Abschied: Die DSR und ihre Zeitzeugen - Hans-Hermann Diestel - E-Book

Abschied: Die DSR und ihre Zeitzeugen E-Book

Hans-Hermann Diestel

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Beschreibung

Die Geschichte der DSR endete endgültig mit der Privatisierung der Reederei. Endgültig, weil schon mit der Abberufung von Generaldirektor Kapitän Dr. Artur Maul und der Umwandlung des VEB Deutfracht/Seereederei Rostock in eine GmbH Anfang 1990 die DSR, so wie ihre Seeleute sie liebten und schätzten, aufhörte zu existieren. Der Rest war ein mehr oder weniger chaotisches Sterben der einst größten europäischen Universalreederei. Weniger, weil Harry Wenzel und seine Verbündeten den Prozess, soweit es ihnen die Hamburger Gegner in der Treuhand und in der Politik erlaubten, das Kapitel mit Anstand und Würde für alle DSR-Angehörigen beenden wollten. Es hat wohl nur wenige DDR-Unternehmen gegeben, die, ungeachtet aller Vorgaben, Behinderungen und Störfeuer dieses erzwungenen Sterbens so diszipliniert überstanden haben. Die von Kapitän Diestel gesammelten Berichte und Interviews von fast einhundert Zeitzeugen der erfolgreichsten Phase der Rostocker Schifffahrt beschreiben mit vielen Emotionen die Wurzeln, die Stärken und Schwächen des Unternehmens, den Übergang in die für sie neue und doch alte westdeutsche Schifffahrt, den viele nicht wollten, und die ungewohnten Probleme bei ihren neuen Auftraggebern. Konrad Reich, der Doyen der Rostocker maritimen Literatur, hat generell die Sprache der Seeleute gelobt. An den Aussagen vieler Zeitzeugen hätten Wossidlo und Reich ihre Freude gehabt. Unter den Zeitzeugen finden sich Mannschaften und Unteroffiziere sowie nautische und technische Offiziere, Befrachter und Mitglieder der Geschäftsleitung von DSR und DSR Senator. Frauen haben sich mit wortstarken Beiträgen beteiligt. Zu den Themenkomplexen gehören die Geschichte des Unternehmens, der Einfluss der Politik, der Dienstbetrieb an Bord, die schmerzhaften und verlustreichen Seeunfälle sowie der Weg der Seeleute vor und nach der „Wende“. Die Einschätzungen der Zeitzeugen zu ihren Schiffen sind detailliert und ehrlich. Den Titel „Abschied“ hat der Autor mit Bedacht gewählt, denn er verabschiedet sich mit diesem Werk auch publizistisch von „seiner“ Reederei, die ihm so ungemein viel bedeutet hat.

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Seitenzahl: 587

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Hans-Hermann Diestel

Kapitän

Abschied

Die DSR und ihreZeitzeugen

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2025

Es ist ein Unterschied, ob man lebt,weil man geboren wurde,oder ob man für eine Sache lebt.

Jose „Pepe“ Mujica Guerillero und Präsident Uruguays

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Angaben nach GPSR:

www.engelsdorfer-verlag.de

Engelsdorfer Verlag Inh. Tino Hemmann

Schongauerstraße 25

04328 Leipzig

E-Mail: [email protected]

Copyright (2025) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Inhalt

Vorwort

Die Geschichte der DSR

Wurzeln der DSR

Ausgebildet in der Schifffahrt vor 1945

Die WILHELM PIECK, die Volksmarine und die Fischerei

Aus der Bundesrepublik gekommene Seeleute

Kapitäne und Leitende Technische Offiziere

Die Rolle der SED in der Seewirtschaft der DDR

Probleme des Reedereibetriebes

Die DSR im Kalten Krieg

Alkohol und Schmuggel auf DSR-Schiffen

Ausbildung auf den Lehr- und Ausbildungsschiffen

Ausbildung auf Frachtschiffen

Der Weg der Seeleute

Beschreibungen der Schiffe

Stückgutfrachter

Passagierschiffe

Kühlschiffe

Containerschiffe

RoRo-Schiffe

Massengutfrachter

Tankschiffe

Maschinenbereich

Wirtschaftsbereich

Dienstbetrieb an Bord der Schiffe

Aussagen der Seefrauen

Seeunfälle der Schiffe der DSR

Kollisionen

Grundberührungen

Brand

Schweres Wetter

Maschinenschaden

Aussagen der Seeleute zum Ende ihres Dienstes bei der DSR

Zusammenfassung

Dank

Vorwort

Bevor die Zeitzeugen zu Wort kommen, möchte ich darauf hinweisen, dass ich Aussagen meiner Zeugen, die ich für falsch oder ungenau halte, nur in Ausnahmefällen bei fachlichen Fragen korrigiert habe. Jeder Zeuge hat das Recht, seine Auffassungen in seiner Sprache zu beschreiben. Er hat auch das Recht, für diese im wahrsten Sinne des Wortes historische Zeit – denn unsere Reederei und ihr Staat existieren schon lange nicht mehr – Namen zu nennen. Nur bei den Aussagen des früheren Pursers Morgenstern musste ich korrigierend eingreifen. Vor allem, wenn es um Aussagen zur persönlichen Entwicklung geht, möchte ich als der Verfasser dieses Buches, dass die Leser die folgenden Worte von Arthur Schopenhauer „Was die Leute gemeiniglich das Schicksal nennen, sind meistens nur ihre eigenen dummen Streiche“ nicht vergessen.

Wie der Leser schnell merken wird, habe ich Kollegen, Landbeschäftigte der Deutschen Seereederei Rostock (DSR) sowie mit der Seefahrt Verbundene in Ost und West interviewt oder auf andere Weise mit ihnen kommuniziert. Damit ist zwar keine durchgehende Beschreibung der Geschichte unserer Reederei entstanden, doch die Zeitzeugen beleuchten mit ihren Aussagen wichtige Entwicklungen und Probleme der DSR. Sie werden dadurch vor dem Vergessen bewahrt. Einige der führenden Genossen konnte ich nicht ausreichend berücksichtigen. Unser Generaldirektor Kapitän Dr. Artur Maul ist, bevor ich ihn befragen konnte, viel zu früh und plötzlich gestorben.

Generaldirektor Kapitän Dr. Artur Maul hält Anfang 1990 eine Rede vor dem Bezirkstag in Rostock – Foto: Helmut Klonowski

Harry Wenzel, Flottenbereichsdirektor Asien/Amerika, Stellvertretender Generaldirektor DSR und Hauptgeschäftsführer DSR/RFL, hat mich nach der „Wende“ zwar in Althof besucht, doch leider habe ich mir zu dem Gespräch keine Notizen gemacht. Einige Notizen habe ich immerhin von dem Gespräch Wenzels mit dem Vorstand des Vereins der Kapitäne und Schiffsoffiziere in Rostock aufgehoben. Leider war Wenzel sehr zurückhaltend mit seinen Informationen. Er hat auch dafür gesorgt, dass Heinz Bartkowski die Unterlagen, die er – Wenzel – nicht mehr selbst vernichtet hatte, entsorgte. Keiner hatte mehr Informationen zum „Verschenken“ (offiziell Privatisierung) der DSR an die neuen Eigner als Harry Wenzel.

Neben den Auskünften von Harry Wenzel und Heinz Bartkowski habe ich von Uli Zinn (Stellvertretender Generaldirektor) und Uwe Grambow (Mitglied der Geschäftsleitung der DSR und von DSR-Senator in Bremen) wichtige Informationen zur Geschichte der DSR erhalten.

Im „Westen“ hat die Organisiertheit und die Haltung der DSR-Seeleute gegenüber ihrer Reederei Aufmerksamkeit erregt. Anfang 2002 baten mich die Herausgeber der „Bordgeschichten“, das Vorwort für Band II zu schreiben. Diese Aufgabe habe ich gern übernommen. Der folgende Text fasst die Haltung und die Empfindungen vieler DSR-Seeleute zusammen:

In den letzten Jahren habe ich das Wort „Loyalität“ sehr häufig im Zusammenhang mit den von den Schifffahrtsunternehmen an ihre Seeleute gestellten Anforderungen gehört. Der Seemann soll loyal und „company minded“ sein. Das ist nicht nur vom Prinzip her richtig. Meine Überlegungen zu diesem Begriff will ich mit einer Definition beginnen. Die sympathischste, die ich gefunden habe, besagt: „Der Mensch solle treu zu seinen Verpflichtungen, zu einem Menschen oder einer Sache stehen.“

Unter normalen Umständen könnte man erwarten, dass der Seemann eine enge Bindung zu seiner Reederei entwickelt. Ich spreche bewusst von einer Reederei und nicht von einem Management-Unternehmen, weil ich davon überzeugt bin, dass das bei einer traditionellen Reederei eher der Fall sein wird. Die berühmte britische Schifffahrtszeitung Lloyd’s List schrieb am 4. Dezember 2001, dass es dieser Tage wenig Loyalität gibt. Das ist nicht überraschend, denn die Loyalität der Mitarbeiter, auch der Seeleute, fällt nicht vom Himmel. Voraussetzung für eine loyale Haltung ist, dass sich das Unternehmen um seine Seeleute bemüht und ihnen seine Wertschätzung für ihre Arbeit zeigt. Das ist etwas, was ich bei mehr als einem Unternehmen vermisst habe. Die DSR war vom 1. September 1957 bis zu ihrer Privatisierung meine berufliche Heimat. Ihr verdanke ich meinen beruflichen Erfolg, und sie war immer loyal zu mir. Eine alte Lebensweisheit besagt, dass man den Wert einer Sache oft erst nach ihrem Verlust mit all ihren Konsequenzen für unser Leben, vor allem für unser psychisches Wohlbefinden, in ihrem vollen Umfang erkennt.

In den 90er Jahren haben mich die starken Emotionen überrascht, mit denen Freunde und Kollegen darauf reagierten, als sie die DSR verlassen mussten. Erst als es mich ebenfalls traf – auch wenn die Reederei F. Laeisz zu diesem Zeitpunkt kaum noch etwas mit der DSR gemeinsam hatte –, begann ich die Tiefe dieser Gefühle zu verstehen. Weil das so ist, verträgt meine Loyalität zur DSR eine Menge kritischer Gedanken und kann deshalb auf billige Nostalgie verzichten. Den heutigen Seeleuten würde es besser gehen, wenn sie bei einem Unternehmen fahren könnten, das sich, wie es die DSR getan hat, um ihre Sorgen und Nöte kümmern würde. Es könnte auch nicht schaden, wenn sich diese Gesellschaftsordnung bewusst werden würde, wie viel ihres Reichtums sie den Seeleuten verdankt.

