Weiberröcke und Leichen - Hans-Hermann Diestel - E-Book

Weiberröcke und Leichen E-Book

Hans-Hermann Diestel

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Beschreibung

Sprichwörter erfreuen sich unverändert großer Beliebtheit. Das gilt ganz besonders für die der Seeleute. Die Sprache der Seeleute war farbig und von großer Bildhaftigkeit. Ihre Sprichwörter sind und bleiben es. Es ist verständlich, dass viele Begriffe der Seemannssprache wie »Jemand geht vor Anker« oder »Streicht die Segel« Bestandteile unserer Alltagssprache wurden. Seine Erlebnisse als Moses, Matrose und Kapitän und die von ihm in seiner 55-jährigen aktiven Seefahrt gesammelten Geschichten illustrieren die unveränderte Gültigkeit dieser von allen Seefahrernationen geprägten klaren Worte. Der Autor ergänzte diese mit den Sprüchen weiser »Landeier«. Durch die Seeunfälle und Vorkommnisse, die die Sprüche und Redewendungen illustrieren, wird auch deutlich, dass sich die Arbeits- und Lebensbedingungen für einen großen Teil der Seeleute über die Jahrzehnte nicht wesentlich verbessert haben. Kapitän Diestel bezeugt mit diesem Buch seinen Respekt »der unvergleichlichen See, den Schiffen, die nicht mehr sind, und den schlichten Männern, deren Tage nicht wiederkehren«. (Joseph Conrad)

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Hans-Hermann Diestel

Kapitän

WEIBERRÖCKE UND LEICHEN

Geschichten zu Sprüchen

der Seeleute und „Landeier“

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2015

Die Titelbilder:

Oben: Die Fähre WARNEMÜNDE läuft bei Sturm in Warnemünde ein

Unten links: MS SCHWERIN 1964 auf der Rückreise von Mexiko im Nordatlantik bei Windstärke 12

Unten rechts: Die Reste des im Taifun gestrandeten britischen Passagierschiffes UGANDA vor Kaohsiung

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Copyright der Abbildungen:

Fotos aus dem Internet wurden mit ihrer Quelle oder dem Hinweis „gemeinfrei“ ausgewiesen. Das Schiffbau- und Schifffahrtsmuseum Rostock stellte die EMANUEL, das DSR-Archiv die FIETE SCHULZE und Wolfgang Kramer die PANCIU zur Verfügung.

Alle anderen Fotos entstammen dem Archiv des Autors.

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

Cover

Titel

Die Titelbilder

Impressum

Einleitung

Sabbeln, snacken oder kommunizieren

Am Anfang war das Schiff

Seemannschaft und Navigation

Derjenige, der bereit ist, hat nichts zu fürchten

Weder gutes noch schlechtes Wetter hält an

Ein kleines Leck kann ein großes Schiff zum Sinken bringen

Fall um

Wenn sich Schiffe küssen

Eine kleine Klippe kann ein großes Schiff zum Scheitern bringen

Aus einem kleinen Funken kann eine große Flamme entstehen

Eine Hand für das Schiff – eine Hand für dich

Glück, Unglück oder kurios?

Bermuda- und Drachendreieck

Kapitän – Master next God?

