Achtsames Management - Dorothea Faller - E-Book

Achtsames Management E-Book

Dorothea Faller

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Beschreibung

Der ressourcenorientierte Umgang mit Konflikten, Stress und Veränderungen ist essenziell in sich ändernden Märkten und digitalisierungsbedingtem Wandel, die eine achtsame Führungs- und nachhaltige Fehlerkultur fordern. Moderne Organisationen müssen sich einen wertorientierten Führungsstil, Konfliktmanagementsysteme und ein nachhaltiges Personalmanagement leisten, damit effiziente Strukturen geschaffen werden und bestehen können. In diesem Buch erhalten Führungskräfte, Coaches und Mediatoren eine Anleitung zur Stärkung eines werteorientierten Führungs- und Personalmanagements. Anhand von erfolgreichen Praxisbeispielen wird die Umsetzung mediativer Techniken in den Kernbereichen der Personalführung dargestellt. Mit mediativen Kompetenzen können Führungskräfte ihre Mitarbeiter strukturiert durch bewegte Zeiten dirigieren und Unternehmen letztlich als attraktive Arbeitgeber überzeugen.

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Dorothea Faller, Kurt Faller

Achtsames Management

Führungskompetenzen in Zeiten hoher Komplexität

Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Rudolf Wimmer und Beiträgen von

Hans-Joachim Fietz-Mahlow, Helmut Kaufmann und Samuel Müller

© Wolfgang Metzner Verlag, Frankfurt am Main 2018

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der Freigrenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Lektorat Jürgen Heim, Berlin

Umschlagabbildung © sorbetto – iStock.com

Grafiken (soweit nicht explizit benannt) © Kurt Faller

eISBN 978-3-943951-78-3

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

Einleitung

1. Führung im Umbruch

1.1 Neue Anforderungen

1.2 Die Macht der traditionellen Muster

1.3 Musterwechsel

2. Aktuelle Entwicklungen

2.1 Die Diskussion um die »nächste Gesellschaft«

2.2 Die Diskussion um Industrie und Arbeit 4.0

2.3 Schwarze Schwäne und die Forderung nach Antifragilität

2.4 Die Erwartungen der Generation Y

3. Moderne Konzepte für Führung und Zusammenarbeit

3.1 Orientierung

3.1.1 Ganzheitliche Betrachtung – der systemische Ansatz

3.1.2 Von mehreren Seiten – triadisches Denken

3.2 Haltung

3.2.1 Sozialisierte Macht

3.3 Werte

3.3.1 Das Prinzipienmodell der Führung

3.4 Lernen

3.4.1 Lernende Organisation – Das Konzept von Peter M. Senge

3.4.2 Die Steigerung der Lernfähigkeit von Organisationen – eine Präzisierung von Rudolf Wimmer

3.5 Achtsamkeit

3.5.1 Der personale Ansatz von Achtsamkeit

3.5.2 Der sozialpsychologische Ansatz von Achtsamkeit

3.5.3 Der organisationsbezogene Ansatz von Achtsamkeit

3.6 Struktur

3.6.1 Führen in einem Netzwerk interagierender Gruppen

3.6.2 Die evolutionäre Organisation

4. Musterwechsel durch moderne Mediation

4.1 Führungskräfte als Mediatoren

4.1.1 Mitarbeitende beteiligen

4.1.2 Umgang mit Kontrolle

4.1.3 Sensibilität für Abläufe und Beziehungen

4.1.4 Einordnung von Konflikten

4.2 Entwicklung der Mediation

4.2.1 Die europäische Geschichte der Mediation

4.2.2 Der Schritt von der personenorientierten zur organisationsorientierten Mediation

4.2.3 Systemische Mediation

4.2.4 Das Bochumer Konzept

4.3 Der organisationale Blick auf Konflikte

4.3.1 Gute Arbeit

4.3.2 Anerkennung

4.3.3 Systemische Einordnung sozialer Konflikte

4.3.4 Funktionale und dysfunktionale Konflikte

4.3.5 Konfliktkosten

4.4 Praxisbeispiel

4.5 Die Führungskraft in der innerbetrieblichen Konfliktbearbeitung

4.5.1 Grundlagen der innerbetrieblichen Konfliktbearbeitung

4.5.2 Kooperation im Prozess der innerbetrieblichen Konfliktbearbeitung

4.5.3 Kooperative Auftragsgestaltung in der Vorphase / Pre-Mediation

4.5.4 Kooperation in der Mediation

4.5.5 Kooperation in der Konsolidierungsphase

4.6 Systemisches Konfliktmanagement

4.6.1 Was ist Systemdesign?

4.6.2 Die Verbindung von Mediation und Organisationsentwicklung im Systemdesign

4.6.3 Orientierung am Bestehenden und Erweiterung durch Mediation

4.7 Das Konzept der META-Mediation

5. »Mindful Management« – ein triadisches Konzept Achtsamen Führens

5.1 Selbstführung

5.1.1 Selbstreflektion

5.1.2 Soziale Achtsamkeit

5.1.3 Lernen

5.2 Mindful Leadership

5.2.1 Mit Komplexität umgehen – Das Ziehharmonika-Prinzip

5.2.2 Sensibilität für Abläufe und Beziehungen entwickeln – Das Kongruenz-Prinzip

5.2.3 Kompetenz fördern

5.2.4 Selbstbestimmung ermöglichen

5.2.5 Mit Leitplanken führen

5.3 Organisationale Achtsamkeit

5.3.1 Achtsame Kommunikationsstrukturen

5.3.2 »Weiche« Managementsysteme

5.3.3 Werteorientierte und sinngebende Unternehmenskultur

6. Die transformative Weiterentwicklung der Führungskultur

6.1 Transformationslernen

6.1.1 Wirkungsunsicherheit

6.1.2 Theorie und Praxis

6.1.3 Ebenen des Lernens

6.2 Entwicklungsdesign für die Weiterentwicklung der Führungskultur

6.3 Praxisbericht 3 »Führung im Dialog«

6.3.1 Herausforderungen

6.3.2 Der strategische Prozess der Salus gGmbH

6.3.3 Umsetzungsschritte – Meilensteine des Veränderungsprozesses

6.3.4 Zusammenfassung

6.4 Die »Lehr-Lern-Schleife« als gemeinsame Orientierung

7. Techniken des achtsamen Managements

7.1 Techniken systemischer Gesprächsführung

7.1.1 Fragend führen

7.1.2 Das Neun-Felder-Modell® als Instrument professioneller Gesprächsführung

7.1.3 Feedback – Grundlagen

7.1.4 Verhandeln

7.2 Techniken der Selbstführung

7.2.1 Selbsteinschätzung der Führungsmotivation

7.2.2 Selbsteinschätzung der Führungskompetenzen

7.2.3 Feedback für die Führungskraft

7.2.4 Übung »Screenshot«

7.3 Techniken mediativer Mitarbeiterführung

7.3.1 Feedback im Mitarbeiterjahresgespräch

7.3.2 Feedback in Anlassbezogenen Mitarbeitergesprächen

7.3.3 Teamfeedback

7.4 Techniken zur Analyse von Komplexität

7.4.1 Stakeholdermodell

7.4.2 Systemzeichnung

7.4.3 Spinnwebanalyse

7.4.4 Umgang mit komplexen Konflikten – Anwendung der Triade

7.5 Techniken zur organisationalen Konfliktbearbeitung

7.5.1 Analyse der Organisationskultur

7.5.2 Lesen von Widerstand

7.5.3 Der strukturierte Klärungsidalog – ein Instrument, mit Machtverhältnissen in Konflikten mediativ umzugehen

Literaturverzeichnis

Index

Vorwort

Prof. Dr. Rudolf Wimmer

Unsere Welt ist ziemlich aus den Fugen. Neuartige Konfliktlinien und die damit verbundenen kriegerischen Auseinandersetzungen halten die Welt in Atem. Ihre Schockwellen sind inzwischen unmittelbar im Herzen Europas angekommen und werden von dort so rasch auch nicht wieder verschwinden. Das Thema Sicherheit steht deshalb aktuell ganz oben auf der politischen Agenda. Diese gesamtgesellschaftliche Großwetterlage zieht so viel öffentliche Aufmerksamkeit auf sich, dass ein anderes Phänomen vergleichsweise in den Hintergrund gerät. Auch in unseren Organisationen hat sich die Konfliktdynamik deutlich verschärft. Dies zeigt sich vielleicht gar nicht so sehr an zunehmenden Arbeitskämpfen, obwohl diese in manchen Bereichen durchaus auch noch ganz erbittert ausgetragen werden. Die Symptome sind vielfach subtilerer Natur und entfalten sich eher auf der Ebene der beteiligten Personen, an Hand ihrer Motivationslage, an Überlastungs- und Erschöpfungszuständen und vergleichbaren psychosomatischen Phänomenen. Die damit verbundenen Konfliktkosten sind erheblich, wenn auch vielfach nur dem geschulten Auge zugänglich.

In der professionellen Auseinandersetzung um ein zukunftsfähiges Verständnis von Führung und Beratung findet die Dimension »Konflikte« im Kontext von Organisationen in der Zwischenzeit durchaus große Beachtung. In kaum einem Programm zur Führungskräfteentwicklung fehlt die gezielte Bearbeitung von Konflikten. Es zählt heute zum »common sense«, dass das achtsame Managen von Konflikten zur Schlüsselaufgabe von Führung gehört. Eine ganz andere Frage ist allerdings, ob dieses verbreitete Problembewusstsein in der Alltagspraxis unserer Organisationen bereits einen Niederschlag findet. Im Feld der prozessorientierten Organisationsberatung hat sich rund um das Konfliktthema eine eigene professionelle Spezialisierung, die Mediation, ausdifferenziert, mit inzwischen gut beschriebenen Vorgehenskonzepten, professionellen Standards, Ausbildungsangeboten, Tagungen, etc. Das vorliegende Buch ist ein hervorragender Ausdruck dieses gelungenen Professionalisierungsweges.

