Besser einkaufen - Katarina Schickling - E-Book

Besser einkaufen E-Book

Katarina Schickling

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Beschreibung

Dieses Buch ist ein Wegweiser durch den unübersichtlichen Dschungel aus Lebensmittelvorschriften, Tierhaltungs- und Produktionsbedingungen, Handelsstrukturen und Herkunftsquellen bei Nahrungsmitteln, der das tägliche Einkaufen so erschwert. Die Journalistin und Nahrungsmittelexpertin Katarina Schickling zeigt, was man beim Einkaufen beachten kann, wo Verbraucher hinters Licht geführt werden, welche Siegel vertrauenswürdig sind, was das Kauderwelsch auf Zutatenlisten wirklich bedeutet und wie Kunden das gelingt, was sie eigentlich wollen: mit gutem Gewissen gute Lebensmittel kaufen. Als Fernsehjournalistin macht sie seit vielen Jahren Filme für ARD und ZDF über Ernährung. Sie hat für diese Dokumentationen oft in Ställen und Fabriken gedreht und viele Male hinter die Kulissen der Lebensmittelerzeugung geblickt. Die Ergebnisse dieser Recherchen gibt sie in diesem Buch weiter. Aufgeteilt nach Lebensmittelkategorien macht sie die Erzeugung von Lebensmitteln transparenter: Warum ist Milch so billig und weshalb ist das nicht nur für Konsumenten in Deutschland schlecht, sondern auch für die Menschen in Afrika? Welche Eier stammen wirklich von glücklichen Hühnern? Woran erkennt man, wieviel Zucker tatsächlich in einem Frühstücksmüsli enthalten ist? Welchen Rucksack an ökonomischen und ökologischen Konsequenzen kauft man mit ein, wenn es selbst gemachte Guacamole zum Abendessen gibt? Viele möchten so gerne alles richtigmachen: Lebensmittel für den täglichen Bedarf einkaufen und dabei ein gutes Gewissen haben: politisch korrekt erzeugte Produkte, ökologisch ausgewogen, zu fairen Erzeugerpreisen. Ein Verbraucher sein, der das Tierwohl und die Transportwege bedenkt, sich gesund ernährt, und all das, ohne ein Vermögen auszugeben.

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Katarina Schickling

Besser Einkaufen

Der Lebensmittel-Ratgeber

 

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

 

Umschlaggestaltung: Zero Media, München

Umschlagmotiv: © paul prescott – shutterstock, © Praisaeng – shutterstock

 

E-Book-Konvertierung: Daniel Förster, Belgern

 

ISBN E-Book 978-3-451-81309-2

ISBN Print 978-3-451-60053-1

Inhalt

Einleitung

Teil 1: Wie unser Lebensmittelmarkt funktioniert

1. Die ungute Macht der Handelsketten

2. Lieber Bio?

Teil 2: Eier, Fleisch und Milch – das Tierschutzdilemma

3. Henne und Ei

4. Die Milch von glücklichen Kühen

5. Fleisch mit gutem Gewissen

6. Das dicke Ende der Wurst

7. Fisch – das bessere Fleisch?

Teil 3: Obst, Gemüse und andere Problemfälle

8. Obst und Gemüse – Vitaminbomben mit Schattenseiten

9. Wie super ist Superfood?

Teil 4: Was uns die Industrie auftischt

10. Unser täglich Brot

11. Fertiggerichte – Lebensmittel mit Nebenwirkungen

Anders einkaufen

Dank

Über die Autorin

Bildteil

Register

Einleitung

Wir möchten so gerne alles richtig machen. Lebensmittel für unseren täglichen Bedarf einkaufen und dabei ein gutes Gewissen haben: politisch korrekt erzeugte Produkte aussuchen, ökologisch ausgewogen, zu fairen Erzeugerpreisen. Ein Verbraucher sein, der das Tierwohl und die Transportwege bedenkt, sich gesund ernährt, und all das, ohne ein Vermögen auszugeben.

Dabei stoßen wir jedoch ständig an Grenzen: Regional klingt plausibel – doch die Ökobilanz eines chilenischen Apfels kann, je nach Jahreszeit, besser sein als die eines Bodenseeapfels, der seit der Ernte im Kühlhaus lagert. Saisonal einkaufen hilft beim Sparen – aber wer weiß schon noch so genau, was wann wirklich wo Saison hat … Selbst wer immer das Teuerste kauft, geht nicht auf Nummer sicher: Bei Rewe zum Beispiel kann die »Ja!«-Milchtüte zuweilen die identische Milch enthalten wie die 50 Prozent teurere »Rewe-Frischmilch«.

Auch auf unsere Gesetzgebung ist in diesem Zusammenhang kein Verlass: Die verschiedenen Gütesiegel mit ihren so unterschiedlichen Kriterien machen den Durchblick selbst für engagierte Kunden fast unmöglich. Tierschutzlabel halten oft nicht das, was sie versprechen. Handelsbezeichnungen führen den Verbraucher manchmal sogar gezielt in die Irre – zum Beispiel die Kalbfleischleberwurst, die komplett ohne Kalbsleber auskommt, oder die italienischen Tomaten, die in China am Strauch gewachsen sind und in Italien nur eingedost wurden. Inhaltsstoffe auf Zutatenlisten sind oft etwas ganz anderes, als wir arglosen Käufer vermuten würden – wer denkt bei »Milcheiweißerzeugnis« oder »Weizenextrakt« schon an Geschmacksverstärker …

