Adams Apfel und Evas Erbe - Axel Meyer - E-Book

Adams Apfel und Evas Erbe E-Book

Axel Meyer

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Beschreibung

Der renommierte Evolutionsbiologe über die Macht der Gene

Wie funktioniert die genetische Lotterie des Lebens? Was ist typisch für Männer, was ist typisch für Frauen? Warum verhalten wir uns so, wie wir es tun? Warum haben wir die gleichen Talente wie der Vater oder die gleichen Charaktereigenschaften wie die Großmutter? Wo endet die Macht der Gene, und was lässt sich durch Ernährung, Erziehung und Kultur ändern? Der Evolutionsbiologe Axel Meyer beschäftigt sich mit den »heißen Eisen« der Genforschung und erläutert, was zu Themen wie Geschlecht vs. Gender, Intelligenz, Homosexualität und ethnischen Unterschieden bekannt ist. Provokant, anschaulich und auf aktuellem Forschungsstand zeigt er auf, wie stark uns Gene bestimmen. Dieses Buch regt zum Denken und Diskutieren an – es ist von hoher gesellschaftlicher Relevanz.

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Seitenzahl: 500

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Axel Meyer

ADAMS APFEL UND EVAS ERBE

Wie die Gene unser Leben bestimmen und warum Frauen anders sind als Männer

Mit einem Vorwort von Harald Martenstein

C. Bertelsmann

1. Auflage© 2015 by C. Bertelsmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: buxdesign, MünchenBildredaktion: Dietlinde Orendi Satz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-13654-3www.cbertelsmann.de

Inhalt

Vorwort

Einleitung

1 – Was heißt hier eigentlich genetisch?

2 – Die klassische Genetik nach Gregor Mendel

3 – Erblichkeit oder warum Holländer so groß sind

4 – Sex, Fitness und der Sinn des Lebens

5 – Alle unsere Gene und was man in ihnen lesen kann

6 – Ein X macht noch keine Frau: das X-Chromosom

7 – Madam, I’m Adam: das Y-Chromosom

8 – LGBTQIA und Genderchaos: die genetischen Grundlagen des »kleinen Unterschieds«

9 – Fortpflanzung: Kampf ums Geschlecht

10 – Monogamie versus Polygamie oder warum strikte Treue nicht unser Ding ist

11 – Gene und Schönheitsideale: Was macht uns attraktiv?

12 – Gene, Geschlecht, Intelligenz oder warum nicht alle Kinder überdurchschnittlich sein können

13 – Homosexualität: »Born this way« oder »Made this way«?

14 – Wie unterschiedlich sind Frauen und Männer wirklich?

15 – Gene, Gender und Gesellschaft

Epilog

Dank

Personenregister

Sachregister

Für Hillary

Vorwort

Von Harald Martenstein

Die Naturwissenschaftler und die Ingenieure haben mehr für die Menschen getan als sämtliche Geisteswissenschaftler, als die Politiker, die Schriftsteller, die Journalisten und alle Befreiungstheorien. Wir werden heute älter und sind gesünder als jemals eine Generation von Menschen. Die meisten von uns können, wenn die Lust sie packt, ein Flugzeug besteigen und an einen südlichen Strand reisen. Wir können im Computer auf fast jede Frage blitzschnell eine Antwort finden und mit Leuten in Australien Freundschaften pflegen. Die landwirtschaftlichen Erträge sind gewaltig gestiegen und steigen weiter. In Europa leben wir, trotz aller Krisen, besser als unsere Großeltern, trotzdem arbeiten wir kürzer. Selbst an unserem Todestag werden wir weniger Schmerzen erleiden als je eine Generation vor uns, sogar das ist einfacher geworden.

Klar, es ist gibt auch Schattenseiten, wo gäbe es die nicht? Aber jeder, der sich über Genfood, den ungerechten Kapitalismus und das Klimaproblem aufregt, würde von einer Zeitreise in das Jahr 1800 ziemlich erleichtert in die Gegenwart zurückkehren.

