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Thomas Kühnis und Anouk Plattner bereisten in ihrem Kleinbus 55 Länder auf 5 Kontinenten. In diesem Buch stellen sie 55 Menschen vor, die ihnen unterwegs begegnet sind. Im einfühlsamen Gespräch sind berührende Portraits in Wort und Bild entstanden, die spannende Einblicke in das Leben in verschiedenen Weltgegenden geben. 55 Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, bekommen in diesem Buch eine Stimme. 55 Menschen, die uns an ihrem Leben teilhaben lassen - an ihren Freuden, ihrer Not und ihrem Schmerz, ihrem Humor, ihren Wunden, Wünschen und Widersprüchen. Lebendig, persönlich, bewegend, mitten aus dem Leben. "Höchst spannend und berührend. Dieses Buch macht süchtig!" (E.L., Lektorin)
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Seitenzahl: 468
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Karte: Thomas Kühnis
Fotos: Anouk Plattner und Thomas Kühnis, mit Ausnahme von
S.→, Bild A: http://farm.resources.ebs.co.kr/about/files/program/2012/8/30/3829643046433078.jpg, Zugriff: 19.8.2013
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Wir danken für die freundliche Genehmigung dieses Bildmaterials.
Bleibende Begegnungen
Interviewfragen
Weltkarte
Portraits
1 Zoran Marković, Bosnien-Herzegowina
2 Eleseo González Rodríguez, Bolivien
3 Maja Thapelo, Botswana
4 Ali Asgarpur, Iran
5 Alejandro Jacinto Guzmán Córdoba, Argentinien
6 Nika Igarkava, Georgien
7 Mozumbi Mozumbi, Botswana
8 Liliana Mayorga, Argentinien
9 Vladislav Litviniuc, Moldawien
10 Sulaiman Al-Riyami, Oman
11 Magdalena Klitzke, Namibia
12 Abram Buhler Dyck, Bolivien
13 Elnura Tschodurova, Kirgisien
14 Marijan Klym, Australien
15 Karu Nǂamce,
16 Andrei Deleu, Moldawien
17 Jorge José Borja Gama, Peru
18 Pavel Macek, Tschechien
19 Safura Mansurzadeh, Iran
20 Andreas Augustin, Deutschland
21 Wilfred Mutimutema, Simbabwe
22 José Luis Loncopán Sáez, Chile
23 Santosh Kumari Arora, Armenien
24 Sali Abdulmugschab, Ukraine
25 Elia Yadegar, Iran
26 Gilad Brunner, Israel
27 Maria Gaselame, Botswana
28 Ulmas Basarov, Usbekistan
29 Safet Begović, Bosnien-Herzegowina
30 Diarra Riatunga Karuhama, Namibia
31 Kaitjimba Tjiningire & Tjivinda Kaipuire, Namibia
32 Eduarda Valdivieso, Argentinien
33 Heinrich Schellenberg, Paraguay
34 Özge Sığingan, Türkei
35 Karim Akbari, Iran
36 Gabriel George Mzee, Tansania
37 Asimenia Kitsos, Griechenland
38 Majeed Said Nasser Al-Hinai, Oman
39 Olja Matfei, Moldawien
40 Masoud Jaladat, Iran
41 Lubinda Muyunda, Sambia
42 Teresa Romero Sandoval, Chile
43 Bischof Gevork Sarojan, Armenien
44 Ileana Leluc, Rumänien
45 Daqm Boo, Namibia
46 Bader Adrees, Kuwait
47 Vasilij Rjasanov, Ukraine
48 Margarita Meira, Argentinien
49 Aziz Nurachatov, Kasachstan
50 Carlos Augusto del Granado, Bolivien
51 Elvira Moreno Torres, Chile
52 Gideon Tulume, Namibia
53 Chatuna Lukava, Georgien
54 Izzet Düzgün, Türkei
55 Carlos Bastos Anze, Bolivien
Dank
Über die Autoren
Seit dem Jahr 2011 haben wir 55 Länder auf 5 Kontinenten bereist. Unterwegs waren wir mit einem schlicht eingerichteten Kleinbus, in dem wir auch übernachteten.
Nicht nur die atemberaubende Schönheit der Landschaften und die faszinierende Vielfalt der Tiere auf unserer Erde haben uns beeindruckt und geprägt, sondern auch die vielen berührenden Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen.
Wenn wir unterwegs sind, möchten wir etwas über die Kultur und den Alltag der Menschen erfahren. Und wir wollen diesen Menschen wirklich begegnen, wir wollen verstehen, was sie bewegt, was sie umtreibt. Spontane Gespräche unterwegs gehen manchmal tief, oft sind sie jedoch flüchtig und bleiben oberflächlich. Wir wollten uns und den Menschen, denen wir auf Reisen begegnen, Gelegenheit geben zu einem tiefgründigeren Gespräch, und damit die Möglichkeit zu einem gemeinsamen Innehalten – kurz: zu einer echten und bleibenden Begegnung. So entstand die Idee der Befragung. Wir wollten den Leuten unser Interesse zeigen, indem wir ihnen Fragen stellten und ihnen zuhörten. Wir haben Fragen zusammengestellt und sie in mehr als 20 Sprachen übersetzen lassen. Während unserer Reisen haben wir daraufhin Interviews mit fast 200 Personen durchgeführt. Mangels Sprachkenntnissen mussten wir uns mit manchen Interviewpartnern1 mit Händen und Füssen verständigen, konnten unser Interesse oder unsere Sympathie ausschliesslich mit Gesten zum Ausdruck bringen und kannten den Inhalt ihrer Antworten erst später, als wir sie in der Übersetzung lesen konnten. Wenn wir uns jedoch in einer gemeinsamen Sprache verständigen konnten, haben wir aufmerksam zugehört und einfühlsam nachgefragt. Tatsächlich entstanden so zahlreiche spannende Begegnungen, erhellende Gespräche und damit Einblicke in das Leben in verschiedenen Weltgegenden.
Nach gelegentlicher Skepsis, Unsicherheit oder Überraschung zu Anfang freuten sich die Menschen fast immer über unser Interesse an ihnen und erzählten uns gerne von sich. Dort, wo der Alltag der Menschen einem dauernden Kampf ums Überleben gleichkommt, war es für viele wohl das einzige Mal in ihrem Leben, dass jemand sie nach ihren Gefühlen fragte. Manche Gesprächspartner gaben uns schüchtern wenige, doch aussagekräftige Stichworte, andere erzählten uns viel aus ihrem Leben, froh um ein offenes Ohr. Unmut über geäusserte Meinungen oder Unbehagen über unüberwindliche ideologische Differenzen behielten wir stets höflich für uns. Oft haben wir gemeinsam mit unseren Gesprächspartnern gelacht, mehr als einmal zusammen geweint. Mal wortreich und lebhaft, mal wortkarg, aber geprägt von tiefem gegenseitigem Verständnis über alle kulturellen Gräben hinweg – jede Begegnung war einzigartig. Sie sind uns kostbar und unvergesslich.
Die Einzigartigkeit jedes Menschen haben wir auch fotografisch festzuhalten versucht.
Nun möchten wir unsere Begegnungen und Gespräche teilen und in diesem Buch 55 unserer Zeitgenossen, 55 Menschen dieser Erde eine Stimme geben. Wir haben die Interviews übersetzt oder übersetzen lassen, sorgfältig überarbeitet und jene ausgewählt, die uns am interessantesten schienen. Entstanden ist ein breites Panorama von Persönlichkeiten, Kulturen und Weltanschauungen. So können Sie, liebe Leserinnen und Leser, mit diesem Buch in eine Vielfalt faszinierender Welten eintauchen.
Wir danken allen Frauen und Männern, die wir portraitieren durften, für die Zeit, die sie uns geschenkt und für den intensiven Moment, den wir geteilt haben, manchmal kurz, manchmal lang – von einigen Minuten bis zu einem ganzen Tag. Wir danken ihnen für ihr Vertrauen und für die Offenheit, mit der sie uns, zwei Unbekannte, an ihrem Leben haben teilhaben lassen, an ihren Freuden, ihrer Not und ihrem Schmerz, ihrem Witz, ihren Wunden, Wünschen und Widersprüchen. Wir sind tief beeindruckt davon, mit wieviel Mut, Tapferkeit, Tatkraft und Selbstlosigkeit manche von ihnen die Schwierigkeiten des Lebens meistern und den widrigsten Verhältnissen trotzen. Diesen unermüdlichen Kämpferinnen und Kämpfern sei mit diesem Buch ein Denkmal gesetzt. Vor ihrer Courage ziehen wir den Hut!