Als Fernsehjournalistin mache ich seit vielen Jahren ­Filme für ARD und ZDF über Ernährung, darunter zum Beispiel die Reihe »Lebensmittelcheck mit Tim Mälzer« in der ARD. Ich habe für diese Dokumentationen oft in Ställen und Fa­briken gedreht und viele Male hinter die Kulissen unserer Lebensmittelerzeugung blicken dürfen. Die Ergebnisse dieser Recherchen möchte ich in diesem Buch an Sie weitergeben. Aufgeteilt nach Lebensmittelkategorien will ich die Erzeugung unserer Lebensmittel transparenter machen: Warum ist unsere Milch so billig und weshalb ist das nicht nur für uns schlecht, sondern auch für die Menschen in Afrika? Welche Eier stammen wirklich von glücklichen Hühnern? Woran erkenne ich, wie viel Zucker tatsächlich in meinem Frühstücksmüsli enthalten ist? Welchen Rucksack an ökonomischen und ökologischen Konsequenzen kaufe ich mit ein, wenn es bei mir selbst gemachte Guacamole zum Abendessen gibt?

Dieses Buch ist ein Wegweiser durch den unübersichtlichen Dschungel aus Lebensmittelvorschriften, Tierhaltungs- und Produktionsbedingungen, Handelsstrukturen und Herkunftsquellen bei Nahrungsmitteln, der uns das tägliche Einkaufen so erschwert. Die Angaben zu Haltungsbedingungen für Tiere und Lebensmittelkennzeichnung sind auf dem Stand von Herbst 2017 und beruhen unter anderem auf den zu diesem Zeitpunkt gültigen gesetzlichen Vorschriften oder auf den Angaben einschlägiger Verbände. Ich möchte ihnen damit zeigen, was man beim Einkaufen beachten kann, wo wir Verbraucher hinters Licht geführt werden, welche Siegel vertrauenswürdig sind, was das Kauderwelsch auf Zutatenlisten wirklich bedeutet und wie uns Kunden das gelingt, was wir eigentlich wollen: mit gutem Gewissen gute Lebensmittel kaufen.

 

Katarina Schickling, München im Februar 2018

Teil 1: Wie unser Lebensmittelmarkt funktioniert

Immer wenn ich im Ausland unterwegs bin, gehe ich beson­ders gerne einkaufen. Ich fand es schon als kleines Mädchen spannend, auf Märkten herumzustreifen. Damals in den 1970er-­Jahren unterschied sich das Warenangebot je nach Land gewaltig: andere Obst- und Gemüsesorten, fremde Düfte, Wurst- und Käsevarianten, die ich noch nie gesehen hatte … Ich weiß noch gut, wie beeindruckt ich war, als ich während eines Schüleraustauschs 1982 den ersten britischen Supermarkt meines Lebens besuchte und über indische Currypasten und zehn verschiedene Sorten Lachsaufstrich staunte …

Heute gibt es alles immer und überall: italienischen Espresso, portugiesisches Meersalz, französische Butter, Erdbeeren ganzjährig – alles Alltag. Trotzdem gehe ich immer noch gerne in ausländische Supermärkte: Irgendwie kommt mir etwa in Frankreich oder Großbritannien oder auch bei unseren österreichischen Nachbarn das Angebot hochwertiger vor. Ich war mir lange Zeit nicht sicher, ob mir da nicht meine Psyche einen Streich spielt: Das Gras auf der anderen Seite ist ja immer grüner … Bis wir uns 2014 in der ARD-Reihe »Lebensmittelcheck mit Tim Mälzer« mit dem Thema Gemüse befassten.

Auf dem Hamburger Großmarkt drehten wir damals mit dem Großhändler Jörn Reimers. Mitten in der Nacht, um 1 Uhr morgens, erschütterte der unser Weltbild: »Deutschland ist in Europa der Müllplatz! Was bei uns landet, ist das, was andere Staaten in Europa nicht haben wollen. England, Frankreich, Holland geben mehr Geld für Obst und Gemüse aus, die kriegen allererste Qualitäten, die kriegen wir gar nicht, weil wir in Deutschland nicht bereit sind, das Geld dafür auszugeben!« Der Händler zeigte dem Fernsehkoch Tim Mälzer, was er gerade an Tomaten im Angebot hatte: blässliche Ochsenherztomaten zum Beispiel. »Die sind zu früh geerntet worden, weil sie dann länger halten.« Reif geerntete Tomaten schmecken natürlich besser. Aber da gibt es auch mehr Ausschuss. Deshalb muss der Handel die teurer kalkulieren. Und es gibt tatsächlich kaum ein europäisches Land, wo die Lebensmittelpreise noch niedriger sind als bei uns. Jenseits der Grenze in Österreich hingegen hat die Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln sogar Verfassungsrang.1 Dort ist nicht nur die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel höher. Wegen der besseren Lebensmittelstandards sind die Preise höher, die Qualität aber auch besser. Gerade in Sachen Tierschutz ist die Alpenrepublik ein Vorreiter. In der Schweiz wiederum sind Lebensmittel auch in Relation zu den generell höheren Lebenshaltungskosten deutlich teurer als bei uns. Dort ist allerdings die Struktur im Lebensmitteleinzelhandel eine völlig andere als in Deutschland. Und die hat spürbare Folgen für die Qualität der gehandelten Ware.

1. Die ungute Macht der Handelsketten

Billige Lebensmittel für jedermann – eigentlich klingt das nach paradiesischen Verhältnissen, gerade für uns Verbraucher … dabei hat die Qualität unserer Lebensmittelversorgung in Wahrheit sichtbar gelitten. Als ich klein war, gab es bei mir im Viertel mehrere Metzger; dass diese Metzger ihre Wurst selbst machten, war selbstverständlich. Genauso selbstverständlich war, dass die vielen Bäcker – fast an jeder Ecke gab es einen – eigene Backstuben hatten. Heute sind Wurst und Brot beinahe immer Industrieartikel. Die vielen Metzgereigeschäfte sind durch die Fleischtheken der Supermärkte verdrängt worden. Bei den Bäckereien läuft gerade ein ähnlicher Prozess. Zumindest in den Großstädten haben sich wenigstens die Obst- und Gemüseläden der griechischen und türkischen Händler gegen die Konkurrenz der großen Märkte behauptet – weil sie als Familienbetriebe mit konsequenter Selbstausbeutung arbeiten und so dem Preisdruck standhalten. Auf dem Land jedoch sind die Supermärkte und Discounter auf der grünen Wiese heute oft die einzige Einkaufsquelle für Lebensmittel. Und genau das schafft ­Probleme.

Das Warenangebot, das uns zur Verfügung steht, die mindere Qualität, die uns oft angeboten wird – das hat viel zu tun mit der Struktur des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland. Der wird von vier großen Konzernen dominiert:

• Die Nummer eins im Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland ist Edeka mit einem Marktanteil von 25 bis 30 Prozent. Neben den Edeka-Märkten gehören dazu Netto, Plus und Marktkauf.• Die Schwarzgruppe mit dem Discounter Lidl und den Kaufland-Einkaufszentren kommt auf 20 bis 25 Prozent Marktanteil.• Dahinter folgt die Rewe-Gruppe mit einem Marktanteil von 15 bis 20 Prozent. Zur ihr gehören auch die Penny-Discounter.• Aldi Nord und Süd haben gemeinsam einen Marktanteil von ebenfalls 15 bis 20 Prozent.

Diese Zahlen hat das Bundeskartellamt ermittelt, als es um die Frage ging, ob Edeka die Tengelmann-Märkte übernehmen darf. Die Wettbewerbshüter haben schon lange ein Auge darauf, ob es in diesem Marktbereich illegale Preisabsprachen gibt. Denn erstaunlicherweise kosten bestimmte Grundnahrungsmittel überall exakt das Gleiche: Milch von den Eigenmarken der Supermärkte und Discounter zum Beispiel. Butter. Mehl. Zucker. Wer einen Standardwarenkorb mit 15, 20 Produkten bei Aldi, Lidl, Rewe und Edeka einkauft, landet vier Mal auf den Cent genau bei der gleichen Endsumme. Ein Kartell also?

Nein, vermutlich nicht. Es ist viel einfacher: Wir reden hier ja nicht von vertraulichen Angeboten auf eine interne Ausschreibung. Was der Camembert bei Aldi kostet, muss nicht heimlich durchgestochen werden. Da reicht ein Besuch an der Kühltheke … Der Aldi-Preis hat sich gewissermaßen als »Leitwährung« der Branche etabliert: Der Discounter kalkuliert so knapp, dass das Unterbieten dieser Marke zwangsläufig Verlust bedeutet. Und mehr verlangen geht auch nicht: Dann bleibt die Kundschaft aus. Vier annähernd gleich große Wettbewerber, die alle miteinander ein extremes Interesse daran haben, dass die Preise niedrig sind: Das bedeutet einen immensen Druck für die Hersteller, teilweise mit absurden Folgen.

Vor einigen Jahren durfte ich bei einem der ganz Großen in der Geflügelerzeugung hinter die Kulissen blicken: Wiesenhof. Der Hähnchenmäster erzeugte damals 2010 zwei Fünftel der Brathähnchen, Chicken Wings und Co, die auf unseren Tellern landen. Neben frischem Fleisch produzierte Wiesenhof auch diverse Geflügel-Fertiggerichte. Für diese Produkte kaufte der Hersteller damals das Fleisch in Brasilien – die eigenen Hähnchen wären angesichts der Endpreise, die ihm der Handel vorgab, zu teuer gewesen. Selbst ein Branchenriese wie Wiesenhof kann sich diesem Druck also nicht entziehen. Wer ausgelistet wird, weil er die Preisvorgaben nicht einhalten kann, verliert durch die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel gleich ein Sechstel bis Viertel seines Absatzmarktes. Also müssen die Lieferanten immer neue Wege finden, immer noch billiger zu produzieren. Ersetzen etwa bei Fertiggerichten immer mehr teure »echte« Bestandteile durch die kostengünstigeren Verdicker, Aromen und Geschmacksverstärker. Kaufen Zutaten weltweit ein, immer da, wo die Preise gerade am niedrigsten sind. Mit dem Resultat, dass im reichen Deutschland Lebensmittel unglaublich wenig kosten.

Wie geil ist Geiz?

Wo aber soll da der Nachteil für uns Kunden liegen? Ist doch toll, dass wir günstig einkaufen können, oder? Nicht wirklich! Denn den wahren Preis für unsere Lebensmittelschnäppchen zahlen wir längst anderswo: über die Subventionen, mit denen wir die Bauern gerade so überleben lassen, weil wir ihnen für ihre Erzeugnisse oft nicht mal mehr den Selbstkostenpreis zugestehen. Oder über die Trinkwasserpreise, weil die hoch industrialisierte Landwirtschaft für eine extreme Nitratbelastung des Grundwassers sorgt. Und den Preis zahlen natürlich Millionen Tiere, die unter unzumutbaren Bedingungen gehalten werden. Zu guter Letzt bekommen wir für unser kleines Geld dann auch nur kleine Qualität. Der Müllplatz Europas eben …

Ich bezweifle allerdings, dass es wir Kunden sind, die das so wollen. Ich denke, dass wir uns deshalb im Zweifel am Preis orientieren, weil das in letzter Konsequenz das einzige Kriterium ist, an dem wir uns zuverlässig orientieren können. Die Vorschriften darüber, was wie gekennzeichnet werden muss, sind so verwirrend, dass sie oft eher der Verbrauchertäuschung dienen als der Information über die Eigenschaften eines Produktes. Es stimmt meiner Erfahrung nach nicht, dass wir Kunden immer nur das Billigste kaufen. Da, wo verlässliche Kennzeichnung mir Sicherheit gibt, dass der höhere Preis auch einen Mehrwert schafft – bessere Qualität, bessere Haltungsbedingungen für Tiere oder bessere Löhne für Bauern –, zahlen Verbraucher schon heute bereitwillig mehr für ihre Lebensmittel. Eine bayerische Molkerei, deren Milch stets die Teuerste im Regal ist, hat in Bayern dennoch einen Marktanteil von 30 Prozent – weil die Kunden ihr vertrauen. Eine Münchner Bio-Großbäckerei trotzt erfolgreich den Billig-Backstuben mit teurerem, hochwertigem Brot – auch hier geht es um das Vertrauen der treuen Kundschaft. Bei Eiern verkaufen sich die teureren Kategorien Freiland und Bio überproportional gut – weil die Kennzeichnung transparent und auch für Laien einfach nachvollziehbar ist. Das Meinungsforschungsinstitut Civey hat im September 2017 für Spiegel Online Verbraucher befragt, welchen Milchpreis sie für angemessen halten – 49 Prozent der Teilnehmer fanden über 1 Euro pro Liter gerechtfertigt. Bei Aldi war der Liter zu dieser Zeit für 68 Cent zu haben …2 Umso ärgerlicher, wenn unsere Bereitschaft, für gute, fair erzeugte Produkte mehr Geld auszugeben, missbraucht wird.

Regional als Mogelpackung

Lebensmittel aus der Region haben seit einiger Zeit ein besonders positives Image. Im Mai 2014 gaben bei einer Umfrage des GFK-Vereins 63 Prozent der Befragten an, im Zweifel grundsätzlich Produkte aus der Region zu kaufen.3 Jetzt kann man sicher diskutieren, was genau regionale Lebensmittel sind. Nordseekrabben kommen streng genommen nicht aus Hamburg; jeder Hamburger wird sie aber als heimische Spezialität akzeptieren, ebenso wie ein Münchner zwar nicht in den Alpen wohnt, aber Alpenmilch dennoch als regionale Milch empfindet. Doch im Großen und Ganzen sind wir Kunden uns doch recht einig darüber, was dieser Begriff bezeichnet: Die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft erhebt seit 2011 regelmäßig, was Kunden unter dem Stichwort »Regionalität« verstehen. 40 Prozent der Befragten erwarten dabei Lebensmittel aus ihrer Stadt oder der näheren Umgebung, weitere 50 Prozent rechnen damit, dass die Ware zumindest aus dem eigenen Bundesland stammt. Den Kunden geht es dabei um kurze Transportwege und um die Unterstützung der heimischen Landwirtschaft.4

Tabelle 1: Regionale Siegel in Deutschland

Region

Herkunft bei Obst/Gemüse

Herkunft bei verarbeiteten Lebens­mitteln wie Wurst

Futtermittel aus der Region?

Hergestellt in der Region?

Regionalfenster

kleiner als Deutschland

100 %

Hauptzutat 100 %, insgesamt 51 % der Gesamtmasse

nein

In der Regel ja

Gesichterte Qualität Baden-Württemberg

Baden-Württemberg

100 %

mindestens 90 %, ohne Wasser und Kochsalz

51 % aus betriebs­eigener Erzeugung

ja, sehr wenige Ausnahmen

Geprüfte Qualität Bayern

Bayern

100 %

genannte Zutaten 100 %, Anteil am Gesamtprodukt zu mind. 60 %

nein

ja

Geprüfte Qualität Hessen

Hessen

100 %

100 % der Hauptzutat, mind. 50,1 % des Gesamtproduktes

Rindermast: 50 % aus dem Betrieb

ja, wenige Ausnahmen bei der Verarbeitung

Geprüfte Qualität Nordrhein-Westfalen

Nordrhein-Westfalen

100 %

mindestens 80 % der Hauptzutat aus NRW

nach Möglichkeit

ja

Gesicherte Qualität Rheinland-Pfalz

Rheinland-Pfalz

100 %

es werden keine verarbeiteten Produkte angeboten

51 % aus betriebs­eigener Erzeugung

ja

Gesicherte Qualität Saarland

Saarland

100 %

mindestens 90 %, ohne Wasser und Kochsalz

51 % aus betriebs­eigener Erzeugung

ja, sehr wenige Ausnahmen

Geprüfte Qualität Schleswig-Holstein

Schleswig-Holstein

100 %

Milcherzeugnisse: 95 %

Fleischwaren: 60 %

nach Möglichkeit

Monoprodukte ja, verarbeitete Produkte nein

Geprüfte Qualität aus Thüringen

Thüringen

100 %

50,1 % des Gesamtprodukts

nein

ja

Geprüfte Regionalität

wird von den Regional-initiativen definiert

100 %

100 %, produktspezifische Abweichungen ­müssen dargestellt werden

ja

ja, alle Stufen der Wertschöpfungskette

Schade nur, dass die geltenden Gesetze es Herstellern erlauben, uns bei der Suche nach diesen Produkten gezielt auf Abwege zu führen. Mal angenommen, Sie wohnen in Baden-Württemberg und möchten heimischen Apfelsaft trinken. Im Supermarkt finden sie einen Apfelsaft aus Konzentrat von einer Fabrik aus der Gegend. Und möglicherweise finden Sie am Regal sogar eine extra Kennzeichnung, dass es sich hier um ein Produkt aus der Region handelt. Als argloser Käufer haben Sie jetzt Bilder von sonnigen Wiesen mit Apfelbäumen am Bodensee im Hinterkopf – und schon sind Sie auf dem Holzweg … Denn die Informationen am Regal und auf der Packung bedeuten so formuliert keineswegs, dass die Äpfel, aus denen der Saft gewonnen wurde, tatsächlich regionale Äpfel sind. Ein großer Teil des Apfelsaftkonzentrats auf dem deutschen Markt stammt aus China. Dort sind die Löhne niedrig, die Umweltschutzbestimmungen locker und die Früchte entsprechend billig. Damit der Saft aus chinesischen Äpfeln als baden-württembergischer Saft gelten darf, reicht es aus, wenn das Konzentrat in der schwäbischen Fabrik mit Wasser verdünnt und in die Tüte gefüllt worden ist. Diese Art Etikettenschwindel ist weit verbreitet: Italienische Dosentomaten zum Beispiel werden dadurch zu Italienern, dass die chinesische Ware im Hafen von Genua von großen Transportcontainern in Dosen umgefüllt wird. Bei frischem Fleisch muss mittlerweile zwar die Aufzucht und Schlachtung auf der Verpackung dokumentiert sein. Die Geburt jedoch nicht … Also werden Eintagsküken quer durchs Land gefahren. Noch absurder ist die Lage bei frischem Obst und Gemüse: Da bestimmt der Ort der Ernte die Herkunftsbezeichnung. Also bauen findige Erzeuger Champignons auf Wagen an, etwa in Polen oder Holland, und fahren diese mobilen Beete zur Ernte nach Deutschland, um ihre Ware mit dem Glanz der Regionalität zu adeln.

In der Schweiz gelten bei Herkunftsbezeichnungen deutlich strengere Regeln, zumindest soweit es Schweizer Produkte betrifft. Die sogenannte »Swissness« ist im schweizerischen Markenschutzgesetz geregelt. Darin heißt es: »Die Herkunft eines Lebensmittels entspricht dem Ort, von dem mindestens 80 Prozent des Gewichts der Rohstoffe, aus denen sich das Lebensmittel zusammensetzt, kommen. Bei Milch und Milchprodukten sind 100 Prozent des Gewichts des Rohstoffes Milch erforderlich.« Und weiter: »Die Herkunftsangabe muss außerdem dem Ort entsprechen, an dem die Verarbeitung stattgefunden hat, die dem Lebensmittel seine wesentlichen Eigenschaften verliehen hat.«5 »Bayerische Milch« hingegen ist laut EU-Gesetzgebung Milch, die in Bayern abgefüllt wurde – was in der Packung landet, kann auch aus Dänemark oder Polen herangekarrt worden sein. In der Schweiz wäre das nicht zulässig: Das Schweizerkreuz auf Milchprodukten besiegelt tatsächlich das, was der Verbraucher dadurch vermutet – ein echtes Schweizer Produkt. Manchmal hat es eben Vorteile, ein kleines Land zu sein, das seine eigenen Regeln bestimmen kann. Allerdings sind Lebensmittel in der Schweiz auch viel teurer.

Wie fair kann Kaffee sein?

Begonnen hat es mit dem liebsten Frühstücksgetränk der Deutschen: 1992 gründeten mehrere Hilfsorganisationen gemeinsam die ARGE Kleinbauernkaffee, um Strukturen gegen einen verbreiteten Missstand zu schaffen: Bis dahin hatten an hochwertigen Lebensmitteln wie Kaffee oder Kakao vor allem international agierende Großkonzerne verdient. Fortan sollten die Bauern in der Dritten Welt besser an der Wertschöpfung ihrer Erzeugnisse beteiligt werden. Aus dieser Gründung ging der Verein »Transfair« hervor, der bis heute das wichtigste Fairtrade-Siegel in Deutschland zertifiziert.

