'69 - Ulli Kulke - E-Book
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Ulli Kulke

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Beschreibung

2019 jährt sich die erste Mondlandung zum 50. Mal – damit ging ein dramatischer Wettlauf zwischen den USA und der UDSSR zu Ende und das Foto mit dem ersten Mann auf dem Mond wurde zur Ikone. Ulli Kulke lässt mit seinem Buch den Space Race, den Wettlauf zum Mond, vor unseren Augen ablaufen: eine bis heute atemberaubende Geschichte mit filmreifer Dramaturgie. Er blickt zurück auf die verschiedenen Apollo-Missionen und den Krieg der politischen Systeme und schildert die wissenschaftlichen Geniestreiche sowie die Rolle Wernher von Brauns. Seine mitreißende Reportage lässt das ganze Drama nochmals lebendig werden – die Überraschungen, die Enttäuschungen und die bewegendsten Momente.

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Seitenzahl: 254

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Für Conny, Fanny, Gina – und Bibi, die rasende Rakete auf vier Beinen

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www.langen-mueller-verlag.de

 

© für die Originalausgabe und das eBook: 2018 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, Stuttgart

Lektorat: Ingeborg Hagedorn, Berlin

Umschlaggestaltung: STUDIO LZ, Stuttgart

Bildnachweis: Foto 9: akg-images/Mondadori Portfolio/Mario de Biasi; alle übrigen Fotos: NASA

Umschlagmotiv: NASA

eBook-Produktion: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

ISBN 978-3-7844-3488-9

Inhalt

Prolog

Die neue Weltsicht

Ein zufälliger Schnappschuss wird zum meistkopierten Bild

Kapitel 1

Der NASA-Chef wird überrumpelt

Wie das Abenteuer der ersten Mondfahrt beginnt

Kapitel 2

Meuterei im Weltall

Handfester Streit zwischen Houston und Apollo

Kapitel 3

Der Höllenschlund öffnet sich

Die Frau des Kommandanten sieht ihren Mann schon verloren im All

Kapitel 4

Science-Fiction wird wahr

Jules Verne und Arthur C. Clarke haben die Mondfahrt exakt vorgezeichnet

Kapitel 5

Der Mond sieht aus wie Gips

Das berühmteste Foto der Welt sollte gar nicht geknipst werden

Kapitel 6

Die Erde als Raumschiff

Apollo 8 als Geburtshelfer der Umweltbewegung

Kapitel 7

Die zwei Leben des Raketenmannes

Welche Rolle die Deutschen bei der amerikanischen Mondfahrt spielen

Kapitel 8

Der Wernher von Braun der Sowjets

Nicht nur die USA nutzen die Erfahrungen von Hitlers Wunderwaffe

Kapitel 9

Die USA legen los, das Rennen beginnt

Das »Space Race«, der längste und spannendste Wettlauf der Welt

Kapitel 10

Chruschtschow mischt sich ein

Die Sowjets verlieren, weil sie Prestigegewinne und nicht den Mond anpeilen

Kapitel 11

Der große Sprung für die Menschheit

Noch Sekunden vor der ersten Mondlandung steht alles auf dem Spiel

Bildteil

Register

PrologDie neue Weltsicht

Ein zufälliger Schnappschuss wird zum meistkopierten Bild

Große Augenblicke der Weltgeschichte können sich für die Beteiligten zunächst ganz unscheinbar einstellen. So war es bei Frank Borman, Jim Lovell und Bill Anders. Die drei bringen die Sache vor 50 Jahren ins Rollen, als sich das Weltbild der Menschheit so umfassend ändert wie seit den Tagen von Christoph Kolumbus nicht mehr. An Heiligabend 1968 eröffnet sich für uns alle ein völlig neuer Blick auf unseren eigenen Planeten. Und anders als bei jenem Entdecker Amerikas, knapp 500 Jahre zuvor, ist das Ereignis in dem Moment nicht einmal eingeplant. Obwohl es absehbar war. Niemand hat damit gerechnet oder Vorkehrungen getroffen. Niemand hat sich überlegt, wie dies der Weltöffentlichkeit präsentiert werden könnte, und niemand hat geahnt, wie sie es aufnehmen würde.

Es ist Weihnachten, ausgerechnet, und die drei Astronauten sitzen in ihrem Raumschiff Apollo 8. Seit dreieinhalb Tagen. Vier Mal haben sie da schon den Mond umrundet, als erste Menschen überhaupt. Gerade kommen sie wieder einmal hervor von seiner Rückseite, der »Dark Side of the Moon«, wieder auf der östlichen Seite, wie die drei Male zuvor. Doch jetzt trifft es den Kommandanten Borman wie ein Schlag. Er schaut durch seine Luke auf der linken Seite. Fassungslos ruft er: »Oh, mein Gott! Seht euch das Bild da an! Hier geht die Erde auf. Mann, ist das schön!«

Langsam, würdevoll schiebt sich da der Erdball hinter dem Mond hinauf. Ja, irgendwie auch mächtig, obwohl er klein wie ein Daumennagel erscheint, schließlich ist er 400 000 Kilometer weit weg. In voller, bunter Pracht, über dem grauen, farblosen Mond. Der ist »wüst und leer«, wie einst die Erde in der biblischen Schöpfungsgeschichte. Der kleine, farbige Erdball liegt auf der Seite, fast, als müsse er sich erst noch erheben, um seine Fahrt aufzunehmen. Zunächst ist es nur ein kleiner, greller Streifen, der den dunklen Mondhorizont markiert, dann ein Segment, das immer höher steigt, größer wird.

