5,99 €
War sagt denn, dass wir den Politikern weiterhin einen Blankoscheck für vier Jahre ausstellen müssen?
Es ist Zeit für ein neues politisches System, in dem der Bürger weit mehr zu sagen hat, als Souverän agiert und auch die entsprechenden Befugnisse hat.
Das Buch analysiert die Schwächen des jetzigen bundesdeutschen Politik- und Parteiensystems und skizziert eine neue Art von Partei, die Proxy Partei. Diese fragt ihre Mitglieder nicht nur aktiv nach ihrer Meinung, sondern lässt diese auch entscheiden.
REZENSION
„Die Vision eines neuen Parteienmodells von Peter Monien ist durchdacht und bietet viele Anknüpfungspunkte, Demokratie direkter zu gestalten und dabei den technologischen Fortschritt zu nutzen. Das Buch stellt hierbei die richtigen Fragen und nähert sich auf pragmatische und umsichtige Weise der Frage nach mehr Bürgerbeteiligung auf Bundesebene. Das entworfene Modell hat das Potential, die bestehenden Parteien überflüssig zu machen. – Projizieren wir unsere Präferenzen prozentgenau ins Parlament! Per Proxy-Partei.“
-mdmagazin 3-2019 von Mehr Demokratie e.V., Seite 21-22
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2020
Peter Monien
Abkürzung zur direkten
DEMOKRATIE
Das Unmögliche
im jetzigen System
erreichen
Version 3.3
IMPRESSUM
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Unabhängig publiziert über Bookrix
Peter Monien
c/o AutorenServices.de
Birkenallee 24
D-36037 Fulda
Alle Rechte vorbehalten
demokratie-upgrade.de
Wollen wir den Parteien weiterhin für vier Jahre einen Blankoscheck auszuhändigen?
WIDMUNG
Für alle ..
.. die von der Politik enttäuscht sind
.. die noch etwas verändern wollen
.. die noch nicht aufgegeben haben
.. die auf der Suche nach einer Lösung sind
.. die immer noch hoffen
Speziell für
.. alle Nichtwähler, die bewusst nicht wählen gehen, um das jetzige System nicht zu legitimieren.
INHALT
Einleitung
TEIL I – PROBLEME
1. Krise der Repräsentation
2. Repräsentationsschwäche des politischen Systems
3. Macht und Bürgerferne
4. Macht und fehlende Kontrolle 4.1 Stimmabgabe mit integrierter Beerdigung 4.2 Kontrollorgane der Bundesrepublik Deutschland 4.3 Fehlende Gewaltentrennung4.4 Folgen der fehlenden Gewaltentrennung4.5 Ausweitung der Rechte der Exekutive und Selbstermächtigung
5. (Demokratieschwächender) Widerspruch im deutschen Grundgesetz?
6. Selbstbedienung der etablierten Parteien 6.1 Parteienfinanzierung 6.2 Ämterpatronage
7. Beeinflussung der Vertreter der repräsentativen Demokratie 7.1 Wie viele Lobbyisten gibt es? 7.2 Wie können die Lobbyisten die gewählten Vertreter beeinflussen? 7.3 Wen werden die Lobbyisten zu beeinflussen versuchen? 7.4 Sind Lobbyisten generell abzulehnen?
8. Beeinflussung der Wähler in einer direkten Demokratie 8.1 Direkte Bestechung einzelner Wähler 8.2 Beeinflussung des Wählers durch Parteien8.3 Beeinflussung durch Interessenvereinigungen8.4 Beeinflussung durch Statistiken8.5 Beeinflussung durch Medien
9. Kann man dem Bürger diese Macht anvertrauen? 9.1 Befürchtungen der Kritiker 9.2 US-Untersuchung widerlegt die Befürchtung der Kritiker 9.3 Ermutigende Erfahrungen mit neuen Bürgerbeteiligungsmodellen 9.4 Gefahr der Unterdrückung von Minderheiten? 9.5 Einige wichtige politische Themen
TEIL II – LÖSUNGSANSATZ
10. Keine neue Partei, sondern eine neue Art von Partei10.1 Vertrauen alleine reicht nicht10.2 Vertrauenswürdigkeit nachweisen
11. Die Proxy Partei als Weg zur direkten Demokratie11.1 Warum eine Proxy Partei?11.2 Proxy Partei und Proxy-Abgeordneter11.3 Proxy Partei als Weg zur direkten Demokratie11.4 Liquid Democracy in der Proxy Partei11.5 Welche Aufgaben haben die Abgeordneten? 11.6 Muss es eine Parteiführung geben? Welche Aufgaben hat diese?