Einige der Interviewten leben in Ländern mit eingeschränkter Meinungs- und Pressefreiheit. Auch wenn alle Interviewpartner einer Veröffentlichung ihres Portraits zugestimmt haben, mussten wir in wenigen Fällen Namen und Orte ändern und politisch brisante Passagen, zum Teil auch ganze Fragen, weglassen, um Leben und Freiheit unserer Gesprächspartner nicht zu gefährden. Einige Bewohner diktatorischer Länder haben gelernt, heikle Inhalte anzudeuten, ohne sie beim Namen zu nennen. Dort sind wir gefordert, zwischen den Zeilen zu lesen.
Einige Monate lang war Thomas allein oder mit einem anderen Reisepartner unterwegs. Wenn in der Einleitung zu einem Interview «ich» anstatt «wir» steht und der Gesprächspartner oder die Gesprächspartnerin anstelle von «ihr» das «Du» verwendet, dann deswegen, weil das Gespräch während diesem Reiseabschnitt stattgefunden hat.
Nun gibt es 55 Leben zu entdecken. 55 Menschen aus aller Welt erwarten Sie. Wir wünschen Ihnen interessante Begegnungen und viel Freude an der Lektüre!
Anouk Plattner und Thomas Kühnis
1 In dieser Einleitung verwenden wir aus stilistischen Gründen jeweils die uns passend erscheinende männliche und/oder weibliche Form. Im Interviewteil dieses Buches verwenden wir aus Gründen der Lesbarkeit nur die männliche Form, meinen damit jedoch beide Geschlechter.
Diese Fragen haben wir unseren Gesprächspartnern gestellt:
1. Haben Sie Kinder? Wenn ja, wie viele?
2. Haben Sie Geschwister? Wenn ja, wie viele?
3. Was arbeiten Sie?
4. Womit haben Sie Ihr erstes Geld verdient?
5. Waren Sie schon einmal im Ausland?
6. Wo würden Sie am liebsten leben, wenn Sie selbst wählen könnten?
einzelnes Haus
einzelner Bauernhof
kleines Dorf
grosses Dorf
Kleinstadt
mittelgrosse Stadt
Grossstadt
7. In welcher dieser Landschaften würden Sie am liebsten leben?
A
B
C
D
E
F
8. Was macht Sie glücklich?
9. Was macht Sie unglücklich?
10. Wovor haben Sie Angst?
11. Wen oder was lieben Sie am meisten?
12. Haben Sie Wünsche für die Zukunft?
13. Was fehlt Ihnen am meisten im Leben?
14. Worauf sind Sie stolz?
15. Was möchten Sie noch über sich selbst sagen?
Zoran Marković
Bosnien-Herzegowina
Alter: 55 Jahre
Muttersprache: Bosnisch
Zoran fällt mir auf, als ich durch das bunte Zentrum von Sarajevo schlendere. Er verkauft am Strassenrand Blumen und betreibt gleichzeitig einen kleinen Stand, an dem er frisch gepressten Granatapfelsaft anbietet. Seine unruhig funkelnden Augen verraten mir, dass er viel zu sagen hat.
Zoran verkörpert eine Generation, der durch den Jugoslawien-Krieg von 1991 bis 1992 und den Bürgerkrieg in Bosnien von 1992 bis 1995 viel, sehr viel genommen wurde. Um ein Leben in Würde führen zu können, muss er sehr hart arbeiten.
In seiner spärlichen Freizeit ist es Zoran ein Anliegen, den Besuchern die jüngste Geschichte Sarajevos näherzubringen. Es ist wohl auch seine Art und Weise, all das zu verarbeiten, was er in den Kriegen erlebt hat.
Haben Sie Kinder?
Ich habe eine Tochter, sie heisst Jasmina. Wir haben eine gemischte Ehe, denn meine Frau ist Muslimin, ich bin Serbe. Daher haben wir einen internationalen Namen gewählt, einen Namen, den die Serben, die Kroaten und die Muslime benutzen. Das ist der eine Grund, warum sie Jasmina heisst. Und wie du an den Blumen siehst, die ich hier zu verkaufen versuche, bin ich Florist. Die Blume, die ich auf der ganzen Welt am liebsten mag, ist der Jasmin, denn Jasmin hat einen sehr angenehmen Duft. Das ist der andere Grund, warum sie Jasmina heisst.
Haben Sie Geschwister?
Ich habe zwei Brüder. Einer lebt in Rogatica. Er hat Schwierigkeiten, aber Angelina Jolie2 hat dort kleine Häuser bauen lassen für Leute wie ihn, vielleicht zehn oder 15 Sozialwohnungen.
Was arbeiten Sie?
Ich bin technischer Ingenieur, Ingenieur für Brandschutz, ich bin Florist und ich arbeite als Touristenführer in Sarajevo für einzelne Paare, die ich hier kennenlerne, oder auch für Freunde. Ich treffe sie hier auf diesem Platz, dann fahren wir mit dem Auto zum Tunnel. Denn der Tunnel war während des Bosnienkrieges für Sarajevo die Verbindung zur Aussenwelt. Sarajevo war umzingelt. Die Fremden wollen dann diesen Tunnel sehen, ich fahre sie dorthin und zur Bosnaquelle, einem sehr schönen Erholungsgebiet in der Nähe von Ilidža, und wir sprechen über alles Mögliche, über das Leben, über die Arbeit, über das Geschäft, über die Politik.
Womit haben Sie Ihr erstes Geld verdient?
Ich habe rund um ein Haus, das auf meine Tante und ihren Mann zurückgeht, Buschwerk ausgegraben. Er sagte zu mir: «Wenn du essen willst, musst du Geld verdienen.» Also habe ich gegraben. Ich war 14 Jahre alt. Es hatte zu viele wilde Büsche, die alles überwucherten. Und der Onkel sagte zu mir: «Zoran, am Abend will ich sehen, dass du fertig bist.» Und ich habe gegraben, gegraben und nochmals gegraben. Er hat mich bezahlt mit Eis, mit einem T-Shirt und ein paar Münzen.
Es war eine gute Zeit. Es war die Zeit Titos3. Alle guten Zeiten nenne ich Tito-Zeit. Jetzt ist es die Hölle, wirklich die Hölle. Wie du siehst, habe ich vier Tätigkeiten, und ich muss 20 Stunden pro Tag arbeiten, obwohl ich im Ruhestand wäre. Ich muss arbeiten, um zu überleben und um mein Kind grosszuziehen.
Waren Sie schon einmal im Ausland?
Nur ein Mal in Griechenland, auf Rhodos4.
In welcher dieser Landschaften würden Sie am liebsten leben?
Bild E, denn hier hat es ein Meer. Ich liebe das Meer. Wenn ich genug Geld dazu hatte, bin ich nach dem Krieg jedes Jahr an die kroatische Küste oder an unsere bosnische Küste gefahren, nach Neum. Ich hatte immer nur das Geld für einen kleinen Ausflug, nicht nach Griechenland oder Palma de Mallorca. Von der Copa Cabana, von Tahiti und so kann ich nur träumen. Die kroatische Küste ist wunderschön, aber wenn sie dort für die Luft Geld verlangen könnten, würden sie es tun, besonders, seit sie in der Europäischen Gemeinschaft sind. Aber sie waren schon immer so, es liegt nicht am EG-Beitritt.
Wo würden Sie am liebsten leben?
In einer grossen Stadt, so wie jetzt. Denn ich war schon immer ein Städter, ich wurde als Städter geboren. Ich sehe die Dörfer nur als Orte für Ferien, nicht als Orte zum Leben. Ich würde verrückt werden in einem Dorf, glaube mir.
Was macht Sie glücklich?
Wenn mein Kind glücklich ist, bin ich der glücklichste Mann auf der Welt. Wenn sie mich anlacht oder wenn sie ein «Ausgezeichnet» aus der Schule mitbringt. Meine Frau und ich haben sie sehr spät bekommen. Meine Frau war 40 und ich 41, als sie geboren wurde. Wir sind jetzt schon ziemlich alt, aber sie ist immer noch ein Kind. Wenn sie eine junge Frau wird, bin ich ein alter Mann, falls ich dann überhaupt noch lebe.
Du wunderst dich, warum ich so gut Englisch kann? Ich habe als Jugendlicher Langspielplatten gehört. Ich bin ein Fan von Deep Purple, Pink Floyd, Uriah Heep, Led Zeppelin, Amon Düül und so weiter, aber am meisten von den Rolling Stones. Ich habe mehr als 3000 LPs. Ich bin ein lebendes Musiklexikon. Ich weiss alles über die 60er bis zu den 90ern. Danach ist für mich die Musik gestorben. Vielleicht noch Guns’n’Roses und die Scorpions, wobei es die Scorpions schon zu meiner Zeit gab.