Dann wird Afrika sichtbar, der Westen liegt noch im Sonnenschein, im Osten herrscht schon Nacht. Auf der rechten Seite ist die bräunliche Sahara zu sehen, links die dunkleren, graugrünen Tropen, darüber der Atlantik, ganz links der Südpol, rechts außen der Nordpol, neben der Stelle, an der man ein blassgrünes Westeuropa in der Abendsonne ahnt. Das mittägliche Amerika liegt weitgehend unter grellen Wolken verborgen.

Es ist ein traumhaftes Bild: die Erde als Halbkugel, wie der gute alte Mond auf einer Kinderzeichnung, im finsteren, unendlichen Universum, emporgeschoben scheinbar von einer unsichtbaren Macht. Ein fantastischer Weihnachtsgruß für die drei einsamen Astronauten. Die unendlich ferne Heimat selbst ist es, die sie grüßt und sich vor ihnen nun anschickt, über den Himmel zu ziehen. Die Männer sind ergriffen. »Das muss es sein, was Gott sieht«, wird sich Borman später an seine Gedanken in dem Moment erinnern. »Es war der wunderbarste, herzerweichendste Anblick meines Lebens, einer, der eine Lawine herüberschickte von Nostalgie, von Heimweh, das sich in mich hereinbohrte. Sie war das Einzige im All, was eine Farbe hatte, alles andere war nur schwarz-weiß, aber nicht die Erde.« Die beiden anderen, die dabei sind, werden nach ihrer Rückkehr ähnliche Worte tiefer Ergriffenheit finden. So wie für Milliarden Erdenbewohner seit Menschengedenken der Mond heraufzieht, Abend für Abend, so schauen jetzt die drei Raumfahrer in die entgegengesetzte Richtung. Sie sprechen vom »Erdschein«, gerade ist »Halberde«. Und dann knipsen sie.

Das Foto, das dabei entsteht, ist nicht nur die Umkehrung aller bisherigen Himmels-Ikonografie. Es stellt auch die Welt selbst auf den Kopf. Das Bild, das die drei von diesem ersten »Earthrise« auf ihrem belichteten Farbfilm heimbringen – es wird das am meisten reproduzierte des ganzen Jahrhunderts werden. Es wird die aufkommende Umweltbewegung prägen, zur Ikone des neuen Bewusstseins avancieren: im Vordergrund der tote, staubige, aschfahle, von Kratern durchfurchte Mond. Im Hintergrund der Heimatplanet, an dessen Farben ein Erdenbewohner die Lebensgrundlagen sofort erkennt: Wasser, Boden, Wolken. So wird diese Perspektive zum Sinnbild werden für den Leitspruch: »Wir haben nur eine Erde.«

Der Abschluss eines traumatischen Jahres

Mehr philosophisches Gewicht geht nicht für einen simplen Foto-Abzug. Mehr Widerspruch allerdings auch kaum: Das Bild ist ein Abfallprodukt des aufwendigsten Technik-Abenteuers der Menschheitsgeschichte, der Mondfahrt, des Gipfels der Zukunftsgläubigkeit. Genau der wird dann jene Umweltbewegung, die diesem Bild einen Gutteil ihres Aufkommens verdankt, einen apokalyptischen Anstrich verpassen und sie leidenschaftlich bekämpfen. Als das Magazin Life später eine Aufstellung der 100 Bilder bringt, die die Welt veränderten, wird »Earthrise« als Nummer eins aufgeführt werden.

Das Bild geht zum Abschluss eines Jahres um die Welt, das für sie – und besonders für die USA – ein traumatisches war. Der Vietnamkrieg hatte höllische Ausmaße angenommen, die Atomkriegsgefahr drückte die Stimmung, die Morde an Martin Luther King und Robert Kennedy offenbarten Abgründe in der amerikanischen Gesellschaft. Gleichzeitig heizte der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag den Kalten Krieg in Europa an, wo obendrein ein beginnender studentischer Aufruhr sich anschickte, das westliche Wertesystem infrage zu stellen. Und während all dem schwenkte nun der Wettlauf zum Mond zwischen den Amerikanern und den Sowjets, das größte Rennen der Menschheitsgeschichte, nach zehn Jahren auf die Zielgerade ein.

