ABC des Lesens - Ezra Pound - E-Book

ABC des Lesens E-Book

Ezra Pound

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Beschreibung

In diesem zutiefst beglückenden Buch liefert Ezra Pound seinen Lesern ein zuverlässiges Gerüst der Bewertung und Einstufung von literarischen Werken aller Zeiten und Breitengrade - und erweist sich dabei als subversiver Humorist, der beherzt die Spreu vom Weizen trennt und seinen Lesern zugleich mit großer Kennerschaft und Zärtlichkeit die Wunderwelten der Literatur erschließt.

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Seitenzahl: 105

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Ezra Pound

ABC des Lesens

Aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einem Nachwort von Eva Hesse

ABC

Oder: gradus ad Parnassum, für solche, die gern lernen möchten. Das Buch wendet sich nicht an solche, die bereits zu einer umfassenden Kenntnis des Gegenstandes gelangten, ohne die Sachverhalte zu kennen.

WIE MAN DICHTKUNST ANGEHT

Das vorliegende Buch soll eine ausführlichere und einfachere Erklärung der in How to Read[1] umrissenen Methode bringen. How to Read mag man als polemische Flugschrift ansehen, als die Summe der zügigeren und bösartigeren Unternehmungen aus dem frühen kritischen Geplänkel des Autors, als Streifzüge zur Erkundung einer Feindstellung. Die vorliegenden Seiten sollten unpersönlich genug sein, um als Lehrbuch zu taugen. Der Autor hofft, in der Nachfolge eines Gaston Paris und S. Reinach zu stehen, also ein Handbuch vorzulegen, dessen Lektüre auch jenen »zu Genuss und Nutzen gleicherweise« dient, die ihre Ausbildung abgeschlossen haben; jenen, die nie eine Ausbildung hatten; jenen endlich, die in ihren Universitätstagen erduldeten, was die meisten meiner Generation erdulden mussten.

Ein vertrauliches Wort an Lehrer und Professoren findet sich gegen Ende des Buches. Ich säe nicht mutwillig Dornen auf ihren Pfad. Ich möchte auch ihr Los und Leben heiterer gestalten und sogar sie vor unnötiger Langeweile im Klassenzimmer bewahren.

WARNUNG!

1 Gleich nach dem Anfang des Buches kommt eine ziemlich lange öde Strecke; der Lernende wird sie durchhalten müssen. Ich bemühe mich da nach Kräften, Mehrdeutigkeiten auszuschalten, in der Hoffnung, ihm für später Zeit zu sparen.

 

2 Trübsinn und Feierlichkeit sind auch in der fachgerechtesten Untersuchung einer Kunst fehl am Platze, die ursprünglich bestimmt war, dem Herzen des Menschen Freude zu bringen.

Gewichtigkeit, eine geheimnistuerische Haltung des Körpers, bestimmt, die Blößen des Verstandes zu verdecken.

LAURENCE STERNE

3 Die raue Behandlung, die manchen verdienten Autoren hier zuteilwird, hat einen Zweck; sie entspringt der festen Überzeugung, dass es nur eine Möglichkeit gibt, die besten Werke in Umlauf zu halten, oder »die beste Dichtung volkstümlich zu machen«, nämlich eine scharfe Trennung des Besten von der Masse Literatur, die lange für wertvoll gehalten wurde, die alle Lehrpläne überlastete und die Schuld trägt an der landläufigen, schädlichen Vorstellung, ein gutes Buch müsse notgedrungen ein langweiliges Buch sein.

 

Ein klassisches Werk ist klassisch, nicht weil es sich gewissen Regeln des Aufbaus fügt oder zu gewissen Definitionen stimmt (von denen sein Autor höchstwahrscheinlich nie gehört hat). Es ist klassisch kraft einer gewissen ewigen und nicht kleinzukriegenden Frische.

 

Der Prüfungskommissar an einer italienischen Schule, den meine Cavalcanti-Ausgabe aufrüttelte, äußerte seine Bewunderung für die nahezu ultramoderne Sprache Guidos[2].

 

Unwissende Männer von Genie entdecken ständig »Gesetze« der Kunst wieder, die die Akademiker verlegt oder versteckt hatten.