Dieses Wissen zu bewahren, sind die Bordgeschichten ein sehr schönes Mittel.

Die bisherigen Ausführungen möchte ich mit einer Nachricht von Jost Kestner, I. Technischer Offizier (wir waren als I. TO und Erster Offizier zusammen auf der QUEDLINBURG) und mit einem Brief an Kapitän Bernd Jeske ergänzen.

I. TO Jost Kestner im Kreis der Maschinengang der QUEDLINBURG (sitzend, Zweiter von rechts) – Foto: Archiv Diestel

Jost Kestner schrieb:

Hallo Hans-Hermann,

Du hast eine Lawine losgetreten!

Das Buch „Zwischen Rostock und Rio“ hatte ich anfangs gewissermaßen diagonal gelesen. Nach meinem Rostocker Besuch habe ich es gründlich gelesen. Noch habe ich nicht alles verdaut.

Unser C6-Jahrgang (Klaus Thiele, Nelly Stramm, Jonny Borchmann, Uwe Mühlenstedt, Dr. Egon Deutsch, Werner Harkner usw.) trifft sich jetzt jährlich. Mit Werner Harkner habe ich mal gesprochen, dass ich eigentlich noch bis 1980 hätte fahren sollen, wegen der neuen Schiffe. Ich bin 1974 ausgestiegen. Er meinte, es wäre so sicher besser gewesen. Das konnte ich nicht so recht einordnen. Nach der Lektüre ist mir nun so einiges klarer geworden. Ich bin nur bei Kapitänen gefahren, die alles fest im Griff hatten (wie Kaufmann, Albert Neutschel, Wolfgang Richter, „Papa“ Fick). Vom Zusammenleben lief alles reibungslos, denn von den Reibereien mit dem 5. Stockwerk im Zusammenhang mit dem großen Dienstablauf kam bei mir nichts an. Ich hatte eine beneidenswerte gute Seefahrtzeit mit den besten Erinnerungen. Aber ich bin beim Aufarbeiten anhand Deiner Bücher. Vielen Dank!

Bernd Jeske als Kapitän auf MS SUHL – Foto: B. Jeske

Brief an Kapitän Bernd Jeske:

Hallo Bernd,

da habe ich nun schon eine ganze Reihe von Büchern veröffentlicht, aber jedes Mal, wenn ich mit einem neuen Projekt beginne, werden einige nervös. In der Regel sind es die Kapitäne. Andere Besatzungsmitglieder haben in der Beziehung kaum Probleme.

Als ich mit „Zwischen Rostock und Rio“ anfing, bekam ich viel Gegenwind, obwohl die meisten die Konzeption überhaupt nicht kannten. Da das ein besonderes Projekt war, wollte ich mir meiner Sache sicher sein. Ich gab das Manuskript an Konrad Reich. Nachdem er es gelesen hatte, sagte er zu mir: „Herr Diestel: Sie handeln nicht mit sauren Zitronen.“

Verleger und Autor Konrad Reich bei einem Hafenstammtisch in Rostock – Foto: Archiv Diestel

Er wollte es später selbst verlegen. Ich einigte mich aber mit Hinstorff. Einerseits gibt es immer Meckerköppe und andererseits kann jeder aus seiner persönlichen Erfahrung eine andere Sicht haben. Insgesamt kann ich mit den Kritiken sehr zufrieden sein. Hinstorff hat das Buch von Wolfgang Schneider abgelehnt, meins aber genommen. Auch das sagt etwas. Es war noch nie meine Absicht, mit irgendjemand oder irgendwas abzurechnen. Nachdem ich mit Konrad Reich gesprochen hatte, hätten die Kapitäne sagen können, was sie wollen. Ich hätte nur in Ausnahmefällen darauf gehört. Wenn ein solches Projekt authentisch sein soll, kann man auch nicht jedem zum Munde reden. Man muss auch von Fehlern sprechen, auch von den eigenen! Davon abgesehen war es nie meine Absicht, jemand bloßzustellen oder vorzuführen. Das haben auch viele intelligente Menschen erkannt. Obwohl ich eine Stasi-Akte habe, habe ich sie mir bisher nicht angesehen. Ich habe die Dinge so beschrieben, wie ich sie in Erinnerung habe oder anhand von Dokumenten belegen kann.

Seit den 60ern besitze ich eine Reihe von Büchern vor allem zur Segelschifffahrt und zu Seeunfällen. An ihnen habe ich mich immer orientiert. Uli Dittert kennt die Bücher auch. Diese Bücher nennen immer Namen und Adresse. „Kapitän S.“ oder solch Schnickschnack ist undenkbar. Schnickschnack und Gesabbel waren nie meine Stärke, das hat der folgende Rezensent richtig erkannt:

Der DSR-Report. Babbeljahn un daddeldu

Von Torsten L

Zugegeben: Der Wortwitz ist größtenteils überragend („… die Ideen des großen sowjetischen Neuerers Alexej Tomorrow …“ – einfach genial). Allerdings werden diese Kalauer wohl nur von wenigen DDR-/DSR-Insidern verstanden werden. Der größere Nachteil besteht jedoch darin, dass diese Art des Schreibens mehr als die Hälfte des Textes ausmacht. Damit ist einerseits oft unklar, ob es sich hierbei um wirklich Erlebtes oder eben um geschickt eingeflochtene Scherze handelt. Des Weiteren kommt das tatsächliche Beschreiben des Seefahrerlebens leider viel zu kurz. Es stellt sich am Ende das Gefühl ein, dass dieser Wortwitz Selbstzweck ist und dass diese Biografie vom Autor dazu benutzt wurde, um sich diesbezüglich so richtig austoben zu können. Kurzweilig ist es allemal; ab und zu wäre ein gründlicheres Lektorat wünschenswert gewesen. Wer tiefer gehende Einblicke in die Geschichte der DSR und ihres Seefahrerlebens gewinnen möchte, dem sei wärmstens die Biografie von Kapitän Hans-Hermann Diestel (Zwischen Rostock und Rio. ‚Hurra, dat Seefohrn is mien Läben …‘) empfohlen.

Als ich mit den Seeunfällen anfing, begann wieder das gleiche Theater. Dieses Mal habe ich mich schon weniger von dem Gerede beeinflussen lassen. Meine Erfahrung und Sicherheit sind ja auch größer geworden.

Die folgende Kritik ist von VEUS e. V. (Verein der Europäischen Schifffahrtsjournalisten) veröffentlicht worden.

Seeunfälle und Schiffssicherheit in der Ostsee

Veröffentlicht: Montag, 13. Oktober 2014 18:04 | von Super User

Der 1942 in Tessin bei Rostock geborene Autor des vorliegenden Buches Hans-Hermann Diestel begann bereits mit 15 Jahren seine seemännische Ausbildung bei der damaligen Deutschen Seereederei Rostock. Nach dem Studium zum Nautischen Schiffsoffizier wurde er bereits 28-jährig mit der Führung eines Schiffes beauftragt.

Schon frühzeitig interessierte er sich für Seeunfalluntersuchungen. Seit 1978 veröffentlichte er Beiträge zur Schiffssicherheit in deutschen und britischen Fachzeitschriften. Bald veröffentlichte er sein erstes Buch: „Schiffe im Sturm“.

Sein Wissen zu Fragen der Schiffssicherheit machte ihn fortan zu einem anerkannten Experten.

In seinem Buch „Seeunfälle und Schiffssicherheit in der Ostsee“ zeigt er die seemännische Herausforderung dieses Meeres und entwickelt auf Basis unaufgeregt schonungsloser Unfallanalysen praktische Handlungsempfehlungen. Spektakuläre Schiffsverluste wie der Untergang der ESTONIA und auch Reizthemen wie die Diskussion um eine Lotsenpflicht in der Kadetrinne erhalten dabei gebührenden Raum, ohne andere wichtige Aspekte an den Rand zu drängen.

Der Autor vergleicht navigatorische Herausforderungen dieses Seegebietes mit denen der Nordsee, berichtet von den dramatischsten Seeunfällen seit 1566 und bewertet mit dem in Jahrzehnten geschärften Blick eines Kapitäns Fragen der Lotsenpflicht, der Aus- und Weiterbildung des Brückenpersonals und der Aufgaben der Verkehrsleitzentralen. Im Zuge seiner Recherchen hat er Interviews mit Fachleuten aus den genannten Bereichen sowie mit dem Kapitän eines Notschleppers geführt, Forderungen von Umwelt- und anderen Organisationen ausgewertet und nicht zuletzt den allgegenwärtigen Druck zur Gewinnmaximierung im Fracht- und Personenverkehr kritisch hinterfragt.

Ein Buch, welches nicht nur eine Pflichtlektüre für den seemännischen Nachwuchs, sondern auch eine Bettlektüre für jeden Nautiker/Schiffsoffizier sein sollte.

Eine Geschichte der DSR-Kapitäne, die ich schreibe, kann sich nicht an ein paar albernen Storys orientieren. Da kommt man nicht an den Seeunfällen vorbei, da kann man auch nicht übersehen, dass einige Kollegen nicht mehr fahren durften und dass andere sich aufgrund verschiedener Probleme das Leben nahmen. Das sind sachliche Fakten, die dem Außenstehenden verdeutlichen, mit welchen Problemen der eine oder andere Kapitän zu kämpfen hatte. Es soll ein Bild der Zeit sein, die eine Seefahrt, wie es sie vorher nicht gab und wie es sie auch nie wieder geben wird, zeigt. Einer Zeit, in der wir einen bestimmten Platz eingenommen haben und uns nach bestimmten Regeln verhalten mussten, was heute ja auch nicht anders ist.

Es war sehr schwer für mich, Wolfgang Henk davon zu überzeugen, einen Beitrag zu schreiben. Es gab keine DDR-Seefahrt ohne Politoffizier. Also musste er gewürdigt werden. Nachdem das Buch erschienen war, rief er mich an und sagte: „Hast du gut gemacht.“

Bei mir hat sich noch niemand, der von mir interviewt und zitiert wurde, beschwert. Ich kann mich aber beschweren, denn Morgenstern hat mich und damit die Leser belogen.

