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"Endlich ein Buch gegen die Panikmache in Sachen gesunde Ernährung." (Tim Mälzer) Unser Verhältnis zum Essen treibt im 21. Jahrhundert absurde Blüten: Das Thema Ernährung hat für immer mehr Menschen den Stellenwert einer Ersatzreligion. Endlose Debatten um richtig oder falsch, Low Carb oder fettfrei, Vollkornkost oder lieber gleich vegan. Genuss steht dabei selten im Vordergrund. Besonders in Verruf geraten sind Weizen und Milch: Weißmehl gilt bei vielen fast schon als giftig, Ersatzprodukte für Milch erobern die Supermarktregale. Und spätestens seit dem Film "Super Size Me" scheint klar: Fast Food ist lebensgefährlich. Dieses Buch entlarvt gängige Ernährungsmythen. Denn viele vermeintliche Fakten sind in Wahrheit durch nichts belegt. Die Autorin, eine renommierte Journalistin, recherchiert die wahren Fakten hinter der Hysterie. Dabei trifft sie wissenschaftliche Experten in ganz Europa, arbeitet eng mit dem Fernsehkoch Tim Mälzer zusammen oder testet im Selbstversuch "Ernährungsprofile" von selbst ernannten Ernährungsberatern im Internet. Eine ebenso spannende wie erhellende Reportage. "Um Missverständnissen vorzubeugen: Dies ist kein Plädoyer dafür, die Küche zu Hause stillzulegen und fortan nur noch im Fastfood-Restaurant zu essen. Aber wenn Sie Lust auf einen Burger haben – nur zu! Wenn Sie lieber Pommes frites als Salzkartoffeln essen – prima! Wenn Ihnen ein Salamibaguette besser schmeckt, als Vollkornbrot mit Harzer Käse – auch gut! Gerade unsere Kinder sollten lernen, dass gut essen die natürlichste Sache der Welt ist, und nicht etwas Hochkompliziertes, das wir nur mit Fachberatung schaffen können. Keine Verbote, kein Stress, keine Selbstkasteiung – so lange am Ende des Tages die Kalorienbilanz stimmt, haben wir alles richtig gemacht."
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Seitenzahl: 226
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Katarina Schickling
Aber bitte mit Butter
Warum Brot nicht dumm und Fett nicht krank macht
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, München
Umschlagmotiv: © EyeEm/Getty Images
E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, München
ISBN (E-Book) 978-3-451-80846-3
ISBN (Buch) 978-3-451-60017-3
Impressum
Einleitung
Teil 1: Die Sehnsucht nach ewigem Leben
1. Abschied von vertrauten Regeln
Was wir glauben zu wissen
Was uns wirklich krank macht
Küche statt Kirche: Gesunde Ernährung als Ersatzreligion
2. Der Mythos von der gesunden Ernährung
Der Mensch: ein Überlebenskünstler!
Ein Ausflug in unsere Ernährungsgeschichte
Der Beginn der Vollwertdiskussion
Vollkorn für den Endsieg
Der Kult ums gesunde Essen
3. Der Schwindel mit den Studien
Wie Forschungsergebnisse zustande kommen
Das böse Cholesterin
Die Sache mit den Eskimos
Fastfood am Pranger
Korrelation oder Kausalität?
Auf der Suche nach harten Fakten
4. Das Geschäft mit der Angst: warum viele Ernährungskonzepte nichts bringen
Der Praxistest
Erstaunliche Ergebnisse
Ist Vorbeugen sinnvoll?
Wem nutzt Ernährungsberatung wirklich?
Was wirkt hier eigentlich?
Was sagen die Anbieter?
Teil 2: Ernährungsregeln – und was sie wirklich wert sind
5. Fett, Cholesterin und der Schwindel mit Lightprodukten
Fett durch die Fünfziger
Warum wir auf Fett nicht verzichten können
Der Feldzug gegen das Fett
Die Margarine-Saga
Die Finnen und der Fettverzicht
Was unser Körper schafft
Die leichte Falle
6. Die Legende von den bösen Kohlenhydraten
Wozu Kohlenhydrate?
Weizenwampenwahn
Dumm wie Brotfeinde?
Zurück in die Steinzeit
Risiko Weizen?
Warum Low Carb nicht schlanker macht
7. Voll daneben – warum Vollkorn gar nicht so vollwertig ist
Voll gesund?
Evidenz statt Mythos
Zwei Fronten eines Glaubenskrieges
Im Dickicht der Studien
8. »Fünf am Tag« und andere Märchen – wie die Pharmaindustrie den Vitaminmangel erfunden hat
Eine rätselhafte Krankheit
Die Entdeckung der Vitamine
Eine unglaubliche Werbegeschichte
Der Millionenmarkt
Was wir wirklich brauchen
Teil 3: Das Millionengeschäft – wer von unserer Angst vor dem Essen profitiert
9. Gluten, Laktose, Fruktose – die Wahrheit über Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten
Ein Volk von Patienten
Glutenfieber
Warum Vorbeugen nicht immer gut ist
Die Milch macht’s doch!
