. Ich muss mich fokussieren. Es bleibt einem ja auch nicht mehr so viel Zeit im Leben.«
»Wie meinen Sie das denn?«
»Wie gesagt, ich bin zweiundfünfzig Jahre alt.«
»Das ist doch noch nicht alt!«
»Du weißt, wie alt meine Mutter geworden ist?« Nun fängt sie auch noch damit an. Die Tragik in Frau Üs Leben, der frühe Tod ihrer Mutter. Ich fühle ihren Schmerz, natürlich fühlte ich den, aber ich mag das Gefühl der Hilflosigkeit nicht, den dieser Kummer in mir auslöst.
»Ach, meine Liebe«, sage ich. »Natürlich weiß ich das. Aber Sie sind ja ein anderer Mensch. Und Sie werden sicher hundert Jahre alt.«
»Meinen Sie?«
»Ja, ganz bestimmt.«
»Das wäre mein größter Wunsch.«
»Tatsächlich? Wollen Sie wirklich so alt werden?«
»Unbedingt! Wir wollen doch so viel wie möglich mitbekommen von unseren Kindern. Oma werden und vielleicht sogar Uroma!«
Nun wird es rührselig. Aber so enden sie oft, unsere Gespräche. Mit Tränen. Und genau das ist meine Chance. »Meine Liebe«, sage ich und schniefe noch ein wenig. »Sie denken jetzt einmal in Ruhe über alles nach, und dasselbe mache ich auch. Und dann sprechen wir uns morgen wieder! Abgemacht?«
»Ja, ja, das können wir machen. Aber sagen Sie doch bitte auch noch einmal: Man möchte doch vor allem alt werden wegen der Kinder, oder etwa nicht?« Frau Ü fängt wieder an zu schluchzen.
»Ja, ja, meine Liebe, nun beruhigen Sie sich mal.«
»Wie soll ich mich denn jetzt beruhigen nach diesem aufwühlenden Gespräch?«
»Indem Sie vielleicht weiter meditieren!«
»Richtig!«, ruft Frau Ü. »Davon haben Sie mich ja vollkommen abgebracht! Sie glauben ja gar nicht, wie gut mir das tut!«
3
Nun geht es also wieder los. Die Sache mit dem weißen Blatt. Wenn man dasitzt und auf das Papier starrt wie ein hypnotisiertes Kaninchen.
Nun sitze ich aber im Grunde gar nicht vor einem Blatt Papier, nein, ich sitze vor diesem Gerät, auf dem man schreiben, aber auch ganz andere Dinge machen kann. Googeln zum Beispiel, Fotos anschauen, Insta checken.
Ich durchforste die Privatnachrichten, schaue, ob jemand eine Frage hat, überprüfe die Anzahl meiner Followerinnen und Follower, werfe auch einen Blick auf die Kanäle meiner lieben Kolleginnen (frage mich, ob nicht Frau Dellert und ich mal wieder ein lustiges Video drehen sollten), schicke Bastelideen an meine Kinderfrau, Rezeptideen an Herrn Karl, Tiervideos an meinen Hund (hahaha), gucke auch, was ich meinen Kindern schicken könnte (als Warnung vor den Gefahren, die in diesem Medium überall lauern), ja, und während ich so scrolle, beschleicht mich auch schon ein leichtes Hungergefühl. Gehe ich also mal hinüber in die Küche, schaue in die Obstschale (braune Bananen, angeschrumpelte Äpfel und wieder mal Mandarinen mit zu vielen Kernen). Mittlerweile kann ich der Empfindung von Herrn Karl, dass nur eine Mandarine mit sehr vielen Kernen eine echte Mandarine ist (weil sie genauso früher in seinem Nikolausstiefel gesteckt hat), überhaupt nichts mehr abgewinnen, gehe also angesichts dieses trostlosen Anblicks weiter zum Kühlschrank, der ist so überfüllt, dass er mich überfordert, und mache dann das, was ich eigentlich vermeiden will: Ich bücke mich hinab. Zu der Schublade ganz unten. Dort werden unsere Tischsets aufbewahrt und jedwede Form von Servietten. Sollte man meinen! Haha! Denn, was niemand weiß: Tief verborgen unter den geflochtenen Bastmatten, gummibeschichteten Tellerunterlagen (für kleine Kinder) und den zahllosen Päckchen mit bunten Papierservietten (für jeden Anlass, Osterhasen, Weihnachtsmänner, alles da), unter all diesen sinnvollen wie raumgreifenden Dingen befindet sich etwas ebenso Frivoles wie Ungesundes: mein geheimes Schokoladendepot! Ich greife hinein und, nein, halt, stopp, ich greife ins Nichts, wo ist meine Schokolade?? Sie ist nicht mehr da, in meinem Kopf rauscht es, eine Hitzewallung steigt auf: Wann habe ich sie verlegt und vor allem: wohin? Es ist ja nicht so, dass ich zum ersten Mal das Geheimversteck geändert hätte, aber dieses hier habe ich nun doch schon seit einiger Zeit, und jetzt sollte ich es wohl doch wieder aufgelöst haben, oder wurde es etwa enttarnt? Letzteres schließe ich aus, nicht, weil ich meine Familie für so dumm halte, mir auf die Schliche zu kommen, sondern vielmehr wegen des dumpfen Gefühls, dass ich selbst es war, die der Schokolade eine neue Geheimposition zugewiesen hat. Wäre nicht schon wieder dieser verdammte Nebel in meinem Gehirn, wüsste ich auch wohin. So etwas ist mir doch früher nicht passiert! Da wusste ich von jedem Stück, das ich besaß, wo es sich befand. Und nun, in dieser Phase des Lebens, wo die Hitze durch den Körper wallt, vernebelt sich eben auch das Gehirn. Aber nicht! Mit! Mir! Ich reiße alle Schranktüren auf, sämtliche Schubladen auch, Dinge fliegen durch die Gegend, ich schnaufe, ich fluche, und dann, als ich schon anfangen will zu weinen, ist er plötzlich da, der Geistesblitz: das Köfferchen! Das hübsche metallene Köfferchen, das ich irgendwann irgendwo gekauft habe, vermutlich auf irgendeinem Flohmarkt, und in dem ich jetzt ein buntes Bindenlager aufbewahre (für jeden Abschnitt der Periode die passende Einlage). Dort hinein habe ich sie gelegt. Wie schlau das war! Denn wer sonst sollte da hineinschauen außer ich? Haha! Erleichtert stapfe ich ins Bad, reiße die Schnallen des Köfferchens auf, und tatsächlich, unter all den bunten Päckchen befindet sich ein weiteres, deutlich schwerer als die anderen und auch noch köstlich duftend … meine aktuelle Lieblingsschokolade, die Salty Caramel, extra dick und extra lecker …
Was soll ich sagen? Ich esse im Grunde nichts. Das ist nämlich mein Trick. Ich knabbere nur den Rand der Tafel ab, übrig bleibt dann der Rest, das Eigentliche der Schokolade. Verstehen Sie? Das Eigentliche der Schokolade verstaue ich dann wieder in der Verpackung, zusammen mit dem guten Gefühl, im Grunde gar nichts gegessen zu haben.
Tja. Und nun hilft alles nichts, ich muss zurück zum Schreibtisch. Todesmutig schließe ich alle geöffneten Tabs und schiebe das Word-Dokument in die Mitte meines Bildschirms.
Beim Anblick der gähnenden Leere schnappe ich nach Luft. Nein, Uhlig, rufe ich, du regst dich jetzt nicht auf! Und du rufst auch niemanden an! So schwer kann es doch nicht sein! Habe ich nicht schon drei ganze Bücher verfasst, zusammen mit den Ergüssen Anele Gilhus sogar vier?
Oder habe ich Angst vor der eigenen Courage, weil ich eigentlich Legasthenikerin bin? Ein Scheiß auf die Legasthenie! Darunter leidet ja auch ein Joachim Meyerhoff, und der verfasst, wie mir Frau Ü berichtet hat, einen Bestseller nach dem nächsten. Und worüber schreibt er? Über sich selbst! Und über nichts anderes will ja auch ich schreiben. Also nicht über Herrn Meyerhoff, das hatte er ja, soweit ich das beurteilen konnte, bereits hinreichend selbst erledigt – mein Buch soll von mir selbst handeln.
Was für eine verwegene Idee! Hätte ich auch selbst drauf kommen können! Aber bin ich das nicht auch? Nur: Wie gehe ich es an? Am besten gehe ich erst mal raus.