Ein Beispiel, das Schule machte: Heute gibt es zahllose Labels, von Herstellern, Vereinen und Bio-Verbänden, die alle irgendwie faire Preise, schonenden Umgang mit der Natur, den Verzicht auf Kinderarbeit und Ähnliches versprechen. Die schlechte Nachricht: Auch hier gibt es keine verbindlichen gesetzlichen Standards, die garantiert sein müssen, damit das Produkt sich »fair« gehandelt nennen darf. Im Prinzip kann jede Organisation selbst bestimmen, was bei ihr unter Fairtrade zu verstehen ist. Oft ist zudem schwer durchschaubar, wie viel vom deutlich höheren Produktpreis tatsächlich beim armen Kaffeebauern landet. Die gute Nachricht jedoch: In diesem Segment tummeln sich vergleichsweise wenige schwarze Schafe. Die Verbraucherzentrale Hamburg hat 2016 zahlreiche »faire« Produkte unter die Lupe genommen und eine sehr gute Übersicht veröffentlicht, worauf Verbraucher vertrauen dürfen.6

Noch besser wäre es allerdings, wenn, ähnlich wie etwa beim Umweltsiegel »Blauer Engel«, vom Gesetzgeber klare Regeln aufgestellt würden, die Etikettenschwindel unterbinden. Siegel sollten im Idealfall Vertrauen schaffen. Niemand kann vor oder nach jedem Einkauf stundenlang im Internet recherchieren – genau dafür wären eigentlich Verbraucherschutzgesetze da.

Verbraucherschutz – ein Stiefkind

Bei meinen Recherchen hat sich mir allerdings leider ein anderes Bild gezeigt: Gerade im Lebensmittelbereich nutzen die geltenden Gesetze viel öfter der Industrie als uns Verbrauchern. Der Großteil der geltenden Regeln – ob das Vorgaben zur Kennzeichnung sind, nicht geschützte Herkunftsbezeichnungen oder eben Siegel, wo sich jeder sein Regelwerk selbst erfinden darf – trägt eher zur Desinformation bei als zur Information. Die Lobby des Handels und der großen Lebensmittelmultis ist enorm mächtig. An dieser Branche hängen viele Arbeitsplätze; oft schreiben die Lobbyisten der einschlägigen Verbände an den Gesetzen praktischerweise gleich selbst mit. Das Scheitern der Lebensmittelampel auf EU-Ebene ist dafür ein unrühmliches Paradebeispiel.

In den folgenden Kapiteln möchte ich Sie mit etwas Werkzeug ausstatten: Woran erkenne ich hochwertige Lebensmittel, die ich mit gutem Gewissen kaufen kann? Auf welche Kennzeichnungen und Siegel kann ich vertrauen? Wie finde ich das, was ich eigentlich kaufen möchte? Wo lauern Verbraucherfallen? Wie finde ich heraus, unter welchen Bedingungen mein Mittagessen erzeugt worden ist? Damit Sie künftig der mündige Verbraucher sein können, den unsere Politiker in ihren Sonntagsreden so gerne bemühen. Leider machen uns das dieselben Politiker nicht immer leicht …

2. Lieber Bio?

Wer freiberuflich arbeitet und Fernsehdokus macht, ist eigentlich froh über jeden Auftrag. Und doch gibt es einen Film, den ich in den vergangenen zehn Jahren bestimmt schon drei oder vier Mal abgelehnt habe: »Die Bio-Lüge«. Immer wieder sind Redaktionen, die meine Arbeit im Lebensmittelbereich kennen, an mich herangetreten, immer mit dem Wunsch, doch mal eine richtig gute Enthüllungsdoku zu machen, darüber dass Bio-Lebensmittel auch nicht immer das Wahre seien.

Sind sie auch nicht. Überall, wo Geschäfte gemacht werden, gibt es Menschen die schummeln, tricksen und betrügen. Kein Kontrollnetz kann so engmaschig sein, dass es sich nicht irgendwie umgehen lässt. Und als Journalistin habe ich ohne Zweifel den Auftrag, Missstände aufzudecken und anzuprangern, ganz im Sinne des Verbrauchers. Doch bei diesem Thema hatte ich immer das ungute Gefühl, diesem Verbraucher damit in Wahrheit einen Bärendienst zu erweisen. Warum ist gerade dieses Thema für die Medien so sexy? Warum ist es für mich viel schwieriger, einen Film über die Zustände in konventionellen Schweineställen unterzubringen, von denen es wesentlich mehr gibt als Bio-Betriebe? Oder über problematische Praktiken beim konventionellen Getreideanbau? Während mir gleichzeitig ein Film über einzelne schwarze Schafe im Bio-Bereich begeistert aus den Händen gerissen würde?

Weil unsere Medienwelt immer auf der Suche nach etwas Neuem mit Sensationswert ist. Wenn wir bei Aldi Schweinekoteletts kaufen, die weniger kosten als ein Kilo Kartoffeln, dann ist uns natürlich schon irgendwie klar, dass das Schwein zuvor kein glückliches Leben in einer Bauernhofidylle verbracht hat. Da ist die Fallhöhe und damit der Sensationswert bei einem Bio-Erzeuger doch gleich viel höher. Wie schön, wenn uns zur besten Sendezeit demonstriert wird, dass wir für mehr Geld auch nichts Besseres bekommen hätten.

Ist Bio gesünder?

Eine beliebte Spielart dieses Themas besteht in triumphierenden Berichten darüber, dass Bio-Gemüse gar nicht gesünder sei. Nicht nährstoffreicher. Dass manch konventioneller Apfel, je nach Sorte, mehr Vitamine enthalten könne als ein Bio-Apfel einer anderen Sorte. Auch beim Geschmackstest schneidet Bio nicht zwangsläufig besser ab. Wer sein Leben lang das weiche Fleisch eines Wiesenhof-Hähnchens gegessen hat, eines Tiers, dass sich in den weniger als vierzig Tagen seines Lebens praktisch nicht bewegt hat und deshalb weitgehend muskelfrei ist, der findet ein Bio-Huhn, das durch die Wiese gerannt ist, oft zu fest im Biss. Selbst Tim Mälzers Bio-Metzger konnte bei einer Blindverkostung für eine unserer Fernsehdokumentationen nicht sein Bio-Rind von einem konventionellen Steak aus dem Supermarkt unterscheiden. Gerade für Schweine und Hühner ist es wirklich Pech, dass sie sich unter industriellen Erzeugungsbedingungen halten lassen und trotzdem immer noch wohlschmeckendes Fleisch liefern.