Das Geschäft mit der Ersatzmilch
Vom Abfallprodukt zur Cash Cow
Krank statt gesund
Der Wahn geht weiter
Das richtige Produkt zur richtigen Zeit
10. Analogkäse und Geschmacksverstärkerwurst – der Hype um vegane Produkte
Ist Fleischverzicht gesünder?
Auf der Suche nach Alternativen
Die chemische Trickkiste
Was nicht passt, wird passend gemacht!
Glutamatbrei?
11. Warum Superfood gar nicht so super ist
Der Angriff auf unseren Geldbeutel
Was steckt in den Wundersamen?
Die Schattenseiten von Superfood
Markterfolg als Bumerang
Die Süße der Agave
Wissenschaftliche Scheinbelege
12. Ballaststoffe, Antioxidantien und andere Helfer – was wirklich dahintersteckt
Nützlicher Ballast?
Das dicke Ende
Auf Radikalenjagd
Diagnose: krebserregend!
ORAC for fun
13. Der Detox-Boom – und warum es keine Entgiftung braucht
Wie wir wirklich entgiften
Signale – falsch interpretiert
Detox im Praxistest
Der Unfug mit den Basen
Was nun? Plädoyer für einen vernünftigen Umgang mit dem Thema Ernährung
Essen statt Ernähren!
Dank
Literatur
Über die Autorin
Meine Beschäftigung mit dem Thema gesunde Ernährung begann mit einem Rechercheauftrag: Ich sollte für einen großen deutschen Fernsehsender einen Film über die gesündeste Ernährungsweise machen und dafür nach Lebensmitteln suchen, die etwas Besonderes können: Herzinfarkt verhindern, gegen Krebs vorbeugen, Diabetes vermeiden … Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich, im Großen und Ganzen zu wissen, was eine gesunde Ernährung ausmacht. Selbstverständlich musste mein damals neunjähriger Sohn jeden Tag fünf Portionen Obst und Gemüse verdrücken – Anlass zu ständigem Gezeter, weil er grundsätzlich schon mal nichts essen wollte, was grün ist.
Fettarm ist besser als Fett, Vollkornbrot gesünder als Baguette. Salz schmeckt gut, darf aber nur ganz sparsam ans Essen, wegen Bluthochdruckgefahr. Fastfood ist böse, das schien mir spätestens seit dem Doku-Schocker »Supersize me« klar, in dem ein Monat konsequente Burgerkost den Filmemacher mit einem Bein ins Grab gebracht hatte. Und dann, natürlich, noch viel, viel Wasser trinken. Jetzt musste ich nur noch ein paar Super-Lebensmittel finden – Himbeeren gegen Schlaganfall? Broccoli gegen Darmkrebs? –, und meine Geschichte würde stehen. Doch schon zwei, drei Telefonate später waren alle diese Gewissheiten zunichtegemacht. Statt mit einer Liste von heilbringenden Zutaten saß ich mit einer ganz neuen Frage da: Gibt es die gesunde Ernährung womöglich gar nicht?
Unser Verhältnis zum Essen treibt im 21. Jahrhundert seltsame Blüten: Das Thema Ernährung besitzt für viele fast schon den Stellenwert einer Ersatzreligion. Endlose Debatten um richtig oder falsch, Low Carb oder fettfrei, Vollkornkost, vegetarisch oder lieber gleich vegan – Ernährungssünden und -gebote prägen die Diskussion. Genuss steht dabei selten im Vordergrund.
Aber gibt es wirklich gute Gründe, gewisse Lebensmittel zu meiden? Sind unsere Nahrungsmittel heute tatsächlich schlechter als früher? Genmanipuliert? Überzüchtet? Für uns deshalb nicht mehr ohne Reue genießbar? Leben Vegetarier und Veganer womöglich doch gesünder? Ist Fast Food schuld an Volkskrankheiten wie Herzinfarkt, Diabetes oder Krebs? Sind die drei gängigen Dogmen gesunder Ernährung – viel Vollkornprodukte, reichlich Vitamine, wenig Fett – irgendwie wissenschaftlich untermauert?
Dieses Buch entlarvt Ernährungsmythen. Viele vermeintliche Fakten sind durch nichts nachgewiesen – und doch sorgen sich immer mehr Menschen um die gesundheitlichen Folgen ihrer Mahlzeiten und verzichten auf Dinge, die sie eigentlich gerne essen. Weil sie Angst davor haben, sich mit etwas zu schaden, was an sich die einfachste Sache der Welt sein sollte: Nahrungsaufnahme.