 

Am heutigen Neujahrstag ist es die Überzeugung des Verfassers, dass Musik anfängt zu verkümmern, wenn sie sich zu weit vom Tanz entfernt; dass Dichtung anfängt zu verkümmern, wenn sie sich zu weit von der Musik entfernt; womit nicht gesagt sein soll, dass alle gute Musik Tanzmusik sei oder alle Dichtung liedhaft. Bach und Mozart entfernen sich nie zu weit von der Bewegung des Körpers.

Nunc est bibendum

Nunc pede libero

Pulsanda tellus.

KAPITEL EINS

1

Wir leben in einem Zeitalter der Wissenschaft und des Überflusses. Die Pflege und Ehrfurcht, die wir Büchern als solchen zukommen lassen, stammen aus einer Zeit, in der kein Buch vervielfältigt wurde – es sei denn, jemand machte sich die Mühe, es mit der Hand abzuschreiben; sie sind offensichtlich nicht mehr den »Bedürfnissen der Gesellschaft« angemessen, oder der Erhaltung des Wissens. Es bedarf dringend des Täters, soll der Musengarten als Garten fortbestehen.

Die rechte METHODE für die Untersuchung von Dichtkunst und guter Literatur ist die des modernen Biologen: sorgsame Prüfung des Gegenstandes aus erster Hand und ständiges VERGLEICHEN der »Abstriche« oder Proben.

Keiner hat das Rüstzeug zu modernem Denken, der die Anekdote von Agassiz[3] und dem Fisch nicht begriffe:

Ein Doktorand, mit Auszeichnungen und Diplomen versehen, kam zu Agassiz, sich den letzten Schliff geben zu lassen. Der große Mann reichte ihm einen kleinen Fisch und forderte ihn auf, den zu beschreiben.

Doktorand: »Das ist einfach ein Sonnenfisch.«

Agassiz: »Das weiß ich. Beschreiben Sie ihn.«

Nach wenigen Minuten kehrte der Student mit der Beschreibung des Ichthus Heliodiplodokus zurück, Familie des Heliichtherinkus, oder wie man sonst sagt, um den gemeinen Sonnenfisch dem allgemeinen Wissen vorzuenthalten, und wie man es eben in den einschlägigen Lehrbüchern findet.

Agassiz trug dem Studenten von Neuem auf, den Fisch zu beschreiben.

Der Student verfertigte einen vier Seiten langen Aufsatz. Agassiz hieß ihn dann, sich den Fisch anzusehen. Drei Wochen später war der Fisch im fortgeschrittenen Stadium der Verwesung, aber der Student wusste etwas über ihn.

 

Durch diese Methode ist die neuzeitliche Wissenschaft hochgekommen, und nicht auf der dünnen Schneide mittelalterlicher Logik, die in einem Vakuum schwebt.

»Wissenschaft besteht nicht in der Erfindung einer Reihe von mehr oder minder abstrakten Wesenheiten, je nach der Anzahl der Dinge, die man herausbekommen will«, sagt ein französischer Kommentator über Einstein. Der Satz ist im Französischen viel länger, und ich weiß nicht, ob meine ungeschlachte Übersetzung für die Mehrzahl der Leser einleuchtend klingt.

Erstmals finden wir den entschiedenen Anspruch auf Brauchbarkeit der wissenschaftlichen Methode für die Literaturkritik bei Ernest Fenollosa[4] in seinem Essay Das chinesische Schriftzeichen als Organ für die Dichtung.

Die ganze Jämmerlichkeit des offiziellen philosophischen Denkens und – wenn der Leser sich genau vor Augen hält, was ich ihm sagen will – die ätzendste Beleidigung und gleichzeitig der überzeugendste Beweis für die allgemeine Nichtigkeit und Unfähigkeit des organisierten Geisteslebens in Amerika und England, ihre Universitäten ganz allgemein und ihre gelehrten Publikationen insgesamt, könnte durch die Aufzählung der Schwierigkeiten dargetan werden, die ich hatte, Fenollosas Essay überhaupt in Druck zu kriegen.

Ein Lehrbuch ist nicht der Ort für etwas, das als persönlicher Groll gedeutet oder auch missdeutet werden könnte.