12. Bestimmung der Kandidaten 12.1 Profil von Direktwahlkandidaten 12.2 Profil von Listenkandidaten 12.3 Bestimmung der Kandidaten mit einem besseren Wahlsystem
13. Themenfindung und Abstimmung über Themen
14. Kernthemen der Proxy Partei 14.1 Basisdemokratie 14.2 Transparenz 14.3 Medien 14.4 Ergänzende Themen
15. Aus den Kernthemen abgeleitetes Wahlprogramm
16. Software Systeme für die Proxy Partei 16.1 Sicherheit 16.2 Eigenschaften als Wahlsystem und als Koordinationssystem
17. Fragen zur Proxy Partei
18. Wichtigste potentielle Angriffsvektoren und Abwehrmaßnahmen
19. Gab es das nicht schon mit der Piratenpartei und ist gescheitert?19.1 Gründe für den Aufstieg und Fall der Piratenpartei in Deutschland 19.2 Selbstreflexion und Ausblick 19.3 Abgeleitete Erfolgsfaktoren für die Proxy Partei 19.4 Wie ist die Proxy Partei anders als die Piratenpartei?
20. Warum reicht es nicht, einzelne Proxy-Abgeordnete zu wählen?
Schlusswort: Es wird Zeit!
Anhang I – Die Gründung einer Partei
Anhang II - Unterstützung von Direktwahlkandidaten
Anhang III – Erste Ideen zum Prozess für Themenvorschläge
Anhang IV - Mini Publics, Beispiel AmericaSpeaks
Anhang V – Sonstige wichtige politische Themen
Anhang VI – Versionsupdates
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beide Geschlechter.
Der Bürger fühlt sich ohnmächtig gegenüber den Entwicklungen, die ihn überrollen. Die Globalisierung wird wie eine Naturgewalt wahrgenommen, die unaufhaltsam das eigene Leben verändert. Die Löhne der Mittelschicht steigen laut einem OECD -Bericht [1] weniger schnell als die Lebenshaltungskosten. 11% der Haushalte der Mittelklasse der OECD-Staaten sind überschuldet. Ein geringes oder mittleres Ausbildungsniveau reicht immer seltener, um sich in der Mittelschicht halten zu können. Aufkommende neue Technologien gefährden den Arbeitsplatz. Der Bürger fühlt sich abgehängt und hat Angst vor dem sozialen Abstieg.
Es existiert kein Adressat für dieses Ohnmachtsgefühl [2]. Die Politiker der großen Parteien verweisen darauf, dass es die unaufhaltbaren Gesetze des Marktes sind und man ebenso gut versuchen könnte, die Welt anzuhalten. Diese sprechen den Bürgern auch ab, über die heutigen komplexen Themen selber entscheiden zu können; deshalb entscheiden sie für die Bürger.
Die Stimme des Wählers ist alle vier Jahre gefragt. Dann gibt er seine Stimme ab, in die Wahlurne. Damit beerdigt er auch fast alle Einflussmöglichkeiten, die ihm das politische System zugesteht.
Für ihn ändert sich nach der Wahl meist nicht viel. Daher hat er auch das Gefühl, bei der Wahl nur das kleinere Übel wählen zu können. Keine der etablierten Parteien entwickelt eine mutige, langfristige Version einer lebenswerten Zukunft.
Aus dieser Ohnmacht heraus resignieren die meisten und gehen nicht mehr wählen. Aufgrund des geringen Vertrauens in die politische Elite wenden sich viele Wähler anderen Parteien zu, die (zu) einfache Antworten bieten, wie z.B. nationalistischen Parteien und ihrer Idee des „Volkes“. Diese erscheinen immer mehr als eine Alternative, die man zumindest versuchen kann. Im schlimmsten Fall entlädt sich die aufgestaute Wut in Gewalt gegenüber schwächeren Bevölkerungsgruppen.
Währenddessen interpretiert die Politik das Schweigen der Mehrheit als Zustimmung. Sie überhört bewusst das immer lauter werdende Geräusch des Zähneknirschens.
Als Resultat geht das wichtigste Kapital unseres Systems und unserer Republik verloren: Das Vertrauen in die Institutionen und die Demokratie.
Aber es sind immer noch wir selber, die über unsere Regeln und Systeme entscheiden. Wir können bestimmen, wie wir die Stärken der Marktwirtschaft nutzen können. Wir können aber auch entscheiden, wo wir sie im Zaum halten, wo sie fehlgesteuert ist: In den Bereichen der Sozialpolitik und der Umwelt. Es ist an uns, ein besseres System zu finden und gemeinsam auszuprobieren. Ein System, in dem nicht der Shareholder Value und die Steigerung des Bruttosozialprodukts an erster Stelle stehen.