Essen sollte etwas mit Lust zu tun haben! Ich wünsche mir, dass die Diskussion über Ernährung weniger von Mythen oder Klischees geprägt wird und mehr von Fakten. Dabei stütze ich mich auf die vielen Gespräche mit Fachleuten, die ich in den vergangenen Jahren führen durfte, und auf belegbare wissenschaftliche Tatsachen. Gerade bei den vielen Studien, die zum Thema Ernährung durch die Medien geistern, lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Wer ist der Auftraggeber? Wie aussagekräftig sind die Ergebnisse wirklich? Es zeigt sich oft: Wo man mit Ängsten viel Geld verdienen kann, bleibt die Wahrheit schnell auf der Strecke. Wer Bücher, Zeitschriften und Produkte verkaufen möchte, muss unsere Ängste schüren.
Höchste Zeit also für ein Plädoyer gegen die Hysterie. Für einen vernünftigen Umgang mit Lebensmitteln, vor allem aber gegen die unsinnige, unbegründete und ganz sicher ungesunde Angst vor dem Essen.
Haben Sie Kinder? Haben Sie schon einmal versucht, einem Dreijährigen Salat zu verabreichen, wenn am Nachbartisch Pommes frites gegessen werden? Gerade Eltern reiben sich oft auf im Versuch, ihre Kinder möglichst vollwertig zu füttern, gegen den hartnäckigen Widerstand des Nachwuchses. Ein Ringen, das Mahlzeiten in Familien zu Machtkämpfen ausarten lässt. Das dafür sorgt, dass viele Menschen ihr Leben lang Dinge essen, die sie eigentlich gar nicht mögen, aber sie für gesünder halten, gesünder als das, worauf sie eigentlich Lust hätten. Mit schlechtem Gewissen verdrücken wir eine Currywurst, überzeugt, dass wir uns mit jedem Bissen schaden. Wir verkneifen uns das knusprige Croissant mit Marmelade – Weißmehl! Fett!! Zucker!!! – und frühstücken stattdessen tapfer Müsli, weil das doch bestimmt viel besser für unser Wohlbefinden ist. Eine ganze Industrie hat sich darauf spezialisiert, uns sündhaft teure Speziallebensmittel zu verkaufen, die uns angeblich gesünder machen. Dabei ist fast alles, was wir über die richtige Ernährung zu wissen glauben, leicht widerlegbares Halbwissen.
Um zu verstehen, warum unsere zentralen Ernährungsregeln so wenig stichhaltig sind, muss man das Umfeld betrachten, in dem sie entstanden sind. Was bis heute unsere Vorstellung von »gesund« und »ungesund« prägt, sind Thesen aus dem 19. Jahrhundert – aus einer Zeit also, in der etwa Vitamine unbekannt waren, in der es noch als völlig normale Behandlungsmethode galt, kranke Patienten zur Ader zu lassen, in der generell Mediziner und andere Wissenschaftler sehr wenig darüber wussten, wie unser Körper funktioniert und was wir brauchen, um gesund zu bleiben.
Heute kasteien und beschränken wir uns, in der Hoffnung auf ein längeres Leben, bessere Herz-Kreislauf-Gesundheit, um Krebs zu verhindern und Diabetes zu vermeiden, ohne dass gesicherte Erkenntnisse darüber vorliegen, ob uns die viel gepriesene gesunde Ernährung wirklich gesünder macht. Denn der Einfluss unserer Ernährung auf die Gesundheit ist viel geringer, als wir gemeinhin denken.
An einem grauen Tag im November 2011 verwandelt sich die Studioküche von ARD-Fernsehkoch Tim Mälzer im Hamburger Schanzenviertel in eine Arztpraxis. 50 Männer im Alter zwischen 20 und 40 Jahren lassen sich Blut abnehmen. Sie sind Teil eines außergewöhnlichen Experiments: Unter fachlicher Betreuung des Endokrinologen Professor Peter Nawroth, Leiter der Medizinischen Klinik an der Universität Heidelberg, will Tim Mälzer herausfinden, ob unterschiedliche Ernährungsweisen messbare Folgen für den Gesundheitszustand von uns Menschen haben.
Vier Wochen lang werden die jungen Männer von Tim Mälzer und seinem Küchenteam bekocht werden, und zwar in drei Gruppen. Das Team der Universitätsklinik Heidelberg hat die drei Speisepläne so ausgearbeitet, dass sie sich in Sachen Fett-, Vitamin- und Kohlenhydratgehalt möglichst deutlich unterscheiden.