Die Frage, wie gesundheitsschädlich ­Pestizidrückstände bei Obst und Gemüse sind, ist in der Wissenschaft umstritten. Klar ist aber, dass das vorrangig ein Problem von konventionellem Obst und Gemüse ist. Das Bundesamt für Verbraucherschutz veröffentlicht regelmäßig Aufstellungen, bei welchen Sorten die meisten Beanstandungen auftreten: Frische Kräuter stehen da immer oben auf der Liste, außerdem Johannisbeeren, Mandarinen, Mangos, Tafeltrauben, Auberginen, Bohnen (mit Hülsen), Feldsalat, Knollensellerie, Kulturpilze, Paprika, Rettich, Radieschen und Spinat. 2015 ganz ohne Beanstandung blieben Bananen, Himbeeren, Kirschen, Melonen, Pfirsiche, Pflaumen, Erbsen, Karotten, Kartoffeln, Kopfkohl, Porree und Spargel.7 Durchgängig jedoch handelte es sich um konventionell angebaute Erzeugnisse.

Ein deutlich brisanteres Thema ist der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung. Dass die massenhafte Verabreichung in einem Zusammenhang zu den zunehmenden Resistenzen steht, was langfristig dazu führen wird, dass wir Menschen gegen bestimmte lebensgefährliche Keime keine wirksame Waffe mehr haben, gilt inzwischen als gesichert. Seit 2006 ist es in der EU verboten, Antibiotika prophylaktisch oder gar zur Leistungsförderung einzusetzen. Tatsächlich geht die Antibiotika-Menge in deutschen Ställen etwas zurück. Doch das auf hohem Niveau … das nordrhein-westfälische Verbraucherschutzministerium hat dazu in den vergangenen Jahren erschreckende Zahlen geliefert: Demnach erhielten zum Beispiel 2013 92,8 Prozent aller Mastputen Antibiotika.8 Der Grund dafür liegt auf der Hand: Wo viele Tiere auf engem Raum zusammenleben, muss gegen jegliche Krankheit schnell und massiv vorgegangen werden, sonst droht dem Mäster der Totalverlust … Eigentlich schreibt der Gesetzgeber eine Wartefrist zwischen dem letzten Medikamenteneinsatz und der Vermarktung als Lebensmittel vor – die Frist soll sicherstellen, dass die Arzneimittel vollständig abgebaut sind. Dennoch findet sich bei Stichproben immer wieder mit Antibiotikarückständen belastetes Fleisch – einer der zahlreichen unappetitlichen Aspekte konventioneller Fleisch­erzeugung.

Gerade konventionelles Geflügelfleisch ist zudem oft mit antibiotikaresistenten Keimen belastet. Erst im September 2017 hat eine Anfrage der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen wieder ergeben, dass fast jede zweite Puten- und jede zehnte Hähnchenfleischprobe mit MRSA-Keimen belastet war – das sind jene berüchtigten Erreger, die für die gefährlichen Krankenhausinfektionen verantwortlich sind, weil kein Antibiotikum gegen sie wirkt. Bei der gleichen Anfrage kam heraus, dass zudem bei der Hälfte aller Proben ESBL-Bakterien nachweisbar waren, also weitere resistente Keime. Das Bundeslandwirtschaftsministerium empfiehlt, diese Lebensmittel vor dem Verzehr durchzugaren. Ich hingegen empfehle, solches Fleisch gar nicht erst in den Handel zu lassen!

In der ökologischen Erzeugung von tierischen Produkten ist der Einsatz von Antibiotika übrigens ebenfalls grundsätzlich erlaubt: bei Tieren, die tatsächlich krank sind – und das geht auch in Ordnung, alles andere wäre ein klarer Verstoß gegen das Gebot des Tierschutzes. Ein erkranktes Tier soll nicht unnötig leiden müssen und nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandelt werden. Allerdings bewegt sich der Antibiotika-Einsatz gemäß der EU-Ökoverordnung in streng definierten Grenzen: Die gesetzliche Wartezeit ist hier doppelt so lang, nämlich mindestens 48 Stunden. Werden den Tieren in einem Jahr mehr als dreimal Antibiotika verabreicht, dürfen sie beziehungsweise ihre Produkte nicht mehr unter dem Begriff »Bio« vermarktet werden. Tiere, die nicht länger als ein Jahr leben, dürfen sogar nur maximal einmal im Leben mit Antibiotika behandelt ­werden.