Ich empfehle dir, falls du die noch nie gehört hast, eine Band mit dem Namen City. Und dann googelst du Am Fenster. Nach 30 Jahren Musik hören ist das mein Lieblingssong, in meinen Ohren die Nummer Eins. Wenn du Am Fenster hörst, erinnere dich an mich, denn es ist sehr gut. Es ist nicht wie Purple oder Led Zep, es ist etwas komplett Anderes, denn City ist absolut einmalig. Ich höre die Crème de la Crème des Rock, sogar Slade, Sweet oder Styx aus den 80ern, aber so etwas habe ich sonst nie gehört. Golden Earring aus Holland mit Radar Love und Are you receiving me? gehört auch zu meinen Lieblingsbands. Und dann gab es mal noch Omega aus Ungarn, mit The girl with the pearl’s hair.
Was macht Sie unglücklich?
Da gibt es Einiges.
Ich möchte an dieser Stelle über den Krieg sprechen, über den Krieg hier in Bosnien. Viele Leute glauben, dass es ein Bürgerkrieg war, aber das stimmt nicht. Es war das Ergebnis des Zerfalls von Jugoslawien. Kroatien hat sich abgespalten, Slowenien ebenso. Mazedonien ist ohne Krieg ausgetreten. Der Bruderkrieg hat hier stattgefunden. Denn hier in Bosnien lebten vor dem Krieg etwa 36 Prozent Serben, 38 Prozent Moslems, 20 Prozent Kroaten und andere Gruppen wie Juden und Zigeuner.
Als der Krieg begann, schlugen sich die meisten Serben auf die Seite der Tschetniks. Zuerst muss ich dir erklären, wer die Tschetniks sind. Der Begriff Tschetnik wurde früher für einen Kämpfer im Ersten Weltkrieg benutzt. Im Zweiten Weltkrieg gab es dann die Partisanen. Die Partisanen haben gegen die Tschetniks gekämpft. Eigentlich waren im Bosnien-Krieg die Partisanen und die Tschetniks fast das gleiche, mit ganz kleinen Unterschieden. Ich habe nie verstanden, wieso man aufeinander losging.
Viele Serben – wie auch ich einer bin – sind auf die Hügel gestiegen und haben auf die Leute und auf die eigene Stadt geschossen. Diese Stadt hat ihnen zuvor alles gegeben: Schulen, vielleicht eine Ehe, eine Arbeit, alles. Aber die Leute haben geglaubt, dass die Religion an erster Stelle kommt und alles andere zweitrangig ist. Nicht für mich, für mich zählt vor allem ein reines Herz. Ich weiss, wer ich bin. Ich bin Bosnier mit serbischem Glauben, ihr Fremden sagt dazu «orthodoxer Glauben». Ich habe immer in Sarajevo gelebt. In dieser Stadt wurde ich geboren, hier habe ich geheiratet, hier hatte ich meine Arbeit. Alles, was ich in meinem Leben gegeben habe, habe ich hier gegeben, in dieser Stadt.
Als dann der Krieg begann, überlegte ich: „Was soll ich machen? Ich bin Serbe, aber das ist auch meine Stadt, das sind meine Leute. Die Leute auf der anderen Seite waren für mich normale Leute, auch wenn sie nicht meine Religion hatten. Was ist mir näher? Was gilt mehr? Ich musste mich entscheiden, und das tat ich. Zuerst kam für mich mein Leben, mein Geschäft, meine Liebe. Verstehst du? Ich bin in der Stadt geblieben und habe mich bei der Armee gemeldet.
Ich kämpfte jetzt also gegen die Tschetniks, das heisst gegen meine eigenen Leute, die Serben. Das war für mich ein entsetzliches Dilemma, denn mein Bruder stand auf der anderen Seite. Bei einer Kampfhandlung gab es dann die Situation, dass ich wusste: Jetzt greifen wir den Stadtteil an, in dem sich mein Bruder aufhält. Vor der Kampfhandlung hat mich mein Sergeant gefragt: «Zoran, schiesst du auf deinen Bruder, wenn er die Waffe gegen deine Freunde, gegen unsere Soldaten richtet?» Das war die schwierigste Frage meines Lebens. Ich habe gesagt: «Ich schiesse auf seine Beine, aber ich kann ihn nicht töten. Ich schiesse ihm auf die Beine, um meine Freunde zu beschützen.» Und ich habe sie alle gefragt: «Würdet ihr auf euren Bruder schiessen?» Sie haben alle verneint und zu mir gesagt: «Du bist ein aussergewöhnlicher Mann.»
Nach dem Krieg gab es hier viele arme Leute. Ich habe einen Maschineningenieur gesehen, der sein Essen aus den Mülltonnen geholt hat. Die Rente war so niedrig, dass man die Rechnungen für Strom, Wasser und für den Haushalt nicht bezahlen konnte. Und alles, was man mal gehabt hatte, war weg.
Wenn ich an Leute denke, die ich kenne, die keine Wahl hatten in dieser Stadt, dann macht mich das unglücklich, weil ich ihnen nicht helfen konnte. Sehr, sehr unglücklich.
Kriegsgräber auf den Hügeln Sarajevos
Wovor haben Sie Angst?
Vor Krankheit. Ich habe keine Angst zu sterben. Ich habe keine Angst vor irgendeinem Tier auf der Welt. Ich bete einzig für Gesundheit. Ich habe Angst vor unheilbaren Krankheiten.
Wen oder was lieben Sie am meisten?
Meine Tochter, meine Tochter.
Haben Sie Wünsche für die Zukunft?
Ich hatte mehrere Wünsche für die Zukunft, aber ich konnte keinen davon realisieren. Nun möchte ich genug verdienen, um meiner Tochter eine gute Ausbildung zu ermöglichen, aber ich weiss, dass ich das nicht kann. Und ich möchte lange genug leben, um ihre Hochzeit zu erleben. Aber ich denke nicht, dass dieser Wunsch in Erfüllung gehen wird, denn ich bin nun 55 Jahre alt, und sie ist erst 13. Wer weiss...
Was fehlt Ihnen am meisten im Leben?
Ich vermisse Sarajevo, wie es vor dem Krieg war. Sarajevo war eine offene Stadt. Sarajevo hatte eine Seele, mit einer gemischten Kultur, mit Serben, Kroaten, Juden, Moslems, mit allen. Nun gibt es dieses Sarajevo nicht mehr.
Worauf sind Sie stolz?
Ich bin sehr stolz darauf, dass ich ein Kämpfer im Krieg war, denn ich habe meine Stadt verteidigt. Ich gehe erhobenen Hauptes, weil Sarajevo Sarajevo geblieben ist. Es ist keine Kolonie des kroatischen Zagreb oder des serbischen Belgrad geworden. Sarajevo ist Sarajevo.
Was möchten Sie noch über sich selbst sagen?
Ich bin zufrieden mit meinem Leben, bis zum heutigen Tag. Denn alles, was ich tue, tue ich aufrichtig und korrekt. Ich war nie kriminell oder habe illegale Arbeiten angenommen. Ich bin ein hart arbeitender Mann, ich arbeite sehr, sehr hart. In meinem Leben habe ich nur gearbeitet und gearbeitet. Die Arbeit hat mich und meine Seele zu dem gemacht, was sie sind.
2 US-amerikanische Schauspielerin, Regisseurin und Produzentin, die grosses humanitäres Engagement zeigt
3 Josip Broz Tito, 1892 - 1980; von 1953 bis zu seinem Tod Staatspräsident Jugoslawiens
4 Zoran zählt Kroatien aus alter Gewohnheit nicht zum Ausland, weil es in seiner Jugend Teil des vereinten Jugoslawiens war.
Eleseo González Rodríguez
Bolivien
Alter: 65 Jahre
Muttersprache: Quechua
Eleseo ist ein bolivianischer Kleinbauer in den Anden. Seine Muttersprache ist Quechua, doch er spricht gut genug Spanisch, um unsere Fragen in dieser Sprache zu beantworten. Wie es die Indigenen in den Anden seit Urzeiten gewohnt sind, kaut er ununterbrochen Cocablätter5. Während wir mit ihm sprechen, verrichtet seine Frau im Hintergrund die anfallende Arbeit und versorgt das Vieh. Die Schafe sind blau und rosa angesprayt, eine Tradition am Johannisnachtsfest6, das in Bolivien seit der Inkazeit am 24. Juni gefeiert wird.
Haben Sie Kinder?
Nein. Nein, wir haben keine Kinder bekommen.
Haben Sie Geschwister?
Ja, wir sind sechs, vier Schwestern und zwei Brüder. Sie leben alle in der Stadt und haben dort Häuser und Land, aber ich bin hier geblieben.
Was arbeiten Sie?