Wer sagt, dass wir Politikern einen Blankoscheck für vier Jahre ausstellen müssen?
Es ist Zeit für ein neues politisches System, in dem der Bürger weit mehr zu sagen hat, als Souverän agiert und auch entsprechende Befugnisse hat. Es geht darum, die politische Macht intelligent zu teilen und direktdemokratische Elemente einzuführen. Demokratie sollte keine Ausnahme sein, die alle vier Jahre stattfindet, sondern die Regel. Wichtige Entscheidungen sollten von den Wählern selber getroffen werden können. Diese müssen durch neutrale Informationen in die Lage versetzt werden, eine Entscheidung zu treffen.
Aber wie sollte es zu dieser Mitbestimmung kommen, wenn die alten Parteien bundesweite Volksentscheide ablehnen? Warum sollten die etablierten Parteien ihre Macht teilweise abgeben? Was ist ein, in dem jetzigen politischen Parteiensystem, gangbarer Weg, um diesen demokratischen Wandel zu erreichen?
Die in diesem Buch vorgestellte Idee einer „Proxy Partei“ ist eine Chance für eine Wiederbelebung der Demokratie. Sie würde das Engagement der Bürger in vielen Bürgerinitiativen und NGOs um einen parlamentarischen Partner ergänzen. Durch die Unterstützung dieses parlamentarischen demokratischen Champions würde ihre Arbeit schneller Früchte tragen.
Die Idee der Proxy Partei bietet eine Chance, die wir bald ergreifen sollten. Unsere demokratischen Rechte werden seit vielen Jahren massiv abgebaut und eine nichtdemokratische Führung eines Landes wird, zumindest technisch, immer machbarer.
Eine Proxy Partei würde den Wählern weit mehr ermöglichen, als sich zu organisieren, um die Politik unter Druck zu setzen. Sie würde es ihren Mitgliedern erlauben, direkt mitzubestimmen. So kann der dringend benötigte positive Wandel beschleunigt herbeigeführt werden.
Um die Notwendigkeit eines demokratischen Wandels aufzuzeigen, lade ich den Leser dazu ein, die Unzulänglichkeiten des heute gelebten politischen Systems in Deutschland zu betrachten. Danach zeige ich einen im jetzigen politischen System umsetzbaren Weg auf, der uns aus dem Dilemma heraus in eine bessere, demokratischere Zukunft führen kann. Zu der Umsetzung unterbreite ich konkrete Vorschläge. Diese sollten dabei nicht als Dogmen verstanden werden, sondern vielmehr als Diskussionsgrundlage.
Lasst uns die Chance nutzen, einen Wandel herbeizuführen, der das Wort „demokratisch“ auch verdient hat!
[1] http://www.oecd.org/publications/under-pressure-the-squeezed-middle-class-689afed1-en.htm
[2] https://youtu.be/krNrjSFstQQ, Pia Mancini, Democracy Earth Foundation, Millennials and Democracy: Apathy and Noise
Teil I - PROBLEME
Das Vertrauen in das politische System und Politiker ist bereits seit Jahren nachhaltig gestört.
Die Bürger gehen wählen. Nach der Wahl passiert etwa Folgendes:
Parteien gehen eine von ihren Wählern nicht gewünschte Koalition einKoalitionsverhandlungen führen dazu, dass die Wahlversprechen der eigenen Partei nur teilweise durchgesetzt werden können und gar nicht erst ins Koalitionspapier gelangen.Beschlüsse scheinen oft weniger mit logischem Denken und gesundem Menschenverstand als mit Wahlversprechen, Gefälligkeiten u.ä. zu tun zu haben.Lobbyisten nehmen Einfluss auf PolitikerWichtige Themen werden in Hinterzimmer-Deals beschlossenEtliche wichtige Themen werden teilweise noch nicht mal angefasst.Wenn etwas schiefgeht, ist es keiner gewesen (organisierte Verantwortungslosigkeit)Parlamentarier genehmigen sich, ihren parlamentarischen Mitarbeitern, den Parteien, den Fraktionen und ihren Stiftungen eine kräftige ErhöhungEhemalige Politiker erhalten als Belohnung einen gut dotierten Job
Immer und immer wieder. In praktisch jedem Land. Weltweit.