Nachhaltiger wirtschaften

Ich drehe oft auf Bauernhöfen, bei konventionellen ebenso wie bei Ökobetrieben. Immer bin ich dort engagierten Landwirten begegnet, die ihre Arbeit mit Herzblut tun. Wobei sich natürlich der Schluss aufdrängt, dass es auch eher die positiven Repräsentanten ihrer Branche sind, die eine Kamera überhaupt hereinlassen … Selbstverständlich gibt es konventionelle Landwirte, die schonend mit Natur und Ressourcen umgehen. Aber im Bio-Bereich findet dieser schonende Umgang institutionalisiert statt. Traditionelle Fruchtfolgen verhindern, dass die Böden ausgelaugt werden. Die Bio-Landwirtschaft setzt auf alte Sorten und Tierrassen, die womöglich weniger Ertrag versprechen, dafür aber robuster sind, weniger anfällig für Schädlinge oder Krankheiten. Deutsche Verbraucher lehnen genmanipulierte Lebensmittel ab – nur im Bio-Bereich können sie sicher sein, dass auch bei der Tierfütterung nichts dergleichen zum Einsatz kommt. Hier geht es nicht um Tierwellness oder um Luxusprodukte für verwöhnte Städter. Es geht vielmehr um die Frage, ob wir Raubbau an unseren Ressourcen betreiben wollen, mit allen Konsequenzen. Die Folgen der extremen Nitratbelastung durch Massentierhaltung und intensiven Ackerbau etwa spüren wir schon heute: In vielen Gegenden wird das Trinkwasser teurer, weil das Wasser erst gereinigt und aufbereitet werden muss.

Ich finde, dass es sich deshalb lohnt, zu ökologisch erzeugten Lebensmitteln zu greifen, wo immer es geht. Weil wir damit insgesamt eine andere Art Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen unterstützen. Angefangen beim Tierwohl, beim Einsatz von Pestiziden, beim Umgang mit Antibiotika, beim Thema Gen-Food, beim Einsatz von Düngemitteln und den Folgen für unser Grundwasser. Viele der Probleme, die die moderne Landwirtschaft verursacht, haben mit Masse statt Klasse zu tun. Ein Landwirt, der keinen ordentlichen Preis für seine Erzeugnisse erzielen kann, muss das durch größere Mengen kompensieren. Das kann ein Teufelskreis werden …

Wie gut ist Billig-Bio?

Deshalb ist es aus meiner Sicht zwar ein Schritt in die richtige Richtung, wenn 20 Prozent der Bio-Lebensmittel mittlerweile über Discounter bei der Kundschaft landen. Immerhin finden so Kundenschichten zu den Produkten ökologischer Landwirtschaft, die sonst vielleicht einfach irgendwas gekauft hätten. Dennoch ist es gut, sich die Unterschiede klar zu machen, die zwischen den einzelnen Bio-Siegeln bestehen. Grundsätzlich gibt es auf der einen Seite das EU-Bio-Siegel; ersatzweise wird in Deutschland auch oft noch das alte deutsche Bio-Siegel verwendet, weil das vielen deutschen Kunden vertrauter ist.9 Die Kriterien sind in beiden Fällen die gleichen. Auf der Homepage des Bundeslandwirtschaftsministeriums sind die entsprechenden EU-Verordnungen verlinkt.10 Daneben gibt es in Deutschland noch drei große Verbände mit eigenen Richtlinien, die meist strenger sind als die des staatlichen Siegels: Bioland, Naturland und Demeter.

Beim EU-Bio-Siegel müssen 95 Prozent der Zutaten biologischer Herkunft sein– die drei großen Verbände bestehen hingegen auf 100 Prozent. Das allerdings betrifft nur verarbeitete Produkte: In einer Bio-Tomate sind logischerweise auf jeden Fall 100 Prozent Bio-Tomate. Sonst unterscheiden sich die Siegel untereinander vor allem durch die Zulassung beziehungsweise Ablehnung bestimmter Zusatzstoffe, Düngemittel, Futtermittel und so weiter. Im Gegensatz zur EU-Ökolandbau-Richtlinie gestatten die Verbände beispielsweise den Zukauf von konventionellem Tierfutter und Dünger nur in geringsten Mengen und nur unter streng definierten Bedingungen. Sie lassen weniger Tiere und eine geringere Besatzdichte pro Betrieb zu und im fertigen Produkt dürfen deutlich weniger Zusatzstoffe enthalten sein. Nur einen Teil des Bauernhofes auf Bio umzustellen ist hier nicht möglich – bei der EU-Bio-Zertifizierung schon.

Die drei großen Verbände haben keine Kooperationen mit Discountern, und auch in den herkömmlichen Supermärkten findet man sie seltener – weil sie eben durch die strengeren Regeln etwas teurer sind. Dafür gibt es bei diesen Siegeln aber zusätzlich zur staatlichen noch eine weitere Kontrollebene durch die Verbände selbst.

Tabelle 2: Vergleich Bio-Siegel11

staatlich

privat

privat

privat

Zahl der Mitglieder

---

ca. 5700

ca. 2600

ca. 1400

Kontroll-frequenz

1 × pro Jahr

1 × pro Jahr

1 × pro Jahr

1 × pro Jahr

Einsatz von Gentechnik

bis 5 %

nein

nein

nein

Da die Einkaufspolitik der großen Handelsketten vorrangig durch den Preis bestimmt wird, finden sich dort sehr viel häufiger Produkte, die weite Strecken zurückgelegt haben, gerade bei Obst und Gemüse. Das hebt dann die gute Tat, ein Bio-Gemüse oder Bio-Obst gekauft zu haben und damit einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft zu leisten, wieder auf. Ägyptische Kartoffeln etwa haben grundsätzlich eine schlechte Ökobilanz, weil der Anbau enorm viel Wasser verbraucht, und sie sind außerdem auch noch weit gereist. Wer braucht einen neuseeländischen Apfel im Herbst, wenn der Tisch auch bei uns zu Hause reich gedeckt ist?

Bio – die Einladung zum Betrug?