So, wie wir heute in Europa leben, haben sich unsere Ahnen wohl das Land Utopia vorgestellt. Diese Welt, die angenehmste Welt, die es je gab, haben im Wesentlichen Naturwissenschaftler, Ingenieure und Unternehmer geschaffen. Kaum eine ihrer Errungenschaften verdanken wir einer politischen Theorie oder einer Ideologie. Im Gegenteil: Millionen Menschen sind für Ideologien gestorben oder im Namen der Religion. Als segensreich hat sich nur der Gedanke der Freiheit bewährt, die Idee, dass wir unsere Regierung und unsere Lebensverhältnisse selbst bestimmen, auf eine demokratische Weise, ohne Bevormundung und in gegenseitigem Respekt.

Es ist seltsam, dass in unseren politischen Debatten die Naturwissenschaftler fast keine Rolle spielen. In den Feuilletons melden sie sich nur selten zu Wort. Die öffentliche Meinung bestimmen sie nicht mit.

Dies ist das Buch eines renommierten Naturwissenschaftlers, der sich in gesellschaftliche Debatten einmischt. Er stellt die ältesten aller Menschheitsfragen: Wer sind wir? Was macht uns zu dem, was wir sind?

Axel Meyer ist Evolutionsbiologe. Mit dem Wort »Biologie« verhält es sich ähnlich wie mit dem Wort »Chemie«, es hat heute bei manchen ein schlechtes Image. Der Gedanke, dass wir Naturgeschöpfe sind und deswegen nicht völlig frei, ist uns unangenehm. Die Natur setzt uns Grenzen, die wir nicht überschreiten können, die wichtigste und unerfreulichste dieser Grenzen ist der Tod. Wir altern, wir können Kinder gebären oder nicht, wir haben einen starken oder schwachen Körper, wir haben einen Charakter, der nicht ganz in unserer Hand liegt, wir sind groß oder klein. Vieles von dem, was an uns Natur ist und das Erbe unserer Ahnen, können wir mit bloßem Auge erkennen. Der Einfluss der Biologie auf uns reicht aber weiter. Auch von diesem Eisberg sehen wir nur die Spitze. Das Werkzeug der Biologie aber sind die Gene.

Wer so redet, bekommt heute schnell den Vorwurf zu hören, er oder sie sei »Biologist«. Das Wort ist ein politischer Kampfbegriff. Es soll unabhängige Forschung diffamieren, es soll die Neugier unter Generalverdacht stellen. Ein Biologist aber ist nur derjenige, der so tut, als wären wir Sklaven unserer Gene, als liefe in uns ein Programm ab, gegen das wir uns genauso wenig auflehnen können wie eine Ameise oder ein Buntbarsch. Ein Biologist kann nur sein, wer die menschliche Intelligenz ignoriert, unsere Fähigkeit, zu entscheiden und frei zu sein. Kein Evolutionsbiologe wird bestreiten, dass wir Menschen auch von unserem Elternhaus geprägt werden, von der Gesellschaft, in der wir leben, von unserem sozialen Umfeld. Die Gene, wird er lediglich hinzufügen, sind ebenfalls ein wichtiger Faktor. Wir sind frei, wird er sagen, aber wir sind nicht völlig frei.

Das, was unsere Kindheit aus uns gemacht hat, werden wir nie ganz los, genauso wenig können wir uns je ganz von unseren Genen emanzipieren. Der Mensch ist keine Knetmasse, die sich, vielleicht im Namen einer Ideologie, beliebig formen lässt.

Die Naturwissenschaften sind bei Ideologen jeder Couleur unbeliebt, weil sie ergebnisoffen forschen. Es geht ihnen nicht darum, im Dienst einer schönen Idee etwas zu beweisen, etwa die Richtigkeit eines Menschenbildes, sei es sozialistisch, feministisch, konservativ oder religiös. Natürlich hat auch der Naturwissenschaftler seine Vorstellungen und seine Vorurteile, wie alle. Aber wenn er den Beruf ernst nimmt, dann weiß er, dass jede seiner vermeintlichen Gewissheiten von der Wirklichkeit jederzeit widerlegt werden kann. Wahr ist nur, was sich verifizieren lässt. Am Ende zählt das Experiment, nicht die Theorie.