Der Fisch stinkt vom Kopf her

Die Ratten verlassen das sinkende Schiff

Durch die Kehle geht viel, sagte der Schipper

Weitere Chefs an Bord

Das Reich des Smeerlappens

Weiberröcke an Bord

Seefahren ist kein Zuckerlecken

Leben und arbeiten im schwimmenden Gefängnis

Reeder – Manager – Räuber – Philanthrop

Gier frisst Verstand

Über Leichen gehen

Von Häfen und Reeden

Nachwort

Maritimes Glossar

Verzeichnis der Veröffentlichungen

Quellenverzeichnis

Literatur

Hans-Hermann Diestel Kapitän

EINLEITUNG

Sprichwörter faszinieren mich seit Jahrzehnten. Einer meiner Lieblingslehrer von der Seefahrtschule Wustrow, Professor Bruno Jenssen, teilte mit mir dieses Hobby und schenkte mir zu meinem 60. Geburtstag eine kleine Sammlung. Es ist ein großes Vergnügen, sie von Zeit zu Zeit zu lesen. Besonders gefällt mir der große Reichtum an Seemannssprüchen aller zur See fahrenden Nationen. Sie sind einzigartig. Konrad Reich, Rostocker Autor („Himmelsbesen über weißen Hunden“) und Verleger, würdigte mit dem folgenden Text die in ihnen sichtbar werdende Sprache der Seeleute: In der Zeit der großen Segelschiffe lagen Wirkliches und Phantastisches, Geschichte und Mythologie nah beieinander. Das Leben an Bord und auf See, die Fahrten im vertrauten Gewässer oder zu unbekannten Fernen müssen für die seetüchtigen und seekundigen Fahrensleute von einer tief erregenden Wirkung gewesen sein, wie anders ließe sich die ungestüm-kreative Phantasie erklären, die wir in der Sprache des Seemanns seit alters her finden. Diese Einschätzung ist Labsal für einen Seemann, dem die Sprache seines Berufsstandes nicht gleichgültig ist. Mein Interesse geht aber über die Sprichwörter der Seeleute hinaus. Von den Sprüchen der „Landeier“ gefallen mir besonders die spanischen wegen ihrer oft derben und deftigen Sprache sowie die indischen mit ihrem hohen intellektuellen Niveau. Deshalb stimme ich dem Sprichwort

Alle Sprichwörter müssten mit goldenen Lettern geschrieben werden

uneingeschränkt zu. Sebastian Franck hat es schon 1541 so formuliert:

… und ist bei allen Nationen

und allen Zungen die größt Weisheit aller

Weisen in solich Hofred und abgekürzte

Sprichwörter als in einen verschlossenen

Kasten alle irdische und ewige Weisheit eingelegt.

Wie zutreffend die von mir ausgesuchten Sprichwörter und Zitate die Realität in der Schifffahrt wiedergeben, werden die verschiedenen Geschichten, Augenzeugen- und Untersuchungsberichte dem Leser zeigen. Dabei lege ich Wert auf Geschichten, die überprüfbar sind. Visionen, Einbildungen usw., die sich bei Autoren wie Charles Berlitz („Das Bermuda-Dreieck“) oder bei John Canning („Die großen ungelösten Rätsel des Meeres“) finden, sollen mit einigen wenigen Beispielen als Phantastereien aufgeführt werden. Sie zeigen dem Leser, wie sie von diesen Autoren an der Nase herumgeführt werden.

Konrad Reich während eines Hafenstammtisches mit dem heutigen Rostocker OberbürgermeisterRoland Methling (1. rechts) und dem Autor(1. links)

Dieses Buch beschäftigt sich vor allem mit Schiffen und ihren Seeleuten. Schon als Kind standen Schiffe an erster Stelle meines Interesses. Dabei ist es geblieben. Die Seeleute verdienen mehr Aufmerksamkeit als die Schiffe, weil sie sie bewegen und weil der Reichturm dieser Welt auf ihrem Rücken geschaffen wurde. Ohne sie gäbe es ihn nicht. Wer das für unsere Zeit nachvollziehen will, muss sich nur die Statistiken zum Seetransport ansehen. In dieser Welt lassen ein paar egoistische Flugzeugführer oder Lokführer die Räder stillstehen, weil einige wenige von ihnen in ihrer Position die Bevölkerung erpressen können. Die Seeleute, die von allen Kontinenten aus zahllosen Ländern kommen, sind so schlecht organisiert, dass man sie miserabel bezahlen, verpflegen und behandeln kann, ohne dass es zu einer erwähnenswerten Reaktion kommt. Ihr Schiff mag bei Sonnenschein gerade noch schwimmen, aber sie steigen auf. Die Kombüse hat eher etwas mit einem Schweinestall zu tun, aber sie holen sich beim „Smeerlappen“ ihr „Essen“ ab. Mit ihrer Arbeit, ihrer Disziplin und ihrem Einfallsreichtum helfen sie den dafür verantwortlichen Banditen, das Schiff in Betrieb zu halten. Wenn das dann nicht mehr klappt, werden sie und ihr Schiff einfach aufgegeben. Wer hilft ihnen dann, ihre Heuer und ein Ticket für den Rückflug zu bekommen? Der sogenannte Reeder nicht. Letzte Hoffnung ist in einer solch verfahrenen Lage die Internationale Transportarbeiter-Föderation.