Die erste Gruppe erhält das, was in unserer Gesellschaft gemeinhin als optimale Ernährung gilt: leichte Mittelmeerküche, vitamin- und ballaststoffreich, mit ungesättigten Fettsäuren aus kalt gepresstem Olivenöl und viel frischem Fisch.Die zweite Gruppe isst traditionelle deutsche Hausmannskost – deutlich fetter, relativ fleischlastig, mit herzhaften Klassikern wie Leberwurst, Rindsrouladen oder Königsberger Klopsen. Die dritte Gruppe ernährt sich nach landläufiger Meinung besonders ungesund. Sie bekommt morgens, mittags und abends nichts als Fastfood aufgetischt: Burger, Pommes und Co, noch fetter als die Hausmannskost – und natürlich komplett vollkornfrei.Die drei Testgruppen nehmen die gleiche Energiemenge zu sich: In jeder Gruppe kommen pro Tag 2500 Kilokalorien auf den Tisch – etwa das, was ihrem körperlichen Tagesumsatz entspricht. Über die ganze Testzeit dürfen sie nur das essen, was ihnen in Tim Mälzers Studioküche zubereitet wird. Alle Probanden sind gesund und nicht übergewichtig. Derartige Studien werden in aller Regel mit männlichen Testpersonen gemacht: Bei Frauen sind durch den Monatszyklus die Hormonschwankungen zu groß. Um wissenschaftlich verwertbare Ergebnisse zu erhalten, hätte man in unserem Fall 50 Probandinnen finden müssen, bei denen die Monatsblutung am gleichen Tag beginnt. Die Ergebnisse der Untersuchung gelten jedoch für Frauen genauso wie für Männer. Denn der Stoffwechsel beider Geschlechter unterscheidet sich nicht so gravierend.
Im Labor der Heidelberger Universitätsklinik wird das Blut der Teilnehmer fortlaufend untersucht werden. Die Forscher nehmen insbesondere jene Werte unter die Lupe, die als Marker für ein erhöhtes Krankheitsrisiko gelten, etwa für Herzinfarkt, Schlaganfall, Arteriosklerose oder Diabetes, und die selbst in diesem relativ kurzen Zeitraum schon Veränderungen zeigen müssten, wenn denn die Ernährungsweise wirklich für diese Krankheiten verantwortlich wäre. Professor Nawroths These vor Start des Experiments: Trotz der extrem unterschiedlichen Speisepläne wird es am Ende der vierwöchigen Studienphase keinerlei Unterschiede im Blutbild der Probanden geben.
Die Studie ist mittlerweile publiziert.1 Nawroth hatte Recht. Egal, welche Parameter man betrachtet: Es gibt keine Abweichungen zwischen den Gruppen! Ob Cholesterin, Vitaminspiegel, die Versorgung mit Spurenelementen oder die Marker für ein erhöhtes Herz-Kreislauf-Krankheitsrisiko – die Blutwerte aller Teilnehmer sind gleich geblieben.
Nawroth beschäftigt sich als Chefredakteur einer der führenden Fachzeitschriften für Endokrinologie und Diabetes schon seit vielen Jahren mit den Ursachen für Erkrankungen. Er sieht in den Ergebnissen des Tests einen deutlichen Beleg dafür, dass es nicht die Zusammensetzung unserer Nahrung ist, die uns krank macht, sondern andere Faktoren. Sein Fazit: »Bei gesunden Menschen ist es erst mal wichtig, die Regeln zu lockern. Sie sollten beim Essen kein schlechtes Gewissen haben. Man muss ihnen den Druck nehmen. Sie dürfen essen, was sie wollen, aber alles eben in Maßen genossen. Die Unterschiede im Stoffwechsel zwischen den einzelnen Menschen sind viel größer, als die Unterschiede zwischen einzelnen Kostformen, und die Wirkung von psychosozialem Stress ist ohnehin sehr viel entscheidender als die von Ernährung.«
Entscheidend ist für Nawroth, neben der Menge, eine gewisse Abwechslung: »Ich wette, die Menschen können sich auch mit etwas vermeintlich Gesundem wie Möhren oder Tomaten umbringen, wenn sie gar nichts anderes mehr essen. Wenn man sich halbwegs abwechslungsreich ernährt und auf die Kalorien achtet, kann man nichts falsch machen.« Mit seinem Ansatz steht er keineswegs allein da. An der Universität Hamburg forscht Professor Ingrid Mühlhäuser. Die Gesundheitswissenschaftlerin und Fachärztin für Innere Medizin und Endokrinologie ist spezialisiert auf die Analyse von Studien. Sie besitzt einen guten Überblick über den Stand der Forschung und bestätigt: »Wenn man alle aussagekräftigen Studien betrachtet, die vorliegen, dann ist klar, dass diese keinen eindeutigen Vorteil zeigen konnten von fettreduzierter, gemüsereicher Ernährung.«
Die Studie von Professor Nawroth und Fernsehkoch Tim Mälzer wurde damals mit der Kamera begleitet. Ich war für Buch und Regie der Fernsehdokumentation über das Ernährungsexperiment zuständig. Nach der Ausstrahlung in der ARD brach ein Sturm los: Niemals zuvor habe ich auf einen Film so viel Zuschauerpost bekommen. Die Zunft der Ökotrophologen lief Sturm gegen die Botschaft, dass es keine gesunde Ernährung gebe. Vollkornapostel und Vitaminfreaks beschimpften mich – ich sei schuld daran, wenn sich nun massenweise Menschen falsch ernährten und so ins Grab essen würden. Auf zahllosen Partys habe ich seitdem immer wieder die gleichen Reaktionen geerntet: ungläubiges Staunen und heftigen Widerspruch. Eben weil die These, dass »gesunde Ernährung« so nicht existiert, alles auf den Kopf stellt, was wir von Kindesbeinen an als unumstößliche Regeln über richtige und falsche Lebensmittel gelernt haben.