Die Erde, wie wir sie kannten bis 1968, sei Vergangenheit, charakterisiert der Großmeister der Weltraum-Science-Fiction, Arthur C. Clarke, für die Zeitschrift Look im Jahr 1969 die Folgen dieses »Schnappschusses« von der Erde: Es habe da so etwas wie eine zweite kopernikanische Revolution stattgefunden. Sowieso wurde der Moment dieser historischen Aufnahme, der erste Ausflug von Menschen zum Mond, damals gern mit der Zeitenwende vom Mittelalter zur Neuzeit auf eine Stufe gestellt, eben mit jener Überfahrt des Kolumbus – mit einem denkwürdigen Unterschied allerdings: Kolumbus wollte zu einem Land aufbrechen, das ja nicht unbekannt war, Indien nämlich, und entdeckte dabei einen neuen Kontinent. Apollo 8 wiederum sollte aufbrechen, um einen neuen Himmelskörper aufzusuchen – und entdeckte dabei unseren Heimatplaneten, die Erde.

Wer aber ist für das Bild des Jahrhunderts verantwortlich? Wer hat es aufgenommen, wer hat es angeregt? Und wer war dagegen? So selbstverständlich war es nämlich nicht für die drei Raumfahrer, das Foto zu »schießen«. Die Kapazitäten für Fotos unterwegs waren damals längst nicht so unbegrenzt wie heute, im Zeitalter der Digitalkameras. Die paar Filme, mit denen sie sich an Bord bescheiden mussten, um jedes Gramm Gewicht zu sparen, waren eigentlich für ganz andere Fotografien gedacht. Der Arbeitsauftrag lautete: mögliche Plätze für die erste Mondlandung fotografisch zu kartieren. Die Anzahl der »Schüsse« war begrenzt. Und so gab es an Bord zunächst sogar ernsthafte Bedenken, die aufgehende Erde überhaupt aufzunehmen.

Dabei war nicht nur jenes Foto unbeabsichtigt, eher zufällig entstanden, ein Schnappschuss. Eigentlich hätte die ganze Mission Apollo 8 gar nicht zum Mond führen sollen. Man war längst noch nicht so weit. Doch der Wettlauf mit den Sowjets zwang die Amerikaner zur Eile, zwang zu jenem wahren Himmelfahrtskommando, ausgerechnet an den heiligsten Tagen des Jahres. Nicht zuletzt der US-Geheimdienst CIA spielte dabei eine Rolle, mit seinen Informationen über die Fortschritte der anderen Seite. Apollo 8 war die riskanteste Mission der NASA – und sie wurde zum größten Erfolg. Für viele war sie ein noch größerer Triumph als die eigentliche Landung auf dem Mond sieben Monate später.

Kapitel 1Der NASA-Chef wird überrumpelt

Wie das Abenteuer der ersten Mondfahrt beginnt

Der Himmel ist noch stockfinster über Hawaii, morgens am 21. Dezember 1968. Frisch ist es auch, so gegen halb sechs, oben auf dem Diamond Head, gut 200 Meter über Honolulu. Ein paar Dutzend Menschen sind die Treppen zum Aussichtspunkt hinaufgestiegen, zur höchsten Stelle eines kahlen, nur mit Gras bewachsenen Kraterrundes, Ergebnis einer Eruption vor etwa 300 000 Jahren. Diamond Head ist ein idealer Ort, um bei klarem Himmel Tausende von Sternen zu bewundern.

Denjenigen, die den mühsamen Weg auf sich genommen haben, geht es nicht um die weite Sternenpracht von Horizont zu Horizont. Sie wissen, wohin sie an dem Morgen schauen müssen. Nach Südwesten, Richtung Australien. Und von dort kommt er dann auch schon. Aus dem Dunkel, aus dem Erdschatten heraus schiebt sich oben, in etwa 180 Kilometern Höhe, ein kleiner weißer Punkt immer stärker bereits in den Sonnenschein, wird in nur wenigen Sekunden sichtlich heller. Dann, als er eine knappe Minute später südwestlich über Hawaii steht, fast senkrecht, da glänzt er in voller Pracht.

»Apollo 8. Ihr habt ›Go‹ für TLI.« »Roger. Verstehe. Wir haben ›Go‹ für TLI.« Die Menschen auf dem Berg können die knarzigen Stimmen nicht hören, die zwischen diesem winzigen Punkt da oben am Himmel und Houston auf dem S-Band gefunkt werden. Soeben wird die Erlaubnis durchgegeben, das Schwerefeld des Planeten Erde zu verlassen, aus dem Kontrollzentrum in Texas an die drei Männer in der Enge ihres Raumschiffes Apollo 8. Es ist die Anweisung, die TLI vorzubereiten, die »Trans Lunar Injection«, den Einschuss in die Umlaufbahn des Mondes. Sekunden später beginnt der Kommandant von Apollo 8, ins Mikrofon zu zählen: »Neun, acht, sieben … vier, drei, zwei, Zündung.«

Keiner der Frühaufsteher auf dem Diamond Head hat den kleinen Stern auf dessen zwei Minuten dauernden Wanderung über den Himmel aus den Augen verloren. Jeder starrt auf ihn, als dann, um 5:41 Uhr Hawaii-Aleutian Standard Time, der Lichtpunkt geradezu auseinanderbricht. Fast zum Erschrecken riesig wird er plötzlich und wandelt sich zu einem gleißenden Etwas am Firmament, mit einem fächerförmigen Kometenschweif. Das Raumschiff Apollo 8 hat sich in dem Moment auf den Weg in eine andere Welt gemacht. Die dritte Stufe seiner Rakete hat noch einmal gezündet. Nach zwei Minuten ist es nicht mehr zu sehen.