Diese Behandlung der Seeleute und ihr zum Teil daraus resultierendes miserables Ansehen hat Tradition. Schon der arabische Staatsmann und Autor BAHA’AD-DIN (1189) hat mit folgenden Worten eindrucksvoll beschrieben, welches Ansehen zu seiner Zeit die Seeleute hatten:Wir waren damals im Winter, das Meer war zornig, und, wie es im Qur’an heißt, die Wellen erhoben sich wie Berge. Es war das erste Mal, dass ich das Meer sah, der Anblick machte mir den tiefsten Eindruck. Ich sagte bei mir selber, wenn man mir auch die ganze Welt böte, würde ich niemals einwilligen, auch nur eine Meile auf diesem Element zurückzulegen; und ich war versucht, die für Narren zu halten, die für ein armseliges Gold- oder Silberstück furchtlos ein Schiff bestiegen; mit einem Wort, ich schloss mich der Ansicht derer an, die einen Menschen schon allein deswegen für unvernünftig halten, weil er sich dem Meer anvertraut, und die sein Zeugnis vor Gericht nicht für annehmbar halten.

Ich sehe mich als einen sehr glücklichen Menschen an, der den größten Teil der Seefahrt in einer Gesellschaft verbracht hat, die seine Arbeit schätzte und in der nicht nur der Kapitän über ein sehr hohes Prestige verfügte. Das heißt nicht, dass wir keine Sorgen hatten oder dass unser Beruf einfach war. Der Beruf des Seemanns war niemals leicht. Deshalb waren und sind wir unverändert davon überzeugt, dass Perikles mit dem folgenden Spruch recht hat:

Wenn irgendetwas, so ist das Seewesen eine Kunst,die nicht gelegentlich und nur nebenbei geübt sein will,sondern im Gegenteil, es darf nichts anderes neben ihrgetrieben werden.

Wer ihn berücksichtigt, hat gute Chancen, seinen Heimathafen wieder zu erreichen. Ungeachtet ihrer miserablen Behandlung, ihres wahrlich nicht leichten Berufes und der arroganten Missachtung ihrer Leistung durch „Landeier“ lieben sie ihren Beruf und das Meer. In der Liebe zum Meer sind sie nicht allein. Warum das so ist, erklärte der amerikanische Präsident John F. Kennedy so:Es ist ein interessanter biologischer Fakt, dass wir alle in unseren Adern den gleichen Prozentsatz an Salz wie das Meer haben. Deshalb haben wir Salz in unserem Schweiß und in unseren Tränen. Wir sind an den Ozean gebunden. Und wenn wir zum Meer gehen, um zu segeln oder um es zu sehen, gehen wir dahin zurück, wo wir hergekommen sind.

Herd in der Kombüse eines Feederschiffes, das der Autor als „Ausbildungskapitän“ besuchte

SABBELN, SNACKEN ODER KOMMUNIZIEREN

Zur Sprache der Seeleute habe ich schon den Rostocker Autor und Verleger Konrad Reich in der Einleitung zitiert. Sie ist so kompliziert wie der Beruf der Seeleute. Deshalb haben sie selbst gelegentlich Probleme mit den verschiedenen Begriffen. Das betrifft nicht nur die deutschen Seeleute, sondern auch die, die sich der englischen Sprache bedienen. So habe ich mit dem „The Nautical Institute“ in London über die Definition verschiedener Begriffe diskutiert. Die Damen und Herren dieser Organisation sahen sich weder in der Lage, meinen Auffassungen zu widersprechen, noch ihnen zuzustimmen.