Meine Aufgabe ist es, ein reales Bild zu zeichnen, unabhängig von meinen Vorlieben oder Abneigungen. Wer dazu beitragen kann und will, ist willkommen.

Du tauchst mit Deiner Karriere als Fakt auf, ohne dass irgendjemand angeklagt werden würde. Nicht mehr und nicht weniger.

Das soll für heute erst einmal genügen.

Herzliche Grüße aus Althof.

Hans-Hermann

Die Geschichte der DSR

In den folgenden Aussagen namhafter Zeitzeugen werden eine ganze Reihe von Problemen, mit denen sich die DSR über Jahrzehnte herumschlug, deutlich.

Schiffsingenieur Marnau als Mitarbeiter der Chefinspektion der DSR – Foto: Marnau

Heinz-Jürgen „Atze“ Marnau, Leitender Technischer Offizier und Inspektor, beschreibt in dem folgenden Text einige Probleme, die die DSR leicht hätte abstellen können. Bei anderen Problemen lag es nicht in ihrer Macht, sie zu lösen. Darüber hinaus charakterisiert er führende Mitarbeiter der Reederei.

Marnau schreibt:

Die zentralen Struktureinheiten der DSR haben es nicht geschafft, eine generelle Anleitung für den Neubau von Schiffen auf den Werften zu erarbeiten. Dadurch fehlte der Bauaufsicht eine Anleitung, und die Werften und ihre Kooperationspartner konnten wirtschaften, wie sie wollten. So wäre es ziemlich einfach gewesen, eine generelle Festlegung zu erarbeiten, wer an Bord welche Telefonnummer bekommt. So schafften sie es gerade noch, dass an Steuerbord die ungeraden und an Backbord die geraden Nummern verwendet wurden. Es gab auch keine Systematisierung bei den Tanks (deren Bezeichnung und Nummern – Diestel).

Erkenntnisse aus dem Betrieb der ersten Schiffe eines Typs wurden nicht systematisch beim Bau der folgenden Einheiten berücksichtigt, Mängel nicht abgestellt. Bei der Automatisierung der Schiffe hat jeder Flottenbereich für sich gewurstelt. Die DSRK verlangte aber Anweisungen und Pläne für die Organisation, die von der Chefinspektion und der Technischen Direktion hätten erarbeitet werden müssen.

Die häufigen Veränderungen in der Struktur der Reederei sorgten nur selten für Verbesserungen in der Arbeit der Verwaltung. Ihr Ausgangspunkt waren oft subjektive Auffassungen der politisch Verantwortlichen.

Es fehlten häufig Prämissen und Vorgaben für verschiedene Geschäftsbereiche der Reederei, oder sie waren unzureichend.

Die Re-Importe von Schiffen, die die DDR-Werften gebaut hatten, waren in der Regel eine Verlustminimierung für die DDR, aber sie lösten kein Problem der DSR. Oft genug verstärkten sie deren Probleme, weil die Werften keine zusätzlichen Instandhaltungskapazitäten für sie bereitstellten.

Das Schreiben von Mängelrügen belastete die Besatzung, aber sie führten nicht dazu, dass die Werften ihren Pfusch anerkannten und ihn abstellten. Sie lehnten sie meistens mit aller Macht ab. Die Aufstellung der Reparaturlisten (achtfach ohne Kopiertechnik) war eine unverantwortliche Arbeitsbelastung für die Schiffsbesatzung, weil sie technologisch so spezifiziert wurden, dass die Werft diese Listen ohne eigene Leistung an ihre Kooperationspartner weitergeben konnte.

Unter dem Deckmantel der sozialistischen Hilfe wurden die ökonomischen Interessen der DSR gründlich verletzt und geopfert. Sie führten zu einer weiteren Belastung der Besatzungen, die mit eigenem Einsatz Erprobungen und Teste von Anlagen und Maschinen durchführen oder Mängel abstellen mussten. Besatzungen sollten immer wieder (arbeitsintensive) Seeerprobungen von technischen Erzeugnissen durchführen, damit sie eine DSRK-Zulassung bekamen. Ohne Seeerprobung ließ die DSRK ihren Einbau nicht zu. Das WTZ übte Druck aus, damit „sozialistische Hilfe“ geleistet wurde.

Die Angst vor Fluktuation (Flucht? – Diestel) ließ es nicht zu, dass Mitarbeiter der Bereiche Ökonomie und Kader kurzzeitig an Bord mitreisen konnten. Noch wichtiger wäre dies für die Befrachter gewesen. Erst ab 1974/75 konnten Mitarbeiter der Chefinspektion auf Schiffen mit besonderen Problemen (z. B. Hauptmaschine) vertretungsweise mitfahren, um die eingereichten Berichte und Beschwerden zu überprüfen. So durfte ich dann auf der KÖLPINSEE den Chief vertreten, um mich mit dem Betrieb des neuen V-Motors vertraut zu machen.

Schlussfolgerungen über Mängel von DDR-Erzeugnissen oder bei Importen aus den RGW-Ländern wurden negiert. Sie waren unerwünscht.

Die Trennung von Schiffsinstandhaltung und technischem Schiffsbetrieb (Inspektoren) war eine Forderung der SED, um ihren Einfluss auf die relativ konservativen Technischen Offiziere zu stärken. Die Trennung ist international nicht üblich. Durch die Trennung kam es zu unnötigen Reibereien.

Die Planung der Instandhaltung ist in der Seefahrt durch den Einsatz der Schiffe kompliziert. Es wurde aber gefordert, den Umfang und die Kosten für unvorhersehbare Ereignisse zu berechnen. Anhand der Daten vorheriger Jahre und der Wahrscheinlichkeitstheorie habe ich mit Jürgen Seier Zahlen für die gesamte Flotte errechnet.

Das Schiffssicherheitsaktiv war eine gute Einrichtung. Die Umsetzung der technischen Schlussfolgerungen wurde durch subjektive Eingriffe des Seekommissars (Elchlepp) verhindert.

Auf dem Treffen der Kümo-Fahrer 2017 bekam ich die folgenden Informationen von den Anwesenden:

Die WEISSERITZ war ein Beispiel für den Einkauf miserabler Alttonnage-Schiffe durch die Einkaufskommission. Bevor wir das Schiff in Kristiansand von der norwegischen Reederei Fearnlay & Eger übernahmen, mussten noch einige Platten der Außenhaut ausgewechselt werden. Das Schiff war der erste „Schweröler“ der DSR. Das Schiff hatte generell 440 V Gleichstrom und für die Beleuchtung 110 V Gleichstrom. Die Generatoren waren offen, sodass, wenn Wasser durch die Luft spritzte, es angesaugt wurde und direkt auf die Kollektoren schlug. Die Schweröltanks wurden mit Dampf beheizt. Leider waren die Heizungsrohre alle zerfressen, woraus eine Menge Probleme entstanden. Als eine Luke während einer Verseglung leer war, wurden die Tankdeckel aufgenommen und die Tanks kontrolliert, weil unser Frischwasser in den Tanks verschwand. Die Heizungen waren nicht mehr zu reparieren. Sie wurden ausgebaut und neue installiert. Die Reederei wunderte sich über die vielen Rohre, die wir benötigten.

Der Maschinenraum war bei der Übernahme völlig verdreckt.

Im Hafen waren die Elektriker nur mit den Gleichstrom-Kränen beschäftigt.

Die Außenhaut des Schiffes war noch vollständig genietet. Wir verloren Schweröl. Die Ursache dafür wurde im Dock offensichtlich. Viele Nieten waren nicht mehr dicht. Das Öl tropfte durch die lecken Nieten in das Dock. Es wurde nachgenietet, wo es noch ging. Die anderen Nieten wurden dichtgeschweißt.

Die WEISSERITZ in einem unbekannten Hafen – Fotograf unbekannt

In Göteborg wurde die Hauptmaschine von den Werftarbeitern mit Lumpen gereinigt. Auf der dann von Rostock ausgehenden ersten Reise kamen wir mit Mühe bis Kiel. Die vergessenen Lumpen hatten die Ventile verstopft. Es mussten neue eingebaut werden.

Über ein nicht ungefährliches Flüchtlingsproblem berichtete Kapitän Bernd Jeske Folgendes:

Ende der 70er Jahre bis 1984 war die Zeit, in der viele Vietnamesen aus dem Süden des Landes vor dem Kommunismus geflohen sind. Diese Flucht wurde häufig mit Booten unternommen, die weder seetüchtig noch für den Transport vieler Menschen geeignet waren. Unkenntnis, Leichtsinn, Verzweiflung, aber auch Skrupellosigkeit der Bootseigner spielten eine Rolle. Die Flüchtlinge mussten viel bezahlen und der Ausgang der Flucht war ungewiss. Die Flüchtlingsboote wurden möglichst durch die vietnamesische Küstenwache aufgebracht, auch von Piraten überfallen und ausgeraubt. Wenn sie Malaysia erreichten, wurden sie dort häufig überfallen. Aus den genannten Gründen wurden von den Flüchtlingsbooten, wenn ein Frachtschiff in Sicht war, oft Notsignale geschossen, um Hilfe zu erhalten. Kam das Frachtschiff nahe heran, wurden die Ventile im Boden der Fluchtboote geöffnet und das Frachtschiff damit gezwungen, die Menschen vom sinkenden Boot an Bord zu nehmen. Die Flüchtlinge waren damit in Sicherheit vor den weiteren Gefahren der See, den Piraten oder Räubern. Im nächsten Anlaufhafen bekam das betreffende Frachtschiff für gewöhnlich erhebliche Schwierigkeiten, die Flüchtlinge anzulanden. Entweder wurde dies komplett untersagt oder es mussten hohe Einwanderungsgebühren (in Singapur 10.000 Dollar pro Flüchtling) von der Reederei des Schiffes gezahlt werden.

In Not befindliche Menschen müssen nach SOLAS Anlage V/33 in einen sicheren Hafen gebracht werden. War ein Hafen in Vietnam für vietnamesische Flüchtlinge ein sicherer Hafen? Wurden die Flüchtlinge bei ihrer Rückkehr eingesperrt oder gar getötet? Aus diesem Grunde wurde von etlichen Frachtschiffen keine Hilfe geleistet und man ignorierte die Notsignale. Ich hatte meine Offiziere angewiesen, grundsätzlich keine Notsignale zu ignorieren. Unter größter Vorsicht wollten wir zum in Not befindlichen Boot/Schiff hinfahren und uns von der Situation überzeugen. Es konnten auch Piraten sein, welche die Notsignale missbrauchten.