All diesen Entwicklungen liegen weitreichende Veränderungen unserer Organisationen zugrunde. Im klassischen Organisationsverständnis galten Konflikte als ungewollte und deshalb zu vermeidende Störfälle. Die Hierarchie sorgte per se für Entscheidbarkeit und damit für Formen der Kooperation, in denen auf der Ebene der formellen Kommunikation potentielle Konflikte gar nicht erst aufkommen konnten. Die Mitgliedschaftsrolle inkludierte eine generelle Unterwerfungsbereitschaft gegenüber den jeweiligen Vorgesetzten, denen die Hierarchie zudem Machtquellen an die Hand gab, diese Bereitschaft auch entsprechend zu »fördern«.

Diese tradierten Organisationsverhältnisse, die das 20. Jahrhundert noch weitestgehend geprägt haben, sind in der Zwischenzeit kaum noch anzutreffen. Unsere Organisationen und hier insbesondere Wirtschaftsorganisationen sahen sich in den letzten Jahrzehnten gezwungen, die relativ einfachen hierarchischen Differenzierungsformen zu verlassen, um ihre eigene Antwortfähigkeit mit Blick auf die sich dramatisch verändernden Umwelten immer wieder von neuem sicherzustellen. Mit dieser Veränderungsdynamik, die gerade mit der Digitalisierung einen neuen, bislang ungeahnten Schub erfährt, ist organisationsintern ein Niveau an Eigenkomplexität gewachsen, das radikal andere Formen der Koordination und Kooperation erforderlich macht. Die heute anzutreffenden wesentlich komplexeren, organisationsinternen Differenzierungsformen versuchen eine sehr viel größere Vielfalt von Zielen der unterschiedlichsten Anspruchsgruppen aus den relevanten Umwelten organisationsintern bearbeitbar zu machen, als das früher der Fall war. Die rasanten technologischen Innovationen treiben diese Entwicklungen mit großer Wucht voran. Organisationsintern wird damit ein weitreichender Funktionswandel des hierarchischen Ebenenunterschiedes, des Führungsverständnisses und vor allem des Verhältnisses der einzelnen Funktionsträger zu ihrer Organisation vorangetrieben. Die Leistungsfähigkeit heutiger Organisationen ist in einem noch nie dagewesenen Ausmaß darauf angewiesen, die unabhängige Urteilskraft und Selbstverantwortung jedes einzelnen Beschäftigten zu ermutigen und zu fördern. Jeder steht heute unter dem Erwartungsdruck, sich selbst aus der eigenen Verantwortung heraus ein eigenständiges Bild von der jeweiligen Situation zu machen und die damit zum Ausdruck kommende Expertise in die laufenden Entscheidungsprozesse selbstbewusst einzubringen. Gleichzeitig schaffen die deutlich gewachsenen Komplexitätsbedingungen ein unglaubliches Maß an Abstimmungsnotwendigkeiten, weil erfolgreiches Arbeiten eine Vielzahl von Abhängigkeiten zwischen den unterschiedlichen Funktionseinheiten und Akteuren gestiftet hat. Es geht also heute um das Managen von Kooperationsbeziehungen, die auf diesem besonderen Typus von Abhängigkeit von an sich relativ autonomen Einheiten (das können Einzelpersonen, Teams, Bereiche sein) beruhen. Hier versagen die tradierten Koordinationsmechanismen über Weisungen, Vorgaben von oben, über rigide Planungsprozesse, etc. Erfolgreiche Abstimmung ist heute das Ergebnis von subtilen Aushandlungsprozessen, in denen die Perspektivenvielfalt der Beteiligten einfließen kann und miteinander Lösungen produziert werden, die mit Blick auf die Leistungsfähigkeit des größeren Ganzen optimiert sind.

Solche Prozesse benötigen den Dissens, das dezidierte Nein, als produktiven Faktor. Nur darüber lässt sich bei komplexen Entscheidungsgrundlagen, denen eine Vielzahl von eingebauten Widersprüchen zugrunde liegt, die erforderliche dezentrale Intelligenz mobilisieren. Der Schritt vom Dissens zum veritablen Konflikt ist jedoch, wie wir alle wissen, ein ganz kleiner. Sobald relevante Interessen berührt oder gar bedroht sind, verschärfen sich die Gegensätze. Diese stimulieren Selbstbehauptungs- und Durchsetzungsstrategien, die aus jeder Position heraus absolut legitim sind, aber aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeiten auf eine Fortsetzung der Konfliktdynamik drängen. In ihrer eigendynamischen Selbstverstärkung entfalten sich Konflikte als energiebindende und energieverzehrende »Parasiten« (Luhmann) am sozialen System, häufig mit einer fatalen Tendenz zur Chronifizierung.

Im Umgang mit Konflikten haben wir es heute also mit einer ganz bedeutsamen Paradoxie zu tun. Die inzwischen realisierten Organisationsverhältnisse produzieren unvermeidlicher Weise ständig eine Vielzahl von Konfliktsituationen, die es für das Finden von guten Entscheidungen und tragfähigen Lösungen immer wieder von neuem fruchtbar zu machen gilt. Gleichzeitig bergen sich verselbständigende Konfliktdynamiken ein hohes Gefährdungspotenzial in sich; nicht zuletzt deshalb, weil das klassische Konfliktbewältigungsrepertoire der Hierarchie weitgehend verschwunden ist. Für den Umgang mit dieser Paradoxie tun wir gut daran, Konflikte als organisationale »Immunreaktion« zu verstehen, die an der fortschreitenden Emotionalisierung der beteiligten Akteure gut abzulesen ist. Es ist dies eine Reaktion auf ein zunächst unverstandenes Resonanzphänomen, dem genauer auf die Spur zu kommen sich in jedem Falle aber lohnt. Dass mit dieser gezielten und bewusst proaktiven Konfliktbearbeitung hohe Ansprüche an die persönliche wie soziale Kompetenz von Führungskräften verbunden sind sowie an all jene, die solche Prozesse als Mediatoren begleiten, kann jeder gut nachvollziehen, der selbst schon in solchen Konfliktkonstellationen gesteckt hat. Bei wem ist das nicht der Fall?

Das vorliegende Buch bietet Orientierung auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Ihm gelingt dies, indem es eine bewundernswerte Kenntnis der einschlägigen Literatur mit einer enorm reichhaltigen, jahrzehntelangen Praxiserfahrung auf kluge Weise verbindet.

Wien, November 2016

Einleitung

Wir leben und arbeiten in einer spannenden, aber auch von großen Widersprüchen geprägten Zeit. In Europa, gerade in Deutschland, geht es den Menschen so gut wie noch nie in der Geschichte. Die technisch-ökonomische Entwicklung und vor allem die digitale Revolution schaffen enorme Möglichkeiten, in neuen Formen zu arbeiten und sich ständig weiter zu entwickeln. Bildung und Ausbildung sind selbstverständlich. Arbeit und Leben lassen sich besser als in früheren Zeiten verbinden.

Gleichzeitig sind Arbeit und wirtschaftliches Handeln mit hoher Unsicherheit und hoher Komplexität konfrontiert. Krisen, Konflikte und institutionelles Versagen bestimmen die öffentliche Debatte und schaffen ein Klima von Angst und Lähmung.

Es ist überdeutlich, dass neue Technologien, neue Formen der Arbeit und die Globalisierung immer beides beinhalten: große Chancen und hohe Verluste. In den sich schnell entwickelnden Märkten gibt es oft nur kurze Zeitfenster, um Möglichkeiten zu nutzen. »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben« – so der berühmte Satz von Michail Gorbatschow.

Diese gesamtgesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Widersprüche sind auch in der alltäglichen Arbeit in Organisationen und Unternehmen spürbar. Begeisterung und Engagement für die neuen Möglichkeiten sowie Angst und Sorge vor möglichen Gefahren liegen nah beieinander und schaffen Konflikte zwischen Führungsebenen, in Teams und Belegschaften. Dabei wird die Frage, wie Führungskräfte in Unternehmen und Organisationen mit Konflikten umgehen, immer wichtiger. Denn Konflikte im Arbeitsleben haben ein Janus-Gesicht. Auf der einen Seite sind sie unangenehm, stören die Arbeitsabläufe und verursachen Kosten. Auf der anderen Seite sind sie wichtige Signale, dass etwas nicht (mehr) stimmt und verändert werden sollte. Je früher Konflikte in der Organisation erkannt, erfasst und bearbeitet werden, umso hilfreicher sind sie für die Weiterentwicklung. Früherkennung und mediative Bearbeitung von Konflikten werden so zu Schlüsselkompetenzen von Führungskräften.

Seit 20 Jahren sind wir als Wirtschaftsmediatoren in der konkreten Bearbeitung von Konflikten in Organisationen, als Berater und Coaches in der Begleitung und Entwicklung von Führungskräften und als Lehrmediatoren in der Ausbildung von Mediatoren tätig. Dabei haben wir immer wieder beobachtet, dass die Dynamik in Arbeitskonflikten durch die obengenannten tieferliegenden Widersprüche beeinflusst wird. Alle Menschen in Organisationen wollen gute Arbeit leisten und wünschen sich Wertschätzung und Anerkennung. Aber oft ist nicht (mehr) eindeutig, was unter den aktuellen Bedingungen gute Arbeit bedeutet und was die Kriterien für Anerkennung sind. Die veränderten Umfeldbedingungen zeigen, dass viele der bisherigen Regeln und Herangehensweisen nicht mehr greifen oder sogar hinderlich sind, neue Formen aber noch nicht gefunden wurden. In der konkreten Konfliktbearbeitung stellten wir fest, dass diese darunterliegenden, in der Regel nicht thematisierten Strömungen Konflikte verschärften oder überraschend zur Lösung beitrugen.