Auch deshalb kann es gar nicht anders sein, als dass die Kommunikation auf einem Schiff wie in der Ehe seit uralten Zeiten ein heißes Eisen ist. Das wird schon an der Wortwahl, die jemand für diesen Vorgang verwendet, deutlich. Für mich war immer vieles weiter nichts als Sabbeln (unaufhörlich und schnell (dummes Zeug, Unsinn) reden). Das Gesagte gibt leider zu oft dem Spruch Nicht der Rede wert sein recht. Wesentlich humorvoller ist da schon der Ausdruck „snacken“, den viele Norddeutsche gerne verwenden. Seine ursprüngliche Bedeutung ist „den Mund öffnen“. Wenn man miteinander snackt, gehört schon ein wenig Humor und gegenseitige Achtung dazu. Das wird in dem folgenden Döntje deutlich: „Ehelüd vertüürnen sick. De Fru seggt: ‚Ich räd di nich wedder an.‘ Se maken ’ne Wett. He kriggt ’n Striekholt her und lücht’t ümher, as wenn he wat söcht. Toletzt kann se’t nich uthollen: ‚Wat söchstd du?‘ – ‚Dienen Mund!‘“

Das berühmteste Beispiel für die Bedeutung der Sprache auf einem Schiff ist die Meuterei auf der BOUNTY. Die entscheidende Ursache für die Meuterei auf der Südseereise war nicht, wie immer wieder irrtümlich oder wider besseren Wissens behauptet, die Brutalität von William Bligh. Es war seine Sprache. In seiner Wut über die Unfähigkeit seiner Offiziere, nicht seiner Mannschaft, beschimpfte er sie in beleidigender und unmäßiger Weise. Leutnant Bligh konnte den folgenden Spruch von Napoleons Minister Talleyrand noch nicht kennen, aber der Kollege eines Containerschiffes schon. Talleyrand hatte gesagt: Die Sprache ist dem Menschen gegeben, um seine Gedanken zu verbergen.

Portrait von Rear Admiral William Bligh von Alexander Huey, 1814 (NationalLibrary ofAustralia)

Der Kapitän eines 6479 TEU großen Containerschiffes, das ich nach einer Kollision als „Ausbildungskapitän“ besuchte, hätte sowohl Bligh als auch Talleyrand kennen müssen. Seine Sprache war nicht besser als die von Bligh. Das Schiff steuerte im Nebel den südlich von Shanghai gelegenen Containerhafen Yangshan an und kollidierte dabei mit einem sich ebenfalls unter deutschem Management befindenden Containerschiff. Die folgenden Tiraden des rumänischen Kapitäns zeigen überdeutlich sein Missfallen betreffend seiner deutschen und kroatischen Kollegen. Sein Wutanfall hat ihn zweifellos abgelenkt, seine Fähigkeit, die Lage rational und sachlich zu analysieren, beeinträchtigt, und ihm nicht geholfen, die Kollision zu verhindern. Der Kapitän des Containerschiffes sagte u.a., als die beiden Schiffe aufeinander zuliefen: „Fucking Deutsche … er geht auf 80, wenn er so gehen möchte, warum muss ich diese idiotischen Deutschen treffen … fucking shit, mein ganzes Leben diese idiotischen Deutschen und Kroaten … heilige Scheiße – hart nach Backbord …“ Das alte Sprichwort Reden istSilber, Schweigen ist Gold trifft auf den Rumänen in zweierlei Hinsicht zu. Auf der einen Seite war das, was er von sich gegeben hat, unqualifiziert und auf der anderen Seite hätte er sich, wenn er seinen Schnabel gehalten hätte, auf seinen Job konzentrieren können. Wir, in diesem Fall aber ganz besonders der rumänische Kollege, sollten uns mehr um unsere Sprache kümmern. George Orwell argumentierte in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts aus gutem Grunde: Wenn Gedanken die Sprache korrumpieren können, dann kann auch die Sprache die Gedanken korrumpieren.