Die Zündung, jene TLI, hat das Raumschiff von seiner ohnehin bereits enormen Geschwindigkeit von 28 000 Stundenkilometern auf sagenhafte 38 000 katapultiert. Wie die Gondel eines Kettenkarussells, das sich zu schnell dreht und so die Kette zum Reißen bringt, ist Apollo 8 nun durch die Zündung und die enorme Beschleunigung aus dem irdischen Schwerefeld befreit, nimmt Kurs zum Mond.

Als die immer noch entgeisterten Schaulustigen vom Diamond Head hinabsteigen, schiebt sich dort, wo vorhin der kleine Stern am Himmel auftauchte, nun die mächtige Sonne über dem Pazifik hinauf. Sie durften einen historischen Moment miterleben. Menschen sind wieder auf dem Weg in neue, ihnen unbekannte Sphären, so weit wie noch nie. Eine neue Ära hat begonnen. Und ein ungeheures Wagnis nimmt seinen Lauf. Eines, dessentwegen der Chef der amerikanischen Nationalen Luft- und Raumfahrt-Agentur (NASA) ein paar Wochen vorher seinen Hut nahm. Ihm war das Risiko zu groß, er wollte die Verantwortung nicht mittragen. »Die TLI war es, die James Webb Monate vorher zum Rücktritt bewegt hatte«, schreibt Raumfahrtautor Robert Zimmerman.

Krach bei der Telefon-Konferenzschaltung

Vier Monate zuvor, Mitte August 1968, war der Chef der NASA für gut eine Woche außer Haus gewesen. James Webb nahm teil an einer UN-Konferenz in Wien, begleitet von George Mueller, einem seiner Stellvertreter, zuständig für die bemannte Raumfahrt. Das Thema der Konferenz: die friedliche Nutzung des Weltraums. Die Tagung in Österreichs Hauptstadt blieb in der Tat friedlich für die beiden NASA-Manager, auch im Gespräch mit Vertretern des Gegners beim Rennen zum Mond, der Sowjetunion. Dass kurz vor Ende der Veranstaltung deren Truppen an der Spitze des Warschauer Paktes gleich nebenan, in Österreichs Nachbarland, die CSSR, einmarschierten, um den Prager Frühling niederzuschlagen, war hier kein Thema. Webb und Mueller sollten es auch erst erfahren, als sie schon auf dem Weg zum Flughafen Schwechat waren, um in ihr Flugzeug nach Washington einzusteigen. Zeit, darüber in Entsetzen zu verfallen, hatten beide sowieso nicht. Die beiden Topleute der NASA waren schwer aufgebracht, aber aus einem ganz anderen Grund.

Webb hatte in Wien einen Anruf aus der Heimat erhalten, gleich von einer Reihe führender Kräfte seiner Behörde, per Konferenzschaltung aus dem Kontrollzentrum in Houston, aus der Raketenentwicklung in Huntsville und aus dem Headquarter in Washington. Schon nach den ersten Sätzen bei diesem Ferngespräch war Webb wütend. »Sie wollen die gesamte Ausrichtung des Apollo-Programms ändern, während ich außer Landes bin?«, donnerte er ins Telefon.

Webb verbreitete eine Stimmung, als habe er es mit zu allem entschlossenen Meuterern zu tun, wie einst Käpt’n Bligh auf der Bounty. Sein Stellvertreter Mueller pflichtete ihm bei und rief den Kollegen in den USA durch den Hörer zu: »Ihr seid wohl verrückt.« Sam Phillips, Direktor des Apollo-Programms und einer der Meuterer, sagte später: »Wenn der Schock eines Anrufers sich durchs Telefonkabel übertragen ließe, hätte ich wohl einen Schuss in den Kopf bekommen.« Chris Kraft, Flugdirektor aus Houston und ebenfalls am amerikanischen Ende der Leitung, erinnert sich: »Mueller war überzeugt davon, dass wir absichtlich gewartet hätten, bis sie beide abgereist waren, um dann hinter seinem und Webbs Rücken das Apollo-Programm umzukrempeln.« Ganz falsch war diese Lesart nicht.

Auch wenn die kleine Palastrevolution nicht von Webbs und Muellers Auslandsreise veranlasst worden war – eine besonders brisante Idee, die für einige Zeit auf der oberen Etage der NASA die Runde gemacht hatte, war den beiden an der Behördenspitze tatsächlich vorenthalten worden. Wochenlang. George Low, Chef des Büros für die Koordinierung des Apollo-Programms (ASPO), wollte als Mastermind des Ganzen nichts nach oben durchsickern lassen. Jedenfalls solange er nicht selbst überzeugt war, dass sein Plan auch funktionierte. Jetzt aber drängten er und die eingeweihten Herren in Washington zur Eile. Sie wollten die wichtigste Zwischenetappe des Projektes Mondlandung gleich um ein halbes Jahr vorziehen.