Aus diesem unabhängigen Geist heraus ist dieses Buch entstanden. Es fasst zusammen, was die Evolutionsbiologie über Männer und Frauen weiß, über Sex und Vererbung, darüber, was uns zu den Menschen macht, die wir sind.

Einleitung

Die erste Frage, die bei einer Schwangerschaft gestellt wird, lautet fast immer: »Junge oder Mädchen?« Die Chance, das eine oder das andere zu sein, ist erstaunlicherweise nicht genau 50:50. Aber warum werden eigentlich etwas mehr Jungen (rund 52 Prozent) als Mädchen (rund 48 Prozent) geboren?1, 2 Das Geschlecht ist der fundamentalste aller Unterschiede zwischen Menschen, ja, zwischen den allermeisten Lebewesen überhaupt. Dieser Unterschied betrifft die Basis der Biologie, und er steht auch für die Frage aller Fragen, die uns ein Leben lang begleiten wird: Wer sind wir? Was bedeutet es, ob wir als Junge oder als Mädchen auf die Welt kommen? Und wie sind wir zu dem geworden, was wir sind? Dabei entscheidet auch ganz einfach Glück oder Pech darüber, welche Gene wir von unseren Eltern und Großeltern bekommen haben.

Unsere Eltern können wir uns bekanntermaßen nicht aussuchen. Das nenne ich die Lotterie des Lebens. Einige von uns bekommen einen Adamsapfel, und die Evas unter uns erben weibliche Attribute, die sich von denen Adams unterscheiden. Viele Krankheiten haben genetische Ursachen – wir bekommen von unseren Vorfahren entweder gesunde oder mutierte Versionen der Gene. Dagegen können wir nichts machen; es ist unser Schicksal, es sind unsere Gene. Wir sind schon von Geburt an nicht gleich, sondern jeder Mensch auf diesem Planeten – außer eineiigen Zwillingen – ist ein klein wenig anders als seine Artgenossen, nicht besser und nicht schlechter, aber anders. Unser genetisches Startkapital fürs Leben ist einzigartig für jeden von uns – wir können nur versuchen, das Beste daraus zu machen!

Sicher sind wir das »kulturellste« Wesen auf Erden, aber was oft mehr zählt – ob es nun Ihrer Weltanschauung entsprechen mag oder nicht –, sind unsere Natur, unsere evolutionäre Vorgeschichte und damit unsere Gene. Ja, sie sind oft ausschlaggebend für viele Aspekte unseres Lebens: unser Aussehen, unsere Talente, unser Wesen oder dafür, woran wir sterben werden. Eltern wissen, dass ihre Kinder ganz unterschiedlich sind hinsichtlich Temperament und Talent, denn auch wenn Geschwister dieselben Eltern haben, sind sie genetisch doch nicht gleich. Jedes Kind hat die Hälfte seiner Gene vom Vater und die andere Hälfte von der Mutter – es besteht dabei eine Chance von 50:50, dass ein Gen vom Vater oder von der Mutter stammt. Deshalb sind Geschwister auch nur zu 50 Prozent genetisch identisch zueinander und zu jedem Elternteil – in puncto Verteilung der Genvarianten zwischen den Individuen. Die Genvarianten werden in jeder Generation neu gemischt. Die Natur hat es so eingerichtet, dass diese Mischung auf verschiedene Arten und Weisen stattfinden kann. Es gibt da keinen tieferen Sinn, es ist ein Faktum der Natur wie Erdbeben oder Vulkanausbrüche. Die Natur hat keine Moral. Auch dies ist Teil dessen, was ich im Titel »Evas Erbe« genannt habe. Warum das so ist, werde ich in diesem Buch erklären.

Zwei von drei Menschen sterben an Krankheiten, die, zumindest teilweise, genetische Ursachen haben. Bei zwei Dritteln von uns ist also schon bei der Geburt eine wahrscheinliche Todesursache in den Genen festgelegt. Krankheiten wie Herzversagen, Diabetes, Krebs oder Alzheimer haben eine beträchtliche genetische Komponente. Auch wenn es der heute so weit verbreiteten Lebensphilosophie nicht entsprechen mag und Sie fest an die Macht der Kultur und der gesunden Ernährung glauben sollten: Gene sind unser wichtigstes Erbe, und beim Arzt erteilen Sie deshalb bereitwillig Auskunft darüber, ob es »Krebs in der Familie« gibt. Implizit glauben Sie also doch an die Macht der Gene, auch wenn Ihnen dies vielleicht bisher noch nicht so richtig bewusst gewesen ist.