Wir begannen, diese Fragen intensiver mit Kunden und Studierenden zu diskutieren. In diesen Gesprächen wurde uns deutlich, dass die hohe Ambivalenz dieser allgemeinen Umbruchsituation sich vor allem auf die Arbeit von Führungskräften auswirkt. Wir hörten immer wieder, dass gerade viele der zukunftsorientierten Führungskräfte sich geradezu zerrissen fühlten zwischen den neuen Anforderungen und den traditionellen, oft unhinterfragten Mustern in der Führungskultur des Unternehmens. Dadurch entstanden für viele Führungskräfte schwer zu bewältigende Dilemma-Situationen. Das am häufigsten genannte Dilemma bestand in der Anforderung, einerseits Eigenverantwortung und Selbständigkeit von Mitarbeitern zu fördern und andererseits in der – zumeist unausgesprochenen – Erwartung, alles im Griff zu haben und Kontrolle zu sichern.

Die Bearbeitung derartiger Dilemmata nahm in Gesprächen in Unternehmen und vor allem in Ausbildungskursen immer größeren Raum ein. Wir begannen, uns stärker theoretisch mit dieser Umbruchsituation im Führungsverhalten zu beschäftigen und stellten fest, dass die Auseinandersetzung mit Mediation, systemischer Gesprächsführung und systemischer Organisationsberatung vielen Führungskräften half, mit den alltäglichen Widersprüchen besser umzugehen. Diese teils überraschenden Erfahrungen spornten uns an, Zusammenhänge genauer zu hinterfragen. So entstand vor fünf Jahren die Idee zu diesem Buch. Wir nutzten diese Zeit, uns intensiv mit den aktuellen Management-Konzepten auseinanderzusetzen, diese Erkenntnisse mit unseren bisherigen Erfahrungen in der Arbeit mit Führungskräften zu verbinden und neue Ideen zu entwickeln. Vieles konnten wir in Trainings bei Führungskräfteentwicklungen umsetzen und damit praktische Erfahrungen sammeln. Wir begannen, aus der Verbindung von modernen Managementkonzepten, systemischer Organisationsberatung und organisationsorientierter Mediation eigene konzeptionelle Ansätze zu entwickeln und zu erproben. Für die allseits geforderte Veränderung von Führung stehen für uns die Begriffe Achtsamkeit, Kommunikation und Umgang mit Konflikten im Zentrum dieser drei Entwicklungslinien.

So werden in Kapitel 1 als Ausgangssituation die neuen Anforderungen an Führungskräfte und die wesentlichen traditionellen Muster dargestellt. Dadurch ergibt sich ein erster Blick auf die konkreten Formen eines möglichen Musterwechsels. Die existentielle Bedeutung dieses Musterwechsels für Unternehmen wird in Kapitel 2 hervorgehoben. In Kapitel 3 werden Konzepte für Führung und Zusammenarbeit vorgestellt, die uns in unserer Entwicklungsarbeit besonders berührt und fasziniert haben. In Kapitel 4 stellen wir unsere Erfahrungen in Praxis und Lehre für eine organisationsorientierte Mediation dar. In Kapitel 5 verbinden wir diese Entwicklungslinien zu einem triadischen Konzept »Achtsames Führen«. Diese Synthese von modernen Management-Konzepten und organisationsorientierter Mediation bezieht sich auf drei Ebenen:

• die Ebene der Selbstführung – »leading self«

• die Ebene der Leadership – »leading others«

• die Ebene der organisationalen Achtsamkeit – »leading organisations«.

Eine Anwendung dieser Ansätze in Prozessen der Führungskräfteentwicklung zeigt Kapitel 6. Eine praktische Beschreibung für eine transformative Weiterentwicklung der Führungskultur zeigt der Bericht aus der Salus gGmbH in Magdeburg.

In Kapitel 7 werden konkrete Techniken und Übungsansätze zur systemischen Gesprächsführung und Feedback, zu Selbstführung, zu mediativer Mitarbeiterführung und zum Umgang mit Komplexität dargestellt.

Dieses Buch streift viele theoretische Felder, aber es ist aus praktischen Erfahrungen in der Begleitung von Führungskräften entstanden und für die Praxis geschrieben. Es richtet sich daher vor allem an Führungskräfte und Personalentwickler, aber auch an Berater und Mediatoren.

Wir möchten uns bei allen Führungskräften, Kolleginnen und Kollegen, Studierenden und Alumnis bedanken, die uns durch Gespräche, Kritik und Hinweise unterstützt haben.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text die männliche Form benutzt und von der Führungskraft usw. gesprochen. Selbstverständlich sind hier alle weiblichen Rollenträgerinnen eingeschlossen.

Münster, September 2017

Dorothea Faller

Kurt Faller

1. Führung im Umbruch

Moderne Unternehmen und Organisationen brauchen Führung. Um mit unterschiedlichen Professionen in komplexen Arbeitsprozessen Ergebnisse zu erzielen, müssen Führungskräfte Entscheidungen treffen, Prozesse koordinieren und tragfähige Antworten auf Veränderungen finden. Je komplexer gesellschaftliche Veränderungen, technologische Entwicklungen und Differenzierungen in Strukturen, Abläufen und Kommunikation in den Unternehmen werden, umso wichtiger wird gute Führung. Was aber heißt »gute Führung«? Darüber wird in Organisationen und den sie begleitenden Wissenschaften heftig diskutiert. Übereinstimmung besteht in nahezu einhelligen Anforderungen für verändertes Führungsverhalten. Doch genauso offensichtlich sind die Probleme, diese Erkenntnisse in der praktischen Führungsarbeit in Organisationen umzusetzen.

Zum Einstieg wird der Umbruch im Führungshandeln an einem konkreten Beispiel dargestellt, das Dilemma von Führungskräften zwischen neuen Anforderungen und traditionellen Mustern geschildert und der notwendige Musterwechsel im Führungshandeln begründet. Dazu begleiten wir ein Unternehmen, die Hartmann GmbH.

»So kann es nicht weitergehen« – Standortbestimmung in der Hartmann GmbH:

»Was machen wir denn nun an den zwei Tagen, die wir uns für die Klausur und die Standortbestimmung vorgenommen haben?« meinte Martin Hartmann skeptisch und sah seinen Bruder Klaus an. »Ich finde es auch schön hier und teile deinen Vorschlag, außerhalb der Firma einmal grundsätzlich gemeinsam zu überlegen, wie es weitergehen soll. Aber gleichzeitig habe ich mindestens fünf Themen auf dem Schreibtisch, die heute oder morgen geklärt werden sollten.«

Nach längerer Diskussion hatten Klaus und Martin Hartmann, gleichberechtigte Geschäftsführer der Hartmann GmbH, einen gemeinsamen Termin mit einer Beraterin, die das Unternehmen schon länger begleitete, in einem Tagungshotel vereinbart.

Die Hartmann GmbH ist ein mittelständischer Betrieb mit ca. 560 Mitarbeitenden, der hochspezialisierte elektronische Antriebe für Industriestraßen entwickelt und produziert. Die Firma wurde vom Senior Heinrich Hartmann in den 70er Jahren gegründet. Mit seinem kaufmännischen Hintergrund und einem kleinen Team kompetenter Techniker und Konstrukteure gelang es ihm, die Firma innerhalb von 10 Jahren zu einer respektablen Größe mit 250 Mitarbeitenden aufzubauen und deutschlandweit führender Hersteller dieser Antriebe zu werden. Nach der Pionierphase, in der alle Mitarbeitenden in die meisten Prozesse einbezogen waren, erkannte Heinrich Hartmann, dass er die Firma anders aufstellen musste. Er schuf Fachabteilungen, die von seinen besten Mitarbeitern geleitet wurden.

Abb. 1.1 Organigramm der Hartmann GmbH

In dieser Phase der Firmenentwicklung spielte der Vertrieb beim Erschließen neuer Märkte eine besondere Rolle; durch seine Aktivitäten konnte sich die Firma international aufstellen und in ihrem Segment auf dem Weltmarkt eine entscheidende Position einnehmen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts war die Firma auf 430 Mitarbeitende angewachsen.

Seine beiden Söhne waren Ende der 90er Jahre in die Firma eingetreten und übernahmen mehr und mehr Verantwortung. Klaus hatte BWL (Betriebswirtschaftslehre) studiert und sich nach Tätigkeiten in verschiedenen internationalen Konzernen entschieden, in den Familienbetrieb einzusteigen. Auch sein jüngerer Bruder Martin hatte als promovierter Elektroingenieur in verschiedenen Unternehmen gearbeitet und war mit dem Ziel in die Firma gekommen, diese zusammen mit seinem Bruder zu führen. Martin war Experte in Antriebstechnik und die beiden gingen davon aus, dass ihre unterschiedlichen Kompetenzen sich im Sinne der Firma gut ergänzen würden. Die Zusammenarbeit bewährte sich, sie führten einige Neuerungen ein, die die Firma voran brachten und weiter wachsen ließen.