Ich bin Bauer. Wir haben Felder mit Mais, Weizen, Kartoffeln und Bohnen. Vieh haben wir auch, Schafe und Kühe. Ja, ich verkaufe die Ware auf dem Markt in San Pedro de Buena Vista und manchmal in Potosí. Aber die Schafe nicht, die züchten wir nur. Ja, die Wolle verarbeiten wir auch.
Womit haben Sie Ihr erstes Geld verdient?
Oh, das kann ich nicht sagen, das habe ich vergessen. Meine Eltern waren auch Bauern, ich habe ihnen geholfen.
Waren Sie schon einmal im Ausland?
Nein.
Wo würden Sie am liebsten leben?
Ich würde gerne in einer Stadt wie Santa Cruz oder Cochabamba leben. Dort gibt es mehr Handel, dort kann man alles verkaufen. Aber uns fehlt das Geld dazu.
In welcher dieser Landschaften würden Sie am liebsten leben?
B, weil es wie Bolivien ist.
Eleseos Schafe nach dem Johannisnachtsfest
Was macht Sie glücklich?
Wenn ich Geld habe, wenn ich alles habe. Mit Geld kann man ja alles kaufen, alles, was einem gefällt. Zum Beispiel Land, ein Auto, Essen, was auch immer.
Was macht Sie unglücklich?
Das kann ich nicht sagen.
Wovor haben Sie Angst?
Nur vor Delinquenten. Ja, das passiert oft hier, dass Leute ausgeraubt oder getötet werden. Es ist schon einmal jemand in unser Haus eingedrungen und hat ein Armband und Geld gestohlen. Nein, wir wissen nicht, wer.
Vor einem Unfall auf der Strasse habe ich auch Angst.
Wen oder was lieben Sie am meisten?
Papá Dios7.
Haben Sie Wünsche für die Zukunft?
Ich möchte ein grösseres Haus und mehr Land haben, das wünsche ich mir. Ja, auch mehr Vieh, damit wir besser leben können.
Was fehlt Ihnen am meisten im Leben?
Am meisten fehlt uns Wasser. Wir bringen es von weit, weit her, fast vier Kilometer, in Trinkwasserschläuchen. Dieses Wasser ist dann zum Trinken, fürs Giessen reicht es nicht. Deswegen fehlt uns das Wasser für die Pflanzen.
Worauf sind Sie stolz?
Ich bin nicht stolz. Ich möchte einfach mein ruhiges Leben führen.
5 getrocknete Blätter der Cocapflanze, in den Anden weit verbreitetes Aufputschmittel
6 Feier der Sommersonnenwende
7 spanisch, etwa: Gott, mein Väterchen
Maja Thapelo
Botswana
Alter: 27 Jahre
Muttersprache: Kalanga
Als ich in Botswana von einem kurzen Ausflug zu Fuss zum Minibus zurückkam, war gerade jemand dabei, mich zu bestehlen. Der Dieb floh zwar sofort, nahm jedoch den Grossteil meiner Kleider und mein Handy mit. Also wandte ich mich an die örtliche Polizei, die sich des Falles annahm. Polizistin Maja Thapelo übernahm meinen Fall mit grossem Pflichtbewusstsein – ich hatte geradezu das Gefühl, dass man im Polizeiquartier froh war, dass endlich einmal etwas passierte. Zu meinem Schutz durfte ich auf dem Parkplatz des Polizeipostens übernachten. Ganz nach dem Motto: die Polizei – dein Freund und Helfer entschied Maja, mir am nächsten Tag dabei zu helfen, die entwendeten Gegenstände zu ersetzen. Dazu erschien Maja so herausgeputzt, dass ich sie kaum wiedererkannte. Sie führte mich in die örtlichen Kleidergeschäfte und half mir beim Kauf eines Occasion-Handys. Ihr Beruf scheint nicht im Mittelpunkt ihres Lebens zu stehen, wie das Interview mit ihr zeigt.
Haben Sie Kinder?
Nein, ich habe keine. Ich hätte später gerne Kinder, kann aber nicht genau sagen, wie viele. Ich habe das ja auch nicht alleine unter Kontrolle.
Haben Sie Geschwister?
Ja, ich habe drei Schwestern und vier Brüder. Wir haben die gleiche Mutter, aber nicht den gleichen Vater. Sie haben alle Setswana-Namen8.
Was arbeiten Sie?
Ich bin Polizistin. Wir haben mit Delikten zu tun. Hauptsächlich haben wir die Aufgabe, die Leute und ihren Besitz zu schützen und dafür zu sorgen, dass im ganzen Land für alle Gerechtigkeit herrscht, egal, ob sie Staatsbürger von Botswana sind oder nicht.
Womit haben Sie Ihr erstes Geld verdient?
Das erste Mal in meinem Leben habe ich Geld verdient, als ich mein Talent entdeckte, Haare so zu flechten, dass sie pfiffig aussehen. Ich habe auch als Kosmetikerin gearbeitet und künstliche Nägel aufgesetzt. Ich bin zu den Leuten gegangen, oder sie sind zu mir nach Hause gekommen. Manchmal waren die Leute nett und haben mir für den Arbeitsweg ein bisschen Trinkgeld gegeben. Ich hatte einige Kunden in den kleinen Städten rund um Gaborone9. Mein Einkommen habe ich nie genau gezählt, aber wenn zum Beispiel 100 Pula10 hereinkamen, habe ich 70 oder 50 für die Miete gespart; 30 Pula habe ich gebraucht, um mir einen kleinen Wunsch zu erfüllen oder sonst etwas für mich selbst zu kaufen.
Das Leben ist hart, ich musste Geld verdienen. Aber mit der Zeit konnte ich sogar Geld sparen, etwa 1000 Pula hatte ich auf der Bank. Eines Tages bin ich dann zur Bank gegangen, habe das Geld abgehoben und habe mir Vieh gekauft, und einen Stall dazu. Später habe ich es zu einem höheren Preis wieder verkauft. So habe ich mein erstes Geld verdient. Da war ich 21 Jahre alt.
Waren Sie schon einmal im Ausland?
Ja, in Simbabwe, meine Familie kommt ursprünglich von dort. Meine Urururgrossmutter lebte noch dort. Meine Mutter erzählte mir, wie der Krieg begann, als der König von Simbabwe gestorben war. Unsere Familie musste fliehen, und als der Krieg endete, wurden viele Simbabwer Bürger von Botswana, wie auch meine Familie.
Ich war auch mehrmals in Südafrika. Ich gehe dort zur Kirche, denn unser Bischofssitz ist dort, in der Nähe von Petersburg11, in Moria. An den Feiertagen gehen wir dorthin, um die Messe zu feiern. Und wir gehen üblicherweise ein Mal im Jahr nach Mahikeng12 zum Shoppen. Ich gehe gern dorthin, um Schuhe zu kaufen, ich bin eine Schuhfanatikerin.
In welcher dieser Landschaften würden Sie am liebsten leben?
D. Das ist eine Insel, oder? Dieses Bild erinnert mich an unseren Bischofssitz in Moria. Der Ort ist umgeben von Felsen und von Hügeln. Deswegen mag ich dieses Bild. Wenn ich es mir genau anschaue, muss ich sagen: Hier ist es sehr, sehr schön. Wo würden Sie am liebsten leben?
Auf einer Farm zu leben, davor hätte ich Angst. Ich werde ein bisschen paranoid, wenn ich nur schon daran denke, dass ich alleine im Busch von Dieben attackiert werden könnte. Also allein auf einer Farm, das wäre nichts für mich. Ich mag das Leben in kleinen Dörfern, denn dort ist es günstig. Ich habe ja auch schon in kleinen Dörfern gewohnt, das Leben dort ist gut. Ich sehe dort keine Probleme.
Was macht Sie glücklich?
Auf den Punkt gebracht: das Leben. Auch wenn es hart ist. Ich bin glücklich, dass ich noch am Leben bin, dass ich gesund und nicht krank bin. Meine Leber ist zwar nicht ganz gesund, aber es ist nicht allzu schlimm.
Doch ich bin nicht vollends glücklich, weisst du. Das Leben hält noch einige Hindernisse bereit.
Was macht Sie unglücklich?
Ich habe keine Freunde. Ich hänge mit niemandem herum, ich gehe nicht auf Partys. Ich bin die meiste Zeit zu Hause und schaue fern. Ich lese die Bibel, ich meditiere. Alleine. Ich bin die meiste Zeit einsam. Das macht mich unglücklich, denn ich hätte gerne Gesellschaft, einfach so wie die anderen, verstehst du? Aber ich habe keine Freunde.