Welche genetischen Karten haben uns unser evolutionäres Erbe oder das direkte Erbe unserer Eltern und Großeltern für das Spiel des Lebens zugeteilt? Welches Ass haben wir im Ärmel oder welchen Schwarzen Peter in der Hand? Welche Scheidewege und unüberwindlichen Barrieren erlegt unsere evolutionäre Geschichte uns auf? Und wie können andererseits Umwelt, Erziehung und Kultur unser geschlechtsspezifisches Verhalten und unsere Gesundheit so beeinflussen, dass wir unser genetisches Erbe überwinden können?

Ich möchte Ihnen in diesem Buch einige grundlegende Dinge über Biologie, Genetik und Evolution vermitteln, die für unsere Existenz und für die Unterschiede zwischen den Geschlechtern relevant sind. Dabei werde ich besonders auf diejenigen Themen der Biologie eingehen, die für das Verständnis der Geschlechtsunterschiede beim Menschen besonders wichtig sind – mit wissenschaftlichen Argumenten, aber auch für den Laien verständlich und hoffentlich unterhaltsam. Dieser Spagat zwischen Allgemeinverständlichkeit und wissenschaftlicher Exaktheit ist nicht immer ganz einfach. Über jedes Thema, das ich hier in lediglich einem Kapitel anreiße, könnte man ganze Bücher schreiben. Die gibt es natürlich auch, und darauf werde ich verweisen.

Schon als kleiner Junge wusste ich, dass ich Biologe werden wollte. Ich war einer dieser Jungs, die immer einen Frosch in der Hosentasche oder Wasserflöhe für ihre Fische gefangen hatten. Ich mag Tiere, und ich will möglichst viel über sie verstehen. Meinen Traum lebe ich aus als Wissenschaftler, der Tiere beobachtet, ihre Ökologie erforscht und ihre Gene analysiert. In meinem Wissenschaftsgebiet versuche ich als Genomiker und Evolutionsbiologe Gene zu finden, die für die Unterschiede bei Tieren und Menschen verantwortlich sind. Ich könnte mir keinen schöneren Beruf vorstellen.

Mein Ziel ist es daher, gerade auch naturwissenschaftlichen Laien ein wenig von meiner Begeisterung für biologisches Wissen, das übrigens auch für gesellschaftlich-politische Themen relevant ist, aus einer unvoreingenommenen wissenschaftlichen Sichtweise nahezubringen. Ich sage »unvoreingenommen«, denn politisch-ideologisch ist es mir vollkommen egal, wie viel Prozent eines Verhaltens oder eines echten oder vermeintlichen Geschlechtsunterschieds nun kulturell oder genetisch begründet werden können. Es geht mir darum, anhand neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse zu erläutern, welche Macht die Gene einerseits haben und wo diese andererseits endet und die Kultur ins Spiel kommt.

In diesem Buch werde ich nicht vor »heißen Eisen« wie genetischem Geschlecht, kulturell und sozial determiniertem Gender, genetischem Beitrag zur Intelligenz etc. zurückschrecken, sondern vielmehr thematisieren, was dazu aus wissenschaftlicher Sicht zu sagen ist. Es geht mir um wissenschaftliche Erkenntnisse, nicht um Weltanschauung und politische Korrektheit. Natur oder Umwelt, Gene oder Kultur, biologisches oder soziales Geschlecht – auf diese immer noch heiß umstrittenen Fragen werde ich dezidiert eingehen, insbesondere im Hinblick auf Geschlechtsunterschiede, aber auch auf Krankheiten und Intelligenz. Ich werde versuchen, den aktuellen Stand der Wissenschaft darzustellen. Da wir zum Glück die Welt um uns herum mit jedem Tag, an dem geforscht wird, ein bisschen besser verstehen und gerade auf dem Gebiet von Evolutionsbiologie und Genetik große Fortschritte erzielt werden, liegt es in der Natur der Sache, dass manches Wissen relativ schnell veraltet und auch meine hier dargelegten Erkenntnisse nur den Status quo widerspiegeln können und einem Verfallsdatum unterliegen.