Fast nie korrigiert die „Stimme des Volkes“ die politische Beschlusslage. Wenn überhaupt geschieht dies über Initiativen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Bei jedem Thema muss immer erst genügend Druck aufgebaut werden. Das ist sehr aufwendig. Selten kommen, nach einigen Verzögerungen, nur kleine Zugeständnisse dabei heraus, die dann auch nicht zufriedenstellend umgesetzt werden. Oder die Politiker versuchen, ein bei der Bevölkerung unbeliebtes Thema unter einem anderen Namen durchzusetzen. Politisch interessierte Bürger sind durch diese Ermüdungstaktiken frustriert, fühlen sich ohnmächtig und resignieren.
Nur in wenigen Ländern, wie der Schweiz, wird das „Wahlvolk“ auf Landesebene zu einzelnen Themen befragt. In Deutschland aber hat eine Initiative für einen bundesweiten Volksentscheid praktisch keine Aussicht auf Erfolg.
Politiker rangieren auf der Beliebtheitsskala sehr weit unten. Laut einer Spiegel Umfrage aus 2016 [1] vertrauen nur 14% der deutschen Bevölkerung Politikern „voll und ganz“ bzw. zumindest „überwiegend“. Laut einer Umfrage von Ipsos haben „nur 11 Prozent der Menschen in den 27 Befragungsländern .. den Eindruck, dass traditionelle Politiker und Parteien sich um Menschen wie sie kümmerten.“ [2] In den USA glauben lediglich 18% der Amerikaner, dass sie ihrer Regierung „fast immer” (3%) oder „die meiste Zeit” (15%) vertrauen können. [3] Es ist kein Wunder, dass die Politikverdrossenheit der Bevölkerung mit jedem Jahr zunimmt.
Laut einer Forsa Umfrage [4] empfindet jeder vierte Wahlberechtigte „die Politiker, ihre großspurigen Rituale, das Phrasenhafte ihres Auftretens und die Fragwürdigkeit ihrer Leistungen als das drängendste Problem der Gegenwart.“
Viele Wähler fühlen sich ohnmächtig. Sie gehen zwar alle vier Jahre wählen und geben Ihre Stimme ab, können dann aber nur noch mit großen Augen zuschauen, was „die Politiker“ daraus machen.
Der Wähler fühlt sich nicht gehört und nicht repräsentiert und hat damit (zum größten Teil) recht.
Dies belegt ein ursprünglich 60 Seiten langer Ergebnisbericht einer empirischen Studie [5] der Universität Osnabrück. Diese untersuchte die Zustimmungsrate der Bevölkerung zu ca. 250 Sachfragen und deren politische Umsetzung. Dessen Ergebnisse sollten in den 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung [6] einfließen. Im Originalbericht wurde mehrfach von einer „Krise der Repräsentation“ gesprochen. Das Ergebnis war brisant:
Für die Gruppe der Einkommensstärksten konnte ein deutlich positiver Zusammenhang zwischen dem Wählerwillen und der politischen Umsetzung nachgewiesen werden.Kein Zusammenhang konnte für die Mittelschicht nachgewiesen werden. Das heißt: Deren Wünsche sind der deutschen Politik egal.Für die armen Bevölkerungsgruppen konnte ein negativer Zusammenhang nachgewiesen werden. Wörtlich heißt es, „dass die Wahrscheinlichkeit auf Umsetzung sogar sinkt, wenn mehr Menschen aus der unteren Einkommensgruppe eine bestimmte politische Entscheidung befürworten“. Was bedeutet: Die Regierung ignoriert die Armen nicht nur, sondern arbeitet praktisch gegen deren Willen.