»Die Aufregung war überbordend«

Erst einen Tag vor dem Anruf erhielt Low diese Sicherheit, nachdem die Spitzen der anderen Abteilungen signalisiert hatten: keine Einwände! – und gleich selbst Feuer und Flamme waren. Man war im Marshall Space Center von Huntsville, Alabama, zusammengekommen: der Raketenbauer Wernher von Braun, Astronauten-Chef Deke Slayton, Apollo-Direktor Sam Phillips, Bob Gilruth, Leiter des Kontrollzentrums in Houston, und Chris Kraft, erster Flugdirektor während der Apollo-Missionen, ebenfalls aus Houston. Kraft fasste in seiner Autobiografie die Stimmung bei diesem Treffen zusammen: »Die Aufregung war überbordend«, von Braun habe geradezu einen elektrisierten Eindruck gemacht, Slayton sei gehüpft voller Erwartung, und er selbst, Kraft, habe der kleinen Runde laut applaudiert. Phillips sei anschließend herumgegangen und habe allen förmlich gratuliert.

Erstmals nach dem Tod der drei Astronauten Grissom, White und Chaffee bei einem Bodentest der Kapsel von Apollo 1 im Januar 1967 kam nun in der NASA wieder so etwas wie Aufbruchstimmung auf. Die bis dahin schlimmste Katastrophe ihrer Geschichte hatte die Raumfahrtagentur für über eineinhalb Jahre praktisch gelähmt und dazu geführt, dass alle bemannten Missionen ausgesetzt wurden. Das schien in diesem Augenblick überwunden. »In dem Raum herrschte die einmütige Stimmung, dass nun etwas Großes anstünde.« Endlich mal wieder. Dass Webb, der Chef, der Mann, der seinen Kopf dafür hinhalten musste, noch gar nicht informiert und gefragt worden war, schien im Moment der Euphorie fast vergessen.

Was hatte sich da zusammengebraut Ende August 1968, was hatten die Experten da angerührt, ohne Wissen der NASA-Spitze? Man stand noch mitten im Wettlauf zum Mond, doch jetzt sollte das Ziel selbst angepeilt werden, weit früher als geplant. Natürlich: »Auf zum Mond« – das war sowieso der Auftrag. Seit Kennedys berühmter Rede gut sieben Jahre zuvor, mit seiner Ankündigung im Namen der Nation, »noch vor Ende dieses Jahrzehnts einen Menschen auf dem Mond landen zu lassen und ihn wieder sicher zur Erde zurückzubringen«. Und seit seiner Ermordung galten die Worte als in Stein gemeißelt. Doch nun sollte plötzlich alles noch schneller gehen. Die ersten Menschen, Amerikaner, würden, wenn es nach George Low ginge, noch vor Ende 1968 zu jenem weißen, großen Licht aufbrechen, das nachts so hoch oben über den Himmel zieht. Das seit Millionen Jahren den Menschen und seine Vorläufer fasziniert, die Fantasien beflügelt, Kult und Kultur bereichert. Das aber vor allem immer eines war und ist: ein Sinnbild der Unerreichbarkeit.

Die Landung selbst sollte zwar noch nicht stattfinden, doch der erste bemannte Aufbruch zum Mond, vielleicht der »größere Sprung« der Menschheit gegenüber Armstrongs »kleinem Schritt«. Um den Mond gleich zehn Mal zu umrunden, einen ganzen Tag lang, sollte all das nun unmittelbar in Angriff genommen werden. Und nicht erst ein halbes Jahr später, wie es das Programm vorsah, das für die NASA-Spitze ja immer noch galt. Konkret hieß das: Die Mission Apollo 8, nicht erst Apollo 10, sollte jetzt gleich durchstarten zum Mond und ihre Tests nicht nur im Erdorbit durchführen, der bisherigen äußersten Grenze für alle Astronauten und Kosmonauten. So wollten es Webbs Strategen, seine – bis dahin – engsten Vertrauten. Auch seinen ersten Stellvertreter, Tom Paine, hatten die »Verschwörer« noch vor ihm selbst eingeweiht. Lange sollte es da nicht mehr dauern, bis er Webb auf dem Chefposten ablösen würde. Er passte besser zu den neuen Plänen – und stand, vor allem, rechtzeitig hinter ihnen.

Webbs Befürchtungen lagen nicht nur an der – womöglich berechtigten – Vorstellung, die zweite Garde der NASA säge an seinem Stuhl. Noch lastete schließlich auf allen Verantwortlichen der Tod der drei Astronauten in der Apollo-Kapsel! Die Risikobereitschaft des Direktors hatte daher enge Grenzen. An denen aber rüttelte nun Lows Idee vom Durchmarsch. Ein beispielloses Wagnis, ein Himmelfahrtskommando in vielfacher Hinsicht zu dieser Zeit. Eigentlich war man nämlich noch lange nicht so weit.