In der Schifffahrt wird seit uralten Zeiten Wert auf eine einfache, kurze und unmissverständliche Sprache gelegt. Wie schwer sich die Schifffahrt damit tat, beweist die Geschichte der Ruderkommandos. Nach der Kollision der PRINCESS ALICE mit der BYWELL CASTLE am 3. September 1878 auf der Themse, bei der etwa 640 Menschen ums Leben kamen, schuf das Board of Trade ein Komitee, das Vorschläge für die Verbesserung der Schiffssicherheit erarbeiten sollte. Einer der Vorschläge war, dass die Befehle an den Rudergänger für das Ruder(blatt) anstatt für die Ruder(pinne) gegeben werden sollten. Die früheren Ruder(Helm/​Tiller/​Pinne)-Befehle waren ein Relikt aus der Zeit der kleinen Segelschiffe mit einer Ruderpinne. Legte man die Ruderpinne nach Backbord, drehte das Schiff nach Steuerbord. Obwohl die Ruderpinne schon lange aufgegeben worden war, behielt man die Befehle bei. Diesen Vorschlag realisierten die Briten erst am 1. Januar 1933. Wie sie selbst sagen, haben viele weniger konservative Nationen dies schon lange vorher getan. Dieses sprachliche Durcheinander sorgte auf der Brücke, vor allem in kritischen Situationen, für Verwirrung zwischen dem Lotsen und dem Rudergänger. Mit der Änderung wurden alle Elemente der Ruderanlage in Übereinstimmung gebracht. Das Ruderrad wurde vom Rudergänger nach Steuerbord gedreht, dadurch bewegte sich das Ruderblatt nach Steuerbord und der Bug des Schiffes folgte in die gleiche Richtung.

Ungeachtet der enorme Bedeutung besitzenden Kommunikation kann ich kaum Sprüche der Seeleute zu diesem Problem finden. Ich muss deshalb wieder einmal auf die von „Landeiern“ zurückgreifen.

Über die Jahrhunderte haben sich auch die Mittel zur Kommunikation erheblich verändert. Die oft gedankenlos gerühmte Moderne hat in der Schifffahrt das Typhon und die Flüstertüte erst durch das UKW-Sprechfunkgerät und das Walkie-Talkie und dann vor allem durch das Mobiltelefon ersetzt. Diese technischen Möglichkeiten förderten das keine Grenzen mehr kennende Sabbeln. Der schon erwähnte Spruch Reden ist Silber, Schweigen ist Gold könnte dem Verantwortlichen auf der Brücke helfen, erst zu überlegen, dann zu entscheiden und daraufhin auch zu handeln. Er gilt leider bei zu vielen Seeleuten nicht mehr. Es gab und gibt aber immer wieder Kapitäne, die sich dieser Entwicklung entgegenstemmen. Kapitän J. J. Millar vom Containerschiff MARS forderte in seinem wöchentlichen Managementbericht das Unternehmen Alpha Ship und damit mich als Sicherheitsbeauftragten auf, etwas gegen das Gesabbel der Lotsen zu unternehmen. Sein Missfallen fanden die Lotsen, die beim Manövrieren des Schiffes in engen Gewässern ihr Mobiltelefon ausufernd nutzten. Sie lenkten sich damit ab und beeinträchtigten die Konzentration des Kapitäns. Ich bin dem Wunsch meines geschätzten britischen Kollegen sehr gerne nachgekommen und habe in der entsprechenden Verfahrensanweisung im Handbuch des Unternehmens die Lotsen aufgefordert, diese die Sicherheit des Schiffes beeinträchtigende Praxis zu unterlassen. Damit war das Problem nicht gelöst, aber es gab dem Kapitän die Möglichkeit, mehr Druck auf den Lotsen auszuüben. Noch gravierender wird die Sicherheit von Schiff und Besatzung sowie die möglicher Passagiere durch den kritiklosen Einsatz des UKW-Gerätes und des Mobiltelefons beeinträchtigt. Die folgenden Beispiele können einem die Rede verschlagen. Der Missbrauch des UKW-Gerätes, um gegen die Kollisionsverhütungsregeln verstoßende Absprachen zu treffen, führten zur Kollision des Passagierschiffes ADMIRAL NACHIMOV und des Bulkers PJOTR WASSEW am 31. August 1986 im Schwarzen Meer. Der Seeunfall kostete 423 Menschen das Leben. Die Deutsche Seereederei Rostock hatte nur zwei Monate zuvor ihre Kapitäne und Offiziere im Informationssystem Flotte mit einem Papier unter dem Titel „Vor UKW-Absprachen wird gewarnt“ aufgefordert, derartige Gespräche und Absprachen zu unterlassen.