Dass wir die brisanten Ergebnisse des Originalberichts sowie dessen Schlussfolgerungen überhaupt zu sehen bekamen, haben wir der Organisation Lobbycontrol [7] zu verdanken. In einer Pressemitteilung vom 15.12.2016 [8] wird Christina Deckwirth von Lobbycontrol wie folgt zitiert:
„Die Bundesregierung zensiert die unliebsamen Ergebnisse ihrer eigens in Auftrag gegebenen Studie. Das ist Realitätsverweigerung. Die vom Arbeitsministerium in Auftrag gegebene Studie zeigt deutlich: Wer mehr Geld hat, dessen Interessen werden eher von der Politik umgesetzt. Einkommensschwache haben dagegen so gut wie keinen Einfluss. Wenn politische Entscheidungen sich einseitig an den Interessen der Bessergestellten orientieren, gerät das demokratische Gleichheitsgebot ins Wanken. Die Bundesregierung könnte diesen Befund zur Kenntnis nehmen und gegensteuern. Stattdessen greift sie zur Zensur. Das ist einer Demokratie nicht würdig.“
Änderungen, die laut den Recherchen von Lobbycontrol vorgenommen wurden [9], waren u.a.:
„In einer früheren Version, die noch nicht von den anderen Ministerien bewertet wurde, hatten die Autoren des Berichts die Studie ausführlich dargestellt. In der aktuell vorliegenden Version wurde nun der Teil, der die Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und politischen Entscheidungen darstellt, weitgehend gelöscht. Die Bundesregierung zensiert also die unliebsamen Ergebnisse ihrer eigens beauftragten wissenschaftlichen Studie.“Die folgende Passage wurde laut Lobbycontrol komplett gelöscht: „„In Deutschland beteiligen sich Bürgerinnen mit unterschiedlichem Einkommen nicht nur in sehr unterschiedlichem Maß an der Politik, sondern es besteht auch eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen. Damit droht ein sich verstärkender Teufelskreis aus ungleicher Beteiligung und ungleicher Responsivität, bei dem sozial benachteiligte Gruppen merken, dass ihre Anliegen kein Gehör finden und sich deshalb von der Politik abwenden – die sich in der Folge noch stärker an den Interessen der Bessergestellten orientiert.“„Das Kapitel „Einfluss von Interessenvertretungen und Lobbyarbeit“ wurde gleich vollständig aus dem Bericht getilgt.“„Die Akteure, die ihre Interessen gegenüber der Politik formulieren, wurden zumindest stichpunktartig in der ersten Version genannt – fielen nun aber vollständig den Streichwünschen der anderen Ministerien zum Opfer. Hier tauchten in der ersten Version nicht nur die klassischen Verbände und Unternehmensrepräsentanzen mit ihren Lobbyvertretern auf, sondern auch Think Tanks und Stiftungen.“
Eine US-amerikanische Studie „Affluence and Influence“ [10] (Reichtum und Einfluss) der Princeton Universität von 2012 kam zu ähnlichen Ergebnissen. Auch für die US-Politik sind die Ansichten der Armen und der Mittelschicht bestenfalls irrelevant.
Die Washington Post schrieb im Mai 2016 während des noch laufenden Präsidentschaftswahlkampfes
„Viele Amerikaner, die für Außenseiterkandidaten stimmen, glauben, dass die Regierung sie weitestgehend ignoriert. Wir denken, sie haben recht.“ [11]
Zusammenfassung und Fragen
Ernüchternde Ergebnisse, belegen diese Studien doch das Versagen der Repräsentation des Bürgers durch seine gewählten Vertreter.
Es stellen sich viele Fragen:
Wie kann es zu so einer Verzerrung kommen?Was verursacht diese Nichtrepräsentation von großen Schichten der Bevölkerung?Was kann politisch unternommen werden, um die jetzige Situation zu verbessern?Gibt es eine Abkürzung zu einer direkteren Demokratie? Zu einem Modell, das es erlaubt, dass der Bürger in dem bestehenden politischen System direkt mitwirken kann, bis hin zu der direkten Einflussnahme auf die parlamentarischen Abstimmungen?
[1] http://www.spiegel.de/karriere/berufe-diesen-berufsgruppen-vertrauen-die-deutschen-a-1080403.html
[2] https://www.ipsos.com/de-de/deutsche-wollen-keinen-starken-fuhrer
[3] http://www.people-press.org/2017/12/14/public-trust-in-government-1958-2017/
[4] https://www.gaborsteingart.com/newsletter-morning-briefing/politiker-der-grosse-vertrauensschwund
[5] http://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/SharedDocs/Downloads/Service/Studien/endbericht-systematisch-verzerrte-entscheidungen.pdf
[6] https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/DE/Bericht/Der-fuenfte-Bericht/fuenfter-bericht.html
[7] https://www.lobbycontrol.de/2016/12/armuts-und-reichtumsbericht-bundesregierung-zensiert-unliebsame-studie/
[8] https://www.lobbycontrol.de/wp-content/uploads/16_12_15_PM_Zensur_im_ARB_Final.pdf
[9] https://www.lobbycontrol.de/2016/12/armuts-und-reichtumsbericht-bundesregierung-zensiert-unliebsame-studie/
[10] https://press.princeton.edu/titles/9836.html
[11] https://www.washingtonpost.com/news/monkey-cage/wp/2016/05/23/critics-challenge-our-portrait-of-americas-political-inequality-heres-5-ways-they-are-wrong/
In den meisten Ländern können Wähler frei Parteien wählen. Wählt das Land nach Mehrheitswahlrecht (z.B. USA, Großbritannien), regiert die Partei mit den meisten Stimmen. Wird nach dem Verhältniswahlrecht gewählt (z.B. Deutschland), so muss sich die Gewinner-Partei fast immer mit einer anderen Partei zu einer Koalition zusammenschließen, um eine stabile Mehrheit im Parlament zu haben.