Begnügen wir uns mit der Feststellung, dass sich die Denkweise der Redakteure und der Leute, die in den fünfzig Jahren vor 1934 die Macht in der Literatur- und Bildungsbürokratie innehatten, nicht immer viel von derjenigen des Schneiders Blodgett[5] unterschied, der weissagte: »Nähmaschinen werden sich niemals durchsetzen.«

 

Fenollosas Essay war seiner Zeit vielleicht zu weit voraus, um ohne Weiteres verstanden zu werden. Er verkündete seine Methode nicht als Methode. Er versuchte, das chinesische Ideogramm als ein Mittel der Übertragung und des Festhaltens von Gedanklichem zu erklären. Er kam der Sache auf den Grund, auf den Grund des wahren Unterschieds zwischen dem, was am chinesischen Denken gültig und an einem großen Teil der abendländischen Sprach- und Denkweise ungültig oder irreführend ist.

Die einfachste Fassung, auf die ich seine Absicht bringen kann:

Wenn man in Europa einen Menschen auffordert, etwas zu definieren, entfernt sich seine Definition immer mehr von den einfachen, ihm vertrauten Dingen; sie entweicht in eine unbekannte Region, in eine Region abgelegener und immer weiter abgelegener Abstraktion.

Fragt man ihn also, was rot ist, so sagt er, es ist eine »Farbe«.

Fragt man ihn, was eine Farbe ist, so erklärt er, es sei eine Schwingung oder eine Brechung des Lichts oder ein Teil des Spektrums.

Fragt man ihn, was eine Schwingung ist, so sagt er, es sei eine Erscheinungsform der Energie oder etwas Derartiges, bis man schließlich zu irgendeiner Modalität des Seins oder Nicht-Seins gelangt und den Boden unter den Füßen verliert; jedenfalls er.

Im Mittelalter, als es keine Naturwissenschaft in unserem heutigen Sinn gab, als Menschenwissen noch keine Autos in Fahrt brachte oder mittels Elektrizität Gesprochenes durch die Luft beförderte, kurzum, als die Gelehrsamkeit im Grunde nur in der Aufspaltung der Terminologie bestand, wandte man beträchtliche Sorgfalt auf die Terminologie, und die allgemeine Exaktheit im Gebrauch abstrakter Begriffe mag wohl größer gewesen sein; sie war es wahrscheinlich wirklich.

Was ich sagen will ist, dass ein mittelalterlicher Theologe sich gehütet hätte, einen Hund in Worten zu schildern, die sich ebensowohl auf den Zahn eines Hundes, auf sein Fell oder das Geräusch, das ein Hund beim Wasserschlappern macht, beziehen ließen; aber alle eure Lehrer werden euch sagen, dass die Wissenschaft sich rascher entfaltete, nachdem Bacon zur direkten Untersuchung von Phänomen geraten hatte und nachdem Galileo und andere aufgehört hatten, die Dinge so eingehend zu erörtern, und dafür anfingen, sie wirklich zu betrachten und Mittel (wie das Teleskop) zu finden, um sie besser zu sehen.

 

Das tüchtigste lebende Glied der Huxley-Familie hat die Tatsache hervorgehoben, dass das Teleskop nicht eine bloße Idee war, sondern entschieden eine technische Errungenschaft.

 

Im Gegensatz zu der abstrahierenden Methode, oder der Begriffsbestimmung in immer allgemeineren Ausdrücken, legt Fenollosa den Nachdruck auf die wissenschaftliche Methode, »welche die Methode der Dichtung ist«, und sich zum Unterschied von derjenigen der »philosophischen Erörterung« mit der chinesischen Methode des Ideogramms oder der Bild-Kurzschrift deckt.

 

Um auf die Anfänge der Geschichte zurückzugehen – es ist wahrscheinlich bekannt, dass es eine gesprochene und eine geschriebene Sprache gibt, und dass es zwei Arten von geschriebener Sprache gibt, von denen sich die eine an das Ohr und die andere an das Auge richtet.

 

Man spricht mit Tieren durch ein paar einfache Laute und Gebärden. Lévy-Bruhls[6] Darstellung der primitiven Sprachen Afrikas verzeichnet Sprachen, die noch an Nachahmung und Gebärde gebunden sind.

Die Ägypter endlich verwendeten vereinfachte Bilder, um Laute wiederzugeben; aber die Chinesen verwenden noch immer vereinfachte Bilder als Bilder; das heißt, das chinesische Ideogramm versucht nicht, einen Laut ins Bild zu bringen oder als Schriftzeichen einen Laut in Erinnerung zu rufen, es ist immer noch Abbild eines Dinges; eines Dinges in einer gegebenen Lage oder Beziehung, oder einer Zusammenstellung von Dingen. Es meint das Ding, oder die Handlung, oder die Situation, oder die Eigenschaft, die den verschiedenen abgebildeten Dingen zugehörig ist.