Die beiden erhielten Prokura; auch die Kooperation mit dem Senior funktionierte gut. Martin und Klaus fiel auf, dass die Abteilungsleiter mit ihren Fragen weiterhin zum Senior gingen und sich nicht an die regulären Abläufe hielten. Auch wurden Vorgaben der Söhne von den Abteilungsleitern nicht immer umgesetzt bzw. teilweise erst nach Rücksprache mit dem Senior. Auf Drängen seiner Söhne holte Heinrich Hartmann 2006 einen Unternehmensberater ins Haus. Sie erarbeiteten mit diesem gemeinsam Bereiche, Verantwortlichkeiten und Ablaufstrukturen, auch im Hinblick auf die Perspektive, dass der Senior sich langfristig zurückziehen wollte. Es wurden Führungsleitlinien entwickelt, die in einem Workshop mit den Abteilungsleitern besprochen und verabschiedet wurden.

2010 überschrieb der Senior die Firma zu gleichen Teilen an seine Söhne und zog sich 2011 aus dem operativen Geschäft zurück. Die Geschäfte liefen gut; die Umsätze und Gewinne, an denen auch die Mitarbeitenden beteiligt wurden, wuchsen.

Aber ab 2013 zeigten sich Probleme. Die Umsätze waren nach wie vor gut, aber die Beschwerden und Reklamationen von Kunden nahmen zu. So machte ihnen die Steuerung eines Antriebs, der immer wieder Störungen aufwies, große Sorgen. Auf der anderen Seite gab es Klagen über den Service. Vor allem die Zusammenarbeit zwischen Vertrieb und Konstruktion war von gegenseitigen Vorwürfen geprägt. Die Konstrukteure warfen den Vertrieblern vor, den Kunden das Blaue vom Himmel zu versprechen, um gut da zu stehen. Die Vertriebler unterstellten den Konstrukteuren Inkompetenz und Inflexibilität, weil sie die Wünsche der Kunden nicht entsprechend schnell umsetzten. Kenntnisse über die Arbeit der anderen Abteilungen und ihre Aufgaben und Probleme nahmen ab. Da einige Schnittstellen nicht funktionierten, definierte Martin Hartmann die Prozessketten deutlicher; dies löste großen Widerstand insbesondere bei den Technikern aus, die sich mit noch mehr Dokumentation überlastet fühlten. Einige Abteilungsleiter ignorierten diese Anweisung. Es erfolgte keine Reaktion, was den Ärger der anderen verstärkte.

Während sie die Entwicklung der letzten Zeit im Gespräch mit der Beraterin Revue passieren ließen, wurde ihnen deutlich, wie sehr sie diese Situation belastete. Sie hatten sich zu Beginn ihrer Tätigkeit über ihre Führungsvorstellungen unterhalten; beide präferierten einen partizipativen Führungsstil, wollten Mitarbeitende mitnehmen, so wie es auch der Senior getan hatte. Doch dieser hatte die Firma zu einer anderen Zeit geführt und eine andere Autorität als seine Nachfolger. Klaus Hartmann vertrat den Anspruch, Themen möglichst konsensual zu regeln: Er führte viele Gespräche, die aber kein Ergebnis brachten, so dass in der Belegschaft der Eindruck entstand, es gehe nicht weiter und die Geschäftsführung sei entscheidungsschwach. Gerade das Bemühen, alles richtig zu machen, führte bei ihm zu einer hohen psychischen und physischen Belastung – erhöhter Blutdruck und allgemeine Erschöpfung waren die Folge. Er arbeitete weiter, bis er schließlich im Büro zusammenbrach und in eine psychosomatische Klinik eingewiesen wurde. Nach mehreren Wochen Therapie nahm er seine Arbeit wieder auf. Auch Martin sprach darüber, dass er sich oft erschöpft und überlastet fühle. Er verbringe fast täglich mehr als 12 Stunden in der Firma und habe doch das Gefühl, die Arbeit nicht zu schaffen.

Gemeinsam mit der Beraterin entwickelten sie Hypothesen, wie es zu dieser Situation kommen konnte:

• Es gab keine gemeinsame Ausrichtung, kein gemeinsames Verständnis, die Hartmann GmbH voran zu bringen: Jeder Abteilungsleiter versuchte, mit seinem Team optimale Ergebnisse zu erreichen und verstand seinen Bereich als zentral, so dass – verschärft durch die einzelnen Persönlichkeiten – nicht nur ein Nebeneinander, sondern teilweise sogar ein Gegeneinander zu beobachten war. Dadurch kam es an einigen Schnittstellen zu massiven Störungen.

• Bei Fehlern wurde nach Schuldigen gesucht, nicht nach einem gemeinsamen Weg, diese in Zukunft zu vermeiden und daraus zu lernen.

• Einige Abteilungsleiter waren hervorragende Fachkräfte, aber zur Führung einer Abteilung und zur Personalführung nur bedingt geeignet. Hier mussten die Geschäftsführer sich eingestehen, dass sie den Abteilungsleitern keine Angebote zur Erweiterung ihrer Führungskompetenz gemacht hatten.

• Die vorhandenen Führungsleitlinien wurden nicht gelebt.

• Die Geschäftsführer erledigten Aufgaben und trafen Entscheidungen, die eigentlich auf die Abteilungsleiterebene gehörten. Sie übernahmen diese Anteile unreflektiert und delegierten sie nicht zurück, zumal sie oft der Meinung waren, es besser zu können als die Abteilungsleiter.

• Die Geschäftsführer beteiligten sich zunehmend an fachlichen Diskussionen, weil sie glaubten, dass es ohne ihre Beteiligung nicht voran ginge. Es war ihnen nicht bewusst, dass ihre Äußerungen immer als Führungsanweisungen verstanden wurden, auch wenn sie »nur« fachlich mitdiskutieren wollten.

• Viele Besprechungen verliefen ergebnislos, weil keine Entscheidungen und Verabredungen zum weiteren Vorgehen getroffen wurden.

• Die Geschäftsführer pflegten einen höflichen und respektvollen Umgangsstil mit den Mitarbeitenden und ärgerten sich über Klagen von Beschäftigten, dass sie von ihren direkten Vorgesetzten angeschrien oder ignoriert würden.

• Die Mitarbeitenden waren der Meinung, alle Entscheidungskompetenz liege bei der Geschäftsleitung, die Abteilungsleiter dürften nichts selbstständig entscheiden.

• Die Geschäftsführer waren stark operativ gebunden. Es gab Versuche der Mitarbeitenden, sie gegeneinander auszuspielen, was die Notwendigkeit eindeutiger Absprachen verstärkte.

• Trotz guter Gewinnbeteiligung der Mitarbeitenden war die Stimmung in der Belegschaft schlecht.

Je intensiver sie die verschiedenen Punkte besprachen und die Beraterin die Ergebnisse auf einer Pinnwand übersichtlich anordnete, umso deutlicher wurde ihnen, dass sie in ihrem Bemühen, alles richtig zu machen, zu viel selbst regeln wollten und versäumt hatten, die Führungskräfte und die Mitarbeiter »mitzunehmen«.

1.1 Neue Anforderungen

Der kurze Bericht über die Hartmann GmbH benennt Themen, die heute viele Unternehmen und Organisationen beschäftigen:

• Wie kann in Zeiten hoher Unsicherheit und hoher Komplexität die Überlebensfähigkeit von Unternehmen gesichert werden?

• Wie können sich Organisationen flexibel auf veränderte Umweltbedingungen und neue Marktchancen einstellen?

• Was müssen Führungskräfte tun, um einerseits ihre Ziele zu erreichen und andererseits Eigenverantwortung und Eigenaktivität ihrer Mitarbeitenden zu fördern?

Der gesellschaftliche und technologische Kontext »… verändert grundlegend die Parameter, unter denen Organisationen in Zukunft erfolgreich operieren können und verlangt von den verantwortlichen Entscheidungsträgern in Organisationen eine bisher nicht gekannte Bewältigung von Verhältnissen zunehmender Komplexität« (Margit Oswald und Tania Lieckweg in Wimmer 2014).

Peter Drucker formulierte die Anforderungen an heutige Führungskräfte: »Sie müssen lernen, mit Situationen zurechtzukommen, in denen sie nicht befehlen können, in denen sie selbst weder kontrolliert werden noch Kontrolle ausüben können. Das ist die elementare Veränderung. Wo es ehedem um eine Kombination von Rang und Macht ging, wird es in Zukunft Verhältnisse wechselseitiger Übereinkunft und Verantwortung geben« (Drucker zitiert nach Doppler 2002: 73/4).

Und Klaus Doppler präzisiert in seinem Buch Change Management das neue Anforderungsprofil (Doppler 2002: 65 ff.): »Während es früher genügte, ein guter Fachmann zu sein, die administrativen Vorgänge sauber abzuwickeln und eine gewisse Amtsautorität auszustrahlen, braucht es heute:

1. strategische Kompetenz, um mit Unsicherheit und Komplexität umgehen zu können,

2. soziale Kompetenz, um in wirtschaftlichen Turbulenzen, betrieblichen Spannungsfeldern und Konflikten sicher agieren zu können und

3. Persönlichkeit, um Sinn für Veränderungen vermitteln und Mitarbeitende überzeugen zu können.«

Henry Mintzberg, eine weitere Größe in der Management-Debatte, fordert: »Der Manager muss anderen helfen, das Beste aus sich herauszuholen, damit sie ihr Wissen mehren, bessere Entscheidungen treffen und effektiver handeln.« (Mintzberg 2009: 27)

Diese Veränderungen werden nicht nur in der theoretischen Diskussion, sondern auch in der praktischen Umsetzung in vielen Unternehmen sichtbar. Ein besonderes Beispiel ist die Entwicklung einer dialogischen Führungskultur bei dm drogerie-markt. Götz W. Werner, Gründer und Aufsichtsrat von dm drogerie-markt, fasst seine Haltung zu Führung folgendermaßen zusammen: »Mir ist klar geworden: eine Führungsperson ist nicht jemand, der alles weiß und besser kann, sondern der, der die notwendigen Fragen stellt. Wer Fragen stellt, eröffnet Bewusstsein. Die Zukunft gestaltet man nicht mit Antworten, sondern mit Fragen. Heute kann man keine Menschen mehr führen, indem man Fragen beantwortet, sondern man muss Bewusstsein führen, indem man Fragen stellt. Das ist aus meiner Sicht die ›kopernikanische‹ Wende in der Führung.« (zitiert nach Kaduk u. a. 2013: 164)

In vielen Unternehmen und Organisationen sind diese Thesen auf verschiedene Weise in Leitbilder, Führungsleitlinien und Inhalte der Qualifizierung eingeflossen. Die Frage »Was macht eine gute Führungskraft aus?« wird an folgenden Punkten konkretisiert:

• eine angemessene Analyse der Situation, der Rahmenbedingungen und der Aufgabenstellung,

• das Setzen von klaren und akzeptierten Zielen,

• das Festlegen von Prioritäten und das Treffen von Entscheidungen,

• das Zusammenbringen der persönlichen Ziele der Mitarbeitenden mit den Zielen des Unternehmens und

• das Schaffen einer kooperativen, positiven Arbeitsatmosphäre als Rahmen für ein Klima der Leistungsbereitschaft (nach Hofbauer/Kauer 2014: 26).