Ich bin ein spezieller Mensch. Ich bin von Gott auserwählt, wenn ich das so sagen darf. Und wenn man von Gott auserwählt ist, kann man nicht einfach seinen eigenen Weg gehen. Gott hat mich unter Kontrolle. Auch wenn ich mich physisch Menschen nähern kann, nett zu ihnen sein kann, so dass ich mit ihnen befreundet sein könnte, geht es irgendwie nicht auf. Denn Gott ist derjenige, der die Kontrolle darüber hat. Auch wenn ich nett wäre oder was auch immer, es würde nicht gehen, wenn Er es nicht will. Wenn man für sich selbst herausfindet, dass man heilig ist, kann man keine Freunde haben, keinesfalls. Jedenfalls nur wenige Freunde. Und das wären keine wahren Freunde, keine richtigen Freunde, die sich gegenseitig positiv beeinflussen. Es wäre ein Ungleichgewicht, denn die einen wären besser als die anderen. Nur manche Leute würden die Heiligkeit in mir erkennen und mich so wertschätzen, wie ich bin. Nur Leute, die ebenfalls Christus in sich tragen, möchten mit mir Umgang haben, da sie zum selben Blut gehören. Ich glaube, Gott will nicht, dass ich Freunde habe. Denn wenn ich Freunde hätte, hätten sie einen schlechten Einfluss auf mich. Sie könnten mich verwirren und dafür sorgen, dass ich ihren Weg gehe. Sie könnten mich beeinflussen, wie sie wollten, und vielleicht hätte ich nicht einmal mehr Zeit, mit Gott zu sprechen. Denn wenn man zum Heiligen Vater spricht, sollte man meditieren, tiefsinnige Gedanken haben und alleine sein, um gesamtheitlich über das Leben nachzudenken. Wenn man aber von Leuten umgeben ist, dreht sich alles ums Lachen, alle reden Blödsinn und allerlei Dinge, die überhaupt nichts mit Gott zu tun haben. Das ist es nicht wert. Die Verbindung zu Gott wäre dann zu unsicher. Gott will offenbar nicht, dass ich Freunde habe, denn sie könnten mich stören.
Ich verbringe die meiste Zeit mit Beten. Sogar wenn ich arbeite, bete ich tief in meinem Herzen. Wenn ich zu Hause bin, denke ich immer wieder über Gott und mein Leben nach. Ich denke dann, dass Gott derjenige ist, der auf meine Probleme eine Antwort hat. Egal, was ich tue, ich denke meistens: «Gott, Gott, Gott, hilf mir!»
Ich bin ein bisschen verrückt, ich weiss. Aber ich sage das von ganzem Herzen: Wenn ich Freunde hätte, würde es sich ein bisschen anfühlen, als hätte ich Gott vergessen. Wenn ich zum Beispiel auf der Arbeit bin und von meinen Kollegen erfahre, welche Probleme sie haben, weil sie sie mit mir teilen und mit mir reden und reden und reden möchten, dann ist kein Raum mehr in mir für Christus, denn dann bin ich mit weltlichen Dingen beschäftigt.
Es ist also nicht, dass ich denken würde, Gott mag mich nicht, oder Gott hat mich verlassen. Es ist vor allem ein Glück, dass Gott mich liebt. Ich bin die Auserwählte. Ich bin besonders. Ich nehme keine Drogen, ich trinke kein Bier. Ich kann von mir nicht behaupten, dass ich zu 100 Prozent gut bin. Aber ich tue mein Bestes, um dem zu folgen, was Gott am meisten von uns will: Liebe. Das bedeutet, die Menschen zu lieben und sich selbst zu lieben, zu sich selbst Sorge zu tragen, rein zu sein und nicht zu vergessen, dass man Christus in sich trägt. Man soll ihn respektieren und gottesfürchtig sein. Liebe seine Menschen! Ich versuche, bestimmte Eigenschaften zu vermeiden, die Gott nicht mag. Eigenschaften wie Sehnsucht, Neid, oder wenn man sich über alles beklagt.
Ich werde einen Freund haben, eines Tages. Ich weiss nicht, wann. Aber im Moment kümmere ich mich nicht darum, ich sitze nicht da und warte auf einen Freund. Es ist ohnehin nicht wichtig, einen Freund zu haben, obwohl ein Freund dazu da ist, einen zu unterstützen, psychisch und physisch, auf jede Art. Aber wenn er nicht da ist, ist er nicht da, da kann man nichts machen.
Wovor haben Sie Angst?
Ich habe Angst vor Menschen. Man weiss nie, was in einem anderen Menschen vorgeht. Wenn man mit Menschen zusammen ist, muss man vorsichtig sein, wachsam. Jetzt gerade habe ich Angst vor dir (lacht)! Ich wünschte, ich könnte sagen, ich hätte vor einem Löwen oder vor einem Elefanten Angst, aber das kann ich nicht. Ich habe mit anderen Menschen zusammengelebt und weiss, wie gefährlich sie für andere sein können. Sie können angreifen, sie können dich bestehlen, sie können dein Kind entführen, deinen Ehemann stehlen oder deine Möbel und andere Dinge aus deinem Haus stehlen. Die Leute sind nicht gut. Vor ihnen habe ich Angst, nicht vor Tieren.
Also ich muss gestehen, dass ich ein bisschen Angst vor Fröschen habe. Das sind Reptilien, oder? Diese weiche Haut, wenn ich die nur schon anschaue! Die sind abstossend. Und dann diese Sprünge! Davor habe ich wirklich Angst, mit einem Frosch kann man mich jagen. Sogar eine Schlange ist weniger schlimm, vielleicht sogar ein Löwe. Ein Frosch, der hüpft ständig weiter und weiter und weiter. Das ist angsteinflössend.
Wovor habe ich sonst noch Angst? Vor Wasser! Wenn es aus dem Wasserhahn kommt, ist es in Ordnung, aber zum Beispiel in Flüsse oder in den Ozean, da hätte ich Angst, hineinzugehen. Ich denke dann, dass es da vielleicht grosse Schlangen oder Wale gibt. Es gibt im Wasser so viele Tiere, und man weiss nicht, welche. Ich kann nicht einmal schwimmen und hätte Angst zu ertrinken. Ich möchte es auch nicht riskieren, schwimmen zu lernen. Was, wenn ich versuche, es zu lernen, und dabei ertrinke?
Wen oder was lieben Sie am meisten?
Wenn es um eine Person geht, liebe ich mich selbst am meisten. Wenn ich mich selbst nenne, beinhaltet das mein Haus und sonst alles, was mir gehört. Ich glaube, ich komme zuerst, und erst nach mir andere Personen. Aber ich liebe auch die Leute, egal welcher Farbe, welcher Rasse, ich liebe einfach alle Leute, jeden. Sozialisten, alle. Ich diskriminiere niemanden.
Ich liebe Musik. Musik ist mein Leben. Ich habe ein paar Songs selbst geschrieben. 2011 habe ich begonnen, Songs zu schreiben, Rhythm’n’Blues und Gospel, denn ich wurde inspiriert durch Beyoncé13. Musik zu schreiben ist eine Kunst, ein Buch zu schreiben ist Kunst. Ich habe auch den Plan, ein Buch zu schreiben – eigentlich habe ich damit schon begonnen, aber mein Computer ist kaputt gegangen, und alles wurde gelöscht. Dieses Buch wird eine Biographie über mein Leben. Der Name des Buches wird sein: From suffering…14 Nein, stimmt nicht, es heisst: From tormentation to success15.
Im Moment bin ich erfolgreich, auch wenn ich nicht gerade viel habe. Mein Leben ist jetzt deutlich besser als zuvor, das schätze ich. Vorher war es sehr hart für mich, ich musste immer darum kämpfen, genug Geld zu haben. Ich musste durch die Stadt streifen, um irgendwo Arbeit zu finden. Ich ging zu den Leuten hin, gab ihnen meine Visitenkarte, schrieb Mails, in denen ich ihnen zum Beispiel vorschlug, ihr Hausmädchen zu sein: «Bitte rufen Sie mich an, wenn Sie interessiert sind.» Dabei fühlte ich mich nicht wohl, manche Leute hielten mich vielleicht sogar für eine Diebin. Ich musste bei meinem Onkel um Geld betteln, auch bei meinem Bruder und bei meinem damaligen Freund. Ich hasse es, zu betteln, ich möchte für mich selbst verantwortlich sein. Ich war am Boden.
Haben Sie Wünsche für die Zukunft?
Ja, das habe ich. Ich hoffe, dass ich mich eines Tages glücklich nennen darf, vollkommen glücklich. Nichts Anderes zählt. Ich weiss nicht, wie ich das erreichen kann. Ich habe eigentlich ja fast alles. Was mir fehlt, ist ein Freund, ein seriöser Mann, mit dem ich einmal eine Familie gründen kann. Ich mag keine Spielchen, ich will jemanden, der es ernst meint. Dieser Mann ist das Einzige, was in meinem Leben fehlt. Wenn ich diese eine Person treffe, wird mich das glücklich machen.
Eines Tages würde ich auch gerne nach Europa oder Amerika gehen, um dort fünf oder zehn Jahre zu leben, damit ich einen Vergleich habe. Wie machen sie dort Geschäfte? Ich würde gerne etwas über die Leute dort lernen und erfahren, ob sie die gleichen Leute sind wie wir hier. Aber das Problem ist das Geld, es braucht viel Geld.
Wenn das Geld aus Steinen gemacht wäre, könnte ich Steine aufheben. Ich könnte dorthin gehen und meine Musik aufnehmen lassen, andere Künstler treffen, mit ihnen zusammenarbeiten, ein Marketing aufbauen… Meine Musik wäre weltweit bekannt. Das wäre mein Wunsch.
Und ich möchte die Schönheit dieser Länder sehen. Ich würde gerne an diese Orte reisen, Fotos machen, mit den Leuten in Kontakt treten, etwas über ihre Kultur erfahren. Darauf arbeite ich hin. Wenn ich eines Tages erfolgreich bin, vielleicht hier in Botswana Millionärin oder gar Milliardärin werde, werde ich andere Länder bereisen. Ich würde andere Kulturen kennenlernen und auch meine Kultur mit anderen teilen. Denn ich bin stolz, Afrikanerin zu sein, Afrika ist meine Heimat.
Was fehlt Ihnen am meisten im Leben?
Ich vermisse gute Zeiten in meinem Leben. Eine Romanze, das vermisse ich gerade, aber das liegt in Gottes Händen. Eine Romanze bedeutet für mich Liebe. Die Lust, die man dabei empfindet, wenn man sich küsst, sich umarmt, sich berührt, sich verliebt ansieht, und das Vergnügen, wenn man zusammen ausgeht, zu Abend isst. Das ist romantisch, das ist für mich eine Romanze. Auch shoppen und zusammen lachen, intim werden.
Worauf sind Sie stolz?
Ich bin stolz auf mich selbst. Ich bin stolz auf mich, wenn ich sehe, wie mein Leben früher war, und wie es jetzt geworden ist. Das liegt an mir, denn ich habe hart gearbeitet und bin meinen Prinzipien gefolgt. Ich habe gemacht, was ich will. Ich habe Gott, der mich bis zum heutigen Tage geleitet hat. Wenn ich meinen Prinzipien nicht gefolgt wäre und nicht getan hätte, was ich für richtig halte, wäre ich heute nicht hier, dann wäre ich vielleicht wie andere Leute, die nur herumstreunen und Wassermelonen verkaufen. Daher bin ich wirklich stolz auf mich, auf niemanden sonst.
Ich weiss, ich bin ein Genie, aber das ist meine Berufung. Es gibt ein Ziel, auf das wir zusteuern, zu dem wir hin wollen, nicht? Man muss wissen, wo man hin will, damit man weiss, wann man anhalten muss, verstehst du?
Ich denke, ich werde mit Reisen beginnen, und es gibt sonst einige Dinge, die ich noch nicht erreicht habe, wie die Musik und mein Buch. Wenn ich das habe, dann weiss ich: Ich bin angekommen. Das ist meine Mission. Dann kann ich sagen: Das ist es, was ich wollte, ich habe es vollbracht.
Ali Asgarpur
Iran
Alter: 22 Jahre
Muttersprachen: Bachtiari, Luri
Die Regierung des Iran gibt an, dass es auf iranischem Staatgebiet keine Nomaden mehr gebe – als zu rückständig wird das Nomadisieren betrachtet. Während unserer Reise durch das Zagrosgebirge konnten wir uns davon überzeugen, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Viele Qaschqai, Luren und Bachtiaren beispielsweise ziehen mit ihren Herden – es sind vor allem Schafe und Ziegen – seit Altersgedenken in den Weiten des Iran auf der Suche nach geeignetem Weideland umher.
Der junge Bachtiare Ali Asgarpur bot uns Schwarztee an, als wir gleichzeitig wie er auf einem Rastplatz eine Pause einlegten. Da er seine etwa 100 Ziegen eng zusammengepfercht auf einem Lastwagen transportierte und deswegen in Eile war, kam es entgegen den iranischen Gepflogenheiten lediglich zu einer kurzen Begegnung.
Haben Sie Kinder?
Ich bin unverheiratet, ich bin 22 Jahre alt.
Haben Sie Geschwister?
Ich habe eine Schwester und zwei Brüder.
Was arbeiten Sie?
Ich bin Automechaniker.
Womit haben Sie Ihr erstes Geld verdient?
Das war als Arbeiter. Ich arbeite selbststän
dig. Das Leben ist sehr hart hier im Iran.
Waren Sie schon einmal im Ausland?
Nein, bisher nicht.
Wo würden Sie am liebsten leben?
Ich möchte gerne im Ausland leben. Und ich hätte gerne ein eigenes Haus und ein Auto.
In welcher dieser Landschaften würden Sie am liebsten leben?
E, weil es einen schönen Strand hat und ein fruchtbares Feld, wo etwas angebaut wird.
Was macht Sie glücklich?
Was mich im Leben am glücklichsten machen würde, wäre eine tolle Ehefrau und ein Auto.
Was macht Sie unglücklich? Das Einzige, was mich unglücklich macht, ist die Teuerung, die Inflation. Sie macht unser Leben hart und bringt nichts Gutes.
Nomaden unterwegs im Zagrosgebirge
Wovor haben Sie Angst?
Vor nichts, ausser vor Allah.
Wen oder was lieben Sie am meisten? Die Schönheit, die Natur und ein gutes, aufrichtiges Leben. Ich möchte wirklich leben, einfach leben.
Haben Sie Wünsche für die Zukunft?
Alle meine Wünsche habe ich mir bisher noch nicht erfüllen können. Ich habe so viele Wünsche.
Was fehlt Ihnen am meisten im Leben? Ich möchte, dass ich im Leben nicht immer das Gefühl haben muss, dass etwas fehlt. Ich möchte nicht immerzu Probleme haben, nicht dauernd in Schwierigkeiten stecken. Ich möchte ein schönes Leben haben.
Worauf sind Sie stolz?
Ich bin stolz darauf, dass ich ein guter, aufrichtiger junger Mensch bin. Ich bin stolz auf mich selbst.
Was möchten Sie noch über sich selbst sagen?
Ich als Iraner möchte Ihnen sagen, dass ich Sie mag und gerne bei Ihnen leben würde.
8 Setswana ist die Muttersprache von etwa 90 Prozent der Bevölkerung Botswanas.
9 Hauptstadt von Botswana
10 etwa zehn Franken
11 offizieller südafrikanischer Name: Polokwane
12 Kleinstadt in Südafrika an der Grenze zu Botswana
13 afro-amerikanische Rhythm’n’Blues- und Pop-Sängerin
14 englisch: Vom Leiden
15 englisch: Von der Qual zum Erfolg
Alejandro Jacinto Guzmán Córdoba
Argentinien
Alter: 79 Jahre
Muttersprache: Spanisch
Während des 19. Jahrhunderts und bis in die 1930er Jahre gehörte Argentinien zu den fünf wohlhabendsten Ländern der Welt. In Europa entstand daher die Redensart reich wie ein Argentinier. Nach unzähligen Hochs und Tiefs ging der argentinische Staat 2002 jedoch bankrott. Daraufhin betrug die jährliche Inflation jahrelang etwa zehn Prozent. Seit 2017 ist sie nun auf unerträgliche 30 Prozent und mehr angewachsen, immer mehr Leute rutschen in die Armut ab.
Auf dem schmucken Hauptplatz der argentinischen Stadt Salta begegnen wir einem älteren Mann, der selbstgestrickte Schals verkauft, um seine Rente aufzubessern. Wir kaufen ihm einen Schal ab, und es folgt ein herzliches Gespräch, geprägt von Alejandros Redelust und Lebendigkeit, seinem Schalk, seinem Galgenhumor und der Selbstironie, die die Argentinier selten zu verlieren scheinen, selbst wenn ihr Leben alles andere als leicht ist.
Haben Sie Kinder?
Ja, ich habe drei Söhne: Óscar Alejandro, der ist Vermessungsingenieur und hat selbst zwei Söhne, die sind zwölf und acht. Der zweite heisst René, ist Lastwagenfahrer und hat drei Töchter, 21, 14 und drei Jahre alt. Und Javier Enrique, der Jüngste, der wird am 10. Juni 36 Jahre alt.
Haben Sie Geschwister?
Auch ich habe zwei Brüder. Und wisst ihr, was lustig ist? Ich habe im Februar Geburtstag, ein Bruder im Juni und einer im November, und meine Söhne genauso: Einer im Februar, einer im Juni und einer im November.