MS SUHL im Roten Meer – Foto: Diestel

Am 3. März 1980 befand ich mich mit MS SUHL im Südchinesischen Meer auf der Reise von Yokohama nach Singapur. Frühmorgens – es war noch dunkel – rief mich der Erste Offizier an und teilte mir mit: „Kapitän, da schießt jemand rote Raketen! Position: 06 Grad Nord 107 Grad Ost.“ Unverzüglich ging ich auf die Kommandobrücke und traf folgende Vorbereitungen:

Ausgabe der an Bord befindlichen 5 Pistolen an zuverlässige Offiziere.

Günstige Postierung von den 4 bewaffneten Offizieren auf dem Schiff (eine Pistole hatte ich selbst).

Die übrige Besatzung musste im Schutz der Aufbauten bleiben.

Maschine auf Manöverfahrt beordert.

Den Kurs in der Seekarte, der nach Singapur eingezeichnet war, löschen und einen neuen Kurs nach Saigon einzeichnen.

Wetterbericht ausdrucken und Megafon klar halten.

Bei Annäherung an das Boot gab ich über das Megafon bekannt, dass wir ein kommunistisches Schiff mit Kurs auf Saigon seien. Diese Ansage wurde bei weiterer Annäherung ständig wiederholt, um einer möglichen Selbstversenkung durch die Bootsbesatzung vorzubeugen. Wir erkannten, trotz Dunkelheit, dass es sich um ein völlig überladenes Flüchtlingsboot handelte. Circa 90 Menschen, vom Baby bis zum Greis, befanden sich auf dem Boot. Wir kamen aus einem kommunistischen Land und ich hatte einen Politoffizier als Aufpasser an Bord. Abgesehen von illegalen Mitarbeitern der Staatssicherheit, die sich zusätzlich auf jedem Schiff befanden. Politisch durften wir nicht helfen, menschlich/seemännisch war es unsere Pflicht.

Ich ließ das Boot also längsseits meines Schiffes gehen und gab die Anweisung, dass nur ein Mann, möglichst der Leiter oder der Bootsführer, zu uns an Bord kommen dürfe. Der Mann kam an Bord und wurde von einem bewaffneten Offizier zu mir auf die Brücke gebracht. Nach einem kurzen Gespräch, das der Politoffizier mangels Englischkenntnissen nicht komplett verstand, legte ich fest, dass Diesel, Proviant, Wasser und Medikamente auf das Boot gegeben wurden. Dem Mann gab ich die Position, den Wetterbericht und zeigte ihm anhand der Seekarte den Kurs und die Distanz nach Singapur. Nachdem wir den Vietnamesen geholfen hatten, wurde der Mann zu seinem Boot zurückbegleitet. Er bedankte sich überschwänglich und beim Ablegen klatschten und winkten die Menschen uns zu.

Ein flaues Gefühl blieb. Wir hatten zwar geholfen, aber die Menschen auf dem unsicheren, überfüllten Boot belogen und im Stich gelassen. Wir fuhren nicht nach Saigon, wie für den vietnamesischen Mann deutlich auf unserer Seekarte ersichtlich, sondern wir fuhren nach Singapur, wo all diese Menschen unter Einsatz ihres Lebens auch hinwollten.

Dem Politoffizier, den Mitgliedern der SED-Kreisleitung und der Staatssicherheit zu erklären, dass ein guter Kommunist jedem Menschen in Not hilft, da wir ja im Gegensatz zum Kapitalismus menschenfreundlich sind, war nicht so einfach. Sie nahmen mir den Film mit den Aufnahmen weg, aber ich hattevorgesorgt und die im Anhang befindlichen Bilder gerettet. Sie akzeptierten es, bzw. sie mussten es akzeptieren. Ich wurde nicht sofort bestraft, aber es trug zu meinem endgültigen Berufsverbot 1984 bei.

Aus dem Dunkeln tauchten unverhofft vietnamesische Flüchtlinge auf – Foto: B. Jeske

In einem Gespräch sagte Hans Ulrich Zinn im Dezember 2018, dass die DSR mit ihren Semi-Containerschiffen im Japan-Dienst sehr erfolgreich war, weil wir viel schwere und sperrige Ladung befördern konnten. Das konnten die Containerschiffe damals noch nicht. Dazu gehörten Transformatoren, Baumaschinen für den Straßenbau usw. Die Unterräume wurden oft mit Stahl beladen, was für die Stabilität sehr gut war. Wir konnten dann die Containerkapazität an Deck voll ausnutzen. Er habe Bernd Jeske mit der SUHL von China rübergeholt und mit 5000 t Stahl beladen lassen.

Wir brauchten aber in Ostasien Vollcontainerschiffe, die dann mit dem Typ „Äquator“ kamen.

Kapitän Werner Molle, Chefinspektor DSR und Kandidat des ZK der SED, wurde von mir am 07.08.2011 zum Aufbau der Fährlinie Mukran– Klaipeda und anderen Problemen befragt. Ich erhielt die folgenden Antworten:

In der zweiten Reihe sitzen (von links nach rechts) die Kapitäne Lubjuhn, Spiewok und Molle – Foto: Diestel

Der Grund für die Schaffung der Fährlinie Mukran–Klaipeda war ein politischer. Polen wurde von den Verbündeten UdSSR und DDR nicht mehr als vertrauenswürdig angesehen. Das galt sowohl für den Transport von Handelsgütern als auch für militärische Transporte. Die DDR musste pro Achse 20 Dollar Transitgebühren bezahlen. Das war bei dem Devisenmangel der DDR untragbar. Außerdem wurde es durch den Bau des Fährhafens Mukran möglich, Militärtransporte von Wladiwostok bis in die DDR zu realisieren. Deshalb war die Nationale Volksarmee von Anfang an finanziell am Aufbau des Hafens beteiligt.

Nach der Kollision „Admiral Nachimov“–„Petr Vasev“ kam auch die Leitung der DSR, vertreten durch Generaldirektor Kapitän Dr. Artur Maul und mich, zu der Auffassung, dass die Ausbildung der Kapitäne und Offiziere der Reederei auf ein höheres Niveau gehoben werden muss. Als erste Maßnahme wurde ich nach Leningrad geschickt, um dort an einem Simulationskurs, den das Ministerium der Seewirtschaft der Sowjetunion an einem von ihm geführten Institut organisierte, teilzunehmen. Dieses sich im ehemaligen Jachthafen des Zaren befindende Institut hatte einen von norwegischen Firmen aufgebauten Simulator, der Nachtübungen erlaubte. Außerdem verfügte noch die Seefahrtschule Makarov über einen Simulator, an dem sowohl Offiziere der Handels- als auch Offiziereder Kriegsmarine ausgebildet wurden. Die Übungen am Simulator wurden immer von einem Team von drei Mann ausgeführt. Vor der Wende wurden in Leningrad sechs Kapitäne der DSR weitergebildet.

Außerdem wurde ich nach Hamburg geschickt, um dort an der Seefahrtschule am SUSAN-Simulator, der für Tagesübungen ausgelegt war, an einem Lehrgang teilzunehmen. Die Vorstellungen der DSR fanden die Unterstützung der Militärführung der DDR, die durch Kessler und Ehm in den entsprechenden Vertrag eingebunden war und das Vorhaben auch finanziell unterstützen wollte, wenn auch die NVA dort Offiziere ausbilden konnte.

Neben Verteidigungsminister Heinz Kessler (Zweiter von links) Generaldirektor Artur Maul – Foto: DSR

Von der Seefahrtschule war Professor Dr. Scharnow an diesen Planungen beteiligt. Es wurde mit einer Magdeburger Firma zur Schaffung eines Simulators verhandelt. Wie so oft in der DDR konnte das Vorhaben bis 1990 nicht realisiert werden, weil es nicht gelang, ein für ein solches Zentrum geeignetes Gebäude zu finden. 1990 waren diese Überlegungen dann Makulatur.

Die Seemannschaft der jungen Offiziere hat sehr stark nachgelassen, weil den meisten Absolventen der maritimen Bildungseinrichtungen vor allem das ihr Studium und die Ausübung des Berufes als Offizier und Kapitän erleichternde seemännische Grundlagenwissen fehlte. Den jetzt häufig eingeschlagenen Weg Abitur und dann direkt zum Studium hat die DSR immer abgelehnt. Er wäre in der DDR nicht gegangen worden. Auf diese Weise „brummt“ die Gesellschaft die Erziehung sowie die unvermeidliche Aus- und Weiterbildung der jungen Offiziere dem Kapitän auf. Die Verantwortlichen in der DDR (Seefahrtsamt, DSR usw.) hatten die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass alle Nautischen und Technischen Offiziere, einschließlich der Kapitäne, alle fünf Jahre an einem Weiterbildungslehrgang an der IHS in Warnemünde teilnahmen, damit sie das Endorsement für ihr Patent bekamen. Darüber hinaus, lange vor dem IMS-Code, schuf die DSR das Info-System, in dem Seeunfälle, Ladungsschäden, technische Schäden usw. systematisch ausgewertet wurden. Im Info-System wurde auch über die Schiffssicherheit betreffende Probleme informiert. Die Reederei organisierte auch Schiffssicherheitskonferenzen, Kapitänsforen usw. Der Grundgedanke war, durch vorbeugende Maßnahmen den Eintritt von Seeunfällen, Schäden usw. zu verhindern.

Kapitän Theo Thiemann berichtet im folgenden Text über seinen Werdegang in der Schifffahrt und über die Kollision mit der NAJADE. Diesen Beitrag habe ich nicht in das Kapitel „Kalter Krieg“ eingeordnet, weil am Beispiel von Kapitän Thiemann deutlich wird, dass die auf den Regeln guter Seemannschaft und des internationalen Seerechts beruhende Dienstausübung von Kapitän Thiemann aus politischen Gründen in der Bundesrepublik nicht akzeptiert wurde. Er beschrieb seinen Weg und seine Verfolgung so:

Mein allererstes Schiff war eine Barkasse mit drei Mann Besatzung beim Seehydrographischen Dienst. Der spätere Kapitän Fünning hat mich beim Einstieg in die Seefahrt begleitet. Meine erste Bewerbung war von der Reederei abgelehnt worden, weil sie keine Schiffe hatte. Fünning war in Stralsund beim Probefahrtskommando und in der Taklerei der Volkswerft. Außerdem machte er Wassersport bei der FDJ. Er hat mir den Tipp mit dem Hydrographischen Dienst gegeben. Ich bin dann in Stralsund zum Hydrographischen Dienst gegangen. Die Dienststelle wurde von Andreas Scheib (später Kapitän – Diestel) geleitet. Wir waren drei Lehrlinge, einer von ihnen war der spätere Kapitän und Lotsenältermann Konrad Michaelis.