Unter den heutigen Bedingungen gewinnt neben dem WAS das WIE im Führungshandeln immer größere Bedeutung. Die sogenannten weichen Faktoren wie Selbstreflexion, Kommunikationsfähigkeit und die Bereitschaft, Konflikte anzugehen, machen erfolgreiche Führungsarbeit erst möglich.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die theoretische Management-Debatte und eine Vielzahl praktischer Erfahrungen in Organisationen das Denken über Führung verändert haben und dass viele dieser neuen Ideen in Ausbildung und Führungsleitlinien integriert wurden.

1.2 Die Macht der traditionellen Muster

Wie sieht es aber mit der Realität von Führung in Unternehmen und Organisationen aus?

Die Probleme in der Umsetzung sind am Beispiel der Hartmann GmbH gut erkennbar: Die Geschäftsführung will einen partizipativen und kooperativen Führungsstil praktizieren und die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden stärken. Diese Vorstellungen wurden auch im Leitbild und den Führungsleitlinien verankert. Doch es ist offensichtlich nicht gelungen, die zweite Führungsebene zu überzeugen und zu einer Veränderung ihres Führungsverhaltens zu bewegen. Die Abteilungsleiter blieben bei ihrem erlernten mentalen Modell, das von Konzentration auf die Ansagen des »Chefs« und Konkurrenz untereinander geprägt war. Dadurch kamen unterschiedliche und sich widersprechende Botschaften bei Gruppenleitern und Mitarbeitenden an, die Ärger, Enttäuschung, Frust und Demotivation zur Folge hatten.

Als die Marktbedingungen schwieriger wurden und Kundenbeschwerden zunahmen, übernahmen die Geschäftsführer wieder stärker inhaltliche Verantwortung, erhöhten ihr Arbeitspensum und ihren Einsatz und mischten sich vermehrt in das Tagesgeschäft ein. Die Abteilungsleiter zogen sich auf die »Tribüne« oder in andere abgesicherte Räume zurück und warteten ab. Die Geschäftsführer konnten durch ihren erhöhten Einsatz einiges retten, entwickelten aber entgegen ihrer bisherigen Diskussion einen immer direktiveren und enger getakteten Führungsstil. Arbeitsüberlastung führte dann bei Klaus Hartmann, der sich besonders für einen modernen Führungsstil eingesetzt hatte, zum Zusammenbruch.

Vergleichbare Entwicklungen wie in der Hartmann GmbH sind in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen in vielen Unternehmen zu beobachten. Zukunftsorientierte Einsichten und Festlegungen scheitern an Unzulänglichkeiten in der Umsetzung und an den bestehenden mentalen Modellen.

Mentale Modelle sind tief verankerte Annahmen und Verallgemeinerungen, die unser Wahrnehmen, Denken und Handeln bestimmen. »Sehr häufig sind wir uns dieser mentalen Modelle oder ihrer Auswirkungen auf unser Verhalten nicht bewusst« (Senge 2001: 17).

Die moderne Gehirnforschung beschreibt die genauen Abläufe: »Alle Veränderungen gehen vom sog. Mandelkern (Amygdala), dem Angstzentrum im Gehirn aus. Dort werden alle Sinneseindrücke in Sekundenbruchteilen (unbewusst) dahingehend bewertet, ob es sich um etwas Gefährliches handeln könnte oder nicht. Wenn etwas als bedrohlich eingeschätzt wurde, gehen über Botenstoffe weitere Impulse an die Insulae, die ›Ekelzentren‹. Dies kann vom Hypothalamus als Stress registriert werden und wird im Hirnstamm zu Erregung führen und sich äußern. Diese ›Bottom-up drives‹ werden erst kurze Zeit später vom Stirnhirn (Präfrontaler Cortex) aufgrund von Lebenserfahrungen, Werten, Erziehung, Selbsterziehung überprüft, weil im Stirnhirn auch die Fähigkeit lokalisiert ist, die Folgen des eigenen Handelns zu antizipieren. So kann es zu einer Gegensteuerung durch das Ich über den Cingulären Cortex kommen, die sog. ›top down control‹. In dieser neurobiologischen Kontrollschleife entscheidet sich, ob die allerersten Impulse der Mandelkerne zu affektgetriebenen oder zu besonnenen Handlungen führen« (Bauer 2011: 53 ff. zitiert nach Glasl 2013: 39).

Übertragen auf Führungsverhalten heißt das: Wenn die »bottom up drives« die Oberhand gewinnen, werden die Personen von ihren Reflexen gesteuert. Überlegtes Führungsverhalten hat immer mit »top down control« zu tun, also mit der Frage, wie Verhalten und Reaktionen auf andere wirken und wie sie zur Erreichung der Ziele beitragen. Daher ist Selbstführung die entscheidende Voraussetzung, um andere führen zu können. Nur wer seine eigenen Stärken und Schwächen realistisch einschätzen kann, ist in der Lage, andere zu fordern und zu fördern.

Das Dilemma veränderungsorientierter Führungskräfte wird oft noch verstärkt durch die untergründige Macht der traditionellen Muster. Traditionelle Muster sind Annahmen über Führung, die lange Zeit anerkannt waren und unreflektiert in neue Kontexte übertragen werden. »Wir haben es also mit reflexhaft einsetzenden Mustern zu tun, deren Anwendung sich über Jahrzehnte durchaus bewährt hat und die uns den Umgang mit dem komplexen Führungsalltag erleichtert und sogar erst ermöglicht haben« (Wütrich u. a. 2009: 22). Entscheidend ist die Tatsache, dass aus diesen traditionellen Verhaltensweisen, die unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen ihren Sinn hatten, Muster entstanden sind, die reflexhaft und unhinterfragt wirken. Diese Muster im Führungsverhalten sind aber unter den heutigen Bedingungen nicht nur unzeitgemäß, sondern sie sind geradezu kontraproduktiv und gefährden die Antwort- und Überlebensfähigkeit von Unternehmen.

Es sind vor allem sieben traditionelle Muster, die die Realität des Führungsalltags in weiten Bereichen nach wie vor bestimmen:

1. Der Kult der Einzelverantwortung

2. Die Angst vor Kontrollverlust

3. Das Denken in Positionen und Status

4. Die Dominanz des Sachlichen

5. Das Festhalten am Dogma des Informationsvorsprungs

6. Die Konzentration auf den kurzfristigen Erfolg

7. Die Abwehr von Fehlern und Konflikten.

Muster 1: Der Kult der Einzelverantwortung

»Um ans Ziel zu kommen, muss einer die Richtung bestimmen und dafür sorgen, dass die Mannschaft Kurs hält.«

So wird mit der Segelmetapher die Notwendigkeit der Einzelverantwortung von Führung begründet. Das Bild des Kapitäns, der von der Brücke aus einsam und alleinverantwortlich das ganze Schiff steuert, die Richtung vorgibt und alles souverän und vorausschauend regelt, bestimmte über lange Zeit die Diskussion um Führung. In dieser sogenannten heroischen Phase der Führungsforschung dominierte die Überzeugung, dass eine zentrale Schlüsselperson – eine (möglichst) charismatische Führungskraft – der Garant für ausreichende Kontinuität und Inspiration zur Sicherung der Überlebensfähigkeit eines Unternehmens sei.

Diese Heldenbilder waren allerdings tatsächlich mehr Inszenierung und nachträgliche Deutung als Realität. Eine auf die verantwortliche Führungskraft zentrierte Darstellung vernachlässigt die Austauschprozesse zwischen Führer und Geführten, die unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg einer Organisation sind. Die wenigen »Leader«, die tatsächlich als charismatische Persönlichkeiten wirkten und Industriegeschichte schrieben, haben die Bedeutung dieser Austauschprozesse immer betont. Gerade in den letzten zehn Jahren wurde in der Finanz- und Wirtschaftskrise überdeutlich, welches Unheil von Führungskräften mit dem Selbstbild des Helden angerichtet wurde.

Klaus Doppler beschreibt in seinem Buch Feel the Change diese Inszenierung. »Die Beteiligten verdrängen ihre Angst. Wer oben ist, inszeniert sich nach allen Regeln der Kunst als Held, der alles im Griff hat. (…) Man sieht nur die positiven Aspekte, alle Anzeichen von negativer Entwicklung werden entweder umgedeutet oder unterdrückt« (Doppler, 2012: 66). Wenn solche Darstellungen (real, inszeniert oder nachträglich zusammengestellt) über lange Zeit im sozialen System wirksam waren, werden sie als selbstverständlich betrachtet. Das heißt, sie gelten als etwas, das nicht weiter hinterfragt werden muss.