Es wird davon ausgegangen, dass die vom Wähler gewählten Parteien die Interessen der Wähler dann bestmöglich durchsetzen.
Wie wir in der Einleitung gelesen haben, ist dies aber in der Realität für die große Mehrheit der Wähler nicht der Fall.
Wie kommt es dazu? Hier die wichtigsten Gründe:
a) Eine Partei kann den einzelnen Bürger praktisch nie zu 100% vertreten
Nach dem Ausfüllen des Wahl-O-Mats zur deutschen Bundestagswahl 2017 [1] hat kaum ein Wähler eine 100%-ige Übereinstimmung mit einer der 32 Parteien festgestellt. Und das bei nur 38 Themen. Bürger/ Wähler sind Individuen und haben individuelle Meinungen.
b) Nur wenige Themen wurden vorher mit dem Bürger abgestimmt
Alle politischen Themen in einem Partei- oder Wahlprogramm aufzunehmen, ist schlichtweg unmöglich. Selbst wenn dieses möglich wäre, würde sich wohl kein Wähler diese mehrbändigen Werke durchlesen, und erst recht nicht die von mehreren Parteien. Insofern beschränken sich die Aussagen der Parteien im Wahlprogramm auf nur einige wenige Themenbereiche. Im Übrigen muss der Wähler auf die von ihm bevorzugte Partei vertrauen. Er wählt insofern nicht nur das Wahlprogramm, sondern vielmehr auch die dahinterliegende Philosophie dieser Partei.
Hierbei muss deren Ruf nicht unbedingt der Realität entsprechen. Selbst die Namensgebung kann täuschen. Zu den meisten Themen wird sich die Partei nicht mit ihren Wählern abstimmen können. Die gewählten Repräsentanten der Partei entscheiden also bei den meisten Fragen ohne den Wählerwillen zu dieser Frage wirklich zu kennen. In der Realität arbeiten die Parteien nur mit Annahmen; diese können durchaus weitab der Realität liegen.
c) Regieren in einer Regierungskoalition verwässert die Parteiziele
Fast immer ist es so, dass eine Partei nach der Wahl nicht alleine regieren kann, sondern einen Koalitionspartner ins Boot holen muss. Nur mit diesem zusammen hat die Partei eine regierungsfähige Mehrheit im Parlament. Insofern kann keine der beiden (oder drei) Parteien ihre kompletten selbstgesteckten Ziele umsetzen. Ein Schelm wer denkt, dass diese Situation den Parteien vorab nicht bewusst ist und deshalb deren Wahlversprechen etwas größer ausfallen lässt. Oft kommt bei der neuen Regierung dann ein „Weiter so!“ mit einigen kleinen Korrekturen heraus, oft nicht zum Besseren.
d) Als Abgeordneter ist man auf seine Partei angewiesen
Ein Land zu regieren ist nicht einfach. Es müssen viele Beschlüsse gefasst und Gesetzesänderungen beschlossen werden. Diese Themenvielfalt kann ein einzelner Abgeordneter gar nicht persönlich abdecken. Insofern ist jeder Abgeordneter auf seine Partei angewiesen. Diese muss das Thema so aufbereiten, dass sich der Abgeordnete in sehr kurzer Zeit thematisch einlesen kann, um auf einer guten sachlichen Basis seine Entscheidung zu fällen.
Stattdessen hört man von allen Abgeordneten, dass sie (a) zu viele, (b) zu umfangreiche, (c) zu unstrukturierte Unterlagen erhalten, die sie (d) in einer viel zu knappen Zeit durcharbeiten müssen. Häufig kapituliert der Abgeordnete vor dieser, für ihn alleine nicht zu bewältigenden Aufgabe, informiert sich selber nur oberflächlich und folgt schlussendlich der Abstimmungsempfehlung der eigenen Partei.
Oder die Partei wählt die Abkürzung und lässt den Abgeordneten im blinden Vertrauen darauf abstimmen, dass die Parteikollegen es schon richtigmachen. Ob das dann der Verantwortung des Abgeordneten gegenüber dem Wähler gerecht wird, mag bezweifelt werden.