Mein letztes Schiff war die OSTSEELAND unter der Flagge Maltas. Sie war vorher von der Volksmarine betreut worden. Ich habe sie von Kopenhagen nach Wolgast überführt. Mein größtes Schiff war die MUKRAN.

VÖLKERFREUNDSCHAFT im Dock 8 von Blohm+Voss am 28.02.1976 – Foto: Arnold Kludas

In „Gegner wider Willen“ hat Pfeiffer die beiden Kollisionen, die wir auf der VÖLKERFREUNDSCHAFT mit der Bundesmarine hatten, behandelt. Er hat dazu mehr Material als Elchlepp (Seekommissar – Diestel). Er konnte dadurch die Vorgeschichte der Kollision mit der NAJADE, die zum Teil auch in der Westpresse stand, mit einbeziehen. Mit dem Einlaufen in den Englischen Kanal waren wir unter der Kontrolle der NATO. Die beiden U-Boot-Jäger NAJADE und TRITON wurden drei oder vier Tage vorher systematisch auf die Aktion vorbereitet. Sie haben immer wieder das Aufnehmen eines Mannes in der Dunkelheit aus dem Wasser geübt. Die Aussagen von Elchlepp und Pfeiffer zu den Seeunfällen sind korrekt. Ich war nicht gewarnt oder darüber informiert worden, dass sich eine solche Aktion ereignen könnte. Als wir vom Großen Belt den Weg zum Feuerschiff FEHMARNBELT runterliefen, war die Sicht gut. Ich sah im Radar zwei Ziele und dachte, das sind Fischer. Als wir näher kamen, erkannten wir im Licht des Feuerschiffes, dass es Kriegsschiffe waren. Wir ahnten nichts Böses. Als wir dann den Kurs änderten, nahmen sie Fahrt auf und liefen von achtern zu uns auf. Sie rissen beide Scheinwerfer auf und blendeten uns auf der Brücke von beiden Seiten. Nach der Wende, Ende der 90er Jahre, meldete sich der Kommandant der NAJADE bei mir. Er war zu einem Crew-Treffen in Rostock und wollte mich treffen. Ich habe sofort zugestimmt. Er sagte, dass sie das mit den Scheinwerfern machen mussten, weil sie nicht wussten, wo der Flüchtling springen würde.

Der U-Boot-Jäger NAJADE – Foto: Bundesmarine

Er hat auch keinen Hehl daraus gemacht, dass das nicht seemännisch war. Er ist inzwischen gestorben. Nach seinem Tod hat mir seine Frau in seinem Auftrag einen Zinnbecher geschickt, den er von der Schule als Crew-Becher bekommen hat. Für mich war es ein Riesenglück, dass sich die Kollision auf der Backbordseite ereignete. So erübrigte sich von vornherein jede Diskussion, wer die Schuld an der Kollision trug. Die Bundesmarine übernahm die Verantwortung und bezahlte die sofortige Reparatur.

Der Geflüchtete war Kraftfahrer (LPG) und soll später, noch vor der Wende, wieder in die DDR zurückgekommen sein. Vielleicht war er ein Doppelagent. Bei der Kollision mit dem U-Boot ist es so gewesen, wie es vor der Seekammer vom Ersten Offizier geschildert und von Elchlepp dargestellt wurde. Er hat ausgesagt, dass er das U-Boot nicht im Radar gesehen hat. Es war unruhige See. Außerdem – das habe ich erst später erfahren – befand sich von der Wache niemand auf dem Turm. Sie waren alle in der warmen Zentrale. Das U-Boot war halb getaucht, wodurch es durch das Radar schwerer erfasst wurde. Außerdem wird man damals schon eine Außenhautbeschichtung gehabt haben, die die Radarstrahlen schwerer reflektiert. Das Manöver des Ersten Offiziers war ein Manöver des letzten Augenblicks. Von dem U-Boot ist ein Teil des Turms abgebrochen und bei uns an Deck gelandet. Es hatte ein Atomzeichen. Ich habe es in eine Blechkiste legen und fünf Meter darum herum absperren lassen. Ich habe versucht, Kontakt zu dem U-Boot herzustellen. Das gelang mir nicht. Stattdessen meldetesich das Fehmarnbelt-Feuerschiff und teilte mir mit, dass es das deutsche U-Boot 26 gewesen wäre. Mit Hilfe des Feuerschiffes konnte ich dann den Kontakt herstellen. Vom U-Boot teilte man mir mit, dass man keine Hilfe benötige. Mir fiel der sehr lockere Ton in der Kommunikation mit dem U-Boot auf. In der Verhandlung vor der Seekammer habe ich gesagt, das wäre so gewesen, als würden während einer Werftprobefahrt die Werft-Gandies antworten. Elchlepp bemerkte, dass das der normale Ton auf den U-Booten wäre. Als wir uns der Grenze der Warnemünder Reede näherten, kam ein Hubschrauber der Bundesmarine und sah nach, ob wir etwas an Deck zu liegen hätten.

Der folgende Text betrifft die Versuche der früheren Passagiere der VÖLKERFREUNDSCHAFT Dr. med. vet. Detlef Ulke und Dr. Heine, auf verschiedenen Gerichtsebenen der ordentlichen Gerichtsbarkeit Kapitän Thiemann zur Verantwortung ziehen zu lassen, weil er sie gegen ihren Willen aus dem Wasser retten ließ. Im Spruch des Landgerichts Rostock heißt es dazu:

Am 25.07.1976 gegen 12:50 Uhr befand sich das MS „Völkerfreundschaft“ auf einer unstreitig in dänischen Hoheitsgewässern belegenen Position ca. 2 km entfernt von der dänischen Insel Christiansö in der Nähe von Bornholm. Die See war ruhig und die Sicht war klar. Es war warm und die Sonne schien. Einige hundert Meter von der „Völkerfreundschaft“ entfernt kreuzten mehrere Segelboote. Der Kläger und Dr. Heine sprangen über Bord, um an Land zu schwimmen oder auf eines der in der Nähe kreuzenden Schiffe zu gelangen …

Wats in der Folgezeit genau an Bord der „Völkerfreundschaft“ passierte, ist zum Teil umstritten. Unstreitig erhielt der Beklagte um 12:54 Uhr telefonisch vom III. Technischen Offizier die Meldung „Mann über Bord“ sowie vom Ausguck die Meldung, dass sich zwei Personen außenbords befänden. Daraufhin löste der Beklagte „Mann über Bord“-Alarm aus, ließ das Schiff beidrehen und zu dem Ort zurückkehren, an dem der Kläger und Dr. Heine über Bord gesprungen waren. Dieses Manöver nahm einige Minuten in Anspruch. Anschließend, ab 13:06 Uhr, ließ der Beklagte zwei motorisierte Beiboote der „Völkerfreundschaft“ aussetzen, auf welchen jeweils ein Offizier der „Völkerfreundschaft“ das Kommando hatte. Eines der Boote näherte sich dem Kläger und schob sich zwischen diesen und das Festland bzw. eine ca. noch 100 Meter entfernte dänische Segeljacht. Von der Besatzung des Beibootes wurde der Kläger aufgefordert, sich in das Beiboot zu begeben. Dies lehnte der Kläger anfangs unter Protest ab und machte lautstark deutlich, dass er nach Dänemark wolle. Schließlich hatte der Kläger jedoch Angst davor, im Wasser mit Gewalt überwältigt zu werden, und ließ sich freiwillig in das Beiboot heben. Der in der Nähe schwimmende Dr. Heine wurde von einem ins Wasser gesprungenen Besatzungsmitglied überwältigt und in das gleiche Beiboot geschafft.

Das Landgericht wies die Klage ab.

Den weiteren Rechtsstreit beschreibt Kapitän Thiemann mit den folgenden Worten:

Los ging es am Amtsgericht. Dort wurde die Verhandlung nicht durchgeführt, weil der Streitwert zu hoch war. Beide wollten je 70.000 DM von mir. Ich hatte einen Rechtsanwalt, der aus Hamburg kam, aber in Rostock geboren war. Nach der Wende kam er zurück und machte eine Kanzlei auf. Er hatte Ahnung von der Schifffahrt, weil er bei den Auseinandersetzungen nach der Kollision AUE–BOMIN die BOMIN vertreten hat. Er war sehr gut, aber er war ein Getränksmann. Er konnte mich in Karlsruhe nicht vertreten, weil er für den Bundesgerichtshof keine Berechtigung hatte.

Kapitän Thiemann als Gastgeber für Fidel Castro und den DDR-Botschafter auf der VÖLKERFREUNDSCHAFT in Havanna – Foto: DSR

Er hatte mir empfohlen, für den Prozess vor dem Bundesgerichtshof den Besten zu nehmen, egal wie teuer das wird. Den er mir empfohlen hat, habe ich auch genommen. Alle Prozesse bis Karlsruhe waren auf Kosten der Staatskasse. Für Karlsruhe musste ich den Rechtsanwalt selbst bezahlen. Es wurde eine Festsumme vereinbart. Dazu habe ich meine Abfindung von der Reederei verwendet. Auch in Karlsruhe wurde ich freigesprochen. Nun steht noch der eine Zivilprozess aus, einer hat zurückgezogen. Der Prozess steht ganz hintenan und man wartet wohl auf eine biologische Lösung. Im Internet gibt es den anonymisierten Spruch von Karlsruhe. Als die Prozesse losgingen, war ich Titelbild bei „BILD“. Da kommst du nicht gegenan. Vor dem Landgericht erlebte ich eine große Genugtuung, denn der Staatsanwalt kam in einer Kaffeepause vorbei und sagte: „Herr Thiemann, was ich hier vorgetragen habe, das musste ich vortragen. Das ist nicht auf meinem Mist gewachsen.“ Der ehemalige Hamburger Bürgermeister Schulz hat während des Prozesses sein Mandat als Nebenkläger für die beiden Herren niedergelegt. Es war ein politisch opportuner Prozess, in dem alles passte, denn ich war der Kapitän des DDR-Starschiffes VÖLKERFREUNDSCHAFT, war Mitglied der Kreisleitung usw.