In Zeiten hoher Unsicherheit und hoher Komplexität führt dieses Muster zur Überlastung der Führungskräfte und zur Demotivierung der Mitarbeitenden. Das Scheitern dieser Führungskräfte ist aber kein Argument gegen Führung. Im Gegenteil: die Sehnsucht nach Orientierung und Sinnstiftung ist bei Mitarbeitenden eher gestiegen. Gefragt sind Führungskräfte mit mehr Bescheidenheit, mehr Respekt vor dem Wissen ihrer Mitarbeitenden und der Fähigkeit, mit Nichtwissen souverän umzugehen. In der Management-Literatur spricht man daher heute von der postheroischen Phase von Führung.

Muster 2: Die Angst vor Kontrollverlust

»Führung muss kontrollieren« ist ein weiteres, meist unhinterfragtes Muster.

Dieses Muster wird oft selbstverständlich angewendet – trotz der vielen negativen Erfahrungen. Problematisch ist vor allem das dahinterstehende Menschenbild. Denn es geht davon aus, dass Mitarbeitende faul und unwillig sind und nur durch Kontrolle zu guter Arbeit bewegt werden können. Der Satz »Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser« wird in vielen Unternehmen mit Hingabe zitiert. Natürlich ist Kontrolle in Organisationen notwendig. Aber nicht eine Kontrolle der Personen, sondern eine gemeinsame Kontrolle der erreichten Ergebnisse. In Unternehmen mit flachen Hierarchien gibt es keine Arbeitszeit- oder sonstige Kontrolle, aber täglich werden in jeder Gruppe die neuesten Zahlen zu Prozessen, Ergebnissen und der Position des Unternehmens im Wettbewerb veröffentlicht.

Psychologische Erkenntnisse und empirische Forschungen belegen seit vielen Jahren, dass sich Vertrauen lohnt: Menschen haben von Natur aus eine intrinsische Motivation, sinnvolle Aufgaben eigenverantwortlich anzugehen.

Muster 3: Das Denken in Positionen und Status

»Führung muss mit Autorität verbunden sein« ist eine durchaus nachvollziehbare Forderung.

Allzu häufig aber wird Autorität vor allem an Positionen und Status festgemacht. Fachliche und soziale Autorität wird nicht durch einen Titel oder die Ernennung zur Führungskraft gewonnen. Autorität kann sich eine Führungskraft nur durch fachliche Leistung und ein positives Sozialverhalten erarbeiten.

»Management hat mindestens so sehr mit wechselnden Abhängigkeiten wie mit der Ausübung formaler Autorität zu tun. (…) Manager zu sein bedeutet nicht nur, Autorität zu genießen, sondern auch, in verstärktem Maße von anderen abhängig zu sein, von Menschen innerhalb und außerhalb der Einheit – umso mehr, je höher die eigene Position angesiedelt ist« (Mintzberg 2010: 89). In einer sich schnell verändernden Welt, in der das gegenseitige Aufeinander-angewiesen-sein zunimmt, funktioniert es nicht mehr, von oben herab über Anweisungen zu führen.

Dieses Muster ist besonders schwer zu überwinden, da es mit festgeschriebenen »Besitzständen« verbunden ist. In vielen Unternehmen, die alle modernen Anforderungen in ihren Führungsleitlinien formuliert haben, gibt es gleichzeitig genau geregelte Vorgaben, welcher Dienstwagen und welcher Parkplatz einer Führungskraft auf welcher Ebene zustehen. Die Größe des Büros und die Zahl der Fenster zeigen die Hierarchiestufe usw. Diese Festlegungen belasten das Arbeitsklima und erschweren eine an flexible und wechselnde Anforderungen angepasste Arbeitsweise.

Muster 4: Die Dominanz des Sachlichen

»Führung muss rational entscheiden, Gefühle haben keinen Platz« – ist ein weiteres Muster.

»Eine der häufigsten Ursachen für Fehlschläge bei Veränderungsprojekten liegt darin, dass Technokraten am Werk sind, die bei ihrer Planung alle technischen, strukturellen und ökonomischen Aspekte berücksichtigen – und alle menschlichen und zwischenmenschlichen Aspekte ebenso konsequent missachten …« schreibt Klaus Doppler (Doppler 2002: 12).

Die Missachtung der grundlegenden Tatsache, dass alle menschliche Kommunikation immer gleichzeitig auf der Sach- und der Beziehungsebene spielt, hat negative Folgen. So müssen Führungskräfte, die von anderen ständig »Sachlichkeit« fordern, ihre eigenen Gefühle unterdrücken. Führungskräfte, die ihre eigenen Emotionen nicht zur Kenntnis nehmen, verlieren die Fähigkeit, Gefühle anderer Menschen wahrzunehmen. Das Wahrnehmen, Ausdrücken und Umgehen mit den eigenen Emotionen und mit Affekten, mit denen sie konfrontiert sind, ist eine entscheidende Kompetenz für Führungskräfte, um Fehlentwicklungen, Schwierigkeiten, Fehler oder Konflikte früh erkennen und schnell beheben zu können. Dabei geht es nicht darum, nur noch auf Gefühle zu achten. Entscheidend ist, eine Balance zwischen Rationalität und Sachbezogenheit auf der einen Seite und dem Blick auf Beziehungen und Emotionen auf der anderen Seite zu finden.

Muster 5: Das Festhalten am Dogma des Informationsvorsprungs

»Wissen ist Macht« lautet ein alter und vielzitierter Spruch.

Wer über mehr Wissen und bessere Informationen verfügt, ist anderen überlegen – so das traditionelle Kalkül. Dadurch wird zwar die eigene Machtposition gesichert, aber gleichzeitig die Eigeninitiative der Mitarbeitenden zurückgedrängt. Derweil nehmen Information und Engagement von oben nach unten ab. In Zeiten starker Veränderung wirkt sich das Dogma, dass die Führungskraft immer einen Vorsprung haben sollte, besonders fatal für mittlere Führungskräfte aus. Mitarbeitende, die direkt mit Kunden und Lieferanten zu tun haben, verfügen in der Regel über die besten Informationen für eine Neuorientierung. Diese eher kleinen Signale können Mitarbeitende jedoch nicht einordnen und in ihrer Bedeutung verstehen, wenn sie nicht über die längerfristigen Ziele informiert sind. Damit gehen dem Unternehmen wichtige Informationen verloren.

Wenn Mitarbeitende bemerken, dass ihre Informationen nicht beachtet oder intransparent verarbeitet werden, resignieren sie und reduzieren ihr Engagement. Besonders schwierig wird es für mittlere Führungskräfte, wenn sie Ergebnisse der oberen Leitung umsetzen und vermitteln sollen, ohne den Prozess, der zu diesen Resultaten geführt hat, zu kennen und nachvollziehen zu können.

Genau daran scheiterte in einem Unternehmen eine sinnvolle und für die weitere Position am Markt notwendige Umstrukturierung. Da die Umstrukturierung aus Rücksicht auf eine scheidende Führungskraft schon verzögert war, versuchte der neue Geschäftsführer, möglichst schnell zu handeln. Das Management-Team ging mit einem externen Berater ein Wochenende in Klausur und entwarf die neue Struktur bis ins Detail. Am Montag wurde das Ergebnis der gesamten Belegschaft im Eilverfahren vorgestellt. Die Umstrukturierung sollte in einem engen Zeitplan umgesetzt werden. Da die Abteilungs- und Gruppenleiter nicht einbezogen waren, konnten sie die Fragen der Mitarbeitenden nicht beantworten. Der Widerstand gegen den Veränderungsprozess wurde stärker und die Konflikte auf allen Ebenen spitzten sich derart zu, dass die Arbeitsergebnisse immer schlechter und das Arbeitsklima unerträglich wurden. Die Konzernleitung griff ein und beauftragte eine externe Beratungsgesellschaft mit einer Standortbestimmung. Das Ergebnis war, dass fast niemand inhaltlich gegen die Umstrukturierung war, aber fast alle den Prozess ablehnten. Der Geschäftsführer wurde abgelöst und sein Nachfolger konnte mit einem beteiligungsorientierten – vor allem die mittlere Führungsebene einbeziehenden Prozess – die Umstrukturierung in der ursprünglich geplanten Form in kurzer Zeit umsetzen.

Dazu wieder Mintzberg: »Lenkung und Kontrolle auf der Informationsebene sind wichtig, aber nicht losgelöst von der zwischenmenschlichen Ebene und der Aktionsebene« (Mintzberg 2010: 89).

Muster 6: Die Konzentration auf den kurzfristigen Erfolg

»Das Problem tritt jetzt auf, die Lösung muss hier und heute gefunden werden. Über Nachhaltigkeit und längerfristige Perspektiven können wir morgen nachdenken.« Dieses Denken bestimmt den Alltag vieler Führungskräfte, die vom operativen Tagesgeschäft getrieben werden. In großen Unternehmen wird dies durch den Blick auf die Quartalszahlen noch verstärkt.

Von Mark Twain stammt der Satz: »Als wir das Ziel aus den Augen verloren, verdoppelten wir unsere Anstrengungen.« Jede Führungskraft weiß, dass kurz-, mittel- und langfristige Überlegungen und Maßnahmen notwendig sind, um die Weiterentwicklung und das Überleben der Organisation zu sichern. Dennoch ist die Realität von kurzfristigen und oft hektischen Aktivitäten geprägt.