Gaudier-Brzeska[7], der einen Blick für die wahre Gestalt der Dinge hatte, konnte eine Anzahl chinesischer Schriftzeichen ohne IRGENDEIN STUDIUM lesen. Er sagte: »Natürlich, man sieht, dass es ein Pferd ist« (oder ein Flügel oder sonst was).

Auf Tafeln, die ursprüngliche chinesische Schriftzeichen in einer senkrechten Reihe und daneben die heutigen »konventionalisierten« Schriftzeichen zeigen, erkennt jeder sofort, wie das Ideogramm für Mensch oder Baum oder Sonnenaufgang sich entwickelte, oder »aus etwas vereinfacht wurde«, oder auf das Wesentliche des ersten Bildes von Mensch, Baum oder Sonnenaufgang gebracht wurde.

 

Daher

Mensch

Baum

Sonne

Osten, Sonne die in den Ästen des Baumes verstrickt ist wie bei Sonnenaufgang.

Aber wenn der Chinese nun etwas Schwierigeres, oder eine allgemeine Idee, abbilden wollte, wie ging er dann vor?

Er soll »rot« definieren. Wie kann er das in einem Bild, das nicht mit roter Farbe gemalt ist?

 

Er (oder sein Vorfahre) stellt folgende gekürzte Bilder zusammen:

ROSE

KIRSCHE

ROST

FLAMINGO

Das ist ungefähr das, was (auf viel kompliziertere Weise) der Biologe tut, wenn er einige Hundert oder Tausend Abstriche zusammenträgt und herausliest, was er für seine allgemeine Aussage benötigt. Etwas, das auf den Einzelfall zutrifft, das für alle Fälle gilt.

Das chinesische »Wort« oder Ideogramm für rot basiert auf etwas, das jedermann KENNT.

 

(Wäre das Ideogramm in England entstanden, so hätten die Schreiber vermutlich die Vorderansicht eines Rotkehlchens oder etwas weniger Exotisches für den Flamingo gesetzt.)

 

Fenollosa erklärte, wie und warum eine Sprache, die auf solche Weise geschrieben wird, schlechterdings DICHTERISCH BLEIBEN MUSSTE; wie sie gar nicht umhin konnte, dichterisch zu sein und zu bleiben, in einer Art und Weise, in der eine Spalte von Buchstaben im Englischen nicht unbedingt dichterisch zu bleiben braucht.

 

Er starb, ehe er dazu gekommen war, eine »Methode« zu veröffentlichen oder zu verkünden.

Nichtsdestoweniger ist dies die RECHTE ART, an die Dichtung, oder an die Literatur, oder an die Malerei heranzutreten. Und es ist TATSÄCHLICH die Art, in der die gescheiteren Leute aus dem Publikum an die Malerei herangehen. Will man etwas über die Malerei erfahren, so geht man in die National Gallery, oder den Salon Carré oder die Bréra, oder den Prado und SCHAUT die Bilder AN.

Auf jeden Leser von Kunstbüchern kommen 1000 Leute, die sich die Bilder ANSCHAUEN. Gott sei Dank!

Wie im Labor

Eine Reihe von Zufällen gestattet mir (1933) die These von How to Read in einer Kunstgattung darzutun, die der Dichtung näher steht als die Malerei. Eine Anzahl von ernsthaften Musikern (Gerhart Münch, Olga Rudge, Luigi Sansoni), ein Rathaussaal zu unserer Verfügung (Rapallo), so boten wir unter anderem folgende Programme:

10. Oktober

Aus den Chilesotti-Manuskripten in Münchs Transkription, instrumentiert nach Janequin: Francesco da Milano: »Canzone degli Uccelli«

Giovanni Terzi: Ballett-Suite

Corelli: Sonata in A-Dur für zwei Violinen und Klavier

J.S. Bach: Sonata in C-Dur für zwei Violinen und Klavier

Debussy: Sonate für Geige und Klavier

 

5. Dezember

Collezione Chilesotti: Severi: due Arie

Roncalli: Preludio, Gigua, Passacaglia

Bach: Toccata für Klavier (ed. Busoni)

Bach: Concerto D-Dur für zwei Violinen und Klavier

Ravel: Sonate für Geige und Klavier