Die Wahrheit muss nicht politisch korrekt sein. Denn auch unbequeme oder unangenehme wissenschaftliche Ergebnisse müssen akzeptiert werden als das, was sie sind – Erkenntnisse, die nach bestem Wissen die Natur, auch die menschliche, erklären. Was daraus dann im politischen Tagesgeschäft gemacht wird, steht auf einem anderen Blatt und unterliegt oft nicht mehr – leider öfter, als einem lieb sein kann – der Kontrolle der Wissenschaftler. Ich will mich nicht für eine Technokratie starkmachen, dennoch bin ich der Meinung, dass Politik in größerem Ausmaß wissenschaftliche Erkenntnisse einbeziehen sollte. Manche mögen nicht zu bestimmten politischen Weltanschauungen passen. Trotzdem sollte Wissenschaft allen Versuchungen widerstehen und immer frei von Ideologie sein. Scheuklappen bringen die Wissenschaft wie die Gesellschaft nicht voran. Deshalb bin ich auch gegen jegliche wissenschaftliche Selbstzensur. Ein Verbot etwa, bestimmte wissenschaftliche Fragen zu stellen, die zu politisch nicht opportunen Ergebnissen führen könnten, stellt auch eine Form der Zensur dar, und die kann in einer offenen und liberalen Demokratie niemand ernsthaft wollen.

Lange Zeit etwa diente der Terminus »Biologismus« – gerade in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften – als Kampfbegriff und Schimpfwort, um bestimmte Erkenntnisse der Biologie und der Biologen zu diskreditieren. Damit demonstriert man aber nur, dass man mit Scheuklappen und Vorurteilen durch die Welt geht und nicht offen ist für Daten, Fakten und objektive Erklärungen, die eventuell liebgewonnene Annahmen und eigene Weltanschauungen infrage stellen könnten. Die »Kulturisten« leugnen den oft erheblichen Einfluss unseres biologischen Erbes auf viele Aspekte menschlichen Lebens. Dabei ist dies oft eine falsche Dichotomie: Bei den meisten Fragen liefern nämlich weder Gene noch Kultur allein die ganze Antwort. Oft liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Denken Sie also bei den Debatten über »Nature versus Nurture« oder »Kultur versus Gene« bitte nicht in Schwarz-Weiß, sondern seien Sie offen für die beste Erklärung, die die Wissenschaft anzubieten hat.

Die Emotionalität und die manchmal fast schon religiös anmutende Emphase vieler solcher Debatten in Deutschland zeigen nach meinem Dafürhalten auch, dass in diesem Land, dem Land der Dichter und hoffentlich auch immer noch der Denker und Ingenieure, zum Teil die Ignoranz fundamentalster biologischer Kenntnisse gesellschaftlich akzeptiert wird und Naturwissenschaft überhaupt einen negativen Beigeschmack zu haben scheint. Oder warum zum Beispiel haben so viele Menschen in Deutschland eine so starke Abneigung gegen Statistik? Sie ist eines der wichtigsten Werkzeuge der Wissenschaft, ohne sie gäbe es keine einzige medizinische Studie und damit letztlich auch keine Medikamente.

Die zunehmende Wissenschafts- und Technikfeindlichkeit befremdet mich, denn in einem Land ohne Rohstoffe sind kluge Köpfe nun einmal das einzige Kapital, das wir haben. Daher ist dieses Buch auch ein Plädoyer für rationales, ja materialistisches Denken gegen hierzulande leider weit verbreiteten antiwissenschaftlichen Hokuspokus wie etwa Anthroposophie, Homöopathie oder Genderstudies.

Die Unwissenheit und Voreingenommenheit in Bezug auf die Biologie und damit die Bedeutung der Gene und der Natur ist aus naturwissenschaftlicher Sicht eine Folge mangelnder Information und einer dogmatischen Sichtweise auf die Welt. Dabei sind Gene doch in aller Munde, im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinn. In Medien und Öffentlichkeit hierzulande wird das Wort »Gen« extrem inflationär und auch unbedacht verwendet. Dabei hat es einen höchst ambivalenten Charakter: Auf der einen Seite dienen Gene als scheinbare Erklärung für dies oder das, egal wie kompliziert ein Sachverhalt sein mag. Vom »Demokratie-Gen«, dem »Gott-Gen«, dem »Schwulen-Gen«, dem Sowieso-Gen ist da die Rede, man liest die abenteuerlichsten Wortkonstrukte, als ob noch so spezifische Eigenschaften des Menschen sich auf ein einziges Gen reduzieren ließen.

Auf der anderen Seite fällt auf, dass »Gen« oft negativ besetzt ist – Gene werden als gefährlich, krankmachend, bedrohlich charakterisiert und dämonisiert, insbesondere wenn es um Biomedizin oder Landwirtschaft geht – Stichwort »gentechnikfrei«! Wenn es um das Thema Gen geht, ist es in Deutschland vorbei mit der Rationalität, so zumindest meine Beobachtung. Gene und insbesondere genetisch modifizierte Organismen – Stichwort: »Ich esse keine genmanipulierten Tomaten« – haben hierzulande einen schlechten Ruf. Völlig zu Unrecht, wie ich in diesem Buch darlegen werde. Gene sind erst einmal neutral und die Basis des Lebens, indem sie Information von einer Generation an die nächste weitergeben. Ja, sie sind Teil der Definition dessen, was Leben eigentlich ist, und ohne genetische Vererbung würde es gar kein Leben geben – auch Ihres nicht.

Unser größtes Glück ist es, dass wir in Mitteleuropa geboren wurden, in einer Epoche der Menschheitsgeschichte mit der bisher höchsten Lebenserwartung, mit dem gesündesten – trotz Pestiziden, Herbiziden, Antibiotika, gentechnisch verändertem (GMO) Mais und Goldenem Reis – Essen und dem bisher besten Gesundheitssystem, das uns auch gerade wegen der Erkenntnisse über Genetik und Gentechnologie Medikamente zur Verfügung stellt, die uns heilen. Ohne gentechnisch hergestelltes Insulin etwa wären viele Diabetiker längst gestorben. Natürlich möchten wir unser Schicksal selbst kontrollieren können und uns dem Glauben hingeben, dass wir Herr unseres Schicksals sind. Aber auch ein noch so gesunder Lebenswandel wird uns nicht retten können, wenn unsere Gene uns für eine Krankheit prädisponieren.

Das Leben ist nicht gerecht, und wir sind nicht alle gleich. Wie schrecklich wäre die Alternative – wenn wir alle gleich wären! Wie langweilig wäre das! Wenn wir alle genetisch identisch wären, also identische Klone, dann würden wir alle mit dem gleichen genetischen Los unser Leben beginnen. Gut für den Fortbestand unserer Art wäre das nicht. Die Evolution würde zum Erliegen kommen. Denn die Evolution braucht Variation, und Geschlechter brauchen Unterschiede – das war schon immer so und wird auch immer so bleiben.

1 Siehe jedoch Orzack, S. H., et al.: »The human sex ratio from conception to birth«, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 112 (2015): E2102–E2111

2 Austad, S. N.: »The human sex ratio: a major surprise«, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 112 (2015): 4839–4840

1Was heißt hier eigentlich genetisch?

Alea iacta est?

Es war weit nach Mitternacht. Der gepackte Koffer lag schon auf dem Boden des Schlafzimmers, in wenigen Stunden sollte es zu einer Konferenz in die USA losgehen. Wie immer würde ich vor einem Transatlantikflug nicht genügend Schlaf bekommen. Das war schon einkalkuliert, ich schlafe immer im Flugzeug – so bedeutet das Reisen wenigstens nicht ganz so viel verlorene Zeit. Und wie immer waren die letzten Tage vor so einer Reise Stress pur. Es galt eine umfangreiche To-do-Liste abzuarbeiten, mit der nahenden Abreise wechselten ständig die Prioritäten in Bezug darauf, was noch unbedingt erledigt werden musste.

