Aberland - Gertraud Klemm - E-Book

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Gertraud Klemm

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Beschreibung

Bürgerliche Mütter, bürgerliche Töchter: ein bitterböses Porträt zweier Frauen-Generationen Elisabeth, 58, versucht würdevoll zu altern. Ihr gutbürgerliches Leben ist am ehesten charakterisiert durch das, was sie alles nicht getan hat: sie hat nicht studiert und nicht gearbeitet, sie hat ihre Kinder nicht vernachlässigt und ihren Mann nicht mit dem Künstler Jakob betrogen, sie hat der Schwiegermutter nicht die Stirn geboten und stellt noch immer nicht den Anspruch, ins Grundbuch der Jugendstilvilla eingetragen zu werden. Mit Zynismus und verhaltener Selbstreflexion beobachtet sie das Altern der Frauen um sie herum. Und sie beobachtet ihre Kinder, vor allem Franziska, 35, die zu Wutausbrüchen neigt, mit den Anforderungen der Gesellschaft an ihre Mutterrolle hadert und die theoretische Gleichberechtigung von Mann und Frau im Alltag nicht einlösen kann. Auch sie hat ihre Visionen nicht verfolgt, weder beruflich noch privat, und begnügt sich mit einem fast fertigen Studium und einem fast geliebten Mann. Es scheint, als habe sich dieser zahnlose Feminismus von einer Generation an die nächste vererbt. Gertraud Klemm, die mit einem Kapitel aus diesem Roman den Publikumspreis in Klagenfurt gewann, schildert eine gesellschaftliche Situation, in der mit viel 'ja – aber' die wichtigen Entscheidungen verschoben und verhindert werden, und ihr Blick auf die Lage ist gnadenlos, bissig und (aus Verzweiflung?) wahninnig komisch.

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Seitenzahl: 242

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Gertraud Klemm

 

 

Aberland

Roman

 

 

 

 

 

Literaturverlag Droschl

A home filled with nothing but yourself. It’s heavy, that lightness. It’s crushing, that emptiness.

Margaret Atwood, The Tent

1Franziska

Das rote Billet in halber Herzform ist sichtlich von Kinderhand ausgeschnitten worden, Franziska klappt es auf, auch die Zeichnung lässt keine Zweifel offen, in der Mitte des Herzens eine Art Qualle, das soll wohl sie sein, sie wird das Billett auf die Küchenablage stellen, wo es sich einen feinen Fettfilm zulegen darf, bevor sie es im Sommer in die Aufbewahrungsbox legen wird, auf die ersten Handabdrücke in Fingerfarben, die kleinen Wollküken und die invaliden Kastanientiere, sie heben alles auf, was Manuel im Kindergarten produziert, die sogenannten Zeichnungen, auch wenn da gar nichts ist außer einer zornigen Linienführung, am Monatsende erfolgt die Übergabe an die Mutter, kein großer Künstler, sagte die Pädagogin unlängst lapidar, wie fast alle Buben, sie sieht Manuel, die Faust trotzig um den Stift geschlossen, wie er auf das Papier einsticht und dabei ist, es aufzuschlitzen, käme nicht die geübte Pädagoginnenhand ins Bild und sorgte dafür, dass es auch wirklich eine Zeichnung wird, jetzt muss sie aber erst einmal sitzen bleiben, das mit dem Frühstück hat schon ganz gut geklappt, Tom hat sich bemüht, er tut es noch, er trägt das schmutzige Geschirr einzeln zum Küchenblock, wie viel Zeit er mit seiner Umständlichkeit vergeudet, und er trägt die Teller schief, eine mehrspurige Bröselbahn hinter sich herziehend, Franziska ist angehalten worden, heute sitzen zu bleiben und endlich einmal Zeitung zu lesen, sie kann ihnen natürlich auch beim Arbeiten zusehen, also erfreut sie sich entschlossen an ihrer Familie, sie hört die Stimme ihrer Mutter, Franziska hat einen sportlichen Tiroler geheiratet, der sich als liebevoller Ehemann herausgestellt hat und, was noch wichtiger ist, als leidenschaftlicher Vater, und sie versucht gnädig zu sein mit ihrer Mutter, wann, wenn nicht heute.

Er übernimmt die Aufgaben, die sie versucht auf ihn zu übertragen, Stück für Stück, nie sieht er das große Ganze, leider, aber geht es nicht ums Einander-Verzeihen, ums Hinwegsehen über die kleinen Hügel der Inkompatibilität, hinter ihnen eine abendstimmige Vergangenheit, vor ihnen eine sanft morgengerötete Zukunft, doch, das können sie ganz gut, aber reicht es, um sie von der Notwendigkeit eines zweiten Kindes, jetzt, zu überzeugen, keine Babysehnsucht, leider, ist ein Kind nicht genug, denkt sie, nein, da legt sich der Tiroler in Tom quer, mindestens zwei zur Arterhaltung, ab drei wird es erst eine richtige Familie, Bergbauernkind, Tom steckt die Teller in den Geschirrspüler, ohne sie vorher abzuspülen, während Manuel mit dem Bobby Car um den Küchenblock rast, und die Teller stecken nicht parallel, das sieht man doch schon von hier, aus der Perspektive der abkommandiert faul bei Tisch Sitzenden, natürlich keine Katastrophe, sondern einfach ein Ärgernis, ein kleines Versagen, ein weiteres Argument gegen ein zweites Kind, jetzt, Manuels Lärm an- und abschwellend, eine Kreissäge, die ihre Gedanken filetiert, von hier sieht sie auch die glänzenden Flächen des Küchenblocks, Tapp- und Schmierspuren formen einen milchigen Gürtel, der das Lackfurnier umspannt, die Vormittagssonne sieht alles, ihre Bulthaup-Küche, dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, das Prestigeobjekt in ihrem Haus, erst Manuels Gehhilfe und dann Aktionsfläche für seine speichelreichen Küsse, immer hat sie Bluthaupt gelesen und sich gedacht, was für ein geschäftsschädigender Name, es würde doch schon reichen, die Notwendigkeit eines zweiten Kindes zumindest anzuzweifeln, und immer nur reden sie über ein zweites Kind, jetzt, das Schlimmste ist zwar schon vorbei, die Zeiten, als Manuel halbzerkaute Nahrungsreste und Speichel mit der ganzen Hand zu einem Brei verrieb, auf dem Holzboden, auf den Glastüren, der Gedanke an eine Neuauflage des Schwarzbuchs Kind, plus Verdoppelung von allem, was immer an den Frauen hängen bleibt, Wäsche, Windeln, wache Nachtstunden, Okkupation im Bett, am Schoß, der heute immer noch selbstverständliche Griff in Franziskas Ausschnitt, obwohl Manuel schon vor Jahren abgestillt werden wollte, eine kleine Panik bäumt sich auf, und dazu eine Wut auf Tom und seinen anmaßenden Lebensplan, sie veratmet beides, Ujjayi, die siegreiche Atmung durch die Stimmritzen, der Ozean in ihrem Kopf rauscht sanft, Manuel hilft mit, beherzt trägt er seinen Becher hinter Tom her, Tom lächelt, sieh her, heißt dieses Lächeln, das kann er schon, man kann nie früh genug beginnen, oder, und sie lächelt zurück und denkt, ein Tag im Jahr ist nicht genug, und auch jedes Wochenende wäre nicht genug, es ist nie genug, Schatz, und wir werden wieder darüber diskutieren, wie so oft in letzter Zeit, Abende, die mit einer guten Flasche Wein beginnen und auf eine harmonische Zweisamkeit zulaufen, werden auf halber Strecke entgleisen, jede Familie hat so ihr Thema, bei ihnen war es der Altersabstand der Kinder, Toms Blick wird wieder weinerlich werden, weil der Altersabstand sich bedrohlich vergrößert, während sie darüber diskutieren, wächst die Kluft zwischen den Geschwistern, die er immer mit ausgebreiteten Armen nachgestikuliert, ist das nicht ein Justament von ihm, wenn ich nun nicht nur kein zweites Kind, jetzt, will, denkt sie, sondern gar kein zweites mehr, man müsste dankbar sein für seine Fruchtbarkeit, man müsste die Arme ausbreiten und das Leben einfangen, sie sieht sich den brüllenden Manuel in seinem Stubenwagen mustern, wie sie ihn nicht schon wieder anlegen kann und ihn nicht herumtragen will, wie sie nicht auf diesem schrecklichen Gymnastikball wippen will wie eine Schwachsinnige, so steht sie vor dem Stubenwagen und starrt in das dunkelviolette, vibrierende Loch hinein, aus dem sie die Schallwellen kommen sehen kann, wie sich die Luftmoleküle unter dem Gebrüll verschreckt zusammenpressen und in den Raum geschleudert werden, wie das Gebrüll sich in jedes Eck des Hauses verbreiten wird und immer neues Gebrüll nachproduziert wird, ausgehend von der Bauchmuskulatur ihres Kindes, das irgendein Problem hat, aber immer noch Kraft, sie sieht sich das Kind aus dem Stubenwagen nehmen und es weit von sich strecken, die Arme werden ihr schwer von den dreieinhalb Kilo, die sie nicht in Berührung bringen will mit ihrem eigenen Körper, lachhaft, es ist schon lange nicht mehr ihr Körper, es ist jedermanns Luststätte, Labstelle, Raststätte, Brutraum, und mittendrin der glasklare Gedanke, ihn einfach fallenzulassen, um endlich schlafen zu können, und ein paar Momente später die Reue mit einer Schärfe, als hätte sie es wirklich getan, der Wunsch nach Selbstzüchtigung, als er drei Wochen alt war, sechs Wochen, der kleine rosa Brüllapparat, der Parasit, sein gerillter Gaumen hatte sich an ihrer Brust festgebissen, die zwar schon unempfindlicher war, aber immer noch durch eine opake Nabelschnur Milch abstottern musste, Schreibaby heißt der Fachbegriff lapidar, Tom verstand, dass Schreibabys schreien müssen, Franziska nicht, sie konnte mit den guten Ratschlägen, die in der Schreibabyambulanz am Fließband ausgegeben wurden, nichts anfangen, sie war eine dieser Frauen, die wie Zombies in den Gängen wandelten und ihre defekten Kinder hilfesuchend von Psychologinnen und Kinderärzten inspizieren ließen, einzig die Säuglingsschwester, die in der Aufnahme saß und die Daten einklopfte, hatte ein bisschen Mitgefühl für sie, von ihr kam auch der Tipp mit der Stimmritzenatmung, sie legte ihre fleischige Hand auf Franziskas Schulter, vier ein, zwei halten, vier aus, zwei halten, Franziska nickte und atmete und wollte ihren Kopf in den weichen Schoß der Schwester legen, heulen und alles gestehen, was fast passiert wäre, sie wollte, dass die Schwester mit dem zu engen Mäntelchen sie an die Hand nahm und mit ihr den Abgrund begutachtete, den Franziska und nur Franziska gesehen hatte, und dann hätte die Schwester ihre Grübchen lachen können und sagen: Das ist doch ganz normal, und glauben Sie mir: Sie werden Ihrem Kind nichts antun.

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