Dieter Rapphahn und Klaus Fiedler haben mir sehr mit ihrem Sachverständigenzeugnis vor dem Landgericht geholfen. Der Prozess war mit zwei Schulklassen wie ein Schauprozess aufgezogen. Das ging völlig daneben. Die ganze Geschichte hat mich schwer getroffen, ich konnte nicht mehr zur See fahren. Ich hatte den Kopf nicht frei und bin deshalb in Vorruhestand gegangen.

Die Übergangszeit von der DSR zur Reederei F. Laeisz wird von den Zeitzeugen in verschiedenen Kapiteln angesprochen. Das folgende Ereignis möchte ich nicht unterschlagen. Als die Technische Inspektion 1991 mich als Kapitän der MEYENBURG mit der Organisation der nötigen Reparaturen an der Hauptmaschine in Kobe allein ließ, weil die Inspektoren wahrscheinlich mit ihren persönlichen Problemen und denen der Reederei überfordert waren, half mir Mizushima-san (ehemaliger Mitarbeiter unserer Agentur in Kobe), unsere alten Firmen wieder anzusprechen. Dabei wurde der Agent unseres Charterers nervös. Mizushimasan beruhigte ihn mit den Worten: „Die DSR-Kapitäne sind sehr stark gegenüber der Verwaltung.“

Der frühere Agent der DSR in Kobe Mizushima-san besucht H.-H. Diestel auf der PUDONG SENATOR in Osaka – Foto: Diestel

Roland Morgenstern hat in seinem Text „Von der Wismut zur See“ ein Problem angesprochen, das weder vor noch nach der „Wende“ erwähnt wurde. Er schrieb:

Ich habe nicht verstanden, warum es Spannungen zwischen den von der Marine gekommenen Offizieren und denen der Handelsmarine gab. Die Sauferei auf der BÖHLEN war nicht in Ordnung, auf dem Schiff gab es keine Führungstätigkeit.

Wir, zum Beispiel meine Kollegen Ernst Labjon, Ingolf Hahn, Fred Burmeister und Ernst-Dieter Lange, die bei der DSR groß geworden sind, haben manches beobachtet, sich dazu aber nur sehr selten geäußert. Die genannten Kollegen werden zu diesem Problem später zitiert werden. Ihr größtes Problem war, dass sie, wie die Kapitäne Lubjuhn, Sorge, Prause, Gerd Strübing, Peters usw., nicht in der Handelsschifffahrt groß geworden waren. Es fehlte ihnen teilweise an Wissen und vor allem an Erfahrung.

Wurzeln der DSR

Die Rostocker Schifffahrt kann man nicht zu den Wurzeln der DSR zählen, da nur wenige Seeleute von ihr zur DSR kamen. Ausnahmen waren Willi Beykirch, der bei F. W. Fischer und Orion als Kapitän im Einsatz war, sowie der Fischländer Ferdinand Hesse, der Anfang 1936 als II. NO auf die MINNA CORDS aufstieg und später für Cords das Schiff als Kapitän führte.

Kapitän Hesse und „Hasing“ – Foto: Archiv Marnau

Ausgebildet in der Schifffahrt vor 1945

In den Nachkriegsjahren haben die Kapitäne, die vor dem Krieg unseren Beruf erlernten, sehr großen Einfluss auf uns gehabt. Dazu gehörten die Kapitäne Beykirch, Just, Schickedanz, Breitsprecher, Weitendorf, Zinn usw. Einer, der die Zeit vor dem Krieg völlig ausgeblendet hat, war Dr. Manfred Hessel. Er hat uns in Wustrow in den Gesellschaftswissenschaften unterrichtet. Von seinen bemerkenswerten Erlebnissen als Seemann im Zweiten Weltkrieg habe ich erst durch das Buch meines Lehrers „Das etwas andere Abenteuer“ erfahren. Dafür habe ich ihn später heftig kritisiert, weil Hessel damit verhindert hat, dass wir seinen Weg in unseren Einschätzungen über ihn würdigen konnten. Da ich mich in meinen Interviews mit unseren „alten Herren“ auf die Zeit vor 1945 beschränkt habe, nahm ich die Hilfe von Reiner Frank von den Norddeutschen Neuesten Nachrichten Rostock in Anspruch, um die Interviews mit dem einen oder anderen die Nachkriegszeit betreffenden Fakt zu ergänzen.

Kapitän Gerhard Just, den ich in der Inspektion kennenlernte, beschreibt seinen Anfang folgendermaßen:

Am 04.06.1934 bin ich als Junge auf den Zweimastschoner HELENE aus Hamburg aufgestiegen. Das Schiff war im Februar 1935 eingefroren. Kapitän und Besatzung wechselten sich an Bord ab. Ich blieb bis zum 07.02.1935 als Junge auf dem Schoner. Vom 01.05. bis zum 30.09.1935 war ich dann als Junge auf der Tjalk MERIDIAN. Ihr Schiffer Herr Brunkhorst wohnte in Schulau.

Die MERIDIAN konnte 130 t laden. Sie machte die gleichen Touren wie später die HELENE. In der Ostsee wurden Getreide und Ölkuchen (von Stralsund) befördert. Angelaufen wurden Aarhus, Kopenhagen und Kappeln.

Die Besatzung bestand aus Kapitän, Bestmann und einem Jungen. Die Heuer für den Jungen betrug 10 Mark. In den Ferien fuhren die Frau des Kapitäns und sein Junge mit.

Geladen und gelöscht wurde mit einer Handwinde, wenn es mit eigenem Geschirr gemacht werden musste. Gesegelt wurde nur sehr selten. Es wurde vor allem mit dem 50 PS-Glühkopfmotor gefahren. Die HELENE war vornehmlich in der Ostsee bis Aarhus mit 130 t Getreide, nach Stolpmünde, von Stettin bis Bremen (weiteste Reise), von Stralsund mit Getreide nach Hamburg, von da nach Dänemark und von dort nach Emden eingesetzt.

Der Eigner, Herr Holm, hatte nur dieses Schiff. Er wohnte in Uetersen.

Auf MERIDIAN und HELENE war es ein gutes Fahren, auch das Essen war gut.

Die frühere PADUA verlässt als KRUSENSTERN Warnemünde – Foto: Diestel

Mein Vater war in Prerow beim Zoll. Apotheker Schommartz hatte vier Söhne. Einer war EO auf der PADUA. Durch ihn erhielt ich auf der MERIDIAN die Nachricht, dass ich auf der PADUA einsteigen könne. Ich musterte in Hamburg ab und am selben Tag auf der PADUA an. Mein weiterer Weg war:

Jungmann vom 30.09.1935 bis zum 05.09.1936

Leichtmatrose vom 06.09.1936 bis zum 31.05.1937

Matrose vom 01.06.1937 bis zum 05.01.1938

An Bord herrschte halb militärischer Dienstbetrieb, sehr straff, Schommartz war die ganze Zeit EO, Kapitän war Robert Clauß. Für die letzte Reise war J. Jürs an Bord. Mit ihm kam ich zunächst nicht klar, er hat zuerst viel gequengelt, später hat er mich akzeptiert. Jürs kam mit Filzlatschen an Deck. Clauß war weniger quengelig, sein Ton war auch besser. Er war nur auf der Reise nach Chile an Bord. Kapitän Eggers, der nach dem II. WK auf der PAMIR war, befand sich als II. NO auf der PADUA. Er beschäftigte sich mit den Matrosen und den Jungs, er übte mit uns. Eggers war von der Kriegsmarine (KM) gekommen. Ich staunte, dass er als II. NO zu uns kam. Meiner Meinung nach verstand er sich zuerst nicht gut mit Clauß. Er entwickelte sich aber gut.

Gegenüber der Besatzung wurde ansonsten dichtgehalten.

Die Besatzung kam aus Cuxhaven, aus der Kieler Gegend, vom Fischland und aus Pommern. Nur wenige Sachsen waren dabei. Sie waren mehr in der Küstenfahrt vertreten. Viele Jungs kamen von der „Seemannsfabrik“.

Erlebnisse in Chile gab es kaum, da wir nur 10 Mark Devisen bekamen. Es half nur, wenn man einen Auslandsdeutschen kennenlernte. Wir konnten uns keine Sprünge leisten.

Ich habe beim Essen nichts vermisst, fühlte mich nicht schlecht beh.and.elt und erlebte keine unnatürliche Härte.

Wir wurden bis Cuxhaven oder Helgoland geschleppt. Das Schiff hatte drei Petroleumwinden für das Laden und Löschen an Deck. Wir haben das Schiff in Chile selber mit Salpeter beladen. Ausreisend transportierten wir Koks und ein wenig Stückgut.

Ich habe keine Aufliegezeiten mit der PADUA mitgemacht. Die Ladung fuhr Laeisz vor allem auf eigene Rechnung. Es gab Unfälle, ich habe aber keine kritische Situation miterlebt.

Ich bekam die Heuer eines Leichtmatrosen von 60 M.

Kapitän Just mit dem Nautischen Offizier und späteren Dozenten der IHS Rolf Schilling (1. von links) auf der VORWÄRTS – Foto: Just

Kapitän Willi Eckholz beschreibt seinen Start in der Seefahrt folgendermaßen:

Als ich mit der Seefahrt begann, waren die „Nobiskruger“ die Stars in der Küstenschifffahrt. Das waren Dreimaster mit Hilfsmotor, die vor allem in der Nord- und Ostsee eingesetzt wurden. Sie hatten Kapitän und Steuermann. Da die Nazis einen erhöhten Bedarf an Seeleuten hatten, wurde die geforderte Segelschifffahrtzeit herabgesetzt.

Mit meinem Freund hatte ich in Stettin viele Segler (dänische, schwedische und deutsche) abgeklappert, um eine Stelle als Junge zu finden. Ein deutscher Kapitän verwies uns an den Heuerbaas. Dort würden wir nur die Einwilligung der Eltern benötigen. Mein Freund ging auf einen Zweimastschoner.

Ich begann 1935 auf dem Segler GRAUER ORT, der ein holländischer Schiffstyp (Seitenschwerter, 2 Masten, 70 PS Deutz – Diestel) war. Der Eigner war in Grauer Ort beheimatet. Sein Schwiegersohn hatte „Nobiskruger“. Er selbst hatte nur diesen Segler.