Ich kann diese Reaktionen verstehen. Ich war ja selbst mein ganzes bisheriges Leben von ganz anderen Wahrheiten ausgegangen. Ich habe zum Beispiel immer schon viel lieber Weißbrot gegessen als Vollkornbrot. Stets mit schlechtem Gewissen – weil Vollkorn doch als viel gesünder galt. Oder der Salat, der in meiner Kindheit fast immer als Beilage auf dem Tisch stand: Geschmeckt hat er mir nicht unbedingt, aber ich habe ihn brav gegessen – weil er doch so gesund ist. Als mein Sohn im Spielplatzalter war, hatten wir natürlich immer Karottensticks und Gurkenscheiben im Gepäck – nicht, dass er die gegessen hätte, es gab ja genug Mütter mit Keksen, denen er etwas abschmeicheln konnte. Und ich habe heimlich stark mit ihm sympathisiert: Ich fand die Kekse als Snack auch leckerer als rohe Karotten. Aber die Angst, dass das Kind womöglich vitaminunterversorgt sein könnte, schwebte über mir und meinen Freundinnen wie eine dunkle Wolke.
Wir alle kennen das Gefühl, mit einer Tüte Chips vor dem Fernseher zu sitzen und sie nur so halb zu genießen – böses Junkfood! Wer Schokolade isst, spricht von »Sünde«. Für Professor Nawroth liegt genau da das Problem: »Der Stress, den Sie empfinden, wenn Sie sich die Tüte Chips versagen, ist langfristig viel schädlicher für Ihre Gesundheit als die Chips selbst. Wenn Sie Lust auf Pommes frites haben, dann spricht nichts dagegen, genauso Eis oder Burger. Schädlich ist immer nur, wenn Sie zu viel davon essen. Und selbst gelegentliche Exzesse verkraftet unser Körper. Festessen gehören dazu, im Laufe des Jahres gleicht sich das wieder aus.«
In der Folge meines ersten Films habe ich sehr intensiv weiterrecherchiert – um meinen Kritikern zu begegnen, aber auch weil ich selbst neugierig geworden war. Immer wieder mündeten diese Recherchen in dieselbe erstaunliche Erkenntnis: Das, was uns von klein auf als Tatsachen über richtige und falsche Ernährung vermittelt wurde, ist durch nichts belegt. Der einzige Faktor, der sich wirklich messbar auf die Gesundheit auswirkt, ist starkes Übergewicht.
Also alles Unsinn? All die vielen Regeln, die wir brav befolgen – vergeblich? Das schlechte Gewissen beim Naschen – umsonst?
Eine Beobachtung aus Tim Mälzers Experiment relativiert diese Erkenntnisse ein bisschen: Wer viel Gemüse ist und auf den Fettgehalt seiner Nahrung achtet, dem fällt es oft leichter, nicht zu viel zu essen. Denn die Testesser aus der Mittelmeergruppe hatten bei gleichem Kaloriengehalt viel größere Portionen auf dem Teller als die Fastfood-Probanden. Das liegt an der höheren Energiedichte von fetter Nahrung. Gleichzeitig machten wir während der 40 Tage aber auch die Erfahrung, dass Sättigung weniger mit der Menge auf dem Teller zu tun hatte und mehr mit der Dauer der Mahlzeit. Wer seinen Hamburger gemütlich am Tisch, im Gespräch mit den anderen Teilnehmern und in gemächlichem Tempo verzehrte, war hinterher genauso satt wie die Testesser, die Pasta mit Tomaten und einen Riesensalat gegessen hatten. Nawroth hat dafür eine Erklärung: »Das Problem von Fastfood hat weniger mit den enthaltenen Nährstoffen zu tun als mit der Kultur, in der man lebt. Menschen essen in Gemeinschaft anders. Deshalb sind soziale Faktoren für Übergewicht oft entscheidend.«
Andere Untersuchungsergebnisse waren wiederum beruhigend: Zum Beispiel schaffte die Fastfood-Gruppe mit ihrer Tagesration aus Pommes frites und Burgern problemlos die Vitaminempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Nur beim Vitamin C lagen sie knapp unter dem empfohlenen Wert.