Das sowjetischen Passagierschiff ADMIRAL NACHIMOV (ex BERLIN)

Nicht alle Schifffahrtsunternehmen engagierten sich in dieser Weise. Weitere Seeunfälle konnten nicht ausbleiben. Die beiden Massengutfrachter HANJIN MADRAS (150977 tdw) und MINERAL DAMPIER (170698 tdw) kollidierten am 22. Juni 1995 südlich der koreanischen Insel Jejudo (früher Quelpart). Die Wachoffiziere beider Schiffe kommunizierten miteinander, trafen Absprachen zur Kollisionsverhütung, handelten aber nicht angemessen. Aufgrund der Kollision sank die voll abgeladene MINERAL DAMPIER mit Mann und Maus. 27 Seeleute verloren ihr Leben, weil die beiden Wachoffiziere den Unterschied zwischen sinnlosem Gerede und Führung ihres jeweiligen Schiffes nach den Regeln guter Seemannschaft zur Einhaltung der Kollisionsverhütungsregeln offensichtlich nicht kannten. Sowohl als Kapitän als auch als Verantwortlicher für die Seeunfalluntersuchung der DSR habe ich mich immer gegen den unüberlegten und sinnlosen Gebrauch vor allem des UKW-Gerätes ausgesprochen. Vor Kurzem fand ich ein Beispiel, das dem Fass den Boden ausschlägt.

Das Containerschiff CMA CGM FLORIDA und der Bulkcarrier CHOU SHAN kollidierten am 19. März 2013 etwa 140 sm östlich von Shanghai. Das Containerschiff war auf dem Weg nach Pusan in Südkorea und der Massengutfrachter wollte nach Australien. Die CHOU SHAN kreuzte den Kurs der CMA CGM FLORIDA von Backbord und war damit ausweichpflichtig. Der chinesische Wachoffizier (WO) des Bulkers forderte seinen Kollegen auf dem Containerschiff über UKW auf, hinter dem Heck seines Schiffes herumzugehen. Die Kommunikation zwischen beiden Schiffen wurde vom WO der CHOU SHAN und einem chinesischen Zweiten Offizier, der gerade auf das Containerschiff aufgestiegen war und sich zur Einweisung auf der Brücke befand, in Mandarin geführt. Das widersprach den Sicherheitsbestimmungen des unter britischer Flagge und von einer französischen Reederei gemanagten Schiffes, denn die legten Englisch als Arbeitssprache fest. Der philippinische Wachoffizier (II.N.O.) sprach nicht Mandarin und konnte deshalb nicht verstehen, dass sein chinesischer Kollege, der auf der Brücke überhaupt nichts zu sagen hatte, dem Ansinnen, das den Kollisionsverhütungsregeln widersprach, zustimmte. Das Ergebnis dieser chinesischen Absprache war eine schwere Kollision, durch die die beiden Schiffe erheblich beschädigt wurden und 610 Tonnen Schweröl ins Meer liefen.

Seit dem „Siegeszug“ des Mobiltelefons wird es immer häufiger als Ursache für Seeunfälle benannt. Der Wachoffizier der BUNGA TERATAI SATU konzentrierte sich so sehr auf ein Telefonat seiner Frau, das sie mit dem Mobiltelefon von der Brücke aus mit der Familie zu Hause in Pakistan führte, dass er überhaupt nicht an den Kurs seines Schiffes dachte. Es lief dann wegen einer unterlassenen Kursänderung auf ein Riff vor der australischen Ostküste.