Dabei ist es erschreckend, wie wenige Abgeordnete über essentielle Fakten und Zusammenhänge Bescheid wissen und wie weit entfernt deren „Wissen“ von der Realität liegt. Befragungen zu dem Wissen über das aktuelle Geldsystem z.B. zeigen in praktisch allen Ländern massive Wissenslücken auf. Dies macht die Abgeordneten „lenkbarer“.
e) Als Partei zieht man externen Sachverstand hinzu
Bei der eben aufgeführten Anzahl und Breite an Themen kann auch keine Partei alleine eine gute Aufbereitung der zur Abstimmung anstehenden Themen leisten. Um in der Kürze der Zeit z.B. Entwürfe vorzubereiten, lassen sich die Personen, die die Grundlagenpapiere zusammenstellen, gerne von externer Seite beraten. Dieses ist verständlich und sogar sinnvoll, schließlich sollte eine Entscheidung auf der Basis einer guten Faktenlage und Sachverstand getroffen werden.
Von der sehr unterstützenswerten Organisation Abgeordnetenwatch [2], wird aber zurecht bemängelt, dass die Abgeordneten wesentlich öfter Lobbyisten treffen, als die Vertreter von Bürgerinitiativen oder NGOs. Es wird auch zurecht bemängelt, dass es fast immer an Transparenz mangelt, mit wem sich die Verantwortlichen getroffen haben, um sich inhaltlich auszutauschen. Sehr bedenklich sind hierbei die Leistungen, die während der Abgeordnetenzeit oder danach an die Abgeordneten fließen und so ihre Entscheidung beeinflussen können. Auf diese gehe ich noch in Kapitel 7 als eine der Schwachstellen der parlamentarischen Demokratie ein.
f) Gremien und Ausschüsse
Doch woher kommen die vorbereitenden Unterlagen und Informationen, welche die Abgeordneten erhalten? Diese werden von der Parteiführung (in deren Sinne) beauftragt zusammengestellt oder werden in Gremien und Ausschüssen erarbeitet. Die meisten der Gesetzesvorlagen kommen zunehmend aus Brüssel. Diese werden im Parlament meist durchgewinkt, da diese aufgrund ihrer Masse sonst den Parlamentsbetrieb aufhalten würden.
Diese „Machtballung“, bei wenigen Personen, ist ein perfektes Ziel für die Beeinflussung durch Interessengemeinschaften und eine der großen Schwachstellen der parlamentarischen Demokratie. Dies wird von mir in Kapitel 7 noch näher betrachtet.
g) Fraktionszwang
Um regierungsfähig zu bleiben, muss sich die Koalition auf die Unterstützung der Abgeordneten ihrer Partei(en) verlassen. Funktioniert dies nicht, so kann es sein, dass sie ihre Anträge im Parlament nicht durchbringen und die geplanten Gesetze nicht beschließen kann.
Laut Artikel 38 des Grundgesetzes [3] ist der Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes, und ist nicht an Aufträge und Weisungen gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen. Die Fraktionsdisziplin ist in keinem Gesetz und auch nicht in der Bundestagsgeschäftsordnung festgelegt. Meist wird diese im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Es findet eine faktische Unterwerfung der Abgeordneten unter die Partei statt. Der Soziologe Erwin K. Scherch spricht in seinem Buch „Cliquen, Klüngel und Karrieren“ von einem „Feudalsystem“, das vom Prinzip „Tausch von Privilegien gegen Treue“ gekennzeichnet ist.. [4]
Abweichler müssen mit einem Verlust ihres Listenplatzes bei der nächsten Wahl rechnen. In schwerwiegenden Fällen können sie auch aus der Fraktion ausgeschlossen werden. Nur sehr wenige Bundestagsabgeordnete, wie z.B. Marco Bülow (SPD), trauen sich deshalb, sich teilweise nicht an die Fraktionsdisziplin zu halten. In einem Interview mit Mission Money [5] und seinem Buch „Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen“ verweist der Autor Markus Krall auf die daraus resultierende Selektion der angepassten statt der besten Kandidaten für die Politik.
Der Fraktionszwang kann dazu führen, dass ein Gesetz beschlossen wird, obwohl dieses durch weniger als 50% der Abgeordneten befürwortet wird. Insbesondere wenn die Parteiführung Machtmittel, wie Rücktrittsandrohungen oder die Vertrauensfrage, einsetzt, ist dieses sehr wahrscheinlich.
h) Abstimmungen zu wichtigen Änderungen mit wenigen Abgeordneten
In der Geschäftsordnung des Bundestags [6], Paragraf 45 Absatz 1 steht:
„Der Bundestag ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist.“
Wie kann es dann zu Abstimmungen mit nur 60 Abgeordneten kommen, die als gültig erklärt werden?