Eine grundsätzliche Einschränkung gibt es allerdings: Wir reden hier durchgehend von frisch zubereitetem Essen, ohne Zusatzstoffe oder Geschmacksverstärker. Wer die Zutatenliste einer Tütensuppe oder Tiefkühlpizza studiert, stößt auf zahlreiche Bestandteile, die bis vor wenigen Jahrzehnten nicht auf unserem Speiseplan standen. Deshalb gibt es zu wenig belastbare Erkenntnisse darüber, was diese Ingredienzien in unserem Körper auslösen. Einige Forscher vermuten etwa, dass geschmacksverstärkende Substanzen wie Glutamat oder Hefeextrakt die Sättigungsmechanismen im Hirn aushebeln und so mitverantwortlich für Übergewicht sind.2 Ein Fachmann für Molkereiprodukte erzählte mir, dass er seine Kinder überhaupt nichts essen lasse, das Verdickungsmittel wie Johannisbrotkernmehl, Guakernmehl oder Carragen enthalte, weil die seiner Erfahrung nach der Verdauung schadeten.
Vielleicht ist deshalb hier die einfache Regel ratsam: Nichts essen, in dem Zutaten verarbeitet wurden, die unsere Großmütter noch nicht kannten.
Für mich waren die Erkenntnisse in Sachen gesunder Ernährung ungeheuer entspannend. Als Erstes entlasteten sie mein Familienleben. Wie die meisten Kinder war auch mein Sohn kein großer Fan von Salat und Gemüse. Die Diskussionen bei Tisch, was unbedingt gegessen werden muss, hörten schlagartig auf, nachdem mir klar geworden war, dass ich keine Angst vor Mangelernährung haben musste. Seitdem isst an meinem Tisch jeder das, worauf er Lust hat. Ich habe aufgehört, mit mir zu hadern, wenn ich lieber zum Baguette mit Salami als zu Vollkornbrot mit Kräuterquark greife. Selbst eine Tüte Chips mit einem Becher Sauerrahm kann ganz in Ordnung sein, wenn es zuvor nicht schon einen Teller Nudeln gab – knapp 800 Kilokalorien, das ist als Mahlzeit im grünen Bereich. Ein Burgermenü mit Ketchup im Fastfood-Laden liegt bei 875 Kilokalorien – wenn das die Hauptmahlzeit ist, ist sogar noch ein Eis zum Nachtisch drin.
Bei meinen Recherchen bemerkte ich: Immer, wenn es um richtige oder falsche Ernährung ging, verwendeten viele Menschen ein Vokabular, das eigentlich besser in die Kirche als in die Küche passt. Da war viel von »Glauben« die Rede. Wer von unserer Kamera mit Sahnejoghurt im Einkaufswagen erwischt wurde, sprach verschämt von »Sünde«. Die Beschäftigung mit Ernährung, das Verdammen bestimmter Bestandteile, die Systematik, mit der wir »gut« und »böse« bei Nahrung definieren – all das weist deutlich daraufhin, dass Ernährung fast schon einen religiösen Charakter hat.
Die Ernährungssoziologin Professor Christine Brombach von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften erklärt, warum wir so gerne glauben wollen, dass uns die richtige Ernährung vor Übel bewahren kann: »Die Ernährung übernimmt heute die Funktion einer Ersatzreligion. Die Beschäftigung mit dem Essen – woher kommt das, wie wird das verwendet, wer isst das und vor allem was bedeutet das für mich, meinen Körper, für die Umwelt? – das schafft mir Sinnhaftigkeit. Das gibt mir ein Ziel. Das besetzt sehr viel meines Alltages, meines Handelns und schafft damit für mich eine Ausrichtung in meinem Leben.«
Viele der Rituale, die zum gesunden Ernähren gehören, finden sich auch in Religionen. Das beginnt mit Nahrungsvorschriften – die Christen essen freitags keinen Fisch, Muslime niemals Schweinefleisch. Die koschere Küche der Juden verbietet Milch und Fleisch in einem Gericht, Hindus dürfen keine Kühe verzehren. Und in beinahe allen Religionen gehört das Fasten zu bestimmten Feiertagen.
Neu ist, dass all das in einen gesundheitlichen Kontext gestellt wird. Das Heil, das der folgsame Jünger zu erwarten hat, besteht nicht mehr in einem besseren Leben im Jenseits oder im Wohlwollen eines Gottes, sondern in einem längeren Leben hier und jetzt. Wer sich gesund ernährt, lebt länger. Wer sich »entgiftet«, zahlt auf sein Gesundheitskonto ein. Leider macht uns genau dieser Glaube zu dankbaren Opfern von Gurus und Geschäftemachern aller Art. In einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen bei uns von den Kirchen abwenden – 2013 bezeichneten sich schon 34 Prozent aller Deutschen als konfessionslos –, besetzt das Thema »gesunde Ernährung« gewissermaßen frei gewordene Kapazitäten in Sachen Glaube. Nun ist gegen einen gefestigten Glauben nichts zu sagen. Wer fastet, weil er sich davon spirituelle Erlebnisse erhofft, tut das gewiss mit Gewinn. Schwierig wird es dann, wenn Glaube und wissenschaftlich haltbare Erkenntnisse verwechselt werden.
Wer wissen will, wie es um die Haltung der Deutschen, Österreicher und Schweizer in Sachen Ernährung steht, muss nur einen Ausflug in den Supermarkt um die Ecke machen: In den Regalen und Kühltheken dort wimmelt es von Produkten, die irgendwie suggerieren, besonders gesund zu sein. »Frei von« ist zum schlagenden Verkaufsargument geworden. Selbst Lebensmittel, die von Natur aus nie Gluten oder Laktose enthalten – Wurst zum Beispiel –, verkaufen sich offenbar besser, wenn diese Tatsache angepriesen wird. Woher kommt diese Fixierung auf den gesundheitlichen Nutzen von Ernährung?
Denn eigentlich leben wir, was Ernährung angeht, in einer beneidenswerten Zeit: Uns steht eine Warenvielfalt zur Verfügung, von der unsere Vorfahren nur träumen konnten. Gleichzeitig war nie zuvor in der Menschheitsgeschichte die Qualität unserer Lebensmittel so hoch, dank moderner Hygienestandards in der Landwirtschaft und der Industrie. Salmonellen, Schimmel, Mutterkorn, Trichinen – jahrhundertelang waren dies die unmittelbar gesundheitsbedrohlichen Risikofaktoren in der Nahrung. Heute spielen sie kaum noch eine Rolle.
Trotzdem glauben viele Deutsche fest daran, dass unser Essen gefährlich ist. Dass sie Beratungsbedarf haben. Und sie glauben an die segensreiche Wirkung von neuartigem High-Tech-Food, das vermeintliche Krankmacher durch andere Zutaten ersetzt. Diese Angst mündet inzwischen sogar in ein eigenes Störungsbild: Forscher vom Institut für experimentelle Psychologie der Universität Düsseldorf vermuten, dass ein bis zwei Prozent der Bevölkerung in Deutschland an Orthorexie leiden, einer krankhaften Angst davor, ungesunde Nahrung zu sich zu nehmen.3 Nach einer repräsentativen Umfrage von Spiegel Online aus dem Jahr 2014 vermieden damals schon 23 Prozent der Deutschen bestimmte Zutaten wie Weizen oder Milch, obwohl nur ein kleiner Teil dieser Betroffenen tatsächlich an einer ärztlich diagnostizierte Allergie oder Unverträglichkeit litt.4
Professor Andreas Fritsche betreibt am Lehrstuhl für Ernährungsmedizin und Prävention der Universitätsklinik Tübingen Grundlagenforschung zu den Ursachen von krankhafter Fettleibigkeit. Der Internist und Diabetologe hat in vielen Studien untersucht, was im Hirn passiert, wenn Menschen essen. Sein Fazit: »Es ist eindeutig nicht von der Natur vorgesehen, dass wir Menschen ständig über unsere Nahrung nachdenken. Dieser Ernährungsstress ist schädlich. Wenn ich gesund bin, dann komme ich mit jeglicher Nahrung gut klar. Unser Körper ist gut eingerichtet für unterschiedliche Ernährungsweisen.«
Für die These, dass es die richtige oder gar explizit gesündere Ernährung gar nicht gibt, spricht eine offenkundige Tatsache: die weltweite Verbreitung der Spezies Mensch. Es gibt nur wenige Arten unter den Lebewesen, die wie wir nicht auf einen streng definierten Lebensraum angewiesen sind. Meist wird die Verbreitung einer Art durch die Verfügbarkeit einer bestimmten Nahrung begrenzt. Pandabären etwa überleben nur dort, wo sie 10 bis 40 Kilogramm Bambus pro Tag fressen können. Koalabären ernähren sich fast ausschließlich von Blättern, Rinde und Früchten ganz bestimmter Eukalyptusarten und sind dadurch in ihrer Verbreitung höchst limitiert.
Bei uns Menschen ist das anders. Seit Jahrtausenden bevölkern wir den gesamten Planeten Erde, überleben in der Wüste und am Polarkreis, in Waldgebieten und im Hochgebirge, in Steppen und auf meerumtosten Inseln. Immer mit jener Kost, die die Natur dort bereithält – Japaner essen überwiegend Fisch, in großen Teilen Afrikas ist Getreidebrei die Ernährungsgrundlage, in Asien kommt vorrangig Reis auf den Tisch. Wir Menschen sind deshalb eine so erfolgreiche Spezies, weil unser Stoffwechsel praktisch jede Art von Nahrung verwerten kann. So sind etwa die Spanier, die nie Vollkornprodukte essen und ihre Gerichte in Öl ertränken, genauso gesund wie wir Deutschen, die panisch weißes Mehl meiden und mit fettreduzierter Margarine kochen.