Ein Himmelfahrtskommando bahnt sich an

Noch nie waren bis dahin überhaupt Astronauten mit einer Apollo-Kapsel geflogen, bisher hatte man sie nur unbemannt getestet. Umgekommen waren in einer solchen allerdings schon einige von ihnen, eben bei Apollo 1, am Boden. Auch bei der Saturn-V-Rakete fehlte es noch an entscheidenden Erfahrungen. Jenes Monster, 13 Meter höher als die Türme der Münchner Frauenkirche, das allein die nötige Nutzlast für eine Reise zum Mond ins All heben konnte, hatte zuletzt gebockt. Auch sie war bis dahin noch nie bemannt getestet worden. Der vorherige Aufstieg einer Saturn V bei Apollo 6 – zum Glück ohne Astronauten – war ein Desaster, das Aggregat schüttelte sich derart, dass eine bemannte Mission hätte abgebrochen werden müssen. Die Triebwerke liefen nicht rund, was einen sogenannten »Pogo«-Effekt bewirkte, der die Rakete in sehr kurzen Abständen um Dezimeter schrumpfte und streckte, mit entsprechend heftigen Ausschlägen bei der Schwerkraft im Innern. Und das war noch nicht alles.

Die NASA hatte bisher noch keinerlei Experimente gestartet mit einer Mondmission, die wieder zur Erde zurückkehren sollte. Auch unbemannt nicht. Und deshalb hatte sie auch noch keine Erfahrung mit dem brenzligsten Moment eines solchen Unternehmens: dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre, der bei einer Rückkehr vom Mond mit knapp 40 000 Stundenkilometern um die Hälfte schneller ablaufen würde als bei einer Rückkehr aus der Erdumlaufbahn. Und bei dem die oberste Schicht der Atmosphäre in einem exakt bestimmten Winkel minutiös getroffen werden musste, damit die Kapsel mit den Raumfahrern bei einem zu steilen Eintritt nicht verglühte oder bei einem zu flachen von der obersten Atmosphären-Schicht wieder abprallte, zurück ins All, auf Nimmerwiedersehen, »Lost in Space«, verschollen im All. Die Berechnungen ergaben, dass – auch wenn alles gut gehen sollte – der Hitzeschild der Apollo-Kapsel bei diesem Manöver, wenn die Reibung eingesetzt hatte, Temperaturen von 2750 Grad Celsius aushalten müsste, zwei Mal so hoch wie der Schmelzpunkt von Stahl. Eine Reise hin zu unbekannten Herausforderungen.

Und das sollte nun alles auch noch sechs Monate früher geschehen als bisher geplant, einfach so, vor allem ohne unbemannten Probelauf zum Mond? Und ohne einen Test zunächst in der Erdumlaufbahn, der Auskunft hätte geben können über das Miteinander von Saturn V, Apollo-Kapsel und Mannschaft, die ja noch nie zusammen aufgestiegen waren. Lediglich ein erster bemannter Flug mit einer Apollo-Kapsel stand noch vorher im Programm, ein paarmal um die Erde herum, im September, bei der nächsten Mission, Apollo 7. Dies aber auch nicht mit der Mondrakete Saturn V, sondern mit einer erheblich kleineren Version, der Saturn IB, gerade einmal halb so groß, die allein für vorläufige Probezwecke in der Erdumlaufbahn konstruiert war und nicht für den Ernstfall. Schon gar nicht für den Mondverkehr, der aus dem Orbit heraus für die 400 000-Kilometer-Strecke noch einmal mit einem weit stärkeren Schub herauskatapultiert werden musste.

Dass die Kommunikation zwischen Erde und Mond reibungslos funktionieren würde, konnte man nur hoffen. Das galt ebenso für den Einschuss vor dem Mond in seine Umlaufbahn und, einen Tag später, beim zehnten, letzten Orbit für den nächsten Einschuss, dann hinter dem Mond, um die Umlaufbahn wieder zu verlassen und den genauen Kurs zur Erde zu finden. Eine bange Frage stand im Raum: Können die Astronauten die Weltraumstrahlung außerhalb des irdischen Magnetfeldes überhaupt aushalten? Zuverlässige Erfahrungswerte gab es bisher nicht. Auch musste die komplette Software für die Strecke zum Mond, für alle Kurswechsel zwischen Erde und Mond, für die jeweiligen Umlaufbahnen und vor allem für den heiklen Wiedereintritt erst noch programmiert werden, ein Job für das Massachusetts Institute of Technology (MIT) und den Computerriesen IBM.

George Low warb bei den eingeweihten, vertrauten Kollegen »undercover« in Houston, in Huntsville im Raketenzentrum und in Cape Kennedy am Weltraumbahnhof für seine Idee. Mit einer simplen Wahrheit: »Früher oder später müssen wir sowieso zum Mond.« So oder so war es eine bizarre Situation, die sich da anbahnte: Der Jungfernflug des gesamten Geleitzuges sollte gleich zum Mond durchstarten. Mit einer Kapsel, die bisher nur Tod gebracht, und einer Rakete, die bis jetzt nicht richtig funktioniert hatte. Das alles auf einer Strecke, für die es keine Erfahrung gab. Warum plötzlich dieses Wagnis?

Eine Ironie der Raumfahrtgeschichte: Es gab gleich zwei Gründe für die Eile. Und der eine davon lag nicht etwa darin, dass die Entwickler der Mondfahrzeuge besonders schnell gearbeitet hätten, ihrem Zeitplan also weit voraus gewesen wären. Ganz im Gegenteil: Das entscheidende Element, das Landemodul (»Lunar Excursion Module« LEM), war heftig im Verzug, es würde absehbar für die geplanten ersten Tests in der Erdumlaufbahn nicht mehr rechtzeitig fertig werden. Der Hersteller, die Firma Grumman auf Long Island, signalisierte Anfang August klipp und klar: Bis Anfang Dezember wird das LEM nicht einsatzbereit sein.

Wernher von Braun: »Wir liefern rechtzeitig«

Für dieses ganz besondere Raumfahrzeug, mit dem zwei Astronauten die letzte Etappe vor der Landung bewältigen würden, konnte weltweit kein Hersteller auch nur irgendeine Expertise aufweisen. Es durfte praktisch nichts wiegen, um den Energieverbrauch beim Wiederabheben vom Mond zu minimieren, musste dafür aber auch praktisch nichts aushalten, weder Luftwiderstand noch nennenswerte Schwerkraft oder Hitze beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Selbstständig bewegen musste es sich lediglich in der Nähe des Mondes unter vakuumähnlichen Bedingungen und bei einem Sechstel der irdischen Gravitation. Zunächst würde es nur als Fracht in der Spitze der Saturn V unter der Kommandokapsel mitreisen. Von dort würde es dann, wenn der Kurs Mond stimmte, herausgezogen werden. Anschließend auf der Kapselspitze weiterfliegen und schließlich erst in der Mondumlaufbahn abgekoppelt werden, um zwei Astronauten auf den Mond und wieder zurück zur Kapsel in der Mondumlaufbahn zu bringen. Herausziehen, Entkoppeln und anschließendes Wiederankoppeln – all das sollte laut dem ursprünglichen Plan beim übernächsten möglichen Starttermin erprobt werden, und zwar in der unteren Erdumlaufbahn. Solche Starttermine – zeitliche »Startfenster« – gab es nur alle paar Wochen aufgrund der besonderen Konstellationen zwischen Erde und Mond.

Doch nun wurde das LEM nicht rechtzeitig fertig. Einerseits. Andererseits könnte zu Weihnachten eine Saturn 5 samt Kommandokapsel einsatzbereit auf der Rampe bei Cape Canaveral stehen und das Startfenster geöffnet sein. Kennedys »noch in diesem Jahrzehnt« vom Mai 1961 saß allen Verantwortlichen im Genick. Und die Sowjets sowieso. Wie weit waren die eigentlich? Sollte man einen möglichen Probetermin einer Apollo-Mission also ungenutzt verstreichen lassen? Das Problem: Neues erproben ohne das LEM konnte man in diesem Stadium nur mit einer Mondfahrt. Es ging um die Kursfindung, darum, Einschüsse in den Mondtransit, dann in die Mondumlaufbahn, und die Kommunikation über 400 000 Kilometer zu testen, einschließlich des Funkloches auf der Mondrückseite, und nicht zuletzt auch darum, mögliche Landeplätze auf der Mondoberfläche aus der Nähe zu erkunden und zu fotografieren. Der Parcours der Erdumlaufbahn dagegen war bekannt, ausgereizt. Ohne die Koppelungsmanöver mit dem LEM war dort nichts mehr zu holen, jedenfalls nichts, was nicht schon mit der jetzt für September anstehenden Mission Apollo 7 mit der kleineren Saturn IB auch durchgeführt werden könnte. Der Starttermin Weihnachten 1968 würde ungenutzt verstreichen. In einem Wettrennen dieser Art ein Unding!

Und so kam Anfang August 1968 George Low auf die Idee, schon mal einen Teil des Mondprogramms einzuschieben: »Es macht nicht viel Sinn, zweimal in den Erdorbit zu gehen, wenn wir auch zum Mond fliegen können.« Als einen der Ersten hatte er Wernher von Braun gefragt: Ob seine Mondrakete, die Saturn V, bereit sei, jenem Geleitzug den nötigen Schub zu verleihen für die Reise von insgesamt rund einer Million Kilometer. »Ja, wir können rechtzeitig liefern«, sagte der. Dem Pogo-Effekt vom letzten Mal, der die Rakete so furchtbar durchgeschüttelt hatte, sei man auf den Grund gekommen. Der Hersteller North American Aviation habe bei Apollo 6 die verschiedenen Triebwerke falsch miteinander verkabelt, ein leicht zu behebender Fehler. Und im Übrigen lautete von Brauns Credo: »Wenn die Saturn einmal abgeschossen ist, dann ist es egal, wie weit sie fliegt« – grundsätzlich eine berechtigte Aussage, da sich die Rakete stets auch mit der letzten ihrer drei Stufen aus der Mission verabschiedete, sobald sie die Kommandokapsel samt Service- und Versorgungsmodul auf den richtigen Kurs gebracht hatte. Doch dieses Mal müsste sie »Überstunden« und einen anspruchsvolleren Dienst leisten, müsste auch in der Erdumlaufbahn noch angekoppelt bleiben, anschließend für die entscheidende Kursänderung in den »Outer Space« sorgen und auch danach noch ein wenig weiter schieben.