Aber eine Sache war besonders wichtig, sie konnte vielleicht mein Leben verändern. Sie konnte gut ausgehen, aber auch sehr, sehr schlecht. Egal, es sollte ja nur wenige Minuten dauern. Ich bin Wissenschaftler, und als solcher bin ich der Überzeugung, zu wissen ist immer besser als nicht zu wissen. Wir müssen mit dem Schicksal leben, das uns gegeben ist, und dann versuchen, das Beste daraus zu machen. Und natürlich liegt nicht alles in unserer Hand. Wenn überhaupt, könnten wir höchstens unseren Eltern oder Großeltern einen Vorwurf machen, aber die konnten wir uns bekanntermaßen nicht aussuchen und die sich ihre Kinder und Enkel auch nicht. Das ist aber auch besser so – man mag sich gar nicht vorstellen, wie viel mehr Kinder Brad Pitt und Angelina Jolie dann noch hätten!

Um die Sache zu einem Ende zu bringen, saßen wir beide auf der Bettkante. Meine Frau war etwas unsicher, weinte fast. Ich war stoischer und entspannter, aber ehrlich gesagt auch etwas nervös. Es war wie beim Zahnarzt: Es macht keinen Spaß, aber man muss da durch. Wird schon nicht so schlimm werden, und wenn doch, dann ändern wir wirklich unser Leben. Sie machte mir Vorwürfe, dass wir das vorher nicht ausreichend besprochen hätten, dass ich sie gar nicht wirklich gefragt hätte und dass sie das alles eigentlich gar nicht wollte. Dann spuckten wir beide aber doch in die Plastikröhrchen der Firma 23andMe. Wir würden uns genetisch testen lassen – unser gesamtes Erbmaterial (Genom) auf Dispositionen für Krankheiten, Medikamentenunverträglichkeiten und andere Eigenschaften, so auch auf unsere genetische Ähnlichkeit zum Neandertaler. Die Würfel waren gefallen. Jetzt würden wir bald genauer wissen, welches Los wir in der genetischen Lotterie des Lebens gezogen haben. Wie sieht unser genetisches Erbe aus?

Um die Informationen, die uns 23andMe für lächerliche 99 US-Dollar zur Verfügung stellen würde, näher erklären zu können, muss ich jetzt erst einmal etwas weiter ausholen und einiges Grundsätzliche dazu sagen, was unter Gene, Vererbung, Berechnung der Erblichkeit etc. zu verstehen ist. Bleiben Sie am Ball!

Was sind Gene?

Kurz gesagt sind Gene die Einheiten in unserem Erbgut, in denen Vererbung messbar stattfindet. Zunächst war »das Gen« nur eine Idee, ein hypothetisches Konstrukt, ohne dass man wusste, was es genau ist, woraus es besteht und wie es funktioniert. Die biochemische Basis der genetischen Vererbung besteht aus Desoxyribonukleinsäure, abgekürzt DNS beziehungsweise DNA (nach der englischen Bezeichnung Deoxyribonucleic Acid). Dieses Kettenmolekül ist in Form einer Doppelhelix – Doppelspirale – angeordnet (Abb. 1.1). Dabei werden die beiden gegeneinander versetzten Hauptspiralstränge durch Basenpaare miteinander verbunden. Man unterscheidet vier Basen, die das genetische Alphabet bilden: Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G) und Cytosin (C). Dabei ist immer ein A mit einem T und ein G mit einem C gepaart. Das heißt: Wenn in der Doppelhelix an einer bestimmten Stelle ein A ist, dann weist der gegenläufige DNA-Strang an der gegenüberliegenden Stelle ein T auf. Man kann sich das als verdrehte Hängeleiter vorstellen, bei der sich zwei einzelne komplementäre, also gegensätzliche, sozusagen umgekehrt gleiche -Stränge gegenüberliegen. Dieses Schema des Doppelstrangs ist entscheidend dafür, wie die -Stränge kopiert werden, damit in sich teilenden Zellen neue -Kopien entstehen können. Für die Entdeckung, dass die das »Molekül des Lebens« ist, gab es übrigens einen Nobelpreis. Und ebenso für den Nachweis, dass sie in Form einer Doppelhelix organisiert ist – Letzteres gelang 1953 James Watson und Francis Crick.

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