Im Beispiel der Hartmann GmbH führte die Konzentration auf die Regelung der aktuell auftretenden Beschwerden zu einer Überlastung der Geschäftsführer, zu Differenzen mit den Abteilungsleitern und einer Demotivation bei den Mitarbeitenden. Dieses Beispiel macht deutlich, wie schwer es für Führungskräfte heute ist, die kurz-, mittel- und langfristigen Aktivitäten so in eine Balance zu bringen, dass die Organisation im Ganzen ihre Ziele erreichen und die aktuellen Probleme effektiv bewältigen kann.

Muster 7: Die Abwehr von Fehlern und Konflikten

»Fehler darf es nicht geben und Konflikte sind unerwünscht« heißt es in vielen Unternehmen.

Dies ist zunächst durchaus nachvollziehbar. Fehler führen zu Störungen in Abläufen und Kundenkontakten. Konflikte erschweren die Zusammenarbeit und beeinträchtigen das Arbeitsklima. Gleichzeitig ist allen bewusst, dass Fehler unvermeidlich sind. Der entscheidende Punkt besteht darin, wie schnell Fehler erkannt, erfasst und behoben werden.

Ähnlich verhält es sich mit Konflikten. Konflikte in Organisationen sind zunächst nur ein Hinweis auf Unklarheiten, mangelnde Kommunikation und unterschiedliche Interessen. Früh erkannt und schnell bearbeitet wirken sie sich positiv auf Prozesse und Arbeitsklima aus. Negative Wirkungen entwickeln sie erst durch Nicht-Beachtung und Verleugnung.

Denn im Konflikt verändern sich Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Wollen und Handeln. »Konflikte beeinträchtigen unsere Wahrnehmungsfähigkeit und unser Denk- und Vorstellungsleben. Es ist so, als würde sich unser Auge immer mehr trüben; unsere Sicht auf uns und die gegnerischen Menschen im Konflikt, auf die Probleme, Geschehnisse wird geschmälert, verzerrt und völlig einseitig. … Wir simplifizieren und reduzieren die Wirklichkeit zu einer überschaubaren Konstruktion unserer Wirklichkeit, weil sie uns weniger verunsichert als die vielschichtige Wirklichkeit …« beschreibt Friedrich Glasl in seinem Grundlagenwerk Konfliktmanagement das Verhalten im Konflikt. (Glasl 2013: 41)

»30 bis 50 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit von Führungskräften werden direkt oder indirekt mit Reibungsverlusten, Konflikten oder Konfliktfolgen verbracht …« stellt eine Konfliktkostenstudie der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft 2009 fest. Dies bezieht sich nur zu einem kleinen Teil auf Konflikte, in die Führungskräfte selbst als Konfliktpartei verstrickt sind. Der größte Anteil umfasst Konflikte mit Kunden, Lieferanten und Mitarbeitenden untereinander. Konflikte also, die Ergebnisse und Arbeitsabläufe beeinträchtigen können und die von der Führungskraft bearbeitet werden müssen.

Je größer die Angst der Führungskraft vor Konflikten und ihre Unsicherheit im Umgang mit Konflikten ist, umso stärker öffnet sie die Tür für die traditionellen Muster.

Dagegen gilt: je früher Konflikte erkannt und bearbeitet werden, umso effektiver können Zusammenarbeit und Arbeitsklima verbessert werden.

Nicht Konflikte oder Fehler sind das Problem, sondern die Art und Weise, wie wir damit umgehen.

Diese sieben Muster wurden durch das hierarchische, lineare und personenbezogene Denken, das über lange Zeit bestimmend für Führungshandeln war, geprägt.

Das aktuelle Führungsdilemma zeigt sich darin, dass (zumindest) zwei unterschiedliche, sich in wesentlichen Punkten widersprechende Vorstellungen von Führungsverhalten in den Organisationen und auch im Denken und Fühlen vieler Führungskräfte nebeneinander oder gegeneinander stehen: Auf der einen Seite die deklarierten, in Workshops diskutierten und in Führungsleitlinien niedergelegten Vorstellungen. Viele Führungskräfte, die sich ernsthaft mit diesen Anforderungen auseinandergesetzt haben, verbinden dies mit ihren persönlichen Wertvorstellungen. Auf der anderen Seite die traditionellen Muster, die parallel oder im Hintergrund wirken.

So entsteht das Dilemma, dass im Führungsalltag beide Konzepte wirksam sind. An der Oberfläche und nach außen die modernen Führungsgrundsätze, dahinterliegend die alten Muster. Solange alles gut läuft, werden Ziele erklärt, Mitarbeitende einbezogen und es wird ein respektvoller Umgang gepflegt. Die Führungsleitlinien gelten – wie eine Führungskraft sagte – für Sonnenscheinzeiten. Sobald aber der Wind zunimmt, es zeitlich eng wird oder Widerstand auftaucht, schlagen die alten Muster durch. Plötzlich wird die hierarchische Karte gezogen, Maßnahmen werden für alternativlos erklärt und es werden Schuldige benannt.

In der folgenden Grafik ist das Dilemma von Führungskräften dargestellt: rechts die in Führungsleitlinien deklarierten Ziele und links die offiziell abgelehnten, aber untergründig wirkenden traditionellen Muster.

Abb. 1.2 Musterwechsel

1.3 Musterwechsel

Wie also kann der notwendige Musterwechsel im Führungsverhalten erreicht werden?

Die wesentlichen neuen Muster sind in einer intensiven Diskussion in den letzten 20 Jahren von wichtigen Vordenkern in Management und Organisationsentwicklung herausgearbeitet worden. Sie sind anerkannte Grundlagen in Angeboten zur Entwicklung und Qualifizierung von Führungskräften. Viele Aspekte sind in Unternehmen in Leitbildern und Führungsleitlinien verankert. Gleichwohl ist die Macht der traditionellen Muster ungebrochen; sie beeinflussen nach wie vor den realen Führungsalltag.

Dies führt dazu, dass sich gerade die Führungskräfte, die sich ernsthaft bemühen, einen modernen Führungsstil zu entwickeln, an beharrenden und rückwärtsgewandten Strukturen aufreiben. Die beharrende Wirkung der traditionellen Muster ist schwer zu erfassen, weil sie in unterschiedlichen Formen auftritt und ihre Kraft aus unterschiedlichen Elementen bezieht.

Die beharrende Wirkung ist aber nur möglich, wenn diese unterschiedlichen Aspekte nicht hinterfragt werden. Entscheidend ist also, wie der Weg von der einen zur anderen Seite gestaltet wird.

Dazu werden in den folgenden Kapiteln Argumentationslinien aufgezeigt, Hinweise entwickelt und praktische Schritte und Übungen dargestellt.

Ausgangspunkt sind folgende Überlegungen:

1. Der Musterwechsel ist heute nicht nur sinnvoll, sondern überlebensnotwendig für Unternehmen und Organisationen.

2. Der Musterwechsel kann gelingen, wenn er bewusst, werteorientiert und in enger Verbindung mit der praktischen Arbeit gestaltet wird.

3. Der Musterwechsel ist nicht nur eine Frage des Verhaltens einzelner Führungskräfte, sondern kann nur dann nachhaltig gelingen, wenn er in der Organisation verankert wird. Das erfordert eine Veränderung der Kommunikation in Strukturen und Abläufen und langfristig einen Wandel der Unternehmenskultur. Alle drei Ebenen müssen in einem Wandlungsprozess bedacht und aktiv gestaltet werden.

Abb. 1.3 Kommunikation und Kulturveränderung

Festhalten an traditionellen Formen des Führungsverhaltens und Streben nach Erneuerung sind die beiden Pole, die den Prozess des Musterwechsels bestimmen. In diesem Prozess gibt es eine Reihe von Faktoren, die diesen Prozess vorantreiben und eine konsequente Veränderung der Führungskultur notwendig machen.

2. Aktuelle Entwicklungen

»Von oben herab: das funktioniert nicht mehr in einer Welt, in der man schnell auf technologische Veränderungen reagieren muss – und in der die jungen Talente (auf die kommt es im digitalen Zeitalter besonders an) mehr Freiraum und auch mehr Wertschätzung erwarten als früher …« kommentiert Ulrich Schäfer unter der Überschrift »Wolfsburg ist überall« die Auswirkungen des VW-Skandals (Süddeutsche Zeitung vom 27.12.2016).

Faktoren wie die rasante gesellschaftliche, ökonomische und technische Entwicklung, die Unsicherheit und zunehmende Komplexität der Umfeldbedingungen für Unternehmen und die veränderten Erwartungen und Anforderungen einer neuen Generation von Beschäftigten machen deutlich, wie notwendig der Musterwechsel im Führungsverhalten ist.

2.1 Die Diskussion um die »nächste Gesellschaft«

Unter dem Stichwort der »next society« werden die Erscheinungsformen des Übergangs vom 20. ins 21. Jahrhundert und die Folgen für Organisation und Führung schon länger diskutiert (z. B. Drucker 2002, Baecker 2007 und Wimmer 2014).

Mit seinem letzten großen Werk »Managing the next society« hat Peter Drucker, der legendäre Pionier der Managementlehre, einen genialen Denkansatz für das Verständnis einer sich rasant und immer wieder überraschend entwickelnden Welt hinterlassen. Er geht davon aus, dass die Einführung des Computers für die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung ähnlich dramatische Folgen hat wie bisher nur die Einführung der Sprache, der Schrift und des Buchdrucks.

Die Einführung der Sprache begründete die Stammesgesellschaft, die Einführung der Schrift die antike Hochkultur und die Einführung des Buchdrucks die moderne Gesellschaft. Die Gesellschaft, die auf die Einführung des Computers zu reagieren beginnt, hat Peter Drucker, die »next society« genannt, weil sie sich grundlegend von der modernen Gesellschaft unterscheiden wird.