Willi Eckholz am Ruder eines Küstenseglers – Foto: W. Eckholz

Man musste Bettwäsche und Kleidung mitbringen. Meine Ausrüstung kostete 45 Mark. Die Heuer betrug 12 Mark netto. An Bord waren der Schiffer, Bestmann und Junge. Das Essen auf dem Schiff war gut. Der Bestmann und ich schliefen vorne. Fast ein Jahr war ich auf diesem Schiff. Eine feste Arbeitszeit gab es nicht. Der Segler war, wie alle anderen auch, verwanzt. Gelegentlich wurde er ausgeschwefelt.

Ich stieg in Stettin auf. Auf dem Schiff musste ich alle Arbeiten machen, einschließlich Kochen und Ladungsarbeiten. Von Stettin ging es nach Anklam. Dort wurde Getreide geladen. Wir fuhren meistens nach Dänemark, Wismar und Rostock. Der Schiffer suchte vor allem Ladungen nach Dänemark, denn dort waren Verpflegung und Treibstoff billiger als in Deutschland. Der Segler hatte Fallenwinden zum Hissen der Segel. Die meisten Segler hatten diese Winden noch nicht. Dafür hatten wir ein veraltetes Pumpenspill.

Im Dezember brachte der Schiffer seinen Segler in Winterlage. Die meisten anderen machten so lange weiter, wie offenes Wasser da war. Ich blieb beim Schiffer und wohnte auch bei ihm. In der Zeit sah ich nach dem Segler. Der Schiffer verdiente offensichtlich genug, um sich dieses Vorgehen leisten zu können.

Wir beförderten unter anderem Papier, Getreide und Kalksteine aus Schweden. Stückgut war kaum dabei. Bei ungünstigem Wind lagen wir oft 30 bis 40 sm von Barhöft entfernt vor Anker. Begann ein Ankerspill zu klappern, dann machte das die ganze Flotte munter. Die längste Reise war von Wismar nach Leer.

Wenn ein Schiff einen Unterwasseranstrich benötigte, dann wurde es im Watt auf Sand gesetzt und gemalt.

Willi Eckholz „schießt“ eine Leine auf – Foto: W. Eckholz

Eine kritische Situation habe ich auf der Reise Leer–Esbjerg erlebt. Wir blieben 92 Stunden auf, die wir im Ruderhaus verbrachten. In der Zeit durften wir nicht nach vorne gehen. Es war eine beängstigende Stimmung an Bord. Als ich ausbezahlt wurde, gab mir der Schiffer 15 anstatt der vereinbarten 12 Mark.

Nachdem ich von GRAUER ORT abgestiegen war, ging ich drei Monate auf den Zweimastschoner BÜTZFLETH. Der Kapitän war aus Stade. Der Schoner lag längere Zeit zur Überholung im Waltershofer Hafen. Das Schiff war in der gleichen Fahrt wie GRAUER ORT.

Kapitän Eckholz ist dann bis zum Arbeitsdienst bei Rickmers, Horn und der Hamburg-Süd gefahren.

Kapitän Gottfried Fischer begann seine Seefahrtzeit auf der Seemannsschule in Finkenwerder. Auf der zu ihr gehörenden GROßHERZOGIN ELISABETH wurde in der Takelage exerziert. Von der Zeit auf der Seemannsschule wurden zwei Monate als Segelschiffsfahrzeit anerkannt. Fischer:

Mein Vater, der Beamter in einer Kleinstadt war, besorgte mir eine Lehrstelle bei Laeisz auf der PRIWALL. Dafür musste er bezahlen. Zehn Jungs waren an Bord. Es waren Lotsensöhne, die nicht von der Seemannsschule kamen, sowie der Sohn eines Postrates und eines Fabrikbesitzers. Die Jungs wollten auf die Seefahrtschule gehen. Das Bettzeug musste mitgebracht werden. Ein Strohsack wurde gestellt. Untergebracht waren wir im 12-Mann-Focsle.

Der Ausbildungssegler GROßHERZOGIN ELISABETH – Foto: Wikipedia

An Deck durften die Jungs erst rauchen, wenn sie den Kompass nach Viertelstricheinteilung vorwärts und rückwärts runterbeten konnten und wenn sie das ganze Tauwerk kannten.

Meine erste Reise auf der PRIWALL ging nach Australien. Kapitän Clauß führte das Schiff. Die Rückreise ging bei gutem Wetter über Kap Horn. Bei den Falklandinseln traf das Schiff dann auf einen harten Sturm.

Da die Laeisz-Segler drei Monate in die Auflage gingen, heuerte Herr Fischer für eineinhalb Monate auf dem Dreimastschoner NOBISKRUG an. Er stieg in Bremen auf. Der Schoner, der eine Hilfsmaschine hatte, ging in Ballast durch den NOK und lief Kolberg an. Er war vor allem in der Ostsee im Einsatz. Herr Fischer ging dann Ende 1935 auf die PADUA, die auch von Kapitän Clauß geführt wurde. Es war eine Reise, auf der eine französische Gesellschaft an Bord filmte. Es wurde ein Film über eine Meuterei gedreht. Dabei wurden die Häfen Brest und Lissabon sowie die Kanarischen Inseln angelaufen. Vier Frauen gehörten zur Filmcrew (Diva, Frau des Direktors, Journalistin und Sekretärin). Wenn ein Besatzungsmitglied engagiert wurde, bekam derjenige pro Stunde 2 Mark. Als die DDR ihre Handelsflotte aufbaute, kam Fischer aus Dresden, um als Matrose und Bootsmann auf der STECKENPFERD wieder zur See zu fahren. Nach dem Schulbesuch in Wustrow führte er die KARLSHORST und Schiffe der „Vogelframos“ als Kapitän.

Die Cap Horniers Erdmann, Just und Fischer (von links) bei einem Treffen der NNN – Foto: Diestel

Einen der bewegtesten Lebensläufe hatte der Cap Hornier Rudi Erdmann. Seinen Namen kannte ich durch viele Seekammersprüche. In Wustrow erlebte ich ihn als Vorsitzenden der Seekammer. Die Seefahrt des Rheinländers begann auf der PRIWALL. Er setzte sie auf der KLAUS RICKMERS, der CLAUS HOWALDT und der BOLTENHOF fort. Nach dem Krieg siedelte er zu seiner Frau nach Zeulenroda um. Dann führte er für ein Jahr den Rostocker Schlepper PAUL, wurde Lehrer, machte das Kapitänspatent, musterte als Erster Offizier und Kapitän auf der Fähre SASSNITZ an und wurde schließlich Vorsitzender der Seekammer der DDR.

Kapitän Karl-Heinz Seidler lernte ich auf der HALLE kennen, als ich als Lehrling zur Jungfernreise des Schiffes in Wismar aufstieg. Später haben Kapitän Seidler und ich als Nautische Inspektoren zusammengearbeitet.

Kapitän Seidler hat folgende Anmerkungen zu seiner Seefahrt:

Der Nationalsozialismus hat sich durch die Arbeitsfront positiv bemerkbar gemacht. Sie kamen an Bord und fragten, wie wir behandelt werden. Zu den Feiertagen kamen sie mit Geschenken. Auf dem ersten Schiff, auf dem ich war, hatten wir einen Nazi an Bord. Er war Maschinist und ein guter Mann. Er meldete sich freiwillig zum Militär und kam dort um. Der Rest war anti eingestellt. Wir mussten uns einmal bei der Hitlerjugend Bund Seefahrt melden. Der Sohn des Kapitäns ist denen frech gekommen.

In der Hauptsache sind wir nach Schweden und Dänemark gefahren, dort waren alle ziemlich progressiv eingestellt. In Ziegenort auf der Schiffsjungenschule (6– 7 Wochen) erhielten wir eine sehr gute Grundlage (Seemannschaft, Winken und Morsen). Im NOK ließen sie mich allein auf der Brücke, ich wusste mit den Signalen Bescheid. Von Ziegenort kamen wir noch kurze Zeit auf die KAPITÄN HILGENDORF.

Dort bekam ich mein erstes Schiff. Es war die LUISE BERGMANN. Ein sehr modernes Kümo mit Einzelkammer für den Moses. Ich war fast zwei Jahre Moses, weil kein Moses nachkam. Wir brauchten Segelschiffszeit für einen Schulbesuch, aber die Bootsleute auf der Schiffsjungenschule haben uns empfohlen, auf ein Kümo zu gehen, da dort die Verhältnisse besser als auf einem Großschiff wären. Deshalb bin ich auch bis 1949 durchgefahren. Sonst wäre ich wie Kapitän Knauf und andere entweder im Internierungslager oder auf einer Mine gelandet. Wir waren Marine Reserve I und wurden automatisch in die Hitlerjugend Bann Seefahrt aufgenommen.

Der Küstenfrachter LUISE BERGMANN – Foto: Wikipedia

Die Kapitäne und Seeleute, die ich vor 1945 kennengelernt habe, waren bis auf eine Ausnahme (Kapitän WEGA) keine Nazis. Den „deutschen Gruß“ mochten sie nicht. Die Kapitäne in der kleinen Fahrt waren insgesamt okay, allerdings sehr sparsam. Nur der Hungerkapitän übertrieb es in dieser Hinsicht.

Weitendorf (Kapitän der WILHELM PIECK) war wohl ein guter Seemann und Reeder. Ich war mit seiner Enkelin und seinem Schwiegersohn bekannt und erfuhr viel Negatives über ihn. Er sei egoistisch und im Hafen nie da. Weitendorf war ein Aushängeschild. Ich war bei Mewes (damals 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Rostock) und habe ihn informiert. Mewes, wie auch andere, wollte nichts hören. Weitendorf hat mich aber einmal vor einem Unfall in der Takelage bewahrt.

Zinn war nicht der Kapitän, für den er immer hingestellt wurde. Er war stark administrativ geprägt, fuhr nur bei Tag durch die Straße von Malakka usw. Ich war bei ihm IV. Offizier auf der WISMAR.

Opa Beykirch verfuhr nach dem Prinzip Laissez-faire. Ich musste als Chief mate alles machen, dementsprechend auch das Ummalen der Außenhaut in Tientsin von Schwarz auf Grau anordnen.

Hannes Knauf war immer nur der gute Onkel oder Papa.