Der Spruch Wenn der Schiffer „Land“ ruft, kann man noch nicht aussteigen hätte die Fahrgäste auf der indonesischen Fähre ACITA 3 am Abend des 18.10.2007 vor Bau Bau, Buton warnen können. Die mit fast 200 Passagieren völlig überladene Fähre (Kapazität 90 Passagiere) war auf dem Weg von der Insel Sulawesi nach Buton. Als sich das Schiff dem Hafen näherte, stürzten zu viele Passagiere an Deck, um mit dem Mobiltelefon Angehörige von ihrer baldigen Ankunft zu informieren. Die Fähre wurde instabil und kenterte. Ungeachtet eines großen Rettungseinsatzes verloren 60 Menschen ihr Leben. Das bestätigte einmal mehr den Spruch:

Man kann auch noch an der Mole Schiffbruch erleiden.

Abgesehen von solch dramatischen Ereignissen gibt es gerade in der Schifffahrt im Zusammenhang mit der Sprache immer wieder Momente, in denen man herzhaft lachen kann, weil wir eben nicht alle die gleiche Sprache sprechen. 1979 erhielt ich auf meiner Reise mit der FRIEDRICH ENGELS in Rotterdam über unsere Agentur von Holland Fumigation B. V. das folgende Schreiben:

Sehr geehrter Herr Kapitän,

Herzlich willkommen in diesem Hafen.

Für die folgenden Zeilen möchten wir gerne Ihre Andacht:

Im Falle, dass Ihr Schiff von Ungetierte Last hat, wie z.B. Kakerlaken-Getreidekäfer – Ratten u.s.w. können wir Sie ohne Zweifel auf eine schnelle und erfahrene Manier davon befreien. Egal welche Sorte, wir können sie mittels Sprühbehandlung mit verschiedenen Insecticiden … vertilgen …

Falls Ratten sich über Ihr Mittagessen hermachen können Sie sie besser mit HF Rattengift füttern anstatt mir Ihrem Essen.

Was unsere Apparaturen betrifft können wir Ihnen einen einfachen Handsprayer liefern aber auch, auf Wunsch, einen Motorsprayer. Mit unseren Instruktionen und Advisen kann Ihre eigene Besatzung die Behandlung selber durchführen während Ihr Schiff auf See ist. Selbstverständlich sind unser Advise ganz freibleibend.

Hochachtungsvoll

… (General Manager)

Schornsteinmarke der Reederei Mediterranean Shipping Company (MSC)

Die gleiche Sprache sprechen auch die Seeleute und die Journalisten in verschiedenen Medien nicht. Eine typische Schifffahrtsmeldung lautet zum Beispiel:

Containerfrachter MSC Flaminia verholte nach Odense(02.12.13)

Am 30.11. um 11.30 Uhr machte der deutsche Containerfrachter „MSC Flaminia“, 75590 gt (IMO: 9225615) beim Odense Steel Shipyard fest. In den vergangenen Tagen war ein Teil der kontaminierten Ladung in Aarhus gelöscht worden …

Die Entsorgungsfirma NORD soll nun 25,000 Tonnen Gefahrgut in Zusammenarbeit mit der Fayard-Werft und der H.J. Hansen Geningdvinding von Bord holen.

Der Auftragswert beträgt 50 Millionen dänische Kronen. DieFracht(Hervorhebung HHD) soll in den Hochöfen von NORD in Nyborg in den kommenden Monaten verbrannt werden.(Quelle: Tim Schwabedissen)

Diesen Unfug wird ganz gewiss niemand machen, denn die Fracht ist das Geld, das der Charterer oder Reeder für die Beförderung der Ladung bekommt. Der Charterer war MSC (Ökelname: „Mafia Shipping Company“). Als ich 1990 mit der AQUITANIA an MSC verchartert war, habe ich bei der Reederei nicht die geringste Neigung zum Verbrennen von Geld erkennen können. Es sind denn auch die Reste der Ladung, die verbrannt werden sollen.

Der Verfasser dieser Meldung ist durchaus nicht der Einzige, der Schwierigkeiten mit der Bedeutung bestimmter maritimer Begriffe hat. Ein weiterer beliebter Begriff, den er, wie auch zahlreiche Fachjournalisten, falsch verwendet, ist das „Rammen“. Kriegsschiffe haben sich früher gerammt, Schiffe kollidieren miteinander.