»Die nächste Gesellschaft, wenn sie sich denn durchsetzt, wird in allen ihren Strukturen auf das Vermögen fokussiert sein, einen jeweils nächsten Schritt zu finden und von dort aus einen flüchtigen Blick zu wagen auf die Verhältnisse, die man dort vorfindet. Sie wird sich nicht mehr auf die soziale Ordnung von Status und Hierarchie und auch nicht mehr auf die Sachordnung von Zuständen und ihren Funktionen verlassen, sondern sie wird eine Temporalordnung, sein, die durch die Ereignishaftigkeit aller Prozesse gekennzeichnet ist und die jedes einzelne Ereignis als einen nächsten Schritt in einem prinzipiell unsicheren Gelände definiert …« beschreibt der Soziologe Dirk Baecker den Stand der Diskussion (Baecker 2007: 8/9). »… Innovative Unternehmen werden sich in der nächsten Gesellschaft drei Herausforderungen stellen müssen: dem Computer, dem Menschen und der Gesellschaft. Keine dieser Herausforderungen ist neu, aber alle drei werden sich dramatisch zuspitzen und alle Formen der Unternehmensorganisation, die wir gegenwärtig für rational und effizient halten, als veraltet kennzeichnen …« (ebd.: 14).

Margit Oswald und Tania Lieckweg – Organisationsberaterinnen bei osb international – haben in dem Buch Beratung im 3. Modus einige Merkmale für die Führung von Organisationen der nächsten Gesellschaft formuliert (Wimmer 2014: 207 ff.):

• Führung heißt heute Navigieren unter hoher Unsicherheit und hoher Komplexität.

• Autorität entsteht nur über Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Sinnstiftung. »Orientierung, Commitment und Engagement der Mitarbeiter entsteht dann, wenn es Führung gelingt, den eigenen Veränderungsimpuls in einen sinnstiftenden Kontext zu stellen und diesen glaubhaft zu kommunizieren« (ebd.: 2/3).

• Die hohe Komplexität erfordert Selbstreflexion und Selbstführung von Führungskräften.

• Grundsätzlich gewinnt die Reflexion der eigenen Lern- und Entwicklungsmuster, des Umgangs mit Fehlern und Abweichungen, kurz die Stärkung der Selbstentwicklungspotentiale der Organisation, enorm an Bedeutung (vgl. Wimmer 2007: 2/4).

• Die Verantwortung von Organisationen für die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft. Dies erfordert neue Kompetenzen wie z. B. »… den Umgang mit Zielkonflikten und die Mediation der Interessen verschiedener Stakeholder« (ebd.: 2/4).

• Der Aufbau von robusten und zugleich flexiblen Organisationsstrukturen und -prozessen.

• Mehr Zeit für Kommunikation, Beteiligung und gezielte Förderung von Mitarbeitenden.

• »Die Zeit der Helden ist vorbei. Führen als Mannschaftsleistung ist zeitgemäß« (ebd.: 2/4).

2.2 Die Diskussion um Industrie und Arbeit 4.0

Wie konkret sind die Vorläufer der nächsten Gesellschaft schon jetzt?

Dies zeigen die Entwicklungen und Diskussionen zum Thema Industrie 4.0. Darunter wird der flächendeckende Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik sowie deren Vernetzung zu einem Internet der Dinge, Dienste und Daten, das eine Echtzeitfähigkeit der Produktion ermöglicht, verstanden. Die Fähigkeit, schnell und flexibel auf Kundenanforderungen zu reagieren und die Produktion variabel zu gestalten, nimmt zu.

»Die Produktion nach Prinzip 4.0 schafft die Voraussetzungen dafür, dass traditionelle Strukturen abgelöst werden können, die auf zentralen Entscheidungsmechanismen und starren Schritten einzelner Wertschöpfungsschritte aufbauen. Diese werden ersetzt durch flexibel konfigurierbare Leistungsangebote und interaktive, kooperative Entscheidungsmechanismen …«, beschreibt Prof. Dieter Spath, Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation / AO die aktuelle Situation. Und er fährt fort: »Dabei bin ich mir absolut sicher, dass der arbeitende Mensch weiterhin im Mittelpunkt stehen wird, auch in einer durchgängig virtualisierten und informatisierten Fabrik …« (Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation / AO: 46 f.).

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat im April 2015 einen Dialogprozess Arbeiten 4.0 gestartet. (s. Arbeiten 4.0, Werkheft 01: Digitalisierung der Arbeitswelt, hrsg. v. Bundesministerium für Arbeit und Soziales). Dabei werden folgende Fragen gestellt:

1. Welche Auswirkungen wird die Digitalisierung auf Beschäftigung und Berufe haben?

2. Wie wird das neue Zusammenspiel von Mensch, Technik und Organisation aussehen?

3. Können Digitalisierung und neue Produktions- und Organisationskonzepte mehr zeitliche und räumliche Souveränität für Beschäftigte auf Tages- und Wochenarbeitszeit als auch entlang der Erwerbsbiografien ermöglichen?

Schon jetzt ist deutlich: Arbeiten 4.0 wird vernetzter, digitaler, flexibler und internationaler sein. Die wachsende Vernetzung und zunehmende Kooperation von Mensch und Maschine ändert die Art und Weise der Arbeit und schafft ganz neue Produkte und Dienstleistungen. »Welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf die Organisation von Arbeit und sozialer Sicherung haben, ist zwar offen, aber … durch Gesellschaft und Politik gestaltbar« (ebd: 35).

2.3 Schwarze Schwäne und die Forderung nach Antifragilität

Wie umgehen mit Unsicherheit und Komplexität?

Die Entwicklung neuer Produktions- und Arbeitsweisen verläuft nicht geradlinig und harmonisch, sondern eher widersprüchlich und konflikthaft. Über längere Zeit werden alte und neue Arbeitsformen, Umgangsweisen und Werte in Konkurrenz nebeneinander bestehen. Führungskräfte müssen darauf vorbereitet sein, mit hoher Unsicherheit und hoher Komplexität umgehen zu können.

Wenn man sein Leben lang nur weiße Schwäne sieht, bedeutet das nicht, dass irgendwo nicht doch ein schwarzer existiert. So lautet die berühmte These des Philosophen Karl Popper. Diese These hat der Autor Nassim Nicholas Taleb, heute Professor für Risk Engeneering an der New York University, ausgebaut und zwei interessante Bücher geschrieben. Taleb war Derivate-Händler und Hedgefonds-Manager. In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts begann er, die Fehlentwicklungen der Finanzindustrie, vor allem die Behauptung der Masters of the Universe – der Entwickler von Programmen in den Investmentbanken – die Entwicklung der Märkte voraussagen zu können, zu hinterfragen. Er setzte auf das Scheitern dieser Voraussagen und wurde dabei sehr reich. 2007, kurz vor Ausbruch der Finanzkrise, veröffentlichte er sein Buch Der Schwarze Schwan – die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisseund lieferte eine schlüssige Erklärung der für die meisten völlig überraschend auftretenden Krise. Denn die Finanzkrise bestand vor allem aus Schwarzen Schwänen, wie Taleb sie in seinem Buch beschrieben hatte – also aus schwer voraussagbaren, irregulären Ereignissen mit sehr starken Konsequenzen. Beispiele sind die Lehmann-Pleite und der Zusammenbruch vieler Banken, der 11. September, das Auftauchen des IS, Naturkatastrophen, Ebola usw. … (Taleb 2010).

Im Jahr 2012 veröffentlichte er das Buch »Antifragilität – Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen«. Antifragilität – so seine Begründung für den Kunstbegriff – kommt mit Unbeständigkeit und Unsicherheit gut zurecht. Antifragil ist, was durch einen Schock zwar erschüttert wird, sich daraufhin aber verändert und verbessert. Die Natur ist antifragil, Teile der Kultur, ebenso die menschliche Psyche.

Wenn Schwarze Schwäne auftauchen – und das passiert ständig – können sie auf drei verschiedene Zustände treffen:

• auf eine robuste Umgebung, die Erschütterungen aushält und sich nicht verändert;

• auf eine fragile Umgebung, die einstürzt oder

• auf eine antifragile Umgebung, die sich auf Erschütterungen eingestellt hat und sich schnell erholt.

Er warnt vor dem Glauben, mit Risikomodellen und Algorithmen die Zukunft voraussagen zu können. Die Schwarzen Schwäne kommen sowieso. Es ist sinnvoller, sich darauf zu konzentrieren, wie mit diesen Brüchen und Einschnitten umzugehen ist. Daher auch die Anforderung an Unternehmen, sich antifragil zu verhalten. Antifragile Organisationen achten auf kleine Signale am Markt oder im Betrieb, erkennen Veränderungen frühzeitig, reagieren flexibel und suchen bei Problemen immer nach mehreren Optionen.

An den Arbeiten von Taleb ist in der Diskussion um Führung interessant, dass die für Laien nicht leicht nachvollziehbaren Argumentationen aus Finanzwirtschaft und mathematischen Algorithmen zu ähnlichen Ergebnissen führen wie die Forschungen von Peter Drucker, Karl Weick, Rudi Wimmer u. a. Wir leben in Zeiten hoher Unsicherheit und hoher Komplexität. Krisen und radikale Veränderungen sind ständig möglich und nicht vorauszusehen. Die (illusionäre) Haltung, alles im Griff zu haben und kontrollieren zu wollen, verschärft diese Krisen. Wichtiger ist es, Herangehensweisen und Strukturen zu entwickeln, um Probleme frühzeitig zu erkennen, zu erfassen und flexibel darauf reagieren zu können. Nur Unternehmen, die sich auf diese Antwortfähigkeit nach außen und Konfliktfestigkeit nach innen konzentrieren, sind auf Dauer überlebensfähig.

2.4 Die Erwartungen der Generation Y

Im Prolog zu seinem Buch Antifragilität