Was das Risiko bei der vorgezogenen Mondfahrt ebenfalls erhöhte: Bislang liefen die Planungen bei der NASA nach der Regel, dass keine Mission zum Mond und zurück ohne eine Mondlandefähre starten sollte, auch wenn gar keine Landung geplant war. Zur Sicherheit. Zumindest auf dem langen Hinweg hätte man so stets eine Art Rettungsboot mit eigenen Systemen und eigener Versorgung im Schlepptau für den Fall, dass irgendein lebensnotwendiges Element in der Kommandokapsel versagen würde. Ein »Back-up«, das knapp zwei Jahre später, bei der Mission Apollo 13, den Mondfahrern tatsächlich das Leben retten sollte. Jetzt würde man, ausgerechnet beim ersten Mal, von dieser Linie abweichen und auf das Rettungsboot verzichten.

Wer sollte sich auf so ein Himmelfahrtskommando einlassen, sich bei diesem so unerprobten, so komplexen Gefährt in die Raumkapsel auf der Spitze setzen und eben mal zum Mond fliegen, wie es bisher nur Jules Vernes Romangestalten in ihrer gusseisernen »Columbiade« geschafft hatten, angetrieben von Schießbaumwolle? Doch die »Meuterer« hatten sich auch um die Frage des Personals gekümmert. Deke Slayton, der Chef-Astronaut, hatte bereits Anfang August eine Lösung eingeleitet. Auch, weil er noch um einen zweiten Grund wusste, der die NASA in ihrem Mondprogramm zur Eile treiben sollte. Ihm waren Erkenntnisse der CIA zu Ohren gekommen, es gab neues Spionagematerial über den Stand der Dinge beim großen Konkurrenten, der Sowjetunion.

Wer sollte sich auf so eine Reise einlassen?

Es war irgendwann in den ersten Augusttagen 1968, vielleicht zwei Wochen vor jenem Telefongespräch zwischen NASA-Chef Webb und den »Meuterern«, genau kann sich Frank Borman an das Datum nicht mehr erinnern, ein Sonntag sei es gewesen. Er war zu der Zeit in Kalifornien, um dort den Ingenieuren von »North American« über die Schulter zu schauen, jenem Unternehmen, das neben der Saturn-Rakete auch die Apollo-Kapsel herstellte, in Downey, einem Vorort von Los Angeles. Um mit allen Details vertraut zu sein, möglichst damit zu verwachsen, verfolgen die Astronauten stets möglichst jeden einzelnen Schritt beim Bau der Raumschiffe. »Die Crews lebten buchstäblich mit ihnen bei ihrer Entstehung«, erzählt Borman. Keinen Schritt wollten sie verpassen, ein anstrengendes, hoch konzentriertes Stück Arbeit. Zumal für Borman persönlich, der auch noch federführend war für die Aufarbeitung der Konstruktionsfehler an der Apollo-Kapsel, die zum Tod der drei Kollegen geführt hatte.

Doch an jenem Sonntag bekommt Borman einen Anruf aus Houston, dem Flugkontrollzentrum der NASA. Unwillig verlässt er seine Baustelle. Deke Slayton ist am Apparat. Er ist selbst Astronaut, sollte schon beim ersten Programm, »Mercury«, Anfang der 60er-Jahre in die Erdumlaufbahn starten, durfte dann aber nicht wegen eines Herzfehlers. Jetzt ist Slayton so etwas wie der Personalchef der Raumfahrer, zuständig für die Einteilung der Crews. »Frank«, sagt er jetzt, »komm sofort nach Houston. Ich muss mit dir sprechen.« Borman will sich von seiner Apollo-Kapsel nicht trennen, nicht jetzt. Gerade wird der Mechanismus, der die Kapsel nach der Landung im Meer aufrichten soll, noch einmal optimiert, auch andere Versuchsreihen stehen an. »Sprich jetzt mit mir«, antwortet Borman, »ich habe zu tun, und es gibt übrigens auch noch Probleme mit der Kapsel.« Doch Slaytons Antwort klingt ultimativ. »Es gibt noch ganz andere Probleme. Ich kann aber darüber nicht am Telefon reden, Frank. Schnapp dir ein Flugzeug und beeil dich.«

Borman, ehemaliger Kampfpilot der Air Force, fügt sich der Anordnung, setzt sich in eine T-38, einen Überschall-Trainings-Jet, der bei North American gerade herumsteht. Und klopft knapp viereinhalb Stunden später im weitläufigen NASA-Gelände von Houston bei Deke Slayton am Türrahmen an. Der bittet ihn erst mal, die Tür hinter sich zu schließen, bei der ansonsten ziemlich offenherzigen NASA nicht unbedingt die Selbstverständlichkeit. »Das Landemodul wird nicht rechtzeitig fertig, Frank«, eröffnet Slayton das Gespräch. Borman reagiert mit gespielt gelangweilten Gesichtszügen, aus denen Slayton so etwas herausliest wie: »Okay, es verzögert sich eben alles wieder mal.« Also schiebt Slayton sogleich nach: »Wir wollen euch deshalb gleich zum Mond schicken.« Es müsse eben jetzt alles schneller gehen. »Der Start ist am 21. Dezember, ihr hättet noch vier, fünf Monate Zeit für die Vorbereitung.«