Aus der ersten Ehe meiner Mutter hatte ich noch zwei ältere Halbbrüder, aber sie leben nicht mehr. Das ist noch ein Zufall: Mein Papa starb am 26. Dezember 1988, und seine Asche kam in ein Urnengrab. Er und meine Mutter hatten beide Krebs. Die Urnengräber füllen sich der Reihe nach auf mit Verstorbenen, und als die Nische darüber an der Reihe war, da starb meine Mutter, so dass sie genau die Nische über der meines Vaters bekam. So sind sie noch im Tod vereint! Ich trage meine Eltern im Herzen, aber ich besuche sie nicht auf dem Friedhof, das macht mich viel zu traurig.
Was arbeiten Sie?
Ich bin seit 14 Jahren pensioniert. An der Nationalen Universität Salta hatte ich eine schöne Arbeit, die jetzt sehr gut bezahlt wird. Ich hatte die Aufsicht über das Studentenregister. Anfangs natürlich alles ohne Computer, alles ganz persönlich und direkt. Alle Einschreibungen und Zulassungen, die ganze Dokumentation über 3900 Studenten ging durch meine Hände. Jeden Tag kamen an die 100 Studenten mit ihren Fragen zu mir. Ich habe das sehr gern und mit viel Liebe gemacht. Nur mein Gehalt war leider sehr klein. Ich meine, damals waren meine 2000 Pesos pro Monat ein guter Lohn. Nur hat der Argentinische Peso in den letzten 14 Jahren so stark an Wert verloren, dass mein Angespartes nicht mehr viel wert ist. Heute bezahlen sie für denselben Posten, also für meine ehemalige Stelle, 18'000 Pesos16. Ich selber überlebe mit knapp 3000. Ich darf nur nicht krank werden – klopf auf Holz (lacht)! Medikamente sind sehr teuer. Doch, eine Sozialversicherung habe ich, damit bezahle ich als Pensionierter aber trotzdem die Hälfte der Behandlung und der Medikamente selbst. Nur wenn ich ins Spital muss, bezahlt die Versicherung alles.
Ja, stimmt, ich stricke auch Schals und verkaufe sie hier auf dem Hauptplatz von Salta. Das beruhigt die Nerven und bringt ein wenig Geld ein. Wenn ich einen Schal verkauft habe, kann ich mir mit dem Geld Lebensmittel und Wolle für neue Schals kaufen. Wenn ich Hunger habe und 20 Pesos in der Tasche habe, gehe ich zum Kanal, wo es traditionelles argentinisches Essen gibt, das nicht teuer ist, und kaufe mir eine Empanada17. Gott wird es geben, wie das Sprichwort sagt.
Womit haben Sie Ihr erstes Geld verdient?
Ich war Lehrling in einem Geschäft, in einer Eisenwarenhandlung gleich bei uns zu Hause um die Ecke, im Barrio Norte. Ich war etwa 16 Jahre alt. Dort arbeitete ich, bis ich zum Militärdienst eingezogen wurde. Ich verdiente 1000 Pesos pro Monat, aber damalige Pesos! Die Kaufkraft hat sich ja sehr verändert. Meine Mutter verwaltete das Geld, das ich verdiente, und kaufte mir davon, was ich brauchte, Kleider und so weiter. Aber dazu konnte ich mir nun zum ersten Mal mit meinem eigenen Geld kaufen, was ich wollte. Zum Beispiel fuhr ich mit dem Zug von Salta nach Buenos Aires zu einem Fussballspiel, denn ich war Fan einer Fussballmannschaft von Buenos Aires. Ich fuhr zweiter Klasse, dort gab es damals nur harte Holzbänke, und die Reise dauerte zweieinhalb Tage.
Waren Sie schon einmal im Ausland?
Ich kenne Brasilien ein wenig, weil meine Schwiegertochter Brasilianerin ist. Ich war während der Ferien einmal etwa 40 Tage dort: Torre, ein Küstendorf, aus dem meine Schwiegertochter stammt, und Florianópolis… Und ich kenne den Süden Boliviens, Villazón und so, aber nur oberflächlich. Ich war dort 1978/79 beruflich unterwegs, wegen des Konflikts zwischen Argentinien und Chile um den Beagle-Kanal. Bolivien schickte militärische Hilfe an Argentinien in Form von 1000 Lastwagen. Es kam aber dann nicht zu einem bewaffneten Konflikt, weil Papst Johannes Paul II. intervenierte. Er schickte uns Kardinal Samorè als Vermittler. Es gab dann einen internationalen Schiedsspruch. Wir bedauern nur, dass sie dabei die Engländer als Richter einsetzten. Auf die Engländer sind wir wegen der Malwinen schliesslich nicht gut zu sprechen18. Da sagte übrigens letztens ein spanischer Tourist zu mir: «Ihr wisst nicht, was ihr machen sollt, um die Malwinen zurückzugewinnen!» Damit drehte er natürlich das Messer in der Wunde um. Da erwiderte ich: «Ihr habt auch einen wunden Punkt, oder einen Pickel am Po, wie wir sagen. Ein Teil des spanischen Territoriums ist schliesslich auch von den Engländern besetzt!»19 Da wusste er nichts mehr zu erwidern, der Schlaumeier. So hat jeder seine Achillesferse.
Jetzt bin ich pensioniert, da liegt das Reisen finanziell nicht mehr drin. Mein Sohn sagt zu mir: «Papa, bring dich nicht in Schwierigkeiten. Brauch du dein Geld, um dir am Strand ein Bier zu gönnen, und mehr nicht.» So geniesse ich die freie Zeit auf meine Weise. (Alejandro schaut einem vorbeifahrenden Motorrad nach.) Warum zum Teufel habe ich nicht auch so ein Motorrad?
Wo würden Sie am liebsten leben?
Hier in Salta, hier fühle ich mich wohl. Nur hätte ich gerne ein eigenes Haus, aber das ist unmöglich, denn bei der Trennung hat meine Frau das Haus erhalten. Nun hat sie es verkauft und baut mit dem Geld ein anderes Haus in ihrem Dorf, und ausserdem hat sie sich ein neues Auto gekauft. Ich selbst habe nichts davon. Meine Frau ist 16 Jahre jünger als ich.
Ich wohne in meinem Elternhaus. Andere verkaufen die Häuser ihrer Eltern und haben dann Geld in der Tasche, das aber schnell verbraucht ist oder schon bald an Wert verloren hat. Aber mein Bruder sagte zu mir, indem er Churchill zitierte: «Pipo» – das ist mein Spitzname –, «dieses Haus verkaufen wir nicht. Es hat unsere Eltern Blut, Schweiss und Tränen gekostet. Einer von uns kann darin wohnen und bezahlt die Steuern, Elektrizität, Müllabfuhr und so weiter, aber wir verkaufen nicht.» Dank dessen kann ich dort wohnen und muss keine Miete bezahlen. Aber das Haus gehört natürlich uns drei Brüdern, nicht mir allein.
In welcher dieser Landschaften würden Sie am liebsten leben?
Bild D ist wie in Cachi20. Ach, ihr geht jetzt dort hin? Es ist wunderschön dort, euch wird der Mund offen stehen bleiben! Nehmt also einen Sabberlatz mit (lacht).
Es sind alles schöne Orte. Für mich am liebsten B, dort ist es so ruhig, oder E, das hat etwas Paradiesisches, diese Einsamkeit und Schönheit. E ist ausserhalb meines ökonomischen Kontexts. B ist weniger unerreichbar für mich, ich denke da an die Voranden. Diese Landschaft strahlt Ruhe und Frieden aus. So schöne Landschaften! Gott, der grosse Schöpfer, hat sie alle erschaffen.
Was macht Sie glücklich?
Die Musik, die klassische im Speziellen. Ich mag auch Tango, da habe ich eine schöne Plattensammlung. Aber leider ist der Plattenspieler kaputt gegangen. Stattdessen habe ich mir einen Player gekauft, auf dem ich CDs und Kassetten hören kann. Ich schaue auch Musik-DVDs, dann kann ich das Orchester genau beobachten. Die Musik schenkt mir Ruhe. Ich habe einen Taktstock, den ich selbst gemacht habe, schön glatt und mit einem Knauf am Ende. Ich fragte den Gründer des Symphonieorchesters von Salta, einen baumlangen Venezolaner: «Professor, ist dies das ideale Gewicht für einen Taktstock?» Er wog den Stock in der Hand und sagte: «Ja, aber nicht die ideale Länge.» Und er griff in seine Mappe und schenkte mir einen von seinen, schön weiss und mit einem Korkknauf am Ende. Wenn ich allein bin und Musik höre – ja, genau! –, dann dirigiere ich mit diesem Taktstock das Orchester und gebe alle Einsätze (lacht). Die Werke von Mozart, Tschaikowski, Beethoven kenne ich auswendig. Wenn ich einige Takte daraus höre, erkenne ich sofort das Stück. Ich habe alle neun Beethoven-Symphonien, dirigiert von Karajan. Er war Österreicher, nicht Deutscher, und er heisst VON Karajan. Am liebsten mag ich Beethovens 7. Symphonie, seine 3. Symphonie, die Eroica, die er Napoleon widmete, aber auch Beethovens 5. Symphonie und die Ouvertüre zu Leonore21.
Ich habe auch etwa zehn DVDs mit Ballettmusik von Tschaikowski und anderen Komponisten. Trotz meinem knappen Budget leiste ich mir ab und zu eine DVD oder CD, wenn ich im Plattenladen etwas Schönes sehe. Aber wenn ich zum Beispiel teure Medikamente kaufen muss, liegt dann für eine Weile keine neue CD drin.
Mit den Leuten zu reden, macht mich auch glücklich. Bei meiner Arbeit habe ich Tausende von Leuten kennengelernt, und viele erinnern sich an mich, da ich sehr charismatisch war. Es kamen so viele zu mir an den Schalter, und ich habe ihnen aus der Patsche geholfen oder einen Gefallen getan, eine Gauchada22, wie wir in Argentinien sagen. Wenn sie mich sehen, umarmen sie mich und sind erstaunt, dass ich mich an sie erinnere. Sie sagen: «Wie alt bist Du? Was für ein gutes Gedächtnis! Du siehst gut aus, und wie fit du noch bist!» Ich höre noch gut und habe gute laterale Reflexe, da ich in meiner Jugend auch als Busfahrer gearbeitet habe. Dabei muss man immer mit einem Auge den Verkehr und mit dem anderen die Passagiere beobachten und schnell reagieren. Mein jüngster Sohn, der sein Jurastudium leider nicht abgeschlossen hat, arbeitet auch als Busfahrer.
Was macht Sie unglücklich?
Die Lebensphase, in der ich bin. Ich werde alt und habe manchmal Schmerzen. Heute kam nur kaltes Wasser aus meiner Dusche. Ich habe mich trotzdem gewaschen, aber dann schmerzt der Ischias, und ich kann mich kaum mehr aufrichten und muss mich abstützen. Aber ich schlage mich durch, Mamita23. Zum Glück kann ich aufstehen, mir einen Mate24 kochen und mir für zehn Pesos Brot kaufen, das vier bis fünf Tage hält. Auch meine Frau wird älter. Wir leben noch zusammen, bis ihr neues Haus fertig ist, aber wir reden seit zwei Jahren nicht mehr miteinander. So viel wie ich heute mit euch rede, habe ich in zwei Jahren nicht mit ihr gesprochen, und es gibt nichts Schlimmeres, als im gleichen Haus zu wohnen und sich anzuschweigen. Eine Weile müssen wir einander noch aushalten. Ich sagte zu ihr: «Ich habe dir zu jung die Flügel gestutzt. Wenn du fliegen willst, flieg, aber sitz nicht hier herum.»
Als wir heirateten, war sie 18 und ich über 30. Ich wollte nicht, dass sie arbeitet. Ich sagte: «Widme dich den Kindern und kümmere dich um das Haus, sei du die Hausherrin.»
Ich bin es jetzt gewohnt, allein zu sein, also lieber richtig allein sein. Weihnachten und Silvester habe ich auch allein verbracht. Ich habe eine Tablette genommen und eine Flasche Wein getrunken, Fenster und Türen zugemacht und wollte nichts von draussen hören. Ich war bei meinen Söhnen eingeladen, aber in unserer Situation wollte ich nicht mit meiner Frau zusammen feiern. Nein, nein, macht euch keine Sorgen, es beruhigt mich, darüber zu sprechen, das ist eine Therapie.
Es macht mich auch unglücklich, meine Enkel nicht aufwachsen zu sehen. Ich habe schon meine Söhne nicht aufwachsen sehen, weil ich morgens, nachmittags und abends arbeitete. Es fehlte mir einfach die Zeit, mich mehr um meine Söhne zu kümmern. Von 5 bis 13.30 Uhr arbeitete ich als Busfahrer und von 14 bis 21 Uhr an der Universität. So – mit nur einer halben Stunde Pause pro Tag! – ging das drei Jahre lang, damit wir uns Möbel und Hausrat kaufen konnten, Sessel, Fernseher, Vorhänge und all die Kleinigkeiten, die Freude machen. Das Haus sollte komfortabel sein, und meine Frau die Hausherrin.
Ich gehe selten zu ihnen, und gleichzeitig bedauere ich das. Es ist ein wenig egoistisch von mir, dass ich die Enkel so wenig sehe. Ich könnte das Motorrad nehmen, zu ihnen fahren und bei ihnen essen, aber ich tue es nicht. Man gewöhnt sich an die verflixte Einsamkeit, Mamita. Letztens ging ich bei meinem Sohn vorbei, da hängten sich die zwei Enkel an meinen Hals, die Grossen. Sie sind erst zwölf, aber unglaublich stark. Mein Sohn ist auch riesig, sicher etwa 90 Kilo schwer. Wir sind alle kräftig. Mir geht es im Moment nur nicht so gut, ich habe zehn Kilo abgenommen. In meinem Alter ist es schwierig, wieder so viel zuzunehmen. Der Arzt empfahl mir, Vitamine zu nehmen, weil ich mich nicht gesund genug ernähre. Aber das mache ich nicht, ich muss sparen. Wenn ich bei meinen Söhnen eingeladen bin, gibt es einheimische Küche: Eintopf, Empanadas, Humitas25 oder Tamales26. Aber wenn ich allein bin, esse ich halt gerne Sandwiches oder Hotdogs, die ja nicht sehr nahrhaft sind.
Danke, dass ihr mir zuhört, das tut mir wirklich gut!
Wovor haben Sie Angst?
Jetzt werdet ihr lachen: vor der Einsamkeit. Sie ist so ohrenbetäubend, so erdrückend. Wenn ich im Bett liege und den Fernseher ausschalte – diese Stille erdrückt mich. Obwohl ich ein Original bin und allein sein will, habe ich Angst vor der Einsamkeit, Mamita. Meine Söhne wissen, wie ich bin. Sie rufen mich an, hören mir zu und fragen, was ich brauche und wie es mir geht, aber sie drängen sich nicht auf. Und ich will nicht bei ihnen an die Türe klopfen und sie um Geld bitten für Essen oder Medikamente, nein, dazu bin ich zu stolz. Ein dummer Stolz vielleicht.
Ich habe meinen Söhnen eine Erziehung und die Möglichkeit zum Studium gegeben, und ich war ein gutes Vorbild im biblischen Sinne, dass man sein Brot im Schweisse seines Angesichts verdienen soll. Hier in Argentinien gibt es nämlich zu viele Schmarotzer und Faulenzer. Unsere Regierung hält sich nur wegen einem verfluchten Umfeld von Profiteuren, die ihr Leben lang nicht arbeiten und damit mehr verdienen als ich. Diese Sozialpläne, die Leuten Geld schenken, die keinen Finger rühren! Ein Vater, der vor dem Fernseher sitzt oder im Bett herumliegt und seinen Kindern ein schlechtes Beispiel ist, ein Sohn, der Drogen nimmt und trinkt, eine schwangere Tochter, und alle beziehen Sozialgelder vom Staat.
Wir Alten hingegen… Wer von uns Pensionierten kann in seinem sogenannten Jubeljahr schon jubeln27?! Keiner! Ich sollte mindestens 9000 Pesos bekommen, aber davon kann ich nur träumen. Mit Stehlen kommt man hier auch besser über die Runden.
Wen oder was lieben Sie am meisten?
Was für eine Frage! Mmmh… Die schönen Dinge sind sehr vergänglich. Ich hatte eine Liebe, bevor ich geheiratet habe. Mit ihr war ich zehn Jahre zusammen. Das ist mir unvergesslich, aber das ist lange her, und sie ist vor Langem gestorben.
Die Musik ist mir wichtig.
Es ist mir wichtig und es macht mich sehr zufrieden, dass es meinen Söhnen gut geht, dass sie rechtschaffene Männer sind, die ihre Pflicht erfüllen, und dass ich meinerseits meine Pflicht gut erfüllt habe. Dass sie noch besser sind als ich, das macht mich zufrieden. Und ja, ich mag meine Enkel!
Haben Sie Wünsche für die Zukunft?
Dass ich meinen Platz auf dem Friedhof nicht mehr bezahlen muss, wenn ich tot bin (lacht)! Ich zahle schon meinen Platz auf dem Friedhof, damit ich dann einen Platz habe, wenn es so weit ist