Dies liegt an dem Absatz 2 des Paragrafen. Hier ist festgelegt, dass die Beschlussfähigkeit von einer Fraktion oder aber 5% der Anwesenden angezweifelt werden kann. Da praktisch alle Gesetzesentwürfe aber fraktionsübergreifend vorbereitet werden, wird diese Option sehr selten genutzt. Der Bundestagspräsident hat laut Absatz 4 darüber hinaus die Möglichkeit, eine Beschlussunfähigkeit festzustellen, wenn die Anzahl der anwesenden Abgeordneten nicht mind. 25% beträgt. Dieses Recht nutzt er aber kaum.
Diese Abstimmungspraxis stellt eine Schwachstelle dar:
Abstimmungen, die vorab nicht fraktionsübergreifend abgestimmt wurden und bei der die eine Fraktion, die gegen diesen Antrag ist, weniger als 5% der Anwesenden hatAbstimmungen, bei denen die Mitglieder anderer Fraktionen geschickt an der Teilnahme behindert werden (hört sich unglaublich an, wäre aber praktisch durchführbar)Abstimmungen, bei denen sich eine kleine Gruppe aus mehreren Fraktionen abspricht und eine nicht vorbereitete Entscheidung trifft (zugegebenermaßen schwierig, aber möglich)
Eine nachgewiesene eindeutige demokratische Legitimität haben die in kleinen Gruppen herbeigeführten Beschlüsse jedenfalls nicht. Staatsrechtler kritisieren diese Gesetzeslage und Praxis [7]. Sie würden sich wünschen, dass mindestens die Hälfte der Abgeordneten im Plenum zu sitzen hat, wenn Gesetze beschlossen werden.
Ein Schelm wer hier eine Verbindung der Teilnehmerzahl an Abstimmungen zu der Beliebtheit der Gesetzesänderungen bei den Wählern sieht. Kann doch jeder Abgeordnete dann später seinen Wählern im Brustton der Überzeugung erzählen, dass er bei dieser Abstimmung nicht dabei war. Wie war das noch mit der gleichgeschlechtlichen Ehe und der nur anderthalb Stunden später erfolgenden Abstimmung zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz?
623 Abgeordnete bei der Abstimmung über die gleichgeschlechtliche Ehe [8]Anderthalb Stunden später ca. 60 Abgeordnete [9] bei der Abstimmung über die massive Einschränkung der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz („Anti-Fake-News-Gesetz“). Dieses Gesetz (NetzDG) wurde von vielen Experten, sowie dem UN-Sonderberichterstatter, wegen der Einschränkung der Meinungsfreiheit, massiv kritisiert. Eine offizielle Anwesenheitsliste ist auf der Seite des Bundestags, wie etwa bei der zuvor erwähnten Abstimmung, nicht zu finden. [10]
Meine persönliche Meinung dazu: Das war wahrlich nicht die Sternstunde der deutschen Demokratie.
Es ist peinlich, dass diese beiden, sehr umstrittenen Abstimmungen, nicht direkt hintereinandergelegt wurden.Es ist peinlich, dass sich fast alle Abgeordneten vor dieser Abstimmung gedrückt haben.Und es ist peinlich, dass anscheinend keine Fraktion die Beschlussfähigkeit angezweifelt hat, damit der Bundestagspräsident diese feststellen konnte.Und es ist unvertretbar, dass diese Abstimmungspraxis durch die jetzigen Bestimmungen auch noch gedeckt wird.
Zusammenfassung
Es ist es sehr unwahrscheinlich, dass eine Partei den Willen auch nur eines Bürgers 1:1 vertritt. Eine Koalitionsregierung verwässert dieses zusätzlich. Die eigentlichen Entscheidungen werden unter Heranziehung externen Sachverstands und kleiner Vorbereitungskreise vorbeschlossen. Diese Experten und Vorbereitungsgruppen sind ein optimales Ziel für die Einflussnahme von externen Interessensvertreten. Die Parlamentarier haben nur minimale Chancen, nicht mit ihrer Partei zu stimmen. Die finale Abstimmung im kleinen Abgeordnetenkreis ist eine undemokratische, aber legale Praxis.
[1] https://www.wahl-o-mat.de/bundestagswahl2017/
[2] https://www.abgeordnetenwatch.de/
[3] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_38.html
[4] Erwin K. Scherch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, S. 117
[5] https://www.youtube.com/watch?v=uyx0rVfCoho, min. 26:05 bis 28:07
[6] https://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/rechtsgrundlagen/go_btg/go06/245164
[7] https://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/bundestag-gesetze-ohne-mehrheit-100.html
[8] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw26-de-ehe-fuer-alle/513682
[9] https://www.berlinjournal.biz/stimmen-fuer-netzwerkdurchsetzungsgesetz/
[10] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw26-de-netzwerkdurchsetzungsgesetz/513398