Kapitän Beykirch in Uniform – Foto: DSR

E-Mail vom 13.05.2013

Hallo Hans-Hermann,

auf die WISMAR bin ich noch vor der Indienststellung während der Bauaufsicht aufgestiegen. Kapitän war Adolf Zinn. Auf der LUISE BERGMANN war ich laut Lehrvertrag und Seefahrtsbuch vom 30.10.1943 bis zum 16.03.1945. Anschließend war ich vom 25.03. bis zum 06.08.1945 auf der WEGA. Die WEGA war ein ehemaliger Jachtschoner. Sie lag bei Kriegsende auf der Kleinen Weser gegenüber von Brake vor Anker. Am 10.08.1945 musterte ich auf dem Dampfer ERPEL an. Nach drei Reisen von Deutschland nach Norwegen wurde das Schiff als Reparationsleistung nach England abgeliefert. Auf diesen Reisen transportierte unser Schiff jeweils 2000 ehemalige deutsche Militärangehörige. Im Anschluss war ich bis zum 08.04.1946 auf der ANNA von Brake und anschließend auf der IRMGARD von Krautsand bis zum 25.03.1949 tätig. Mein letztes Schiff in der BRD war die WANDA aus Hamburg. Auf ihr war ich als Matrose bis zum 14.05.1949. Dann war ich, wie viele deutsche Seeleute, einige Monate arbeitslos. Die Alternative war eine Reise nach Berlin. Mein Zuhause lag zufällig in Ostberlin und so landete ich im damaligen Ostdeutschland. Damit setzte sich mein weiterer Werdegang als Seemann mit einigen Unterbrechungen in der DDR fort.

Weitere Fragen beantworte ich Dir gerne.

Herzliche Grüße,

Karl-Heinz (Seidler)

Dr. Manfred Hessel, Dozent an der IHS, beschrieb seine Erlebnisse so:

Ich habe vor dem Krieg im März 1939 als Schiffsjunge angefangen und bin bis Juni 1945 gefahren, zweimal abgesoffen und bombardiert worden. Wie das eben so im Krieg war. Wir waren vor allem an der norwegischen Küste im Einsatz. Die gleiche Anzahl von Seemeilen bin ich noch einmal mit DSR-Schiffen gefahren.

Ich habe von Anfang an Tagebuch geführt, keine lauen Geschichten und kein Seemannsgarn. Es ging immer um die nackten Tatsachen. Die Tagebücher habe ich jedes Mal beim Absaufen gerettet. Wie, weiß ich nicht.

Dr. Manfred Hessel als Matrose am Ruder der WELHEIM – Foto: Hessel

Geschrieben habe ich das Buch „Das etwas andere Abenteuer“, weil in der DDR, auch im Westen, über die Handelsschifffahrt im Zweiten Weltkrieg so gut wie nichts berichtet wurde. Nach meinen Recherchen sind ca. 6000 Seeleute im Zweiten Weltkrieg umgekommen. Die Briten haben nicht in erster Linie die Vorpostenboote, sondern die Handelsschiffe angegriffen. Von einem Norweger weiß ich, dass meine WELHEIM, auf der ich drei Jahre war, bei Florö an der mittleren norwegischen Küste in 40 m Wassertiefe liegt. Wir waren von Flugzeugen torpediert worden (nach Hocking am 28.11.1944 von Torpedobooten vor Bergen versenkt). Sie war ein modernes Schiff, das auf seiner Jungfernreise vom Krieg überrascht wurde. Die WELHEIM war ein Motorschiff, bei dem die Lotsen anfangs Vorbehalte hatten, weil sie befürchteten, dass das Umsteuern der Hauptmaschine nicht klappen könnte. Diese Vorurteile legten sie sehr schnell ab.

Ich habe die meisten Kapitäne als sehr menschlich empfunden. Ich bin ja vor allem bei der KIA gefahren. Die Reederei, die zum Stinnes-Konzern gehörte, versorgte Ostpreußen mit Fertigprodukten, Industriegütern, Kohle usw. Ich habe die Kapitäne als gut und sehr gut empfunden. Sie haben sich mit dir beschäftigt. Sie und der Chief mate haben sich auch mal mit dir zusammengesetzt. Einer hat mich gefragt, ob ich Knöpfe annähen könne. Kapitän Pfeiffer war eine Ausnahme. Die Besatzung nannte ihn „Hannibal“, weil er so terroristisch mit der Besatzung umging. Er war ein kleiner Aktienbesitzer bei Stinnes und hatte seine private Barkasse mit an Bord. Das Verhalten dieser Kapitäne war für Kapitäne großer Reedereien undenkbar. Das galt auch für andere Besatzungsmitglieder. Der Altmatrose Fritze Wärmke hat sich in allen Lebensfragen um mich gekümmert. Andererseits musstest du natürlich z. B. beim Seeklarmachen einen ordentlichen Schlag reinhauen. Meine Auffassung zu den Kapitänen war schon damals so und ist nicht durch mein Alter gemildert worden. Schrecklich war der Kapitän, der Probleme mit seiner Sehkraft hatte. Für jedes gemeldete Feuer und für jeden Entgegenkommer gab er einen kleinen Schnaps aus. Er musste sich auf die Matrosen verlassen. So viele Schiffe, wie wir gemeldet haben, um den Schnaps zu kriegen, gab es gar nicht. In Friedenszeiten hätte er bestimmt keine Seetauglichkeit mehr bekommen. Dieser Kapitän war eine große Ausnahme. Ansonsten waren die Kapitäne gestandene Leute, die mit 45 oder 50 Jahren Kapitän geworden waren.

Auf der WELHEIM hatten wir einen Politvertreter (Beauftragten der NSDAP). Das war der Zimmermann. Er sollte die Seeleute schulen, aber es wurde nicht viel über Politik gesprochen. Der Zimmermann war ziemlich friedlich und still. Es gab Landgangvorbereitungen, doch das wurde auf Sparflamme gekocht. Auf kleineren Schiffen gab es diese Funktion nicht.

Die Matrosen und Maschinenassistenten waren in der Regel älter und hatten Familie. Sie verdienten 120 Mark. Die meisten hatten einen Ziehschein von 80 Mark für die Familie. Da blieb nicht viel Geld übrig. Deshalb waren sie an Überstunden interessiert, um etwas zusätzlich zu verdienen. Kapitän Ecks hat auf der WELHEIM nur auf das Fachliche geachtet.

Das bewaffnete MS WELHEIM im Krieg – Foto: Wikipedia

Als aktiver Nazi hat sich keiner von den Kapitänen, mit denen ich in jenen Jahren zusammen gefahren bin, zu erkennen gegeben. Sie mussten Dinge durchführen, die von oben angeordnet wurden. Wir hatten einen zu uns strafversetzten Matrosen. Er war als Matrose bei Kriegsausbruch auf einem finnischen Schiff gefahren und dort geblieben. 1940/41 kam er zu uns. Die Besatzung sagte über die Nazis: „Die spinnen.“ Es stimmt nicht, wenn im Westen immer wieder gesagt und geschrieben wird, dass die Menschen keine Ahnung hatten. Spätestens 1943 wussten wir, dass der Krieg verloren war. Unter vier Augen haben sie dir immer gesagt, dass der Überfall auf die Sowjetunion der Anfang vom Ende war, denn da hat ja Napoleon schon verloren. Die Maschinenbesatzung war politischer. Die meisten kamen aus dem Ruhrgebiet und hatten eine bessere Bildung. Die Matrosen stammten vor allem aus Ostpreußen und kamen vom Land. Im Mai 1945 wurde ich für eineinhalb Jahre in Norwegen interniert.

Reiner Frank, der Fachmann für die Schifffahrt bei den NNN, schickte mir die folgenden Informationen über die Rostocker Cap Horniers:

Weitere Cap Horniers waren neben Just, Fischer und Schommartz, der allerdings nicht bei der DSR, sondern beim SHD war, Richard Rath, Gerhard Brunne, Joachim Gauck (Senior), Paul Holtz, Friedrich Trenkel, Friedhold Rink, Joachim Norden, Gerhard Großmann, Ernst Languth und Hans v. Petersson (Wetterdienst). Gerhard Brunne war bei der Marine und Paul Holtz wie Jochen Gauck waren Lotsen. Gerhard Großmann war Schuldirektor in Mügeln bei Oschatz geworden. Friedrich Trenkel wurde Hotelier und kam aus Neudorf im Harz. Joachim Norden war Bäckermeister in Warnemünde. Dann waren da noch Ernst Languth aus Suhl sowie der Stralsunder Karl-Friedrich Witzke. Rolf Porath, der Kapitän der „Schwarzheide“, und Hans v. Petersson vom Fischland waren zu den Veranstaltungen der NNN zwar geladen, kamen aber nicht. Joachim Norden aus Warnemünde kam auch nur einmal vor seinem Tod. Frithjof Pielenz vom Seeamt erreichten wir nicht mehr. Helmut Ernst half als Takler in der MTW sowie als Werft- und Hafenkapitän in Wismar, die Handelsflotte der DDR aufzubauen. So weit einige Namen. Bei der DSR, um deren Vertreter es Dir ja geht, waren wohl nur Just, Fischer, Witzke, Languth und Rath sowie eben Porath, den Du ja noch kennengelernt hast.

Beste Grüße

Reiner

Anmerkungen: Richard Rath kam über die Fischerei zur DSR, wo er zusammen mit dem Zeitzeugen Bootsmann H.-J. Lange als Erster Offizier auf der UCKERMARK fuhr. Für andere bekannte deutsche Reedereien fuhren: Adolf Zinn (II. NO beim Norddeutschen Lloyd, Bremen), Heinz Propp (Woermann), Herbert Schickedanz (Poseidon/KIA, Neptun-Reederei Bremen und Standard Oil), Arthur Friedrich (Hapag, Slomann), Rudolf Porath (Norddeutscher Lloyd), Harald Leistner (Hansa), Klaus Heiden (Essberger), Gerhard Just (Deutsche Afrikalinie, Hamburg-Süd), Karl-Heinz Laudahn (Hapag), Ferdinand Hesse (Vinnen, Esso, Hamburg-Süd, Stinnes) und Willi Eckholz (Rickmers, Horn, Hamburg-Süd). Karl-Friedrich Witzke war auf der PADUA ausgebildet worden.

Die WILHELM PIECK, die Volksmarine und die Fischerei

In einem Gespräch mit Gerhard Wulf, der Kapitän bei der DSR und Lotse in Rostock war, bemerkte ich: „Ich wollte Weitendorf in den 60ern besuchen. Er hätte sich wahrscheinlich darüber gefreut.“

Wulf: