Mein Lebensmittelkompass - Katarina Schickling - E-Book

Mein Lebensmittelkompass E-Book

Katarina Schickling

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Beschreibung

Beim Einkauf würden wir am liebsten alles richtig machen: Tiergerechte, klimaneutrale Lebensmittel sollen es sein, umweltfreundlich verpackt, erzeugt zu fairen Preisen und unter vertretbaren Arbeitsbedingungen. Allzu oft, spätestens aber beim hektischen Supermarktbesuch nach Feierabend, scheitern wir an unserem eigenen Nachhaltigkeitsanspruch. Denn wer blickt auf die Schnelle schon durch im Dickicht des Lebensmittelrechts, der Siegel, Label und Kennzeichnungen? Dieses Buch schlägt eine Schneise durch den Wirrwarr unklarer Verbraucherinformationen und begrifflicher Mogelpackungen. Aufgeteilt nach Produktkategorien erfährt die Kundschaft, was sie tatsächlich kauft, worauf sie achten kann und wie sie den Schummeleien der Lebensmittelhersteller ein Schnippchen schlagen kann. Ein praktisches Handbuch für bewusste Konsument*innen, die mit gutem Gewissen zugreifen wollen.

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Seitenzahl: 277

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Katarina Schickling

MEIN LEBENSMITTEL-KOMPASS

EINFACH FAIR UND NACHHALTIG EINKAUFEN

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden von der Autorin und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall aufgrund der schlechten Quellenlage bedauerlicherweise einmal nicht möglich gewesen sein, werden wir begründete Ansprüche selbstverständlich erfüllen.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Originalausgabe Februar 2023

Copyright © 2023: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: © Conny Stein

Redaktion: Antje Steinhäuser

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

EB ∙ IH ISBN 978-3-641-29432-8V001

Inhalt

Einleitung

Glossar

Teil 1 – Wissen ist Macht – wie unser Essen erzeugt wird

Klimafreundlich essen – wie geht das?

Wer verdient an unserem Essen?

Landwirtschaft anders denken

Kampf der Lebensmittelverschwendung

Die Einkaufsrevolution

Teil 2 – Lebensmittel und ihr Klimarucksack

Immer Bio?

Fleisch

Wurst

Fisch

Fleisch- und Fischersatz

Milch

Milchersatz

Eier

Gemüse

Obst

Getreide / Brot

Öle und Fette

Nüsse und Süßes

Getränke

Fertiggerichte

Teil 3 – Ihr Kompass durch den Kennzeichnungsdschungel

Biosiegel

Regionalsiegel

EU-Ursprungs- und Qualitätszeichen

Fleischkennzeichnung

Eier-Kennzeichnung

Fisch-Siegel

Getarnte Geschmacksverstärker

Getarnter Zucker

Besser Einkaufen: Adressen

Dank

Register

Bildnachweis

Anmerkungen

Einleitung

Ich komme gerade vom Mittagessen. Es gab ein knuspriges sardisches Fladenbrot, mit Avocado und Parmaschinken. Sehr fein. Aber ist das nicht alles besonders klimaschädlich? Noch vor ein paar Jahren hätte ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Inzwischen läuft sofort mein schlechtes Gewissen warm: Avocado – habe ich gerade aktiv dazu beigetragen, dass in Chile Flussläufe versteppen? Waren die Schweine in Parma glücklich, und stammt der Schinken überhaupt von italienischen Schweinen? Habe ich gerade die durch den Ukrainekrieg ausgelöste Weizenknappheit weiter verschärft? Und ist mein Brot von Sardinien zu mir geflogen oder mit dem Schiff gefahren?

Ich bin Dokumentarfilmerin und Journalistin. Meinen ersten Film über Lebensmittel habe ich vor mehr als einem Jahrzehnt gemacht – damals begann ich, gemeinsam mit dem Fernsehkoch Tim Mälzer, für die ARD dem Inhalt unserer Nahrung auf die Spur zu gehen. Je länger ich mich mit dem Thema befasste, mit den Informationen auf der Packung, mit den Lebensbedingungen von Nutztieren, mit Inhaltsstoffen und Zutaten, desto klarer wurde mir, dass bei unserer Art zu essen einiges gründlich schiefläuft. »Was essen wir da eigentlich?« ist seitdem immer wieder der Leitsatz meiner Recherchen. Und seit einiger Zeit beschäftigt mich dabei auch zunehmend die Frage, wie wir unser Konsumverhalten so gestalten können, dass wir unserem Planeten dabei möglichst wenig schaden.

Wer isst, wird quasi automatisch zum Klimaschädling: Ungefähr 500 Kilogramm Lebensmittel vertilgt eine Durchschnittsperson in Deutschland im Jahr. Mit diesen Mahlzeiten verursachen wir etwa 15 Prozent unserer jährlichen Treibhausgas-Emissionen. Damit liegt unsere Ernährung gleichauf mit dem, was wir an Treibhausgasen fürs Heizen ausstoßen. Ohne Essen geht es nicht, klar, aber sollten wir die schädlichen Emissionen unserer Mahlzeiten nicht zumindest reduzieren?

Um die Frage, wie wir unseren Speiseplan möglichst klimafreundlich gestalten, geht es in diesem Buch. Muss ich komplett auf Fleisch verzichten? Sind Milchkühe Klimakiller oder Landschaftspfleger? Ist der Griff zu regionalen Lebensmitteln ein Ausweg? Oder, noch besser, gleich nur noch Bioware zu kaufen? Und wie kann ich herausfinden, was ich da eigentlich kaufe, ohne dass ich bei jedem Griff ins Regal erst mal ausführlich im Internet recherchieren muss?

Die schlechte Nachricht gleich vorneweg: Das ist gar nicht so einfach. Denn es ist kaum möglich, im Supermarkt einzuschätzen, wie etwa die Klimabilanz unserer Einkäufe ist. Eine CO2-Kennzeichnung würde da helfen – aber wir haben in der EU ja nicht mal transparente Herkunftsbezeichnungen. Kann gut sein, dass in meinem Joghurtbecher aus einer bayerischen Molkerei Milchkomponenten aus ganz Europa enthalten sind. Oder dass die Dosentomaten made in Italy tatsächlich chinesische Tomaten sind, die in Genua im Hafen lediglich eingedost wurden. Selbst wenn ich wild entschlossen bin, strikt regionale Anbieter zu unterstützen, laufe ich ständig Gefahr, einer Mogelpackung aufzusitzen, weil die Bezeichnungen so verwirrend sind.

Es ist aber auch deshalb nicht einfach, weil die Welt nun mal komplex ist. Butter hat von allen Lebensmitteln den größten CO2-Abdruck, weil so viel Milch für ihre Herstellung benötigt wird. Und Rinder sind von allen Nutztieren ohnehin diejenigen mit der schlechtesten Klimabilanz. Also einfach keine Rinder mehr halten und auf dem Weideland stattdessen Getreide anbauen? Klingt einfach, funktioniert aber leider nicht. Denn oft grasen die Rinder auf Böden, auf denen gar nichts anderes als Gras wächst. Für uns Menschen wird dieses Gras nur über den Umweg durch den Rindermagen zu einer verwertbaren Nahrungsquelle. Also stattdessen diese Böden brachliegen lassen? Auch keine gute Idee: Eine beweidete Wiese kann zehnmal mehr Wasser speichern als Brachland. Im Gebirge leisten die weidenden Kühe im Sommer eine wichtige Lawinenprävention dadurch, dass sie an steilen Hängen, die sonst keiner mähen würde, das Gras zu kurzen Borsten abfressen und damit für eine raue Unterlage sorgen. Dann eben einfach nur so viele Kühe halten, wie man sie zur Weidepflege braucht, ohne ihre Milch zu nutzen? Nun ja, wenn die landschaftspflegenden Kühe so gar keinen Ertrag liefern und nur Arbeit machen, denn auch eine Kuh auf der Weide braucht zumindest ein wenig Fürsorge, wer sollte das dann leisten? Also doch Milcherzeugung, nur vielleicht etwas anders? Dazu mehr im Kapitel »Milch«.

Sie können dieses Buch einfach am Stück lesen – dann haben Sie am Schluss einen guten Überblick darüber, wie man nachhaltiger einkaufen kann. Sie können es aber auch als eine Art Nachschlagewerk nutzen, wenn Sie gezielt auf der Suche nach Entscheidungshilfen zu einzelnen Lebensmitteln sind. Teil 1 dieses Buches handelt vom Grundsätzlichen: Wie funktioniert der Lebensmittelmarkt mit all seinen Tücken? Es geht um schwierige Gesetze, um Mechanismen, die gegen unser Bedürfnis nach Transparenz arbeiten, um Hintergründe. Zu vielen der Themen, die dort angerissen werden, gibt es konkrete Tipps. In Teil 2 nämlich – darin sehen wir uns gemeinsam Warengruppe für Warengruppe an: Wo liegen die Probleme? Wie können wir es beim Einkaufen besser machen? Der Lebensmittelkompass soll Sie mit dem Grundwissen ausstatten, das Sie brauchen, um eigenständige Entscheidungen zu treffen. Ohne dass Sie irreführenden Bezeichnungen und Greenwashing auf den Leim gehen. Differenzierte Antworten auf die ganz große Frage der Menschheit – »wie retten wir unsere Erde?« – in der Abteilung Ernährung. Teil 3 ist dann eine Art Lexikon – der Wegweiser durch den Kennzeichnungsdschungel: Herkunftslabel, Lebensmittelsiegel, Tierwohlkennzeichnungen – alles, was uns eigentlich besser informieren soll, oft aber gründlich desinformiert. Klar aufgeschlüsselt und einfach erklärt.

Während ich an dieser Einleitung schreibe, treibt der Krieg in der Ukraine gerade die Lebensmittelpreise in die Höhe. Wer sich sorgt, ob das monatliche Budget noch ausreicht, um die Familie satt zu bekommen, reagiert verständlicherweise genervt, wenn er jetzt auch noch die Klimafolgen seiner Einkäufe bedenken soll. Doch Klimaschutz ist kein Luxus für gute Zeiten. Die Erderwärmung findet jetzt statt, nicht irgendwann, nachdem wir Corona besiegt und Putin befriedet haben. Und selbst im Angesicht der massiven Preissteigerungen sind Lebensmittel bei uns immer noch außerordentlich billig: 1960 hätten wir für ein Kilogramm Schweinekotelett im Durchschnitt 156 Minuten arbeiten müssen. 2020 waren es nur noch 29 Minuten. Noch drastischer ist der Preisverfall bei Eiern: von 50 Minuten 1960 auf 7 Minuten im Jahr 2020.1 Selbst, wenn man da die aktuellen Preissteigerungen draufrechnet, bezahlen wir gerade für tierische Produkte im Verhältnis deutlich weniger als unsere Großeltern.

Diese Entwicklung hängt leider eng mit der klimaschädlichen Wirkung unserer Ernährung zusammen: Lebensmittel, die früher etwas Besonderes waren, sind heute selbstverständlicher Teil unseres täglichen Konsums. Wir essen ganz lässig Obst aus Asien, Fisch aus Afrika und Fleisch aus Südamerika – weil der Transport so billig geworden ist. Die klimaschädlichen Folgen jedoch sind unglücklicherweise nicht eingepreist. Tomaten oder Auberginen, eigentlich klassische Sommerkinder, kommen ganzjährig auf unseren Tisch – inklusive ihrer Energiebilanz, weil ohne Sommersonne dafür natürlich Gewächshäuser geheizt werden müssen. Der Gedanke an den riesigen Rucksack an Umweltfolgen, die jede einzelne Zutat im Gepäck hat, schafft es dabei nur sehr langsam in unser Bewusstsein.

Wenn ich auf Lesungen mit meinem Publikum über Nachhaltigkeit diskutiere, kommt zwangsläufig immer dieses Argument zur Sprache:

»Deutschland ist so ein kleines Land – was hilft es, wenn wir es besser machen, und die anderen nicht?«

Stimmt! Das, was wir durch unsere einzelnen Taten ändern, scheint auf den ersten Blick kaum eine Wirkung zu entfalten. Aber eben nur auf den ersten Blick.

Zunächst mal ist Deutschland gar nicht so klein. Nach Einwohnern gerechnet sind wir weltweit die Nummer 17; gemeinsam mit unseren Mit-EU-Bürger:innen sind sogar nur China und Indien bevölkerungsreicher. Zudem hat unser Verhalten innerhalb der EU einen wichtigen Effekt. Unsere Volkswirtschaft ist die viertgrößte der Welt. Was bei uns funktioniert, hat Vorbildwirkung – wenn ein hochindustrialisiertes Land wie unseres Klimaziele schafft, kann das enormen Signalcharakter entfalten.

Der zweite Einwand ist etwas schwieriger zu entkräften:

»Was kann ich kleines Rädchen mit meinen Konsumentscheidungen verändern? Ich rette doch nicht die Welt, indem ich das Schweinekotelett weglasse oder meinen Morgenkaffee mit Hafermilch trinke!«

In der Tat: Das Abschalten eines einzigen Braunkohlekraftwerks spart extrem viel mehr CO2 ein als mein Verzicht auf Flugmangos. Trotzdem ist es sinnvoll, denn wenn ganz viele Einzelne – wenn wir alle uns darauf besinnen, schonender mit unseren Ressourcen umzugehen, kann in der Summe doch etwas Nennenswertes erreicht werden. Dabei geht es mir nicht um Kasteiung oder Verzicht. Oft bedeutet die Entscheidung für klimafreundliche Produkte keineswegs zwangsläufig weniger Genuss. In vielen Fällen führt uns der Kauf von klimafreundlichen Lebensmitteln sogar zu geschmacklich und gesundheitlich besseren Zutaten.

Es wird Zeit, dass wir umdenken. Im November 2015 hat die Andechser Molkerei eine Studie präsentiert, wonach 43 Prozent der Menschen in der Stadt und im Landkreis München ausschließlich oder zumindest regelmäßig Bioprodukte kaufen, bei Lebensmitteln aus der Region waren es sogar 51 Prozent. Zu dieser Zeit lag der Marktanteil von Bio am gesamten Lebensmittelumsatz in Deutschland allerdings nur bei mageren 4 Prozent. Nun ist München eine wohlhabende Stadt und mag da Vorreiter gewesen sein. Aber generell klaffen unser Anspruch – »klar soll meine Milch von glücklichen Kühen stammen!« – und unser tatsächliches Konsumverhalten immer noch weit auseinander. Bis 2021 war der Bioumsatz gerade mal auf 6,8 Prozent gestiegen. Ich interpretiere diese Zahlen so: Offensichtlich haben viele Menschen ein Bewusstsein dafür, dass regionale Biolebensmittel die sinnvollere Wahl wären. Und dann kaufen sie doch oft anders ein, aus Kostengründen, oder weil sie unsicher sind, wie sie vertrauenswürdige Produkte finden. In einer Umfrage gibt man diese Diskrepanz natürlich ungerne zu …

Vielleicht sind die Verwerfungen von Corona und dem Ukrainekrieg ja ein guter Anlass, über unseren Umgang mit der Ressource Nahrung nachzudenken. Ist es tatsächlich sinnvoll, Lebensmittel als globalen Markt zu begreifen? Sollten wir nicht wieder viel mehr dazu zurückkehren, Essen überwiegend da zu produzieren, wo es verzehrt wird? Ist eine Landwirtschaft gut für uns, die von riesigen Düngergaben abhängt? Und die mit ihrem Pestizideinsatz und ihren Monokulturen ein Artensterben verursacht, gegen das das Aussterben der Dinosaurier harmlos war?

Ich will versuchen, Ihnen einen Wegweiser durch das Dickicht der Warengruppen und Kennzeichnungen an die Hand zu geben. Es geht um die Strukturen, die unseren Lebensmittelmarkt so intransparent machen. Es geht darum, wie wir unser Konsumverhalten sinnvoll verändern können. Und es geht um Fakten, die Ihnen dabei helfen sollen, fundierte Entscheidungen beim Einkaufen zu treffen. Damit Sie Ihre Wahl treffen können, als mündige Verbraucher:innen.

Glossar

In der Debatte um die Rettung unseres Planeten kursieren zahlreiche Begriffe, die mir, als Nicht-Naturwissenschaftlerin, zunächst nicht immer ganz klar waren. Deshalb vorneweg ein kleiner Überblick über wichtige Schlagworte und was sich dahinter verbirgt. Sollten Sie in der Schule einst besser aufgepasst haben als ich: einfach weiterblättern!

Treibhausgase

Gasförmige Bestandteile der Atmosphäre, die den sogenannten Treibhauseffekt verursachen. Dabei absorbieren sie langwellige Strahlung, die von der Erdoberfläche, den Wolken und der Atmosphäre selbst ausgestrahlt wird, und strahlen sie wieder ab. Die wichtigsten Treibhausgase sind Wasserdampf, Kohlenstoffdioxid, Distickstoffoxid (Lachgas), Methan und Ozon. In ihrer Gesamtwirkung erhöhen sie den Wärmegehalt des Klimasystems.

CO2-Äquivalent

Kohlendioxid (CO2) ist das bekannteste, aber, siehe oben, eben nicht das einzige Treibhausgas in der Atmosphäre. So verstärkt beispielsweise eine Tonne Methan über einen Zeitraum von hundert Jahren gerechnet den Treibhauseffekt im gleichen Ausmaß wie 28 bis 34 Tonnen CO2. Wird im Zusammenhang mit dem Klimawandel über Mengen dieser Gase gesprochen, werden sie zur besseren Vergleichbarkeit in jene Mengen Kohlendioxid umgerechnet, die die gleiche Klimawirkung entfalten würden.

Erneuerbare Energien

Darunter versteht man alle Energiequellen, die sich durch natürliche Prozesse mit einer Geschwindigkeit erneuern, die der Nutzungsrate entspricht oder diese sogar übertrifft. Windkraft, zum Beispiel, Sonnenstrahlung, Erdwärme oder biologische Ressourcen, wie etwa Biogas aus Gülle.

Nitrat

Nitrate sind Stickstoffverbindungen, die von Natur aus im Boden vorkommen und Pflanzen als Nährstoff dienen. Sie sind aber auch Bestandteil von Düngemitteln und Gülle und gelangen auf diese Weise vermehrt in den Boden. Das Problem dabei ist die Menge: Was die Pflanzen nicht aufnehmen, landet in Gewässern, wo dann Algenteppiche wuchern oder im Grundwasser, wo sich Nitrat zum gesundheitsgefährdenden Nitrit umwandeln kann. Der letzte Nitratbericht von 2020 bewertet die Belastung des Grundwassers in Deutschland »weiterhin als zu hoch«. An 17 Prozent der Messstellen wird der zulässige EU-Schwellenwert überschritten.

Nitrit

Was Nitrat für uns besonders problematisch macht, ist seine Umwandlung zu Nitrit in unserem Verdauungstrakt. Nitrit ist giftig und behindert den Sauerstofftransport im Blut. Deshalb soll man nitratreiches Gemüse wie Spinat nicht aufwärmen, die Wärme fördert die Nitritbildung.

Nitrosamine

Essen wir gleichzeitig nitrathaltige und proteinreiche Speisen, können dabei Nitrosamine entstehen. Diese Verbindungen sind krebserregend. In gepökelten Wurstwaren sind Nitrosamine enthalten, deshalb sollte man diese Würste besser nicht grillen und in Verbindung mit Käse – etwa bei Pizza oder Toast – nur leicht bräunen.

Glutaminsäure

Diese Aminosäure ist in allen eiweißhaltigen Lebensmitteln enthalten, besonders viel beispielsweise in Weizen, Tomaten und Milch. Glutamate sind Salze der Glutaminsäure; das bekannteste ist Mononatriumglutamat, das in der Lebensmittelindustrie oft als Geschmacksverstärker eingesetzt wird. Konzentriert man die Glutaminsäure aus Lebensmitteln stark, erzielt man den gleichen geschmacksverstärkenden Effekt.

Teil 1 Wissen ist Macht – wie unser Essen erzeugt wird

Kürzlich habe ich mit einer Biobäuerin gesprochen, die Muttersauen hält und Ferkel erzeugt. Die Landwirtin war verwundert: »Durch die Ukrainekrise sind die Kosten für konventionelle Schweinehalter massiv gestiegen; deren Fleisch kostet im Supermarkt jetzt deutlich mehr. Unsere Preise sind gar nicht gestiegen, aber trotzdem kostet unser Fleisch jetzt plötzlich auch mehr.« Die Bäuerin war verärgert – das wäre doch jetzt eine Chance gewesen, mehr Biofleisch zu verkaufen.

Ich kann Ihnen nicht sagen, warum der Handel in diesem Fall so entschieden hat – möglicherweise aus der Ahnung heraus, dass Biokunden ohnehin bereit sind, mehr Geld auszugeben? Möglicherweise dann auch in Zeiten der Inflation? Aber die Geschichte illustriert, wie undurchsichtig unser Lebensmittelmarkt oft ist. Das liegt an der beherrschenden Marktmacht des Handels, an irreführenden Kennzeichnungsrichtlinien und an vielen Jahren erfolgreicher Lobbyarbeit insbesondere der Industrie. Es liegt aber auch daran, dass wir an vielen Stellen den Bezug zu Lebensmitteln und ihrer Herkunft verloren haben.

In den agrarisch geprägten Gesellschaften des vorindustriellen Zeitalters haben die Menschen viel mehr davon verstanden, wie ihre Nahrung entsteht – den größten Teil kultivierten sie schließlich selbst. Dieses Wissen blieb über die industrielle Revolution hinweg zunächst noch lange erhalten. Auch wer keinen Bauernhof betrieb, baute doch meist noch etwas Gemüse und Obst für den Eigenbedarf an. In den Bergarbeitersiedlungen des Ruhrgebiets waren Hühner- und Kaninchenställe als Lieferanten für den Sonntagsbraten Standard. Wer in den Fünfzigerjahren in Deutschland auf dem Land groß wurde, kann spannende Geschichten von Schlachttagen erzählen, an denen das ganze Dorf das Schwein des Nachbarn gemeinschaftlich verwurstete. Diese kollektive Expertise ist uns verloren gegangen. Lebensmittel sind Dinge, die wir abgepackt in Supermärkten kaufen. Wie genau diese Lebensmittel hergestellt worden sind, ist uns nicht wirklich klar. Gleichzeitig war noch nie in unserer Geschichte das Angebot an den verschiedensten Nahrungsmitteln derart groß.

Ich finde es schade, dass Lebensmittelkunde kein Schulfach ist. Wenn wir von Anfang an lernen würden, was da auf unseren Tisch kommt, wie diese Lebensmittel entstehen und welche Folgen für Umwelt oder Gesundheit damit einhergehen, wäre auf dem Weg zu einer klimafreundlicheren Ernährung viel gewonnen.

Klimafreundlich essen – wie geht das?

Im Grunde ist es gar nicht so schwierig, sich zu ernähren, ohne für schlimme Klimafolgen verantwortlich zu sein. Man muss sich einfach nur 100 Jahre zurückdenken. Mein Großvater väterlicherseits war 1923 10 Jahre alt und lebte in einem Dorf in der Nähe von Frankfurt. Seine Familie betrieb etwas Landwirtschaft, neben ihrem eigentlichen Broterwerb – Kriftel gilt als »Obstgarten des Taunus«. Was an Obst und Gemüse auf den Tisch kam, wurde entweder selbst angebaut oder auf dem Markt im benachbarten Frankfurt-Hoechst gekauft – ganz selbstverständlich handelte es sich hier immer um regionale Produkte, die gerade Saison hatten. Etwas anderes wurde auf dem Markt dort gar nicht angeboten. Um die Kirsch- oder Zwetschgensaison zu verlängern, wurde Obst eingemacht oder zu Marmelade gekocht. In meiner Kindheit gab es noch Regale im Keller meiner Großeltern, mit langen Reihen von selbst gemachten Konserven. Viele Lebensmittel ließen sich ohnehin gut lagern: Kartoffeln etwa – niemand hätte damals verstanden, warum man eine Knolle, die bei uns so gut wächst, aus Ägypten importieren sollte. Auch Äpfel wurden eingelagert und hielten als Vitaminquelle über den ganzen Winter. Allerdings schrumpelten sie mit der Zeit etwas zusammen und wurden süßer und weicher.

Meine Urgroßmutter hielt 1923 Hühner im Hof hinter dem Haus– deren Eier kamen ebenfalls auf den Tisch. Gelegentlich gab es gebratenes Hähnchen, denn natürlich mussten Hennen nachgezüchtet werden, und die Hähne, die dabei herauskamen, wurden mangels Eignung als Eierlieferanten zu Sonntagsbraten – sorry, Jungs! Außerdem hielt die Familie ein Schwein – das wurde überwiegend mit Küchenabfällen gefüttert, bis es schlachtreif war. Dann kam ein Schlachter auf den Hof. Keine Frage, dass das komplette Tier verarbeitet wurde – zu Kotelett, Würsten, Blutwurst, Fleischkonserven, und aus den allerletzten Resten wurde die sogenannte Metzelsuppe gekocht, die von der Familie und der ganzen Nachbarschaft zum Abschluss des Schlachttages verzehrt wurde. Insgesamt waren Fleischgerichte etwas für besondere Gelegenheiten. Die meisten Mahlzeiten der Familie waren mehr oder weniger vegetarisch.

Erst in den Fünfzigerjahren wurde es in Deutschland langsam üblich, einen Kühlschrank zu besitzen. Vorher hatten wohlhabende Haushalte möglicherweise einen Eisschrank, der mit Stangeneis kalt gehalten wurde. Bei meiner Krifteler Familie gab es das nicht. Ein kühler Vorratskeller musste reichen. Schon deshalb wurden zu jener Zeit insgesamt viel weniger Milchprodukte gegessen als heute. Milch holte man frisch, teilweise sogar mehrmals täglich, und natürlich kam auch die aus der Gegend, weil sie längere Transporte gar nicht heil überstanden hätte. Joghurt oder Dickmilch waren Möglichkeiten, die Verzehrfähigkeit der Milch etwas zu verlängern.

Auch mein Großvater kannte schon exotische Früchte, er hat mir davon kurz vor seinem Tod erzählt, als ich ein Interview mit ihm machte, weil mich – ich habe nicht umsonst Geschichte studiert – die Welt seiner Kindheit interessierte. Orangen oder Ananas konnte man im sogenannten Kolonialwarenladen gelegentlich kaufen, als besondere Delikatesse. Auch Fisch war nichts für jeden Tag – entweder war der selbst geangelt, oder er stammte aus Fischzuchtbetrieben in der Gegend, wo Forellen und Karpfen gehalten wurden.

Die Zusammensetzung unserer täglichen Speisen hat sich seit Beginn der Industrialisierung massiv verändert, Veränderungen, die die Klimabilanz des Speiseplans deutlich verschlechtert haben. 1850 kamen in deutschen Familien pro Jahr etwa 228 Kilogramm Getreide und Kartoffeln auf den Tisch, knapp 20 Kilogramm Fleisch, 37 Kilogramm Gemüse und 20 Kilogramm Hülsenfrüchte. 1975 war der Anteil der Hülsenfrüchte drastisch kleiner, nicht mal mehr ganz ein Kilogramm. Getreide und Kartoffeln hatten sich auch deutlich reduziert, auf 158 Kilogramm, etwa zwei Drittel der Menge von 1850. Dafür gab es 1975 mit 66 Kilogramm fast doppelt so viel Gemüse und mit rund 68 Kilogramm sogar dreimal mehr Fleisch. Der jährliche Verbrauch von Südfrüchten verzehnfacht sich in diesem Zeitraum, von 250 Gramm auf 22 Kilogramm. Diese Zahlen hat der Münsteraner Wirtschaftshistoriker Hans-Jürgen Teuteberg gesammelt.2 Die typische Kost einer wohlhabenden Industriegesellschaft.

Mir ist natürlich bewusst, dass wir die Vergangenheit nicht zu sehr romantisieren sollten. Keine Ahnung, wie tiergerecht das Schwein und die Hühner meiner Urgroßmutter lebten. Ich vermute, dass sie Auslauf hatten, aber ich habe in ähnlich traditionell wirtschaftenden Dörfern in Afrika Schweine in sehr kargen Verschlägen erlebt – kleinbäuerlich heißt nicht automatisch gut. Doch der grundsätzliche Ansatz, dass eine Gemeinschaft vorrangig die Lebensmittel verzehrt, die in ihrem Umfeld und unter Nutzung ihrer örtlichen Ressourcen herstellbar sind, finde ich als Grundgedanken schon mal richtig. Auf jeden Fall war die Ernährungsweise vor 100 Jahren dem Ziel der Klimaneutralität sehr viel näher, als wir es heute sind.

Die Planetary Health Diet

Bei der Weltklimakonferenz von Paris wurden 2015 verbindliche Ziele festgelegt, wie die internationale Staatengemeinschaft durch die Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen die Erderwärmung dauerhaft begrenzen soll. Wie schon erwähnt spielt die Erzeugung von dem, was wir täglich essen, dabei eine maßgebliche Rolle. Ein konkretes Regelwerk, wie eine klimagerechte Ernährung der Menschheit künftig aussehen könnte, ist also eine ziemlich gute Idee.

Als Reaktion auf die Pariser Klimaziele bildete sich die EAT Lancet Commission, ein Zusammenschluss von 37 Wissenschaftlern aus aller Welt, Ernährungsexperten und Klimaforschern. 2019 hat diese Gruppe in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet einen Report veröffentlicht, zu der sogenannten »Planetary Health Diet«.3 Darin entwerfen sie ein Ernährungskonzept, das dabei helfen soll, die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Die Autoren der Studie schlagen dafür Standardmengen verschiedener Produktgruppen vor, die täglich auf unseren Tisch kommen sollten.

Ich habe die Zahlen der EAT Lancet Commission spaßeshalber mal mit denen des Münsteraner Historikers zu unserer Ernährungsweise im Jahr 1850 verglichen – im Prinzip wären wir mit dem klimaschonenden Ernährungskonzept der Studiengruppe ziemlich genau wieder da, wo unsere Vorfahren vor Anbruch der Industrialisierung schon mal waren.

Das sind die Mengen, die die Forscher empfehlen:

350 g Gemüse, davon 50 g stärkehaltig, z. B. Kartoffeln250 g Milchprodukte232 g Getreide200 g Obst50 g Hülsenfrüchte50 g Nüsse40 g Pflanzenöl28 g Fisch25 g Soja13 g Eier29 g Geflügel7 g Schwein7 g Lamm oder Rind

Satt wird man davon allemal … und man wäre, was die Aufteilung betrifft, ziemlich nah dran am Kindheitsessen meines Großvaters.

Entscheidungen, schwer gemacht

Mir ist klar, dass wir nun nicht plötzlich alle anfangen können, im Hinterhof Schweine oder Hühner zu halten. Ich habe einen relativ geräumigen Keller, aber eine Vorratshaltung, wie sie meine Vorfahren betrieben haben, würde schnell meine Möglichkeiten sprengen, mal ganz abgesehen davon, dass ich nicht so richtig weiß, wann ich das viele Obst und Gemüse, das ich nirgendwo anbauen kann, einkochen sollte.

Aber schon der Versuch, gezielt die Produkte einzukaufen, die wenigstens aus der Region kommen, muss zwangsläufig scheitern. Mal angenommen, Sie würden zwei Sorten Erdbeerjoghurt in Ihrem Supermarkt vorfinden – in meinem Beispiel steht der Supermarkt in München, weil ich da zu Hause bin: Joghurt Nummer eins wurde aus Allgäuer Milch hergestellt; die Erdbeeren kommen von einem Obstbauernhof am Bodensee. Gesüßt wurde der Erdbeerjoghurt mit Rübenzucker aus Bayern. Joghurt Nummer zwei besteht aus diversen Milchkomponenten: Die Sahne stammt aus Frankreich, das Milcheiweiß aus Polen, der Milchzucker aus Rumänien. Nächste Woche sind die Herkunftsländer womöglich schon wieder andere, das hängt von der jeweiligen Preisentwicklung ab. Die Erdbeeren hatten einen richtig weiten Weg: Sie sind tiefgekühlt in Schiffscontainern aus China angereist. Die Süße stammt von brasilianischem Zuckerrohr. Nehmen wir mal weiter an, dass der heimische Joghurt etwas teurer ist, sagen wir 20 Cent mehr pro Becher.

Ich bin mir sehr sicher, dass der teurere Joghurt trotzdem gut verkauft würde. Und ich habe dafür auch einen Beleg: Es gibt in Oberbayern die Molkerei Berchtesgadener Land, die sehr nachhaltig wirtschaftet, in vielerlei Hinsicht: Sie sammelt nur so viel Milch ein, wie sie zuverlässig vermarkten kann – obwohl es viele weitere Bauern gäbe, die ihre Milch gerne dort abliefern würden. Sie bezahlt ihren Bauern einen fairen Preis – in den letzten Jahren war das regelmäßig der höchste Milchpreis in ganz Deutschland. Sie unterstützt ihre Lieferanten beim tiergerechteren Umbau der Ställe. Die Milch ist im Supermarkt meist die teuerste Frischmilch und schaffte dennoch 2021 in Bayern einen Marktanteil von stolzen 38,7 Prozent. Wir Kund:innen sind nämlich durchaus bereit, höhere Preise zu bezahlen. Aber wir möchten dann auch sicher sein, dass wir diesen Preis für bessere Ware bezahlen und nicht für die geschicktere Marketingstrategie.

Zurück zu meinem Erdbeerjoghurt: In einer idealen Welt würde ich beim Einkaufen erfahren, was ich da eigentlich kaufe. In unserer Welt jedoch erfahre ich nur, in welcher Molkerei der Joghurt schlussendlich in den Becher gefüllt wurde. Mir kommt der Joghurt also möglicherweise recht allgäuerisch vor, weil die Molkerei auf dem Becher mit ihrem Standort wirbt. Aber es gibt keine gesetzliche Verpflichtung, die Herkunft der Zutaten irgendwie auszuweisen.

Die Bezeichnung »regional«, zum Beispiel, ist kein geschützter Begriff. Jedes Bundesland hat ein eigenes Regionalsiegel, mit vollkommen unterschiedlichen Kriterien – je nach Land müssen 100, 90 oder nur 60 Prozent der Zutaten tatsächlich heimisch sein.4 Das EU-Siegel »Geschützte geografische Angabe« legt etwa beim Schwarzwälder Schinken nur fest, wie die Rezeptur aussehen muss und dass das Räuchern und Trocknen des Schinkens im Schwarzwald stattzufinden hat. Das Schweinefleisch kann aber, beispielsweise, auch aus Dänemark kommen, und verpackt wird der Schinken zumindest beim Marktführer nicht im Schwarzwald, sondern in Niedersachsen. Bis der Schwarzwälder Schinken in einem Freiburger Supermarktregal landet, kann er also schon ganz schön weit gereist sein…

Verwirrenderweise gibt es noch zwei weitere EU-Siegel, die täuschend ähnlich aussehen und jeweils etwas völlig anderes bedeuten:5 Einmal die »geschützte Ursprungsbezeichnung« beim Parmaschinken, wo die Schweine tatsächlich aus festgelegten Gegenden unweit von Parma kommen müssen und der Schinken in der Gegend verarbeitet wird – das ist also tatsächlich ein aussagekräftiges Regionalsiegel. Dann gibt es aber auch noch die »garantiert traditionelle Spezialität«, für die der so gelabelte Serrano-Schinken von überall herkommen darf, er muss nur auf die in spanischen Gebirgen6 übliche Weise hergestellt worden sein. Drei EU-Siegel mit täuschend ähnlicher Optik und komplett verschiedenen Kriterien – keine Chance für uns Kunden, das beim Einkaufen auf die Schnelle zu verstehen.

Beim Vermarkten ihrer Produkte haben Hersteller viel Spielraum für Irreführung. Vor einiger Zeit habe ich mal zu vermeintlich regionalen Lebensmitteln recherchiert. Bei dieser Gelegenheit bin ich auf einen Kräuterfrischkäse gestoßen, der sehr regional daherkam. Weiß-blaue Raute und »von hier«-Kennzeichnung am Regal im Supermarkt, die Molkerei, wo der Frischkäse produziert worden war, hatte ein bayerisches Gebirge im Namen. Gewürzt war der Frischkäse mit Kräutern wie Petersilie und Schnittlauch, Lauchzwiebeln und Knoblauch – alles Zutaten, die in Bayern wachsen. Anderswo wachsen sie allerdings billiger. Es brauchte mehrere Mails und dauerte geraume Zeit, bis sich die Pressestelle dazu bequemte, mir die Ursprungsländer ihrer Zutaten mitzuteilen. Der Knoblauch und der Schnittlauch kamen aus China, die Zwiebeln aus den USA. Ganz schön viele CO2-relevante Schiffskilometer, die mein vordergründig so bayerischer Frischkäse auf der Uhr hat, bevor er das Münchner Kühlregal erreicht.

Staatlich verordneter Etikettenschwindel

Ich bin keine Freundin von reflexhaftem EU-Bashing. Aber manchmal frustriert es mich schon, wie sehr man dem Regelwerk der EU in Bezug auf Lebensmittelkennzeichnung die Arbeit hochbezahlter Lobbyist:innen anmerkt.

Ich habe für einen Film über regionale Lebensmittel vor einigen Jahren in der Schweiz gedreht. Die Verbraucherschützerin, mit der ich dort zu tun hatte, war bis zu meinem Besuch der Ansicht, dass die Herkunftskennzeichnung in der Schweiz äußerst kritikwürdig sei. Dabei sind die Vorschriften bei den Eidgenossen viel transparenter als bei uns: Produzenten müssen die Herkunft einer Zutat angeben, sobald sie mindestens 50 Prozent des zubereiteten Produkts ausmacht, etwa die Milch bei einem Joghurt. Bei Fleisch ist die Kennzeichnung bereits ab 20 Prozent verpflichtend, zum Beispiel das Rindfleisch in einer Lasagne. Auch für eine sogenannte »wertgebende« Zutat muss der Hersteller die Herkunft angeben, etwa das Ursprungsland der Haselnüsse in einer Tafel Schokolade, obwohl die nur einen recht kleinen Prozentsatz ausmachen. Die Verbraucherschützerin störte sich an den Prozentsätzen – und staunte, als ich ihr die viel verbraucherfeindlichere Rechtslage in der EU schilderte.

In der EU können wir nämlich von einer solchen Klarheit nur träumen. Bei verarbeiteten Lebensmitteln muss die Herkunft einzelner Zutaten nur sehr begrenzt dargelegt werden. Als »Ursprungsland« gilt das Land, in dem der letzte Verarbeitungsschritt stattgefunden hat. Seit 2020 muss zumindest die sogenannte »Primärzutat« dann gekennzeichnet werden, wenn sie nicht aus dem Ursprungsland stammt und die Verbraucher:innen durch die Aufmachung des Produkts getäuscht werden könnten. Sie sind jetzt etwas verwirrt? Grämen Sie sich nicht, Sie sind in bester Gesellschaft! Ich habe auch eine Weile recherchieren müssen, bis ich verstanden habe, was damit gemeint ist. Diese angebliche verbraucherfreundliche Neuregelung ist in der Praxis genauso kompliziert, wie es beim ersten Lesen klingt.

Nehmen wir mal das Beispiel Dosentomaten. Auch wenn der Hersteller in Italien sitzt, stammt der Inhalt der Dose mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aus China. 2019 produzierte das Land laut UN-Landwirtschaftsorganisation 40 Prozent der weltweit geernteten Tomaten, und das überwiegend für den Export. Diese Tomaten kommen gehäutet in Containern beispielsweise in Genua an. Dort werden sie in Dosen umgefüllt und sind damit – als verarbeitetes Produkt mit letztem Verarbeitungsschritt auf italienischem Boden – Tomaten mit Ursprung »Italien«. Dass sie gar nicht in Italien geerntet wurden, muss nur dann angegeben werden, wenn eine italienische Flagge auf der Dose diesen Eindruck erwecken würde. Oder wenn explizit »Tomaten aus Italien« auf der Dose stünde. In diesem Fall würde aber auch »Herkunft: Nicht-EU-Land« genügen. Oder »Herkunft der Tomaten nicht aus Italien«. Wenn aber einfach nur der Genueser Fabrikant mit seiner Adresse auf der Dose genannt wird, muss die Herkunft des Inhalts nicht deklariert werden. Haben Sie jetzt verstanden, in welcher Dose ganz sicher keine chinesischen Tomaten sind? Nein? Kein Wunder – das sind Regeln für juristische Proseminare, aber nicht für einen schnellen Abendessenseinkauf.

Wenn also die vorhin schon mal erwähnte Allgäuer Molkerei ihren Frischkäse mit dem Label »Ursprung: Allgäu« versieht, macht sie juristisch dennoch alles richtig. Denn die Milch, aus der der Frischkäse besteht, wurde in der Molkerei »hergestellt«. Die Herkunft einzelner Milchbestandteile ist nicht kennzeichnungspflichtig. Die Herstellerseite wehrt sich gegen mehr Transparenz oft mit dem Argument, dass es in einem globalisierten Markt so ungeheuer schwierig sei, alles immer korrekt aufzuschlüsseln. Meine Erfahrung bei solchen Recherchen ist jedoch, dass die Industrie eigentlich immer erstaunlich präzise sagen kann, wo sie die einzelnen Zutaten eingekauft hat. Also warum diese Informationen nicht mit uns teilen?7

Auf den ersten Blick ganz einfach ist die Rechtslage bei unverarbeiteten Produkten. Da muss der Herkunftsort immer angegeben werden. Oder vielmehr: fast immer. Eine Reihe von Obst- und Gemüsesorten8 sind davon ausgenommen, darunter Früh- und Speisekartoffeln, frische Bananen und Kokosnüsse. Warum? Keine Ahnung, vielleicht waren da gut aufgestellte Lobbyvereine am Werk … Ein richtig guter Grund, warum diese Regel Sinn ergeben sollte, ist mir auch bei längerem Nachdenken nicht eingefallen, und ich habe bei meinen Recherchen auch niemanden gefunden, der mir das hätte erklären können.

Dafür ist zumindest die Definition des Ursprungslandes klarer als bei verarbeiteten Produkten: Bei Obst und Gemüse etwa bezeichnet »Ursprung« den Ort, wo geerntet wurde. Möglicherweise haben die EU-Verantwortlichen beim Erstellen dieser Regel indes nicht mit dem Einfallsreichtum mancher Produzenten gerechnet. Vor einiger Zeit machten mein Sohn und ich für eine ZDF-Reportage einen Selbstversuch. Wir wollten uns einen Monat lang nur von regionalen Lebensmitteln ernähren. Weil mein Sohn keine bayerischen Champignons im Supermarkt bekam, brachte er eine Packung Pilze von der Schwäbischen Alb mit. Ursprung Laichingen, das schien uns von der Entfernung zu München her noch vertretbar. Umso verblüffter war ich, als ich dann den Betrieb besichtigen durfte, wo unsere vermeintlich regionalen Champignons herstammten. Der Besitzer präsentierte mir seine Champignonbeete und erzählte, dass die vor 48 Stunden noch über 600 Kilometer weiter nördlich in den Niederlanden gestanden hatten. Kurz vor der Ernte wurden die mobilen Beete auf LKW geladen und zum »Ursprungsort« transportiert. Diese Praxis ist mittlerweile sogar höchstrichterlich abgesegnet. Die Wettbewerbszentrale hatte dagegen geklagt, wegen Irreführung, und schließlich vor dem EuGH verloren. Die Richter konstatierten, dass das in der Tat für die Kundschaft etwas irreführend sei. Weil aber die Kennzeichnung dem geltenden Zollkodex der EU entsprach, hatte die Pilzfirma nichts falsch gemacht.

Jetzt kann man natürlich diskutieren, ob es nicht der Produktqualität nutzt, wenn die abgeschnittenen Champignons kurze Wege in den Supermarkt und auf unsere Teller haben – je frischer, desto besser schmeckt es. Eine Vertreterin der Verbraucherzentrale Bayern erzählte mir mal, dass Ähnliches bei Kräutern üblich sei – die würden in Polen gezogen und dann zum frisch Ernten nach Deutschland gekarrt. Der Ökobilanz jedoch nutzt das alles eindeutig nicht. Und wenn wir eine Chance haben wollen, unseren Klimarucksack beim Essen zu reduzieren, dann brauchen wir Informationen, die uns dabei helfen und für möglichst große Transparenz sorgen. Felix Helvetia …

Klimafreundlich essen – Das Wichtigste in Kürze:

 Die »Planetary Health Diet« ist eine gute Richtschnur für eine klimafreundliche Ernährung: wenig Fleisch, dafür viel Gemüse und Hülsenfrüchte.

 Kurze Wege schonen das Klima – deswegen nach Möglichkeit regional einkaufen.

 »Regional« ist kein geschützter Begriff. Anders als bei »bio« gibt es kein festes gesetzliches Regelwerk, das die Kriterien festlegt.

 Auch auf Herkunftsbezeichnungen ist nicht immer Verlass. Deshalb genau hinschauen. Steht auf der Dose explizit »italienische Tomaten«, dann muss das auch so sein. Bei schwammigen Formulierungen lieber Finger weg!

 Wer seinen Speiseplan konsequent nach den Jahreszeiten ausrichtet, vermeidet Energieverbrauch beim Heizen von Gewächshäusern oder Beeten und wird mit einem höheren Nährstoffgehalt belohnt.