Professor Peter Nawroth von der Universitätsklinik in Heidelberg geht noch einen Schritt weiter: »Der Begriff gesundes Essen setzt ja voraus, dass man sich dadurch nutzen kann, und das ist nicht belegt. Dass man weniger Schlaganfälle oder Herzinfarkte bekommt, weil man das Richtige isst, gehört in den Bereich des Glaubens und ist nicht belegt durch harte wissenschaftliche Daten. Ein Schokoriegel ist erst mal nicht ungesund. Die Kalorienzahl der Schokolade ist Teil dessen, was ich im Laufe einer Woche esse. Gegen Schokolade oder andere Süßigkeiten ist nichts zu sagen, so lange die Gesamtmenge stimmt.«
Viele Menschen unterliegen aus Nawroths Sicht einem entscheidenden Denkfehler: »Man darf sich unseren Körper nicht als Konto vorstellen, auf das ich einzahlen kann. Gesünder als gesund gibt es nicht. Wenn es mir gut geht, kann ich meinen Zustand nicht durch bestimmte Kostformen gewissermaßen auf Vorrat verbessern.«
Um zu verstehen, wie die Frage nach dem gesundheitlichen Nutzen bestimmter Lebensmittel einen so enormen Stellenwert bekommen konnte, lohnt es sich zu betrachten, welchen Zugang zum Thema Ernährung und Lebensmittelherstellung wir früher hatten. Während des größten Teils der Menschheitsgeschichte war das beherrschende Problem in Sachen Ernährung die Sorge, überhaupt genug zu essen zu bekommen. Der Kulturanthropologe Professor Gunther Hirschfelder nennt als Zeitpunkt, zu dem sich zumindest in Mitteleuropa der Traum der Menschen, satt zu werden, endlich erfüllt, den Beginn des industriellen Zeitalters.5 Jahrhundertelang hatten Missernten und Hungersnöte das Überleben gefährdet und den Umgang mit Nahrung geprägt. Jetzt sorgen die Intensivierung und Rationalisierung der Landwirtschaft und der Einsatz von Dünger und modernen Gerätschaften dafür, dass diese Phänomene zu Ausnahmeerscheinungen werden.
Hinzu kommt heute eine Entfremdung der Menschen vom Prozess der Lebensmittelerzeugung. In den agrarisch geprägten Gesellschaften des vorindustriellen Zeitalters verstehen die Menschen viel davon, wie ihre Nahrung entsteht – den größten Teil produzieren sie schließlich selbst. Dieses Wissen bleibt über die industrielle Revolution hinweg zunächst noch erhalten, denn auch wer nicht mehr seinen Lebensunterhalt als Landwirt bestreitet, baut meist etwas Gemüse und Obst für den Eigenbedarf an. In den Bergarbeitersiedlungen des Ruhrgebiets sind Hühner- und Kaninchenställe als Lieferanten für den Sonntagsbraten Standard. Wer in den 1950er Jahren in Deutschland auf dem Land aufwächst, kann von Schlachttagen erzählen, bei denen das ganze Dorf das Schwein des Nachbarn gemeinschaftlich verwurstete.
Diese kollektive Expertise ist uns inzwischen verloren gegangen. Lebensmittel sind Konsumgüter, die wir abgepackt in Supermärkten kaufen. Wie genau diese Lebensmittel hergestellt werden, ist uns nicht wirklich klar. Gleichzeitig war das Angebot an verschiedensten Nahrungsmitteln noch nie so groß wie heute. Professor Christine Brombach lehrt an der Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften das relativ neue Fach der Ernährungssoziologie. Für sie ist die Angst vor ungesunder Ernährung eine Folge dieser Kombination aus Vielfalt und Entfremdung. »Wir treffen am Tag rund 240 Entscheidungen, die nur mit Essen zu tun haben«, stellt Brombach fest. »Esse ich dieses, esse ich jenes nicht? Esse ich davon viel, esse ich davon wenig? 240 Entscheidungen, die ich gar nicht rational treffen kann. Das läuft deshalb emotional ab. Gleichzeitig sind wir darauf angewiesen, dass die Lebensmittel für uns am Markt erhältlich sind. Und wir können Produktion und Verarbeitung der Lebensmittel kaum mehr nachvollziehen. Diese Vielfalt schafft Unsicherheiten, und deshalb brauche ich einfache Regeln, um mich zu entscheiden.«
Hinzu kommen die vielen Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre. Rindfleisch soll die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auslösen, Hühnerfleisch mit Antibiotika belastet und Schweinefleisch hormonverseucht sein. Unsere Milchkühe fressen genmanipuliertes Soja, Eier enthalten Salmonellen. Kein Wunder, dass sich in unserem Bewusstsein die Furcht festgesetzt hat, uns beim Essen zu schaden. Tagtäglich lesen wir zudem, dass die sogenannten Zivilisationskrankheiten – Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes, Krebs – auf dem Vormarsch seien und dass diese Tatsache irgendetwas zu tun haben müsse mit unserer Art der Ernährung. Aber ist unser Essen tatsächlich so gesundheitsgefährdend?